HOSPIZ- UND PALLIATIV-VERSORGUNG IN NRW - Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen
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Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 1 Ansprechstellen im Land NRW zur Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen Juli 2021 Ausgabe 88 HOSPIZ- UND PALLIATIV- VERSORGUNG IN NRW Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 1 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 2 2 Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 2 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 3 GRUSSWORT Liebe Leserinnen und Leser, in diesem September finden zum zweiten Mal die „Hospiz- und Palliativtage NRW“ statt. Nach der positiven Resonanz auf die ersten „Hospiz- und Palliativtage NRW“ im Jahr 2017 möchte ich dieses Veranstaltungsformat regelmäßig fortführen. Es ist sehr wichtig, dass die Akteurinnen und Akteure der Hospiz- und Palliativversorgung in ganz Nordrhein- Westfalen themenbezogen und in Verbindung mit einem zentralen Fachaustausch durch regionale Ver- anstaltungen auf die bestehenden Angebote zur Hospiz- und Palliativversorgung aufmerksam machen. Karl-Josef Laumann Die diesjährigen Hospiz- und Palliativtage stehen unter dem Motto „Jeder Moment ist Leben“. Neben der Hauptveranstaltung am 30. September 2021 in der Stadthalle Soest werden in vielen Regionen Nordrhein-Westfalens verschiedene informative und kreative Aktivitäten zur Hospizarbeit und Palliativ- versorgung stattfinden. Durch das Zusammenwirken zahlreicher engagierter Menschen und Institutionen können wir gemeinsam dazu beitragen, die bestehenden Berührungsängste der Bevölkerung zum Thema „Sterben, Tod und Trauer“ abzubauen und die verschiedenen Angebote und gewachsenen Strukturen der Hospiz- und Palliativversorgung den Bürgern bekannter zu machen. Seit vielen Jahren ist mir eine gute Versorgung der Bürgerinnen und Bürger in NRW in ihrem letzten Lebensabschnitt ein besonderes Anliegen. Herzstück der Hospiz- und Palliativversorgung sind die vielen haupt- und ehrenamtlich Tätigen, deren großes Engagement zu der in Nordrhein-Westfalen gewachsenen und überzeugenden Struktur der Hospizarbeit und Palliativversorgung geführt hat. Dafür möchte ich Ihnen ausdrücklich danken. Besonders hinweisen möchte ich auf die Arbeit der Ansprechstellen zur Palliativversorgung, Hospiz- arbeit und Angehörigenbegleitung (ALPHA NRW) in Münster und Bonn, die das Land vor inzwischen mehr als 28 Jahren eingerichtet hat und seither finanziert. Sie unterstützen insbesondere Dienste und Einrichtungen, aber auch Betroffene und Angehörige bei allen Fragen zur Hospizarbeit und Palliativ- versorgung. Sie begleiten den Auf- und Ausbau der Hospiz- und Palliativstrukturen mit hoher fachlicher Kompetenz. Ich hoffe, dass die Hospiz- und Palliativtage NRW 2021 dazu beitragen werden, über verschiedene aktuelle Themen ins Gespräch zu kommen und gemeinsam neue Ansätze für eine noch bessere Hospiz- und Palliativversorgung zu entwickeln. In dieser Auflage des Hospiz-Dialoges erhalten Sie einen ersten Einblick in die Themen der Hospiz- und Palliativtage NRW 2021. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 Karl-Josef Laumann Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 3 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 4 Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 4 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 5 5 JEDER MOMENT IST LEBEN Eine Vielfalt von Netzwerken begleitet das Leben und Sterben IRMGARD HEWING, HEIDI MERTENS-BÜRGER Am 30.September 2021 richtet das Gesundheitsministerium NRW gemeinsam mit ALPHA NRW die zweite Fachtagung „Jeder Moment ist Leben“ aus. Die Hospiz- und Palliativversorgung in Nordrhein-Westfalen ist seit 30 Jahren nachhaltig in Bewegung und setzt immer wieder neue Akzente. Dies drückt sich auch in der Vielzahl und Vielfalt der Angebote aus: In Nordrhein-Westfalen gibt es mehr als 3 0 0 ambulante Hospizdienste (einschließlich Kinderhospizdienste), davon 2 3 7 mit hauptamtlicher Koordination, mehr als 2 0 0 ambulante Palliativpflegedienste (einschließlich Kinderkrankenpflegedienste), 7 8 stationäre Hospize für Erwachsene, davon 6 Hospize für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, mehr als 6 0 ambulante palliativmedizinische Teams, mehr als 5 5 0 Palliativbetten in Krankenhäusern und rund Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 1 0 . 8 0 0 engagierte ehrenamtlich Tätige. Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 5 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 6 6 angetreten ist, die Betreuung, Versorgung, Sorge und Begleitung dieser Menschen zu fördern und weiterzuentwickeln, definiert dies in dem 3. Leitsatz: „Wir werden uns dafür einsetzen, auf dieser Basis interdisziplinäre Forschung weiterzu- entwickeln und den Wissenstransfer in die Praxis zu gewährleisten, um die Versorgungs- situation schwerstkranker und sterbender Menschen sowie ihrer Angehörigen und Nahestehenden kontinuierlich zu verbessern.“ Die Umsetzung wird durch ein gut funktio- nierendes Netzwerk unterstützt und trägt ebenso zur Enttabuisierung der Themen Sterben, Tod und Trauer in unserer Gesell- schaft bei wie auch zu einer Kulturverän- derung und einer qualitativ hochwertigen Versorgung am Lebensende in den verschiedenen stationären Einrichtungen. Besonders stationäre Einrichtungen wie die Altenhilfe und die Eingliederungshilfe Das Gesundheitsministerium fördert regelmäßig — dort wo nicht „Hospiz“ oder „Palliativ“ auf dem unterschiedliche Projekte, die aus gesellschaft- Schild steht – sind Orte des Lebens und des Ster- lichen Veränderungen heraus entstehen, innovati- bens und gehören ebenso in den Blick und ven Charakter haben, Handlungsstrategien erfor- Fokus der Hospiz- und Palliativarbeit. dern und neue Perspektiven eröffnen. Zwei dieser Themen greift dieser Fachtag am 30.09.2021 in An diesem Hospiz- und Palliativtag werden über Soest auf. die Fachbeiträge hinaus praxisnahe Erfahrungen und Berichte gelebter Netzwerke vorgestellt. Die Begegnung und Versorgung schwerstkranker Menschen und ihrer Nahestehenden fordert die beteiligten Berufsgruppen nicht nur als Fachkräfte heraus, sondern auch als Men- schen mit ihrer Persönlichkeit, ihrer Haltung und ihren Werten. Sie setzen sich täglich für eine würdevolle palliative und hos- pizliche Behandlung und Begleitung der Menschen in der letzten Lebensphase ein. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit der verschiedenen Akteurinnen und Akteure wird an diesem Fachtag hervorgehoben, Schnittstellen und Netzwerke werden aufgezeigt und an den Beispielen der in das regionale Netzwerk eingebetteten Gesund- heitlichen Versorgungsplanung am Lebens- ende (GVP) sowie der hospizlich-palliativen Versorgung im Krankenhaus in den Fokus genommen. Auch die Charta zur Betreuung schwerst- kranker und sterbender Menschen in Deutschland, die vor 10 Jahren mit dem Ziel Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 6 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 7 7 Dezentrale Veranstaltungen Das Netzwerken begegnet Ihnen ebenso in den re- gionalen Veranstaltungen der Hospizdienste rund um die zentrale Tagung als aktiver Gestaltungsvor- gang. Es bringt Dynamik, Gestaltung und verbindet Menschen, die sich miteinander austauschen, sich gesellschaftlich verbinden. Charta 2. Leitsatz: „Wir werden uns dafür einsetzen, dass Versor- gungsstrukturen vernetzt und bedarfsgerecht für Menschen jeden Alters und mit den ver- schiedensten Erkrankungen mit hoher Qualität so weiterentwickelt werden, dass alle Betroffe- nen Zugang dazu erhalten. Die Angebote, in gemeinsame Aktionen? Gern können Sie sie an- denen schwerstkranke und sterbende Menschen sprechen und zur Meldung ermuntern! versorgt werden, sind untereinander so zu vernetzen, dass die Versorgungskontinuität Werbematerialien gewährleistet ist.“ Zur Bewerbung der Hospiz- und Palliativtage wurden in Zusammenarbeit mit dem Gesundheits- ministerium NRW Plakat- und Postkartenmotive So sind Sie herzlich eingeladen, Ihre geplanten Ver- erstellt, die das primäre Ziel verfolgen, durch eine anstaltungen der 2. Jahreshälfte 2021 auf der Seite vielleicht etwas irritierende, durchaus humorvolle, von ALPHA NRW (www.alpha-nrw.de) anzumelden. aber doch angemessene Herangehensweise die Klicken Sie dort unter der Rubrik Aktuelles auf innere Abwehr gegenüber dem Thema Sterben, Tod „Anmeldung Veranstaltung 2. Hospiz- und Pallia- und Trauer zu überwinden. Sie wollen die Angebote tivtage NRW 2021“. (Sie haben die Möglichkeit bis der Hospizarbeit und Palliativversorgung in NRW zu drei Termine zu melden.) Es öffnet sich eine Seite in die gesellschaftliche Mitte rücken, traurig, mit dem Anmeldeformular. Alle Einträge werden fröhlich, nachdenklich oder hoffnungsvoll und gesammelt, aufbereitet und im Anschluss auf der berichten von der Lebendigkeit im Umgang mit den Internetseite www. hospiz-und-palliativtage.nrw.de Themen Tod, Sterben und Trauer. Neben den veröffentlicht. Plakaten und Postkarten gibt es noch einen Flyer, der in kurzer Form über die Angebote der Hospiz- Weitere Institutionen zur Teilnahme ermuntern arbeit und Palliativversorgung informiert. Alle Zur Teilnahme aufgerufen sind auch Organisationen, Werbematerialien können Sie kostenfrei über die die nicht unmittelbar im Hospiz- und Palliativbe- Internetseite des Ministeriums für Arbeit, Gesund- reich angesiedelt sind, sich aber ebenfalls mit den heit und Soziales www.mags.nrw bestellen. Themen Sterben, Tod und Trauer befassen (wie Gemeinden, Galerien, Schulen, Orchester, Chöre, Bei Fragen rund um die Hospiz- und Palliativtage Sportvereine etc.). Kennen Sie interessierte Insti- NRW können Sie sich gern an uns wenden: tutionen, Kolleginnen und Kollegen oder planen Sie alpha@muenster.de oder Tel.: 02 51 - 23 08 48 Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 Irmgard Hewing Heidi Mertens-Bürger Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 7 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 8 8 FESTE ODER LOSE MASCHEN? Vom Wirken, dem Zusammenhalt und der Zusammenarbeit in Netzwerken der Hospizarbeit und Palliativversorgung FRANK GUNZELMANN, FELIX GRÜTZNER Häkelwaren sind Netzwerke – zum Teil sehr kom- Angebote für eine verbesserte Betreuung und plexe. Wer schon einmal völlig unbedarft schema- Begleitung schwerstkranker und sterbender tische Darstellung eines Häkelmusters gesehen Menschen mit ihren Zugehörigen aufbauten. An ein hat, der entdeckt darin zunächst keinerlei Ordnung, geordnetes Netz war zunächst nicht zu denken. Der sondern vielmehr eine Anhäufung vieldeutiger Pioniergeist vieler, zunächst häufig ehrenamtlich Zeichen, deren Sinn sich nicht unmittelbar tätiger Menschen, ließ in einzelnen Regionen neue erschließt. Auch das fertige Textilstück ist in seiner Versorgungsformen entstehen. Die Politik reagierte Struktur nicht einfach zu lesen. Da gibt es feste und auf diese tatkräftige Bewegung, nahm die Bedarfe luftige Maschen, enge und lockere Verbindungen, und Bedürfnisse der Betroffenen auf und schuf unterschiedliche Formen. Und doch bildet das erste gesetzliche Regelungen, die die Grundlage Maschengewebe ein Ganzes je nach seinem Ziel für unterschiedliche Vertragsformen darstellten. und Anspruch: zweckmäßig wie ein Topflappen, vor Dazu gehörten Verträge zwischen Leistungserbrin- unerwünschten Blicken schützend wie eine Gardine gern und Kostenträgern sowie Kooperationen und oder dekorativ wie ein Sofadeckchen. Vereinbarungen der Dienste und Institutionen untereinander. Viele Leistungen im hospizlichen Vielen geht es in der ersten Begegnung mit den und palliativen Bereich wurden zunehmend gefördert Strukturen der Hospiz- und Palliativversorgung bzw. finanziert, sind gesetzlich und vertraglich nicht anders. Bezeichnungen, Zuständigkeiten, geregelt. Signifikant ist, dass der überwiegende Tätigkeitsbereiche, Zugangswege: Die Vielzahl und Teil der am Auf- und Ausbau der hospizlich- Vielgestaltigkeit der Dienste und Institutionen palliativen Strukturen beteiligten Gruppen stets können nicht nur Betroffene und ihre Zugehörigen, und zwingend einen Anteil ehrenamtlichen sondern auch Mitversorger in anderen Bereichen Engagements als Grundelement erhalten will. Der des Gesundheitswesens zunächst überfordern: Wunsch war und ist, finanzielle Erfordernisse zu „Wer ist in diesem Moment der/die richtige berücksichtigen und zugleich individuelles und Ansprechpartner/Ansprechpartnerin? Was wird bürgerliches Engagement jenseits wirtschaftlicher Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 angeboten? Welche Voraussetzungen braucht es, Interessen für die hospizliche und palliative Idee um bestimmte Leistungen zu erhalten?“ zu erhalten. Ohne Letzteres schien den Beteiligten eine tragfähige und bedürfnisorientierte Arbeit für Als vor drei Jahrzehnten die Hospizbewegung und die Betroffenen nicht möglich. Palliativversorgung in Deutschland ihren Anfang nahmen, waren es isolierte und weit verstreute Mittlerweile verfügen Städte und Regionen in NRW Initiativen und einzelne engagierte Menschen, die wie bundesweit über ein hoch differenziertes Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 8 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 9 9 Angebot unterschiedlicher Einrichtungen, Dienste Wille im Bedarfsfall umgesetzt werden kann. Dies und Initiativen. Strukturell ist die Bandbreite groß: hat nicht zuletzt das ALPHA-Projekt zur „Gesund- von der Palliativstation eines großen Krankenhaus- heitlichen Versorgungsplanung im regionalen Netz- trägers über stationäre Hospize in Trägerschaft werk“ zutage gefördert (siehe Beitrag in diesem eines Wohlfahrtsverbandes und regional als GmbH Heft). arbeitende Teams der spezialisierten ambulanten Versorgung bis hin zu ambulanten Hospizdiensten „Networking“ ist seit langem