Impact Free Impact Free 46 - Juni 2022 - Hochschuldidaktisches Journal - Gabi Reinmann
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[0] Impact Free Hochschuldidaktisches Journal Impact Free 46 – Juni 2022 HAMBURG IMPACT FREE 46 (Juni 2022) Reinmann
[0] Impact Free Was ist das? Impact Free ist eine Publikationsmöglichkeit für hochschuldidaktische Texte, - die als Vorversionen von Zeitschriften- oder Buch-Beiträgen online ge- hen, oder - die aus thematischen Gründen oder infolge noch nicht abgeschlossener Forschung keinen rechten Ort in Zeitschriften oder Büchern finden, oder - die einfach hier und jetzt online publiziert werden sollen. Wer steckt dahinter? Impact Free ist kein Publikationsorgan der Universität Hamburg. Es handelt sich um eine Initiative, die allein ich, Gabi Reinmann, verantworte, veröffent- licht auf meinem Blog (http://gabi-reinmann.de/). Herzlich willkommen sind Gastautoren, die zum Thema Hochschuldidaktik schreiben wollen. Texte von Gastautorinnen können dann natürlich auch in de- ren Blogs eingebunden werden. Und was soll das? Impact Free war gedacht als ein persönliches Experiment. Falls zu wenige Texte über einen gewissen Zeitraum zusammengekommen wären, hätte ich das Vorhaben wieder eingestellt. Dem ist aber nicht so, sodass ich Impact Free bis auf Weiteres fortsetze. Inzwischen sind die Texte auch über die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg hier erreichbar. In diesem Journal mache ich in Textform öffentlich, was mir wichtig erscheint: (a) Gedanken, bei denen ich so weit bin, dass sie sich für mehr als Blog-Posts eignen, (b) Texte, die aus diversen Gründen noch nicht geeignet sind für andere Publikationsorgane, (c) Texte, die in Reviews abgelehnt wurden oder infolge von Reviews so weit hätten verändert werden müssen, dass es meinen Inten- tionen nicht mehr entspricht, (d) Texte mit hoher Aktualität, für welche andere Publikationswege zu langsam sind, (e) inhaltlich passende Textbeiträge von anderen Autorinnen. Genderschreibweise und Textlänge sind bewusst variabel und können frei gewählt werden. Kontaktdaten an der Universität Hamburg: Prof. Dr. Gabi Reinmann Universität Hamburg Hamburger Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen (HUL) Leitung | Professur für Lehren und Lernen an der Hochschule Jungiusstraße 9 | 20355 Hamburg reinmann.gabi@googlemail.com gabi.reinmann@uni-hamburg.de https://www.hul.uni-hamburg.de/ http://gabi-reinmann.de/ IMPACT FREE 46 (Juni 2022) Reinmann
[1] HOCHSCHULLEHRE ALS methodologisches Rahmenkonzept für die Bil- dungswissenschaften immer auch nach dem DESIGNBASIERTE PRAXIS: Wesen von Design (als einem Erkenntnismo- LERNEN VON DEN dus) Ausschau halten muss und dabei, so meine Einschätzung, die designwissenschaftliche Li- DESIGNWISSENSCHAFTEN teratur nicht außer Acht lassen kann. Eine er- neute Lektüre des Buches unter dem Blickwin- GABI REINMANN kel der Hochschullehre als einer designbasier- ten Praxis könnte aus heutiger Sicht gewinn- bringend sein. Nun aber geht es um den Artikel The Challenge of Improving Designing, in dem In diesem Beitrag widme ich mich einem de- Stolterman (2021) diskutiert, welchen Beitrag signwissenschaftlichen Text von Erik Stol- Forschung leisten kann, um die Designpraxis zu terman aus dem Jahr 2021 zur Verbesserung verbessern. Ins Zentrum seiner Analyse stellt er von Designprozessen via Forschung. Ich erör- das Konstrukt der Vorhersagbarkeit, das in der tere die Kernaussagen des Textes vor dem Hin- Forschung, insbesondere der, die nach natur- tergrund der Frage, was man daraus für die Ver- wissenschaftlichem Vorbild praktiziert wird besserung von Hochschullehre als einer reflek- (Stichwort: Science), von großer Relevanz ist. tierten designbasierten Handlungspraxis lernen Er geht von der