Die Zukunft der Tabakregulierung in Deutschland Teil IV - Die Auswirkungen unterschiedlicher Ansätze auf die Raucherprävalenz bei der Regulierung ...
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Die Zukunft der Tabakregulierung in Deutschland Teil IV Die Auswirkungen unterschiedlicher Ansätze auf die Raucherprävalenz bei der Regulierung risikoreduzierter Produkte
Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Entwicklung der Regulierung risikoreduzierter Produkte in Deutschland Seite 9 Abb. 2: Entwicklung der Prävalenzrate des Rauchens sowie risikoreduzierter Produkte unter Erwachsenen in Deutschland Seite 10 Abb. 3: Nutzer von E-Zigaretten nach Rauchstatus in Deutschland, 2018 Seite 10 Abb. 4: Entwicklung der Prävalenzrate des Rauchens sowie risikoreduzierter Produkte unter Jugendlichen in Deutschland Seite 11 Abb. 5: Entwicklung der Regulierung risikoreduzierter Produkte in Großbritannien Seite 14 Abb. 6: Entwicklung der Prävalenzrate des Rauchens sowie risikoreduzierter Produkte unter Erwachsenen – Vergleich Großbritannien und Deutschland Seite 15 Abb. 7: Nutzer von E-Zigaretten nach Rauchstatus in Großbritannien und Deutschland, 2018 Seite 15 Abb. 8: Entwicklung der Prävalenzrate des Rauchens sowie risikoreduzierter Produkte unter Jugendlichen – Vergleich Großbritannien und Deutschland Seite 16 Abb. 9: Entwicklung der Regulierung risikoreduzierter Produkte in den USA Seite 19 Abb. 10: Entwicklung der Prävalenzrate des Rauchens sowie risikoreduzierter Produkte unter Erwachsenen – Vergleich Großbritannien und USA Seite 21 Abb. 11: Nutzer von E-Zigaretten nach Rauchstatus in Großbritannien und den USA, 2018 Seite 21 Abb. 12: Entwicklung der Prävalenzrate des Rauchens sowie risikoreduzierter Produkte unter Jugendlichen – Vergleich Großbritannien und USA Seite 22 Abb. 13: Entwicklung der Regulierung konventioneller und risikoreduzierter Produkte in Australien Seite 23 Abb. 14: Entwicklung der Prävalenzrate unter Erwachsenen und Jugendlichen in Australien Seite 24 Abb. 15: Entwicklung der Prävalenzrate des Rauchens unter Erwachsenen – Vergleich Großbritannien und Australien Seite 24 Abb. 16: Wahrnehmung des Risikos von E-Zigaretten unter Rauchern Seite 28 Abb. 17: Gründe für den Konsum von E-Zigaretten Seite 28
3 Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung Seite 4 Kapitel 1 Das deutsche Regulierungssystem auf Basis des Vorsorgeprinzips Seite 7 Kapitel 2 Großbritannien als Beispiel für eine transformierende Tabakregulierung Seite 12 Kapitel 3 Fehlender Jugendschutz in den USA und Grenzen der Regulierung in Australien Seite 18 Kapitel 4 Ausgestaltung einer innovativen Tabakregulierung Seite 26 Quellen Seite 29 Impressum Seite 31 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im gesamten Text nur die männliche Form verwendet. Selbstverständlich sind beide Geschlechter gemeint.
4 Zusammenfassung S eitdem risikoreduzierte Tabakprodukte wie E-Zigaretten und Tabakerhitzer auf den Markt gekommen sind, wird der regulatorische Um- Raucherinnen ist dieses noch einmal stärker ausge- prägt als bei männlichen Rauchern. Risikoreduzierte Tabakprodukte könnten deshalb gang mit diesen Produkten eingehend diskutiert. In gerade bei Rauchern mit einem ausgeprägten Gesund- der Folge kam es international zu unterschiedlichen heitsbewusstsein, die nicht mit dem Rauchen aufhö- Regulierungsansätzen. Diese reichen von einem kom- ren, eine Alternative zur klassischen Zigarette darstel- pletten Nutzungsverbot der Produkte wie etwa in Sin- len. Bei der Nutzung dieser Alternative wären die gapur bis zu einer strategischen Integration der Pro- gesundheitspolitisch erstrebenswerten Effekte auf die dukte in die Tabakkontrollpolitik zur Senkung der Lebensqualität substanziell: Wird der regulatorische gesundheitlichen Gefahr durch das Rauchen wie in Rahmen so angepasst, dass die Hälfte der Raucher in Großbritannien. Dieser vierte Teil der Studienreihe zur Deutschland auf risikoreduzierte Produkte umsteigt, Zukunft der Tabakregulierung in Deutschland ver- könnte die Lebensqualität in der Bevölkerungsgruppe gleicht internationale Erkenntnisse verschiedener Re- der 45- bis 64-Jährigen um bis zu 25% ansteigen. Dabei gulierungsansätze aus Deutschland, Großbritannien, wird die Lebensqualität als Verringerung der krank- den USA und Australien. Dabei soll aufgezeigt werden, heitsbedingt beeinträchtigten Lebensjahre aller Rau- wie das Potenzial risikoreduzierter Produkte genutzt cher ("Years lived with Disabilities" – YLDs) definiert. werden kann, ohne bisherige Erfolge in der Tabakprä- Berücksichtigt werden bei dieser Berechnung vier typi- vention zu gefährden. sche Folgeerkrankungen des Rauchens: Herzinfarkt, Schlaganfall, Lungenkrebs und COPD (chronisch ob- FAZIT AUS DEN BISHERIGEN DREI STUDIEN struktive Lungenerkrankung). Vor allem bei Jugendlichen und Nichtrauchern hat sich Welcher Regulierungsansatz darin erfolgreich sein die Tabakkontrollpolitik Deutschlands in der Vergan- könnte, diese Gruppe zu erreichen, ohne bisherige Er- genheit als erfolgreich erwiesen. Diese hat das Ziel, den folge der Tabakprävention insbesondere bei Jugendli- gesundheitsschädlichen Zigarettenkonsum in der Be- chen zu gefährden, wird in dieser vorliegenden Studie völkerung zu minimieren. Zwar lassen sich auch bei untersucht. den bestehenden Rauchern Erfolge erkennen, doch stößt sie dort teilweise an ihre Wirkungsgrenzen. Ins- ZIELE, VORGEHENSWEISE, ERKENNTNISSE UND besondere in der Altersgruppe ab 50 Jahren gibt es im- EINSCHRÄNKUNGEN DIESER STUDIE mer noch eine Vielzahl starker Raucher, die mehr als Eine zielorientierte Regulierung bedarf einer soliden 20 Zigaretten pro Tag rauchen. Nichtsdestotrotz ist wie Datenbasis. Aktuell gibt es noch Datenlücken, sodass bei der gesamten Bevölkerung auch in dieser Bevölke- eine abschließende empirische Auswertung regulato- rungsgruppe der gesellschaftliche Trend zu einem ge- rischer Maßnahmen noch nicht möglich ist. Beispiele sundheitsbewussten Lebensstil erkennbar. Es zeigt dafür sind das Wechselverhalten der ehemaligen Rau- sich, dass auch diese Gruppe von Rauchern ein starkes cher sowie Zusammenhänge zwischen dem Konsum Gesundheitsbewusstsein hat. Gerade bei weiblichen von Zigaretten und risikoreduzierten Produkten unter