ein gängiger Bestand- in der Trägerschaft kleiner gemeinnütziger Vereine. teil im Management von Unternehmen. Es ist auch keine neuzeitliche Entdeckung. Handelsbünde wie Auf das Bild vom Anfang übertragen stehen wir also die Hanse basierten auf der Erkenntnis, dass heute am Ende einer Zeit intensiver und ausdiffe- gemeinsam geteilte Ziele viel effizienter erreicht renzierter Häkelarbeit. Der verbindende Faden mag werden, wenn sie auch mit gemeinsamen Verein- die gemeinsame Idee sein, Menschen als Betroffene barungen, Strategien und Strukturen verfolgt werden. und Zugehörige in Zeiten schwerer Erkrankung, im Die Grundidee: Alle beteiligten Partner geben Sterben wie in Trauerprozessen aufzufangen und etwas – und erhalten am Ende mehr als die Summe Hilfestellung zu geben. Ob wir nun ein fertiges der einzelnen Beiträge. „Stück“ in Händen halten, das für die Bedürfnisse der Betroffenen passend ist, bleibt zu beobachten. Um die subjektive Wahrnehmung, dass in NRW die Indes kann festgestellt werden, dass das hospiz- Zahl hospizlich-palliativer Netzwerke zunimmt und lich-palliative Netz für viele Menschen am Lebens- die Arbeit „im Verbund“ mehr und mehr in den ende das Notwendige und Erwünschte bieten kann. Fokus gerät, wissenschaftlich zu fundieren, führt Weil aber – anders als im Entstehungsprozess eines ALPHA zurzeit ein Projekt durch, das Daten zum Häkelstücks nach einer vorgegebenen Anleitung – Bestand von Netzwerken erhebt. Ziel ist es einer- gleichzeitig an vielen Stellen mit der Arbeit begon- seits, bestehende Netzwerke sichtbarer zu machen nen wurde, ergibt das Ergebnis kein einheitliches – u. a. auf der Internetseite alpha-nrw.de –, anderer- Muster: Mal liegen die Knoten – die Dienste und seits aber auch Qualitätskriterien für hospizlich- Einrichtungen der Hospiz- und Palliativversorgung palliative Netzwerke zu benennen. Über sehr unter- – nah beieinander, andernorts gibt es viel Luft zwischen ihnen, manchmal stehen die Fäden unter Spannung, dann wieder hängen sie lose durch. Auch der verwendete Faden changiert in seinen Farben, so wie die innere Haltung und vor allem deren Niederschlag im Tun zwischen den Akteurinnen und Akteuren der Hospiz- und Palliativversorgung variieren können. Mit der Schaffung des Instruments der „Ge- sundheitlichen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase“ hat die Zusammenar- beit in Netzwerken einen weiteren deutlichen Schub erhalten. Wird – wie jetzt durch die Krankenkassen finanziert – Bewohnerinnen und Bewohnern stationärer Pflegeeinrichtun- gen eine Versorgungsplanung u. a. mit Erstellung von Patientenverfügung und Not- fallplan angeboten, dann bedarf es einer Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 engmaschigen Koordination auch jenseits der einzelnen Pflegeeinrichtung. Nur ein Miteinander aller Beteiligten von/vom Haus- ärztin/Hausarzt über die Pflegeeinrichtung und den Rettungsdienst bis hin zu den örtlichen Krankenhäusern kann gewährleis- ten, dass der zuvor ermittelte Wunsch und Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 9 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 10 10 schiedliche Fragestellungen erfolgt hier eine Annä- den hilfreichen Effekten für die Betroffenen und ih- herung: Gibt es eine/n Koordinatorin/Koordinator, re Zugehörigen. Neben der Qualität von Versorgung die/der das Netzwerk steuert? Welche Aufgaben und Begleitung über Sektorengrenzen hinweg wird hat sie/er? Zu was verpflichten sich die Partner im auch die Verstehbarkeit des hospizlich-palliativen Netzwerk? Gibt es schriftlich fixierte Regeln? Was Unterstützungssystems insgesamt eine Rolle spie- geschieht bei einer möglichen Missachtung dieser len. Fortgesetzte Öffentlichkeitsarbeit im Regiona- Regeln? Wie trifft das Netzwerk Entscheidungen? – len, auf der Landesebene sowie im Bund über die um nur einige wenige zu nennen. „Charta zur Betreuung schwerstkranker und ster- bender Menschen in Deutschland (www. charta- Nicht zu vernachlässigen ist, mit welchen perso- zur-betreuung-sterbender.de)“ wird eine wichtige © iStock.com/chinapong nellen und finanziellen Ressourcen Netze der hos- Aufgabe bleiben. Dann werden die Bürgerinnen pizlich-palliativen Versorgung ausgestattet sind und Bürger nicht nur den Nutzen des maschenrei- oder es ggf. sein sollten. Auf der Bundesebene chen Textils verstehen können, sondern auch von steht eine gesetzliche Grundlage für eine verlässli- seiner Wirkungsweise profitieren können. Nicht an- che Grundfinanzierung der Koordination hospizlich- ders wird es auch denen gehen, die in den benach- barten Sektoren des Gesundheitswesens mit hos- pizlich-palliativer Arbeit in Kontakt kommen. Entfernen wir uns am Schluss vom symbolischen „Häkelwerk“ und verwenden ein geläufiges christ- lich-abendländisches Bild: „Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.“ (Joh. 21,11) – Das biblische Zitat lässt in seiner Bildhaftigkeit Spielraum für eine weite Deutung. Zuvor war der Fang erfolglos, das Netz war leer geblieben. Dann, beim zweiten Versuch, mit dem Zuspruch des auf- erstandenen Jesus, ist der Ertrag hoch. Was hier © iStock.com/Montypeter symbolhaft auf die Erfahrungen der ersten Christen übertragen werden kann, malt das Bild des starken, reißfesten Netzes. In der Tat wird in der Apostelge- schichte und den Briefen des Paulus berichtet, dass sich schon die ersten Christengemeinden starken Zerreißproben ausgesetzt sahen. In der Deutung der Gläubigen war es dann der besondere Geist Jesu und dessen Wirkkraft, die den Zusammenhalt palliativer Netzwerke vor dem Abschluss. Dies ba- sicherten. Auch die Arbeit in den hospizlich- siert auf den inzwischen langjährigen Erfahrungen palliativen Netzwerken erlebt immer wieder in den Regionen, nach denen die finanzielle Grund- Zerreißproben. Zum dauerhaften Halten können ausstattung eine unerlässliche Voraussetzung trag- gesetzliche Regelungen und eine Grundfinanzie- fähiger Netzwerkarbeit ist. rung beitragen. Am Ende (ver-)bindend wird wohl – wie in den Anfängen der Bewegung – nur die Zu messen sein wird die Zusammenarbeit der Ak- gemeinsame Haltung sein können, deren Wirkkraft teurinnen und Akteure in Netzwerken letztlich an nicht ein-, sondern auffängt und hält. Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 Frank Gunzelmann Dr. Felix Grützner Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 10 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 11 11 © iStock.com/chinapong DAS KRANKENHAUS ALS TEIL DES NETZWERKS DER HOSPIZ- UND PALLIATIVVERSORGUNG GERLINDE DINGERKUS „Ach, wissen Sie, für mich ist nicht der Ort wichtig, sondern die Menschen, die für mich sorgen, die auf mich aufpassen und die darauf achten, dass nichts gegen meinen Willen passiert. Dann ist es egal, wo ich sterbe!