Impact Free Impact Free 46 - Juni 2022 - Hochschuldidaktisches Journal - Gabi Reinmann

Die Seite wird erstellt Marlene Kurz
 
WEITER LESEN
[0]

   Impact Free
   Hochschuldidaktisches Journal

   Impact Free 46 – Juni 2022
   HAMBURG

IMPACT FREE 46 (Juni 2022)            Reinmann
[0]

Impact Free
Was ist das?
Impact Free ist eine Publikationsmöglichkeit für hochschuldidaktische Texte,
-   die als Vorversionen von Zeitschriften- oder Buch-Beiträgen online ge-
    hen, oder
-   die aus thematischen Gründen oder infolge noch nicht abgeschlossener
    Forschung keinen rechten Ort in Zeitschriften oder Büchern finden, oder
-   die einfach hier und jetzt online publiziert werden sollen.

Wer steckt dahinter?
Impact Free ist kein Publikationsorgan der Universität Hamburg. Es handelt
sich um eine Initiative, die allein ich, Gabi Reinmann, verantworte, veröffent-
licht auf meinem Blog (http://gabi-reinmann.de/).
Herzlich willkommen sind Gastautoren, die zum Thema Hochschuldidaktik
schreiben wollen. Texte von Gastautorinnen können dann natürlich auch in de-
ren Blogs eingebunden werden.

Und was soll das?
Impact Free war gedacht als ein persönliches Experiment. Falls zu wenige
Texte über einen gewissen Zeitraum zusammengekommen wären, hätte ich das
Vorhaben wieder eingestellt. Dem ist aber nicht so, sodass ich Impact Free bis
auf Weiteres fortsetze. Inzwischen sind die Texte auch über die Staats- und
Universitätsbibliothek Hamburg hier erreichbar.
In diesem Journal mache ich in Textform öffentlich, was mir wichtig erscheint:
(a) Gedanken, bei denen ich so weit bin, dass sie sich für mehr als Blog-Posts
eignen, (b) Texte, die aus diversen Gründen noch nicht geeignet sind für andere
Publikationsorgane, (c) Texte, die in Reviews abgelehnt wurden oder infolge
von Reviews so weit hätten verändert werden müssen, dass es meinen Inten-
tionen nicht mehr entspricht, (d) Texte mit hoher Aktualität, für welche andere
Publikationswege zu langsam sind, (e) inhaltlich passende Textbeiträge von
anderen Autorinnen. Genderschreibweise und Textlänge sind bewusst variabel
und können frei gewählt werden.

Kontaktdaten an der Universität Hamburg:
Prof. Dr. Gabi Reinmann
Universität Hamburg
Hamburger Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen (HUL)
Leitung | Professur für Lehren und Lernen an der Hochschule

Jungiusstraße 9 | 20355 Hamburg

reinmann.gabi@googlemail.com
gabi.reinmann@uni-hamburg.de
https://www.hul.uni-hamburg.de/
http://gabi-reinmann.de/

IMPACT FREE 46 (Juni 2022)                                                        Reinmann
[1]

