If..faktum - Gewalt gegen Frauen - Land Tirol
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
if..faktum magazin für tirolerInnen . 4_2020 www.tirol.gv.at/frauen if.faktum gleichstellung kompakt © SHUTETRSTOCK Gewalt gegen Frauen Die alltägliche Menschenrechtsverletzung
INHALT EDITORIAL Mag.a Elisabeth Stögerer-Schwarz Abteilung Gesellschaft und Arbeit 03 Leiterin Bereich Frauen und Gleichstellung © LAND TIROL/BERGER Gewaltprävention e.stoegerer-schwarz@tirol.gv.at Eva Pawlata sieht, dass es 2020 www.tirol.gv.at/frauen ein Plus an Betretungsverboten gibt © SHUTTERSTOCK Ein wichtiges Menschenrecht, auf das wir alle schauen wollen D ie Zeit zwischen 25. November und 10. Dezember ist der Aktions- zeitraum „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“. Der 25. November wurde von der UNO als internationaler Gedenktag für die Opfer von Gewalt an Frauen und Mädchen anerkannt und der 10. Dezember ist der internationale Tag der Menschenrechte. In diesen 16 Tagen soll besonders Gewalt gegen Frauen und Mädchen thematisiert werden, 04 16 Tage gegen Gewalt Gewalt gegen Frauen hat viele Facetten diese schwere Form der Verletzung von Menschenrechten in all ihren Ausprägungen in unser Bewusstsein gerückt werden. 08 Wir haben die aktuelle Ausgabe des if:faktum dem Thema Gewalt Bekenntnisse gegen Frauen gewidmet. Wie sieht die Gewaltschutzgesetzgebung UN-Frauenrechtskonvention und Istanbul-Konvention in Österreich aus? Wo können Frauen Hilfe und Schutz finden? An 09 dieser Stelle sei auf die Webseite www.gewaltfrei-tirol.at, die alle Schutz vor Gewalt Einrichtungen zusammenfasst, sowie auf die 24-Stunden-Helpline, Gesetze und Schutzzentren erreichbar unter 0800/222555, verwiesen. 10 Gewalt an Frauen mit Behinderungen Studien zum Thema In Tirol bieten zahlreiche Einrichtungen Information und Beratung für Betroffene an. Auch Opferschutzeinrichtungen helfen in Akut- 11 situationen. Aber Gewalt gerade im sozialen Nahraum geht uns alle Gewaltbereite Männer verstehen an. Und es gilt: hinschauen und nicht wegschauen – unser aller Martin Christandl im Interview Zivilcourage ist gefragt, um Betroffene zu unterstützen. Häusliche 12 Gewalt ist kein privates Problem – das Gesetz schützt alle Kinder und Gewalt Gewaltopfer und stellt klar: Jede Form der Gewalt ist strafbar. Kinder leiden – und werden oft übersehen 14 Alle Tiroler Aktionen rund um die 16 Tage gegen Gewalt an Frauen Behutsame Begleitung finden Sie auf unserer Homepage www.tirol.gv.at/frauen bzw. auf Das Frauenhaus Tirol wird 2021 vierzig Jahre alt Facebook. 16 Kontakte in Tirol Wohin können sich betroffene Frauen wenden? Der Wunsch der Abteilung Gesellschaft und Arbeit geht an alle Leserinnen und Leser: Verlieren wir gemeinsam dieses wichtige Thema nicht aus dem Blick. Bleiben Sie gesund und holen Sie sich Hilfe, wo Sie diese brauchen. IMPRESSUM if:faktum gleichstellung kompakt. Aktuelle Information zu Frauen- und Gleichstellungsthemen für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie interessierte Frauen und Männer. Medieninhaber und Herausgeberin: Land Tirol www.tirol.gv.at/frauen if:faktum ist ein gemeinsames Projekt der Bundesländer Vorarlberg, Tirol, Salzburg und Burgenland und erscheint in vier Regionalausgaben. Redaktion: Ursel Nendzig Tirol-Redaktion: Elisabeth Stögerer-Schwarz, Birgitt Drewes Artdirektion, Layout, Grafik und Bildbearbeitung: Martin Renner, rennergraphicdesign Druck: Samson Druck Auflage: Tirol 4.200, Gesamtauflage 16.300 Beratung, Konzept, Koordination der Produktion: „Welt der Frauen“ Corporate Print für die Abteilung Gesellschaft und Arbeit – Frauen und Gleichstellung. www.welt-der-frauen.at Einwilligung zur Datenverarbeitung und Information nach Art. 13 DSGVO: Ich erteile dem Land Tirol/der Tiroler Landesregierung (Eduard-Wallnöfer-Platz 3, 6020 Innsbruck – Datenschutzbeauftragter: Dr. Norbert Habel, E-Mail: datenschutz- beauftragter@tirol.gv.at, Tel.: +43 512 508 1870) die ausdrückliche Einwilligung, meine personenbezogenen Daten zum Zweck des Versands des if:faktum Gleichstellung kompakt zu verarbeiten. Diese Daten werden nicht an Dritte weiter- gegeben. Diese Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden. Senden Sie uns eine E-Mail an ga.frauen@tirol.gv.at. Mit der Kündigung Ihres Abonnements werden Ihre Daten unverzüglich gelöscht. Die bis zum Zeitpunkt des Widerrufs erfolgte Datenverarbeitung wird durch den Widerruf nicht berührt. Darüber hinaus besteht ein Beschwerderecht an die Datenschutzbehörde. 2 if..faktum 4_2020
© FLORIAN LECHNER STANDPUNKT 3 kurze Fragen an Gewalt geht uns alle an Eva Pawlata Liebe Leserin, lieber Leser! 2020 hat Frauen vor extreme Herausforderungen ge- stellt. Wie erlebten Sie das im Gewaltschutzzentrum? Opfer von Gewalt brauchen Schutz, vor allem Während des Lockdowns bekamen wir weniger neue wenn die Misshandlungen im unmittelbaren Klientinnen, auch weniger Betretungsverbote wurden sozialen Umfeld geschehen. Häusliche Gewalt darf ausgesprochen. Danach aber steigerte sich das rasch, die kein Tabuthema mehr sein! Uns allen muss klar Aggressionen und die Betretungsverbote nahmen rasant sein, dass bei Gewalt die gesamte Gesellschaft zu. Frauen fanden sich in vielen traditionellen Rollen gefordert ist, hinzuschauen und zu handeln. wieder: Kinder, Schule, Haushalt … Die häusliche Gewalt In Tirol wurde daher ein Gewaltschutzplan er- war österreichweit bis zu dreimal so intensiv. arbeitet, der die landesweiten Strukturen der Gewaltprävention und des Opferschutzes im sozialen Nahraum behandelt. Dieser gibt einen Wo sind aktuell die Barrieren und Fallen für Frauen? Überblick über die im Gewalt- und Opferschutz Der Hauptfaktor ist immer noch die Abhängigkeit von sowie in der Gewaltprävention tätigen Akteurin- Frauen – finanziell und emotional. Es fehlt massiv an nen und Akteure. Der Plan umfasst sowohl die umfassender Gleichberechtigung für Frauen. rechtlichen Rahmenbedingungen als auch die spezifischen Präventionsangebote für Frauen, Was wünschen Sie sich konkret von der Tiroler Mädchen, Kinder und Jugendliche, aber auch Gesellschaft? Täterinnen und Täter. Im Gewaltschutzplan werden Anerkennung für die Arbeit und die Rollen der Frauen. Empfehlungen zum weiteren effektiven Ausbau Wir sind weit weg von Gleichberechtigung. Außerdem des Gewalt- und Opferschutzes aufgezeigt. braucht es Offenheit für Maßnahmen, die zu dieser Diese bieten eine gute Basis, die unsere bereits in Gleichberechtigung führen. Umsetzung befindlichen Schritte untermauert. Eva Pawlata Geschäftsführerin Gewaltschutzzentrum Tirol, © LAND TIROL/BERGER www.gewaltschutzzentrum.at DIin Gabriele Fischer Landesrätin für Frauen und Gleichstellung Auf Punkt und Komma 14 2020 mehr Betretungsverbote als zuvor Im Fünfjahreszeitraum 2014 bis 2018 ist die Zahl der in Tirol durch die Polizei verhängten Betretungsverbote annähernd stabil geblieben (2018: 435), mit einem positiven Ausreißer 2017, als um zwanzig Prozent mehr Schutzmaßnahmen gesetzt wurden (549). Trotzdem war Tirol sowohl 2017 als auch 2018 das Bundesland mit der geringsten Zahl an Betretungsverboten je 10.000 Einwohne- rinnen und Einwohner mit 7 bzw. 5,9 Interventionen. 