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Bibliotheca Hevertica 14 VITAMIN D Die doppelte Speerspitze bei Atemwegserkrankungen Prof. Dr. med. Jörg Spitz Facharzt für Nuklear-, Ernährungs- und Präventionsmedizin
Prof. Dr. med. Jörg Spitz Facharzt für Nuklear-, Ernährungs- und Präventionsmedizin Akademie für Menschliche Medizin https://spitzen-praevention.com Vitamin D – die doppelte Speerspitze bei Atemwegserkrankungen September 2018 Bibliotheca Hevertica 14, 2018 Hevert-Arzneimittel GmbH & Co. KG In der Weiherwiese 1 D-55569 Nussbaum info@hevert.de Für die Richtigkeit der Ausführungen übernehmen wir keine Haftung, da der Autor grundsätzlich seine unabhängige Prof. Dr. med. Jörg Spitz Meinung und Erfahrung darstellt. Es gelten die Informationen der medizinischen Fach- bzw. Gebrauchsinformationen. Diese finden Sie im Fachkreisportal auf www.hevert.de (Benutzername und Passwort: vademecum)
3 Key Facts Vitamin D moduliert das Immunsystem • Schwerer Vitamin D-Mangel ist mit 30-fach erhöhtem Risiko für COPD-Exazerbation und 4-fach erhöhter • Vitamin D steigert die Aktivität des angeborenen Wahrscheinlichkeit für Krankenhausaufenthalt ver- Immunsystems (z. B. der Makrophagen) und führt zur bunden. (Malinovschi et al. 2014) vermehrten Produktion körpereigener Antibiotika. • Vitamin D-Mangel kann für COPD-Patienten eine um • Es hemmt Teile des erworbenen Immunsystems zehn Jahre reduzierte Lebenserwartung bedeuten. (z. B. Th1-Zellen) und damit überschießende Immun- (Færk et al. 2018) bzw. Entzündungsreaktionen. • Vitamin D verbessert in der Summe die Abwehrleis- Für die Praxis tung bei Infekten – nicht nur bei banalen Infekten – und reduziert gleichzeitig das Risiko für eine Auto • Vor Beginn und im Verlauf der Supplementation sollte immunerkrankung. der Vitamin D-Spiegel gemessen werden, unter ande- rem, da die „Verwertung“ (Sensitivität oder Resistenz) individuell sehr unterschiedlich sein kann. Studien zeigen • Die angemessene Dosis hängt auch vom Zielwert ab. • Vitamin D-Mangel erhöht das Risiko für akute Atem- Eine gute Vitamin D-Versorgung ist ab 30 ng/ml wegsinfekte sowie für Exazerbationen von Asthma (75 nmol/l) gewährleistet. und COPD. (Ginde et al. 2009) • Die tägliche Gabe ist der wöchentlichen oder monatli- • Gute Versorgung mit Vitamin D sorgt für weniger chen Bolusgabe überlegen, gerade bei den Wirkungen akute Atemwegsinfekte bei (ansonsten) Gesunden aufs Immunsystem (und anderen nicht-endokrinen wie Kranken. (Matineau 2017) Wirkungen), dies belegen zahlreiche Studien, es sollte • Vitamin D kann dosisabhängig die entzündlichen daher auch in der Praxis beachtet werden. Veränderungen bei Asthma reduzieren. (Han Zhang et al. 2018) VITAMIN D Die doppelte Speerspitze bei Atemwegserkrankungen Zahlreiche Studien haben das Wissen um Vitamin D erheblich erweitert: Das Sonnenhormon ist nicht nur maßgeblich an der Regulation des Calcium- und Knochenhaushalts beteiligt, sondern hat ein Fülle von Wirkungen, möglicherweise auf nahe- zu alle Zellen, Gewebe- und Organfunktionen. Dabei sind die Effekte auf das Immunsystem prominent und mittlerweile gut belegt. Dies zeigt sich bei banalen Atemwegsinfekten, aber auch bei Asthma und COPD, deren Auftreten seit Jahrzehnten zunimmt. Der Artikel schildert anhand von Studiendaten die immunologischen Wirkungen und das Potenzial von Vitamin D bei den genannten Indikationen. Abschließend werden Dosisfragen diskutiert und auch Empfehlungen für die Praxis gegeben. Eine gute Versorgung mit Vitamin D stellt eine doppelte Wie aber sieht es mit der Versorgungslage bei Vitamin D aus? Speerspitze im Kampf gegen die Volkskrankheiten Asthma Nach zahlreichen Büchern und zahllosen Vorträgen über Vi- und COPD dar. Die beiden synergistischen Wirkungsmecha- tamin D in den zurückliegenden zehn Jahren könnte man nismen von Vitamin D beruhen zum einen auf der Modulati- meinen, dass das seinerzeit aufgezeigte Problem des Vitamin on des Entzündungsreizes in den Atemwegen der Lunge (ent- D-Mangels inzwischen längst beseitigt ist. Doch dem ist nicht zündliche Infiltration) und zum andern auf der Verhinderung so! Zwar haben die diagnostischen und therapeutischen von „banalen“ Atemwegsinfekten, die mit hoher Wahrschein- Maßnahmen zugenommen, erreichen jedoch nur einen lichkeit zu belastenden Exazerbationen im ohnehin schon Bruchteil der Bevölkerung, deren Mangel an Vitamin D auch problematischen Alltag der Patienten führen. in Deutschland offensichtlich weiter zunimmt [1].