designtheoretisch weit verbrei- kann. Zugrunde liegt die Annahme, dass es zwi- teten Basisannahme aus, dass der Designpro- schen Lehre an Hochschulen bzw. der Gestal- zess nicht vollständig kontrollierbar ist, sodass tung von Hochschullehre einerseits und dem man keine erwünschten Resultate garantieren Design als einem designwissenschaftlichen Ge- kann. Wenn dem so ist, stellt sich die Frage, wie genstand andererseits analoge Strukturen gibt. Designforschung (dennoch) zur Verbesserung Mein Ziel ist es, zu analysieren, welche Aussa- der Designpraxis beitragen kann und welche Ri- gen von Stolterman auf den Gegenstand Hoch- siken dabei im Auge zu behalten sind. Stol- schullehre übertragbar sind und was die Hoch- termans (2021) Kernargument ist, dass jede schuldidaktik von den Designwissenschaften in Forschung, die Designprozesse unterstützen der Folge lernen könnte. Es geht mir nicht um und besser machen will, das Wesen von Design Gleichsetzungen oder einen einfachen Transfer verstehen muss. Ist das nicht der Fall, bestehe von einer Disziplin in die andere. Vielmehr er- die Gefahr, dass Forschung mehr Schaden an- hoffe ich mir Impulse zum Verständnis von richtet als Nutzen stiftet. Lehre als einer Handlungspraxis sowie zur Rolle von Forschung für deren Verbesserung Im Folgenden fasse ich die Kernaussagen von aufgrund einer „Wesensverwandtschaft“ zwi- Stolterman (2021) zusammen, ordne sie stellen- schen Lehren und Design. weise neu, prüfe, ob und inwieweit sie so oder ähnlich für den Akt des Lehrens an Hochschu- Autor und Text len gelten könnten, und erläutere, welche Impli- kationen dies für die hochschuldidaktische For- Erik Stolterman kommt ursprünglich aus der In- schung haben kann. formatik; seine heutigen Forschungsschwer- punkte sind Interaktionsdesign, Philosophie und Designpraxis und die Rolle der Theorie des Designs, Informationstechnologie Forschung und Gesellschaft sowie Design von Informati- onssystemen. Er ist an der Indiana University in Was die Designpraxis kennzeichnet. Stol- Bloomington (USA) sowie an der Universität terman (2021, pp. 66f.) beginnt seine Ausfüh- Umeå (Schweden) am Institut für Design als rungen, indem er sich fragt, warum es selbst für Professor tätig. Vor einigen Jahren habe ich be- erfahrene Designer oft sehr schwierig ist, ihre reits mit großem Gewinn das Buch The Design Erfolge zu wiederholen und aus welchem Way – Intentional Change in an Unpredictable Grund Design-Methoden in der Hand verschie- World gelesen, das er 2012 (in der zweiten Auf- dener Designer nicht zu gleichen Ergebnissen lage) zusammen mit Herold Nelson geschrieben führen, insgesamt also Vorhersagbarkeit im hat (Nelson & Stolterman, 2012). Meine Lek- Kontext von Design offenbar nicht besonders türe war geprägt von Fragen aus dem Kontext gut funktioniert. Design-Based Research (DBR), da DBR als ein IMPACT FREE 46 (Juni 2022) Reinmann
[2] Seine Antwort darauf ist, dass Design ein Pro- del, angetrieben durch Ziele, Bedarfe und Wün- zess mit eigener Logik und Rationalität ist, der sche (Desiderata): Es geht darum, etwas, das darauf abzielt, Lösungen zu generieren, die noch nicht existiert, zu gestalten, wofür Imagi- noch nicht existieren. Design verlange daher nation unerlässlich ist. Der Designer entwickle nach Kreativität und Imagination und sei letzt- eine Vorstellung vom Ganzen und (ersten) De- lich in hohem Maße von der Person des Desig- tails, was anschlussfähig an das sein müsse, was ners und dem jeweiligen Kontext abhängig. Ein schon existiert, wie auch – gedanklich – in Re- großer Teil designtheoretischer Literatur attes- sonanz mit den Menschen treten solle, die es be- tiere dem Design einen entsprechend unvorher- trifft. Design setzt also voraus, dass man sich et- sagbaren Charakter. Design, so Stoltermans was