2019 erfolgten 516 Betre- 14 Einrichtungen im Frauen- und tungsverbote, also wiederum ein Plus von fast zwanzig Prozent. Österreichweit Mädchenbereich bieten Maß- waren es in beiden Jahren 9,1 Betretungsverbote pro 10.000 Einwohnerinnen nahmen der Primärprävention an, und Einwohner. Auf Bezirksebene erfolgte der stärkste Rückgang von 2017 auf mit Schwerpunkten auf Information 2018 im Bezirk Reutte (um 82 Prozent), in Landeck blieb die Anzahl gleich, und Aufklärung, aber auch auf der nirgendwo gab es ein Plus. Im Jahr 2020 wurden nach dem Lockdown Weitervermittlung von Klientinnen österreichweit bis zu dreimal so viele Betretungsverbote ausgesprochen. an spezifischere Stellen. Quelle: Gewaltschutzplan Tirol 2020 if..faktum 4_2020 3
COVER Gewalt gegen Frauen hat viele grausame Gesichter. Sie geschieht weltweit, in jeder einzelnen Sekunde. Die Aktion „16 Tage gegen Gewalt“ richtet den Blick auf diese häufigste Menschenrechtsverletzung. 16 Tage gegen Gewalt Zahlen in Österreich In Österreich ist jede fünfte Frau seit ihrem 15. Lebensjahr körperlicher und/oder sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Jede dritte Frau hat eine Form sexueller Belästigung erfahren. Jede siebte Frau ist von Stalking betroffen. 2019 haben 26 Frauenhäuser insgesamt 3.310 Personen betreut (1.673 Frauen, 1.637 Kinder). 2019 wurden von der Polizei 8.748 Betretungsverbote ausgesprochen. Die Zahl steigt jährlich leicht an, 2012 waren es 8.063. 2019 erhielt die Frauenhelpline gegen Gewalt (0800/222555) insgesamt 8.730 Anrufe, davon 6.901 von Frauen oder Mädchen. 6,4 Prozent der von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen bringen die Tat zur Anzeige. Die Verurteilungsquote bei Vergewaltigung lag im Jahr 2018 bei 13,1 Prozent. Im Jahr 2015 gab es in Österreich 17 Femizide (Morde an Frauen, die aufgrund ihres Geschlechts getötet wurden), 2016 waren es 28. 2017 waren 36 Frauen Opfer von Mord, 2018 stieg die Zahl auf 41 und 2019 waren es 39. Im laufenden Jahr 2020 (Stand: September) gab es bisher 17 Frauenmorde. 4 if..faktum 4_2020
ie kommenden 15 Minuten seien „nichts 1991 rief das amerikanische Center for Women’s für schwache Nerven“: So kündigten ver- Global Leadership die „16 Days of Activism Against gangenen Mai die beiden Fernsehstars Klaas Gender Violence“ aus, eine Aktion, an der sich heute Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt eine über 6.000 Organisationen aus der ganzen Welt Sendung an, deren Zeit sie von ihrem Heimat- beteiligen. In diesem Jahr stehen die Aktionstage unter sender, dem deutschen Privatsender ProSieben, im dem Motto „#ratifyILO190“ – also im Zeichen des Rahmen einer Gameshow gewonnen hatten. Eine „Übereinkommens 190“, das die Allgemeine Konferenz Viertelstunde, in der die beiden ihre Bühne nicht der Internationalen Arbeitsorganisation erließ: ein ihrem üblichen Klamauk, sondern dem Thema Gewalt Übereinkommen über die Beseitigung von Gewalt und gegen Frauen überließen. Zu sehen war, am besten Belästigung in der Arbeitswelt. und teuersten Sendeplatz zu Beginn des Hauptabend- programmes, die fingierte Ausstellung „Männerwelten“. Formen und Folgen Sophie Passmann (Moderatorin, Feministin und Auto- Gewalt in der Arbeitswelt ist eine von vielen Facetten rin des Buches „Alte weiße Männer“) führte durch die von Gewalt gegen Frauen. Sie alle stellen, laut Ausstellung, bei der sie sowohl per SMS verschickte UNICEF, die häufigsten Verletzungen von Menschen- „Dick Pics“ zeigte als auch Outfits, die Vergewalti- rechten weltweit dar. Gewalt gegen Frauen geschieht gungsopfer trugen, als diese überfallen wurden. auf emotionaler, psychischer und physischer Ebene. 15 Minuten, die viele verschiedene Facetten eines Dazu gehören die verschiedenen Formen der häusli- Themas zeigten, das schon uralt ist – und nie an chen Gewalt, die weltweit am häufigsten auftretende Aktualität verloren hat. Form und zugleich die grausamste, befindet sich das Opfer doch in einer engen (familiären) Beziehung Gewalt gegen Mädchen und Frauen ist immer, ist zum Täter: Schläge, Verbrühungen, Einsperren oder überall und hat viele Gesichter. Um für diesen trauri- Essensentzug, Beleidigungen, Erniedrigungen, gen Umstand Bewusstsein zu schaffen, wurden die Erpressungen, Gewaltandrohung. Frauen und „16 Tage gegen Gewalt“ ausgerufen. Ein Aktions- Mädchen sind außerdem besonders häufig von zeitraum, der die Tage zwischen dem 25. November – sexueller Gewalt betroffen. Auch hier kommen die dem internationalen Gedenktag für alle Frauen und Täter sehr oft aus dem nahen sozialen Umfeld. Auch Mädchen, die Opfer von Gewalt wurden – und Stalking und Gewalt im Netz (siehe Kasten) sind dem 10. Dezember umfasst. Das Datum ist nicht Formen von Gewalt, die häufig Frauen betreffen. zufällig gewählt. Der Gedenktag am 25. November geht auf die Ermordung dreier Schwestern zurück, Die Folgen aller Formen von Gewalt sind komplex Patria, Minerva und María Teresa Mirabal, Regime- und weitreichend. Sind die körperlichen Folgen wie gegnerinnen, die 1960 in der Dominikanischen Blutergüsse, Prellungen, Abschürfungen, Knochen- Republik von Schergen des Diktators Trujillo brutal brüche, Verletzungen an inneren und äußeren ermordet wurden. Organen, Stichwunden, Schussverletzungen und Gewalt im Netz Sie wächst rasant und trifft besonders Frauen Eilverfahren sollen ermöglicht, die Ausforschung und Mädchen: die sogenannte Cybergewalt. von Tätern erleichtert werden. Plattformen Dazu gehören Beleidigungen, Bloßstellungen, haben die Pflicht, Postings, die eindeutig unter Verbreitung von Falschinformationen, Hetze, den Tatbestand der Nötigung, gefährlichen Dro- Hasskommentare oder sogar Vergewaltigungs- hung, Beleidigung, Erpressung oder Verhetzung und Morddrohungen im digitalen Raum. Nicht fallen, innerhalb von 24 Stunden zu löschen. selten hängt sie mit Gewalt im realen Leben Auch das sogenannte Upskirting (unerlaubtes zusammen. Fotografieren des Intimbereiches, der mit Klei- dung bedeckt ist, also etwa unter den Rock) fällt Dem soll das Gesetzespaket „Hass im Netz“ unter die Löschpflicht. Opfer von Cybergewalt entgegenwirken. Das Kommunikationsplattfor- müssen allerdings selbst Anzeige erstatten und © SHUTTERSTOCK men-Gesetz soll Social-Media-Plattformen in die die Kosten für den Prozess tragen, falls sie Pflicht nehmen, der Opferschutz und gerichtliche diesen verlieren. if..faktum 4_2020 5
