Implantate und Paro-dontitis
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wissenschaft und fortbildung Was verdeutlicht dieser Fall? Die oberste Priorität in der Parodonto- logie hat der Zahnerhalt, im Optimal- fall bei möglichst geschlossener Zahn- reihe [1]. Dennoch sind Patienten, die bereits eine Lücken- beziehungsweise Freiendsituation aufweisen oder Zähne haben, deren Befund einen Erhalt aus- schließt, keine Ausnahme. Auch dieser Implantate Ausgangssituation gilt es sich zu stellen und den am besten geeigneten Behand- lungsansatz zu finden. Unter der Voraus- setzung entzündungsfreier parodontaler und Paro- Verhältnisse sind in diesen Fällen neben zahngetragenen Restaurationen auch implantatgetragene Restaurationen eine Option [2,3], insbesondere dann, wenn dontitis die benachbarten Zähne zwar erhaltungs- würdig sind, aber den prothetischen Ansprüchen als Pfeilerzahn nicht genü- gen. Eine vorausgegangene Parodontitis wurde bereits in zahlreichen Studien als Therapie einer fortgeschrittenen Parodontitis Risikofaktor für einen implantologischen mit Stützzonenverlust Langzeiterfolg identifiziert [2–7]. Die Ent- Ein Beitrag von Dr. Hari Petsos, M.Sc., scheidung für eine implantatgetragene Frankfurt am Main Versorgung sollte immer, vor allem vor dem Hintergrund möglicher Extraktionen, unter Abwägung aller Risikofaktoren ge- Eine 34-jährige Patientin mit einer Parodontitis (Stadium IV, troffen und im Vorfeld mit den Patienten Grad C) wies bei Erstvorstellung bereits eine Freiendsituation diskutiert werden. im ersten Quadranten und eine Schaltlücke in Regio 26 auf. Sie Der folgende Fall soll einen Über- wünschte sich einen festsitzenden Ersatz der verloren gegange- blick über die systematische Behandlung nen Zähne. Eine beidseitige Implantation mit Augmentation nach einer fortgeschrittenen Parodontitis mit Herstellung entzündungsfreier parodontaler Verhältnisse führte anschließender implantologischer Wei- nach einer zwischenzeitlichen Explantation und Neuimplantation terversorgung und dem Management eines Implantats zu einem langfristig zufriedenstellenden und von Komplikationen, wie sie auftreten stabilen Behandlungsergebnis. können, geben. Er verdeutlicht, welche weitreichenden Konsequenzen eine Un- terbrechung der Zahnreihe haben kann. Diagnostik und Therapieplanung Anamnese und Erwartungen Die 34-jährige Patientin stellte sich erst- mals 2014 auf Überweisung eines Kol- legen vor. Sie war allgemein gesund, Nichtraucherin und berichtete über die Entfernung von insgesamt sechs Zähnen im vergangenen Jahr sowie von unregel- mäßig durchgeführten Zahnreinigungen. Zuletzt fiel ihr eine zunehmende Locke- rung mehrerer Zähne auf. 60 BZB Januar/Februar 2021
wissenschaft und fortbildung Abb.1 Fotostatus vom Ausgangsbefund (04/2014) Klinische Ausgangsbefunde Der Ausgangsbefund ist den Abbildun- gen 1 und 2 zu entnehmen. Ein leichtes Diastema mediale im Oberkiefer lag auf Nachfrage bei der Patientin nicht immer vor. Es fanden sich weitestgehend ap- proximal weiche, supragingivale Beläge (Plaque control record, PCR [8]: 42%), eine generalisierte Blutung im Bereich der marginalen Gingiva (Gingival bleeding in- dex, GBI [9]: 35%) und eine generalisierte Blutung beim Sondieren (Bleeding on pro- bing, BOP: 66%) (Tab.1). Auf eine erste Nachfrage, ob sie möglicherweise eine Schienung in der Oberkieferfront akzep- tieren könne, reagierte sie ablehnend – sie wollte „keine weiteren Therapieversuche an den wackligen Zähnen“. Abb.2 Befundschema vom Ausgangsbefund (04/2014) Röntgenbilder Die Patientin brachte zum ersten Termin Die Patientin hatte hohe ästhetische fehlenden Zähne nicht wohl und gab an, eine im Jahr 2010 angefertigte Panorama- Ansprüche und war an einer umfassen- sich beim Lächeln zu schämen. Mittelfris- schichtaufnahme (PSA) mit (Abb.3). Zu den