5 Jugendlichen. Stattdessen kann aber eine sogenannte lierung in Deutschland ist dabei, dass risikoreduzierte Ereignisstudie durchgeführt werden, die mithilfe gra- Produkte Jugendliche ansprechen und als Einstiegspro- fischer Auswertungen aktuell verfügbarer Daten erste dukte für das Zigarettenrauchen dienen könnten (soge- vorsichtige Schlussfolgerungen über die Auswirkun- nannter "Gateway"-Effekt). Das britische System be- gen einzelner Regulierungsansätze auf die Raucher- trachtet risikoreduzierte Produkte hingegen als Baustein prävalenz, also den Anteil der Raucher in der Bevölke- für die Reduktion des gesundheitlichen Risikos und rung, zulässt. Genau das ist das Ziel dieser Studie. Sie unterstützt im Gegensatz zu Deutschland aktiv den soll einen Überblick über vier verschiedene Regulie- Umstieg von Rauchern, die nicht aufhören, auf E-Ziga- rungssysteme in den Jahren 2010 bis 2018 vermitteln retten. Zudem differenziert Großbritannien in seiner und dadurch gewonnene Erkenntnisse vergleichend Regulierung deutlicher zwischen Produkten mit unter- betrachten. Dies soll zur Orientierung in einem bis- schiedlicher Schadstoffexposition. Gleichzeitig ist aber lang wenig geordneten und deswegen unübersichtli- auch dort – genau wie in Deutschland – die oberste Prä- chen technologisch-regulatorischen Umfeld dienen. misse, dass Jugendliche nicht dazu verleitet werden dür- Die Studie soll zudem dazu beitragen, mehr Sicherheit fen, mit dem Konsum der neuen Produkte zu beginnen. hinsichtlich der Beurteilung von Regulierungsmaß- Die Ergebnisse vorliegender Untersuchungen begrün- nahmen mit Blick auf die Vereinbarkeit von Verbrau- den in der Tat, dass im Bereich der Nutzung von E-Ziga- cherschutz und Risikoreduktion zu schaffen. Sie adres- retten durch Jugendliche besondere Wachsamkeit gebo- siert eine diesbezüglich verständliche Unsicherheit, ten ist. Zwar ist 2018 mit 3,5% in Großbritannien und ohne den Anspruch zu erheben, diese abschließend 5,1% in Deutschland der Anteil der Jugendlichen, die oder vollständig aufzulösen. Immerhin kann auf Basis E-Zigaretten nutzen, in beiden Ländern gering. Die Wer- der derzeit zur Verfügung stehenden Daten festgehal- te verdeutlichen aber, dass dem Konsum von Tabakpro- ten werden, dass zu Sorgen über eine Rückkehr zu ei- dukten jeglicher Art unter Jugendlichen generell weiter- nem Status quo ante wenig Anlass besteht, weder bei hin größte Aufmerksamkeit beigemessen werden muss. konventionellen noch bei neuartigen Tabakprodukten Bei den Erwachsenen lässt sich in Großbritannien seit oder E-Zigaretten. Tatsächlich deutet der Vergleich un- Einführung der risikoreduzierten Produkte im Vergleich terschiedlicher Regulierungsansätze in dieser Studie mit Deutschland ein stärkerer Rückgang der Raucher- darauf hin, dass durch einen transformierenden Regu- prävalenz erkennen. lierungsansatz nach britischem Vorbild bei gleichblei- In der Gesamtschau überwiegen die Vorteile des bend hohem Schutzniveau zusätzliche Verringerungen britischen Systems im Vergleich mit Deutschland. Da- von Gesundheitsrisiken erreicht werden können. her nutzen wir es als Maßstab für einen anschließen- Zunächst betrachtet die Studie Regulierung sowie den Vergleich mit zwei weiteren angelsächsischen Re- Verbreitung risikoreduzierter Tabakprodukte in gulierungssystemen, von denen eines restriktiver und Deutschland und Großbritannien. In Deutschland wird eines zurückhaltender ist. Während risikoreduzierte auf Basis der europäischen Tabakproduktrichtlinie Produkte in den USA zwischen 2010 und 2016 kaum re- (englisch: Tobacco Products Directive, TPD) mit Aus- guliert wurden, kommt die Regulierung in Australien nahme der Besteuerung sowie der Warnhinweise keine inzwischen fast einem Verkaufsverbot gleich. Und auch weitreichende regulatorische Unterscheidung zwischen dabei lässt sich kein Nachteil des auf einer Transforma- konventionellen und risikoreduzierten Produkten vor- tion des Marktes und des Konsumverhaltens zielenden genommen. Der zugrunde liegende Gedanke der Regu- britischen Systems erkennen: Während in den USA der
6 Aspekt des Jugendschutzes vernachlässigt wurde und als Kontrollzeitraum, um die Erkenntnisse außerdem es in der Folge zu einem Anstieg des Konsums von zu validieren. Für alle Länder betrachten wir im We- E-Zigaretten unter Jugendlichen kam, werden in Austra- sentlichen drei Aspekte: lien die Grenzen der Tabakregulierung deutlich: Vor I. die Entwicklung der Prävalenz konventioneller und allem in der Altersgruppe ab 55 Jahren kam es in den risikoreduzierter Produkte unter Erwachsenen, letzten Jahren trotz einer äußerst strengen Regulierung II. die Aufteilung der Konsumenten risikoreduzierter konventioneller Produkte zu keinem weiteren Rück- Produkte nach Rauchstatus und gang des Zigarettenkonsums. III. die Entwicklung der Prävalenz konventioneller und Als vierter Teil unserer Studienreihe zeigt die vorlie- risikoreduzierter Produkte unter Jugendlichen. gende Publikation, dass Regulierung konventioneller Tabakprodukte und neuartiger Produkte, Jugend- Aufgrund der Datenlage zur Verwendung neuartiger schutz, Nichtraucherschutz und Reduktion des gesund- Produkte ist die Aussagekraft der Daten teilweise ein- heitlichen Risikos bei bestehenden Rauchern keine geschränkt. So kann zwar bei den Nutzern risikoredu- sich ausschließenden Gegensätze sein müssen. Wie zierter Produkte unterschieden werden, ob sie zuvor anhand des angestellten Vergleichs deutlich wird, er- geraucht haben oder aktuell parallel Zigaretten rau- möglicht ein weniger auf Verbote und Vorschriften, chen. Es lässt sich jedoch nicht beurteilen, ob sie mit- sondern mehr auf die Transformation des Marktes und hilfe der neuen Produkte oder sogar schon zuvor mit des Konsumverhaltens zielendes System, wie es in dem Rauchen aufgehört haben. Auch kann insbeson- Großbritannien vorherrscht, beide verbraucherschutz- dere bei den Jugendlichen nicht beurteilt werden, ob es politischen Ziele zu vereinen und eine Transformation sich bei den Rauchern und den Nutzern von E-Zigaret- des Marktes hin zu risikoreduzierten Produkten zu er- ten um dieselben Personen handelt (im Folgenden als reichen. Zudem sensibilisiert diese Studie dafür, dass Dual User bezeichnet). Zudem liegt der Schwerpunkt aufgrund der noch fehlenden Datengrundlage einige der Betrachtung aufgrund fehlender Daten zu anderen Forschungsfragen derzeit nicht beantwortet werden neuartigen Produkten auf E-Zigaretten. können. Beispielsweise können Effekte vereinzelter Darüber hinaus vergleichen wir in der vorliegen- Maßnahmen nicht untersucht werden. Insofern ist es den Studie Daten aus verschiedenen Studien und Be- nicht möglich, eindeutige Schlussfolgerungen über das fragungen. Die Vergleichbarkeit der Daten untereinan- richtige Maß an Differenzierung zwischen verschiede- der ist insofern gewährleistet, als z.B. Altersgruppen, nen Produkten zu ziehen. Dies macht deutlich, dass Definition der Konsumhäufigkeit sowie betrachtete weitere Anstrengungen zur Förderung wissenschaftlich Produkte entsprechend ausgewählt wurden. Nichts- belegbarer Erkenntnisse notwendig sind. destotrotz bleibt anzumerken, dass vereinzelt unter- schiedliche Indikatoren auftreten können. So wird METHODISCHE ANMERKUNGEN z.B. beim Konsum der Jugendlichen in den USA und Um eine Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten, Deutschland der Konsum innerhalb der letzten 30 Tage betrachten wir die Entwicklungen ab 2010. Denn ab betrachtet, in Großbritannien hingegen regelmäßiger diesem Zeitpunkt sind in Deutschland, Großbritanni- und gelegentlicher Konsum. en und den USA eindeutige Tendenzen des jeweiligen Regulierungssystems zu erkennen. Den Zeitraum zwi- Mit der Durchführung der Studie wurden Roland Berger und das IPE schen 2000 und 2009 berücksichtigen wir zusätzlich Institut für Politikevaluation von der Philip Morris GmbH beauftragt.
