In welchem Bereich arbeiten Sie, und welche Ziele/Fragen/ Probleme stehen dort im Vordergrund?
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Workshop 2 Mobilität, Wohnen und Teilhabe In welchem Bereich arbeiten Sie, und welche Ziele/Fragen/ Probleme stehen dort im Vordergrund? Vorstellung Person Mein Name ist Christiane Lutz-Gräber. Ich bin Referentin des PARITÄTISCHEN Landesverbandes Rheinland-Pfalz/Saarland in den Bereichen Behindertenhilfe, Sozialpsychiatrie und Sucht. Ich bin zudem in unserem Verband auch für den Frauenbereich zuständig, was mir auch ein großes Anliegen mit Blick auf unser heutiges Thema ist. Die UN-Konvention ist ein Thema dem ich mich in beiden Bundesländern derzeit sehr intensiv widme. Anmerkung Wenn ich von Behindertenhilfe spreche, meine ich: Hilfe für Menschen mit einer geistigen und körperlichen Behinderung und Sozialpsychiatrie heißt: Menschen mit einer seelischen Behinderung. Ich spreche hier und heute auch nur von den Menschen, die Eingliederungshilfe erhalten. Für die Menschen, die eine psychische Erkrankung haben und keine Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten bzw. brauchen, über diese kann ich keine Aussagen machen, gleichwohl auch sie bei Inklusion mitgedacht werden müssen. Mir ist bewusst dass dies kein Sprachgebrauch ist der inklusiv ist, aber er bildet noch die Realität ab. Volle Inklusion hieße auch diese Unterscheidung nicht mehr vornehmen zu müssen. Vorstellung Verband Der PARITÄTISCHEN ist einer von sechs Wohlfahrtsverbänden im Saarland. Unter unserem Dach sind eine Vielzahl unterschiedlicher Mitgliedsorganisationen aus allen sozialen Bereichen organisieren. Ich nenne hier bspw. die Lebenshilfen, den Arbeitersamariterbund, den VDK, den Kinderschutzbund, Migrantenorganisationen, autonome Frauenhäuser und Frauennotrufe Pro Familia, Selbsthilfegruppen und viele mehr. Insgesamt sind in unserem Landesverband 573 Mitgliedsorganisationen organisiert. Vorbemerkung zum Thema Wenn ich im Folgenden die hier anstehenden Themen - Wohnen - Teilhabe - Mobilität aus Sicht eine Wohlfahrtsverbandes darstelle, so ist dies das Ergebnis der Erfahrungen unserer saarländischen Mitgliedsorganisationen im Bereich der Behindertenhilfe und der Sozialpsychiatrie. Ich beschränke mich hier auf den Ausbau ambulanter Strukturen und lasse den stationären und teilstationären Bereich bewusst außen vor. Seite 1
Workshop 2 Mobilität, Wohnen und Teilhabe In allen Handlungsfeldern spielen für uns die Selbstbestimmung sowie der Ausbau ambulante Strukturen seit vielen Jahren eine wichtige Rolle. Ich will es vorweg nehmen: Wir sind m. E. im Saarland insgesamt auf einem guten Weg und müssen uns auch vor anderen Bundesländern nicht verstecken. Wir haben, was die Hilfen zum Selbstbestimmten Leben und Wohnen anbelangt sicherlich für den Personenkreis der Menschen mit einer geistigen und körperlichen Behinderung sehr spät begonnen, aber wir holen auf. Aber natürlich können wir mit dem Erreichten nicht zufrieden sein. Es liegt für alle Akteure noch ein langer Weg vor uns. Wichtig ist: Wir ziehen alle an einem Strang in die gleiche Richtung. Das sind schon mal gute Voraussetzungen. Warum wir erst hier und nicht schon dort stehen, hat viele Gründe. Inwiefern bedeutet die UN-BRK mit der Forderung einer „inklusiven Gesellschaft“ für Sie und Ihren Arbeitsbereich eine Herausforderung? Ich bin gebeten worden über die die praktischen Erfahrungen und Hindernis kurz zu berichten und hier erlauben Sie mir wieder die Unterscheidung in Menschen mit einer geistigen, körperlichen und Menschen mit einer seelischen Behinderung zu machen. Ich werde jeweils ganz kurz auf die Situation im Wohnen, in der Mobilität und der Teilhabe eingehen. Ich beschränke mich dabei aufgrund der Zeit auf das Selbstbestimmte Wohnen in der eigenen Wohnung und auf erwachsene Menschen. Wohnen Im Bereich Sozialpsychiatrie hat das Saarland im Rahmen der Psychiatriereform schon vor mehr als 30 Jahren einen Weg hin zu eine gemeindeorientierten Hilfe angegangen. In Teilen war es Vorreiter. Es