“ Patientin, 79 Jahre. NRW-Projekt Krankenhäuser zählen in Deutschland und in NRW noch immer zu den häufigsten Sterbeorten. Im Rah- men eines vom Land NRW geförderten Projektes haben wir uns daher damit beschäftigt, was es aus der Sicht der Mitarbeitenden bedeutet, wenn sterbenskranke Menschen zur Behandlung in ein Krankenhaus kommen, unabhängig davon, ob sie während oder nach einem Klinikaufenthalt sterben. In dem Projekt haben wir Mitarbeitende von Krankenhäusern und Institutionen in den pallia- tiven Netzwerken zu ihrer Wahrnehmung, ihren Erfahrungen und ihrer Sicht sowohl auf Gelingendes als auch auf die Defizite befragt. Zu den Netzwerk- partnern gehörten Hospize, Hospizdienste, Haus- Abb. 1: Befragte Netzwerkpartner ärztinnen und -ärzte, Palliativmedizinerinnen und -mediziner, Palliativpflegedienste und Altenheime. Sterben nicht als Scheitern sehen Wir haben aus den Krankenhäusern 201 und von den Netzwerkpartnern 353 Rückläufe erhalten, die „Ermutigung [...], Therapieziele zu ändern, den Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 sich wie abgebildet verteilen. Tod zu akzeptieren und Sterben nicht automa- tisch als Scheitern anzusehen.“ Neben der Online-Befragung wurden Interviews mit verschiedenen Akteurinnen und Akteuren aus der stationären und der ambulanten Praxis durchge- Dies war die Antwort des angestellten Palliativarz- führt. Dieser Artikel gibt einen kurzen Ausschnitt tes eines Krankenhauses auf die Frage, was zu der Ergebnisse wieder. einer Verbesserung der Situation Sterbender in sei- Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 11 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 12 12 zu einem Aufenthalt in einem Krankenhaus, steht wie in vielen anderen Momenten eine ehrliche Kommunikation zwischen allen Beteiligten im Vordergrund. Von großer Bedeutung ist es, so formuliert es auch die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften (2019), die Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen so klar und offen wie möglich zu informieren und sich darüber hinaus zu vergewissern, dass die Informationen verstanden wurden. Auf diese Weise kann eine dem Bedarf angepasste medizinische und pflegerische Behandlung erfolgen, außerdem erhalten Patientinnen/Patienten und die ihnen Nahestehenden die Chance, sich auf die nun nem Haus beitragen konnte. Damit verbunden wurde kommenden Veränderungen vorzubereiten. von weiteren palliativ geschulten Mitarbeitenden der Wunsch geäußert, dass Fachkräfte bereit sind, sich mit Fragen der Ethik, der Haltung, der Schmerz- Kommunikation zwischen Mitarbeiterinnen behandlung und der Sterbekultur auseinanderzu- und Mitarbeitern setzen. Dazu braucht es tatsächlich unabdingbar Auch bei der Kommunikation innerhalb des Arbeits- die individuelle Bereitschaft. In dieser Aussage umfeldes, insbesondere zwischen den Kolleginnen liegt jedoch eine weitere zentrale Botschaft: Das und Kollegen, dürfen die Themen Sterben, Tod und Fundament einer adäquaten Begleitung und Be- Trauer nicht ausgelassen werden. Auf welche Weise handlung von Menschen am Lebensende ist eine die Kommunikation innerhalb der Krankenhäuser im Krankenhaus zu integrierende Haltung bzw. unserer Studie umgesetzt wird, zeigt die nachfol- Kultur dem Sterben und dem Tod, den betroffenen gende Grafik. Patientinnen und Patienten und damit letztlich auch den Mitarbeitenden gegenüber. Wenn eine Kultur, die Sterben und Tod nicht aus- schließt, von den Mitarbeitenden aller Hierarchie- ebenen in einem Krankenhaus, von der Geschäfts- führung bis zur Verwaltung, von den spezialisierten Fachkräften bis zum Servicepersonal mitgetragen wird, erscheint eine erfolgreiche Umsetzung möglich. „… wobei es jetzt [bei der Krankenhausversor- Abb. 2: Kommunikation über Sterben und Tod gung] nicht nur um Geld geht …, sondern es geht natürlich auch um den Geist der ganzen Sache. Das hängt dann davon ab, welchen Stel- „Ich wünsche mir mehr Akzeptanz der Tatsache, lenwert man der Palliativmedizin auch, ich sage dass der Tod ein Teil des Lebens ist … und we- mal, im ganzen Klinikum einräumt.“ Arzt eines niger Therapie nach dem Motto ‚Alles machen, ambulanten palliativmedizinischen Teams was denkbar und vielleicht machbar ist.‘“ Palliativmediziner im Krankenhaus Ehrliche Kommunikation von Anfang an Tatsächlich wünschten sich viele Befragte eine Nach der Diagnose einer lebensbedrohlichen vertiefende Beschäftigung mit den Hospiz- und Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 Erkrankung, dem Eintritt in die letzte Lebensphase Palliativthemen sowie mit Kommunikation, Wahr- und den damit einhergehenden Veränderungen nehmung und Haltung. Ebenso wichtig sind die sind Erkrankte und Angehörige sehr verunsichert Themen der ethischen Entscheidungsproblematik, und ängstlich, gleichzeitig meistens voller Hoff- wie z. B. bei Therapiezieländerungen. Die eigene nung. Nicht immer ist den Patientinnen und Patien- Psyche und Grenzerfahrungen sind für viele eben- ten bewusst, dass sie sich nun tatsächlich am falls ein wichtiges Thema, mit dem sie sich beschäf- Lebensende befinden. Kommt es in dieser Phase tigen möchten. Diese innere Auseinandersetzung Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 12 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 13 13 kann eine Basis für die Offenheit und damit für eine Situationen, in denen unterschiedliche Handlungs- gelingende Kommunikation mit Kolleginnen und optionen bestehen und diese unterschiedlich Kollegen sein. bewertet werden, ist die interprofessionelle ethische Fallbesprechung eine wertvolle Methode, die die jeweiligen Wertvorstellungen, Haltungen und Erwar- tungen aller berücksichtigt. Diese Reflexion und der Austausch der verschiedenen Sichtweisen der jewei- ligen Professionen in diesem Prozess ermöglichen es, die Wünsche der/des Sterbenden in den Fokus aller Beteiligten zu rücken und einen würdevollen Sterbeprozess einzuleiten (Gasser, 2010). Abb. 3: Gewünschte Themen „Das Patientenerleben ist ebenso wichtig wie die Qualität der medizinischen Versorgung.“1 Das Lebensende ist in der Regel geprägt von körperlichen Einschränkungen und zunehmend schweren Symptomen; Bedürfnisse wie die nach Essen und Trinken verändern sich, die Linderung der Beschwerden tritt in den Vordergrund. Neben einer angemessenen palliativmedizinischen und Abb. 4: Gründe für Fallbesprechungen -pflegerischen Versorgung ist die Berücksichtigung der Wünsche und Bedürfnisse am Lebensende Die Schnittstellen – „Es geht am besten durch entscheidend. Die Bedürfnisorientierung und damit den persönlichen Kontakt.