7 1 Das deutsche Regulierungssystem auf Basis des Vorsorgeprinzips
8 Das Vorsorgeprinzip als Leitgedanke le Tabakmarktregulierung in der EU zielt folglich vor der Tabakregulierung allem darauf ab, Nichtraucher grundsätzlich vom Konsum tabakhaltiger Produkte abzuhalten und Die europäische Tabakproduktrichtlinie 2014/40/EU Raucher durch Aufklärungskampagnen und Regulie- (englisch kurz: TPD) hat die Tabakregulierung in Eu- rungsmaßnahmen davon zu überzeugen, mit dem ropa vereinheitlicht.1 Hinsichtlich konventioneller Ta- besonders schädlichen Konsum konventioneller Ta- bakprodukte setzt sie eine Verschärfung der Regulie- bakerzeugnisse aufzuhören.6 rung fort.2 Hierdurch sollen vor allem Jugendliche davon abgehalten werden, zur Zigarette zu greifen. Versuche zur Gleichstellung von risikoreduzier- Aber auch erwachsene Raucher sollen dazu bewegt ten Produkten und Verbrennungsprodukten werden, mit dem Rauchen aufzuhören. Ebenfalls von schon vor Einführung der TPD in Deutschland der TPD erfasst werden risikoreduzierte Produkte wie E-Zigaretten oder Tabakerhitzer. Auf dem deutschen Markt wurden E-Zigaretten im Die TPD agiert auf Basis des sogenannten Vorsor- Jahr 2006 eingeführt. Nachdem es zunächst keine Re- geprinzips, das erstmals in Art. 174 (2) des Vertrags gulierung der Produkte gab, wurde frühzeitig ver- über die Europäische Gemeinschaft kodifiziert und sucht, diese den konventionellen Tabakprodukten dessen Anwendungsbereich im Dezember 2000 mit gleichzustellen. So kam es ab 2011 zeitweise zu einem der Annahme der Deklaration von Nizza über die Zu- Verkaufsverbot von E-Zigaretten in Nordrhein-Westfa- kunft der Europäischen Union von der Umweltpolitik len und Bayern (siehe Abbildung 1).7 Hessen verbot den auf den Bereich der Gesundheits- und Lebensmittelsi- Konsum von E-Zigaretten überall dort, wo das Rau- cherheitspolitik ausgedehnt wurde. Das Vorsorge- chen konventioneller Zigaretten untersagt war.8 prinzip sieht im Kern vor, dass Regulierung zum Die Umsetzung in nationales Recht erfolgte Schutz des Konsumenten in den Markt eingreifen schließlich im Jahr 2016. Bereits seit ihrer Einfüh- soll, sobald ein Zweifel an der Sicherheit eines Pro- rung 2014 war die TPD jedoch zentraler Orientie- dukts besteht.3 Im Geltungsbereich der TPD gilt die- rungspunkt für Gerichtsentscheidungen. Seit dem ser Zweifel für neuartige Tabakerzeugnisse als be- Zeitpunkt ihres Inkrafttretens ist deshalb in Deutsch- rechtigt. Und dies, obwohl andere Staaten – wie land eine nur geringfügig veränderte Regulierung von Großbritannien, die USA oder Neuseeland – bereits E-Zigaretten sowie neuartigen und konventionellen anerkannt haben, dass diese Produkte weniger schäd- Tabakprodukten zu konstatieren. Schließlich wurde lich sind als konventionelle Tabakprodukte.4 in Deutschland 2020 ein Außenwerbeverbot für In der Konsequenz wurden risikoreduzierte Ta- konventionelle Tabakprodukte, Tabakerhitzer und bakprodukte hinsichtlich der Genehmigung zum E-Zigaretten beschlossen, das schrittweise ab 2021 in Verkauf sowie ihrer Bewerbung ähnlich wie konventi- Kraft treten wird. onelle Produkte reguliert. Ausnahmen, welche die risikoreduzierten Produkte geringfügig besserstel- Erste Befunde: Nutzer von E-Zigaretten len, lassen sich in der fehlenden bzw. geringeren Be- rauchen häufig auch konventionelle Produkte steuerung von E-Zigaretten und neuartigen Tabaker- hitzern sowie in weniger strengen Auflagen für Wie bereits im ersten Teil dieser Studienreihe darge- Warnhinweise in Deutschland erkennen.5 Die aktuel- legt wurde, zeigt die Tabakregulierung in Deutsch-
9 Abb. 1 Entwicklung der Regulierung risikoreduzierter Produkte in Deutschland 2000-05 2006 2007-10 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017-19 Keine Keine eindeutige Anpassung der Regulierung Regulierung Markteintritt Einige Bundesländer Neufassung Umsetzung der TPD erster behandeln der TPD: in nationales Recht: E-Zigaretten E-Zigaretten wie Tabakerzeugnisse Tabakerzeugnisgesetz Zigaretten, z.B. und verwandte und Tabakerzeugnis- hinsichtlich Erzeugnisse werden verordnung behandeln Rauchverboten gleich reguliert Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse gleich Zeitweise Verbote Gerichtsurteile TPD wird bereits von E-Zigaretten stellen als Grundlage in einzelnen E-Zigaretten bei gerichtlichen Bundesländern und Zigaretten Entscheidungen gleich gesehen Quelle: Eigene Darstellung (auf Grundlage verschiedener Quellen). land sowohl bei den Erwachsenen als auch bei den liebtheit. So konsumierten 2018 2,6% der Bevölkerung Jugendlichen wichtige Erfolge. Zwischen 2002 und regelmäßig E-Zigaretten. 2010 ging der Anteil der erwachsenen Raucher im Alter Ein Großteil dieser Nutzer gehört auch zur Gruppe ab 18 Jahren jährlich um 1,3% von 30,4% auf 27,3% der Raucher: Bei 86% der Nutzer von E-Zigaretten han- zurück (siehe Abbildung 2), zwischen 2010 und 2018 delt es sich um Dual User (siehe Abbildung 3). Da diese betrug der jährliche Rückgang weiterhin 1,2% bis auf weiterhin Zigaretten rauchen, scheint die Möglichkeit, 24,9%. Zugleich verdeutlicht die Betrachtung nach Al- das individuelle gesundheitliche Risiko zu verringern, tersgruppen, dass die Regulierung vor allem bei Ziga- bisher von deutschen Rauchern nur in begrenztem rettenkonsumenten, die älter als 50 Jahre sind, an ihre Maße genutzt zu werden. Lediglich ein Zehntel der Grenzen stößt. Bei den Jugendlichen erweist sich die Nutzer sind ehemalige Raucher, denen der Umstieg Regulierung hingegen als äußerst erfolgreich. Seit von Zigaretten auf E-Zigaretten gelungen sein könnte. 2001 sank der Anteil der 12- bis 17-Jährigen, die zur 4% der Nutzer von E-Zigaretten haben niemals zuvor Zigarette greifen, kontinuierlich von 28% auf knapp geraucht. Ist diese Gruppe der Letztgenannten auch 7% (siehe Abbildung 4). Das entspricht einem jährli- wesentlich geringer als die Zahl der Dual User, bietet chen Rückgang von über 8%. diese Prozentzahl dennoch Anlass zu Besorgnis. Einge- Der ebenfalls betrachtete Konsum von E-Zigaretten hendere Untersuchungen bezüglich dieser Gruppe lie- gewinnt bei Erwachsenen in Deutschland hingegen in gen derzeit noch nicht vor. Die Notwendigkeit einer allerdings sehr verhaltenem Tempo eine gewisse Be- genaueren Untersuchung ist aber unbestritten. Erste