© SHUTTERSTOCK Verbrennungen heilbar, bleiben die auch ihre Wohnung, verzichten auf gemeinsames oder unsichtbaren seelischen Verletzun- sogar eigenes Eigentum und auf Unterhalts- oder gen mit langwierigen und schwer- Schadenersatzzahlungen. Frauen, die Opfer von Gewalt wiegenden Folgen. Überlebende werden, fehlen häufiger am Arbeitsplatz, sind weniger häuslicher Gewalt bleiben traumati- belastbar und gefährdet, ihren Job zu verlieren. Sind die siert. Sie leiden unter Angstzustän- psychischen Folgen der Misshandlung gravierend, kann den, Schlafstörungen, Depressionen, es sein, dass Frauen gar nicht mehr erwerbsfähig sind. Scham- und Schuldgefühlen. Sie fühlen sich schmutzig und stigmati- Corona und Gewalt siert, haben ein niedriges Selbst- Der Zustand der Isolation infolge der Corona-Pandemie wertgefühl, sind verzweifelt, verletzen sich selbst oder intensiviert die räumliche Nähe zwischen Tätern und haben Todessehnsucht. Häufig treten Essstörungen und Opfern – und minimiert die Möglichkeiten, dieser zu Abhängigkeiten auf. Dauert eine Misshandlung über entfliehen. Eine deutsche Studie zeigt, dass während einen langen Zeitraum an, verlieren Betroffene ihr der Quarantänezeit knapp 7,5 Prozent der Frauen und Sicherheitsgefühl, ziehen sich zurück und entwickeln 10,5 Prozent der Kinder Opfer häuslicher Gewalt wurden. Wahrnehmungsstörungen oder sogar schwere Für Österreich fehlen die Zahlen, doch auch die Bera- psychische Störungen. tungshotline „Rat auf Draht“ verzeichnete in diesem Zeitraum einen Anstieg von Anfragen um 30 Prozent. Häufig wird eine weitere Folge häuslicher Gewalt über- Zudem darf nicht vergessen werden, dass die Dunkel- sehen: die ökonomischen Schäden. Verlassen Frauen ziffer hoch sein dürfte: Schulen, Kindergärten und aus Angst ihr gewaltvolles Umfeld, verlassen sie damit Arbeitskollegen fehlen als soziale Kontrollorgane. Aktionen gegen Gewalt Orange The World 16 Tage gegen Gewalt 2015 wurde diese Kampagne von den Vereinten Zwischen 25. November und 10. Dezember Nationen, genauer der UN Women, ins Leben gerufen. wird dieser Aktionszeitraum weltweit ge- Aus Solidarität mit Opfern geschlechtsspezifischer nutzt, um das Ausmaß und die Ausprägun- Gewalt werden dabei Gebäude orangefarben ange- gen von Gewalt gegen Frauen zum Thema zu strahlt, um ein sichtbares Zeichen zu setzen. machen und Bewusstsein dafür zu schaffen, dass 2017 nahm erstmals das österreichische Nationalkomitee Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung teil – und so erstrahlten 2018 in ganz Österreich rund auch negative Folgen für die gesamte Gesellschaft hat. 70 Gebäude orangefarben. www.16dayscampaign.org www.unwomen.at/unserearbeit/ kampagnen/orange-the-world/ Fahnenaktion Die gemeinnützige Menschenrechtsorganisation Terre des GewaltFrei Leben Femmes kämpft seit knapp 40 Jahren für die Rechte von Im Rahmen dieser österreichischen Kampagne werden Frauen und Mädchen. Inhalte ihrer Arbeit sind neben ganz unterschiedliche Maßnahmen gegen Gewalt an häuslicher und sexualisierter Gewalt auch weibliche Frauen gesetzt. 2014/2015 vom Frauenministerium, dem Genitalverstümmelung, Frauenhandel, Gewalt im Namen Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser, der der Ehre und vieles mehr. Dazu hat die Organisation Ak- Bundesjugendvertretung und der Interventionsstelle tionen ins Leben gerufen, darunter die Fahnenaktion am Wien ins Leben gerufen, wird seither die Frauenhelpline 25. November: Unter dem heurigen Motto „#meinherz- gegen Gewalt (0800/222555) bekannt gemacht, Pro- gehörtmir – gegen Zwangsverheiratung und Frühehen“ jekte, Unternehmen und Personen unterstützt und werden an diesem Tag Fahnen geschwenkt. umfangreiches Infomaterial erstellt. www.frauenrechte.de/unsere-arbeit/ www.gewaltfreileben.at aktionen/fahnenaktion 6 if..faktum 4_2020
„Gewalt gegen Frauen kommt überall vor“ Birgitt Haller forscht seit 23 Jahren zum Thema Gewalt. Seit 2012 ist sie wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Konfliktforschung in Wien. Im Interview berichtet sie über die aktuelle Situation in Österreich, die Auswirkungen von Corona und davon, welche Veränderungen es braucht. Wie sieht die Situation für Frauen in Österreich aus? und die man leichter verdrängen kann. Frauen sind von Haller Grundsätzlich gut. Das Gewaltschutzgesetz war ein Männergewalt in der Privatheit betroffen. Das bedeutet: Sie großer Wurf und wurde von anderen Ländern teilweise leben in der Gewaltbeziehung. Diese Frauen haben keinen übernommen. Die Novelle, die dazu Anfang des Jahres in Rückzugsort mehr. Häusliche Gewalt ist also nicht nur wegen Kraft getreten ist, sehe ich nicht unbedingt als Verbesserung. der Häufigkeit schlimmer, sie hat auch mehr Gewicht. Bei Vergewaltigung gibt es jetzt etwa eine An- zeigepflicht – durch Ärztinnen und Ärzte bei- Gibt es den typischen Täter? spielsweise. Wir haben es hier aber mit aller- Das ist eine gefährliche Frage. Es ist ganz heikelsten und belastenden Themen zu tun, wichtig, zu betonen, dass es keinen typischen die großes Vertrauen voraussetzen, und wenn Täter gibt. Gewalt gegen Frauen kommt über- eine Frau nicht anzeigen will, muss das res- all vor. In jedem Milieu, weltweit. Das Bild © HELGA AMESBERGER pektiert werden. Die Ausweitung des Annähe- vom gewaltbereiten, arbeitslosen, ausländi- rungsverbotes (siehe Seite 9, Anm.) ist eine schen Mann ist ein großer Irrtum. Auch gut gute Neuerung, die den Schutz für Frauen situierte Akademiker sind Täter. erhöht. So weit die gesetzliche Situation. Was die Realität betrifft, ist zu beobachten, dass in den letzten Wie hat sich der Coronavirus-bedingte Lockdown nieder- Jahren die Anzahl der Femizide stark gestiegen ist. Dafür geschlagen? habe ich keine fundierte Erklärung. Was auffällt: Während des Lockdowns hat es fast keine Mor- de an Frauen gegeben. Andere Indikatoren wurden in Öster- Sie benutzen meist nur die männliche Form, „Täter“. reich nicht erhoben und ausgewertet. Ich denke, dass sich Sollte man hier nicht auch genderneutral formulieren? deutlich nachweisen ließe, dass sich die Gewaltbetroffenheit Mir ist gendergerechte Sprache sehr wichtig. In diesem Zu- von Frauen verschlechtert hat. Zu einer massiven Gewalt- sammenhang benutze ich aber ganz bewusst die männliche beziehung zählt, wenn