Work-Life-Balance, berufsbezogenes Belastungserleben und Self-Compassion bei Lehrkräften im Förderschwerpunkt Hören

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Work-Life-Balance, berufsbezogenes Belastungserleben und Self-Compassion             75

Empirische Sonderpädagogik, 2021, Nr. 1, S. 75-93
ISSN 1869-4845 (Print) · ISSN 1869-4934 (Internet)

Work-Life-Balance, berufsbezogenes
Belastungserleben und Self-Compassion bei
Lehrkräften im Förderschwerpunkt Hören

Karolin Schäfer1, Kathrin Vogt1 & Manfred Hintermair2
1
    Universität zu Köln; 2Pädagogische Hochschule Heidelberg

Zusammenfassung
In der vorliegenden Studie wird die Work-Life-Balance (WLB) von Lehrkräften an deutsch-
sprachigen Fördereinrichtungen für hörgeschädigte Kinder untersucht. In die Analysen wer-
den die subjektiv erlebten beruflichen Belastungen und das Konstrukt des Selbstmitgefühls
(Self-Compassion) einbezogen, das für das berufliche und private Belastungserleben eine
wichtige protektive Rolle spielen kann. Es werden die Ergebnisse einer Online-Befragung
mit standardisierten und informellen Fragebögen vorgestellt, an der insgesamt n=470 Lehr-
kräfte aus dem Förderschwerpunkt Hören teilgenommen haben. Konkret wird untersucht,
ob sich im Erleben der WLB Unterschiede zu Lehrkräften an allgemeinen Schulen zei-
gen und ob ausgewählte soziografische Merkmale und spezifische Tätigkeitsbereiche des
Förderschwerpunkts von Bedeutung für die WLB sind. Des Weiteren werden mögliche
Zusammenhänge zwischen beruflichem Belastungserleben, der Self-Compassion und der
WLB untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die WLB der befragten Lehrkräfte nicht
von der WLB von Lehrkräften an allgemeinen Schulen unterscheidet. Weibliche Lehrkräfte
schätzen ihre WLB jedoch als geringer ein als männliche, ebenso wie Personen, die in bi-
modal-bilingualen Settings und in der Inklusion arbeiten. Bei den beruflichen Tätigkeiten
selbst werden insbesondere Verwaltungs- und Vorbereitungsarbeiten als belastend erlebt.
Lehrkräfte mit hohen Werten im Bereich der Self-Compassion zeigen geringere Belastungs-
werte und haben eine bessere WLB.

Schlüsselwörter: Work-Life-Balance, Selbstwirksamkeit, Self-Compassion, berufliche Be-
lastungen, Förderschwerpunkt Hören
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Work-life-balance, job-related stress experience and self-compassion among
teachers for students who are deaf or hard-of hearing

Abstract
This study examines the work-life-balance (WLB) of teachers at German-speaking institu-
tions for students who are deaf or hard-of-hearing (DHH). The analyses include occupa-
tional stress and self-compassion, which can play an important protective role in the expe-
rience of professional and private stress. The results of an online survey with standardized
and informal questionnaires are presented, in which a total of n=470 teachers for DHH
children participated. Specifically, it is investigated whether there are differences in the
experience of WLB compared to teachers at general schools. In addition, it is determined
whether selected sociographic characteristics and specific job activities are associated with
WLB. Furthermore, correlations between the experience of occupational stress, self-com-
passion and WLB are investigated. The results indicate that the WLB of the teachers for
DHH children does not differ from the WLB of teachers at general schools. Nevertheless,
female teachers estimate their WLB lower than male teachers, as do those teachers work-
ing in bimodal-bilingual and inclusive settings. In terms of the professional activities, it is
mainly administrative and preparatory work that is experienced as stressful. Teachers with
high scores of self-compassion show lower stress scores and have a better WLB.

Keywords: Work-life balance, self-efficacy, self-compassion, occupational stress, deaf ed-
ucation