“ auch die Selbstbestimmung von Palliativpatientinnen Die Aufnahme, die stationäre Behandlung und die und -patienten umzusetzen, so macht der Deutsche Überleitung innerhalb des Krankenhauses, wie auch Ethikrat 2016 deutlich, ist aufgrund der besonderen das Entlassmanagement erfordern für palliative und Belastungssituation und der Grenzerfahrung im schwerstkranke Patientinnen und Patienten eine Angesicht von Sterben und Tod jedoch eine große besondere Aufmerksamkeit. Geplante Aufnahmen Herausforderung für alle Berufsgruppen, sowohl in aus der häuslichen Situation und auch solche in der Versorgung als auch in der zwischenmensch- akuten Krisen- und Problemsituationen ebenso wie lichen Begegnung. Und so spricht auch Medicus die Entlassung zurück in die Häuslichkeit benötigen, (2019) davon, dass noch zu tun ist, „bis Palliative das machte die Befragung deutlich, abgestimmte Care … Teil des Gesundheitswesens geworden ist, Strukturen und Herangehensweisen sowohl in den bis Krankenhäuser und Pflegeheime überall heil- behandelnden Krankenhäusern wie auch bei den same Räume für das Lebensende vorhalten können.“ ambulanten oder stationären Partnern. Die Zusammenarbeit und der Austausch aller an der Tatsächlich zeigte sich im Rahmen des vorliegenden Betreuung der/des Sterbenden beteiligten Menschen Projektes, dass sehr vieles versucht wird, um auf die sind entscheidend für einen guten Sterbeprozess. Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten sowie Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 ihrer Angehörigen einzugehen, vom Einbezug eines „Man sollte diese Scheu nicht haben, miteinan- Hospizdienstes bis hin zu der Ermöglichung eines der zu reden, egal auf welcher Ebene … Es geht Einzelzimmers. Bei existenziellen Entscheidungs- am besten durch den persönlichen Kontakt; fragen wird zudem das Instrument der ethischen dass man telefoniert und sich trifft, einfach Fallbesprechung immer häufiger genutzt. Gerade in bespricht, was los ist. Einfach nur Flyer zu schicken, das reicht nicht.“ Ärztin eines ambu- 1 Future-Hospital-Commission, Großbritannien, 2013 lanten palliativmedizinischen Teams Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 13 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 14 14 Mit dieser Haltung wird es in der Praxis langfristig möglich, die Sektorengrenzen zu überwinden und die Versorgungskontinuität auf der Basis guter Kommunikations- und Informationsstrukturen zu gewährleisten bzw. sukzessive zu verbessern. Wie das vorliegende Projekt verdeutlicht, gibt es in © iStock.com/Naveebird Nordrhein-Westfalen dafür bereits gute Ansätze, die es qualitativ und in der Fläche weiterzuentwickeln gilt. Zur Unterstützung von Mitarbeitenden sowohl der Krankenhäuser als auch der Netzwerkpartnerorga- nisationen wurden im Rahmen des Projektes Hand- lungsempfehlungen formuliert. Sie finden diese Größtmögliche Transparenz zwischen den Disziplinen wie auch den Projektbericht in Kürze auf unserer © iStock.com/ridofranz und der Situation angepasste und angemessene Homepage. Die Handlungsempfehlungen können Kommunikationsprozesse sind essenziell. Diese zudem in Druckfassung bei uns bestellt werden. finden ihre Umsetzung in systematisierten Kommu- Da sie mit Mitteln des Landes erarbeitet wurden, nikationsstrukturen, aber auch in den sogenannten erhalten Sie sie kostenfrei und auch in größeren „kurzen Dienstwegen“ zwischen den verschiedenen Mengen. Akteurinnen und Akteuren aus Medizin, Pflege, Sozialem Dienst, Seelsorge unter stetiger Einbe- ziehung der Patientinnen und Patienten und ihrer Literatur Ärztekammer Berlin (2018). Empfehlungen für eine zeitge- Zu- und Angehörigen sowie Bevollmächtigten. mäße, sektorenübergreifende Patientenversorgung in Berlin. https://www.aerztekammer-berlin.de/50ueberUns/20_Or- Insgesamt stellen Aufnahme und Entlassung ganisation/20_DV/60_Resolutionen/0899_The-senpapier- sensible Schnittstellen dar, für die es zwar in der sektorenuebergreifende-Patientenversorgung.pdf. Zugriff: Theorie bereits definierte Regeln gibt. Auch werden 30.06.2021. Deutscher Ethikrat (Hrsg.) (2016). Patientenwohl als ethischer in der Literatur Rahmenbedingungen für gelingende Maßstab fur das Krankenhaus — Stellungnahme. Berlin. Kooperationen beschrieben (siehe u. a. Kittelber- Gasser, R. (2010). Sterbende Patienten begleiten. Eine Heraus- ger, 2015). In ihren Empfehlungen für eine zeitge- forderung für Fachpersonen und Angehörige. University of mäße Patientenversorgung spricht die Ärztekam- Zurich, Faculty of Arts. Dissertation: Ein Projekt zur Ster- bebegleitung im Inselspital in Bern. mer Berlin (2018) von der Notwendigkeit einer Kittelberger, F., Gratz, M., Rösch, E. (2015). Auf dem Weg zur wechselseitigen wertschätzenden und kollegialen Kooperationsvereinbarung. Kohlhammer Verlag, Stuttgart. Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen dem Medicus, E. (2019). Österreichischer Interprofessioneller Palli- ambulanten und dem stationären Sektor. ativkongress. In: Zeitschrift für Palliativmedizin (4). S.160- 161. Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften, „Da muss ich auch von unserer Seite sagen, SAMW (2019). Medizin-Ethische Richtlinien Palliative Care. dass auch wir mehr ins Geschehen hineingehen, 10. Auflage. auf die Krankenhäuser zugehen und mehr nach- fragen müssen… Wir PDL aus den Altenheimen tauschen uns untereinander aus, wir sollten aber auch über einen Austausch zwischen uns und den PDL der Krankenhäuser nachdenken.“ Pflegedienstleiterin eines Altenheims Dr. Gerlinde Dingerkus Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 14 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 15 15 GESUNDHEITLICHE VERSORGUNGSPLANUNG – SO GELINGT DIE UMSETZUNG © iStock.com/ridofranz IM REGIONALEN NETZWERK CATRIN BEU Selbstbestimmung ist ein hohes Gut unserer Eine aussagekräftige Dokumentation der voraus- Gesellschaft. Um sicherzustellen, dass der eigene verfügten Entscheidungen ist somit eine wichtige Wille auch in Situationen gewahrt wird, in denen Säule zur Wahrung der Patientenautonomie in der Betroffene nicht mehr selbst entscheiden oder ein- letzten Lebensphase, wenn die betroffene Person willigen können, dokumentieren heute immer mehr ihren Willen nicht mehr selbst äußern kann. Doch Menschen frühzeitig ihre Entscheidungen über die konkrete Umsetzung dieser Entscheidungen medizinische Maßnahmen, etwa in Form einer liegt in den Händen der an der gesundheitlichen Patientenverfügung. Versorgung beteiligten Personen, wie beispiels- weise Expertinnen und Experten aus der Pflege, aus den verschiedenen Fachrichtungen der Medi- Gesundheitliche Versorgungsplanung in der zin, insbes. der Notfallmedizin, aus den verschie- letzten Lebensphase denen Therapierichtungen sowie dem Ehrenamt im Um die Autonomie von Bewohnerinnen und Be- Bereich der Hospizarbeit und Palliativversorgung wohnern stationärer Einrichtungen der Alten- und viele mehr. pflege und der Eingliederungshilfe zu stärken und sie in die Lage zu versetzen, ihren Willen für Die Umsetzung der individuellen GVP einer Person zukünftige medizinische Behandlungen zu bil- kann entsprechend nur gelingen, wenn alle an der den, sieht der Gesetzgeber seit 2015 die Mög- gesundheitlichen Versorgung beteiligten Akteurin- lichkeit einer Beratung zur Gesundheitlichen nen und Akteure über den Willen der betroffenen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase Person informiert und die Dokumente aussagekräf- (§ 132g SGB V), kurz GVP, durch speziell ge- tig sind. Ebenso bedeutet das, dass GVP nicht allein schulte Gesprächsbegleiterinnen und -begleiter von den stationären Pflegeeinrichtungen umge- vor. Diese Beratung geht über die Erstellung einer setzt werden kann, da an der gesundheitlichen Ver- sorgung der Bewohnerinnen und Bewohner viele Patientenverfügung hinaus. Die Betroffenen unterschiedliche Personen beteiligt sind. Darüber Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 erhalten das Angebot, ihre Wünsche über mög- hinaus muss die Umsetzung des Patientenwillens liche zukünftige medizinische, pflegerische und auch dann gewährleistet sein, wenn sich der Auf- seelsorgerische Behandlungen zu eruieren und enthaltsort des Bewohners bzw. der Bewohnerin zu dokumentieren. Dies schließt die Informa- ändert, beispielsweise durch die Aufnahme in ein tion zu Hilfen und Angeboten für künftige Krankenhaus. Lebenssituationen ein. Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 15 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 16 16 Ohne eine externe Vernetzung dieser an der gesund- Dokumenten, Leitlinien und Lösungsansätzen. heitlichen Versorgung beteiligten Personen und Trotz regional unterschiedlicher Gegebenheiten verbindliche Vereinbarungen für eine gemeinsame kristallisierten sich im Verlauf des Projekts über- sektorenübergreifende Versorgung sowie das greifend gültige Faktoren heraus, die zu einem gegenseitige Vertrauen der Vernetzungspartner guten Gelingen von GVP im regionalen Netzwerk laufen die in der GVP geäußerten Wünsche für die wesentlich beitragen. letzte Lebensphase der Betroffenen häufig ins Leere. Netzwerkentwicklung und -pflege als Regionale Umsetzung von GVP — Erfolgsfaktor Ein Projekt für Nordrhein-Westfalen Eine offene Kommunikation und regelmäßiger Aus- Zur Unterstützung der unterschiedlichen Umset- tausch zwischen den Akteurinnen und Akteuren der zungsbemühungen zur Gesundheitlichen Versor- gesundheitlichen Versorgung innerhalb und außer- gungsplanung initiierten die Ansprechstellen im halb der stationären Einrichtungen der Altenpflege Land Nordrhein-Westfalen zur Palliativversorgung, und Eingliederungshilfe sind für eine erfolgreiche Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung (ALPHA Umsetzung von GVP im regionalen Netzwerk uner- NRW) mit der Unterstützung des Ministeriums für lässlich. Dies beinhaltet die Bereitschaft der maß- Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nord- geblich Beteiligten innerhalb und außerhalb des rhein-Westfalen im Jahr 2019 ein Projekt mit dem Gesundheitssektors, sich auf einen gemeinsamen Ziel, die regionale Vernetzung der handelnden Entwicklungsprozess einzulassen, in einen Aus- Akteurinnen und Akteure in vier Modellregionen zu tausch auf Augenhöhe zu gehen, sich gegenseitig fördern und sektorenübergreifende Abstimmungs- aufmerksam zuzuhören und sich in Netzwerken zu- prozesse anzustoßen, damit konkrete Verfahren sammenzuschließen. Dabei muss das übergeord- und Abläufe zur Umsetzung der Gesundheitlichen nete Ziel stets im Blick bleiben, nämlich die Versor- Versorgungsplanung in den Regionen entstehen gung von Menschen am Lebensende zu verbessern können. und diese noch stärker als bisher an den indivi- duellen Wünschen und Bedürfnissen auszurichten. Das Projekt wurde in der Stadt Bielefeld, der Stadt Bonn gemeinsam mit dem Rhein-Sieg-Kreis, dem Die Vernetzung rund um die gesundheitliche Ver- Kreis Borken und der Eifel als Teil der Städteregion sorgung von Bewohnerinnen und Bewohnern in Aachen mit lokalen Projektteams und einer zentra- stationären Einrichtungen war in den Projektregio- len Projektkoordination durchgeführt. Im Rahmen nen zu Beginn unterschiedlich stark ausgeprägt. In Runder Tische arbeiteten Vertreterinnen und Vertreter einigen Regionen konnte auf bereits bestehende aus allen an der gesundheitlichen Versorgung be- Netzwerkstrukturen, schwerpunktmäßig aus dem teiligten Bereichen an gemeinsamen Strukturen, Bereich der Hospiz- und Palliativversorgung, auf- gesetzt werden. Bereits bestehende Kooperationen und Prozesse wurden im Projektverlauf zusammengeführt und die Schaffung von Parallelstruk- turen konnte vermieden werden. Schnittstellenmanagement zur Etablierung von sektorenübergrei- fenden Versorgungsprozessen Die regionale Umsetzung von GVP hat Auswirkungen auf Handlungsabläufe Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 sowohl in den einzelnen stationären © iStock.com/Daisy-Daisy Einrichtungen als auch für das Han- deln der externen Beteiligten. Damit sektorenübergreifende Prozesse ent- wickelt und etabliert werden können, braucht es eine hohe Aufmerksamkeit für die Schnittstellen zwischen den Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 16 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 17 17 einzelnen Bereichen, damit diese zu verbindenden Nahtstellen werden können – als Grundlage einer guten Zusammenarbeit über empfundene oder existierende Grenzen hinweg. In einem Projektteam identifizierten die Teilneh- menden der Runden Tische diese Schnittstellen und arbeiteten an einem Leitfaden für den Aufbau einer sektorenübergreifenden Zusammenarbeit. Regionale Notfalldokumentation Große Bedeutung kommt einem regional einheit- lichen und sektorenübergreifenden Prozess besonders in unvorhergesehenen medizinischen Notfällen zu. Im Notfall müssen kompetente Ent- scheidungen rasch getroffen werden. Für solche Situationen wünschten sich die Projektregionen eine einheitliche und verbindliche Dokumentation für den Notfall. Diese sollte den Mitarbeitenden der stationären Einrichtungen und des Rettungswesens Auf dem Weg in die Zukunft – Handlungssicherheit geben, um den Willen der Nachhaltige Implementierung Bewohnerinnen und Bewohner entsprechen zu Das Landesprojekt zeigt, dass an den unterschied- können und zu dürfen. Für die Erarbeitung eines lichen Orten in NRW erste Schritte zu einer Umset- regional einsetzbaren und verbindlichen Doku- zung von GVP auf regionaler Ebene getan sind. Es ments bildeten sich Arbeitsgruppen mit Vertretern wurde aber auch deutlich, dass weitere Prozesse aus dem Rettungsdienst, der Ärzteschaft und den zu bearbeiten bleiben. stationären Einrichtungen. Die aktive Zusammenarbeit in bestehenden oder neu gebildeten Netzwerken hat die Möglichkeiten Öffentlichkeitsarbeit — zur Implementierung von GVP auch über die Pro- Wissen um Vorsorgemöglichkeiten stärken jektlaufzeit hinweg in Gang gebracht und etabliert. Der Aufbau eines Beratungsangebots und die Um- So werden der Wille und die Wünsche von Men- setzung von GVP auf einer regionalen Ebene kann schen in ihrer letzten Lebensphase künftig mit einer nur gelingen, wenn Netzwerke und Beratungsan- größeren Selbstverständlichkeit und Sicherheit gebote in der Breite bekannt gemacht werden. umgesetzt werden können. Schon zu Beginn der Projektarbeit zeichnete sich Weitere Informationen