man Kontrolle über die Partnerin Form „Täter“, weil hier die gleichwertige Nennung von Frau- ausübt. Sind beide zu Hause und können womöglich über en und Männern zu einer Verzerrung führen würde: 85 Pro- Wochen nicht hinaus, ist das eine Grundlage für Ausweitung zent aller Klientinnen und Klienten der Interventionsstellen der Gewalt. Besser kann es ein Täter eigentlich nicht treffen. sind Frauen, nur 15 Prozent Männer. Die Anrufe bei der Helpline sind jedenfalls mehr geworden, was vermutlich nicht nur mit einer Zunahme von Gewalt- Welcher Art von Gewalt sind Frauen hauptsächlich vorfällen zu tun hat, sondern auch damit, dass einige Nach- ausgesetzt? barinnen und Nachbarn angerufen haben, weil sie vermehrt In unseren Untersuchungen haben wir festgestellt, dass zu Hause waren und dadurch stärker mitbekommen haben, Frauen vor allem psychischer Gewalt ausgesetzt sind – was nebenan passiert. Das ist ja unser größtes Problem: Demütigungen, Abwertungen. Von körperlicher Gewalt im Häusliche Gewalt ist tabuisiert, und die meisten Menschen strafrechtlichen Sinne sprechen wir erst, wenn es Verletzun- hören und schauen gerne weg. gen gibt. Die Ohrfeige ohne Verletzung ist nach dieser Defi- nition noch keine Gewalt. Sexuelle Gewalt ist seltener, hier Was braucht es, um Gewalt gegen Frauen erfolgreich zu haben wir aber festgestellt, dass auch ältere Frauen sexueller bekämpfen? Gewalt, oft über die gesamte Beziehungsdauer hinweg, Besonders wichtig für eine nachhaltige Veränderung ist, dass ausgesetzt sind. ein gesellschaftlicher Wandel passiert. Frauen müssen ge- genüber Männern endlich gleichwertig behandelt werden. Wo sind Frauen besonders gefährdet? Das geht nur, wenn man mit Buben- und Mädchenarbeit Es gab vor einiger Zeit eine Plakatinitiative, da hieß es: „Der anfängt, neue Geschlechterrollen vermittelt werden. Buben gefährlichste Ort ist das Schlafzimmer.“ Das stimmt leider. dürfen weinen, Mädchen dürfen laut sein. Beide sind gleich Häusliche Gewalt ist die häufigste Form. Wobei auch der viel wert. Denn auch das haben wir während des Lockdowns öffentliche Raum ein Schauplatz ist. Wenn wir uns hier einen deutlich gesehen: Das Missverhältnis fängt damit an, wer die Geschlechtervergleich anschauen, sehen wir, dass Männer Hausarbeit macht. mehr von Männergewalt in öffentlichem Raum betroffen sind – meist in einer Begegnung, die nur einmalig vorkommt Institut für Konfliktforschung: www.ikf.ac.at if..faktum 4_2020 7
© SHUTTERSTOCK Bekenntnisse Vor knapp 40 Jahren bekannte sich Österreich zur UN-Frauen- rechtskonvention und verpflichtete sich damit, die Diskriminierung von Frauen in sämtlichen Lebensbereichen zu bekämpfen. A rbeits- und Sozialleben, Partnerschaft, Familie, Bildung, politisches und öffentliches Leben, Schutz vor Gewalt: die Konvention zur Beseitigung Elimination of All Forms of Discrimination against Women), kurz Frauenrechtskonvention, wurde im Dezember 1979 von der Generalversammlung der jeder Form der Diskriminierung von Frauen umfasst Vereinten Nationen verabschiedet. Im Jahr 1980 un- alle Lebensbereiche. Die CEDAW (Convention on the terzeichnete Österreich das Dokument, 1982 wurde es hier schließlich in Kraft gesetzt. Istanbul-Konvention Seit dem Jahr 2000 verpflichtete sich Österreich Gewalt gegen Frauen außerdem dazu, alle vier Jahre schriftlich über die Fortschritte der Umsetzung zu berichten, zuletzt 2019. „Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Be- Für diese Berichte werden vom Bundeskanzleramt kämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ Fragen der Vereinten Nationen beantwortet – so auch heißt das Dokument, das als Istanbul-Konvention bekannt ist. jene nach der Bekämpfung von Gewalt an Frauen. Am 11. Mai 2011 wurde es von 13 Staaten, darunter auch In der Antwort auf diese Frage werden Maßnahmen Österreich, in Istanbul unterzeichnet. Die Staaten sind damit angeführt, wie einzelne Projekte (zum Beispiel verpflichtet, die Konvention rechtlich verbindlich umzusetzen, Perspektive:Arbeit), Förderungen (wie jene der dazu gehören weitreichende Verpflichtungen zur Prävention, Bundesarbeitsgemeinschaft Opferschutzorientierte zum Schutz von Opfern und zur wirksamen Strafverfolgung. Täterarbeit), die Erfolge der Frauenhäuser und vieles Dabei umfassen die Regelungen alle Formen geschlechtsspezi- mehr. Auch die Umsetzung der Istanbul-Konvention fischer Gewalt gegen Frauen: körperliche, psychische und se- ist im jüngsten Bericht an die CEDAW ein Thema. xuelle Gewalt, häusliche Gewalt, Stalking, Zwangsverheiratung „Österreich wurde (…) ein sehr positives Zeugnis im und weibliche Genitalverstümmelung. Voraussetzung für den Hinblick auf die legistische Umsetzung der Istanbul- effektiven Schutz vor individueller Gewalt ist dabei, so die Konvention (siehe Kasten, Anm.) ausgestellt“, heißt es, Konvention, faktische Gleichstellung von Frauen in der Gesell- „und hier kaum Verbesserungsbedarf aufgezeigt.“ schaft, da dahinter die ungleichen gesellschaftlichen Macht- verhältnisse der Geschlechter stecken. Ein Komitee von inter- Das CEDAW-Komitee spricht wiederum Empfehlungen nationalen Expertinnen und Experten, kurz GREVIO (Group of an Österreich, wie an alle geprüften Länder, aus. Experts on Action against Violence against Women and „Das Komitee begrüßt die Verabschiedung des Ge- Domestic Violence), überprüft die Einhaltung der Ver- waltschutzgesetztes“, heißt es darin, sowie „die Ein- pflichtungen und spricht Schlussfolgerungen aus. richtung der interministeriellen Arbeitsgruppe Schutz von Frauen vor Gewalt“. Aber auch Bedenken bringt das Komitee zum Ausdruck. So etwa die hohe Zahl an Femiziden in Österreich, die geringe Anzeigehäufigkeit von häuslicher Gewalt gegen Frauen und die niedrige Zahl strafrechtlicher Verfolgungen von Tätern. Auch Vorfälle von Hassverbrechen und Angriffe auf unterzeichnet und ratifiziert geflüchtete Frauen und Mädchen werden darin unterzeichnet kritisiert. Genau wie die unzureichende Finanzierung nicht unterzeichnet von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die Frauen, die Opfer von geschlechterbasierter Gewalt wurden, Quelle: Europarat unterstützen. 8 if..faktum 4_2020