4 7-Dehydrocholesterol UVB: 290–315 nm UV-Index: ≥3 Previtamin D3 Körperwärme Vitamin D3 (Cholecalciferol) 25-Hydroxylase Leber extrarenal 25-(OH)-Vitamin D3 (Calcidiol) Produktion von PTH ↑ 1α-Hydroxylase Nieren 1,25-(OH)2-D3 (Calcitriol) Hypokalzämie Hypophosphatämie Endokrine Wirkungen renale 24-Hydroxylase Proteinsynthese Sekretion der Nebenschilddrüsen- hormone ↓ VDR Nukleus Intestinale Resorption von Kalzium VDR RXR und Phosphat Renale Rückresorption von Kalzium ↑ VDRE Fibroblasten-Wachstumsfaktor (FGF 23) ↑ Organe: Knochen, Gastrointestinaltrakt, Nebenschilddrüse Autokrine und parakrine Wirkungen Immunsystem: Modulation lokale 1-alpha-hydoxylase Endothelfunktion ↑ Renin-Angiotensin-System ↓ 1,25-(OH)2-D3 Proteinsynthese Insulinsekretion Zelldifferenzierung ↑ VDR Epigenetische Signale Nukleus VDR RXR Einleitung der Apoptose ↑ Tumorinduzierte Angiogenese ↓ VDRE Endothelzellen, Herz- und Skelettmuskulatur, Brust, Darm, Pankreas, Immunsystem (zum Beispiel Makrophagen) u. a. VDRE = Vitamin D-Response-Element Abb. 1: Entstehung und Ausmaß der Funktionalität des Sonnenhormons Vitamin D [3]
5 das mitochondriale Enzym 25-Hydroxylase (25-OHase: CYP27A1, CYP2R1) in 25-Hydroxy-Vitamin D (25(OH)D), Calcidiol genannt, um. Das mitochondriale CYP27A1 und das mikrosomale CYP2R1 sind die beiden wichtigsten Enzyme, die an der C-25 Hydroxy- lierung beteiligt sind, obwohl es mehrere CYP-Enzyme gibt, die eine 25-Hydroxylase (25-OHase) Aktivität zeigen, aber in diesen Fällen mit höherem Km (Substratkonzentration) und geringe- rer Vmax (Umsatzgeschwindigkeit). Der Serumwert 25(OH) D (1 ng/ml = 2,5 nmol/l) ist somit quasi das Barometer für die Labor-gestützte Einschätzung des Vitamin D-Status [2]. 25(OH)D wird danach in den Nieren über das Enzym 25-Hyd- roxyvitamin D-1-α-Hydroxylase, auch bekannt als Cytochrom p450 27B1(1-OHase: CYP27B1), in das stoffwechselaktive Vita- min D-Hormon (1,25-(OH)2-D) umgewandelt. Man bezeichnet dieses Enzym auch als renale 1-alpha-Hydroxylase, da es in der Niere vorkommt. Auf diesem Weg entsteht aktives Vitamin D für den Knochenstoffwechsel (endokrine Wirkung). Die renale Synthese von 1,25 (OH)2D wird über mehrere Faktoren geregelt, dazu gehören der Serum-Wert für Phosphor und Calcium, der Fibroblasten-Wachstumsfaktor 23 (FGF-23), das Parathormon Die Ursachen hierfür sind vielfältig und reichen von dem un- (PTH) und der 1,25 (OH)2D-Wert selbst [4]. genügenden Aufenthalt im Freien bis hin zur Verwendung von Die Forschung der letzten Jahre hat allerdings ergeben, dass „Sonnen-Cremes“ mit immer höheren Schutzfaktoren. Nicht zusätzlich zu den Nieren eine Vielzahl von weiteren Geweben zuletzt spielt auch eine öffentlichkeitswirksame Strömung in über eine lokale 1-α-Hydroxylase (1-OHase), also die Fähigkeit Medizin und Ernährungswissenschaft eine Rolle: Ärzte und zu Bildung der aktiven Form des Sonnenhormons, verfügt. Die Wissenschaftler, die Vitamin D weiterhin fast ausschließlich Zellen können demnach das biologisch aktive Vitamin D mit als Knochen-Vitamin betrachten und zudem wider amtlichen Hilfe ihrer lokalen 1-OHase selbst erzeugen – dies erklärt die epidemiologischen Zahlen behaupten, die Versorgungslage in den vergangenen Jahren immer besser erforschten autokri- sei ausreichend. Daher sollen an dieser Stelle zunächst Grund- nen und parakrinen Wirkungen von Vitamin D. 1α,25 (OH)2D lagen der Vitamin D-Produktion und Aktivierung und danach verhält sich wie die Sexualhormone (z. B. Estradiol) und Korti- allgemeine klinische Aspekte der Vitamin D-Wirkungen kom- kosteroide (z. B. Cortison), die alle Steroidhormone sind. Über primiert vorgestellt, bevor die speziellen Wirkungen im Im- einen Rückkopplungsmechanismus, reguliert das 1α,25 (OH)2D- munsystem detailliert betrachtet werden. Niveau die Synthese von 1α,25 (OH)2D und reduziert die Syn- these und Sekretion von Parathormon in der Nebenschilddrüse. Vitamin D-Aktivierung findet nicht nur in Leber 1α,25 (OH)2D induziert seine eigene Zersetzung durch die Akti- und Niere statt vierung der 25-Hydroxy-Vitamin D-24-Hydroxylase (24-OHase: CYP24A1), die zum mehrstufigen Abbau sowohl von 25(OH)D Aufgrund der unauflösbaren Beziehung zwischen der Sonne als auch 1α,25(OH)2D zu biologisch inaktiven, wasserlöslichen und dem Leben auf der Erde kommt dem Sonnenhormon Vi- Metaboliten einschließlich Calcitriol-Säure führt [4]. tamin D sozusagen als Schutzschild des Lebens eine besonde- re Bedeutung zu. Dieser Zusammenhang ist wohl auch dafür verantwortlich, dass die Vorstufe des aktiven Hormons nicht ir- Fülle von Wirkungen jenseits des gendwo im Körper, sondern in unserer Haut unter dem Einfluss Knochenstoffwechsels des Sonnenlichtes gebildet wird. Die Schäden, die durch die Ein Vitamin D-Mangel äußert sich lange Zeit klinisch nur durch Einwirkung der hochenergetischen Sonnenstrahlung bedingt unspezifische Symptome (verstärkte Müdigkeit, Abgeschla- sind, werden sozusagen im Entstehen sogleich kompensiert. genheit, Muskelschwäche, vermehrte Neigung zu Allergien Dabei wird Vitamin D mithilfe des Sonnenlichts (UV-B: 290 bis etc.), sodass in aller Regel nicht die richtige Diagnose gestellt 315 nm) in der Haut aus der Vorstufe 7-Dehydrocholesterin (7- wird. Es erscheint daher ratsam, angesichts des weit verbreite- DHC) über die Zwischenstufe Provitamin D3 gebildet. Provita- ten Mangels in der Bevölkerung grundsätzlich die individuelle min D3 wird durch Körperwärme in Vitamin D3 (Cholecalciferol) Versorgungssituation durch eine Blutuntersuchung abzuklä- umgewandelt. Bei exzessiver Sonnenlicht-Exposition werden ren (siehe Praxisempfehlungen am Ende des Beitrags). Provitamin D3 und Vitamin D3 in inaktive Photoprodukte ab- gebaut, so dass eine übermäßige Bildung des Sonnenvitamins in der Haut verhindert wird. Die Leber wandelt Vitamin D3 über