Therapie interessiert. Sie fühlte sich tig wünschte sie sich einen festsitzenden diesem Zeitpunkt fiel auf, dass die Zahn- im beruflichen Alltag aufgrund der vielen Ersatz der verlorenen gegangenen Zähne. reihe im Oberkiefer noch geschlossen war. Es zeigte sich bereits ein generali- sierter horizontaler Knochenabbau bis ins Datum MHT/UPT GBI (%) PCR (%) BOP (%) mittlere, lokalisiert bis ins apikale Wurzel- 04/2014 MHT I 35 42 66 drittel, insbesondere im Oberkiefer. Im Vergleich zu einer aktuellen PSA aus 04/2014 MHT II 27 30 2014 fielen zum damaligen Zeitpunkt ins- 08/2014 UPT I/Reevaluation 25 39 17 besondere die zwischenzeitlich verlorenen 11/2014 UPT II 16 26 9 Zähne 17 bis 14, 26 und 47 auf. Der Kno- chenabbau lag zwischen 2 und 12 mm, ge- 05/2015 UPT III 7 24 6 messen als Distanz zwischen der Schmelz- 09/2015 UPT IV 6 27 6 Zement-Grenze und dem Limbus alveolaris 10/2020 UPT V 5 56 6 abzüglich 2 mm: Parodontaler Knochenab- bau liegt vor, wenn der Abstand von der Tab. 1 Auflistung der Werte für GBI, PCR und BOP zu den jeweiligen Terminen. MHT: Mundhygienetraining, UPT: Unterstützende Paradontitistherapie, Schmelz-Zement-Grenze um Limbus alveo- GBI: Gingival bleeding index, PCR: Plaque control record, BOP: Bleeding on probing laris ≥ 2 mm ist (Abb.4) [10]. BZB Januar/Februar 2021 61
wissenschaft und fortbildung Abb.3 Panoramaschichtaufnahme aus 02/2010 (alio loco angefertigt) Abb.4 Panoramaschichtaufnahme vom Ausgangsbefund 04/2014) Diagnosen 4. Reevaluation Versorgung mit einer Interimsprothese. • Parodontitis Stadium IV, Grad C [11] 5. Unterstützende Parodontitistherapie In Regio 11 wurde aufgrund der bereits im (ehemals generalisierte aggressive (UPT) koronalen Drittel der Alveole resorbier- Parodontitis [12]) 6. Implantation in den Regionen 16, 14, ten bukkalen Knochenlamelle Bio-Oss • nicht erhaltungsfähige Zähne 11, 24 11, 24 und 26 mit zeitgleicher beidsei- Collagen (Geistlich Biomaterials Ver- und 25 (insbesondere vor dem Hinter- tiger externer Sinusbodenelevation triebsgesellschaft mbH, Baden-Baden, grund der abgelehnten Schienung und 7. Definitive prothetische Rehabilitation Deutschland) im Sinne einer „socket der prothetischen Wertigkeit für die des Oberkiefers preservation“ eingebracht [18]. weitere festsitzende Versorgung) • Freiendsituation im ersten Quadran- Aufklärung, Beratung, Mundhygienetraining und ten und eine Schaltlücke in Regio 26 weiterführendes ärztliches Gespräch antiinfektiöse Therapie (vor Extraktion 24 und 25) Die Patientin wurde über die möglichen Die antiinfektiöse Therapie erfolgte im Konsequenzen bei unterlassener Behand- April 2014. Zur Reinigung der Approxi- Prognose lung aufgeklärt: mittelfristiger Verlust der malräume wurde der Patientin die An- Der langfristige Erhalt der Zähne 11, 24 und Zähne mit fraglicher Prognose. Als Thera- wendung von Interdentalraumbürsten 25 wurde als hoffnungslos eingestuft, da piealternativen wurden die geschlossene empfohlen. In den ersten Sitzungen wur- sie einen bereits stark fortgeschrittenen Therapie aller Zähne mit anschließender den Mundhygieneindizes (GBI [9], PCR Knochenabbau (>50% der Wurzellänge) prognostischer Neubeurteilung und die [8]) zur Motivation und Erfolgskontrolle bei gleichzeitiger Lockerung dritten Gra- daraus resultierende Extraktion der Zähne erhoben. Im Zuge der professionellen des aufwiesen. Zahn 24 wies darüber 12 bis 22 sowie 24 und 25 mit anschließen- Zahnreinigung wurden harte und weiche hinaus eine Grad-III-Furkation auf. Die Pro- der Coverdenture-Prothese im Oberkie- supra- sowie erreichbare subgingivale gnose des Zahns 11 wurde, insbesondere fer beziehungsweise ein Verzicht auf die Zahnbeläge entfernt. auch, weil die Patientin eine Schienung Implantation in Regio 11 bei permanenter Die subgingivale Instrumentierung al- ablehnte, herabgestuft. Die