HOCHSCHULLEHRE ALS                                       methodologisches Rahmenkonzept für die Bil-
                                                         dungswissenschaften immer auch nach dem
DESIGNBASIERTE PRAXIS:                                   Wesen von Design (als einem Erkenntnismo-
LERNEN VON DEN                                           dus) Ausschau halten muss und dabei, so meine
                                                         Einschätzung, die designwissenschaftliche Li-
DESIGNWISSENSCHAFTEN                                     teratur nicht außer Acht lassen kann. Eine er-
                                                         neute Lektüre des Buches unter dem Blickwin-
GABI REINMANN                                            kel der Hochschullehre als einer designbasier-
                                                         ten Praxis könnte aus heutiger Sicht gewinn-
                                                         bringend sein. Nun aber geht es um den Artikel
                                                         The Challenge of Improving Designing, in dem
In diesem Beitrag widme ich mich einem de-               Stolterman (2021) diskutiert, welchen Beitrag
signwissenschaftlichen Text von Erik Stol-               Forschung leisten kann, um die Designpraxis zu
terman aus dem Jahr 2021 zur Verbesserung                verbessern. Ins Zentrum seiner Analyse stellt er
von Designprozessen via Forschung. Ich erör-             das Konstrukt der Vorhersagbarkeit, das in der
tere die Kernaussagen des Textes vor dem Hin-            Forschung, insbesondere der, die nach natur-
tergrund der Frage, was man daraus für die Ver-          wissenschaftlichem Vorbild praktiziert wird
besserung von Hochschullehre als einer reflek-           (Stichwort: Science), von großer Relevanz ist.
tierten designbasierten Handlungspraxis lernen           Er geht von der designtheoretisch weit verbrei-
kann. Zugrunde liegt die Annahme, dass es zwi-           teten Basisannahme aus, dass der Designpro-
schen Lehre an Hochschulen bzw. der Gestal-              zess nicht vollständig kontrollierbar ist, sodass
tung von Hochschullehre einerseits und dem               man keine erwünschten Resultate garantieren
Design als einem designwissenschaftlichen Ge-            kann. Wenn dem so ist, stellt sich die Frage, wie
genstand andererseits analoge Strukturen gibt.           Designforschung (dennoch) zur Verbesserung
Mein Ziel ist es, zu analysieren, welche Aussa-          der Designpraxis beitragen kann und welche Ri-
gen von Stolterman auf den Gegenstand Hoch-              siken dabei im Auge zu behalten sind. Stol-
schullehre übertragbar sind und was die Hoch-            termans (2021) Kernargument ist, dass jede
schuldidaktik von den Designwissenschaften in            Forschung, die Designprozesse unterstützen
der Folge lernen könnte. Es geht mir nicht um            und besser machen will, das Wesen von Design
Gleichsetzungen oder einen einfachen Transfer            verstehen muss. Ist das nicht der Fall, bestehe
von einer Disziplin in die andere. Vielmehr er-          die Gefahr, dass Forschung mehr Schaden an-
hoffe ich mir Impulse zum Verständnis von                richtet als Nutzen stiftet.
Lehre als einer Handlungspraxis sowie zur
Rolle von Forschung für deren Verbesserung               Im Folgenden fasse ich die Kernaussagen von
aufgrund einer „Wesensverwandtschaft“ zwi-               Stolterman (2021) zusammen, ordne sie stellen-
schen Lehren und Design.                                 weise neu, prüfe, ob und inwieweit sie so oder
                                                         ähnlich für den Akt des Lehrens an Hochschu-
Autor und Text                                           len gelten könnten, und erläutere, welche Impli-
                                                         kationen dies für die hochschuldidaktische For-
Erik Stolterman kommt ursprünglich aus der In-           schung haben kann.
formatik; seine heutigen Forschungsschwer-
punkte sind Interaktionsdesign, Philosophie und          Designpraxis und die Rolle der
Theorie des Designs, Informationstechnologie             Forschung
und Gesellschaft sowie Design von Informati-
onssystemen. Er ist an der Indiana University in         Was die Designpraxis kennzeichnet. Stol-
Bloomington (USA) sowie an der Universität               terman (2021, pp. 66f.) beginnt seine Ausfüh-
Umeå (Schweden) am Institut für Design als               rungen, indem er sich fragt, warum es selbst für
Professor tätig. Vor einigen Jahren habe ich be-         erfahrene Designer oft sehr schwierig ist, ihre
reits mit großem Gewinn das Buch The Design              Erfolge zu wiederholen und aus welchem
Way – Intentional Change in an Unpredictable             Grund Design-Methoden in der Hand verschie-
World gelesen, das er 2012 (in der zweiten Auf-          dener Designer nicht zu gleichen Ergebnissen
lage) zusammen mit Herold Nelson geschrieben             führen, insgesamt also Vorhersagbarkeit im
hat (Nelson & Stolterman, 2012). Meine Lek-              Kontext von Design offenbar nicht besonders
türe war geprägt von Fragen aus dem Kontext              gut funktioniert.
Design-Based Research (DBR), da DBR als ein

IMPACT FREE 46 (Juni 2022)                                                                      Reinmann
[2]