vorstellt, ohne es aber vorhersagen zu kön- (2021, p. 73) Zusammenfassung, sei eben im- nen. Zudem könne man den Designprozess nur mer riskant. Nichtsdestotrotz versuchen viele begrenzt planen; realisiert sei ein Design erst, Designforscherinnen mit ihren Forschungsar- wenn es implementiert wird, also Teil der beste- beiten über und für Design (research about/for henden Realität wird (Stolterman, 2021, p. 69). design) die Designpraxis zu verbessern, indem sie diese zuverlässiger, weniger riskant und vor- Lehrpraxis und die Rolle der hersehbarer machen (Stolterman, 2021, p. 65) – Forschung eine letztlich paradoxe Situation. Was die Lehrpraxis kennzeichnet. Vergleicht Was in der Designforschung als ideal gilt. man Stoltermans (2021) Beschreibung der De- Stolterman (2021, p. 66 ff.) greift das Konstrukt signpraxis mit der Praxis der Hochschullehre, der Vorhersagbarkeit (predictability) heraus, lassen sich einige Parallelen erkennen: Lehrper- um sich näher mit dieser paradoxen Situation zu sonen mit langjähriger Erfahrung und Expertise beschäftigen: Im Alltag, so seine Argumenta- können Erfolge in der Hochschullehre ebenfalls tion, gibt es viele Beispiele dafür, dass wir eine nicht mit allen Zielgruppen und in allen Situati- gewisse Vorhersagbarkeit benötigen, um hand- onen quasi auf Knopfdruck wiederholen. Auch lungsfähig zu sein. Ebenso aber lassen sich Bei- als bewährt geltende Lehr-Lernmethoden sind spiele dafür finden, dass Menschen mitunter kein Garant für gute Hochschullehre: Die jewei- überrascht werden wollen und sich dann genau lige Lehrperson mit ihrem Wissen und Können nicht wünschen, etwas vorherzusehen. Vorher- ebenso wie der je spezifische Kontext haben sagbarkeit sei folglich ein Konstrukt, das nicht Einfluss darauf, wie einzelne Methoden reali- per se gut oder schlecht ist; dies lasse sich nur siert werden und ihr Potenzial entfalten können in Abhängigkeit von spezifischen Zwecken, (Renkl, 2015, S. 214). Es scheint mir im Ver- Zielen und Wünschen bestimmen. In der Wis- gleich zur designtheoretischen Literatur aller- senschaft ist Vorhersagbarkeit ein Erfolgskrite- dings weniger Konsens darin zu bestehen, wo- rium – zumindest in den Naturwissenschaften, rin dieser Umstand begründet ist: Tendenziell die allerdings für viele andere Disziplinen als fragt man sich weniger, ob mangelnde Vorher- Vorbild dienen1: Im Idealfall fungieren Theo- sagbarkeit in einer eigenen Logik von Lehren rien als Instrument, um etwas vorherzusagen. und Lehre begründet liegen könnte, wie Stol- Stolterman (2021, p. 68) fragt sich nun in sei- terman (2021) für das Design beschriebt; viel- nem Text, warum Vorhersagbarkeit auch dann mehr geht man tendenziell davon aus, dass es zu zu einem wissenschaftlichen Kriterium ge- wenig Forschung und in der Folge zu wenig be- macht wird, wenn es gar nicht angemessen ist – lastbares Wissen über relevante Zusammen- zumal da es nicht das einzige Kriterium für Wis- hänge beim Lehren gibt. senschaftlichkeit ist. Was in der Bildungsforschung als ideal gilt. Was Design ausmacht. Im Zusammenhang mit Entsprechend bemüht man sich, vor allem mit Design jedenfalls erachtet Stolterman (2021, p. Mitteln der empirischen Lehr-Lernforschung 68) das Kriterium der Vorhersagbarkeit als Erkenntnisse zu generieren, die Hochschullehre kaum angemessen. Er charakterisiert Design als besser machen – und zwar unabhängig von kon- einen professionellen und intentionalen Wan- kreten Personen und Kontexten. 1 Zur Erläuterung sei ergänzt, dass unter „Vorher- kausalen Erklärung zu verstehen ist, und „Vorher- sage“ (oder Prognose) quasi die Umkehrung einer sagbarkeit“ entsprechend die Möglichkeit meint, et- was zu prognostizieren. IMPACT FREE 46 (Juni 2022) Reinmann