Zähne 12, 21 Kompositschienung der Oberkieferfront ler pathologisch vertieften Taschen unter und 22 wurden zu Beginn der Therapie als diskutiert. Lokalanästhesie erfolgte an zwei aufeinan- fraglich beurteilt, da sie einen Knochen- Die Patientin wurde im Vorfeld der derfolgenden Tagen nach dem Prinzip der abbau von > 50 Prozent der Wurzellänge Behandlung über die erhöhten Kompli- Full-Mouth-Disinfection [19–21] mit be- aufwiesen, was mit einem erhöhten Risiko kationsraten bei einer Implantation im gleitender adjuvanter Antibiose (Amoxi- für Zahnverlust korreliert [13]. parodontal kompromittierten Gebiss cillin 500mg und Metronidazol 400mg aufgeklärt. Abschließend wurde die Not- 3 x täglich für eine Woche) [22]. Therapieplanung wendigkeit einer regelmäßigen UPT zur Die Patientin wurde angewiesen, für 1. Extraktion der Zähne 11, 24 und 25 und Sicherung des Therapieergebnisses be- die folgenden zwei Wochen morgens Anfertigung einer Interimsprothese sprochen [14–17]. und abends etwa zwei Minuten lang mit 2. Mundhygienetraining mit Motivation einer 0,12-prozentigen Chlorhexidin- und Instruktion zu einer effektiven digluconat-Lösung zu spülen und zu gur- Therapie individuellen Plaquekontrolle und geln. Zusätzlich putzte sie über diesen professionelle Zahnreinigung Zahnextraktionen Zeitraum Zähne und Zunge mit einem 3. Systematische antiinfektiöse Therapie Im Mai 2014 erfolgte die Entfernung der einprozentigen Chlorhexidindigluconat- mit adjuvanter Antibiose Zähne 11, 24 und 25 mit anschließender Gel. 62 BZB Januar/Februar 2021
wissenschaft und fortbildung erhoben. Persistierende Taschen mit 4mm Sondierungstiefen und BOP sowie Taschen ≥ 5 mm wurden subgingival mit Hand- beziehungsweise Schallinstrumenten gereinigt und einprozentiges Chlorhexi- dindigluconat-Gel subgingival appliziert. Die Praktikabilität und Effektivität der Interdentalraumbürsten wurde für jeden Zahnzwischenraum überprüft und gege- benenfalls angepasst. Tabelle1 zeigt eine Auflistung der GBI-, PCR und BOP-Werte zu den jeweiligen MHT/UPT-Terminen. Aufgrund der kontinuierlichen Be- fundverbesserung und der regelmäßigen Teilnahme der Patientin an der UPT bis November 2014 wurde mit der Planung der Implantattherapie im Oberkiefer be- gonnen. Abb.5 Befund nach antiinfektiöser Therapie (08/2014) Implantologie Im November 2014 wurde eine PSA mit einer zuvor angefertigten Orientierungs- schablone erstellt und anschließend vermessen (orange Linien; SidexisneXt Generation, Sirona Dental Systems GmbH, Bensheim) (Abb.6). Es wurden mit Absicht in jeweils allen drei Regionen im Seitenzahnbereich Bohrhülsen plat- ziert, damit intraoperativ die Flexibilität bestand, von einer geplanten Implantat- position abweichen zu können. Im selben Monat erfolgte die Implanta- tion in Regio 16, 14, 11, 24 und 26. Der Ein- griff erfolgte ambulant in nasaler Intuba- tionsnarkose. Es wurde beidseitig ein nach palatinal versetzter Kieferkammschnitt mit Abb.6 Panoramaschichtaufnahme mit Mess-/Orientierungsschablone (11/2014) vertikalen Entlastungen angelegt und ein Mukoperiostlappen von 14/24 bis in Re- gio 17/27 präpariert. Anschließend wurde Reevaluation dontalchirurgische Maßnahmen waren beidseits ein ovales knöchernes Fenster Vier Monate nach der antiinfektiösen aufgrund des deutlichen Therapieerfolgs im Bereich des Sinus präpariert, ohne da- Therapie, im August 2014, erfolgte die zunächst nicht indiziert [23]. bei die Schneider’sche Membran auf der Reevaluation (Abb.5). Die Interdental- Abschließend wurde die Patientin in Innenseite zu perforieren. Diese wurde bürsten wurden angepasst, und anschlie- die UPT überführt. Zur Parodontitisrisiko- danach vorsichtig bis nach palatinal vom ßend erfolgte die Reinigung sämtlicher bestimmung wurde das „Periodontal Risk Sinusboden gelöst und abpräpariert, bis Zahnflächen mittels Hand- und Schall- Assessment“ (PRA) verwendet [24–26], ein ausreichend dimensionierter Hohlraum instrumenten mit nachfolgender Politur. nach dem ihr Risiko als hoch eingestuft zur Aufnahme der geplanten Implantate, Persistierende Taschen mit 4mm Sondie- wurde und ihr folglich ein vierteljährliches insbesondere in den Positionen 16 und rungstiefe und BOP sowie Taschen von UPT-Intervall zugewiesen wurde. 