   Berufliche und private Anforderungen          Bereicherung der beiden Lebensbereiche
in einer gesundheitsförderlichen Balance         auszugehen, vergleichbar mit den gesund-
zu erhalten, findet auch im gesellschaftli-      heitspolitischen Vorstellungen der Salutoge-
chen Diskurs zunehmend Beachtung. Das            nese, wonach Gesundheit mehr ist als die
erfahren derzeit Personen besonders deut-        Abwesenheit von Krankheit (Antonovsky,
lich, die aufgrund der Corona-Pandemie im        1997). Das genannte Verständnis von WLB
Home-Office arbeiten, da sich die Grenzen        ist handlungsleitend für die in dieser Studie
zwischen privaten, beruflichen und frei-         durchgeführte Untersuchung.
zeitbedingten Aufgaben zunehmend auf-               Begriffe wie Anforderung, Belastung und
lösen und die verschiedenen Lebensberei-         Beanspruchung tauchen im Forschungs-
che miteinander verschmelzen. Der Begriff        kontext zur WLB häufig auf, werden in der
Work-Life-Balance kann definiert werden          Literatur allerdings uneinheitlich verwendet
als „Einstellung gegenüber der eigenen Le-       (Rothland & Klusmann, 2016). Während
benssituation […], die sich auf das Verein-      sich Anforderungen häufig aus spezifischen
baren verschiedener Lebensbereiche, Rol-         (beruflichen) Tätigkeiten und Aufgabenpro-
len und Ziele bezieht; Work-Life Balance         filen ergeben (Adams, Kurtz, Jakobs, Riech-
bedeutet demnach, dass die subjektiv ange-       mann-Wolf, Beutel & Letzel, 2016), meint
strebten Balancevorstellungen im Einklang        Belastung die zusätzlich von außen einwir-
mit der realisierten Gestaltung stehen“ (Sy-     kenden Faktoren wie z. B. Lärm oder Zeit-
rek, Bauer-Emmel, Antoni & Klusemann,            druck, wohingegen Beanspruchung als die
2011, S. 135). Der Begriff der Balance           individuelle Reaktion auf diese von außen
beinhaltet demnach mehr als nur die Ab-          einwirkenden Belastungen verstanden wird,
wesenheit von Konflikten, vielmehr ist von       die sich psychisch und physisch negativ
einer potenziellen gegenseitigen positiven       auswirken können (Semmer & Udris, 2004).
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Bei ausgeprägtem Belastungserleben in Be-              le Entwicklung liegen ebenfalls empirische
ruf oder Privatleben sinkt das Wohlbefinden            Untersuchungen vor, die jedoch keine Hin-
und führt zu einem Ungleichgewicht in der              weise darauf geben, dass das Belastungser-
WLB (Genkova & Breuer, 2012). Insbeson-                leben der sonderpädagogischen Lehrkräfte
dere nimmt das individuelle Belastungser-              stärker ausgeprägt sein könnte als das der
leben hier eine wichtige Rolle ein, da es zu           Lehrkräfte an allgemeinen Schulen (Hüffner,
einem „Spillover-Effekt“ kommen kann, d.               2003; Lindmeier & Trümper, 2012; Male &
h. einer Übertragung von Beanspruchung                 May, 1997; Neugebauer & Wilbert, 2010).
durch die Arbeit in das Privatleben und um-            In internationalen Studien wird häufig nicht
gekehrt (Knesebeck, Joksimovic, Dragano &              so trennscharf zwischen den Förderschwer-
Siegrist, 2004).                                       punkten unterschieden wie im deutschspra-
   Dass Lehrkräfte generell einer besonde-             chigen Raum, und Lehrkräfte werden in den
ren Gefährdung ausgesetzt sind, beruflich              Artikeln als „special education teachers“
in einem erhöhten Maße belastet zu sein,               zusammengefasst (u. a. Eichinger, 2000;
Erschöpfungssymptome („Burn-out“) zu                   Zabel & Zabel, 2001). Dies erschwert die
entwickeln und in der Folge auch häufi-                Übertragung auf spezifische Förderschwer-
ger psychisch und physisch zu erkranken,               punkte oder Anforderungsprofile.
zeigen viele Studien und Übersichtsarti-                  Für die Förderschwerpunkte Hören und
kel (u. a. Abele & Candova, 2007; Benne-               Sehen, deren Klientel deutlich kleiner ist
mann, 2019; Blossfeld, Bos, Daniel, Han-               als die der anderen Förderschwerpunkte,
nover, Lenzen, Prenzel, Roßbach, Tippelt,              liegen derzeit noch keine Untersuchungen
Wößmann & Kleiber, 2014; Döring-Seipel                 zu WLB und spezifischen Belastungen, die
& Dauber, 2013; Klusmann, Kunter, Traut-               sich für diese Lehrkräfte ergeben könnten,
wein & Baumert, 2006; Krause, Dorsema-                 vor. Studien, die Bewältigungsstrategien
gen & Baeriswyl, 2013; Rothland, 2013;                 oder Entlastungsmöglichkeiten im Kontext
Schaarschmidt 2004; Zee & Komen, 2016).                von WLB behandeln, fehlen hier ebenfalls.
Jedoch existieren nur wenige Untersuchun-              International findet man für den Förder-
gen zur Situation von Lehrkräften aus son-             schwerpunkt Hören lediglich vereinzelt
derpädagogischen Förderschwerpunkten.                  Beiträge, die sich aber zumeist mit der Situ-
Die wenigen vorhandenen Arbeiten legen                 ation erwachsener gehörloser oder schwer-
nahe, dass sonderpädagogische Lehrkräfte               höriger Menschen und ihrer WLB befassen
spezifischen Gefährdungen oder Belastun-               (Backenroth-Ohsako, Wennberg & Klint-
gen ausgesetzt sind, die ganz speziell die             berg, 2003), nicht aber mit der WLB oder
Aufgabengebiete ihres Förderschwerpunkts               dem Belastungserleben der Fachkräfte, die
betreffen. So sind Lehrkräfte an den Förder-           mit hörgeschädigten Kindern und Jugend-
schulen für körperlich-motorische und geis-            lichen arbeiten. Einzig eine Studie aus In-
tige Entwicklung häufiger von körperlichen             dien beschreibt Ergebnisse einer Befragung
Beschwerden und Rückenleiden betroffen                 an zehn Schulen für hörgeschädigte Kinder
(Claus et al., 2014; Wong et al., 2009) und            in einem indischen Bundesstaat (Gaikwad,
einem höheren Risiko ausgesetzt, an Infek-             2017). Die Ergebnisse dokumentieren eine
tionen wie z. B. Cytomegalie zu erkranken              hohe Zufriedenheit der befragten Personen
(Remis et al., 1987; De Schryver, Glazema-             mit ihrer beruflichen Situation bei gleichzei-
kers, De Bacquer, De Backer & Lust, 1999).             tig hoher Unterstützung durch die Familie.
Dies hängt mit vermehrtem körperlichem                 In der Arbeit werden keine standardisierten
Einsatz der Lehrkräfte bei Lagerungs-, Mo-             Skalen, sondern nur Einzelitems verwendet,
bilisierungs- und Pflegetätigkeiten sowie              so dass das konzeptionelle Verständnis von
mit engerer körperlicher Nähe zu den                   WLB unklar bleibt.
Schülern/innen zusammen. Für die Förder-
schwerpunkte Lernen und Emotional-Sozia-
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   Anliegen der vorliegenden Untersuchung       geschädigten Kinder und Jugendlichen von
ist es, das Forschungsdesiderat für den För-    Zusatzbeeinträchtigungen betroffen sind
derschwerpunkt Hören zu schließen, indem        (DeRamus, 2015). Zunehmend mehr Kin-
eine Befragung sonderpädagogischer Lehr-        der haben außerdem – genau wie in den
kräfte vorgestellt wird.                        allgemeinbildenden Schulen – einen Migra-
                                                tions-, Flüchtlings- oder Armutshintergrund
Berufsbezogene Besonderheiten im                (Avemarie & Hintermair, 2019).
Förderschwerpunkt Hören                            Weiter hat sich das Bild von „Behinde-
                                                rung“ und von „Menschen mit Behinde-
Studien und Positionspapiere aus dem För-       rung“ nicht zuletzt durch das Inkrafttreten
derschwerpunkt Hören zeigen auf, dass           der UN-Behindertenrechtskonvention und
sich das Aufgabenspektrum und das Rollen-       anderer nationaler sozialer Gesetzgebun-
verständnis von Lehrkräften in den letzten      gen verändert (Burger & Meßmer, 2018).
20 Jahren deutlich verändert haben (u. a.       Die daraus hervorgegangenen Verände-
DGH, 2015; Jacobsen, Schulz, Meyer-             rungen in der Schullandschaft haben dazu
Büchling, Beecken & Schumacher, 2015)           geführt, dass die Lehrkräfte hörgeschädig-
und dass die zu bewältigenden Aufgaben          te Schüler/innen in sehr unterschiedlichen
vielfältiger, komplexer, herausfordernder       Settings in ihren Lern- und Bildungsprozes-
und vielfach auch anstrengender geworden        sen begleiten. Die Aufgaben für die in der
sind (Hintermair, Schäfer & Vogt, 2021).        Inklusion tätigen Lehrkräfte sind häufig mit
   So ist z. B. die Schülerschaft an den För-   vielen Fahrzeiten und einem über den Tag
dereinrichtungen mit dem Förderschwer-          verteilten Arbeitspensum verbunden (Jacob-
punkt Hören (FFSH) heterogener gewor-           sen, 2018). Dies ist darin begründet, dass
den: Gehörlose Kinder werden häufig             hörgeschädigte Kinder, die eine Regelschu-
zusammen mit schwerhörigen Kindern              le besuchen, regelmäßig vom Mobilen Son-
und Kindern mit einer auditiven Verarbei-       derpädagogischen Dienst (auch: Mobiler
tungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS)           Dienst, ambulante oder mobile Lehrkräfte,
in einer Klasse unterrichtet. Dies bedeutet     Integrationslehrkräfte) in ihrer Schule hör-
für die Lehrkräfte im Förderschwerpunkt         geschädigtenspezifisch gefördert werden
Hören, dass sie teilweise in derselben Klas-    (Kaul, 2018). Zusätzlich berät die sonderpä-
se je nach Bedarf der Kinder verschiedene       dagogische Lehrkraft die zuständigen Lehr-
Kommunikationsformen und -modalitäten           kräfte der allgemeinbildenden Schule zu or-
einsetzen und beherrschen müssen: Laut-         ganisatorischen und didaktischen Themen
sprache, Gebärdensprache, lautsprachun-         sowie zur Unterrichtsgestaltung und Raum-
terstützende/ -begleitende Gebärden sowie       akustik (Leonhardt, 2007). Da etwas mehr
phonem- oder graphembestimmte Manu-             als die Hälfte aller hörgeschädigten Kinder
alsysteme zur Visualisierung von Aspekten       mit Förderbedarf eine allgemeinbildende
der Laut- und Schriftsprache. Aufgrund der      Schule besucht (KMK, 2020), in den meis-
Kommunikationsbarrieren sind auch die           ten Fällen in der Einzelinklusion, nimmt die
Peerbeziehungen zwischen den Schülern/          mobile Arbeit einen großen Raum im För-
innen erschwert und müssen teilweise stär-      derschwerpunkt Hören ein.
ker von den Lehrkräften unterstützt und ko-
ordiniert werden. Nicht zu vernachlässigen
ist außerdem die Notwendigkeit eines um-
fassenden und stets aktuellen Wissens über
die hörtechnischen Versorgungsmöglich-
keiten und den Einsatz von Zusatztechnik
(z. B. Übertragungsanlagen) im Unterricht.
Hinzu kommt, dass bis zu 40% der hör-
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Work-Life-Balance und Bewälti-                         & Candova, 2007; Neugebauer & Wil-
gungsstrategien von Lehrkräften                        bert, 2010). Blackburn, Bunch und Haynes
                                                       (2017) konnten in einer Studie mit Lehr-
Nach Ortlepp (2012) sind rund 60 % aller               kräften einen signifikanten Zusammenhang
Lehrkräfte von beträchtlichen gesundheitli-            zwischen erlebter Selbstwirksamkeit der
chen Einschränkungen betroffen, die nicht              Lehrkräfte und ihrer WLB feststellen.
zuletzt auch durch Beanspruchung im Be-                   In zahlreichen Studien zur Lehrergesund-
ruf entstehen. Neben soziodemografischen               heit werden daher psychosoziale Ressour-
Merkmalen (Geschlecht, familiärer Status               cen (Döring-Seipel & Dauber, 2013), Per-
etc.) wird nicht allein für den Lehrberuf              sönlichkeitsmerkmale (Cramer & Binder,
der Aspekt der familiären Verantwortlich-              2015), Bewältigungsstile (Neugebauer &
keit(en) im Privatleben diskutiert: Je mehr            Wilbert, 2010) und Entlastungsmöglichkei-
Aufgaben neben der beruflichen Tätigkeit               ten (Adams et al., 2016) hervorgehoben.
zuhause noch anstehen und zu bewältigen                   Ein besonderes Persönlichkeitsmerkmal
sind, umso gefährdeter ist die WLB (Tip-               im Kontext individueller psychosozialer Res-
pens, Ricketts, Morgan, Navarro & Flanders,            sourcen ist das Konstrukt Self-Compassion
2013). Hierbei ist insbesondere zu berück-             („Selbstmitgefühl“). Dieses kennzeichnet
sichtigen, ob in der Familie Kinder leben              eine fürsorgliche und wohlwollend unter-
oder Personen gepflegt werden (z. B. die               stützende Einstellung sich selbst gegenüber
eigenen Eltern). Da in den Familien zuneh-             angesichts herausfordernder emotionaler
mend beide Partner beruflich eingebunden               Situationen (Neff, 2003). Belastende Lebens-
sind, entsteht eine verschärfte Konkurrenz             umstände und das Gefühl des persönlichen
zwischen Familienarbeit und Erwerbsarbeit,             Versagens werden hier als gemeinsame
die ein hohes Maß an Zeitmanagement er-                menschliche Erfahrung interpretiert und kön-
forderlich macht und die WLB beeinträchti-             nen so leichter als Teil des eigenen Lebens
gen kann (für alleinerziehende Mütter und              betrachtet werden. Eine wohlwollend freund-
Väter trifft dies in besonderem Maße zu).              liche, nicht verurteilende Haltung sich selbst
In diesem Zusammenhang ist zusätzlich                  gegenüber, verbunden mit der Fähigkeit, die
auch ein möglicher Geschlechtereffekt zu               momentan belastende eigene Situation an-
diskutieren: Je nachdem, wie die Übernah-              zuerkennen, ohne sich von ihr vereinnah-
me von Aufgaben und Verantwortlichkeiten               men zu lassen, kann dazu beitragen, dass ein
im familiären/privaten Bereich verteilt ist,           ausgewogenerer Umgang mit schwierigen
könnten Frauen hier vor größere Heraus-                Situationen und Erfahrungen besser gelingt
forderungen gestellt werden (Foster, 2001;             (Jennings, 2015, Neff & Germer, 2017). Ob-
Murray, Flowers, Croom & Wilson, 2011).                wohl das Konstrukt Self-Compassion im psy-
  Hinsichtlich potenzieller Einflussfaktoren           chotherapeutischen Kontext als Schutzfaktor
auf Belastung und WLB von Lehrkräften so-              im Zusammenhang mit psychischen Krisen
wie möglicher Interventionen kennzeichnen              und Störungsbildern inzwischen gut be-
Krause et al. (2013) in ihrer Übersichtsarbeit         legt ist (u.a. Zessin, Dickhäuser & Garbade,
verschiedene in der Forschung verfolgte Ar-            2015), gibt es nur wenige Arbeiten im Kon-
gumentationsstränge. Darunter fallen auch              text der Belastungsforschung im Lehrberuf
individuelle Persönlichkeitsmerkmale und               (Hwang, Noh, Medvedev, Krägeloh, Hand,
Bewältigungsstrategien, die Einfluss auf das           Noh & Singh, 2019; Mansfield, Beltman,
Belastungserleben nehmen können (z.B.                  Broadley & Weatherby-Fell, 2016). Bezogen
Umgang mit Unsicherheit, Resilienz, Selbst-            auf den Lehrberuf, berufliche Beanspruchun-
wirksamkeit etc.). Das Gefühl der eigenen              gen und die Beurteilung der WLB erschien es
Selbstwirksamkeit spielt als Schutzfaktor bei          daher von Interesse, das Merkmal der Self-
der Bewältigung von schwierigen Lebens-                Compassion ebenfalls zum Gegenstand der
erfahrungen eine besondere Rolle (Abele                Untersuchung zu machen.
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Fragestellungen                                   Stichprobe