[3] Das von Stolterman (2021) ins Feld geführte na- Wege zur Verbesserung von Design- turwissenschaftliche Ideal der Vorhersagbarkeit praxis spielt in dieser Art zu forschen eine wichtige Rolle. Kritische Stimmen bezweifeln zwar, dass Wie man Design theoretisch verbessern dies dem Wesen von Lehren und Lernen gerecht kann. Stolterman (20131, p. 70) analysiert, wird (Biesta, 2020, pp. 47 ff.), bilden aber wohl welche Möglichkeiten es im Prinzip gibt, um nicht die Mehrheit in der Forschungslandschaft das Ergebnis von Design zu verbessern und da- zum Lehren und Lernen. Es lassen sich zwi- bei Forschung in Anspruch zu nehmen: Aus der schen Design- und Bildungswissenschaften Forschungsperspektive betrachtet, könne man folglich interessante Gemeinsamkeiten ausma- insbesondere den Einfluss des Designers (der chen – sowohl, was die Ambition von Forsche- als besonders unkontrollierbarer Faktor gilt) so- rinnen betrifft, vorhersagbare Resultate zu er- wie des Kontextes reduzieren; zudem könne zielen, also auch, was den Zweifel genau daran man (was vor allem für Novizen ein probates und an der Adäquatheit naturwissenschaftlicher Mittel ist) den Einfluss von Methoden und Kriterien wie Vorhersagbarkeit für den Gegen- Werkzeugen sowie von gesichertem Wissen standsbereich Lehren, Lernen, Bildung angeht. (Evidenz) erhöhen. Wenn Forschung (über und für Design) praktiziert wird, dann gehe es um Was Hochschullehre ausmacht. Man kann genau solche Optionen. Bis zu einem gewissen sich bei der Frage nach der Verbesserung von Grad seien diese auch sinnvoll, aber zugleich Lehre durch Forschung vom designwissen- mit der Gefahr verbunden, bestehende Lösun- schaftlichen Diskurs durchaus anregen lassen, gen zu konservieren. Einschränkend weist Stol- denn es gibt gute Gründe anzunehmen, dass terman (2021) darauf hin, dass Forscher an sich Lehren eine Handlungspraxis ist, die in vieler gar keine strikte Vorhersagbarkeit als Erfolgs- Hinsicht auf Design basiert (Reinmann, in kriterium ihrer Forschung meinen, diese aber Druck): Lehren umfasst immer auch Designpro- dann doch so kommunizieren würden, dass die- zesse – in der Planung und Konzeption, aber ser Eindruck entsteht. Mit Blick auf die Charak- auch in der Umsetzung (z.B. Laurillard, 2012; teristika von Design ergäbe das allerdings we- Goodyear, 2015). Qualitativ gute Lehrangebote nig Sinn. entstehen häufig durch vielfältiges Ausprobie- ren in iterativen Zyklen des Entwerfens und Er- Welche Wege zur Verbesserung von Design probens, ähnlich wie das im Kontext von De- sinnvoll sind. Für Stolterman (2021) ist For- sign beschrieben wird. Allerdings ist das Lehr- schung damit allerdings keineswegs obsolet. Er handeln nicht zwingend darauf ausgerichtet, plädiert für eine weiche Vorhersagbarkeit in immer etwas Neues hervorzubringen wie beim dem Sinne, dass man Aussagen generiert wie: Design generell: In der Lehre gibt es auch so et- „Ich mache immer X, wenn ich Y tue, und für was wie Standardsituationen (Tremp, 2011, S. mich funktioniert es meist“ (Stolterman, 2021, 275 ff.); zudem verfolgt man in der Regel vorab p.72). Zudem spricht sich er sich dafür aus, dass festgelegte Lehr-Lernziele. Allerdings sprechen Forschung die Designpraxis inspiriert: mit Ar- wir bewusst auch von Hochschulbildung, weil tefakten und Wissen, die dann auf komplexe Bildungsprozesse angestrebt werden, die weder und reichhaltige Situationen treffen bzw. mit durch bestimmte Lehrmethoden herstellbar diesen kollidieren und Designer entsprechend noch vorhersagbar sind. Das heißt: Man kann anregen. Schließlich verweist Stolterman man Hochschullehre (als Prozess und Ergebnis) (2021) auf die Relevanz einer guten Vorberei- zwar nicht mit Design aus designwissenschaft- tung für die Designpraxis: also auf (Aus-)Bil- licher Sicht gleichsetzen; es gibt jedoch deutli- dung, für deren Erfolg es aber wiederum keine che Überschneidungen, sodass Stoltermans Garantie gäbe (Stolterman, 2021, p. 73). Versu- (2021) Ausführungen über Designforschung che, Design – wie auch immer – zu verbessern, zur Verbesserung der Designpraxis eine anre- würden letztlich immer zu unerwarteten, also gende Grundlage für die Lehrpraxis und Bil- auch nicht vorhersehbaren, Ergebnissen führen dungsforschung in der Hochschule liefert. (Stolterman, 2021, p. 73). IMPACT FREE 46 (Juni 2022) Reinmann