26, entstand. Dann wurde in den entspre- ≥ 5 mm wurden subgingival mit Hand- und chenden Regionen für die Implantate in Schallinstrumenten gereinigt und einpro- Unterstützende Parodontitistherapie nach Möglichkeit prothetisch optimaler zentiges Chlorhexidindigluconat-Gel sub- In regelmäßigen Abständen wurden orale Position das jeweilige Implantatbett prä- gingival instilliert. Weiterführende paro- Befunde sowie Zahn- und Parodontalstatus pariert. Vor Insertion wurde zunächst der BZB Januar/Februar 2021 63
wissenschaft und fortbildung Abb.7 Konventionelle Implantation mit externer Sinusbodenelevation (hier exemplarisch dargestellt: Regio 14–16). Links: laterale Auf- sicht auf das oval präparierte Sinusfenster unter Erhalt der Schneider’schen Membran, rechts: Zustand nach Insertion der Implantate Regio 14 und 16 mit eingebrachten Abdeckschrauben und Augmentation des Sinus mit allogenem Material palatinale Anteil des ehemaligen Sinus mit mit einer 0,12-prozentigen CHX-Lösung mit einem Diamanten entepithelisiert und allogenem Knochenersatzmaterial (Puros und applizierte mehrmals täglich nach der das schüsselförmig darunter liegende Allograft, Zimmer Dental GmbH, Freiburg) Mundhygiene ein einprozentiges CHX-Gel Granulationsgewebe scharf entfernt, gefüllt (Abb.7). Anschließend wurden die auf die Wunden [27]. Zusätzlich wurden ihr ohne einen Lappen zu bilden. Darauf- Implantate (Astra-Tech Osseospeed TX S, für fünf Tage ein Antibiotikum (Amoxicillin hin wurde ein neues, kürzeres Implantat Durchmesser 5.0 x Länge 11 mm) primär- 1000mg) zur dreimal täglichen Einnahme (Astra-Tech Osseospeed TX, Durchmes- stabil eingebracht, mit Abdeckschrauben und ein Analgetikum (Ibuprofen 600mg) ser 5.0 x Länge 9 mm) so inseriert, dass verschlossen und der restliche Bereich als Bedarfsmedikation verschrieben. die Implantatschulter auf dem Boden des des Sinus augmentiert. Ein spannungs- schüsselförmigen Defekts zu liegen kam. freier Wundverschluss in diesem Bereich Komplikationsmanagement Es wurde mit einer Abdeckschraube ver- wurde nach Reposition des Mukoperiost- Im Februar 2015 stellte sich die Patientin schlossen und anschließend mit einem lappens über Einzelknopfnähte mit mono- noch innerhalb der vorgesehenen sechs- freien Schleimhauttransplantat mit binde- filen Nahtmaterialien verschiedener Stärke monatigen Einheilphase der Implantate gewebigen „Flügelchen“ aus der Tuber- (SABApol 5-0 und SABAfil 4-0, Sabana Me- mit einer Schleimhautdehiszenz über dem region 28 über dem Implantat bedeckt. dizinbedarf GmbH, Wiesbaden) erreicht. In Implantat in Regio 26 vor, die zunächst Das Transplantat wurde in dem Empfän- Regio 11 wurde nach bukkal und palatinal über das Einbringen eines Gingivafor- gerbett mit Einzelknopfnähten (SABA- jeweils ein vollschichtiger Lappen abprä- mers versorgt wurde. Eine PSA ließ einen pol 6-0) fixiert (Abb.11). Nach Abschluss pariert. Es folgte die Implantatbettaufbe- schüsselförmigen Defekt im Bereich des der erneuten Implantation erfolgte eine reitung, abschließend wurde das Implantat Mikrogewindes des Implantats 26 erken- Röntgenkontrollaufnahme (Abb.12). Die (Astra-Tech Osseospeed TX S, Durchmes- nen (Abb.10). Gemeinsam mit der Patien- Patientin befolgte das gleiche postopera- ser 5.0 x Länge 11 mm) primärstabil ein- tin wurde sich für eine Explantation mit tive Protokoll wie nach der Implantation, gebracht und mit einer Abdeckschraube zeitgleicher