HYDROPOWER 4.0 Digitalisierung trifft auf altbewährte Wasserkrafttechnologie - OIAV
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165 WISSENSCHAFT & PRAXIS Dezember 2020 ÖS TERREICHISCHE INGENIEUR- UND A R C H I T E K T E N -Z E I T S C H R I F T The JOURNAL of OIAV HYDROPOWER 4.0 Digitalisierung trifft auf altbewährte Wasserkrafttechnologie Bernd Hollauf Projektleiter Digitales Wasserkraftwerk, VERBUND Hydro Power GmbH KURZFASSUNG bewährte Wasserkraft erfährt sie zunehmende Bedeutung. Die Nutzbarmachung von Digitalisierungstechnologien und Was vor wenigen Jahrzehnten noch bahnbrechend war, deren Weiterentwicklung wird in der Diskussion rund um etwa die Fernsteuerung von Kraftwerken, ist heute überwie- das Thema Industrie 4.0 auch in der Wasserkraft als nächste gend bewährter Standard. Aufbauend auf diesem Standard Entwicklungsstufe gesehen. Die mögliche technologische hat VERBUND, Österreichs größter Wasserkrafterzeuger, Bandbreite ist ausgesprochen vielfältig und reicht von Plat- in den letzten Jahren die Digitalisierungsaktivitäten stark tformlösungen, intelligenten Systemen zur Zustandsüber- forciert und den Weg hin zur digitalen Transformation ein- wachung, mobilen Assistenzsystemen, 3D-Druck, Drohnen geschlagen. Mit dem Innovationsprogramm „Hydropower bis hin zu innovativen Inspektionsgeräten. Im Beitrag wird 4.0“ wurden neue und zukunftsweisende Schritte gesetzt, anhand von ausgewählten Praxisbeispielen die Vielfalt der um der hohen Effizienz und Verlässlichkeit der Wasserkraft Anwendungsmöglichkeiten in der Wasserkraft vorgestellt. einen nächsten Impuls für die Bewältigung der Anforderun- gen im Rahmen der Energiewende zu geben. Ziel war und ist ABSTRACT es, alle denkbaren Digitalisierungsmöglichkeiten zu evaluie- The utilization of digitalization technologies and their fur- ren, für die Wasserkraft weiterzuentwickeln und die erfol- ther development is seen also in hydropower as the next gversprechendsten Technologien als zukünftigen Standard step concerning the Industry 4.0 discussion. The possible zu etablieren. Nachfolgend werden vielversprechende Dig- technological range is very diverse and comprises platform italisierungsbeispiele aus dem Innovationsprogramm von solutions, intelligent systems for condition monitoring, mo- VERBUND vorgestellt. bile assistance systems, 3D printing, drones as well as inno- vative inspection devices. The article offers an overview of 2. DIGITALE INSPEKTION different possible applications in hydropower, based on se- Ein wesentlicher Aspekt zur Sicherstellung des zuverlässi- lected practical examples. gen Betriebes von Wasserkraftwerken ist die visuelle und messtechnische Inspektion der Anlagen. Die Digitalisierung 1. EINLEITUNG bietet hier speziell für die Unterwasserinspektion neue digi- Die Digitalisierung erfasst mittlerweile alle Bereiche des Allt- tale Technologien, die ergänzend zu herkömmlichen Metho- ags und der Industrie. Auch für die seit mehr als 100 Jahren den eingesetzt werden können und diese auch zunehmend 1 OIAZ 165