In der vorliegenden Studie wird die WLB           Alle Informationen dieser Untersuchung
von 470 Lehrkräften, die an deutschsprachi-       basieren auf den Angaben der 470 befrag-
gen Einrichtungen mit dem Förderschwer-           ten Lehrkräfte. 88.3 % (n = 414) von ihnen
punkt Hören arbeiten, mittels standardisier-      geben an, weiblich zu sein, 11.7 % (n = 55)
ter und informeller Fragebögen untersucht.        männlich. Das Lebensalter der befragten
   Fragestellung 1: Unterscheidet sich die WLB    Personen liegt zwischen 25 und 67 Jahren
von Lehrkräften an Fördereinrichtunen mit         (M = 43.4; SD = 10.1), die vorhandene Be-
dem Förderschwerpunkt Hören von der WLB           rufserfahrung zwischen einem und 46 Jah-
von Lehrkräften an allgemeinen Schulen?           ren (M = 17.2; SD = 10.4).
   Fragestellung 2: Zeigen sich Unterschiede         77.7 % (n = 365) haben einen Lehramts-
in der WLB, wenn man soziodemografische           abschluss in der Fachrichtung mit dem
Merkmale der befragten Lehrkräfte berück-         Förderschwerpunkt Hören, 9.4 % (n = 44)
sichtigt, insbesondere in Bezug auf das Ge-       einen Lehramtsabschluss in einer anderen
schlecht der befragten Personen sowie auf         sonderpädagogischen Fachrichtung und
spezifische Tätigkeitsmerkmale (Begleitung        13.0 % (n = 61) einen allgemeinen Lehr-
inklusiv beschulter Kinder, bimodal-bilin-        amtsabschluss.
guale Förderangebote am Förderzentrum)?              Was die Arbeitsbereiche angeht, in denen
   Fragestellung 3: Welche Zusammenhänge          die Lehrkräfte eingesetzt werden, sind es
zeigen sich zwischen der WLB, den beruf-          (bei der Möglichkeit von Mehrfachantwor-
lichen Belastungsfaktoren und dem Persön-         ten) die Unterrichtung in der Primarstufe
lichkeitsmerkmal Self-Compassion?                 (36.6 %; n = 172), in der Hauptschule/Se-
   Fragestellung 4: Welche Rolle spielt das Be-   kundarstufe I (32.2 %; n = 175) sowie in
lastungserleben bei verschiedenen Tätigkeiten     der inklusiven Begleitung hörgeschädigter
im beruflichen Alltag (Arbeit mit Kindern, Vor-   Schüler/innen an der allgemeinen Schule
bereitungsarbeiten, Elternarbeit, Fahrzeiten      (31.3 %; n = 147), die am häufigsten ge-
usw.) für die WLB der befragten Lehrkräfte?       nannt werden; andere Arbeitsbereiche (z.
                                                  B. Realschule, Gymnasium, berufsbilden-
                                                  der Bereich, vor- oder nachschulische Be-
Methode                                           treuung, Frühförderung etc.) finden deutlich
                                                  weniger häufig Erwähnung (zwischen 3 %
Datenerhebung                                     und 15 %)
                                                     Bei der Frage nach den kommunikativen
Die Befragung aller Bildungseinrichtungen         Settings, in denen die befragten Personen
für hörgeschädigte Kinder im deutschspra-         arbeiten (lautsprachliches Setting, Setting
chigen Raum wurde über einen Online-Fra-          unter Einbeziehung lautsprachunterstützen-
gebogen mit der Internetplattform „SoSci-         der Gebärden (LUG), bimodal-bilinguales
Survey“ gestaltet und im Zeitraum vom 2.3.        Setting unter Einbeziehung von Lautsprache
bis 9.4.2020 durchgeführt. 63 der insgesamt       und Deutscher Gebärdensprache (DGS))
98 angeschriebenen Einrichtungen leiteten         geben 81.1 % (n = 381) der befragten Lehr-
den Link an das Fachkollegium weiter. Von         kräfte an, in einem lautsprachlichen Setting
den dadurch potenziell erreichbaren 3396          und/oder einem Setting mit Verwendung
pädagogischen Fachkräften füllten insge-          von LUG zu arbeiten, während 18.9 % (n
samt 699 Personen den Fragebogen aus. Im          = 89) der Befragten angeben, in Settings zu
Rahmen der vorliegenden Studie wurden             arbeiten, in denen auch (nicht ausschließ-
ausschließlich vollständig ausgefüllte Frage-     lich) bimodal-bilingual gearbeitet wird.
bögen von Fachkräften mit einem Lehramts-            Bei der Frage, ob die Lehrkräfte eigene
abschluss aufgenommen (n = 470).                  Kinder haben, geben 60.4 % (n = 284) an,
Work-Life-Balance, berufsbezogenes Belastungserleben und Self-Compassion                         81