Neuimplantation entschieden. jedoch ohne Antibiose. verschlossen. Augmentative Maßnahmen Eine verzögerte Implantation lehnte die waren nur im oberen bukkalen Drittel not- Patientin ab, obwohl sie über das Risiko Implantatfreilegung wendig. Dieser Bereich wurde ebenfalls mit einer erneuten spontanen Freilegung und Im Mai 2015 erfolgte die Freilegung aller allogenem Knochenersatzmaterial aug- die fehlende Evidenz dieses Therapiever- Implantate [28]. Die entsprechenden Gin- mentiert, mit einer Kollagenmembran (Ja- fahrens aufgeklärt wurde, da sie möglichst givaformer wurden handfest eingedreht. son Membran, Straumann GmbH, Freiburg, schnell versorgt werden wollte. Die Interimsprothese wurde anschließend Deutschland) bedeckt und spannungsfrei Im März 2015 wurde unter lokaler umgearbeitet, um weiterhin getragen verschlossen (Abb.8). Anästhesie zunächst das Implantat 26 werden zu können. Der weitere Verlauf Nach Abschluss der implantologischen unter maximaler Schonung des umlie- gestaltete sich komplikationslos. Maßnahmen erfolgte eine Röntgenkontroll- genden Knochens ausgedreht (Implant aufnahme (Abb.9). Die Patientin spülte Removal Kit, Biomet3i, Barcelona, Spain). Implantatprothetische Versorgung bis zwei Wochen nach der Implantation Anschließend wurde das kreisrunde vor- Die abschließende prothetische Ver- morgens und abends etwa zwei Minuten herige Austrittsprofil des Gingivaformers sorgung der Implantate im Oberkiefer 64 BZB Januar/Februar 2021
wissenschaft und fortbildung a b c d Abb.8 Konventionelle Implantation mit lateraler Augmentation in Regio 11: (a) koronale Aufsicht nach bukkaler und palatinaler Präpa- ration eines Mukoperiostlappens und finaler Implantatbettbohrung, (b) Zustand nach Implantation Regio 11, (c) Zustand nach lateraler Augmentation mit allogenem Material, (d) Nahtverschluss mit einer horizontalen Matrazennaht und zwei Einzelknopfnähten Abb.9 Panoramaschichtaufnahme nach Implantation (11/2014) Abb.10 Panoramaschichtaufnahme mit eingebrachtem Gingiva- former Regio 26 (02/2015) erfolgte durch den Überweiser mit zwei givamanschette zu legen. Im Zuge dessen Mukositis [29] vor (Abb.14), die im Rah- vollkeramischen Brücken in den Regionen wurde das Diastema mediale geschlossen men der regelmäßig stattfindenden UPT 14 bis 16 und 24 bis 26. Zusätzlich wurde (Abb.13). mittels Mundhygieneinstruktionen und das Implantat in Regio 11 mit einer vollke- professioneller mechanischer Plaque- ramischen Einzelkrone versorgt. Grund- Befund ein Jahr und fünf Jahre entfernung therapiert wurde. Zahn 27 lage dafür waren individualisierte Titan- nach Implantation wurde zwischenzeitlich vom Überweiser abutments (Atlantis, Dentsply IH GmbH, Ein Jahr nach Implantation zeigten sich entfernt. Die Extraktion, sofern man ihn Mannheim), die gewählt wurden, um den parodontal entzündungsfreie Verhältnisse nicht für den frühzeitigen Implantatver- späteren Zementspalt weg vom Knochen- (Abb.13). Lediglich am Implantat 16 lag lust in Regio 26 verantwortlich macht, niveau circa 1 mm unter die marginale Gin- aufgrund eines BOPs eine periimplantäre hätte aus rein parodontologischer Sicht BZB Januar/Februar 2021 65
wissenschaft und fortbildung a b c d e Abb. 11 Explantation und Neuimplantation in Regio 26: (a) koronale Aufsicht nach Ent- Abb.12 Panoramaschichtaufnahme (Halb- fernung des Gingivaformers, (b) Explantat am Implant-Remover, (c) koronale Aufsicht seitenaufnahme links) nach Neuimplanta- nach Neuimplantation Regio 26, (d) koronale Aufsicht nach Abdeckung des Implantats tion Regio 26 (03/2015) mit einem kombinierten freien Schleimhaut- und Bindegewebstransplantat, (e) koronale Aufsicht nach Transplantatfixierung mit Einzelknopfnähten Abb.13 Fotostatus vier Monate nach prothetischer Implantatversorgung beziehungsweise ein Jahr postoperativ (09/2015) mit einem