Schutz vor Gewalt Die positive Nachricht: In Österreich sind Opfer von Gewalt gut geschützt. Zum einen durch Gesetze, zum anderen durch konkrete Hilfe: von Gewaltschutzzentren, Polizei, Jugendamt – und Zivilcourage. S eit Mai 1997 ist in Österreich das Gewaltschutzgesetz in Kraft. Ein Gesetz, das die Situation für von Gewalt betroffene oder bedrohte Menschen erheblich verbesserte. So ermöglicht wenn Kinder von Gewalt betroffen sind. Nur so war es mög- lich, Kinder, die bis dahin nur sehr unzulänglich bedacht waren, vor häuslicher Gewalt zu schützen. es, dass Opfer von häuslicher Gewalt in ihrem Zuhause bleiben können, während Täter und Täterinnen – etwa Ehepartner, In allen Bundesländern gibt es außerdem zum Schutz der Lebensgefährten, Verwandte oder Mitbewohnerinnen und Mit- Opfer Gewaltschutzzentren und in Wien Interventions- bewohner – dieses verlassen müssen. Auch das zweiwöchige stellen. Sie bieten nicht nur Information und Beratung für Betretungsverbot, das die Polizei dem Täter oder der Täterin betroffene Personen an, sondern begleiten diese auferlegen kann, ist ein großer Schritt für Opfer von Gewalt. auch auf dem oft schwierigen Weg zu Polizei, Gericht und Behörden. Spricht die Polizei ein Be- 2013 wurde das Betretungsverbot auch auf von Gewalt be- tretungsverbot aus, verständigt sie unmittelbar troffene Kinder ausgeweitet und auf Schulen bzw. Kinder- danach das Gewaltschutzzentrum des jeweiligen betreuungseinrichtungen erweitert. Außerdem wurde es mit Bundeslandes, das dann das Opfer kontaktiert dieser Erweiterung Pflicht, das Jugendamt zu informieren, und Hilfe anbietet. Gewaltschutzgesetz: Das ist neu Was tun? Mit 1. 1. 2020 trat eine weitreichende · Zeigen Sie Zivilcourage. Ignorieren und wegschauen hilft den Novelle des Gewaltschutzgesetzes in Opfern nicht – reagieren und sich einmischen hilft. © SHUTTERSTOCK Kraft. Darin sind unter anderem folgende Punkte enthalten: · Gibt es einen konkreten Fall in Ihrem Umfeld? Sie können bei der • Zusammen mit dem Betretungsverbot Frauenhelpline (0800/222555) gezielt Informationen einholen. gibt es ein Annäherungsverbot, das dem oder der Gefährdenden untersagt, · Haben Sie Gewalt beobachtet? Hilfeschreie gehört? sich dem Opfer auf weniger als Dann muss schnell gehandelt werden. 100 Meter zu nähern. Das Opfer ist -> Läuten Sie an und fragen Sie nach einer Kleinigkeit (einer Zwiebel, einem damit überall geschützt, nicht mehr Ladegerät …) – dadurch wird die Gewalt erst einmal unterbrochen und signalisiert, nur in der eigenen Wohnung. dass jemand mithört. • „Cybermobbing“ ist nun ausdrücklich -> Die Gewaltausübung beenden, möglichst mit der Unterstützung anderer im Gesetz erfasst. So kann dem Täter Menschen. oder der Täterin verboten werden, von -> Wenn das zu gefährlich ist: Polizeinotruf 133 wählen. der gefährdeten Person Bild- oder Wichtig: Es kann sein, dass sich das Opfer (aufgrund der Abhängigkeit vom Täter) Tonaufnahmen zu machen. Dies gilt abweisend zeigt. Das ist eine normale Reaktion. auch für Minderjährige. -> Sind Kinder involviert? In dem Fall sollten Sie umgehend die Polizei rufen und/ • Im Bereich des Strafrechtes wurden oder das Jugendamt informieren. Verschärfungen der Strafen verankert. Bei Stalking wurde der Strafrahmen · Bieten Sie Hilfe an, indem Sie die von Gewalt betroffene Person zu einem günstigen auf drei Jahre angehoben. Zeitpunkt ansprechen. • Bei Vernehmung des Opfers ist eine -> „Ich möchte helfen, verstehe aber, dass Sie nicht darüber sprechen können. Dolmetscherin bzw. ein Dolmetscher Was kann ich für Sie tun?“ des gleichen Geschlechts möglich. -> „Sie können immer zu mir kommen, ich werde es niemandem sagen.“ • Gewaltopfer können kostenlos ihre -> „Hier ist meine Nummer. Rufen Sie jederzeit an. Wir machen uns ein Zeichen Namen und die Sozialversicherungs- aus für den Fall, dass Sie Hilfe brauchen.“ nummer ändern. • Ab 1. 1. 2021 wird es eine verpflichten- · Generell: Bieten Sie Hilfe an, setzen Sie die betroffene Person aber nicht unter de Gewaltpräventionsberatung nach Druck. Respektieren Sie die Entscheidung, wenn die angebotene Hilfe nicht Anordnung eines Betretungs- und angenommen wird. Annäherungsverbotes geben. if..faktum 4_2020 9
Gewalt an Frauen mit Behinderungen Ein Großteil der Frauen mit Behinderungen erlebt im Lauf des Lebens Gewalt – von Diskriminierung bis zu jahrelangem sexuellem Missbrauch. Dies bestätigen Studien in der EU und in Österreich. E s ist ein Tabu: Gewalt an Frauen und Mädchen mit Behinderung. Zudem ist es ein komplexes und vielschichtiges Thema, da Betroffene häufig von Für Österreich wurde das Thema 2019 auch erstmals Teil einer repräsentativen Studie. Unter der Leitung von Hemma Mayrhofer vom Institut für Rechts- und anderen Menschen abhängig sind. Besonders ge- Kriminalsoziologie wurden in Summe 376 Erwachse- fährdet sind Frauen mit Kommunikationsbeein- ne – Frauen und Männer – mit Behinderungen oder trächtigungen, Lernschwierigkeiten, Mehrfachbehin- psychischer Erkrankung befragt, die in Wohnheimen, derungen sowie Frauen mit Behinderungen und betreuten Wohngemeinschaften, Tagesstruktureinrich- Migrationshintergrund. tungen oder unter ähnlichen Gegebenheiten leben. Im Jahr 2014 wurde im Rahmen des EU-Daphne- Frauen häufiger betroffen Projekts „Zugang von Frauen mit Behinderung zu Die Studie lieferte erschütternde Zahlen: Mehr als Opferschutz- und Unterstützungseinrichtungen bei 80 Prozent der Menschen mit Behinderung oder psy- Gewalterfahrungen“ ein Bericht veröffentlicht, in dem chischer Erkrankung haben in ihrem Leben bereits psy- deutlich wird, dass Frauen mit Behinderungen Gewalt chische Gewalt erfahren. Die Hälfte aller Befragten gab nicht nur als vielfältig, sondern auch als allgegenwärtig an, bereits von sexueller Gewalt betroffen gewesen zu erleben. Laut Auskunft der befragten Frauen gebe es sein – sexuelle Belästigung oder schwerere Formen. Ein keinen Ort, an dem Gewalt gegen sie nicht ausgeübt Drittel berichtete von schweren Formen sexueller Ge- werden könne – im eigenen Haushalt, in Ausbildungs- walt mit direktem Körperkontakt. Frauen waren dabei zentren, am Arbeitsplatz, in unterschiedlichen Institu- wesentlich öfter von sexueller Gewalt betroffen als tionen der Behindertenhilfe, im Gesundheitssystem Männer (allerdings sind Männer mit Behinderungen und in Alltag und Freizeit. Sie berichten von Fremd- erheblich öfter betroffen als jene ohne Behinderung). bestimmung, Diskriminierung, Geringschätzung, Drohungen, Unterdrückungen und Missachtung der Im Rahmen der Studie ermittelten die Forscherinnen, Privatsphäre. dass das Risiko von Gewalterfahrungen für Menschen mit Behinderungen signifikant höher ist. © SHUTTERSTOCK Dabei gibt es Risikofaktoren, die dies begünstigen, etwa in einem lieblosen oder von Gewalt geprägten Umfeld aufgewachsen zu sein. Außerdem wurde in der Analyse deutlich, dass in Einrich- tungen mit schwächerer Personalstruktur die Befragten deutlich öfter Gewalt erleben mussten. Die Studie hält aber auch Lösungsansät- ze bereit: neben ausreichend Betreu- ungspersonal etwa, dem Aufwachsen in einem von Gewalt und Lieblosigkeit geprägten Umfeld entgegenzuarbeiten. Zudem müssen Information und Unter- stützung gegen Gewalt einfach und der Lebenswelt angepasst verfügbar sein. Und: Soziale Kontakte und Vertrauens- personen innerhalb und außerhalb der Einrichtungen wurden als wichtiger Schutz gegen Gewalt identifiziert. 10 if..faktum 4_2020