dass dies der Fall ist; entsprechend haben             Self-Compassion
39.6 % (n = 186) keine eigenen Kinder. Bei             Zur Erfassung des Persönlichkeitsmerkmals
den Personen, die eigene Kinder haben, va-             Self-Compassion wurde die Kurzform der
riiert die Anzahl der Kinder zwischen einem            Self-Compassion Scale eingesetzt (Hup-
Kind und fünf Kindern (M = 2.01; SD = .78).            feld & Ruffieux, 2011). Sie ermöglicht eine
In 76.1 % (n = 216) der Fälle leben eines              ökonomische Erfassung der allgemeinen
oder mehrere dieser Kinder noch im elter-              Self-Compassion mit den Kernmerkmalen
lichen Haushalt.                                       „Freundlichkeit sich selbst gegenüber“,
                                                       „verbindende Humanität“ und „Achtsam-
Erhebungsinstrumente                                   keit in emotional herausfordernden Situ-
                                                       ationen“. Die Kurzform umfasst 12 Items,
Work-Life-Balance                                      die auf einer Likert-Skala von 1 (= sehr
Zur Erfassung der WLB wurde die Trierer                selten) bis 5 (= sehr oft) zu beantworten
Kurzskala zur Messung von Work-Life Ba-                sind (Beispiele: „Ich versuche verständnis-
lance (TKS-WLB) eingesetzt (Syrek et al.,              voll und geduldig gegenüber jenen Zügen
2011). Mit dieser Skala ist es möglich, glo-           meiner Persönlichkeit zu sein, die ich nicht
bal und richtungsfrei eine reliable und va-            mag“; „Ich versuche, meine Fehler als Teil
lide Einschätzung der WLB vorzunehmen.                 der menschlichen Natur zu sehen“; Wenn
Die Skala umfasst fünf Items, die auf einer            mich etwas aufregt, versuche ich meine
Likert-Skala von 1 (= stimmt gar nicht) bis            Gefühle im Gleichgewicht zu halten“). Die
6 (= stimmt genau) beantwortet werden                  Überprüfung der internen Konsistenz ergibt
(Items: „Ich bin zufrieden mit meiner Ba-              einen zufriedenstellenden Kennwert (Cron-
lance zwischen Arbeit und Privatleben“;                bach’s alpha = .81), der vergleichbar ist mit
„Es fällt mir schwer, Berufs- und Privatleben          dem Wert aus der Validierungsstudie (Cron-
miteinander zu vereinbaren (rekodiert)“„Ich            bach’s alpha = .84). In die Analysen geht
kann die Anforderungen aus meinem Privat-              der gemittelte Summenwert der Skala ein.
leben und die Anforderungen aus meinem
Berufsleben gleichermaßen gut erfüllen“;               Berufliches Belastungserleben
„Es gelingt mir einen guten Ausgleich zwi-             Um konkrete Belastungen in den alltäglich
schen belastenden und erholsamen Tätig-                anfallenden beruflichen Tätigkeiten zu erfas-
keiten in meinem Leben zu erreichen“; „Ich             sen, wurde für insgesamt acht von den Au-
bin damit zufrieden, wie meine Prioritäten             toren/innen als bedeutsam definierte Tätig-
in Bezug auf den Beruf und das Privatle-               keitsbereiche erfasst, wie viel Prozent ihrer
ben verteilt sind“). Die einfaktorielle Struk-         Arbeitszeit die befragten Personen in dem
tur der Skala, die in der Arbeit von Syrek             jeweiligen Bereich verbringen sowie vor al-
et al. (2011) dokumentiert ist, konnte mit             lem, wie belastend sie die Tätigkeit dort er-
den Daten der vorliegenden Studie bestätigt            leben. Gefragt wurde nach Belastungen in
werden (Hauptkomponentenanalyse mit                    der Arbeit mit den Kindern/Jugendlichen, bei
Varimaxrotation; Eigenwert: 3.74; erklärte             den Vorbereitungsarbeiten, in der Zusam-
Varianz: 74.9 %; Faktorladungen zwischen               menarbeit mit Eltern, in der Zusammenarbeit
.77 und .90). Die Angabe zur internen                  mit Kollegen/innen, bei der konzeptionellen
Konsistenz zeigt in der Studie von Syrek et            Arbeit, bei Verwaltungsarbeiten, anfallenden
al. (2011) einen sehr zufriedenstellenden              Fahrzeiten sowie bei sonstigen beruflichen
Kennwert (Cronbach’s alpha = .95), der bei             Aktivitäten. Die acht Fragen hierzu werden
der Überprüfung mit den Daten der vorlie-              auf einer Likert-Skala von 1 (= nicht belas-
genden Studie bestätigt wird (Cronbach’s               tend) bis 4 (= sehr belastend) beantwortet. Es
alpha = .91). In die Analysen geht der ge-             wurde für jede Person aus den Einschätzun-
mittelte Summenwert der Skala ein.                     gen zu den beantworteten Items ein gemit-
                                                       telter Gesamtbelastungswert ermittelt.
82                                                     Karolin Schäfer, Kathrin Vogt & Manfred Hintermair