[4] Was folgt daraus für die Designforschung? Welche Wege zur Verbesserung von Hoch- Jeder Forschungsansatz, so Stolterman (2021, schullehre sinnvoll sind. Trotzdem besteht na- p. 73), der die Designpraxis verbessern will, türlich das legitime Anliegen (ich würde sagen: muss das Wesen des Designs in der Tiefe ver- die Notwendigkeit), die Hochschullehre zu ver- standen haben. Forschung sei wichtig und habe bessern und dazu auch Forschung heranzuzie- die Designpraxis auch schon in vieler Hinsicht hen. Die Frage ist nur: Wie muss diese For- beeinflusst und verändert: „But when it comes schung beschaffen sein, damit sie zum Gegen- to using predictability as a way to establish evi- stand passt? Stolterman (2021) stellt diese dence for an improved design process, we have Frage für das Design ganz explizit; in der Hoch- to be careful“ (Stolterman, 2021, p. 74). Dieses schullehre stellen wir sie aus meiner Sicht nicht Zitat bringt Stoltermans Kernbotschaft auf den konsequent genug. Bildungswissenschaftliche Punkt. Der Wert der Designforschung würde Forschung ist vielfältig und ich sehe an sich gar nicht kleiner werden, wenn man resultierende keine Notwendigkeit, Vorhersagbarkeit zum Aussagen weniger nach naturwissenschaftli- wissenschaftlichen Erfolgskriterium zu erklären chem Vorbild formulieren und auslegen würde, und/oder eine evidenzbasierte Praxis im stren- solange sichergestellt sei, dass sie für alle am gen Sinne anzustreben. Stoltermans (2021) Designprozess beteiligten Akteure nützlich Vorschlag, wissenschaftliche Aussagen „wei- bzw. unterstützend ist. cher“ so zu formulieren, dass deutlich wird, was unter welchen Bedingungen erfahrungsgemäß Wege zur Verbesserung von Lehr- (aus welchen Gründen) funktioniert, findet sich praxis beispielsweise im Kontext von DBR und in der Generierung von Designprinzipien wieder (z.B. Wie man Hochschullehre theoretisch verbes- Bakker, 2018). DBR führt darüber hinaus zu sern kann. Legt man versuchsweise die von konkreten Artefakten und Beispielen für die Stolterman (2021) genannten, theoretisch mög- Hochschullehre, die nicht nur Designprinzipien lichen, Wege zur Verbesserung der Designpra- liefern, sondern Hochschullehrende auch inspi- xis an die Hochschullehre und deren Erfor- rieren können. Dass eine bessere Vorbereitung schung an, kann man durchaus Parallelen fest- auf die Gestaltung von Lehre an Hochschulen stellen: Insbesondere psychologisch motivierte nötig und hilfreich ist, steht wohl außer Frage; Lehr-Lernforschung bemüht sich, Forschungs- allerdings – das sei hier nur am Rande bemerkt resultate zu erzielen, aus denen sich Aussagen – reiht sich dieser Vorschlag von Stolterman für die Verbesserung der Hochschullehre ablei- (2021) aus meiner Sicht nicht ganz nahtlos in ten lassen, die möglichst unabhängig von der seine Argumentation ein, Praxis durch For- Person Hochschullehrender und vom je spezifi- schung zu verbessern. schen Kontext sind (z.B. Schneider & Mustafić, 2015). Gleichzeitig geht es in vielen empiri- Was folgt daraus für die hochschuldidakti- schen Studien um die Frage, welche Lehr-Lern- sche Forschung? Auch wenn Lehre nicht mit methoden welche Wirkungen erzielen, damit Design gleichzusetzen ist, basiert sie doch auf man sie in der Hochschullehre sozusagen guten Design-Tätigkeiten