© CHRISTANDL Gewaltbereite Männer verstehen Täter einzusperren allein hilft nichts. Gewalt muss viel früher verhindert werden – das ist der Ansatz der Gewaltarbeit. Psychotherapeut Martin Christandl ist seit 25 Jahren Leiter der Männerberatungsstelle „Mannsbilder“ und beobachtet Entwicklungen in der Gesellschaft und die Diskussion von Gewalt. Ihre Beratungsstelle heißt „Mannsbilder“. Hauptsache, sie kommen! Allein das Vereinbaren eines Unter welchem Bild leiden denn gewaltbereite Termins zeigt schon eine gewisse Motivation. Männer oder Täter? Christandl Der Plural ist hier wichtig, denn es gibt Ist es möglich, Täter zu verstehen? nicht das eine, sondern viele Männerbilder. Daraus Ja. Ich denke, es gibt niemanden, der Gewaltbereitschaft entsteht eine große Verunsicherung, jeder Mann muss nicht kennt. Jemand zu verletzten, wenn man verletzt sich ein Stück weit finden, das Anlehnen an das tradi- ist, ist zutiefst menschlich und wird eigentlich schon im tionelle Bild ist schwieriger geworden. Wir dürfen nicht Kindergarten gelernt. Gewalt ist alltäglich, sie ist weder vergessen: Noch vor 100 Jahren gab es das traditionel- Bagatelle noch Skandal, sondern unser Alltag. Es hilft le Bild des starken Mannes, auch das Gewaltverbot ist nichts, wenn wir uns empören, vielmehr müssen wir relativ neu. Die erste Generation Männer sammelt ge- schon unseren Kindern beibringen, ihre Emotionen zu rade Erfahrung in diesem Setting und scheitert an den regulieren, eine Möglichkeit zu finden, mit dem Druck Erwartungen, auch an den eigenen. In der Männer- umzugehen, ohne andere zu verletzen. Dazu kommt: beratung geht es darum, zu sagen: Es gibt kein Patent- Kleine Buben haben oft schon keinen Glanz in den Au- rezept, nur Leitplanken, die sagen: keine Gewalt, keine gen, wenn man sie fragt, ob sie sich freuen, einmal ein Herabwürdigung, Fairness, Respekt. Mann zu sein. Mannsein ist verbunden mit Arbeit, Druck, mit Funktionierenmüssen, ein Männerbild, das bitter ist. Wie hilft Männerberatung gewaltbereiten bzw. gewalttätigen Männern? Hat sich Gewalt in den letzten Jahren verändert? Unsere Intention ist: Hilfestellung für Männer. Es ist Wir stellen fest, dass die sexualisierte Gewalt auch bei keine Krankheit, sondern ein Verbrechen. Diese Klar- jungen Männern zugenommen hat, zuerst in der heit macht es erst möglich, dass wir mit diesen Män- Sprache und dann auch in sexualisierten Übergriffen. nern arbeiten können. Ich bin froh, dass wir in Öster- Zudem gibt es eine Verschärfung der Gewalt – dass reich ein klares Gewaltschutzgesetz haben – nicht so zum Beispiel Jugendliche nicht mehr aufhören, auf am gut hat sich der Strafvollzug entwickelt, wo starke Boden Liegende so lange eintreten, bis sie bewusstlos Überbelegung herrscht. Der Großteil der Männer sind. Das war früher ein Tabu. Auch Männer berichten, kommt freiwillig zur Beratung, nur zehn bis 17 Prozent dass sie erschrecken über das, was sie getan haben. haben eine gerichtliche Auflage. In beiden Fällen gilt: Woran liegt das? Männer stehen unter Druck, beruflich, wirtschaftlich, finanziell. Dieser hat deutlich zugenommen, setzt sich in der Familie fort und fördert die Gewalt. OTA: opferschutzorientierte Täterarbeit Und wie könnte man dem entgegenwirken? Seit 2012 gibt es die BAG-OTA (Bundesarbeitsgemeinschaft Gute Sozialpolitik wäre die beste Gewaltprävention. opferschutzorientierte Täterarbeit), bestehend aus Einrichtungen, Familien finanziell zu entlasten, da müsste man die Antigewaltprogramme zur Täterarbeit durchführen (wie z. B. ansetzen. Da sind wir in Österreich nicht wirklich gut. Männerberatungsstellen), sowie Opferschutzeinrichtungen Väter sollten bei vollen Bezügen in Karenz gehen (wie etwa Frauenhäuser oder Gewaltschutzzentren). Die BAG-OTA können, ohne finanziellen Druck. Junge Väter sollten orientiert sich an der Istanbul-Konvention, die erforderliche keine Überstunden machen, sondern heim zu ihren gesetzliche Maßnahmen zur Vorbeugung von Gewalt einfordert: Familien geschickt werden. Diese Haltung würde Programme, die Täter und Täterinnen häuslicher Gewalt gewalt- Gewalt schon viel früher abwenden – bei den jungen freies Verhalten lehren und Sexualstraftäter und -täterinnen Männern und bei den Kindern, die mit einem anderen, davon abhalten, erneute Straftaten zu begehen. entspannteren Männerbild aufwachsen. if..faktum 4_2020 11
kinder und In den meisten Fällen von Gewalt gegen Frauen sind Kinder betroffen. Sie leiden darunter genau wie ihre Eltern. Die Folgen sind ein Leben lang gewalt zu spüren – und werden sogar an die nächste Generation weitergegeben. H errscht Gewalt in der Beziehung der Eltern, betrifft das so gut wie immer auch Kinder: Rund die Hälfte aller Frauen, die häusliche Gewalt erfahren müssen, sind Mütter. Die Kinder sind der Gewalt zwischen ihren Eltern hilflos ausgeliefert, werden nicht ausreichend unterstützt oder ganz übersehen – mit weitreichenden Folgen. Die deutsche Forscherin Corinna Seith belegt das mit erschreckenden Zahlen: 92 Prozent der Kinder, die sie im Rahmen ihrer Studie befragte, waren bei den ge- walttätigen Handlungen direkt anwesend, weitere vier Prozent haben die Tat mitangehört. 38 Prozent der Kinder waren beim Einschreiten der Polizei zugegen und 43 Prozent flohen mit ihren Müttern in ein Frauen- haus. 77 Prozent der Kinder gaben an, selbst körperlich von der Gewalt betroffen worden zu sein, als sie sich schützend vor die Mütter stellten. Andere Studien kamen zu dem Ergebnis, dass eine Überschneidung von häuslicher Gewalt und Kindesmisshandlung in einem Ausmaß von bis zu 60 Prozent besteht. Daraus wird deutlich: Mütter, die der Gewalt durch den Part- ner ausgesetzt sind, sind in der überwiegenden Mehr- heit der Fälle nicht in der Lage, die Kinder zu schützen. Damit sind diese genauso hilflos ausgeliefert. Das Miterleben oder sogar Eingreifen ist für Kinder extremer Stress – und dabei aber häufig unbeachtet, weil die Eltern als Täter und Opfer im Fokus stehen. Bei Kindern erreicht auch der vorbildliche österreichi- sche Gewaltschutz sein Limit. Es fehlen kinderspezifi- sche Angebote, damit es nicht dem Zufall überlassen wird, ob ein betroffenes Kind mit dem Erlebten allein gelassen wird oder Hilfe bekommt. Späte Folgen Die Auswirkungen auf die Kinder zeigen sich oft erst Monate später – vielleicht sogar erst, wenn die © SHUTTERSTOCK (2) Probleme der Eltern nicht mehr akut sind – und sind vielfältiger Natur. So kann die kognitive Entwicklung beeinträchtigt werden, das Risiko für 12 if..faktum 4_2020