Ergänzende Einschätzungen                          den ergänzenden Einschätzungen wurden
Es wurden ergänzend mit vier Einzelitems           zunächst mittels bivariater Korrelationen
Informationen zu verschiedenen Aspek-              (Pearson) berechnet (Fragestellung 3). Zur
ten eingeholt, die im Kontext der Arbeit an        vertiefenden Analyse der Rolle der erhobe-
FFSH relevant sind. Erfragt wurde, ob und          nen inhaltlichen und soziodemografischen
inwiefern sich aus Sicht der befragten Per-        Merkmale für die WLB wurde eine lineare
sonen das Aufgabenspektrum im Laufe der            multiple Regressionsanalyse gerechnet mit
Berufstätigkeit verändert hat, wie gut sich        der WLB als abhängiger Variable und den
die Befragten durch ihre Ausbildung auf die        Merkmalen Self-Compassion, berufliche
Aufgaben in der Praxis vorbereitet fühlen          Belastung sowie den signifikanten sozio-
und wie sehr sie sich auf neue Aufgaben/           demografischen Merkmalen und den er-
Herausforderungen freuen bzw. wie sehr             gänzenden Einschätzungen als unabhängi-
sie sich durch zusätzliche Aufgaben über-          ge Variablen. Die differenzierende Analyse
fordert fühlen. Diese Fragen werden eben-          der Belastungen in den verschiedenen Tä-
falls auf einer Likert-Skala von 1 (= trifft gar   tigkeitsbereichen (Fragestellung 4) erfolgte
nicht zu) bis 4 (= trifft voll zu) beantwortet.    sowohl deskriptiv als auch mittels bivariater
                                                   Korrelationen (Pearson) zwischen den Bela-
Statistische Auswertung                            stungsscores und dem Wert der WLB-Ska-
                                                   la. Alle Analysen wurden unter zweiseitiger
Alle statistischen Analysen wurden mit             Prüfung auf Signifikanz durchgeführt.
dem Programm SPSS 25 durchgeführt. Der
Vergleich der WLB der in dieser Studie be-
fragten Lehrkräfte an FFSH mit der WLB             Ergebnisse
von Lehrkräften an allgemeinen Schulen
(Fragestellung 1) erfolgte unter Heranzie-         Vergleich der Work-Life-Balance von
hung der Validierungsdaten aus der Studie          Lehrkräften an FFSH und Lehrkräften
von Syrek et al. (2011) mittels t-Test für         an allgemeinen Schulen
unabhängige Stichproben. Die Messinva-
rianz wurde vorab überprüft (konfigurale           Der Vergleich der WLB der in dieser Studie
und metrische Invarianz nach Schwab &              befragten 470 Lehrkräfte an FFSH mit den
Helm, 2015, S. 178): Für beide Stichpro-           Daten der Stichprobe aus der Validierungs-
ben liegt eine Ein-Faktor-Struktur der WLB         studie (Syrek et al., 2011), in der 137 Lehr-
vor und die Faktorladungen sind vergleich-         kräfte an Realschulen, Gesamtschulen und
bar. Die Überprüfung des Stellenwerts der          Gymnasien befragt wurden (Fragestellung
erhobenen soziodemografischen Merkma-              1), ergibt keinen signifikanten Unterschied
le (siehe Stichprobenbeschreibung) für die         (Lehrkräfte Förderschwerpunkt Hören: M =
WLB der befragten Personen (Fragestellung          3.76; SD = 1.05; Lehrkräfte an allgemeinen
2) erfolgte – abhängig von der Skalierung          Schulen: M = 3.68; SD = 1.38; T = .73; df =
des jeweiligen Merkmals – entweder mit-            605; p < .47).
tels univariater Varianzanalyse (verschie-            Eine ergänzende deskriptive Betrachtung
dene Lehramtsqualifikationen), t-Test für          zeigt, dass der Mittelwert der hier unter-
unabhängige Stichproben (Geschlecht,               suchten Stichprobe (M = 3.76) etwas höher
Arbeitsbereiche, kommunikatives Setting,           liegt als der mathematische Mittelwert der
Inklusion, eigene Kinder) oder bivariater          Skala (M = 3.50). Die mittleren Werte auf
Korrelationen nach Pearson (Lebensalter,           Itemebene bewegen sich eng um den Ska-
Berufserfahrung, Anzahl eigener Kinder).           lenmittelwert (Werte zwischen M = 3.67
Die Zusammenhänge zwischen der WLB                 und M = 3.82). 50.8 % (n = 239) der Per-
und den Variablen „Berufliches Belas-              sonen haben einen geringeren Wert als das
tungserleben“, „Self-Compassion“ und               Mittel, 49.1 % (n = 231) liegen mit ihrem
Work-Life-Balance, berufsbezogenes Belastungserleben und Self-Compassion                          83

Wert darüber. Unter Berücksichtigung der                 Keine Zusammenhänge zur WLB zeigen
Streuung der Werte um den Mittelwert der               sich außerdem in Bezug auf das Lebensalter
Verteilung (M = 3.76, SD = 1.05) zeigt sich,           der Befragten (r = .03, p < .55), den Umfang
dass sich 18.7 % (n = 88) der Befragten mit            ihrer Berufserfahrung (r = .01, p < .80) und
ihrem mittleren Skalenwert im Bereich der              die Art ihres Lehramtsabschlusses (F = .94,
zweiten und dritten negativen Standardab-              df = 1,468, p < .33). Ebenso ist es statistisch
weichung befinden. 17.7 % (n = 83) befin-              nicht von Bedeutung für die Ausprägung der
den sich mit ihren Werten im Bereich der               WLB, ob die Befragten eigene Kinder haben
zweiten und dritten positiven Standardab-              (T = -.89, df = 468, p < .37) und wenn, wie
weichung.                                              viele Kinder sie haben (r = .07, p < .26) und
                                                       wie viele von ihnen noch im Haushalt le-
Zum Stellenwert soziodemografi-                        ben (r = -.03, p < .58).
scher Merkmale für die Work-Life-
Balance                                                Zusammenhänge zwischen Work-Li-
                                                       fe-Balance und assoziierten Faktoren
Bei der Überprüfung des Stellenwerts der
erhobenen soziodemografischen Merkmale                   Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die
der befragten Lehrkräfte für die Ausprägung            Korrelationen zwischen dem Skalenwert
der WLB (Fragestellung 2) ergeben sich ei-             in der TKS-WLB-Skala zur WLB und den
nige signifikante Zusammenhänge. Ein                   Skalenwerten in den übrigen Untersu-
Unterschied zeigt sich in Bezug auf das Ge-            chungsvariablen (berufliche Belastungen,
schlecht der Befragten: Frauen erzielen ge-            Self-Compassion, Nutzen der Ausbildung,
ringere Werte in der Skala zur WLB (Frauen:            Veränderung des Aufgabenspektrums über
M = 3.71, SD = 1.03; Männer: M = 4.11,                 die Jahre, Offenheit für neue Aufgaben/He-
SD = 1.11; T = -2.64; df = 467; p < .008;              rausforderungen, Überforderung durch zu-
Cohen’s d = .38). Des Weiteren weisen Lehr-            sätzliche neue Aufgaben; Fragestellung 3).
kräfte, die auch in bimodal-bilingualen Set-
tings tätig sind, geringere Werte in der WLB-
Skala auf als Lehrkräfte, die ausschließlich in
lautsprachlichen und/oder durch Gebärden
unterstützten Settings (LUG) arbeiten (Bimo-
dal-bilinguale Settings: M = 3.43, SD = .99;
Settings mit Lautsprache/LUG: M = 3.83, SD
= 1.06; T = 2.81; df = 468; p < .005; Cohen’s
d = .33). In Bezug auf die Arbeitsbereiche,
in denen die Lehrkräfte arbeiten, zeigt sich
ein signifikanter Unterschied: Die WLB von
Lehrkräften, die auch in der inklusiven Be-
gleitung von hörgeschädigten Schülern/in-
nen an allgemeinen Schulen eingesetzt wer-
den, ist geringer als die der Lehrkräfte, die
nicht in der Inklusion arbeiten (Inklusion:
M = 3.60, SD = 1.06; Reststichprobe: M =
3.84, SD = 1.04; T = 2.22; df = 468; p <
.027; Cohen’s d = .25). In Bezug auf die an-
deren Arbeitsbereiche (Primarstufe, Haupt-
schulstufe, Realschule, Gymnasium usw.)
zeigen sich keine signifikanten Zusammen-
hänge zur WLB.
84                                                              Karolin Schäfer, Kathrin Vogt & Manfred Hintermair

Tabelle 1: Zusammenhang von Work-Life-Balance und berufsrelevanten Merkmalen (n = 470)