6 Inzwischen finden sich alleine in der internationalen Daten- Teilsysteme bank „pubmed“ unter dem Stichwort „Vitamin D“ rund 30.000 der Abwehr Zellulär Humoral Beiträge. Die nachstehende Tabelle gibt lediglich die wesent- lichsten klinischen Aspekte zu autokrinen und parakrinen Wir- Spezifisch T-Zellen Antikörper kungen von Vitamin D wieder. T-Helferzellen (produziert von T-Gedächtniszellen Plasmazellen und T-Suppressorzellen B-Gedächtnis- Zytotoxische T-Zellen zellen) Senkt den Blutdruck Moduliert das angeborene und erworbene Immunsystem Unspezifisch NK-Zellen Komplement Produziert körpereigene Antibiotika (AMP) Makrophagen Zytokine Neutrophile Lysozyme Schützt die Nervenzellen (zum Beispiel vor MS) Granulozyten Bremst die Krebsentwicklung Fördert und schützt eine Schwangerschaft Verhindert eine Metastasenbildung Tab. 2: Vereinfachte Darstellung der Organisation des Immunsystems Verbessert die Überlebensrate von KHK-Patienten Waren vor zehn Jahren die klinischen Erfahrungen noch be- Reduziert das Risiko für Diabetes Typ I und Typ II grenzt und die Mehrzahl der seinerzeit etwa 40 wissenschaft- Schützt vor peripherer arterieller Verschlusserkrankung lichen Artikel überwiegend experimenteller Natur, so finden Kräftigt die Muskulatur und verzögert die Pflege sich heute zahlreiche Beobachtungsstudien zum Thema Son- bedürftigkeit nenhormon und Immunsystem, ebenso wie therapeutische Studien zur gezielten Beeinflussung des Immunsystems. Diese Tab. 1: Bedeutung von Vitamin D für unsere Gesundheit (unvollständige Einflussnahme wird auch als „Immunmodulation“ bezeichnet. Aufzählung, [5]). Dabei zeigt sich nicht nur eine Zunahme der Publikationen, sondern auch eine zunehmende Bedeutung von Vitamin D für die Funktion des sich immer komplexer darstellenden Im- Wie Vitamin D von klein auf das Immunsystem munsystems. Eine aktuelle Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2017 moduliert bezeichnet Vitamin D gar als „Überlebensmolekül“ [6], das auf zwei ganz unterschiedlichen Wegen das Immungeschehen Zwei der in der Tabelle genannten Eigenschaften bilden die Ba- steuert (Abb. 2). sis für die positive Wirkung von Vitamin D bei der „adjuvanten Therapie“ und Prävention von Asthma und COPD: zum einen Dabei beginnt die besondere Bedeutung von Vitamin D für das die Modulation des Immunsystems und zum andern die Bil- Immunsystem bereits in der Schwangerschaft: während dieser dung von körpereigenen Antibiotika. An beiden Eigenschaften Zeit wird das angeborene kindliche Immunsystem moduliert. ist die Interaktion von Vitamin D mit dem Immunsystem betei- Verfügt die Mutter über ausreichend Vitamin D, erfolgt die Mo- ligt, sodass dieses komplexe Zusammenspiel hier zunächst nä- dulation dahingehend, dass aus den Vorläufern die benötigten her dargestellt werden soll. Dabei lassen sich vier Teilsysteme T-Zellen in einem ausgewogenen Verhältnis gebildet werden. unterscheiden, die ineinandergreifen. Die unspezifische Ab- Liegt dagegen ein Vitamin D-Mangel bei der Mutter vor, führt wehr ist angeboren und richtet sich gegen alle „Fremdlinge“ im die Modulation (aus bislang unbekannten Gründen) zur bevor- Körper. Die Vorgänge der spezifischen Abwehr sind erworben zugten Ausbildung von Th1-Zellen, die entzündliche Prozesse und richten sich gegen bestimmte Antigene, die wiedererkannt im Körper fördern. Damit ist der entstehende kindliche Orga- werden. Diesen letzteren Teil des Systems nutzt die Medizin für nismus prädestiniert, im späteren Leben eine Autoimmuner- Schutzimpfungen gegen ansteckende Erkrankungen (Tab. 2). krankung auszubilden, angefangen von dem hier zu bespre- chenden Asthma über die Multiple Sklerose und rheumatoide Beide Systeme verfügen über eine ganze Reihe von zellulären Arthritis bis hin zu Diabetes Typ 1. Cantorna und Mahon haben Bestandteilen, die hier ebenfalls erwähnt, im Einzelnen jedoch bereits 2004 die Modulation des angeborenen kindlichen Im- nicht weiter erläutert werden sollen: Granulozyten, Monozy- munsystems während der Schwangerschaft unter der Ein- ten, Makrophagen und T-Lymphozyten. Letztere sind in der wirkung von Vitamin D bzw. Vitamin D-Mangel beschrieben: Lage, sich in verschiedene Zellen weiter zu entwickeln: Helfer- In Abwesenheit von ausreichenden Vitamin D-Spiegeln favo- zellen, Gedächtniszellen, Supressorzellen und Killerzellen risiert das Immunsystem anstelle einer ausgewogenen Akti- vierung verschiedener T-Zellen die verstärkte Entwicklung von selbst-reaktiven T-Zellen und damit Autoimmunreaktionen [7]. Mittlerweile stellt sich dieses Konzept wesentlich komplexer dar – mit zahlreichen weiteren Immunzellen und den von ih- nen in Abhängigkeit von Vitamin D produzierten Botenstoffen (Zytokinen) [8].