Seine Antwort darauf ist, dass Design ein Pro-             del, angetrieben durch Ziele, Bedarfe und Wün-
zess mit eigener Logik und Rationalität ist, der           sche (Desiderata): Es geht darum, etwas, das
darauf abzielt, Lösungen zu generieren, die                noch nicht existiert, zu gestalten, wofür Imagi-
noch nicht existieren. Design verlange daher               nation unerlässlich ist. Der Designer entwickle
nach Kreativität und Imagination und sei letzt-            eine Vorstellung vom Ganzen und (ersten) De-
lich in hohem Maße von der Person des Desig-               tails, was anschlussfähig an das sein müsse, was
ners und dem jeweiligen Kontext abhängig. Ein              schon existiert, wie auch – gedanklich – in Re-
großer Teil designtheoretischer Literatur attes-           sonanz mit den Menschen treten solle, die es be-
tiere dem Design einen entsprechend unvorher-              trifft. Design setzt also voraus, dass man sich et-
sagbaren Charakter. Design, so Stoltermans                 was vorstellt, ohne es aber vorhersagen zu kön-
(2021, p. 73) Zusammenfassung, sei eben im-                nen. Zudem könne man den Designprozess nur
mer riskant. Nichtsdestotrotz versuchen viele              begrenzt planen; realisiert sei ein Design erst,
Designforscherinnen mit ihren Forschungsar-                wenn es implementiert wird, also Teil der beste-
beiten über und für Design (research about/for             henden Realität wird (Stolterman, 2021, p. 69).
design) die Designpraxis zu verbessern, indem
sie diese zuverlässiger, weniger riskant und vor-          Lehrpraxis und die Rolle der
hersehbarer machen (Stolterman, 2021, p. 65) –             Forschung
eine letztlich paradoxe Situation.
                                                           Was die Lehrpraxis kennzeichnet. Vergleicht
Was in der Designforschung als ideal gilt.                 man Stoltermans (2021) Beschreibung der De-
Stolterman (2021, p. 66 ff.) greift das Konstrukt          signpraxis mit der Praxis der Hochschullehre,
der Vorhersagbarkeit (predictability) heraus,              lassen sich einige Parallelen erkennen: Lehrper-
um sich näher mit dieser paradoxen Situation zu            sonen mit langjähriger Erfahrung und Expertise
beschäftigen: Im Alltag, so seine Argumenta-               können Erfolge in der Hochschullehre ebenfalls
tion, gibt es viele Beispiele dafür, dass wir eine         nicht mit allen Zielgruppen und in allen Situati-
gewisse Vorhersagbarkeit benötigen, um hand-               onen quasi auf Knopfdruck wiederholen. Auch
lungsfähig zu sein. Ebenso aber lassen sich Bei-           als bewährt geltende Lehr-Lernmethoden sind
spiele dafür finden, dass Menschen mitunter                kein Garant für gute Hochschullehre: Die jewei-
überrascht werden wollen und sich dann genau               lige Lehrperson mit ihrem Wissen und Können
nicht wünschen, etwas vorherzusehen. Vorher-               ebenso wie der je spezifische Kontext haben
sagbarkeit sei folglich ein Konstrukt, das nicht           Einfluss darauf, wie einzelne Methoden reali-
per se gut oder schlecht ist; dies lasse sich nur          siert werden und ihr Potenzial entfalten können
in Abhängigkeit von spezifischen Zwecken,                  (Renkl, 2015, S. 214). Es scheint mir im Ver-
Zielen und Wünschen bestimmen. In der Wis-                 gleich zur designtheoretischen Literatur aller-
senschaft ist Vorhersagbarkeit ein Erfolgskrite-           dings weniger Konsens darin zu bestehen, wo-
rium – zumindest in den Naturwissenschaften,               rin dieser Umstand begründet ist: Tendenziell
die allerdings für viele andere Disziplinen als            fragt man sich weniger, ob mangelnde Vorher-
Vorbild dienen1: Im Idealfall fungieren Theo-              sagbarkeit in einer eigenen Logik von Lehren
rien als Instrument, um etwas vorherzusagen.               und Lehre begründet liegen könnte, wie Stol-
Stolterman (2021, p. 68) fragt sich nun in sei-            terman (2021) für das Design beschriebt; viel-
nem Text, warum Vorhersagbarkeit auch dann                 mehr geht man tendenziell davon aus, dass es zu
zu einem wissenschaftlichen Kriterium ge-                  wenig Forschung und in der Folge zu wenig be-
macht wird, wenn es gar nicht angemessen ist –             lastbares Wissen über relevante Zusammen-
zumal da es nicht das einzige Kriterium für Wis-           hänge beim Lehren gibt.
senschaftlichkeit ist.
                                                           Was in der Bildungsforschung als ideal gilt.
Was Design ausmacht. Im Zusammenhang mit                   Entsprechend bemüht man sich, vor allem mit
Design jedenfalls erachtet Stolterman (2021, p.            Mitteln der empirischen Lehr-Lernforschung
68) das Kriterium der Vorhersagbarkeit als                 Erkenntnisse zu generieren, die Hochschullehre
kaum angemessen. Er charakterisiert Design als             besser machen – und zwar unabhängig von kon-
einen professionellen und intentionalen Wan-               kreten Personen und Kontexten.

1
 Zur Erläuterung sei ergänzt, dass unter „Vorher-          kausalen Erklärung zu verstehen ist, und „Vorher-
sage“ (oder Prognose) quasi die Umkehrung einer            sagbarkeit“ entsprechend die Möglichkeit meint, et-
                                                           was zu prognostizieren.