und besitzt ebenfalls eine Gewissens einsetzen kann. Unter dem Stich- eigene Logik und Rationalität. Vor diesem Hin- wort der evidenzbasierten Praxis ist es erklärtes tergrund kann man Stoltermans (2021) Folge- Ziel in weiten Teilen der Bildungsforschung rung für die Designforschung meiner Einschät- (auch über die Hochschule hinaus), gesichertes zung zufolge auch für die hochschuldidaktische Wissen für die Gestaltung von Lehre zur Verfü- Forschung zur Verbesserung der Lehre über- gung zu stellen. Dieses Evidenzstreben wird al- nehmen: Jeder Forschungsansatz, der die Lehr- lerdings von gut begründeten Zweifeln beglei- praxis verbessern will, müsste das Wesen des tet, ob das in dieser Form überhaupt möglich Lehrens in der Tiefe verstanden haben. Und da und sinnvoll ist (z.B. Scharlau, 2019). Es zeigen ein einfacher Transfer des naturwissenschaftli- sich also deutliche Ähnlichkeiten zwischen dem chen Ideals auf die Erforschung von Lehre eben design- und bildungswissenschaftlichen Ver- dieser nicht in der Tiefe gerecht werden kann, such, via Forschung die Praxis zu verbessern sollte man – ähnlich wie im Kontext von Design und dabei relativ unkritisch naturwissenschaft- – sehr vorsichtig sein mit Erwartungen oder liche Standards heranzuziehen. Versprechen in Richtung Vorhersagbarkeit und evidenzbasierter Praxis. IMPACT FREE 46 (Juni 2022) Reinmann
[5] Konzipiert man Hochschullehre als reflektierte Literatur designbasierte Praxis, erweist sich DBR als be- sonders gut dafür geeignet, Hochschullehre Bakker, A. (2018). Design research in educa- über den Weg von Designprinzipien und Inspi- tion. A practical guide for early career re- ration zu verbessern, was man natürlich auch in searcher. New York: Routledge. (Aus-)Bildungsangebote einfließen lassen kann Biesta, G. (2020). Educational research. An un- (Reinmann, Brase & Lübcke, in Druck). Dass orthodox introduction. London: Bloomsbury. Stolterman (2021) bei seinen Überlegungen zur Rolle der Forschung für die Designpraxis aus- Goodyear, P. (2015). Teaching as design. schließlich research about/for design, nicht HERDSA Review of Higher Education, 2, 27- aber Forschung durch Design (research through 50. design) – was DBR sehr ähnlich ist – in Erwä- Laurillard, D. (2012). Teaching as design sci- gung zieht, verwundert mich etwas. Ich erkläre ence. Building pedagogical patterns for learn- mir das damit, dass es ihm in seinem Text um ing and technology. New York: Routledge. die Forschungsansätze ging, die in den Design- Nelson, H.G. & Stolterman, E. (2012). The de- wissenschaften an Bedeutung gewinnen, sign way. Intentional change in an unpredicta- obschon (oder weil) sie sich am naturwissen- ble world. London: MIT Press. schaftlichen Ideal, und damit auch an Vorher- sagbarkeit, orientieren (was bei research Reinmann, G. (in Druck). Wissenschaftsdidak- through design genau nicht der Fall ist), um de- tik und ihre Verwandten im internationalen Dis- ren Risiken und Grenzen in den Mittelpunkt der kurs zur Hochschulbildung Einleitung. Er- Aufmerksamkeit zu rücken. scheint in G. Reinmann & R. Rhein (Hrsg.), Wissenschaftsdidaktik I: Einführung. Bielefeld: Fazit transcript. Designwissenschaftliche Diskurse sind für die Reinmann, G. Brase, A. & Lübcke, E. (in Hochschullehre aus zwei Gründen relevant: Druck). Wissenschaftsdidaktik auf sich selbst Zum einen lässt sich Lehren als designbasierte bezogen: Wissenschaftsdidaktik für die Wis- Handlungspraxis modellieren; aus dieser Per- senschaftsdidaktik. Erscheint in G. Reinmann & spektive kann man sich fragen, welche Impulse R. Rhein (Hrsg.), Wissenschaftsdidaktik II. Ein- die Praxis und Erforschung des Designs der Pra- zelne Disziplinen. Bielefeld: transcript. xis und Erforschung von Hochschullehre geben Renkl, A. (2015). Drei Dogmen guten