ersetzen. Der Trend geht auch bei der Anlageninspektion in Richtung Automatisierung sowohl bei der Inspektion als auch bei der nachfolgenden Auswertung. Schon heute ste- hen ferngesteuerte bzw. auch autonome Trägerplattformen zur Verfügung, die mit unterschiedlicher Inspektionsaus- rüstung bestückt werden können. Zunehmend wird bei der Navigation und Auswertung auch auf künstliche Intelligenz gesetzt. 2.1 Tauchroboter Sogenannte Remotely Operated Vehicles (ROV) werden be- reits für die visuelle Unterwasserinspektion eingesetzt und unterstützen bzw. ersetzen zunehmend bislang übliche und teilweise gefährliche Tauchereinsätze. Die Geräte ermögli- Abb. 2: Sonaraufnahme eines Einlaufrechens Fig. 2: Sonar image of a trash rack chen zudem ein müheloses Vordringen zu mitunter in großer Tiefe liegenden Bauwerks- und Stahlbauteilen (vgl. Abb. 1). 2.3 Autonome Vermessung Die Erfassung der Gewässersohle erfolgt bisher üblicher- weise in Streifenprofilen mit einem Messboot und jedenfalls zwei Personen. Durch die technologischen Entwicklungen ist zuletzt eine Tendenz hin zur flächenhaften Vermessung teilweise mit Hilfe sogenannter Unmanned Surface Vehicle (USV) zu erkennen. Erste Tests (vgl. Abb. 3), die im Rahmen des Innovationsprogrammes bei Kraftwerken von VERBUND durchgeführt wurden, haben die aktuellen Herausforderun- gen bei der autonomen Vermessung gezeigt. Unter bestim- mten Bedingungen und mit Einschränkungen erscheint jed- och ein Einsatz aus derzeitiger Sicht bereits in naher Zukunft möglich. Abb. 1: ROV-Inspektion eines Grundablasses in 170 m Tiefe Fig. 1: ROV inspection of a bottom outlet in 170 m depth Im Innovationsprogramm „Hydropower 4.0“ wird aktuell ein für die Wasserkraft maßgeschneidertes ROV-System en- twickelt, das in Kombination mit geeigneter Sensorik und Messtechnik auch die Unterwasservermessung von Anlagen ermöglichen soll. Abb. 3: USV-Test zur au- tonomen Gewässersohlen- 2.2 Imaging-Sonare vermessung Zur Erfassung der Gewässersohle und auch der unter Wasser Fig. 4: USV Test for autono- liegenden Anlagenteile werden seit Jahrzehnten akustische mous hydrographic surveys Verfahren eingesetzt. Die heute etablierten Echolotsysteme haben jedoch den Nachteil, dass die aufgenommenen Daten erst einem relativ aufwändigen Nachbearbeitungsprozess unterzogen werden müssen. Eine innovative neue Möglich- 2.4 Künstliche Intelligenz zur Bildauswertung keit zur Unterwasserinspektion von Wasserkraftanlagen stel- Viele digitale Anwendungen nutzen bereits künstliche Intel- len sog. Imaging-Sonare dar. Diese können selbst bei wid- ligenz (KI). Im Innovationsprogramm von VERBUND werden rigsten Sichtbedingungen unmittelbar vor Ort Aufnahmen die Vorteile von KI u.a. bei einem Diagnosesystem für Gener- von der Unterwasserumgebung liefern (vgl. Abb. 2). Zudem atoren genutzt. Konkret wurde beim herkömmlichen System können die Geräte mit speziell gefertigten Vorrichtungen am ein analoger, kapazitiver Sensor durch intelligente KI-unter- Vermessungsboot, an bei Wasserkraftwerken ohnehin vor- stützte Objekterkennung (vgl. Abb. 4), die als Herzstück der handenen Krananlagen oder auch in Kombination mit einem Eigenentwicklung fungiert, ersetzt. ROV flexibel eingesetzt werden. Das neue Inspektionssystem ist kompakter und kann ein- facher im Inneren des Generators angebracht werden. Die 2 OIAZ 165