10 Entwicklung der Prävalenzrate des Rauchens sowie risikoreduzierter Abb. 2 Produkte unter Erwachsenen in Deutschland (in %) 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 30,4 29,8 29,7 28,2 27,3 27,2 26,8 25,6 24,9 Konventionelle Tabakprodukte Risikoreduzierte Produkte 2,6 1,2 Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Bennewitz, E. & Kaul, A. (2020). DKFZ (2014). 0,4 DKFZ (2016). DKFZ (2018) sowie eigene Schätzung auf Grundlage des SOEP.9 Abb. 3 N utzer von E-Zigaretten nach Rauchstatus in Deutschland, 2018 ehemalige 10% Raucher* 2,6% Nieraucher** 4% Dual User 86% 0% 20% 40% 60% 80% 100% *Diese Personen haben zuvor geraucht und nutzen heute ausschließlich E-Zigaretten Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von DKFZ (2018).10 **Diese Personen haben nie geraucht und nutzen heute ausschließlich E-Zigaretten
11 Entwicklung der Prävalenzrate des Rauchens sowie risikoreduzierter Abb. 4 Produkte unter Jugendlichen in Deutschland (in %) 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 27,5 22,5 23,5 20,0 17,7 15,4 12,9 11,7 12,0 9,7 7,8 7,4 6,6 Konventionelle Tabakprodukte 5,1 Risikoreduzierte Produkte (gegenwärtiger Konsum, 14- bis 17-Jährige) 4,0 4,2 Risikoreduzierte Produkte (30-Tages-Prävalenz, 12- bis 17-Jährige) 2,6 2,9 Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2013). 2,3 Orth, B., Töppich, J. (2015). Orth, B. & Merkel, C. (2018). Orth, B. & Merkel, C. (2019) sowie DEBRA (2020)11 0,8 Auswertungen zeigen, dass es vor allem junge Erwach- E-Zigaretten genutzt.13 Damit wäre der Anteil des regel- sene sind, die als Nichtraucher mit dem Konsum von mäßigen Konsums von E-Zigaretten unter Jugendli- E-Zigaretten beginnen.12 chen in Deutschland geringer als bei Erwachsenen. Unter Jugendlichen scheinen E-Zigaretten zwar Der Anstieg der 30-Tages-Prävalenz ist jedoch proble- nicht zu einem sich schnell entwickelnden Trend zu matisch und muss lückenlos erforscht werden, um werden, jedoch steigt der Anteil der jugendlichen Nut- wirksame Gegenmaßnahmen ergreifen zu können.14 zer seit 2012 an. 2018 gaben rund 5% aller 12- bis 17-Jährigen an, in den letzten 30 Tagen E-Zigaretten genutzt zu haben. Dies heißt zugleich: Seit 2012 ist der Anteil jugendlicher Nutzer, die in den letzten 30 Tagen E-Zigaretten nutzten, jährlich um 12% angestiegen. Tendenziell ist die 30-Tages-Prävalenz höher als der re- gelmäßige Konsum, da dieser ebenfalls diejenigen be- rücksichtigt, die E-Zigaretten nur probiert haben. Be- trachtet man lediglich den gegenwärtigen Konsum der Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren, ist dieser deutlich niedriger. Laut Daten der DEBRA haben 2018 sogar nur rund 0,8% der Jugendlichen regelmäßig
12 2 Großbritannien als Beispiel für eine transformierende Tabakregulierung
13 In Großbritannien setzt man auf eine tinhaltiger E-Zigaretten auf einigen Kanälen, z.B. im evidenzbasierte Markttransformation Kino oder auf Plakaten, über ihre Produkte informie- ren. Damit die Produkte bei der Gruppe der Jugendli- Um den Zigarettenkonsum zu reduzieren, hat man chen nicht an Attraktivität gewinnen, unterliegt die sich in Großbritannien hohe Ziele gesteckt. In Eng- Kommunikation jedoch strengen Auflagen. Diese Aus- land etwa soll der Anteil der Raucher unter Jugendli- legung der TPD war die logische Konsequenz des be- chen bis 2022 auf maximal 3% und unter Erwachse- reits 2010 eingeschlagenen Weges einer Markttrans- nen auf maximal 12% gesenkt werden. Ziel ist es, formation (siehe Abbildung 5).18 Schon damals setzten die erste rauchfreie Generation heranzuziehen. Dazu sich Teile des britischen Gesundheitsministeriums sollen insbesondere Jugendliche davon abgehalten mit der zukünftigen Rolle von E-Zigaretten auseinan- werden, mit dem Rauchen zu beginnen. Neben einer der und beauftragten Studien, die das Potenzial zur äußerst strengen Regulierung konventioneller Tabak- Risikoreduktion der neuen Produkte untersuchen produkte setzt man in Großbritannien aber auch auf sollten. Dieser Prozess mündete 2015 in die Bewer- eine evidenzbasierte Markttransformation mithilfe tung durch die britische Gesundheitsbehörde Public innovativer Technologien wie E-Zigaretten und Tabak- Health England (PHE), dass der Konsum von E-Zigaret- erhitzer.15 Denjenigen, denen es nicht gelingt, mit ten rund 95% weniger schädlich ist als das Rauchen.19 dem Rauchen aufzuhören, wird empfohlen, auf den Seitdem wird die Möglichkeit einer Reduzierung des Konsum risikoreduzierter Produkte umzusteigen.16 gesundheitlichen Risikos durch E-Zigaretten von bri- Um einen hohen Standard beim Schutz der Konsu- tischen Behörden aktiv beworben. Zudem verweisen menten zu gewährleisten, erfolgt durch staatliche In- Gesundheitsbehörden die Raucher von konventionel- stitutionen eine permanente Evaluation der Sicher- len Produkten auf E-Zigaretten als Mittel, um mit dem heit sowie der gesundheitlichen Auswirkungen der Rauchen aufzuhören.20 neuen Produkte. Das gesundheitliche Potenzial anderer neuartiger Produkte wie von Tabakerhitzern wird derzeit noch Hersteller dürfen in Großbritannien von den britischen Behörden evaluiert. Jedoch lässt über E-Zigaretten informieren sich bereits die klare Tendenz erkennen, dass sie wie E-Zigaretten als weniger gesundheitsschädlich aner- Großbritannien weist im europäischen Vergleich die kannt werden.21 Beide Produkte, E-Zigaretten und Ta- strengste Regulierung konventioneller Produkte auf.17 bakerhitzer, haben steuerrechtlich ihre eigene Pro- Bereits seit 2002 sind Werbung und Sponsoring von duktkategorie erhalten und sind ihrem Risiko Zigaretten verboten und seit 2016 gibt es eine standar- entsprechend deutlich niedriger besteuert als her- disierte, einheitliche Verpackung (sogenanntes Plain kömmliche Zigaretten. Packaging). Mit diesen Maßnahmen ging man weit über die europäischen Vorgaben der TPD hinaus. Bei E-Zigaretten blieb man bei den europäischen Vorga- ben, entschied sich aber – wie bereits in der Zusam- menfassung dargelegt – für eine Auslegung, welche auf eine Transformation des Marktes und von Konsu- mentenverhalten abzielt. So dürfen Hersteller niko-