IMPACT FREE 46 (Juni 2022)                                                                          Reinmann
[3]

Das von Stolterman (2021) ins Feld geführte na-           Wege zur Verbesserung von Design-
turwissenschaftliche Ideal der Vorhersagbarkeit           praxis
spielt in dieser Art zu forschen eine wichtige
Rolle. Kritische Stimmen bezweifeln zwar, dass            Wie man Design theoretisch verbessern
dies dem Wesen von Lehren und Lernen gerecht              kann. Stolterman (20131, p. 70) analysiert,
wird (Biesta, 2020, pp. 47 ff.), bilden aber wohl         welche Möglichkeiten es im Prinzip gibt, um
nicht die Mehrheit in der Forschungslandschaft            das Ergebnis von Design zu verbessern und da-
zum Lehren und Lernen. Es lassen sich zwi-                bei Forschung in Anspruch zu nehmen: Aus der
schen Design- und Bildungswissenschaften                  Forschungsperspektive betrachtet, könne man
folglich interessante Gemeinsamkeiten ausma-              insbesondere den Einfluss des Designers (der
chen – sowohl, was die Ambition von Forsche-              als besonders unkontrollierbarer Faktor gilt) so-
rinnen betrifft, vorhersagbare Resultate zu er-           wie des Kontextes reduzieren; zudem könne
zielen, also auch, was den Zweifel genau daran            man (was vor allem für Novizen ein probates
und an der Adäquatheit naturwissenschaftlicher            Mittel ist) den Einfluss von Methoden und
Kriterien wie Vorhersagbarkeit für den Gegen-             Werkzeugen sowie von gesichertem Wissen
standsbereich Lehren, Lernen, Bildung angeht.             (Evidenz) erhöhen. Wenn Forschung (über und
                                                          für Design) praktiziert wird, dann gehe es um
Was Hochschullehre ausmacht. Man kann                     genau solche Optionen. Bis zu einem gewissen
sich bei der Frage nach der Verbesserung von              Grad seien diese auch sinnvoll, aber zugleich
Lehre durch Forschung vom designwissen-                   mit der Gefahr verbunden, bestehende Lösun-
schaftlichen Diskurs durchaus anregen lassen,             gen zu konservieren. Einschränkend weist Stol-
denn es gibt gute Gründe anzunehmen, dass                 terman (2021) darauf hin, dass Forscher an sich
Lehren eine Handlungspraxis ist, die in vieler            gar keine strikte Vorhersagbarkeit als Erfolgs-
Hinsicht auf Design basiert (Reinmann, in                 kriterium ihrer Forschung meinen, diese aber
Druck): Lehren umfasst immer auch Designpro-              dann doch so kommunizieren würden, dass die-
zesse – in der Planung und Konzeption, aber               ser Eindruck entsteht. Mit Blick auf die Charak-
auch in der Umsetzung (z.B. Laurillard, 2012;             teristika von Design ergäbe das allerdings we-
Goodyear, 2015). Qualitativ gute Lehrangebote             nig Sinn.
entstehen häufig durch vielfältiges Ausprobie-
ren in iterativen Zyklen des Entwerfens und Er-           Welche Wege zur Verbesserung von Design
probens, ähnlich wie das im Kontext von De-               sinnvoll sind. Für Stolterman (2021) ist For-
sign beschrieben wird. Allerdings ist das Lehr-           schung damit allerdings keineswegs obsolet. Er
handeln nicht zwingend darauf ausgerichtet,               plädiert für eine weiche Vorhersagbarkeit in
immer etwas Neues hervorzubringen wie beim                dem Sinne, dass man Aussagen generiert wie:
Design generell: In der Lehre gibt es auch so et-         „Ich mache immer X, wenn ich Y tue, und für
was wie Standardsituationen (Tremp, 2011, S.              mich funktioniert es meist“ (Stolterman, 2021,
275 ff.); zudem verfolgt man in der Regel vorab           p.72). Zudem spricht sich er sich dafür aus, dass
festgelegte Lehr-Lernziele. Allerdings sprechen           Forschung die Designpraxis inspiriert: mit Ar-
wir bewusst auch von Hochschulbildung, weil               tefakten und Wissen, die dann auf komplexe
Bildungsprozesse angestrebt werden, die weder             und reichhaltige Situationen treffen bzw. mit
durch bestimmte Lehrmethoden herstellbar                  diesen kollidieren und Designer entsprechend
noch vorhersagbar sind. Das heißt: Man kann               anregen. Schließlich verweist Stolterman
man Hochschullehre (als Prozess und Ergebnis)             (2021) auf die Relevanz einer guten Vorberei-
zwar nicht mit Design aus designwissenschaft-             tung für die Designpraxis: also auf (Aus-)Bil-
licher Sicht gleichsetzen; es gibt jedoch deutli-         dung, für deren Erfolg es aber wiederum keine
che Überschneidungen, sodass Stoltermans                  Garantie gäbe (Stolterman, 2021, p. 73). Versu-
(2021) Ausführungen über Designforschung                  che, Design – wie auch immer – zu verbessern,
zur Verbesserung der Designpraxis eine anre-              würden letztlich immer zu unerwarteten, also
gende Grundlage für die Lehrpraxis und Bil-               auch nicht vorhersehbaren, Ergebnissen führen
dungsforschung in der Hochschule liefert.                 (Stolterman, 2021, p. 73).