zuletzt allseitigen Furkations- mehrfachem, großflächigem Füllungsver- verloren hat, wenn man die PSA aus dem grad I und zirkumferenten Sondierungs- lust und misslungener endodontischer Jahr 2010 zugrunde legt (Abb.3). Darüber tiefen von 3 bis 4 mm nicht erfolgen Therapie extrahiert wurde (Abb.18). Ge- hinaus wies sie zu Therapiebeginn weni- müssen. Eine Einzelzahnaufnahme nach genüber dem Ausgangsbefund konnte ger als zehn okkludierende Zahnpaare auf, der Extraktion aus dem November 2015 die parodontale Situation in Form einer was ein zusätzlicher Komplexitätsfaktor zeigte einen verbliebenen Wurzelrest, der Reduktion der Sondierungstiefen auf im Stadium IV ist. Der Grad C (schnelle anschließend noch entfernt wurde, und überwiegend unauffällige Werte dennoch Progression) wurde aufgrund der indirek- stabile knöcherne Verhältnisse um das objektiv verbessert werden (Abb.16). Auf ten Evidenz anhand des Knochenabbauin- Implantat 26 (Abb.15). dem Weg dahin wurden allerdings initial dex (1,5) ermittelt und entspricht klinisch Die aktuellen Diagnosen, fünf Jahre als hoffnungslose (11,24,25) wie auch als der bereits ausgeprägten parodontalen nach Implantation und prothetischer sicher (27,37) eingestufte Zähne extra- Destruktion und den stattgefundenen Implantatversorgung, in Bezug auf die hiert. Zuletzt lag ein entzündungsfreier Zahnverlusten im Alter von 34 Jahren [11]. parodontale und periimplantäre Situation Zustand mit Sondierungstiefen bis 3 mm Bei der Reevaluation der klinischen Si- (Befund aus Oktober 2020) der Patientin und Attachmentverlusten bis 4 mm vor tuation bestanden an den Zähnen 35 und lauten (Abb.16): (Abb.16). 42 weiterhin erhöhte Sondierungstiefen • stabile Parodontitispatientin von 5 mm. Sondierungstiefen ≥ 5 mm (StadiumIV, Grad C) [30] sind mit einem erhöhten Risiko für eine Diskussion • periimplantäre Mukositis an Zahn 11 Progression der Parodontitis, das heißt (BOP + Rötung der Papille zwischen Für die initial gestellte Diagnose „Parodon- weiteren Attachmentverlusten, assozi- Zahn 11 und 12, Abb.17) [29] titis, Stadium IV, Grad C“ spricht, dass die iert [23]. Daher wurden Sondierungstie- Patientin an 83 Prozent ihrer Zähne einen fen ≥ 4 mm + BOP oder ≥ 5 mm im Rah- Die Patientin befand sich zwischenzeitlich interdentalen Attachmentverlust von men der UPT subgingival instrumentiert. in regelmäßigen Abständen in der UPT ≥ 5 mm aufwies und mehr als fünf Zähne Die eingangs besprochene Implantation des Überweisers, wo auch Zahn 37 nach aus mutmaßlich parodontalen Gründen wurde zunächst zurückgestellt, um den 66 BZB Januar/Februar 2021
wissenschaft und fortbildung Erstuntersuchung vorliegenden Befun- des mit bereits existierender Schaltlücke und dem folglich bereits bestehenden prothetischen Handlungsbedarf, wurden die oben genannten Zähne extrahiert, da deren Wertigkeit als Pfeiler nicht mehr gegeben war. An Zahn 24 hätte auch nach antiinfektiöser Therapie eine durchgängige Furkation vorgelegen und selbst bei einem Attachmentgewinn an den Zähnen 24 und 25 wäre deren pro- thetische Wertigkeit weiterhin infrage zu stellen gewesen. Hätte die Patientin einer Schienung zugestimmt, wäre Zahn 11 nicht extrahiert worden [31]. Prinzipiell ist es im parodontal kompromittierten Gebiss vorteilhaft, eine Implantation möglichst hinauszuzögern, wenn der natürliche Zahn noch vorhanden ist [32]. Dafür muss man Abb.14 Befundschema vier Monate nach prothetischer Implantatversorgung bezie- hungsweise ein Jahr postoperativ (09/2015) als Patient aber möglicherweise kompro- missbereit hinsichtlich der Ästhetik sein, die beispielsweise durch die Ausbildung Effekt der antiinfektiösen Therapie auf die Fall verdeutlicht, wie wichtig der Erhalt von Rezessionen und/oder sogenannten parodontale Situation weiter abzuwarten, einer geschlossenen Zahnreihe, insbe- „black