7 Energie-Versorgung Stressor Tolerance Zelluläre Beschädigung T-Zelle Inflammation Vitamin D Angeborenes Immunsystem IL-1R Natürliche IL-18R Killerzelle ST2 Vitamin D Polymorph- T-reg kerniger Leukozyt Dendritische Zelle Mononucleate Vitamin D Metabolisches Gleichgewicht Stress-Antwort Reparatur-Mechanismen Inflammation Dendritische Zelle Abb 2: Vitamin D als „Überlebensmolekül“: Vitamin D moduliert das Immunsystem durch Hemmung der Entzündungsreaktion infolge von zellulärem Stress (roter Pfeil) und Förderung spezieller Immunzellen zur Unterstützung von Reparaturprozessen (grüner Pfeil). [6] Gute Vitamin D-Versorgung der Mutter reduziert Ein Review von 2016 war der Frage nachgegangen, wie sich eine Asthma-Risiko der Kinder orale Supplementierung mit Vitamin D auf Asthma-Patienten unter Standard-Medikation auswirkt. Sie kam zu dem Ergebnis, Somit stellt offensichtlich die Modulation des kindlichen Im- dass Vitamin D das Risiko von schweren Asthma-Anfällen sig- munsystems in Abhängigkeit vom mütterlichen Vitamin-D nifikant senkt: um bis zu 50 Prozent [12]. Spiegel eine der Voraussetzungen für die Probleme im späteren Leben dar. Darauf weisen auch zusätzliche Untersuchungen Doch damit nicht genug: Vitamin D verfügt über eine weitere aus den letzten Jahren hin, die die Entwicklung von kindlichem Eigenschaft, die für die klinische Ausprägung und den Verlauf, Asthma prüfen. So berichtet eine aktuelle, evidenzbasierte Stu- d. h. den Schweregrad von Asthma und COPD einen wesentli- die über eine nahezu 50-prozentige Risikoreduktion für asth- chen Einfluss hat. Eine Reihe von Beobachtungs- und epide- matische Erkrankungen bei Kindern im Alter von drei Jahren, miologischen Studien, unterstützt von Interventionsstudien wenn die Mutter während der Schwangerschaft zusätzlich zeigen eine Assoziation zwischen dem 25(OH)D-Spiegel und 4000 IE Vitamin D täglich eingenommen hatte [9]. einer verminderten Inzidenz von Infektionen der oberen Atem- wege. Solche eigentlich banalen Infekte führen regelmäßig Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine umfangreiche Über- zu einer Exazerbation des Krankheitsbildes bei Asthma- und sichtsarbeit von Abreo aus dem Jahr 2018. Dort wurde die Be- COPD-Patienten und damit häufig zu stationären Aufenthal- deutung veränderbarer Risikofaktoren für die Reduktion der ten der Betroffenen. Vitamin D ist jedoch in der Lage, durch die Entwicklung von kindlichem Asthma untersucht. Auch hier Bildung des antimikrobiellen Proteins Cathelicidin, das eine wird eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D während der vergleichbare Wirkung wie Antibiotika aufweist, nicht nur sol- Schwangerschaft als ein wesentlicher Faktor für die Vermei- che banalen Infekte nachhaltig zu beeinflussen bzw. zu verhin- dung gelistet [10]. dern, sondern auch bei Tuberkulose zu wirken und hat sogar Im Jahr 2018 konnte die Arbeitsgruppe von Han Zhang in einem eine prognostische Bedeutung bei Infekten auf der Intensivsta- Tierexperiment nicht nur die Signalwege nachweisen, die zu tion [13]. Damit wird Vitamin D zur doppelten Speerspitze bei den entzündlichen Infiltraten der Atemwege bei Asthma füh- Asthma und COPD. ren, sondern auch zeigen, dass Vitamin D dosisabhängig diese entzündlichen Veränderungen reduzieren kann [11].
8 Inverse Korrelation zwischen Vitamin D-Status In einer randomisierten Doppelblind-Studie mit 247 mongoli- und Atemwegsinfekten schen Schulkindern wurde der Effekt der täglichen Einnahme von Vitamin D in angereicherter Milch ausgewertet. Zu Be- Die moderne Medizin tut sich nach wie vor sehr schwer, Erkran- ginn der Studie betrug der mediane Serum 25(OH)D-Spiegel kungen wie Asthma bronchiale und COPD zu erklären – da ist 7 ng/ml, am Ende der Studie war der mittlere 25(OH)D-Spiegel von diversen Anlagen, möglichen Faktoren und Auslösern die von Kindern in der Kontrollgruppe im Vergleich zur Vitamin D- Rede. Bei der Therapie sieht es nicht viel besser aus: Hier domi- Gruppe signifikant unterschiedlich (7 vs. 19 ng/ml; p < 0,001). nieren Kortikosteroide in allen Varianten. Beide Erkrankungen Im Vergleich zur Kontrollgruppe, berichteten Kinder aus der gelten als nicht heilbar. An dieser Stelle sollen einige aktuelle Vitamin D-Gruppe während der Studiendauer deutlich weni- Publikationen zur doppelten Wirkungsweise von Vitamin D bei ger von akuten Atemwegsinfektionen (OR: 0,52). Eine Vitamin Erkrankungen der Atemwege vorgestellt werden. D-Supplementierung reduziert somit signifikant das Risiko von In einer US-amerikanischen Studie an 18.883 Personen (Alter > Atemwegserkrankungen im Winter bei mongolischen Kindern zwölf Jahre) – repräsentativer Querschnitt der US-Bevölkerung mit Vitamin D-Mangel [15]. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt („3rd National Health and Nutrition Examination Survey“) – eine Studie mit japanischen Schulkindern in Bezug auf die wurde der Zusammenhang zwischen dem 25(OH)D-Spiegel im Wirkung von Vitamin D auf die Häufigkeit von Infekten mit Serum und der Anfälligkeit für Infekte der oberen Atemwege Influenza-Viren (Abb. 3). Zusätzlich wurde hier eine deutliche in Bezug auf die Jahreszeit untersucht. Dabei korrelierte der Reduktion der Häufigkeit von Asthmaanfällen bei den doku- Vitamin D-Status invers mit der Infektrate der oberen Atem- mentierten Kindern nachgewiesen [16]. wege: Gegenüber den Probanden mit einem 25-(OH)D-Status ≥ 30 ng/ml hatten die Probanden mit einem insuffizienten Körpereigenes „Antibiotikum“ Cathelicidin Status (10 bis 30 ng/ml) eine 1,24-fach erhöhte Infektrate und könnte einen Teil der Effekte erklären die Probanden mit einem ausgeprägten Vitamin D-Mangel (< 10 ng/ml) eine 1,36-fach erhöhte Infektrate. Bei Patienten mit In einer systematischen Überprüfung und Meta-Analyse von Asthma bronchiale oder chronisch obstruktiver Lungenerkran- 11 randomisierten kontrollierten Studien mit 5660 Patienten kung (COPD) war die Infektrate sogar 2,26-fach bzw. 5,67-fach aus dem Jahr 2013 zeigte Vitamin D eine schützende Wirkung erhöht (p = 0.007) [14]. gegen Atemwegerkrankungen (OR 0,6). Die schützende Wir- kung war in Studien bei täglicher Dosierung im Vergleich zu ohne Supplementierung intermittierenden Bolusdosen deutlich stärker (OR = 0,51 vs OR = 0,86, p = 0,01) [17]. Diese wichtige Beobachtung findet sich mit 1200 IE Vitamin D/d auch in anderen Publikationen und soll daher näher beleuchtet werden. 100 % ································································································································································· Die positiven Auswirkungen einer Vitamin D-Supplementation auf akute Atemwegsinfekte zeigt auch eine 2017 erschienene 80 % ································································································································································· Übersichtsarbeit [18]. Sie umfasst 25 evidenzbasierte Studien mit über 10.000 Teilnehmern. Die statistische Auswertung al- 60 % ································································································································································· ler Patienten mit einer Vitamin D-Supplementation ergab eine p = 0.006 Risikoreduktion von 12 % für eine akute Erkrankung der Luftwe- 40 % ································································································································································· ge. Eine Subgruppenanalyse ergab dabei für die Patienten unter einer täglichen oder wöchentlichen Vitamin D-Gabe sogar noch p = 0.006 20 % ································································································································································· eine deutlichere Risikoreduktion von 19 %. Damit bestätigt die- se Auswertung die Beobachtungen von B. Hollis bezüglich der höheren Effektivität täglicher Vitamin D-Gaben [19]. Ferner 0 % ································································································································································· profitierten diejenigen Patienten von der Vitamin D-Gabe am Influenza A Asthma-Anfall meisten, die einen sehr niedrigen Vitamin D-Ausgangswert hatten. Bei einem Ausgangswert von < 10 ng/ml Vitamin D im Abb. 3: Infektionen der Atemwege und Vitamin D: Relative Risikoreduktion durch Supplementierung von 1.200 IE Vitamin D3 täglich von Dezember Blut betrug die Risikoreduktion 25 % – im Vergleich zu 12 % im 2008 bis März 2009 im Vergleich zu Placebo bei Influenza A und Asthma- Gesamtkollektiv [18]. Auch dies ist eine Erkenntnis, die in zahl- anfällen bei Schulkindern [16]. reichen anderen Studien bestätigt wurde.
9 Abb. 4: Vitamin D-Supplementation zur Verhinderung akuter Atemwegsinfekte. Der systematische Review zeigt, dass die Mehrzahl der Publikationen über einen positiven Effekt von Vitamin D auf die Atemwegserkrankungen berichten: Bei guter Vitamin D-Versorgung sinkt das Risiko für einen Infekt – zum Teil sehr deutlich und auch im Mittel beachtlich – unter 1 [18]. Dabei erlauben die beachtlichen Fortschritte in der Labordia- COPD: (nochmals) deutliche reduzierte gnostik zusätzliche Einblicke in die pathophysiologischen Zu- Lebenserwartung bei Vitamin D-Mangel sammenhänge, wie eine im August 2018 (vorab elektronisch) Auch wenn die Ätiologie der COPD von der des Asthmas ver- publizierte Arbeit zeigt: Bei 86 Patienten kam es unter der Be- schieden ist, so profitieren doch auch die Patienten mit einer handlung mit Vitamin D zu einem signifikanten Anstieg der COPD deutlich von einer regelrechten Versorgung mit Vita- Serumspiegel von IL-10 und IFNγ, während IL-5, IL-9, and IL-13 min D. Die Arbeitsgruppe von Zhu veröffentlichte 2015 eine als Ausdruck der Immunmodulation durch Vitamin D signifi- Übersichtsarbeit, in der 18 Studien zusammengefasst wur- kant abnahmen. In der behandelten Gruppe sank die Anzahl den. Sie berichtet, dass in den epidemiologischen Studien die von Atemwegsinfekten deutlich und war verbunden mit dem Häufigkeit eines Vitamin D-Mangels mit dem Ausmaß der Anstieg von IL-10 und IFNγ im Serum sowie einem Anstieg des Erkrankung signifikant zunahm. Die vier prospektiven Studi- körpereigenen „Antibiotikums“ Cathelicidin im Speichel [20]. en zeigten positive Effekte einer Vitamin D-Supplementation auf das Krankheitsgeschehen [21]. Eine 2018 publizierte, um- fangreiche Studie aus Dänemark mit 35.153 Bürgern im Alter von 20–100 Jahren findet ebenfalls eine deutliche Beziehung zum klinischen Bild, in diesem Fall zwischen dem Vitamin D- Gehalt und einer erhöhten Mortalität bei COPD-Patienten. Ist die Diagnose COPD spirometrisch gesichert, beträgt die mitt- lere Lebenserwartung 70,2 Jahre bei einem Vitamin D-Spiegel von < 12,5 nmol/L und 80,3 Jahre bei den Patienten, die einen Vitamin D Spiegel ≥ 50 nmol/L aufwiesen. Dies bedeutet für die Patienten mit Vitamin D-Mangel eine reduzierte Lebenserwar- tung von glatt zehn Jahren [22].