IMPACT FREE 46 (Juni 2022)                                                                       Reinmann
[4]

Was folgt daraus für die Designforschung?                  Welche Wege zur Verbesserung von Hoch-
Jeder Forschungsansatz, so Stolterman (2021,               schullehre sinnvoll sind. Trotzdem besteht na-
p. 73), der die Designpraxis verbessern will,              türlich das legitime Anliegen (ich würde sagen:
muss das Wesen des Designs in der Tiefe ver-               die Notwendigkeit), die Hochschullehre zu ver-
standen haben. Forschung sei wichtig und habe              bessern und dazu auch Forschung heranzuzie-
die Designpraxis auch schon in vieler Hinsicht             hen. Die Frage ist nur: Wie muss diese For-
beeinflusst und verändert: „But when it comes              schung beschaffen sein, damit sie zum Gegen-
to using predictability as a way to establish evi-         stand passt? Stolterman (2021) stellt diese
dence for an improved design process, we have              Frage für das Design ganz explizit; in der Hoch-
to be careful“ (Stolterman, 2021, p. 74). Dieses           schullehre stellen wir sie aus meiner Sicht nicht
Zitat bringt Stoltermans Kernbotschaft auf den             konsequent genug. Bildungswissenschaftliche
Punkt. Der Wert der Designforschung würde                  Forschung ist vielfältig und ich sehe an sich gar
nicht kleiner werden, wenn man resultierende               keine Notwendigkeit, Vorhersagbarkeit zum
Aussagen weniger nach naturwissenschaftli-                 wissenschaftlichen Erfolgskriterium zu erklären
chem Vorbild formulieren und auslegen würde,               und/oder eine evidenzbasierte Praxis im stren-
solange sichergestellt sei, dass sie für alle am           gen Sinne anzustreben. Stoltermans (2021)
Designprozess beteiligten Akteure nützlich                 Vorschlag, wissenschaftliche Aussagen „wei-
bzw. unterstützend ist.                                    cher“ so zu formulieren, dass deutlich wird, was
                                                           unter welchen Bedingungen erfahrungsgemäß
Wege zur Verbesserung von Lehr-                            (aus welchen Gründen) funktioniert, findet sich
praxis                                                     beispielsweise im Kontext von DBR und in der
                                                           Generierung von Designprinzipien wieder (z.B.
Wie man Hochschullehre theoretisch verbes-                 Bakker, 2018). DBR führt darüber hinaus zu
sern kann. Legt man versuchsweise die von                  konkreten Artefakten und Beispielen für die
Stolterman (2021) genannten, theoretisch mög-              Hochschullehre, die nicht nur Designprinzipien
lichen, Wege zur Verbesserung der Designpra-               liefern, sondern Hochschullehrende auch inspi-
xis an die Hochschullehre und deren Erfor-                 rieren können. Dass eine bessere Vorbereitung
schung an, kann man durchaus Parallelen fest-              auf die Gestaltung von Lehre an Hochschulen
stellen: Insbesondere psychologisch motivierte             nötig und hilfreich ist, steht wohl außer Frage;
Lehr-Lernforschung bemüht sich, Forschungs-                allerdings – das sei hier nur am Rande bemerkt
resultate zu erzielen, aus denen sich Aussagen             – reiht sich dieser Vorschlag von Stolterman
für die Verbesserung der Hochschullehre ablei-             (2021) aus meiner Sicht nicht ganz nahtlos in
ten lassen, die möglichst unabhängig von der               seine Argumentation ein, Praxis durch For-
Person Hochschullehrender und vom je spezifi-              schung zu verbessern.
schen Kontext sind (z.B. Schneider & Mustafić,
2015). Gleichzeitig geht es in vielen empiri-              Was folgt daraus für die hochschuldidakti-
schen Studien um die Frage, welche Lehr-Lern-              sche Forschung? Auch wenn Lehre nicht mit
methoden welche Wirkungen erzielen, damit                  Design gleichzusetzen ist, basiert sie doch auf
man sie in der Hochschullehre sozusagen guten              Design-Tätigkeiten und besitzt ebenfalls eine
Gewissens einsetzen kann. Unter dem Stich-                 eigene Logik und Rationalität. Vor diesem Hin-
wort der evidenzbasierten Praxis ist es erklärtes          tergrund kann man Stoltermans (2021) Folge-
Ziel in weiten Teilen der Bildungsforschung                rung für die Designforschung meiner Einschät-
(auch über die Hochschule hinaus), gesichertes             zung zufolge auch für die hochschuldidaktische
Wissen für die Gestaltung von Lehre zur Verfü-             Forschung zur Verbesserung der Lehre über-
gung zu stellen. Dieses Evidenzstreben wird al-            nehmen: Jeder Forschungsansatz, der die Lehr-
lerdings von gut begründeten Zweifeln beglei-              praxis verbessern will, müsste das Wesen des
tet, ob das in dieser Form überhaupt möglich               Lehrens in der Tiefe verstanden haben. Und da
und sinnvoll ist (z.B. Scharlau, 2019). Es zeigen          ein einfacher Transfer des naturwissenschaftli-
sich also deutliche Ähnlichkeiten zwischen dem             chen Ideals auf die Erforschung von Lehre eben
design- und bildungswissenschaftlichen Ver-                dieser nicht in der Tiefe gerecht werden kann,
such, via Forschung die Praxis zu verbessern               sollte man – ähnlich wie im Kontext von Design
und dabei relativ unkritisch naturwissenschaft-            – sehr vorsichtig sein mit Erwartungen oder
liche Standards heranzuziehen.                             Versprechen in Richtung Vorhersagbarkeit und
                                                           evidenzbasierter Praxis.