triangles“ (Papillenverlust) beglei- diese zu verbessern und weiter zu stabi- sondere bei parodontal erkrankten Pa- tet werden kann. Beim Erhalt des Zahns lisieren [2–7]. tienten, ist. Wäre die Patientin bereits hätte sich aufgrund der initial höheren At- Die Extraktion der Zähne 11, 24 und 2010 überwiesen worden (Abb.3), wäre tachmentverluste und der Lockerung im 25 ist aus parodontologischer Sicht mit wahrscheinlich ein vollkommen anderer Vergleich zu den Nachbarzähnen (Abb.2) Sicherheit kritisch zu bewerten und Therapieansatz gewählt worden. Es wäre vermutlich eine größere posttherapeu- hätte bis zur Reevaluation zurückgestellt versucht worden, alle Zähne zu erhalten, tische Rezession ausgebildet. Zum Pa- werden können, um deren Prognose um prothetisch nicht zwangsläufig aktiv pillenverlust beziehungsweise zur nicht anschließend neu zu beurteilen. Dieser werden zu müssen. Aufgrund des zur ausreichenden Papillenrekonstruktion ist Abb.15 Einzelzahnaufnahme aus 11/2015 (alio Abb.16 Befundschema fünf Jahre postoperativ (10/2020) loco angefertigt) BZB Januar/Februar 2021 67
wissenschaft und fortbildung Abb.17 Fotostatus fünf Jahre postoperativ (10/2020) es in diesem Fall zwischen Zahn 11 und 21 chere Rehabilitationsmaßnahmen nach ten Patienten [37,39,44]. Metaanalysen dennoch gekommen (Abb.13), die auch sich ziehen. aus 2014 und 2015 konnten für paro- nach fünf Jahren noch bestand (Abb.17), Als Risikofaktoren für eine Implan- dontal erkrankte Patienten eine um den woran sich die Patientin nicht störte. Dies tation finden sich in der Literatur syste- Faktor 1,69 erhöhte Wahrscheinlichkeit verdeutlicht, dass die ästhetische Wahr- mische Faktoren wie beispielsweise Dia- für einen Implantatverlust, eine um den nehmung durch Fachpersonal und durch betes mellitus, Bisphosphonattherapie, Faktor 2,17 erhöhte Wahrscheinlichkeit Laien differieren kann [33]. Keinesfalls erfolgte Radiotherapie, eine Parodontitis- für eine Periimplantitis und eine vierfach wurde hier vor dem Hintergrund eines Vorgeschichte und Rauchen [46,35–39]. höhere Misserfolgsrate für generalisiert ästhetisch vorhersagbaren Endresultats Des Weiteren werden lokale Risikofakto- aggressive Parodontitiden nachweisen, implantiert, sondern aus der Überlegung ren wie beispielsweise die Weichgewebs- denen die Patientin nach ehemals gültiger heraus, dass die Patientin sich einen fest- dicke und die Breite der keratinisierten Klassifikation für Parodontalerkrankungen sitzenden Zahnersatz gewünscht hat. Gingiva diskutiert [40–43]. Im vorliegen- zugeteilt worden wäre [5,7]. Langzeit- Letztlich hängt die Wahl des therapeu- den Patientenfall lagen keine systemi- ergebnisse über zehn Jahre aus 2007 tischen Vorgehens auch vom Behandler schen Risikofaktoren vor. Allerdings lag und 2013 stützen diesen Nachweis mit und seinem Spezialisierungsgrad ab [34]. eine Parodontitis-Vorgeschichte vor. Dies- einem durchschnittlich 2,4mm größeren Das Risiko eines implantologischen Miss- bezüglich wurde die Patientin im Vorfeld Attachmentverlust, einem durchschnitt- erfolgs, insbesondere im Oberkieferfront- darüber informiert, dass Implantate bei lich 2,07 mm höheren periimplantären zahnbereich (ästhetische Zone), würde parodontal kompromittierten Patienten Knochenverlust im Falle einer genera- neben den bei Parodontitispatienten geringere Erfolgsquoten und mehr bio- lisiert aggressiven Parodontitis und der oftmals bereits bestehenden Hart- und logische Komplikationen aufweisen als Empfehlung eines regelmäßigen UPTs bei Weichgewebsdefekten noch umfangrei- bei nicht an einer Parodontitis erkrank- parodontaler Vorgeschichte [3,38]. Abb.18 Panoramaschichtaufnahme fünf Jahre postoperativ (10/2020) 68 BZB Januar/Februar 2021