14 Abb. 5 E ntwicklung der Regulierung risikoreduzierter Produkte in Großbritannien 2000-05 2006 2007-09 2010 2011-13 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Keine Keine eindeutige Anpassung der Regulierung Regulierung Markteintritt PHE* diskutiert Report der PHE: Veröffentlichung Verbot des erster die Rolle von E-Zigaretten der Tobacco Influencer- E-Zigaretten E-Zigaretten sind 95% weniger Control Strategy: Marketings für schädlich als E-Zigaretten E-Zigaretten konventionelle als Mittel zur Zigaretten Reduktion des gesundheitlichen Risikos Neufassung Nationale Lockerung der der TPD: Umsetzung Werbebeschrän- Verkauf ab der TPD: kungen: E-Zigaretten 18 Jahren E-Zigaretten dürfen als weniger *PHE = Public Health England werden strenger gesundheitsschädlich Quelle: Eigene Darstellung (auf Grundlage verschiedener Quellen). reguliert bezeichnet werden In Großbritannien haben Nichtraucher nicht mit malige Raucher handelt, 44% sind Dual User und rau- dem Konsum von E-Zigaretten begonnen – vor chen somit ebenfalls klassische Zigaretten und ledig- allem ehemalige Raucher nutzen E-Zigaretten lich 4% der Nutzer von E-Zigaretten haben zuvor niemals geraucht (siehe Abbildung 7). Bisher erlaubt Die Tabakregulierung gilt auch in Großbritannien als die Datenlage noch keine eindeutigen Rückschlüsse erfolgreich: Der Anteil der Bevölkerung ab 18 Jahren, darüber, wie sich der Konsum von risikoreduzierten der regelmäßig raucht, ist dort von 2002 bis 2010 von Produkten auf den Rückgang der Raucherprävalenz 25,9% auf 20,3% und bis 2018 auf 14,7% zurückgegan- auswirkt. Es kann beispielsweise auch nicht geschluss- gen (siehe Abbildung 6). Damit war der Rückgang bei folgert werden, dass ein Anstieg des Konsums von dieser Bevölkerungsgruppe seit 2010 mit jährlich fast E-Zigaretten in gleichem Maße zu einem Rückgang der 4% sogar noch größer als in den acht Jahren zuvor. Raucherprävalenz führen müsste. Jedoch gibt es erste Dieser starke Rückgang geht mit einem Anstieg des Studien, die auf einen direkten Zusammenhang schlie- Konsums risikoreduzierter Produkte einher. 2018 nutz- ßen lassen.22 Zu beachten ist, dass der Rückgang der ten bereits über 6% aller Erwachsenen regelmäßig Raucherprävalenz in Großbritannien insbesondere zwi- E-Zigaretten. Zwischen 2012 und 2018 entspricht dies schen 2007 und 2011 abgeflacht ist und erst wieder zu- einem jährlichen Anstieg von rund 24%. Betrachtet nahm, als auch E-Zigaretten an Beliebtheit gewannen. man die Nutzer von E-Zigaretten im Jahr 2018, fällt auf, Die bestehende Tabakregulierung in Großbritanni- dass es sich bei mehr als der Hälfte der Nutzer um ehe- en scheint auch Jugendliche vom Zigarettenkonsum
15 Entwicklung der Prävalenzrate des Rauchens sowie risikoreduzierter Abb. 6 Produkte unter Erwachsenen – Vergleich Großbritannien und Deutschland 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Konventionelle Produkte Risikoreduzierte Produkte Deutschland Großbritannien Deutschland Großbritannien Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Bennewitz, E. & Kaul, A. (2020). DKFZ (2014). DKFZ (2016). DKFZ (2018). Office for National Statistics (2000-2020). Ash (2019a) sowie eigene Schätzung auf Grundlage des SOEP.23 Abb. 7Nutzer von E-Zigaretten nach Rauchstatus in Großbritannien und Deutschland, 2018 ehemalige 10% Raucher* 52% 4% Nieraucher** 4% 86% Dual User 44% 0% 20% 40% 60% 80% 100% Deutschland Großbritannien *Diese Personen haben zuvor geraucht und nutzen heute ausschließlich E-Zigaretten **Diese Personen haben nie geraucht und nutzen heute ausschließlich E-Zigaretten Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von DKFZ (2018). Ash (2019a).
16 Entwicklung der Prävalenzrate des Rauchens sowie risikoreduzierter Abb. 8 Produkte unter Jugendlichen – Vergleich Großbritannien und Deutschland 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Konventionelle Produkte Risikoreduzierte Produkte Deutschland Deutschland Großbritannien Großbritannien Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2013). Orth, B., Töppich, J. (2015). Orth, B. & Merkel, C. (2018). Orth, B. & Merkel, C. (2018). Orth, B. & Merkel, C. (2019). Ash (2019b) sowie eigene Berechnung auf Grundlage von NHS Digital (2018) und Public Health England (2019).24 abzuhalten. Bei den 11- bis 18-Jährigen kam es zwi- Großbritannien schneidet im Vergleich schen 2001 und 2010 zu einem Rückgang des Zigaret- mit Deutschland hinsichtlich des Rückgangs tenkonsums von 21,6% auf 10,8% (siehe Abbildung 8). des Zigarettenkonsums erfolgreicher ab Dieser Trend setzte sich auch im Beobachtungszeit- raum ab 2010 fort, sodass 2018 nur noch 6,1% der Ju- Die Auswirkungen risikoreduzierter Produkte auf das gendlichen regelmäßig rauchten. Bei E-Zigaretten kam Rauchverhalten in Deutschland und in Großbritanni- es in der Vergangenheit jedoch zu einem geringen An- en lassen sich am besten ab dem Jahr 2010 verglei- stieg. Sie wurden 2018 von fast 4% der Jugendlichen chen, denn ab diesem Zeitpunkt beginnt sich die Re- regelmäßig verwendet. gulierung in den beiden Ländern grundlegend in
17 unterschiedliche Richtungen zu entwickeln. Ver- E-Zigaretten greifen. Dem Zigarettenkonsum unter Ju- gleicht man den Rückgang der Raucher in der Bevöl- gendlichen muss somit weiterhin eine verstärkte Auf- kerung, ist dieser in Großbritannien mit jährlich fast merksamkeit gelten. Zwar zeigt sich in der Vergangen- 4% mehr als dreimal so hoch wie in Deutschland heit ein leicht rückläufiger Trend, jedoch ist es noch mit rund 1%. Gleichzeitig ist aber auch der Anteil der nicht gelungen, ausnahmslos alle Jugendlichen vom Nutzer von E-Zigaretten in Großbritannien mit 6,2% Konsum konventioneller oder neuer Produkte abzu- mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland mit halten. Hier werden weitere Anstrengungen und insbe- 2,6%. Ein bedeutender Unterschied lässt sich vor al- sondere zusätzliche wissenschaftliche Forschungen lem darin erkennen, wer die neuen Produkte nutzt: notwendig sein, um durch zielgenaue Regulierung die Während es in Großbritannien vor allem Erwachsene Prävalenz konsequent weiter zurückzuführen. sind, die zuvor geraucht und mittlerweile komplett Der Vergleich macht jedoch bereits jetzt deutlich, mit dem Rauchen aufgehört haben, raucht in Deutsch- dass eine auf die Transformation des Marktes und des land ein Großteil zusätzlich weiterhin konventionelle Konsumverhaltens abzielende Regulierung wie in Zigaretten. Dies ist zwar noch kein eindeutiger Beleg Großbritannien nicht zu einem breite Bevölkerungs- dafür, dass es Rauchern in Großbritannien mithilfe schichten umfassenden Anstieg des Konsums von von E-Zigaretten gelingt, vom Zigarettenkonsum los- konventionellen oder neuen Tabakprodukten führt – zukommen. Es verdeutlicht aber, dass die Konsumen- weder bei Erwachsenen noch bei Jugendlichen. ten dort zumindest deutlich besser über die neuen Produkte und ihre weniger gesundheitsschädliche Nutzung informiert sind. Denn in dem Maße, wie Nutzer von E-Zigaretten zusätzlich zur konventionel- len Zigarette greifen, wie dies in Deutschland häufig geschieht, ist ihr gesundheitlicher Nutzen gering. Der auf die Transformation des Marktes und des Kon- sumentenverhaltens abzielende britische Regulie- rungsansatz ist erfolgreicher in der Erreichung eines entscheidenden Ziels: Er reduziert die Zahl der er- wachsenen Raucher ("Core Smoker"), die einem be- sonders hohen gesundheitlichen Risiko unterliegen. Der Zigarettenkonsum von Jugendlichen ging in beiden Ländern zwischen 2010 und 2018 in ähnlichem Maße zurück, sodass im Jahr 2018 der Anteil der ju- gendlichen Raucher in Großbritannien geringfügig niedriger als in Deutschland war. Beim Konsum von E-Zigaretten war der Anteil der Jugendlichen, die diese regelmäßig nutzen, in Großbritannien sogar leicht niedriger als in Deutschland. Die Datenlage lässt an dieser Stelle offen, ob es sich bei den jugendlichen Rauchern um dieselben Personen handelt, die auch zu