IMPACT FREE 46 (Juni 2022)                                                                        Reinmann
[5]

Konzipiert man Hochschullehre als reflektierte           Literatur
designbasierte Praxis, erweist sich DBR als be-
sonders gut dafür geeignet, Hochschullehre               Bakker, A. (2018). Design research in educa-
über den Weg von Designprinzipien und Inspi-             tion. A practical guide for early career re-
ration zu verbessern, was man natürlich auch in          searcher. New York: Routledge.
(Aus-)Bildungsangebote einfließen lassen kann            Biesta, G. (2020). Educational research. An un-
(Reinmann, Brase & Lübcke, in Druck). Dass               orthodox introduction. London: Bloomsbury.
Stolterman (2021) bei seinen Überlegungen zur
Rolle der Forschung für die Designpraxis aus-            Goodyear, P. (2015). Teaching as design.
schließlich research about/for design, nicht             HERDSA Review of Higher Education, 2, 27-
aber Forschung durch Design (research through            50.
design) – was DBR sehr ähnlich ist – in Erwä-            Laurillard, D. (2012). Teaching as design sci-
gung zieht, verwundert mich etwas. Ich erkläre           ence. Building pedagogical patterns for learn-
mir das damit, dass es ihm in seinem Text um             ing and technology. New York: Routledge.
die Forschungsansätze ging, die in den Design-
                                                         Nelson, H.G. & Stolterman, E. (2012). The de-
wissenschaften an Bedeutung gewinnen,
                                                         sign way. Intentional change in an unpredicta-
obschon (oder weil) sie sich am naturwissen-
                                                         ble world. London: MIT Press.
schaftlichen Ideal, und damit auch an Vorher-
sagbarkeit, orientieren (was bei research                Reinmann, G. (in Druck). Wissenschaftsdidak-
through design genau nicht der Fall ist), um de-         tik und ihre Verwandten im internationalen Dis-
ren Risiken und Grenzen in den Mittelpunkt der           kurs zur Hochschulbildung Einleitung. Er-
Aufmerksamkeit zu rücken.                                scheint in G. Reinmann & R. Rhein (Hrsg.),
                                                         Wissenschaftsdidaktik I: Einführung. Bielefeld:
Fazit                                                    transcript.

Designwissenschaftliche Diskurse sind für die            Reinmann, G. Brase, A. & Lübcke, E. (in
Hochschullehre aus zwei Gründen relevant:                Druck). Wissenschaftsdidaktik auf sich selbst
Zum einen lässt sich Lehren als designbasierte           bezogen: Wissenschaftsdidaktik für die Wis-
Handlungspraxis modellieren; aus dieser Per-             senschaftsdidaktik. Erscheint in G. Reinmann &
spektive kann man sich fragen, welche Impulse            R. Rhein (Hrsg.), Wissenschaftsdidaktik II. Ein-
die Praxis und Erforschung des Designs der Pra-          zelne Disziplinen. Bielefeld: transcript.
xis und Erforschung von Hochschullehre geben             Renkl, A. (2015). Drei Dogmen guten Lernens
können. Zum anderen erweist sich DBR als ein             und Lehrens: Warum sie falsch sind. Psycholo-
geeigneter methodologischer Rahmen für eine              gische Rundschau, 66 (4), 211-220.
Forschung, mit der man Hochschullehre verbes-
                                                         Scharlau, I. (2019). Sich verständigen. Überle-
sern kann; ohne Kenntnis designwissenschaftli-
                                                         gungen zur Frage der Evidenzbasierung. In T.
cher Diskurse scheint mir das Verständnis des
                                                         Jenert, G. Reinmann & T. Schmohl (Hrsg.),
besonderen Erkenntnismodus von DBR unvoll-
                                                         Hochschulbildungsforschung        Theoretische,
ständig zu bleiben. DBR schließt die (analoge)
                                                         methodologische und methodische Denkan-
Lücke, die Stolterman (2021) in seinem Beitrag
                                                         stöße für die Hochschuldidaktik (S. 125-148).
zur Verbesserung von Design ausfindig macht –
                                                         Wiesbaden: Springer VS.
interessanterweise aber ohne design through re-
search explizit in seine Argumentation mit auf-          Schneider, M. & Mustafić, M. (2015). Gute
zunehmen.                                                Hochschullehre: Eine evidenzbasierte Orientie-
                                                         rungshilfe. Wie man Vorlesungen, Seminare
                                                         und Projekte effektiv gestaltet. Berlin: Springer.
                                                         Stolterman, E. (2021). The challenge of improv-
                                                         ing design. International Journal of Design, 15
                                                         (1), 65-74.
                                                         Tremp, P. (2011). Hochschuldidaktik als Einla-
                                                         dung. In M Weil, M. Schiefner, B. Eugster & K.
                                                         Futter (Hrsg.), Aktionsfelder der Hochschuldi-
                                                         daktik. Von der Weiterbildung zum Diskurs (S.
                                                         269-279). Münster: Waxmann.