                                         (1)       (2)         (3)        (4)        (5)        (6)       (7)
(1) Work-Life-Balance                     -
(2) Self-Compassion                    .31***       -
(3) Berufliche Belastungen             -.42***   -.28***         -
(4) Veränderung des                    -.14**     -.03        .17***       -
Aufgabenspektrums
(5) Nutzen der Ausbildung              .25***     .21***      -.26***    -.10*        -
(6) Freude auf neue Aufgaben/          .21***     .15***      -.31***     .01      .17***        -
Herausforderungen
(7) Überforderung durch neue           -.38***   -.26***      .31***     .12**     -.22***    -.43***       -
zusätzliche Aufgaben

*** p < .001; ** p < .01; * p < .05; r = .10: geringe Effektstärke; r = .30: mittlere Effektstärke; r = .50:
große Effektstärke (Cohen, 1988);

Es zeigt sich, dass die Lehrkräfte ihre WLB                weiblich), kommunikative Settings (1 = laut-
positiver einschätzen, je weniger sie sich                 sprachlich orientiert/ LUG; 2 = bimodal-bi-
beruflich belastet erleben und je stärker aus-             lingual orientiert) sowie der Arbeitsbereich
geprägt ihre Fähigkeiten zur Self-Compass-                 Inklusion (0 = in diesem Bereich nicht tätig;
ion sind. Diese Zusammenhänge weisen                       1 = in diesem Bereich tätig), in die Analyse
eine mittlere Effektstärke auf. Die ergänzen-              mit einbezogen, da sich diese Merkmale bei
den berufsfeldspezifischen Einschätzungen                  der Überprüfung des Stellenwerts soziode-
weisen ebenfalls signifikante Zusammen-                    mografischer Variablen als relevant erwie-
hänge zur WLB auf, wobei drei der Korrela-                 sen hatten (siehe Fragestellung 2).
tionen eine geringe Effektstärke aufweisen.
Ein signifikanter Zusammenhang weist eine
mittlere Effektstärke auf: Lehrkräfte, die an-
geben, sich durch neue zusätzliche Aufga-
ben überfordert zu fühlen, haben geringere
Werte in der WLB.
   Zur vertiefenden Analyse relevanter Fak-
toren für die Erklärung der WLB wurde
eine lineare multiple Regressionsanalyse
mit dem Skalenwert der WLB als abhän-
gige Variable gerechnet. Als unabhängige
Variablen fanden die Skalenwerte zu den
Merkmalen „Self-Compassion“, „Berufliche
Belastungen“ sowie die ergänzenden be-
rufsfeldspezifischen Einschätzungen (Tab.
1) Eingang in die Berechnung. Von den so-
ziodemografischen Merkmalen wurden die
Variablen Geschlecht (1 = männlich; 2 =
Work-Life-Balance, berufsbezogenes Belastungserleben und Self-Compassion                       85

Tabelle 2: Multiple Regressionsanalyse mit dem Summenwert der WLB-Kurzskala als abhängige
          Variable

Prädiktoren                                    Summenwert Work-Life-Balance (WLB)
                                  Nicht standardisierte Standardisierte
                                      Koeffizienten      Koeffizienten
                                      B       Standard-         β             T-Wert
                                                fehler
                                                             F (df 9,459) = 22.99***
(Konstante)                         5.00          .50                        10.03***
Geschlecht                          .40           .13         .12             3.13**
Kommunikatives Setting              -.27          .11         -.10            -2.52*
Tätigkeit Inklusion                 -.19          .09         -.08            -2.17*
Self-Compassion                      .27          .07          .15            3.61***
Berufliche Belastungen              -.65          .10         -.28           -6.34***
Veränderung des Aufgabenspektrums   -.05          .04         -.05             -1.20
Nutzen der Ausbildung                .09          .06         -.07             -1.68
Freude auf neue Aufgaben/           -.01         -03          -.01              -.33
Herausforderungen
Überforderung durch neue            -.36          .07         -.24           -5.28***
zusätzliche Aufgaben
                                                        R = .56; R2 = .31; korr. R2 = .30

*** p < .001; ** p < .01; * p < .05;

   Das Ergebnis der Regressionsanalyse                 Belastungserleben in verschiedenen
zeigt, dass mit den einbezogenen Variablen             Tätigkeitsbereichen und Work-Life-
30 % der Varianz erklärt werden können                 Balance
(Tabelle 2). Lehrkräfte mit geringeren Wer-
ten in ihrer schulischen Gesamtbelastung               Tabelle 3 zeigt die Ergebnisse zu der Frage,
und höheren Werten in der Skala „Self-                 wie belastend verschiedene Tätigkeiten im
Compassion“ weisen eine höhere WLB                     beruflichen Alltag erlebt werden und wel-
auf. Ebenso haben Personen, die sich durch             che Zusammenhänge zur WLB bestehen
neue zusätzliche Aufgaben weniger über-                (Fragestellung 4).
fordert fühlen, eine höhere WLB. Die ein-
bezogenen soziodemografischen Merkmale
weisen ebenfalls einen Zusammenhang zur
WLB auf: Weibliche Lehrkräfte, Lehrkräfte,
die in bimodal-bilingualen kommunika-
tiven Settings tätig sind, und Lehrkräfte in
der Inklusion berichten über eine geringere
WLB.
86                                                       Karolin Schäfer, Kathrin Vogt & Manfred Hintermair

Tabelle 3: Zusammenhang von Work-Life-Balance und Belastung bei beruflichen Tätigkeiten

 Tätigkeitsbereiche               Umfang             Belastung durch die              Korrelation
                                    der                  Tätigkeiten                 WLB/ Belastung
                                  Tätigkeit                                           der Tätigkeit
                                     %           M           SD             n                 r
 Arbeit mit Kindern/               38.20        1.91         .80          468              -.13**
 Jugendlichen
 Vorbereitungsarbeiten             19.56        2.15         .80          461             -.30***
 Zusammenarbeit mit Eltern          7.40        2.26         .81          446             -.21***
 Zusammenarbeit mit                10.75        1.80         .77          470             -.27***
 Kollegen/innen
 Konzeptionelle Arbeiten            4.60        2.36         .93          378             -.27***
 Verwaltungsarbeiten               12.14        2.87         .84          456             -.33***
 Fahrzeiten                         6.20        2.19         .96          362              -.17**
 Sonstige berufliche                1.14        1.97         .96          127               -.14
 Aufgaben
 Gesamtwerte                       100.0        2.21         .45          470             -.42***

*** p < .001; ** p < .01; WLB = Work-Life-Balance; n variiert für die einzelnen überprüften
Bereiche, da nicht jede befragte Person auch in jedem der abgefragten Bereiche tätig ist.

   Spalte 2 enthält die Angaben, in welchem        dass Verwaltungsarbeiten in besonderem
Umfang die verschiedenen Tätigkeiten von           Maße als belastend erlebt werden (M =
den befragten Lehrkräften in ihrem beruf-          2.87; SD = 84). Aber auch konzeptionelle
lichen Alltag wahrgenommen werden (An-             Arbeiten (M = 2.36; SD = .93) und die Zu-
gaben in Prozent). Es zeigt sich erwartungs-       sammenarbeit mit den Eltern (M = 2.26; SD
gemäß, dass mit knapp 40 % die Arbeit mit          = .81) fallen ins Gewicht.
hörgeschädigten Kindern und Jugendlichen              In Spalte 6 sind die Korrelationen (Pear-
im Zentrum der zu leistenden Aufgaben              son) zwischen den Belastungswerten in
steht. An zweiter Stelle stehen mit 19.6 %         den einzelnen Tätigkeitsbereichen und der
die Vorbereitungsarbeiten, die für die Arbeit      WLB der befragten Personen aufgeführt. Es
mit den Kindern und Jugendlichen anfallen.         zeigt sich für alle Bereiche (bis auf „Sons-
An dritter Stelle stehen mit 12.1 % der Ge-        tige berufliche Aufgaben“) ein signifikanter
samtzeit allgemeine Verwaltungstätigkeiten,        negativer Zusammenhang (mit unterschied-
die zu leisten sind, gefolgt von der Zusam-        licher Effektstärke) zur WLB: Dieser Zusam-
menarbeit mit den Kollegen/innen, die mit          menhang wird insbesondere sichtbar für die
10.7 % zu Buche steht.                             Bereiche „Verwaltungstätigkeiten“, „Vorbe-
   Die Spalten 3 bis 5 enthalten die deskrip-      reitungsarbeiten“, „konzeptionelle Zusam-
tiven Angaben, wie stark die Belastung in          menarbeit“ und „Zusammenarbeit mit den
den verschiedenen Tätigkeitsbereichen von          Kollegen/innen“: Je belastender die Tätig-
den befragten Lehrkräften erlebt wird (Min.        keit in diesen Bereichen erlebt wird, umso
= 1.0; Max. = 4.0). Hier zeigt sich mit deut-      geringer wird auch die WLB eingeschätzt.
lichem Abstand zu den anderen Bereichen,
Work-Life-Balance, berufsbezogenes Belastungserleben und Self-Compassion                         87