den Wasserkraftwerken zur Störungsvorhersage, Anomalie- detektion oder datenbasierten Festlegung von Revisionsin- tervallen. 4. MOBILE ASSISTENZSYSTEME Der Abwicklung sämtlicher Wartungs-, Instandhaltungs-, Erneuerungs- und Erweiterungsvorhaben in Wasserkraft- werken liegen umfangreiche und komplexe administrative und operative Prozesse zugrunde. Voraussetzung für die Nutzung eines mobilen Assistenzsystems zur digitalen Arbe- itsunterstützung ist daher zunächst eine umfassende Anal- yse und Optimierung dieser Prozesse sowie eine strukturi- erte Erfassung der relevanten Unterlagen bzw. Daten. Abb. 4: KI zur automatisierten Objekterkennung bei der Generatorinspektion Bei den rund 130 VERBUND Wasserkraftwerken existieren Fig. 4: Automated Object Recognition using AI (Artificial Intelligence) during generator inspection aufgrund der organisatorischen Ausprägung, der geogra- phischen Ausdehnung sowie der Unternehmensgeschichte unterschiedliche Arbeitsweisen. Im Innovationsprogramm Anwendung von KI führt im konkreten Beispiel zu einer „Hydropower 4.0“ wurden die Prozesse zunächst erhoben deutlichen Zeitersparnis bei der Inspektion und auch bei und im Anschluss auf einen unternehmensweiten Soll-Proz- der nachfolgenden Videobearbeitung. Die innovative Ei- ess standardisiert. Im Rahmen des digitalen Workforce Man- genentwicklung hat das herkömmliche System ersetzt und agements werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird bereits regelmäßig bei der Inspektion von großen Rohr- bestmöglich durch digitale Hilfsmittel in Form neuer Soft- generatoren eingesetzt. ware- und Hardwarelösungen unterstützt werden. Dies um- fasst sowohl personaladministrative Prozesse wie beispiels- 3. PREDICTIVE MAINTENANCE weise Zeitrückmeldungen, geplante Abwesenheiten oder In der Wasserkraft werden üblicherweise auf Basis langjäh- Reisemanagement und auch die Abwicklung von Arbeitsauf- riger Erfahrungen für die jeweiligen Standorte und Anlagen trägen online wie auch offline. Konsolidierte Abrechnung- Revisionsintervalle festgelegt (präventive Wartung). Im Sinne smodelle bei z.B. Zulagenberechnungen unterstützen die einer möglichst guten Anlagenausnutzung wird versucht, Rückmeldung ins System und vereinfachen für die Endan- die Intervalle soweit wie möglich zu strecken. Dadurch steigt wender die Eingabe. naturgemäß auch das Risiko für Schäden bzw. der Bedarf an präzisen Systemen zur laufenden Zustandsüberwachung. Darüber hinaus wird auch speziell auf die Störungsbehebung fokussiert (interaktive Störungsbehebung). Zukünftig soll Predictive Maintenance ist ein in Zusammenhang mit In- über ein mobiles Assistenzsystem Zugriff auf sämtliche für dustrie 4.0. oft genanntes Schlüsselthema und meint die die Störungsbehebung relevante Informationen (u.a. Proz- vorausschauende, proaktive Wartung der Anlagen im Sinne esswerte, technische Unterlagen, Störungsdokumentation) minimierter Ausfallszeiten. Die Basis für diesen Instandhal- ermöglicht werden, wobei neben Tablets, Smartphones auch tungsansatz stellen die mit Hilfe von Sensoren kontinuierlich Datenbrillen getestet werden. Zudem soll die Remote-Unter- erfassten Messwerte bzw. Daten dar, wobei sowohl klas- stützung durch Experten eine möglichst effiziente Störungs- sische Sensorik und zunehmend auch neuartige Sensoren behebung ermöglichen. eingesetzt werden. Aktuell werden im Innovationspro- gramm „Hydropower 4.0“ u.a. Mikrofone zur akustischen 5. FISCH-MONITORING Überwachung der Kraftwerke oder auch Sensoren zur On- Ein weiteres Digitalisierungsbeispiel zeigt, dass