Lernens können. Zum anderen erweist sich DBR als ein und Lehrens: Warum sie falsch sind. Psycholo- geeigneter methodologischer Rahmen für eine gische Rundschau, 66 (4), 211-220. Forschung, mit der man Hochschullehre verbes- Scharlau, I. (2019). Sich verständigen. Überle- sern kann; ohne Kenntnis designwissenschaftli- gungen zur Frage der Evidenzbasierung. In T. cher Diskurse scheint mir das Verständnis des Jenert, G. Reinmann & T. Schmohl (Hrsg.), besonderen Erkenntnismodus von DBR unvoll- Hochschulbildungsforschung Theoretische, ständig zu bleiben. DBR schließt die (analoge) methodologische und methodische Denkan- Lücke, die Stolterman (2021) in seinem Beitrag stöße für die Hochschuldidaktik (S. 125-148). zur Verbesserung von Design ausfindig macht – Wiesbaden: Springer VS. interessanterweise aber ohne design through re- search explizit in seine Argumentation mit auf- Schneider, M. & Mustafić, M. (2015). Gute zunehmen. Hochschullehre: Eine evidenzbasierte Orientie- rungshilfe. Wie man Vorlesungen, Seminare und Projekte effektiv gestaltet. Berlin: Springer. Stolterman, E. (2021). The challenge of improv- ing design. International Journal of Design, 15 (1), 65-74. Tremp, P. (2011). Hochschuldidaktik als Einla- dung. In M Weil, M. Schiefner, B. Eugster & K. Futter (Hrsg.), Aktionsfelder der Hochschuldi- daktik. Von der Weiterbildung zum Diskurs (S. 269-279). Münster: Waxmann. IMPACT FREE 46 (Juni 2022) Reinmann
[6] Bisher erschienene Impact Free-Artikel Weißmüller, K.S. (2020). Lehren als zentrale Aufgabe der Wissenschaft: Drei Thesen zu Seidl, E. (2022). Emotional ups and downs in Ideal und Realität. Impact Free 32. Hamburg. the virtual classroom. The case of translator training. Impact Free 45. Hamburg. Reinmann, G. (2020). Präsenz – (K)ein Garant für die Hochschullehre, die wir wollen? Impact Reinmann, G. (2022). Hybride Lehre synchron Free 31. Hamburg. gestalten – Skizze zu einer Projektidee (Hero). Impact Free 44. Hamburg. Tremp, P. & Reinmann, G. (Hrsg.) (2020). For- schendes Lernen als Hochschulreform? Zum Rachbauer, T. & de Forest, N. (2021). Design- 50-Jahr-Jubiläum der Programmschrift der ing individualized digital learning environ- Bundesassistentenkonferenz. Impact Free 30 ments in ILIAS using ladders of learning: Prac- (Sonderheft). Hamburg. tical experiences from University of Passau. Im- pact Free 43. Hamburg. Reinmann, G. (2020). Universitäre Lehre in ei- ner Pandemie – und danach? Impact Free 29. Rachbauer, T. & Plank, E.E. (2021). Mapping Hamburg. Memory? Begründungslinien und Möglichkei- ten der digitalen Verortung von Erinnerung in Weißmüller, K.S. (2020). Zwei Thesen zum Vermittlungskontexten an einem Beispiel aus disruptiven Potenzial von OER für öffentliche der Lehrer*innenBildung. Impact Free 42. Hochschulen. Impact Free 28. Hamburg. Hamburg. Casper, M. (2020). Wem gehört die Ökonomi- Reinmann, G. & Vohle, F. (2021). Forschendes sche Bildung? Die problematische Leitkultur Sehen in der Studieneingangsphase – ein Kon- der Wirtschaftswissenschaften aus hochschul- zeptentwurf für die Nachverwertung von und mediendidaktischer Perspektive. Impact SCoRe. Impact Free 41. Hamburg. Free 27. Hamburg. Reinmann, G. & Brase, A. (2021). Das For- Reinmann, G., Vohle, F., Brase, A., Groß, N. & schungsfünfeck als Heuristik für Design-Based Jänsch, V. (2020). „Forschendes Sehen“ – ein Research-Vorhaben. Impact Free 40. Hamburg. Konzept und seine Möglichkeiten. Impact Free 26. Hamburg. Schmidt, M. & Vohle, F. (2021). Mathematik- Vorlesungen neu denken: Vom didaktischen Reinmann, G., Brase, A., Jänsch, V., Vohle, F. Design zu Design-Based Research. Impact Free & Groß, N. (2020). Gestaltungsfelder und -an- 39. Hamburg. nahmen für forschendes Lernen in einem De- sign-Based Research-Projekt zu Student Crowd