IMPACT FREE 46 (Juni 2022)                                                                       Reinmann
[6]

Bisher erschienene Impact Free-Artikel                   Weißmüller, K.S. (2020). Lehren als zentrale
                                                         Aufgabe der Wissenschaft: Drei Thesen zu
Seidl, E. (2022). Emotional ups and downs in
                                                         Ideal und Realität. Impact Free 32. Hamburg.
the virtual classroom. The case of translator
training. Impact Free 45. Hamburg.                       Reinmann, G. (2020). Präsenz – (K)ein Garant
                                                         für die Hochschullehre, die wir wollen? Impact
Reinmann, G. (2022). Hybride Lehre synchron              Free 31. Hamburg.
gestalten – Skizze zu einer Projektidee (Hero).
Impact Free 44. Hamburg.                                 Tremp, P. & Reinmann, G. (Hrsg.) (2020). For-
                                                         schendes Lernen als Hochschulreform? Zum
Rachbauer, T. & de Forest, N. (2021). Design-            50-Jahr-Jubiläum der Programmschrift der
ing individualized digital learning environ-             Bundesassistentenkonferenz. Impact Free 30
ments in ILIAS using ladders of learning: Prac-          (Sonderheft). Hamburg.
tical experiences from University of Passau. Im-
pact Free 43. Hamburg.                                   Reinmann, G. (2020). Universitäre Lehre in ei-
                                                         ner Pandemie – und danach? Impact Free 29.
Rachbauer, T. & Plank, E.E. (2021). Mapping              Hamburg.
Memory? Begründungslinien und Möglichkei-
ten der digitalen Verortung von Erinnerung in            Weißmüller, K.S. (2020). Zwei Thesen zum
Vermittlungskontexten an einem Beispiel aus              disruptiven Potenzial von OER für öffentliche
der Lehrer*innenBildung. Impact Free 42.                 Hochschulen. Impact Free 28. Hamburg.
Hamburg.                                                 Casper, M. (2020). Wem gehört die Ökonomi-
Reinmann, G. & Vohle, F. (2021). Forschendes             sche Bildung? Die problematische Leitkultur
Sehen in der Studieneingangsphase – ein Kon-             der Wirtschaftswissenschaften aus hochschul-
zeptentwurf für die Nachverwertung von                   und mediendidaktischer Perspektive. Impact
SCoRe. Impact Free 41. Hamburg.                          Free 27. Hamburg.
Reinmann, G. & Brase, A. (2021). Das For-                Reinmann, G., Vohle, F., Brase, A., Groß, N. &
schungsfünfeck als Heuristik für Design-Based            Jänsch, V. (2020). „Forschendes Sehen“ – ein
Research-Vorhaben. Impact Free 40. Hamburg.              Konzept und seine Möglichkeiten. Impact Free
                                                         26. Hamburg.
Schmidt, M. & Vohle, F. (2021). Mathematik-
Vorlesungen neu denken: Vom didaktischen                 Reinmann, G., Brase, A., Jänsch, V., Vohle, F.
Design zu Design-Based Research. Impact Free             & Groß, N. (2020). Gestaltungsfelder und -an-
39. Hamburg.                                             nahmen für forschendes Lernen in einem De-
                                                         sign-Based Research-Projekt zu Student Crowd
Gumm, D. & Hobuß, S. (2021). Hybride Lehre               Research. Impact Free 25. Hamburg.
– Eine Taxonomie zur Verständigung. Impact
Free 38. Hamburg.                                        Reinmann, G. (2020). Wissenschaftsdidaktik-
                                                         Spielend ins Gespräch kommen. Impact Free
Reinmann, G. (2021). Präsenz-, Online- oder              24. Hamburg.
Hybrid-Lehre? Auf dem Weg zum post-pande-
mischen Teaching as Design. Impact Free 37.              Reinmann, G. (2019). Forschungsnahe Curricu-
Hamburg.                                                 lumentwicklung. Impact Free 23. Hamburg.
Reinmann, G. (2021). Prüfungstypen, -formate,            Reinmann, G. (2019). Lektüre zu Design-Based
-formen oder -szenarien? Impact Free 36. Ham-            Research – eine Textsammlung. Impact Free
burg.                                                    22. Hamburg.
Reinmann, G. (2021). Hybride Lehre – ein Be-             Reinmann, G., Schmidt, C. & Marquradt, V.
griff und seine Zukunft für Forschung und Pra-           (2019). Förderung des Übens als reflexive Pra-
xis. Impact Free 35. Hamburg.                            xis im Hochschulkontext – hochschuldidakti-
                                                         sche Überlegungen zur Bedeutung des Übens
Reinmann, G. & Vohle, F. (2021). Vom Reflex              für Brückenkurse in der Mathematik. Impact
zur Reflexivität: Chancen der Re-Konstituie-             Free 21. Hamburg.
rung forschenden Lernens unter digitalen Be-
dingungen. Impact Free 34. Hamburg.                      Langemeyer, I. & Reinmann, G. (2018). „Evi-
                                                         denzbasierte“ Hochschullehre? Kritik und Al-
Herzberg, D. & Joller-Graf, K. (2020). For-              ternativen für eine Hochschulbildungsfor-
schendes Lernen mit DBR: eine methodologi-               schung. Impact Free 20. Hamburg.
sche Annäherung. Impact Free 33. Hamburg.