Sprachentwicklungsstörungen, Lern- und Leistungs- störungen erhöht, Entwicklungen starrer Vorstellun- gen über Gut und Böse und ein gestörtes Körper- schema eine Folgeerscheinung der miterlebten Gewalt sein. Auch zeigen Kinder, die Gewalt in der Familie erleben, häufig auffälliges Verhalten. Dazu gehören krankhaftes Lügen, selbstzerstörerische Tendenzen oder Überangepasstheit (übertriebene Sauberkeit, Ordnungsliebe oder überbordende Freundlichkeit). Selten äußern diese Kinder eigene Wünsche und hal- ten Distanz in Beziehungen, haben Schwierigkeiten damit, eine Vertrauensbeziehung aufzubauen. Kinder geben sich selbst häufig die Schuld für die Gewaltausbrüche, schützen damit das heile Bild der guten Eltern – dabei sinkt der Selbstwert immer weiter ab. Aggressivität und Ängste sind eine Folge davon. Und: Dies setzt sich oftmals über Generationen hin- weg fort. Erwachsene, die als Kind Gewalt erlebt ha- ben, sind eher gefährdet, selbst Gewalt auszuüben. Studien legen nahe, dass rund 30 Prozent ehemals misshandelter Eltern selbst ihre Kinder misshandeln. Das betrifft hauptsächlich Buben bzw. Männer. Mädchen mit Gewalterfahrung sind wiederum stärker Werkzeugkoffer für den Opferschutz Eine „Onlinetoolbox“ erleichtert das Gründen und Führen von Opferschutzgruppen an Krankenanstalten. Schon seit 2004 sind Kinderschutz- für Gewaltopfer. Opferschutzgrup- den Aufbau und Betrieb von OSG gruppen in Krankenanstalten pen leisten so einen wichtigen Bei- verantwortlich sind. Die Toolbox verpflichtend, interdisziplinär zu- trag zur frühen Identifizierung und bietet standardisierte, praxiser- sammengesetzte Gruppen aus sorgen dafür, dass Opfer möglichst probte Instrumente und Tipps zur Medizinerinnen und Medizinern, rasch an Gewaltschutzeinrichtun- patientenzentrierten Gesprächsfüh- Psychologinnen und Psychologen, gen weitergeleitet werden. rung, benennt mögliche regionale Sozialarbeiterinnen und -arbeitern, Der Aufbau und die Führung dieser Kooperationspartner und informiert die bei Verdacht von Misshandlung, OSG ist nicht einfach; vielfältige über regionale themenspezifische Gewalt oder Vernachlässigung ko- Anforderungen werden an die Mit- Veranstaltungen. ordiniert vorgehen. Aufbauend auf glieder gestellt: Die Unterschiede diese Gruppen sind seit 2011 auch der Verletzungen, die individuelle www.toolbox-opferschutz.at Opferschutzgruppen für volljährige Situation jedes einzelnen Opfers, Betroffene häuslicher Gewalt, OSG, Perspektiven und Wünsche müssen gesetzlich verpflichtend. Das gilt für bedacht werden. Um diese Arbeit alle österreichischen Krankenan- zu erleichtern, wurde die „Toolbox stalten, die Aufgaben dieser Grup- Opferschutz“ in Kooperation mit pen bestehen in der Früherkennung der Gesundheit Österreich GmbH häuslicher Gewalt sowie in der Sen- und dem Bundesministerium für sibilisierung von medizinischem Soziales, Gesundheit, Pflege und und pflegerischem Personal, denn Konsumentenschutz erstellt. Sie häufig sind diese die einzigen An- richtet sich speziell an jene Perso- sprechpartnerinnen und -partenr nen, die in Krankenanstalten für if..faktum 4_2020 13
16 Tage gegen Gewalt Viele Aktionen sind in Planung – auch wenn sich durch die Corona-bedingten Maßnahmen noch einiges ändern könnte. Das Haus, das Schutz und Begleitung schenkt Alle Aktionen sind aktualisiert unter www.tirol.gv.at/frauen abrufbar. Ein Auszug aus den Veranstaltungen: Seit 40 Jahren bietet das Frauenhaus Tirol Schutz bei Gewalterlebnissen. Die Schwerpunkte haben Kostenloser Selbstverteidigungskurs für Mädchen* von zehn bis 19 Jahren bei sich in vier Jahrzehnten um vieles erweitert, erzählt ARANEA – Verein zur Förderung feministischer Geschäftsführerin Gabi Plattner im Interview. und transkultureller Mädchenarbeit: Fr., 27. No- vember, von 16 bis 20 Uhr und Sa., 28. Novem- ber, von 12 bis 16 Uhr; Stadtteilzentrum Wilten, E s sei ein Krisentag, ruft die Ge- schäftsführerin kurzfristig an. Des- halb soll der Treffpunkt im Frauen- wie möglich sein, einerseits mit Bera- tung und Begleitung, aber anderer- seits auch, dass wir unterschiedliche Leopoldstraße 33 a; Anmeldung unter info@aranea.or.at oder 0677/63004454. haus sein. Seit fast eineinhalb Jahren Schwerpunkte haben. Das Schutz- steht das neue Haus, das jetzt 32 hilfe- haus, das sich Frauenhaus nennt, Basis – Frauenservice und Familien- suchenden Menschen Platz bietet – auch die Nachbetreuung, wie das beratungsstelle im Außerfern; in einigen Tag und Nacht, das ganze Jahr über. betreute Wohnen in den sieben Gemeinden wird die Flagge „Frei leben Übergangswohnungen. Wichtig ist ohne Gewalt“ gehisst. Was heißt es, einen Krisentag zu uns daneben die Präventions- und haben? Öffentlichkeitsarbeit, um gesell- Bierdeckelaktion in Gasthöfen, Cafés Plattner: Es heißt, dass es einer Frau schaftspolitisch arbeiten zu können. etc. in Wörgl und Kufstein, aufgelegt im emotional sehr schlecht geht, ausge- 16-Tage-Zeitraum: Evita (Frauen- und löst durch einen Vorfall mit dem Ex- Dafür braucht es ein vielfältiges Mädchenberatungsstelle), Fahnehissen partner. Im Grunde die Verlängerung Team. Wie sieht dieses aus? gegen Gewalt am Oberen Stadtplatz der jahrzehntelangen Gewalt, die sie Wir konnten unser Team auf 21 Leu- zum 29. November. erlebt hat. Das heißt für uns, sowohl te aufstocken, das sind statt bisher die Frau psychisch aufzufangen und 9,5 jetzt im größeren Haus zwölf Onlineinformationskampagne auf Facebook zu stabilisieren als auch ihre Kinder. Vollzeitstellen. Wir haben einen von Frauen im Brennpunkt: Während der Gleichzeitig gilt es, die anderen Be- Rund-um-die-Uhr-Betrieb, auch mit 16 Tage gegen Gewalt wird jeweils eine Form wohnerinnen zu begleiten und zu einem eigenen Nachtdienstteam. von Gewalt an Frauen einfach und verständ- beruhigen. Alle Frauen, die hier sind, Alle Sozialarbeiterinnen, Psycho- lich erklärt. haben unterschiedliche Geschichten, loginnen, Pädagoginnen und Thera- die sich dennoch an manchen Punk- peutinnen arbeiten in Teilzeit, weil Fahnenhissen: Frauenzentrum Osttirol; ten verknüpfen. Wenn eine Frau die Aufgaben doch fordernd sind. es ist geplant, gemeinsam mit den Soroptimis- tinnen am 25. November die Fahnen „Frei außer Haus etwas Schlimmes erlebt, Außerdem bieten Anwältinnen kos- leben ohne Gewalt“ und „Orange the World“ hat dies Auswirkungen auf die