18 3 Fehlender Jugendschutz in den USA und Grenzen der Regulierung in Australien
19 N ach den beiden bisher diskutierten Regulie- rungsansätzen werden im Folgenden zwei wei- tere, äußerst unterschiedliche Formen der Re- bildung 9).25 Allerdings kam es erst sechs Jahre später mit der Einführung der sogenannten Deeming Rule zu dieser Befugnis. Bis 2016 gab es somit nur in einzel- gulierung betrachtet. Während E-Zigaretten jeglicher nen Bundesstaaten Regulierungsmaßnahmen, nicht Form in den USA lange Zeit fast gar nicht reguliert aber auf Bundesebene. Nach Jahren einer eher zurück- wurden, ist der Verkauf nikotinhaltiger Liquids für haltenden Regulierung benötigen risikoreduzierte E-Zigaretten in Australien verboten. Um den transfor- Produkte deswegen heute eine Zulassungsgenehmi- mierenden Regulierungsansatz Großbritanniens bes- gung der FDA. So wurden auf der einen Seite im Jahr ser einordnen und bewerten zu können, wird dieser 2017 risikoreduzierte Produkte als Mittel zur Rauch- im Folgenden mit den entsprechenden Regulierungs- entwöhnung offiziell anerkannt und auch der Tabak- maßnahmen in den USA und in Australien verglichen. erhitzer Iqos darf damit beworben werden, weniger Schadstoffe abzugeben.26 Auf der anderen Seite wurde Zurückhaltende Regulierung in den USA infolge eines Anstiegs des Konsums von E-Zigaretten unter Jugendlichen das Mindestalter angehoben und Wie auch in Großbritannien ebnete die US-amerikani- es wurden Warnhinweise auf der Verpackung von Li- sche Regierung bereits 2010 den Weg für die zukünf- quids für E-Zigaretten eingeführt. Konventionelle Ta- tige Regulierung von E-Zigaretten. Denn damals wur- bakprodukte wurden in den USA hingegen kontinu- de in den USA gerichtlich verfügt, dass die Food and ierlich reguliert. So ist etwa Werbung jeglicher Art für Drug Administration (FDA) eine rechtliche Grundlage konventionelle Tabakprodukte in den USA schon seit zur Regulierung von E-Zigaretten benötigt (siehe Ab- 1997 verboten. Abb. 9 Entwicklung der Regulierung risikoreduzierter Produkte in den USA 2006 2007 2008-09 2010 2011-14 2015 bis 2016 2016 2017 2018 2019 2020 Keine Keine eindeutige Veränderung der Regulierung Regulierung Einige E-Zigaretten Bundesstaaten werden als Mittel Markteintritt E-Zigaretten müssen verbieten Konsum zur Zigaretten- Erhöhung des erster als Tabakprodukte von E-Zigaretten entwöhnung Mindestalters E-Zigaretten reguliert werden, in geschlossenen anerkannt: auf 21 Jahre damit diese durch die Räumen und Verkauf Ankündigung von FDA reguliert werden in Supermärkten Produktstandards können Einige Bundesstaaten Mindestalter Youth Tobacco Iqos erhält erheben erstmals von 18 Jahren für Prevention Plan Zulassung Steuern auf Liquids, E-Zigaretten als MRTP* welche jedoch Einführung von geringer sind als Deeming Rule: Warnhinweisen bei konventionellen FDA-Zulassung Zigaretten ist notwendig: *MRTP = Modified Risk Tobacco Product Fristen noch nicht implementiert Quelle: Eigene Darstellung (auf Grundlage verschiedener Quellen). (Stand 05/2020)
20 Der Konsum von E-Zigaretten stieg in den USA unter Jugendlichen erheblich an Ein Vergleich zwischen den USA und Großbritannien bietet sich nicht nur hinsichtlich der Entwicklung der Regulierungsansätze, sondern auch hinsichtlich der Entwicklungen am Tabakmarkt an. Dabei sollte man das Jahr 2010 zum Ausgangspunkt des Vergleichs neh- men. In diesem Jahr traf die Politik in beiden Ländern weitreichende Entscheidungen, was die Regulierung von E-Zigaretten betraf – mit beträchtlichen Folgen für den Tabakmarkt. Hinsichtlich des Anteils der Raucher im Alter ab 18 Jahren gab es in beiden Ländern ähnliche Entwick- lungen. Wie auch in Großbritannien ging der Anteil der Raucher in den USA stark zurück. Mit jährlich über 4% zwischen 2010 und 2018 war dieser Rückgang in den USA sogar noch etwas größer als in Großbritanni- en. Beim Konsum von E-Zigaretten unterscheidet sich die Entwicklung jedoch in auffälliger Weise. Bis 2014 kam es zwar in beiden Ländern zu einem Anstieg der Prävalenz, in den USA war der Konsum von E-Zigaret- ten unter Erwachsenen zwischen 2014 und 2017 dann jedoch leicht rückläufig (siehe Abbildung 10). Zudem ist auch der Anteil der Dual User in beiden Ländern auf einem ähnlichen Niveau, der Anteil an ehemaligen Rauchern ist jedoch in Großbritannien merklich höher als in den USA (siehe Abbildung 11). Am deutlichsten werden die Konsequenzen der unterschiedlichen Regulierungsansätze bei den Ju- gendlichen sichtbar.27 Die Entwicklung des Konsums von Zigaretten folgt in beiden Ländern gleicherma- ßen einem rückläufigen Trend (Abbildung 12). Der Anteil der rauchenden Jugendlichen ging in beiden Ländern von rund 11% im Jahr 2011 auf ca. 6% im Jahr 2018 zurück. Auffallend ist, dass sich dieser Rückgang vor allem der Entwicklung bis 2014 ver- dankt. Seitdem stagniert der Rückgang in beiden Län- dern. In den USA kam es danach zu keinem weiteren
21 Entwicklung der Prävalenzrate des Rauchens sowie risikoreduzierter Abb. 10 Produkte unter Erwachsenen – Vergleich Großbritannien und USA 25% 20% 15% 10% 5% 0% 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Konventionelle Produkte Risikoreduzierte Produkte Großbritannien USA Großbritannien USA Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Center for Disease Control and Prevention (2018). Center for Disease Control and Prevention (2014). Dai, H. & Leventhal, A. M. (2019). Office for National Statistics (2000-2020). Ash (2019a).28 Abb. 11 Nutzer von E-Zigaretten nach Rauchstatus in Großbritannien und den USA, 2018 ehemalige 36% Raucher* 52% 22% Nieraucher** 4% 42% Dual User 44% 0% 20% 40% 60% 80% 100% Großbritannien USA *Diese Personen haben zuvor geraucht und nutzen heute ausschließlich E-Zigaretten **Diese Personen haben nie geraucht und nutzen heute ausschließlich E-Zigaretten Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Villarroel et al. (2020). Ash (2019a).