Diskussion                                             und die Versorgung der Familie usw. Mit den
                                                       vorliegenden Daten kann Aspekten wie den
Die vorliegende Untersuchung verfolgte                 genannten nicht nachgegangen werden, für
das Ziel, die WLB von Lehrkräften, die an              weiterführende Studien wäre es relevant,
FFSH arbeiten, zu analysieren und hier-                diese inhaltlich zu vertiefen.
bei den Zusammenhang zu verschiedenen                     Als weiteres soziodemografisches Merk-
Faktoren genauer zu betrachten, die einen              mal von Relevanz hat sich der Faktor „kom-
möglichen Erklärungsbeitrag für die WLB                munikatives Setting“ erwiesen. Danach
leisten.                                               zeigen Lehrkräfte, die (auch) in bimodal-bi-
   Die Ergebnisse haben gezeigt, dass sich             lingualen Settings unter Einbeziehung von
die WLB der untersuchten Stichprobe nicht              Lautsprache und Deutscher Gebärdenspra-
von der WLB der Lehrerstichprobe aus der               che arbeiten, eine geringere WLB haben als
Validierungsstichprobe von Syrek et al.                Personen, die ausschließlich in rein laut-
(2011) unterscheidet und somit davon aus-              sprachlichen Settings und/oder in Settings
zugehen ist, dass Lehrkräfte an FFSH in                mit Einsatz von lautsprachunterstützenden
ihrer WLB nicht in höherem Maße beein-                 Gebärden (LUG) arbeiten. Überlegungen,
trächtigt sind (Fragestellung 1). Dennoch              dass möglicherweise die Arbeit in einem
bleibt festzuhalten, dass unter Berücksich-            bimodal-bilingualen Setting besonders he-
tigung der Standardabweichung für die Ver-             rausfordernd ist, können mit dem vorlie-
teilung der Daten knapp ein Fünftel (18.7              genden Datenmaterial nicht abschließend
%) der befragten Personen einen Mittelwert             geklärt werden. Mündlich auf Tagungen
M ≤ 2.71 erzielt, was bedeutet, dass die fünf          berichtete Erfahrungen von bimodal-bilin-
Items der WLB-Skala von diesen Personen                gual arbeitenden Lehrkräften aus der Praxis
mehrheitlich problematisch eingeschätzt                deuten jedoch darauf hin, dass die Vorberei-
werden. Das ist ein Hinweis, dass für diesen           tungsarbeiten (Erstellen von Materialien etc.)
Personenkreis eine Gefährdung ihrer WLB                sowie die Abstimmung der Teams im bimo-
angenommen werden kann.                                dal-bilingualen Unterricht außerhalb der of-
   Von den in der vorliegenden Untersu-                fiziellen Schulzeit mehr Zeit und Aufwand
chung überprüften soziodemografischen                  kosten. Das hängt u. a. damit zusammen,
Merkmalen zur Erklärung der WLB (Fra-                  dass entsprechende Materialien hier häufig
gestellung 2) hat sich zum einen das Ge-               noch nicht existieren und schulübergreifen-
schlecht der Lehrkräfte als bedeutsam erwie-           de Konzepte gerade erst geschaffen werden.
sen. Frauen, die an FFSH arbeiten, haben                  Ebenfalls geringer ist die WLB von Lehr-
eine geringere WLB als Männer. Obgleich                kräften, die (auch) in der Begleitung inklusiv
sich in der Validierungsstudie von Syrek et            beschulter Kinder eingesetzt werden, was
al. (2011), in der das gleiche Befragungsins-          für immerhin knapp ein Drittel (31.3 %)
trument verwendet wurde wie in dieser Stu-             der befragten Personen zutrifft. Hier gilt es
die, kein Geschlechtereffekt zeigte, liegen            in weiterführenden Studien zu diskutieren,
gleichwohl einige Studien vor, die diesen              inwieweit es spezifische Aspekte der Tätig-
Gender Gap in Bezug auf WLB aufzeigen                  keit in inklusiven Settings sind (und wenn,
(Emslie & Hunt, 2009; Foster, 2001; Murray             welche), die möglicherweise zu einer ge-
et al., 2011). Der Tenor der Befunde geht da-          ringeren WLB dieser Gruppe beitragen.
hin, dass berufstätige Frauen nach wie vor im          Anzudenken ist, dass die Tätigkeit in der
Vergleich zu Männern eine Vielfalt von Rol-            Inklusion für Lehrkräfte im Förderschwer-
len und Aufgaben jonglieren müssen, wobei              punkt Hören in besonderem Maße zeitliche
die Erziehung und Versorgung der eigenen               Beanspruchungen enthält, da diese häufig
Kinder nur einen Teil dieser Aufgaben abbil-           mobil arbeiten und verschiedene allgemei-
det. Andere Aufgaben betreffen die Fürsorge            ne Schulen in der Umgebung aufsuchen,
um kranke oder alte Eltern, den Haushalt               in denen einzelintegrierte Kinder beschult
88                                                 Karolin Schäfer, Kathrin Vogt & Manfred Hintermair