10 Eine italienische Arbeitsgruppe fand bei knapp 100 Patienten Dabei wird allerdings in keiner der Arbeiten der zusätzliche Ef- mit COPD folgende Situation: 96 % der Patienten hatten ei- fekt berücksichtigt, den die Vitamin D-Gabe auf die in der Regel nen Mangel und 36 % einen schweren Mangel an Vitamin D. zahlreich vorhandenen Komorbiditäten dieser Erkrankungen Ein schwerer Mangel an Vitamin D war verbunden mit einem hat. Hier eröffnet sich noch ein umfangreiches Forschungsfeld. 30-fachen Risiko für eine Exazerbation und einem knapp vier- Bereits 2010 hat die europäische Aufsichtsbehörde EFSA auf- fachen Risiko für eine Aufnahme im Krankenhaus (Abb. 5). Ein grund der Studienlage den Health Claim „Vitamin D trägt zur schwerer Mangel an Vitamin D führte zusätzlich zu einem normalen Funktion des Immunsystems bei“ anerkannt (in 18-fachen Risiko für eine häufigere Exazerbation [23]. Kraft getreten im Mai 2012) und dies danach 2014 auch für Kinder erweitert: „Vitamin D trägt zur normalen Funktion des 60········································································································································································ Immunsystems von Kindern bei“. In einer 2015 veröffentlich- p < 0,001 ten EFSA-Evaluation wurde der Health Claim erneut bestätigt • [27]. Nimmt man dies und den hier ausschnitthaft referierten Vitamin D-Spiegel (ng/ml) Forschungsstand zusammen, ist es völlig unverständlich, dass 40········································································································································································ sogenannte Experten in den Medien immer noch behaupten, dass Vitamin D lediglich für den Knochenstoffwechsel zustän- dig sei. 20········································································································································································ Praktische Bedeutung der individuellen Vitamin D-Sensitivität bzw. Vitamin D-Resistenz In der Diskussion um eine ausreichende Vitamin D-Versorgung 0········································································································································································ und wie sie erreicht werden kann, wird zunehmend auf die nein ja Existenz sogenannter Polymorphismen (Single Nucleotide Po- Krankenhausaufenthalt lymorphismen, SNPs) hingewiesen. Dabei handelt es sich um Abb. 5: Vitamin D-Mangel korreliert bei COPD-Patienten mit akuten geringfügige Veränderungen an bestimmten Genen, die am Exazerbationen und der Häufigkeit von Krankenhausaufenthalten. [23] Vitamin D-Stoffwechsel beteiligt sind. So zeigten Patienten bei der Untersuchung von zwei SNPs (rs4588 and rs7041) eine signi- Eine ägyptische Arbeitsgruppe untersuchte ebenfalls den Ein- fikant höhere Rate an Exazerbationen (P = 0,0048) und für die fluss des Vitamin D-Spiegels bei chronisch erkrankten Patien- Ausbildung einer chronischen Obstruktion (P = 0,0003) und ten, die wegen akuter Verschlechterung ihres Zustandes ins eines Emphysems (P = 0,0029), wenn die Gen-Variante rs4588 Krankenhaus eingewiesen wurden. Dabei handelte es sich au- vorlag [28]. ßer COPD-Patienten um solche mit chronischen Leber- sowie Solche Überlegungen werden durch die Ergebnisse der Unter- Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfall. Der Vitamin D- suchungen von C. Carlberg zur individuellen Vitamin D-Sensi Spiegel dieser Patienten war signifikant invers korreliert mit der tivität bestätigt [29]. Offensichtlich ist die auf einer Vitamin Dauer des Aufenthaltes im Krankenhaus (p < 0,001). Darüber D-Rezeptorstörung basierende Resistenz gegen die immun- hinaus fand sich wie in einer dänischen Studie ein signifikanter modulatorische Wirkung von Vitamin D nur eine teilweise Re- Unterschied in Bezug auf das Überleben in Abhängigkeit vom sistenz. Aufgrund dieser Veranlagung besteht eine gesteigerte Vitamin D-Spiegel [24]. Wahrscheinlichkeit, bei Vitamin D-Mangel eine Autoimmuner- Auch wenn bei der COPD wohl „lediglich“ die Vermeidung krankung, wie zum Beispiel Multiple Sklerose oder Asthma, zu der Exazerbationen durch die Reduktion von Atemwegsinfek- entwickeln. Umgekehrt sollten höhere Dosen von Vitamin D ten von Bedeutung zu sein scheint, sind die klinischen Effek- dann in der Lage sein, diese teilweise Resistenz zu überwinden. te einer gezielten Gabe von Vitamin D beachtlich. So zeigten Aufgrund von klinischen Beobachtungen hat der brasilianische COPD-Patienten in einer randomisierten Studie unter 2000 IE Arzt C. G. Coimbra bereits vor mehr als zehn Jahren mit seiner Vitamin D nach einem halben Jahr eine deutliche Reduktion Arbeitsgruppe ein spezielles Behandlungsprotokoll mit hohen der Häufigkeit von Exazerbationen: zu Beginn der Studie wie- Dosen von Vitamin D entwickelt [30]. sen alle Patienten, am Ende nur noch 3 % eine Exazerbation auf Das Ausmaß der Resistenz wird im Rahmen seines Behand- [25]. Eine iranische Arbeitsgruppe berichtet ebenfalls über eine lungsansatzes durch die Messung des Parathormons (PTH) deutliche Verbesserung der Lebensqualität bei den therapier- bestimmt. Vitamin D senkt den Spiegel des Parathormons. Die ten Patienten, obwohl die gewählte Therapie (300.000 IE mit Reaktion des PTH-Spiegels auf die Gabe von Vitamin D ist so- einer einmaligen intramuskulären Injektion) sicherlich nicht mit ein Maß für die Messung der Vitamin D-Resistenz. Dem- als ideal anzusehen ist [26]. Auch die vier prospektiven Studien entsprechend wird die für jeden Patienten spezifische Vitamin in der schon zitierten Übersichtsarbeit von Zhu zeigen positive D-Dosis anhand der Reaktion des PTH-Spiegels festgelegt. Die Effekte einer Vitamin D-Supplementation [21]. oralen Dosen reichen von 30.000 bis zu 300.000 IE Vitamin D pro Tag, die nach heutigem Verständnis toxisch sein können.