22 Entwicklung der Prävalenzrate des Rauchens sowie risikoreduzierter Abb. 12 Produkte unter Jugendlichen – Vergleich Großbritannien und USA 25% 20% 15% 10% 5% 0% 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Konventionelle Produkte Risikoreduzierte Produkte Großbritannien Großbritannien USA USA Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Center for Health Metrics and Evaluation (2019) sowie verschiedene Studien auf Grundlage des National Health Inter- view Survey (NHIS) und des National Youth Tobacco Survey (NYTS). Ash (2019b) sowie eigene Berechnung auf Grundlage von NHS Digital (2018) und Public Health England (2019).29 Rückgang und in Großbritannien lag der Rückgang und Großbritannien ein unterschiedliches Bild zutage. bei 3% pro Jahr. Im Vergleich: Zwischen 2011 und In den USA kam es im Gegensatz zu Großbritannien zu 2014 gab es einen jährlichen Rückgang von rund 18% einem deutlichen Anstieg. Im Jahr 2018 konsumierten in den USA bzw. 14% in Großbritannien. Bei einer In- rund 14% der Jugendlichen E-Zigaretten. Das ent- terpretation dieser Entwicklung ist allerdings Vor- spricht dem Niveau des Zigarettenkonsums in den USA sicht geboten. Eine mögliche Erklärung könnte sein, von 2006 bei dieser Klientel. Im Jahr 2016 gab es zeit- dass Tabakregulierung auch bei Jugendlichen Wir- weise einen Rückgang der E-Zigaretten-Prävalenz, der kungsgrenzen erreichen könnte. Hier ist weitere For- sich vermutlich auf die Anhebung des Mindestalters schung nötig. auf 18 Jahre und einen damit einhergehenden Um- Eine vergleichende Betrachtung des Konsums von bruch in der Regulierung von risikoreduzierten Pro- E-Zigaretten unter Jugendlichen fördert für die USA dukten zurückführen lässt. Nichtsdestotrotz erfolgt
23 dieser Wechsel offensichtlich zu spät: Der Trend zur Die strenge Tabakregulierung in Australien erweist E-Zigarette scheint sich bereits so weit unter den Ju- sich insbesondere bei Jugendlichen als erfolgreich: gendlichen verbreitet zu haben, dass es zwischen 2016 Laut National Drug Strategy Household Survey33 rauch- und 2018 zu einem weiteren Anstieg kam.30 ten 2016 nur noch etwas über 2% der 12- bis 17-Jähri- gen (siehe Abbildung 14). Gegenüber 2010 hätte sich Die Tabakregulierung stößt auch die Raucherprävalenz der Jugendlichen somit inner- in Australien an ihre Grenzen halb von sechs Jahren fast halbiert. Jedoch erweist sich die Datenlage in Australien nicht als eindeutig. Eine Australien hat eine der strengsten Tabakregulierun- Befragung, die sich auf australische Jugendliche kon- gen in der westlichen Welt. Während konventionelle zentriert, zeigt, dass es zwischen 2011 und 2017 nur zu Produkte aufgrund einer äußerst hohen Besteuerung einem Rückgang von 9% auf rund 7% der Jugendli- so teuer sind wie in keinem anderen Land und Ziga- chen kam.34 Demnach wäre der jährliche Rückgang in retten standardisiert verpackt sind, wurden nikotin- Australien sogar geringer als in Großbritannien, haltige E-Zigaretten de facto komplett verboten. 31 Deutschland und den USA. Selbst ein Import ist nur mit einer Verschreibung Bei den Erwachsenen ist ein eindeutiger Rückgang möglich (siehe Abbildung 13).32 der Raucherprävalenz zu erkennen. Zwischen 2001 und Abb. 13Entwicklung der Regulierung konventioneller und risikoreduzierter Produkte in Australien 1973 1994 2010 2012 2014 2015 2016 2020 Erste Starker Anstieg E-Zigaretten werden Im Australian Warnhinweise der Besteuerung als Tabakprodukt Capital Territory auf Zigaretten- von Zigaretten angesehen und nicht werden sämtliche schachteln (2010: 25%) länger in Western E-Zigaretten als Australia verkauft, Tabakprodukt Rauchverbot in andere Bundesstaaten eingestuft und Kneipen und Clubs folgen dementsprechend in allen australischen reguliert: Staaten Mindestalter 18 Jahre, rauchfreie Zonen Mindestalter Plain für E-Zigaretten, von 18 Jahren Packaging Verbot von Werbung für Zigaretten und Marketing Mindestalter Importe von Konventionelle Produkte von 18 Jahren für E-Zigaretten Risikoreduzierte Produkte E-Zigaretten in werden verschrei- New South Wales bungspflichtig Quelle: Eigene Darstellung (auf Grundlage verschiedener Quellen).
24 Entwicklung der Prävalenzrate unter Abb. 14 Erwachsenen und Jugendlichen in Australien 25% 20% 15% 10% 5% 0% 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Erwachsene Jugendliche Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des Australian Bureau of Statistics (2000-2018). Australian Institute of Health and Welfare (2016). Entwicklung der Prävalenzrate des Rauchens unter Erwachsenen – Abb. 15 Vergleich Großbritannien und Australien 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Großbritannien gesamt Großbritannien (55+) Australien gesamt Australien (55+) Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage des Australian Bureau of Statistics (2000-2018). Office for National Statistics (2000-2020).35
25 2018 ging der Anteil der Erwachsenen, die regelmäßig schen Rauchern überdies auch keine risikoreduzierte zur Zigarette greifen, von 24,2% auf 15,1% zurück (sie- Alternative angeboten werden. Dies führt insbesonde- he Abbildung 14). Jedoch gibt es auch in Australien Be- re in der Gruppe der über 55-Jährigen dazu, dass ein völkerungsgruppen, bei denen die Tabakregulierung seit 2012 unverändert hoher Anteil weiterhin zur kon- an ihre Grenzen stößt. Insbesondere bei Rauchern, die ventionellen Zigarette greift. Beide Ansätze können das 55 Jahre und älter sind, kam es in der Vergangenheit gesundheitliche Problem des Rauchens somit nicht kaum noch zu einem weiteren Rückgang. Während es besser lösen als der britische Ansatz der Risikoredukti- in der Gesamtbevölkerung zwischen 2012 und 2018 zu on durch Transformation des Marktes und des Kon- einem jährlichen Rückgang von rund 2,9% kam, rauch- sumverhaltens. ten in dieser Altersgruppe 2018 sogar mehr Menschen als noch 2012 (siehe Abbildung 15). Zum Vergleich: In Großbritannien kam es bei den über 55-Jährigen im gleichen Zeitraum zu einem jährlichen Rückgang von rund 3,8%. Ein Blick auf die Daten zum Konsum von E-Zigaretten in Großbritannien verrät, dass 2018 knapp 7% der Bevölkerung im Alter zwischen 50 und 59 Jah- ren E-Zigaretten nutzten. Der Anteil der Nutzer von E-Zigaretten liegt somit in dieser Altersgruppe über dem nationalen Durchschnitt. Folglich könnte der stär- kere Rückgang der Raucherprävalenz in Großbritanni- en auf den Umstieg von E-Zigaretten zurückzuführen sein. Damit hat der Rückgang in Großbritannien sogar die Entwicklung in Australien überholt. Sowohl in der Gesamtbevölkerung als auch in der Altersgruppe ab 55 Jahren ist 2018 nicht nur die Raucherprävalenz in Großbritannien niedriger, auch ging der Anteil der Raucher stärker zurück als in Australien. Wie diese Ausführungen zu den USA und Australi- en zeigen, können weder der amerikanische noch der australische Regulierungsansatz als Vorbild für die Ta- bakregulierung in Deutschland dienen, da beide mit erheblichen Nachteilen einhergehen. Während es der Regulierung in den USA lange Zeit nicht gelang, Ju- gendliche von E-Zigaretten fernzuhalten, verzeichnet Australien hinsichtlich des Jugendschutzes zwar be- sondere Erfolge. Dort stößt die Regulierung konventi- oneller Produkte jedoch bei bestehenden Rauchern an klare Wirkungsgrenzen. Durch das de facto geltende Verkaufsverbot für E-Zigaretten kann den australi-