zur regionalen Umsetzung rasch ab, dass GVP noch lange nicht in allen Ein- von GVP werden ab Herbst im Handbuch für die re- richtungen der stationären Altenpflege und Einglie- gionale Umsetzung der Gesundheitlichen Versor- derungshilfe angeboten wird. Auch viele externe gungsplanung – Erfahrungen aus dem Landespro- Beteiligte an der gesundheitlichen Versorgung ken- jekt „Umsetzung der Gesundheitlichen Versor- nen das Beratungsangebot nicht und wissen nicht, gungsplanung für die letzte Lebensphase (GVP) welche Auswirkungen die Feststellung und Wah- nach § 132 g SGB V im regionalen Netzwerk“ ver- rung des Willens ihrer Patientinnen und Patienten fügbar sein. auf ihre Arbeit haben können. Deshalb wurde in einem Projektteam ein Ratgeber erstellt, der über die verschiedenen Vorsorgeinstrumente, die aktuelle Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 Rechtslage und die regionalen Institutionen und Ansprechpartner rund um die GVP-Beratung und die Hospiz- und Palliativversorgung in der Region Catrin Beu informiert. Die Broschüre soll ab Herbst 2021 kostenfrei an Interessenten ausgegeben werden. Die Regionen können die Broschüre um ihre kon- kreten Angebote und Kontaktadressen ergänzen. Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 17 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 18 18 ARBEIT AN DER GRENZE: © iStock.com/PeopleImages BELASTUNGS- UND SCHUTZFAKTOREN IN DER PALLIATIVVERSORGUNG MARTINA KERN „So viel Leid, das ist grenzenlos, manchmal denke ALPHA NRW mit finanzieller Unterstützung des Ge- ich, ich kann nicht mehr.“ – „Die Pandemie steckt sundheitsministeriums von NRW zu diesen Fragen uns massive Grenzen, auch sichtbar am Eingang eine Studie zunächst in stationären Hospizen der Institution. Wir suchen manchmal Wege, die durchgeführt. Es folgte eine bundesweite Untersu- Grenze im Rahmen des Verantwortbaren zu umge- chung, die unter dem Titel „Wie viel Tod verträgt hen.“ – „Ich versuche die Grenze des Schmerzes das Team“ publiziert wurde (Müller & Pfister, 2014). auszuloten, wenn ich die Medikamente etwas re- Die Ergebnisse erzeugten hohe Aufmerksamkeit, duziere.“ – „An der Grenze des Todes endet mein denn zuvor waren Belastungs- und Schutzfaktoren Verstehen.“ – „In der Gesellschaft wird das ganze in der Sterbebegleitung für Deutschland kaum Thema ausgegrenzt.“ untersucht. Strukturen der Hospiz- und Palliativ- versorgung haben sich seitdem kontinuierlich Die Grenzerfahrungen am Ende des Lebens sind entwickelt, Rahmenbedingungen sind andere vieldimensional: Sie zeigen sich in uns Begleiten- geworden, immer häufiger benennen Mitarbeitende, den, bei Patientinnen und Patienten und Angehöri- dass sich auch etwas in der Haltung verändert gen, in Institutionen, in der Gesellschaft – und wer- habe. So war es an der Zeit, zehn Jahre später die den endgültig gesetzt durch Sterben und Tod Belastungs- und Schutzfaktoren von Mitarbeiten- selbst. Manchmal bekommen wir Grenzen gesetzt den in der Hospiz- und Palliativversorgung erneut in oder grenzen uns aktiv ab, müssen sie akzeptieren, den Blick zu nehmen und im Rahmen einer Pilotstudie ein- und aushalten oder können sie überwinden. wissenschaftlich zu untersuchen (Ates et al., 2020). Manchmal erkennen wir sie erst im Tun, versuchen sie auszuloten oder zu verändern. Sie werden über- In einem Expertengespräch wurden zunächst schritten oder gewahrt, so z. B. die Grenze des Zu- Belastungs- und Schutzfaktoren identifiziert, im mutbaren, des Würdeerlebens, der Autonomie. Anschluss der Fragebogen aus 2009 überarbeitet Grenzen können Halt und Orientierung geben, und an 11 unterschiedliche Teams der Hospiz- und Missstände und Ungerechtigkeiten aufzeigen oder Palliativversorgung versendet. Darunter waren die Trotzmacht der Veränderung auf den Plan rufen. Hospizdienste, Teams der spezialisierten ambulan- ten Palliativversorgung, Palliativpflegedienste, Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 In unterschiedlicher Weise machen diese Grenzer- Palliativstationen und stationäre Hospize. Insge- fahrungen alle Menschen, die in der Sterbebeglei- samt haben 196 haupt- und ehrenamtlich Mitarbei- tung tätig sind. Welche Auswirkung aber hat die tende den Fragebogen bearbeitet. Der Rücklauf dauerhafte Konfrontation mit Sterben, Leid und Tod betrug 86%. auf die Mitarbeitenden, wie reagieren Teams auf die Belastung und welche Faktoren schützen in die- Das durchschnittliche Alter der befragten Haupt- sem leidbesetzten Feld? Bereits 2009 wurde von amtlichen im Feld beträgt 49 Jahre. Die Erfahrung Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 18 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 19 19 im Arbeitsgebiet liegt im Durchschnitt bei 6 Jahren. nen und Patienten stellen insbesondere für ambu- 46% der Befragten arbeiten in Vollzeit, mehr als lante Teams eine Belastung dar, denn Familie und 50% in Teilzeitanstellung. Was hiermit für die Angehörige sind eine wichtige Ressource und oft- einzelne Mitarbeiterin/den einzelnen Mitarbeiter mals notwendig, um die häusliche Situation stabi- einen Entlastungsfaktor darstellen kann, erhöht lisieren zu können. Gleichzeitig hat eine Störung zugleich den Aufwand für Koordination und Über- im System Familie unmittelbare Auswirkung auf die gabe mit möglichen Folgen für die Belastung des Versorgungsqualität zu Hause. Kommunikations- Teams. Insgesamt zeigte sich, dass Mitarbeitende schwierigkeiten wurden bei allen Teams ambulant in der Hospizarbeit und Palliativversorgung über wie stationär mit knapp 50% als Belastung be- eine hohe Arbeitszufriedenheit verfügen, lange im nannt. Auslöser dieser Störungen sind kulturelle Arbeitsfeld stehen und die Hälfte der Teams den und sprachliche Barrieren sowie unterschiedliche Eindruck hat, diese Arbeit noch lange Zeit weiter Haltungen und Erwartungen auf beiden Seiten. ausführen zu können. Belastungsfaktoren lassen sich auf unterschied- lichen Ebenen identifizieren. Diese betreffen äuße- re Rahmenbedingungen, die interpersonelle Belas- tung sowie physische und psychische Auswirkun- gen. Zeitdruck durch Personalmangel und ein hoher Dokumentationsaufwand sowie zu wenig Zeit, um auf Wünsche und Bedürfnisse der Betroffenen ein- zugehen, belasten insbesondere Hauptamtliche. Der Beginn oder die Fortführung von Therapien bei schlechter Prognose sowie widersprüchliche Be- handlungspläne werden ebenfalls in hohem Maße als belastend erlebt. Abb. 1: Interpersonelle Belastungsfaktoren G. Ates, M. Kern, L. Radbruch und B. Jaspers 2019; n=196 eigene Daten Anders als Ehrenamtliche berichteten viele haupt- amtlich Tätige von psychischen und physischen Be- lastungen. Häufig waren das Gefühl des Abgehetzt- seins ebenso wie Erschöpfung und Schlafstörungen. Abb. 2: Belastungsfaktoren Rahmenbedingungen G. Ates, M. Kern, L. Radbruch und B. Jaspers 2019; n=196 eigene Daten Einer der Hauptbelastungsfaktoren bleibt wie schon 2009 der hohe Anspruch an die eigene Tä- tigkeit. Dieser speist sich im Besonderen aus dem Wunsch, das Sterben zu erleichtern, die Lebens- qualität der Patientinnen und Patienten zu verbes- sern und Symptome zu lindern. Dazu kommen be- Abb. 3: Physische/psychische Belastungserscheinungen lastend die Erwartungen Anderer, z. B. aus einer G. Ates, M. Kern, L. Radbruch und B. Jaspers 2019; n=196 eigene Daten Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 Pflegeeinrichtung („Wenn ihr uns in der Einrichtung Belastungen im Team zeigen sich insbesondere als unterstützt, wird es besser.