11 „Während die Patienten die hohe Dosis Vitamin D erhalten, bleibt die Krankheit inaktiv, z. B. ohne irgendwelche Anzeichen neuer Läsionen bei MS – weder klinisch noch labortechnisch”, so Dr. Coimbra in einem kürzlich erschienen Interview. Wäh- rend seine Arbeitsgruppe erste Erfahrungen zu den erreichba- ren Ergebnissen bei der Psoriasis (ebenfalls eine Autoimmuner- krankung) bereits publizieren konnte [30], steht dies für andere Erkrankungen noch aus, obwohl die Arbeitsgruppe auch über umfangreiche Erfahrungen bei Multipler Sklerose verfügt. Patienten sollten allerdings auf keinen Fall anfangen, hohe Dosen Vitamin D (>10.000 I.E. pro Tag) auf eigene Faust und ohne medizinische und labortechnische Begleitung einzuneh- Abb. 6: Besser täglich als wöchentlich – Zufuhr von Vitamin D in Form men. Der Versuch kann fatal enden, da das speziell entwickelte von Supplementen als einfache und wirkungsvolle Maßnahme zur Protokoll nicht nur die Dosierung von Vitamin D, sondern Beseitigung des weit verbreiteten Vitamin D-Mangels (Zeichnung u. a. auch genau einzuhaltende Ernährungsvorschriften und P. Ruge, © Akademie für menschliche Medizin). weitere Maßnahmen im Sinne eines ganzheitlichen Konzeptes umfasst! Die zu verabreichende Dosis hängt maßgeblich vom angestreb- ten Zielwert ab. Forschungen der vergangenen Jahre haben Betroffene, die mit dem Coimbra-Protokoll beginnen wol- immer mehr bestätigt, dass erst Blutwerte ab 30 ng/ml (bzw. len, sollten sich also einen Therapeuten suchen, die oder der 75 nmol/l) als „gut“ zu bezeichnen sind. Als Faustregel gilt, sie intensiv und fachkundig begleitet. Eine Liste von Coimbra dass die Zufuhr von 1000 IE Vitamin D täglich den Spiegel im geschulten Ärzten ist auf der Internetplattform „Coimbra- Blut um etwa 10 ng/ml anhebt. Wer als U-Boot Fahrer arbeitet Protokoll“ zu finden (www.coimbraprotokoll.de). Dort findet oder wie ein Grottenolm – ein in Höhlengewässern lebender sich auch ein Link zu einem beeindruckenden Interview mit Dr. Schwanzlurch – lebt, also selbst kein Vitamin D in seiner Haut Coimbra in deutscher Sprache. bildet, benötigt daher ungefähr 4000 IE Vitamin D pro Tag, um auf einen Referenzwert von 30 – 40 ng/ml zu kommen. Dies gilt Eine individuell passende Strategie hat mit aber nur bei einem normalen Körpergewicht von etwa 70 kg, Messung zu tun denn das fettlösliche Vitamin verteilt sich bei übergewichtigen Menschen bevorzugt im Fettgewebe. Insbesondere bei stark Angesichts des weit verbreiteten Vitamin D-Mangels in der Be- übergewichtigen Personen ist also eine gewichtsabhängige völkerung bietet sich als einfachste Maßnahme eine generelle Korrektur der verabreichten Dosis empfehlenswert. Wer sich im Verabreichung von pharmazeutisch hergestelltem Vitamin D Sommer häufig im Freien aufhält und dabei genügend nackte als Nahrungsergänzung an. Damit entfällt auch der Streit mit Haut zeigt (ohne Sonnenschutzmittel), braucht entsprechend den Dermatologen in Bezug auf die Entstehung von Hauttu- weniger Supplement. Sonnenbrände sind allerdings auf alle moren durch eine zusätzliche oder intensivere Besonnung. Al- Fälle zu vermeiden, so dass man sich bei absehbar längerer Ex- lerdings sollte dabei nicht vergessen werden, dass das Sonnen- position (mehr als 15 – 20 Minuten, je nach Hauttyp) mit Son- licht vielfältige weitere positive Wirkungen auf unseren Körper nencreme oder besser noch mit Kleidung schützen sollte. hat. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Erkenntnis auch in der Dermatologie durchsetzen wird, zumal sich die Hinweise meh- Einige Monate nach Therapiebeginn empfiehlt sich eine Über- ren, dass auch die Entstehung der Hauttumoren nicht nur vom prüfung des Vitamin D-Spiegels im Blut, um zu schauen, ob UV-Licht, sondern auch vom Lebensstil abhängig ist. die Behandlung zum gewünschten Ergebnis geführt hat. In Abhängigkeit vom Ergebnis lässt sich dann das therapeutische Vor Beginn einer Supplementation ist es hilfreich, den Vita- Vorgehen individuell korrigieren. Daher sollte man seinen Vita- min D-Spiegel im Blut zu bestimmen, da die zu erwartenden min D-Spiegel im Frühjahr und im Herbst überprüfen lassen, so niedrigen Messwerte aus Skeptikern Betroffene machen, was zeigt sich im Frühjahr, ob man mit dem Konzept gut durch den die Compliance bei der Supplementation deutlich verbessert. Winter gekommen ist – und im Herbst sagt der Wert, ob die Dabei genügt die Messung des „einfachen“ 25-OH Vitamin D, Strategie für den Sommer gepasst hat. Eine Überdosierung ist denn die Bestimmung des „aktiven“ Hormons 1,25-OH Vitamin extrem selten, da Vitamin D zum Glück eine große therapeuti- D ist nicht nur doppelt so teuer, sondern erlaubt keine Aussage sche Breite hat. So müsste man mehrere Wochen lang 40.000 über die Vorratsspeicher im Körper und führt häufig zu Fehl- IE täglich einnehmen, um in den toxischen Bereich zu kommen. interpretationen. Um bei unklaren Symptomen eine Vitamin D-Überdosierung auszuschließen, genügt in der Regel die preiswerte Bestim- mung des Kalziumwertes im Serum, denn die Hyperkalzämie ist die hauptsächliche Komplikation der Überdosierung bzw. von ihr leiten sich die eigentlichen unerwünschten Nebenwir- kungen ab: Herzrhythmusstörungen, Übelkeit, Nierensteinbil- dung, Nierenverkalkung und andere.