Digitalis- line-Überwachung von Generatorbürsten getestet. Die Sen- ierungstechnologien auch für ökologische Fragestellungen sordaten werden in weiterer Folge gespeichert, verarbeitet im Wasserkraftbereich sinnvoll genutzt werden können. Die und mit Hilfe von Algorithmen analysiert. Zusätzlich zum für gemäß der EU-Wasserrahmenrichtlinie erforderliche Fisch- die Auswertungen relevanten Domain- Know-how aus den durchgängigkeit bei Wasserkraftwerken erfordert unter an- traditionellen Technikbereichen (E-Technik, Maschinenbau, derem die Überprüfung der Funktionsfähigkeit errichteter Bautechnik) gewinnt zunehmend Expertise im Bereich der Fischwanderhilfen. VERBUND hat dazu gemeinsam mit Pro- Datenauswertung (Data Science) an Bedeutung. jektpartnern ein innovatives Monitoringsystem entwickelt (vgl. Abb. 5), das mit Hilfe von künstlicher Intelligenz die Ein wesentlicher Teil des Innovationsprogramms ist die En- Videoaufnahmen von passierenden Fischen bestmöglich twicklung von Datenmodellen zur frühzeitigen Erkennung automatisiert analysiert. Dabei können selbst bei starken von Abweichungen vom Normalbetrieb (Anomaliedetek- Wassertrübungen die Anzahl und auch die Art der Fische tion) bzw. zur Restlebensdauer-Berechnung von relevanten festgestellt werden. Diese Technologie hat sich bereits bei Kraftwerkskomponenten basierend auf Live-Prozessdaten. mehreren Fischwanderhilfen bewährt. Ziel ist der flächendeckende Einsatz derartiger Modelle in 3 OIAZ 165
Abb. 5: Fisch-Monitoring-System mit KI-Unterstützung Abb. 6: Fish Monitoring System using AI (Artificial Intelligence) ZUSAMMENFASSUNG VERBUND hat über alle Glieder der Wertschöpfungskette hinweg den Weg zur digitalen Transformation längst einges- chlagen. Dies betrifft speziell auch den Bereich der Stromer- zeugung aus Wasserkraft. Vor über 2 Jahren wurden meh- rere ambitionierte Digitalisierungsprojekte gestartet, die unter dem Schlagwort „Hydropower 4.0“ zusammengefasst werden. Durch eine kontinuierliche und langfristige Bes- chäftigung mit dem möglichen Nutzen verfügbarer Digital- isierungstechnologien strebt VERBUND auch weiterhin eine Vorreiterrolle in der Wasserkraftbranche an. Die Digitalisierung soll vor dem Hintergrund zunehmender Herausforderungen wie beispielsweise steigendes Anlagen- alter, behördliche Vorgaben, veränderte Umweltbedingun- gen oder auch Know-how-Verlust aufgrund von Pension- ierungen einen wichtigen Beitrag zur Kompensierung leisten. Es geht im Wesentlichen darum, auf Basis von bereits ver- fügbaren und noch zu erfassenden Daten den Zustand der Wasserkraftanlagen möglichst präzise bewerten zu können, um letztendlich Schäden zu vermeiden und auch Instandhal- tungsarbeiten zum richtigen Zeitpunkt möglichst effizient durchführen zu können. Zusätzlich kann die Digitalisierung mit intelligenten Inspektions- und Überwachungssystemen auch zur Erhöhung der Anlagen- und Personensicherheit be- itragen. Allein aus diesem Grund ist eine intensive Beschäf- tigung mit den durchaus vielfältigen Digitalisierungsthemen nicht nur dem allgemeinen Trend entsprechend, sondern unverzichtbar. Dr. Bernd Hollauf Projektleiter Digitales Wasserkraftwerk VERBUND Hydro Power GmbH Europaplatz 2, 1150 Wien M +43 664 828 6858 bernd.hollauf@verbund.com 4 OIAZ 165
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