werden. Dies umfasst z. T. lange Fahrtzei-     lenwert einer hohen beruflichen Selbstwirk-
ten, häufige Ortswechsel und ein breites       samkeit für die WLB aufzeigen, unterstüt-
Aufgabenspektrum an Beratungs- und Un-         zen insgesamt den Stellenwert personaler
terstützungsleistungen (Kaul, 2018).           Merkmale für die effektive Bewältigung
   Die Ergebnisse der durchgeführten Korre-    beruflicher und privater Herausforderungen
lations- und Regressionsanalyse (Fragestel-    (Blackburn et al., 2017; Seong, 2016).
lung 3) haben gezeigt, dass insbesondere         Was in weiterführenden Studien vertie-
wahrgenommene Belastungen im berufli-          fend zu untersuchen ist, ist der Befund der
chen Alltag die WLB beeinträchtigen. Eine      vorliegenden Studie, wonach eigene Kinder
genauere Analyse der Belastungsfaktoren        für das Erleben der WLB der Lehrkräfte, die
(Fragestellung 4) zeigte, dass es vor allem    an FFSH arbeiten, keine Rolle spielen. Die
Verwaltungsarbeiten, aber auch Vorberei-       Einschätzung der WLB war unabhängig von
tungsarbeiten (für den Unterricht etc.) und    der Angabe, ob die befragten Lehrkräfte
die Zusammenarbeit mit den Eltern sind,        eigene Kinder haben, wie viele Kinder sie
die hier für die WLB eine besonders rele-      haben und wie alt diese sind. In weiter-
vante Rolle spielen. Von den Lehrkräften       gehenden Untersuchungen sollten daher
wird Verwaltungsarbeit mit Abstand zu an-      z. B. die Entwicklung der Kinder, das Be-
deren anfallenden Aufgaben als besonders       lastungserleben der Eltern oder auch die
belastend erlebt und je höher diese erlebte    Eltern-Kind-Beziehung in die Analysen mit
Belastung ist, umso eingeschränkter erleben    einbezogen werden.
sie ihre WLB. Hierzu passt ein weiterer Be-
fund der vorliegenden Studie, wonach Lehr-     Limitationen
kräfte mit höherem Belastungserleben nicht
nur eine geringere WLB aufweisen, sondern      Neben den bereits genannten Aspekten, die
diese Personen auch häufiger angeben,          in weiterführenden Studien zur WLB von
sich von neuen zusätzlichen Aufgaben eher      Lehrkräften an FFSH zu berücksichtigen sind,
überfordert zu fühlen. Dies könnte ein Hin-    unterliegen die mit dieser Untersuchung ge-
weis sein, dass es sich hier um eine beson-    wonnenen Erkenntnisse noch einer Reihe
ders vulnerable Gruppe handelt, die mögli-     anderer Limitationen, die deren Aussagekraft
cherweise bereits „am Limit“ arbeitet und in   einschränken. Zunächst ist festzuhalten, dass
ihrer psychischen Gesundheit gefährdet ist.    es den Personen, die den Link zugeschickt
   Neben den Faktoren im beruflichen Um-       bekamen, freistand, den Fragebogen zu be-
feld hat sich auch das in dieser Studie er-    antworten, wodurch Selektionseffekte nicht
fasste personale Merkmal der Self-Com-         auszuschließen sind, die die Repräsentativi-
passion als relevant für die Ausprägung der    tät der gezogenen Stichprobe in Frage stel-
WLB erwiesen: Personen, die mit sich selbst    len. Generell spielen bei der Beurteilung
freundlich, achtsam und wohlwollend um-        des Rücklaufs von Online-Befragungen vie-
gehen und dabei eine gesunde Kultur im         le unterschiedliche Faktoren eine Rolle, die
Umgang mit Fehlern und herausfordernden        statistisch kaum erfasst werden können, wie
Situationen entwickelt haben, gelingt es       z.B. Zugang der Befragten zum Internet, Ein-
leichter, eine gute WLB auszubilden als Per-   gang des Fragebogenlinks im Posteingang
sonen, die sich selbst gegenüber eher kri-     oder Spam-Ordner, mögliche Unsicherheit
tisch und weniger nachgiebig sind. Studien     der Befragten über Datenweitergabe bei On-
zum Zusammenhang von Self-Compassion           line-Fragebögen etc. (Theobald, 2003).
und psychosozialem Wohlbefinden bestä-            Weiter ist kritisch anzumerken, dass in der
tigen die stärkende Kraft dieses Persönlich-   vorliegenden Arbeit als assoziierte Faktoren
keitsmerkmals (Baer, Lykins & Peters, 2012;    zur WLB fast ausschließlich berufsrelevante
Neff, 2004; Neff, Rude & Kirkpatrick, 2007).   Merkmale abgefragt wurden, während eine
Andere vorliegende Arbeiten, die den Stel-     genauere Betrachtung von Faktoren, die aus
Work-Life-Balance, berufsbezogenes Belastungserleben und Self-Compassion                       89

dem privaten Leben der Befragten in die Ge-            de WLB erreicht werden kann (Wittmann,
staltung der WLB mit hineinspielen, nicht              Hampel & Groen, 2019). Auch im späteren
vorgenommen wurde (bis auf die Frage                   Verlauf des Berufslebens erscheinen per-
nach eigenen Kindern). Dies ist möglicher-             sönlichkeitsstärkende Maßnahmen in Aus-
weise auch eine Erklärung dafür, dass durch            und Weiterbildungskursen hilfreich zu sein,
die Regressionsanalyse lediglich 30 % der              insbesondere in Arbeitsfeldern, die stetigen
WLB erklärt werden konnten. Hier sollten               Veränderungen unterworfen sind, wie es
in weiterführenden Studien z. B. die Rolle             in der Sonderpädagogik, der Inklusion und
der Familien- und Lebenszufriedenheit, As-             selbstverständlich auch in den unterschied-
pekte der Partnerschaft, Freizeitgestaltung            lichen Arbeitsbereichen der allgemeinen
und Gesundheit mit erhoben werden. Das                 Schulen der Fall ist.
könnte dazu beitragen, die WLB noch dif-                  Zu den hörgeschädigtenspezifischen
ferenzierter zu betrachten und mehr Erklä-             Arbeitsfeldern der bimodal-bilingualen Set-
rungsvarianz zu erzielen.                              tings und der häufig mobilen Arbeit in der
  Schließlich wurden die Belastungen, die              Inklusion sollten weitere Forschungsarbei-
die befragten Personen in ihren beruflichen            ten angeschlossen werden, da die in die-
Aktivitäten erleben, lediglich mit knappen             sen Bereichen tätigen Lehrkräfte über eine
einschätzenden Ratings erhoben. Da sich                geringere WLB berichten. Somit könnte
gezeigt hat, dass es insbesondere diese Be-            weiterführend untersucht werden, ob und
lastungen sind, die mit der WLB in Zusam-              inwiefern diese Arbeitsbereiche tatsächlich
menhang stehen, wäre für weitergehende                 beanspruchender sind als andere Tätigkei-
Studien vorzuschlagen, Belastungserfahrun-             ten und wie hier Unterstützung geleistet
gen in den einzelnen Tätigkeitsbereichen               werden könnte. Es könnte z.B. ermittelt wer-
entweder differenzierter (und nicht nur je-            den, ob es in bimodal-bilingualen Settings
weils mit einem Item) abzufragen oder dies             an Materialien oder Ressourcen mangelt,
in Form qualitativer Interviews zu gestalten,          die verstärkt entwickelt und bereitgestellt
indem die konkreten belastenden Erfahrun-              werden könnten. Bezogen auf die mobi-
gen und Herausforderungen durch Gesprä-                le Arbeit in der Inklusion könnte erprobt
che sichtbar und verstehbar gemacht wer-               werden, ob bestimmte Beratungstätigkeiten
den können. Dadurch könnten mögliche                   auch durch Videokonferenzen, Blocktage in
Auswirkungen auf die WLB konkretisiert                 Einrichtungen o. Ä. ersetzt werden könnten,
und Hinweise für präventive gesundheits-               um lange und häufige Autofahrten zu redu-
förderliche Maßnahmen formuliert werden.               zieren.
                                                          Auch die Corona-Krise hat zu zusätzli-
Pädagogische Implikationen                             chen Anforderungen und Veränderungen in
                                                       Bildungseinrichtungen geführt, die sicher-
Obwohl die Daten der vorliegenden Studie               lich noch weit über die Pandemie hinaus
keine Hinweise auf eine besondere Ge-                  auf alle Beteiligten einwirken werden. Mit-
fährdung der WLB von Lehrkräften an FFSH               hilfe von konkreten Belastungsanalysen am
enthalten, sollte das Thema angesichts der             Arbeitsplatz könnte z.B. erörtert werden,
Tatsache, dass dennoch knapp ein Fünftel               welche Faktoren konkret auf den privaten
der Befragten ihre WLB als problematisch               Bereich wirken und diesen ggf. negativ be-
erleben, bereits in der Ausbildung an den              einflussen („Spillover-Effekt“).
Hochschulen und in der Referendariats-                    Dies könnte dabei helfen, Strategien zu
phase aufgegriffen werden. Auf diese Wei-              vermitteln und Hilfen zu implementieren,
se kann präventiv über Anforderungen des               um die WLB von Lehrkräften (nicht nur im
Berufs und relevante gefährdende Faktoren              Fachbereich Hören) langfristig positiv zu
aufmerksam gemacht sowie Strategien ver-               beeinflussen und zur Gesundheitsförderung
mittelt werden, wie eine zufriedenstellen-             der Berufsgruppe beizutragen.
90                                                Karolin Schäfer, Kathrin Vogt & Manfred Hintermair

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