12 Achten Sie auf „tägliche Gabe“ – auch wenn Sie Negative Studienergebnisse für Vitamin D beruhten bisher Studienergebnisse lesen häufig auf solchen Mängeln im Studiendesign: dass zum Bei- spiel am Anfang gar kein Mangel bei den Probanden bestand Abschließend noch ein paar Stichworte zur Durchführung der oder aber die Dosis zur Anhebung des Blutspiegels zu gering Supplementation, denn die korrekte Supplementation ist glei- war, d. h. es bestand keine relevante Differenz von Vorher- chermaßen relevant für die Praxis wie für Studien. Grundsätz- Nachher (Blutwerte) oder zwischen den Probandengruppen, lich ist es ohne Bedeutung, ob die benötigte (ausreichende!) oder es wurde gar kein sinnvoller Zielwert angestrebt – und Vitamin D-Menge als Tablette oder in einer öligen Lösung zu- schließlich, wie erwähnt, es wurden Intervall- bzw. Bolusgaben geführt wird. Wichtig bleibt jedoch die Empfehlung „Einnah- verwendet, statt mit einer täglichen Einnahme den Körperzel- me zu einer fettreichen Mahlzeit“, da ansonsten im Darm das len regelmäßig Vitamin D zur Verfügung zu stellen. fettlösliche Vitamin D nicht aufgenommen wird. Offensichtlich reicht auch der kleine Tropfen Öl in den öligen Lösungen nicht Anstelle einer eigenen Zusammenfassung möchte ich an die- aus, um die Resorption im Darm anzuregen. ser Stelle den Abschluss eines Editorials mit der Überschrift „Ist eine Korrektur des Vitamin D-Mangels in der Lage, Asthma Viele Studien haben gezeigt, dass eine regelmäßige, tägliche zu behandeln und zu verhindern?“ aus dem Journal „Expert Zufuhr einer Gabe von Vitamin D im Intervall (wöchentlich review of clinical immunology“ zitieren, das Mitte 2018 publi- oder gar monatlich) überlegen ist. Das gilt auch, wenn der re- ziert wurde: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass epide- sultierende Spiegel im Blut identisch sein sollte. Dies hat offen- miologische Daten belegen, dass veränderbare Umweltfakto- sichtlich damit zu tun, dass kurz nach der Zufuhr das Sonnen- ren wie der Vitamin D-Mangel einen signifikanten negativen hormon frei im Blut verfügbar ist und in die Zellen diffundieren Einfluss auf das Krankheitsgeschehen beim Asthma haben. kann, um dort seine Wirkung zu entfalten. Doch bereits am Ergänzende Laboruntersuchungen zeigen die Mechanismen, nächsten Tag wird es – wie alle anderen Hormone – größten- die Vitamin D befähigen, Exazerbationen der Krankheit zu re- teils an ein Transportglobulin gebunden und steht dann nicht duzieren. Dabei ist von besonderer Bedeutung die Eigenschaft mehr in so reichlichem Maße zur Verfügung. Dieser Zusam- von Vitamin D, steroid-sensitive, regulatorische T-Zellen zu för- menhang wurde durch die Ergebnisse zahlreicher Untersu- dern und Entzündungen zu verhindern. Neuere Metaanalysen chungen belegt, von denen wir einige auch im vorstehenden von klinischen Studien haben eine signifikante Evidenz dafür Text vorgestellt haben. Umgekehrt finden sich bei der überwie- ergeben, dass eine Korrektur des Vitamin D-Mangels bei Asth- genden Zahl von Studien, die gegen die Wirkung von Vitamin ma einen positiven Effekt hat. Eine tägliche Supplementation D angeführt werden, Unzulänglichkeiten im Studiendesign, die mit Vitamin D zur Korrektur des Mangels ist daher ein sicherer oft auf der Missachtung der beschriebenen Empfehlungen zur und effektiver Teil unserer therapeutischen Möglichkeiten bei Supplementation beruhen. Asthmapatienten, der durch klare immunologische Reaktionen Es gibt aber noch andere Möglichkeiten für Fehler im Studi- begründet ist“ [32]. endesign. Dazu ein aktuelles Beispiel aus der renommierten internationalen Zeitschrift „JAMA“: 354 Kinder im Alter von 1 – 5 Jahren erhielten randomisiert entweder 2000 oder 400 Ein- heiten Vitamin D für mindestens vier Monate zwischen Sep- tember und Mai. Es fand sich kein Unterschied in der Anzahl der Atemwegsinfekte zwischen beiden Gruppen während der Winterzeit. Die Schlussfolgerung der Autoren lautet: „Die Er- gebnisse unterstützen nicht eine Hochdosis Vitamin D-Supple- mentation für Kinder zur Vermeidung von Atemwegsinfekten“. Das Ergebnis dieser Untersuchung und die darauf beruhende Feststellung erscheinen zwar eindeutig und lassen an vielen anderslautenden Studienergebnissen zweifeln. Doch die Erklä- rung für die Diskrepanz findet sich versteckt im Studiendesign: am Ende der Studie lag der mittlere Vitamin D Spiegel der „Hochdosis-Gruppe“ bei 48.7 ng/mL und der Kontrollgruppe bei 36.8 ng/ml. Dies bedeutet, dass beide Gruppen über einen guten oder sehr guten Vitamin D-Spiegel verfügten, wodurch sich der fehlende Effekt erklärt [31].
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