IMPACT FREE 46 (Juni 2022)                                                                   Reinmann
[7]

Reinmann, G. (2018). Was wird da gestaltet?             Reinmann, G. (2016). Die Währungen der
Design-Gegenstände in Design-Based Research             Lehre im Bologna-System. Impact Free 4.
Projekten. Impact Free 19. Hamburg.                     Hamburg.
Reinmann, G. (2018). Entfaltung des didakti-            Reinmann, G. & Schmohl, T. (2016). Autoeth-
schen Dreiecks für die Hochschuldidaktik und            nografie in der hochschuldidaktischen For-
das forschungsnahe Lernen. Impact Free 18.              schung. Impact Free 3. Hamburg.
Hamburg.
                                                        Reinmann, G. (2016). Entwicklungen in der
Klages, B. (2018). Utopische Figurationen               Hochschuldidaktik. Impact Free 2. Hamburg.
hochschulischer Lehrkörper – zum transforma-
                                                        Reinmann, G. (2016). Forschungsorientierung
torischen Potenzial von Utopien am Beispiel
                                                        in der akademischen Lehre. Impact Free 1.
kollektiver Lehrpraxis an Hochschulen. Impact
                                                        Hamburg.
Free 17. Hamburg.
Burger, C. (2018). Weiterbildung für diversi-
tätssensible Hochschullehre: Gedanken und
erste Ergebnisse. Impact Free 16. Hamburg.
Reinmann, G. (2018). Strategien für die Hoch-
schullehre – eine kritische Auseinandersetzung.
Impact Free 15. Hamburg.
Reinmann, G. (2018). Shift from Teaching to
Learning und Constructive Alignment: Zwei
hochschuldidaktische Prinzipien auf dem Prüf-
stand. Impact Free 14. Hamburg.
Reinmann, G. (2017). Empirie und Bildungs-
philosophie – eine analoge Lektüre. Impact
Free 13. Hamburg.
Reinmann, G. (2017). Universität 4.0 – Gedan-
ken im Vorfeld eines Streitgesprächs. Impact
Free 12. Hamburg.
Fischer, M. (2017). Lehrendes Forschen? Im-
pact Free 11. Hamburg.
Reinmann, G. (2017). Ludwik Flecks Denkstile
– Ein Kommentar. Impact Free 10. Hamburg.
Reinmann, G. (2017). Verstetigung von Lehrin-
novationen – Ein Essay. Impact Free 9. Ham-
burg.
Reinmann, G. (2017). Col-loqui – Vom didak-
tischen Wert des Miteinander-Sprechens. Im-
pact Free 8. Hamburg.
Reinmann, G. (2017). Überlegungen zu einem
spezifischen Erkenntnisrahmen für die Hoch-
schuldidaktik. Impact Free 7. Hamburg.
Reinmann, G. & Vohle, F. (2017). Wie agil ist
die Hochschuldidaktik? Impact Free 6. Ham-
burg.
Reinmann, G. (2016). Wissenschaftliche Lek-
türe zum Einstieg in die Hochschuldidaktik. Im-
pact Free 5. Hamburg.

IMPACT FREE 46 (Juni 2022)                                                                Reinmann
Sie können auch lesen