26 4 Ausgestaltung einer innovativen Tabakregulierung
27 D er Vergleich des Rauchverhaltens zwischen den vier Ländern weist in dieser Studie auf die Vor- und Nachteile der jeweiligen Regulie- erzielt im Betrachtungszeitraum geringere Quoten an Jugendlichen, die E-Zigaretten konsumieren, als Deutschland. In Großbritannien also scheint das aus- rungsansätze hin und stellt noch einmal die Frage in gegebene politische Ziel am besten erreicht worden zu den Mittelpunkt, wie das Potenzial der Risikoreduzie- sein, nämlich die Akzeptanz von risikoreduzierten Pro- rung genutzt werden kann, indem Raucher zum Um- dukten unter Rauchern zu fördern, ohne eine Attrakti- stieg bewegt werden können, ohne Präventionserfol- vität dieser Produkte für Nichtraucher zu erzeugen. ge zu gefährden. Im internationalen Vergleich bringt das britische Das Vorsorgeprinzip in Deutschland kann als er- System demnach die größten Vorteile mit, um das ge- folgreich bezeichnet werden, wenn es darum geht, sundheitliche Risiko durch Rauchen in der Bevölke- den Zigarettenkonsum bei Jugendlichen zu senken rung insgesamt zu reduzieren. sowie dafür Sorge zu tragen, dass Nichtraucher vom Beginn des Konsums konventioneller und neuartiger Differenzierung als Merkmal einer Produkte abgehalten werden. Der Ansatz wird somit innovationsorientierten Regulierung bei Jugendlichen seiner Bezeichnung gerecht. Auch stellt er kein Risiko dafür dar, dass der bisherige Er- Kennzeichen des britischen Regulierungsansatzes ist folg in der Bekämpfung des Zigarettenkonsums ge- die differenzierte Behandlung der unterschiedlichen fährdet wird. Produkte entsprechend ihrem Risiko für den Konsu- Wie jedoch bereits in den vorherigen Studien auf- menten. Zwar mag es bezüglich des idealen Zuschnitts gezeigt, stößt dieses Prinzip der Vorsorge bei jenem und des genauen Zusammenspiels einzelner Regulie- Teil der Raucher, die nicht mit dem Rauchen aufhö- rungsmaßnahmen legitime Meinungsverschieden- ren, an seine Wirkungsgrenzen. Diesen wird im deut- heiten geben. Aber an der Sinnhaftigkeit der grund- schen Regulierungssystem insofern wenig geholfen, sätzlichen Prämisse einer Produktdifferenzierung, als ihnen kaum Unterstützung im Sinne von Angebo- wie sie den britischen Ansatz prägt, kann kein Zweifel ten für einen Wechsel zu weniger gesundheitsschädli- bestehen. chen Produkten geboten wird. Das wirkt sich in unterschiedlichen Bereichen aus: Im Gegensatz zum deutschen Ansatz gelingt es Was die Regulierung der Nachfrage betrifft, so sind Zi- der transformierenden Regulierung in Großbritanni- garetten in Großbritannien beispielsweise stark be- en, die deutlicher zwischen den mit den einzelnen steuert, auf Liquids für E-Zigaretten fällt wie aktuell in Produkten verbundenen Risiken differenziert, jene Deutschland hingegen nur die Umsatzsteuer an. Da Raucher, die nicht mit dem Rauchen aufhören, zu ei- Raucher oft preissensibel reagieren, kann sich diese nem Umstieg auf risikoreduzierte Produkte zu bewe- differenzierte Besteuerung als ein effektives Mittel zur gen. Eine Folge davon ist ein stärkerer Rückgang des Regulierung erweisen.36 Zigarettenkonsums in der Gesamtbevölkerung. Ein zentraler Unterschied zwischen Deutschland Gleichzeitig gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass und Großbritannien zeigt sich bei Regulierung der An- Nichtraucher und insbesondere Jugendliche stärker gebotsseite. So darf in Großbritannien nicht nur über als in Deutschland durch diese transformierende die Vorteile risikoreduzierter Produkte informiert wer- Form der Regulierung von den neuen Produkten an- den, sondern auch die Gesundheitsbehörden selbst gesprochen werden. Im Gegenteil: Großbritannien informieren über E-Zigaretten und raten Rauchern so-
28 gar aktiv zu einem Umstieg. Es ist daher naheliegend, dass Raucher in Großbritannien besser über Möglich- Wahrnehmung des Risikos Abb. 16 keiten und Potenziale eines risikoreduzierten Kon- sums aufgeklärt sind. Sie können auf diese Weise zu- von E-Zigaretten unter Rauchern dem auch besser vor irreführender Information E-Zigaretten sind mindestens geschützt werden. genauso schädlich wie Zigaretten Die Bedeutung dieses Unterschiedes lässt sich durch drei Zahlen illustrieren: Erstens ist der Anteil der Raucher, die E-Zigaretten entgegen wissenschaft- 64% lichen Erkenntnissen staatlicher Forschungseinrich- tungen, wie der britischen Zulassungs- und Aufsichts- behörde für Arzneimittel in Großbritannien (MHRA), für mindestens genauso schädlich wie Zigaretten hal- 22% ten, in Deutschland fast dreimal so hoch wie in Groß- britannien (siehe Abbildung 16). Zweitens ist der An- teil der Nutzer von E-Zigaretten, welche diese als 0% 20% 40% 60% 80% Mittel zur Rauchentwöhnung sehen, in Großbritanni- Deutschland Großbritannien en mit 64% eindeutig höher als in Deutschland (siehe Abbildung 17). Drittens ist der Anteil der Nutzer von Quelle: Ash (2019a). Gravely, S., Driezen, P. et al. (2020).37 E-Zigaretten, die zusätzlich Zigaretten rauchen, mit rund 86% in Deutschland fast doppelt so hoch wie in Großbritannien (siehe Abbildung 7). Der hohe Anteil der Dual User lässt darauf schließen, dass den Nut- Gründe für den Konsum von Abb. 17 zern in Deutschland nicht bewusst ist, dass sie voll- E-Zigaretten ständig auf den Konsum risikoreduzierter Produkte E-Zigaretten als Alternative zu Zigaretten umsteigen müssen, um ihr gesundheitliches Risiko zu verringern. Eine Transformation des Marktes und des Kon- sumverhaltens kann folglich nur mithilfe geeigneter 50% Lenkungsmechanismen auf Angebots- und Nachfra- geseite gelingen, wie etwa einer differenzierten Regu- lierung in Verbindung mit einer gezielten Informati- onspolitik gegenüber den Betroffenen. Letztere spricht 64% jenen Teil der Raucher an, der nicht mit dem Zigaret- tenkonsum aufhört. Werden die Produkte ohne jegli- 0% 20% 40% 60% 80% che zielgerichtete Regulierung auf den Markt gebracht, drohen Szenarien wie beispielsweise beim Konsum Deutschland Großbritannien von E-Zigaretten unter amerikanischen Jugendlichen in der Vergangenheit. Quelle: Europäische Kommission (2018).38
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