Gumm, D. & Hobuß, S. (2021). Hybride Lehre Research. Impact Free 25. Hamburg. – Eine Taxonomie zur Verständigung. Impact Free 38. Hamburg. Reinmann, G. (2020). Wissenschaftsdidaktik- Spielend ins Gespräch kommen. Impact Free Reinmann, G. (2021). Präsenz-, Online- oder 24. Hamburg. Hybrid-Lehre? Auf dem Weg zum post-pande- mischen Teaching as Design. Impact Free 37. Reinmann, G. (2019). Forschungsnahe Curricu- Hamburg. lumentwicklung. Impact Free 23. Hamburg. Reinmann, G. (2021). Prüfungstypen, -formate, Reinmann, G. (2019). Lektüre zu Design-Based -formen oder -szenarien? Impact Free 36. Ham- Research – eine Textsammlung. Impact Free burg. 22. Hamburg. Reinmann, G. (2021). Hybride Lehre – ein Be- Reinmann, G., Schmidt, C. & Marquradt, V. griff und seine Zukunft für Forschung und Pra- (2019). Förderung des Übens als reflexive Pra- xis. Impact Free 35. Hamburg. xis im Hochschulkontext – hochschuldidakti- sche Überlegungen zur Bedeutung des Übens Reinmann, G. & Vohle, F. (2021). Vom Reflex für Brückenkurse in der Mathematik. Impact zur Reflexivität: Chancen der Re-Konstituie- Free 21. Hamburg. rung forschenden Lernens unter digitalen Be- dingungen. Impact Free 34. Hamburg. Langemeyer, I. & Reinmann, G. (2018). „Evi- denzbasierte“ Hochschullehre? Kritik und Al- Herzberg, D. & Joller-Graf, K. (2020). For- ternativen für eine Hochschulbildungsfor- schendes Lernen mit DBR: eine methodologi- schung. Impact Free 20. Hamburg. sche Annäherung. Impact Free 33. Hamburg. IMPACT FREE 46 (Juni 2022) Reinmann
[7] Reinmann, G. (2018). Was wird da gestaltet? Reinmann, G. (2016). Die Währungen der Design-Gegenstände in Design-Based Research Lehre im Bologna-System. Impact Free 4. Projekten. Impact Free 19. Hamburg. Hamburg. Reinmann, G. (2018). Entfaltung des didakti- Reinmann, G. & Schmohl, T. (2016). Autoeth- schen Dreiecks für die Hochschuldidaktik und nografie in der hochschuldidaktischen For- das forschungsnahe Lernen. Impact Free 18. schung. Impact Free 3. Hamburg. Hamburg. Reinmann, G. (2016). Entwicklungen in der Klages, B. (2018). Utopische Figurationen Hochschuldidaktik. Impact Free 2. Hamburg. hochschulischer Lehrkörper – zum transforma- Reinmann, G. (2016). Forschungsorientierung torischen Potenzial von Utopien am Beispiel in der akademischen Lehre. Impact Free 1. kollektiver Lehrpraxis an Hochschulen. Impact Hamburg. Free 17. Hamburg. Burger, C. (2018). Weiterbildung für diversi- tätssensible Hochschullehre: Gedanken und erste Ergebnisse. Impact Free 16. Hamburg. Reinmann, G. (2018). Strategien für die Hoch- schullehre – eine kritische Auseinandersetzung. Impact Free 15. Hamburg. Reinmann, G. (2018). Shift from Teaching to Learning und Constructive Alignment: Zwei hochschuldidaktische Prinzipien auf dem Prüf- stand. Impact Free 14. Hamburg. Reinmann, G. (2017). Empirie und Bildungs- philosophie – eine analoge Lektüre. Impact Free 13. Hamburg. Reinmann, G. (2017). Universität 4.0 – Gedan- ken im Vorfeld eines Streitgesprächs. Impact Free 12. Hamburg. Fischer, M. (2017). Lehrendes Forschen? Im- pact Free 11. Hamburg. Reinmann, G. (2017). Ludwik Flecks Denkstile – Ein Kommentar. Impact Free 10. Hamburg. Reinmann, G. (2017). Verstetigung von Lehrin- novationen – Ein Essay. Impact Free 9. Ham- burg. Reinmann, G. (2017). Col-loqui – Vom didak- tischen Wert des Miteinander-Sprechens. Im- pact Free 8. Hamburg. Reinmann, G. (2017). Überlegungen zu einem spezifischen Erkenntnisrahmen für die Hoch- schuldidaktik. Impact Free 7. Hamburg. Reinmann, G. & Vohle, F. (2017). Wie agil ist die Hochschuldidaktik? Impact Free 6. Ham- burg. Reinmann, G. (2016). Wissenschaftliche Lek- türe zum Einstieg in die Hochschuldidaktik. Im- pact Free 5. Hamburg. IMPACT FREE 46 (Juni 2022) Reinmann
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