wissenschaft und fortbildung Insbesondere der Fall der fortge- ralateralen Seite in Regio 16 aufgrund der Verhältnisse hergestellt und nach Mög- schrittenen Parodontitis (Stadium IV, geringen Abutmenthöhe und des daraus lichkeit auch danach langfristig durch eine Grad C) [45], als womöglich „schwer- resultierenden, fast rechtwinkligen Emer- UPT etabliert werden können. Dennoch wiegendste“ Form der Parodontitis und genzprofils der Implantatkrone ebenfalls ist das Risiko für periimplantäre Erkran- vermeintliches Pendant zur ehemals ge- erahnt werden, wo sie möglicherweise die kungen zweifelsohne bei einer vorliegen- neralisierten aggressiven Parodontitis stattgefundenen Remodellierungspro- den Parodontitishistorie erhöht. Dies [12], stellt nach derzeitiger Datenlage zesse des Knochens auf Höhe der Implan- stellt den Behandler im Vorfeld vor die eine riskante Ausgangssituation für einen tatschulter begünstigt hat [41,48]. Aufgabe, Risikofaktoren zu identifizieren, implantologischen Eingriff dar [7,38]. Es Die Befunde der Zähne und der Im- Risiken genau abzuwägen und gemein- konnte jedoch gezeigt werden, dass bei plantate hängen langfristig weiterhin ent- sam mit dem Patienten zu entscheiden, konsequenter und regelmäßiger UPT scheidend von der Mitarbeit der Patien- ob man diese Risiken eingehen möchte. auch Patienten mit dieser Form der paro- tin und insbesondere ihrer regelmäßigen Sollte es zu Komplikationen kommen, sind dontalen Erkrankung erfolgreich mit Im- Teilnahme an der UPT ab [2,3,5,7,17,35,38, auch diese beim parodontal kompromit- plantaten versorgt werden können [2–4, 49–51]. Ein weiterer Attachment- und tierten Patienten zu managen, sofern 7,35,38,46]. Zahnverlust bei Recall-Patienten ist ein nach wie vor entzündungsfreie Verhält- Dass es zu einem implantologischen eher seltenes Ereignis [16,52,53], sodass nisse vorliegen. Die frühzeitige Sicherung Misserfolg in Regio 26 gekommen ist, es vertretbar erscheint zu versuchen, einer geschlossenen Zahnreihe sollte könnte an der parodontalen Situation des den erreichten Zustand möglichst lange dennoch höchste Priorität haben. Dies Nachbarzahns 27 gelegen haben, wenn- zu konservieren. Die zuletzt aufgetrete- erspart komplexe Planungen im Wissen, gleich es keinerlei Evidenz dafür gibt, dass ne periimplantäre Mukositis an Zahn 11 dass dieses Vorhaben nicht bei jedem Pa- das Knochenniveau an Implantaten durch und der erhöhte PCR (Tab.1) stehen tienten zu realisieren ist. den Attachmentverlust an Nachbarzäh- möglicherweise auch in Verbindung mit nen in Mitleidenschaft gezogen werden der kürzlich zurückliegenden Geburt von kann [47]. Ein weiteres Erklärungsmodell Zwillingen, die eine große Umstellung im für den frühzeitigen Implantatverlust Leben der Patientin nach sich gezogen könnte die fehlende Weichgewebsstärke hat. Die Situation lässt sich jedoch gut Korrespondenzadresse: über dem anfänglich inserierten Implantat im Rahmen der UPT kontrollieren [29]. Dr. med. dent. Hari Petsos, M.Sc. Poliklinik für Parodontologie, ZZMK (Carolinum), in Regio 26 sein, weshalb die Neuimplan- Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt tation in einer zum Weichgewebe relativ Theodor-Stern-Kai 7 (Haus 29) Fazit gesehen apikaleren Position erfolgte und 60596 Frankfurt am Main mit Bindegewebe bedeckt wurde [40,41]. Implantologie im parodontal kompromit- Telefon: +49 69 63014732 petsos@med.uni-frankfurt.de Die geringe Weichgewebsstärke kann in tierten Gebiss stellt keine Kontraindika- der PSA aus 2020 (Abb.18) auf der kont- tion dar, sofern zuvor entzündungsfreie Literatur beim Verfasser. Anzeige ERSTKLASSIG - DIGITAL ENDLICH DA! WIR KÖNNEN SERVICE! www.f1-dentalsysteme.de Zentrale Nord-West Tel.: (02261) 8074-00 | E-Mail: Info@f1-dentalsysteme.de * Preis in Euro, zzgl. MwSt. Zentrale Süd-Ost Tel.: (07231) 28018-0 | E-Mail: deutschland@f1-dentalsysteme.de
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