“) oder von Patientinnen Überredseligkeit, erhöhte Spannungen zwischen und Patienten und Angehörigen („Nun tun sie doch den Teammitgliedern und in Reizbarkeit. Ehrenamt- endlich etwas!“). Zunehmend wird auch die soziale liche erleben diese Reaktionen kaum. In vielen Be- Situation der Patientinnen und Patienten zu einer reichen der Belastungsfaktoren sind keine Unter- Herausforderung. Zerrissenheit in der Familie, feh- schiede zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen zu lende Unterstützung und sozial isolierte Patientin- beobachten. Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 19 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 20 20 dinnen/Freunde treffen, Sport, Ablen- kung und Humor wichtige Ressourcen im Umgang mit dem Tod. Da sie stets nur zeitlich begrenzt im Einsatz sind und zwischen einzelnen Begleitungen längere Pausen obligatorisch sind, scheint der Erholungsbedarf entspre- chend gering auszufallen. Die Untersuchung zeigt weiterhin, dass nahezu alle Befragten mit ihrer Arbeit zufrieden sind und diese als sinnvoll ansehen, die multiprofessio- © iStock.com/G-stockstudio nelle Arbeit gut funktioniert und Arbeitsaufteilung und -abläufe den eigenen Wünschen entsprechen. Mitarbeitende fühlen sich im Team wertgeschätzt und haben das Gefühl, etwas bewirken zu können. Neben den Belastungsfaktoren wiesen die Befrag- Folgerungen: zukünftige Aufgaben für die ten auch zahlreiche Schutzfaktoren auf. Wie bereits Hospiz- und Palliativversorgung in NRW 2009 war der am häufigsten genannte das Team Auch wenn die Attraktivität des Arbeitsfeldes ins- selbst. Teamarbeit hat demnach in der Hospiz- und gesamt hoch ist, zeigt sich, dass Personalknappheit Palliativversorgung einen sehr hohen Stellenwert. einen hohen Belastungsfaktor darstellt und sich zu Die leidvollen Situationen gemeinsam zu teilen, sie wenig junge Mitarbeitende bewerben. Hier werden mit Menschen zu reflektieren, die das Erlebte nach- Konzepte benötigt, insbesondere junge Menschen vollziehen können, ist eine wichtige Ressource. im Haupt- und Ehrenamt zu rekrutieren und die At- Dies verdeutlicht auch der hohe Stellenwert der traktivität für das Berufs- und Wirkungsfeld sichtbar Supervision, die für 75% wichtig ist. Bemerkenswert zu machen. ist, dass gemeinsame Teamaktivitäten nur für die Hälfte der Befragten von großer Wichtigkeit war. Hospizarbeit und Palliativversorgung sind von Auch bezogen auf die gemeinsame Zeit im Team zunehmender Komplexität gekennzeichnet. Es scheint ein Aushandlungsprozess von Nähe und entstehen mehr Angebote, neue Zielgruppen Distanz (zur Arbeit) geboten. Im Vergleich zu haupt- werden integriert, die Arbeit an den Schnittstellen amtlich Tätigen sehen deutlich weniger befragte wird bedeutsamer. Die Pilotstudie zeigt, dass nicht Ehrenamtliche in der Familie, Privatleben, Freun- gelingende Kommunikation, mangelnde Abspra- chen und unabgestimmte Prozesse, verbunden mit Zeitmangel hohe Belastungsfaktoren darstellen. Erforderlich sind daher sowohl mehr Zeitressourcen für Koordinierungs- und Besprechungsarbeit an den Schnittstellen als auch die Einsicht der Mitar- beitenden, diese Aufgaben als festen Bestandteil der Begleitungsaufgabe anzuerkennen. Die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Koordina- tionsleistungen sollten deshalb unbedingt in Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 Vertragsstrukturen und Rahmenempfehlungen aufgenommen und mit einer angemessenen Leis- tungsvergütung versehen werden. Die Pilotstudie zeigt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschiedliche Copingstrategien Abb. 4: Schutzfaktoren G. Ates, M. Kern, L. Radbruch und B. Jaspers 2019; n=196 eigene Daten gegenüber Belastungen haben. Deshalb sollte Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 20 05.08.21 12:22
Hospiz Dialog 3-21. Bel _1 24.07.21 14:08 Seite 21 21 Verständnis für die individuellen Bedürfnisse wach- sen, damit alle Mitarbeitenden geschützt und das gesamte Team gestärkt werden können. Wenn bspw. Kommunikationseinschränkungen und Rückzug Lösungsversuche sind, um mit Arbeitsverdichtung umzugehen, müssen die Kolleginnen und Kollegen verstehen können, dass dieses Verhalten nicht gegen das Team gerichtet ist, sondern der Selbst- fürsorge dient. Teambildungsprozesse sollten gestärkt und gefördert werden. Nehmen Arbeitsverdichtung, Personaleng- pässe und Komplexität zu, wird das Miteinander im Team häufig vernachlässigt, weil in der Bewertung der Arbeit der Kontakt zum schwerkranken Menschen gegenüber Teambildungsprozessen als wichtiger eingeschätzt wird. Das Team ist und bleibt aber ein wesentlicher Schutzfaktor – und das Fürsorgekonzept in der Hospiz- und Palliativversor- gung gilt auch für den Umgang mit den Mitarbei- tenden. Teambildungsprozesse sollten als Teil der Arbeits- tätigkeit bewertet und organisiert werden, damit sie nicht als zusätzliche Belastung empfunden und dann möglicherweise sogar blockiert werden. Ein gebogen liegt jetzt vor und kann in einem größeren Schwerpunkt sollte auf die Balance zwischen Aus- Rahmen den Teams der Hospiz- und Palliativver- halten (äußere Rahmenbedingungen, die vom sorgung zur Verfügung gestellt werden. Darüber Team nicht beeinflusst werden können) und Gestal- hinaus könnte ein Vergleich mit anderen Diensten, ten (Einflussbereich der Teammitglieder, in dem die schwerkranke Menschen begleiten, z. B. in der Veränderungen möglich sind) gelegt werden. Onkologie oder in Pflegeeinrichtungen als Ver- gleichsgruppe untersucht werden. Die Ergebnisse der Pilotstudie, das hohe Interesse der Teilnehmenden sowie weiterer interessierter Dienste zeigen, wie wichtig es ist, Belastungs- und Literatur Schutzfaktoren in der Hospizarbeit und Palliativ- Ate, G., Jaspers, B., Kern, M. (2020). Belastungs- und Schutz- versorgung kontinuierlich in den Blick zu nehmen faktoren in Teams der Hospiz- und Palliativversorgung in Nordrhein-Westfalen – eine Pilotstudie. ALPHA NRW, Bonn. und Fragestellungen an die sich verändernden Be- Müller, M., Pfister, D. (Hrsg.) (2014). Wie viel Tod verträgt das dingungen anzupassen. Ein so aktualisierter Fra- Team, Belastungs- und Schutzfaktoren in Hospizarbeit und Palliativmedizin. Göttingen, 3. Auflage. Hospiz-Dialog NRW - Juli 2021/88 Martina Kern Hospiz Dialog 3-21. Bel .pdf 21 05.08.21 12:22
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