ande- tenlos Rechtsberatung an. Das Thema am Johannesplatz zu hissen und dazu die ren Bewohnerinnen. Dann wird vom Existenzsicherung decken bei uns Presse einzuladen. Team viel Krisenbewältigung und vorwiegend die Sozialarbeiterinnen Stabilisierung angeboten. Ziel ist, ab. Dazu gehört Wohnungs- sowie dass sich alle wieder so weit beruhi- Arbeitssuche. Existenzsicherung ist gen können, dass sie die nächsten zentral für die Unabhängigkeit. Schritte selbst entscheiden. Praktische Hilfe Das Team bietet auch Beratung in Dies umschreibt doch das breite der Adamgasse an? In der Broschüre „Sicherheitstipps für Frauen und Mädchen zum Schutz vor Spektrum der Arbeit im Frauen- Genau, als Anlaufstelle für alle, die sexualisierter Gewalt“ finden sich Tipps haus Tirol? nicht ins Frauenhaus wollen, wo es zum Thema Sicherheit und konkrete Im Grunde schon, weil es die ganze aber trotzdem wichtig ist, sich zu Hilfestellungen. Komplexität zeigt, die das Thema informieren und zu wissen, welche Gewalt in der Familie mit sich bringt. Schritte man im Fall von Gewalt un- Die Broschüre kann kostenlos bestellt werden: Es zeigt auch, wie wichtig es ist, dass ternehmen kann. Die Beratungsstelle Abteilung Gesellschaft und Arbeit, ga.frauen@ man auf unterschiedlichen Ebenen ist auch zentrales Angebot für alle, tirol.gv.at, Tel. 0512/508-7803; Download: darauf reagiert. Unsere Unterstüt- die Zivilcourage zeigen. Man muss www.tirol.gv.at/frauen/publikationen zungsangebote müssen so vielfältig nicht immer sofort wissen, was man 14 if..faktum 4_2020
Lernen können, über Gewalt zu sprechen Frauen mit Behinderung sind Gewalt noch schutzloser ausgesetzt. Petra Flieger, freie Sozialwissenschaftlerin, im Interview. Wie geht es Frauen mit Behinderungen in Tirol, © JMONIKA K. ZANOLIN wenn wir von Gewalt an Frauen sprechen? Es gibt keine Untersuchungen darüber, wie es Frauen mit Behinderungen in Tirol geht oder welche Gewalt sie Seit 15 Jahren führt Gabi Plattner das Frauenhaus Tirol. erleben. Eine österreichweite Studie ergab aber, dass Frauen mit Behinderungen deutlich häufiger von Gewalt betroffen sind als nichtbehinderte Frauen. Dies gilt alles tun kann, aber unsere Berate- Das Frauenhaus hat sich um besonders für Frauen mit hohem Unterstützungsbedarf. rinnen können Wege aufzeigen und viele Angebote erweitert, wie etwa Außerdem zeigte sich, dass sehr viele Frauen keine unterstützen. Die Beratungen sind für Frauen mit Behinderungen sexuelle Aufklärung erhalten haben. auch telefonisch möglich, bleiben auf oder mit Migrationshintergrund. Wunsch anonym und sind kostenlos. Welche Entwicklung beobachten Was kann dagegen unternommen werden? Sie ganz besonders? Mädchen und Frauen mit Behinderungen müssen gute Seit fast eineinhalb Jahren sind Sie Durch das Gewaltschutzgesetz 1997 Aufklärung erhalten, über Sexualität und über alle For- im neuen Haus. Wie geht es Ihnen? können Frauen, die Gewalt erfahren, men von Gewalt. Sie müssen lernen können, über Gewalt Es hat sich gezeigt, dass wir von Be- nun auch andere Wege finden, sich zu sprechen, ihre Mitmenschen dürfen das Thema nicht ginn an voll waren. Von vorher Platz zu schützen, wie etwa die Weg- tabuisieren. Frauen mit Behinderungen sollten Bescheid für acht Frauen und zehn Kinder weisung oder das Betretungsverbot. wissen, wo es Frauenberatungsstellen gibt. Diese sollten konnten wir uns fast verdoppeln für Daher sind die Frauen, die zu uns barrierefrei zugänglich sein. jetzt 32 Menschen im Frauenhaus. kommen, deutlich mehr hoch ge- Der Bedarf für doppelt so viele Plätze fährdet. Frauenhäuser sind speziali- Wie wichtig ist das Sichtbarmachen von Gewalt gegen hat sich bestätigt. Die meisten Frau- sierte Einrichtungen geworden für Frauen mit Behinderungen? en kommen aus dem Zentralraum, Frauen mit Vielfachgefährdungen: Gewaltprävention für Mädchen und Frauen mit Be- aber wir haben durchaus Frauen aus wenig Ressourcen, hohes Risiko, hinderungen muss konsequent Eingang finden in allen Bezirken Tirols bei uns. schwer verletzt oder getötet zu wer- Sonderschulen, Werkstätten und den. In den meisten Fällen erfahren Wohneinrichtungen. Alle Ein- © PETRA FLIEGER Wie war 2020 für das Frauen- die Frauen psychische, physische richtungen sollten verpflichtend haus Tirol? und auch sexualisierte Gewalt. Schutzkonzepte umsetzen und Es gibt sehr wohl einen Anstieg an Wobei das Reden über Gewalt vor allem eng mit Gewaltschutz- Wegweisungen und Betretungsverbo- schwierig ist und seine Zeit braucht. einrichtungen für Mädchen und ten. Corona hat zu einem Anstieg an Das heißt, dass auch die Arbeit im Frauen zusammenarbeiten. polizeilichen Einsätzen geführt. Was Frauenhaus deutlich anspruchs- bei uns definitiv zugenommen hat, voller geworden ist. © DIE FOTOGRAFEN sind telefonische Beratungen, die eine Spitze erreicht haben. Da waren etwa Welche Vision haben Sie für die Neue Stelle Anrufe von Frauen, die hinterfragten, Zukunft? führt zusammen ob die Wegweisung gilt, wenn der Mein Wunsch wäre, dass es kein In der Abteilung Gesellschaft und Mann in Quarantäne ist? Es zeigte sich Frauenhaus mehr braucht, weil es Arbeit wird eine Gewaltpräven- auch, dass es in der Zeit schwierig war, keine Gewalt mehr gibt. Aber konkret: tionsstelle neu eingerichtet. sich Hilfe zu holen. Wenn alle in einem Ich wünsche mir, dass es ein Frauen- Ines Bürgler, Raum sind, ist es schwierig, sicher zu haus im Tiroler Oberland geben wird, Vorständin der Abt. Gewaltprävention ist eine Quer- telefonieren, bzw. ist es schwierig für was nicht mehr so weit entfernt ist. Gesellschaft und Arbeit schnittsaufgabe, die unterschied Außenstehende, etwas zu beobach- Es ist bewilligt, derzeit sind wir dabei, liche Lebensbereiche und Ziel- ten oder Hilfe anzubieten. Wir haben den passenden Standort zu finden. gruppen betrifft. Es gibt ein komplexes System an viel Unsicherheit gespürt und konnten Nach Orten für Frauen im Zentral- Zuständigkeiten. Mit der Gewaltpräventionsstelle des bei telefonischen Beratungen gut raum und im Unterland ist das der Landes wird eine zentrale Ansprechstelle nach außen für weiterhelfen. Auch im Haus spürten wichtige nächste Schritt. Maßnahmen des Landes Tirol zu Gewaltprävention und wir einen Anstieg. Gemeinsam mit Gewaltschutz geschaffen. Kooperiert wird mit internen Landesrätin Fischer haben wir einen Kontaktdaten zum Frauenhaus und externen Einrichtungen, um noch bessere Informa- Notfallplan entwickelt. finden Sie auf Seite 16. tion, Vernetzung und Abstimmung zu bestehenden und geplanten Maßnahmen zu erzielen und Angebote bedarfsgerecht weiterzuentwickeln. if..faktum 4_2020 15
Sie können auch lesen