gab zuerst die Verwaltungsvorschrift zum Betreuten Wohnen mit Wohngemeinschaften in jedem Landkreis. Sehr schnell wurden diese ergänzt um Hilfen im eigenen häuslichen Umfeld. Wohngemeinschaften gibt es heute kaum noch, es sind nur noch wenige, die aber ihre Berechtigung auch weiterhin haben. Die meisten Menschen mit einer seelischen Behinderung wohnen in eigenen Wohnungen oder zu zweit. Sie haben ihre Wohnungen selbst gemietet, eventuell mit Unterstützung der Dienste. Im städtischen Umfeld gibt es auch keine Ressentiments der Vermieter. Zumal auch niemand offen legen muss, dass er eine psychische Erkrankung hat. Im Gegenteil es gibt auch Vermieter die aktiv auf die Träger zugehen und Wohnungen anbieten. Ich führe dies zurück auf die gewachsenen und guten Strukturen, die im Rahmen der gemeindeorientieren Psychiatrie erarbeitet wurden und heute tragen. Teilhabe Grundsätzlich stehen Menschen mit einer seelischen Behinderung alle Vereine, Veranstaltungen und so weiter offen. Die Erfahrung zeigt, dass sie oftmals die Angebote nicht oder nicht mehr wahrnehmen. Gründe sind bspw.: - Reizüberflutung - zu hohen Ansprüchen an die Mitglieder (bspw. Sport) Seite 2
Workshop 2 Mobilität, Wohnen und Teilhabe - u. andere in der Krankheit bedingte Ängste und Minderwertigkeitsgefühle. Sie gehen lieber in die Tageszentren, sind unter sich in einem geschützten Bereich. Unternehmungen werden gemeinsam durchgeführt. Zudem fehlt es häufig auch an den finanziellen Möglichkeiten zur Teilhabe, da ein Großteil der Menschen von Grundsicherung lebt und für sogenannten Freizeitaktiviäten wenig Mittel zur Verfügung stehen. Mobilität Barrierefreiheit ist hier nicht das Thema. Mobilität ist eine Frage der Erreichbarkeit des öffentlichen Nahverkehrs. Allerdings wie oben genannt auch eine Frage der finanziellen Mittel. Menschen mit einer körperlichen Behinderung Bei der Gruppe der körperbehinderten Menschen hat hingegen Barrierefreiheit eine ganz andere Bedeutung, wobei zu dieser Gruppe sowohl Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer zählen, als auch Blinde oder Gehörlose oder Schwerhörige. Wohnen Es gibt auf dem freien Wohnungsmarkt kaum barrierefreier Wohnraum. Früher gab es für bspw. verunfallte Menschen, die zuhause nicht mehr versorgt werden konnten oftmals nur die Versorgung im Pflegeheim. Hier sind wir sehr viel weiter, was die unterstützenden Leistungen zum Verbleib in der eignen Wohnung oder in einer barrierefreien Wohnung anbelangt. Aber das Problem ist, dass barrierefreier Wohnraum ein knappes Gut ist. Einige Träger bauen selbst. Und eigentlich ist das nur der Not geschuldet. Hier sind die Privatwirtschaft und die Kommunen gefordert, barrierefreien Wohnraum zu schaffen. Auch die Landesbauordnung und die konsequente Durchsetzung ist nochmals anzuschauen. Hinzu kommt, dass Menschen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, beim Raumbedarf über den Normen der zu finanzierenden Mietbedingungen der Sozialhilfe. In Einzelfällen gestaltet sich die Finanzierung schon sehr schwierig. Teilhabe Auch hier stellt sich die Frage, ob mir die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen einerseits und ob ich aufgrund der Barrierefreiheit auch teilnehmen kann. Vielleicht ist die Kneipe noch zugänglich, aber die Toilette liegt im unteren Stockwerk. Schwerhörige können Veranstaltungen nicht besuchen, da die Bürgerhäuser nicht mit entsprechenden technischen Vorrichtungen versehen sind. Übrigens gibt es im Saarland auch keine einzige gebärdensprachliche unterlegte Nachrichtensendung des SR. Mobilität Menschen mit Behinderung brauchen nicht nur einen barrierefreien Wohnraum, sondern auch vor der eigenen Haustür müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Stichwort gute Infrastruktur für Menschen im Rollstuhl aber auch für Blinde und Gehörlose Menschen. Für die täglichen Einkäufe, bei Ärzten, Verwaltungen. Seite 3
Workshop 2 Mobilität, Wohnen und Teilhabe Dass behinderte Menschen nicht überall im öffentlichen Nahverkehr ein- und aussteigen können, ist auch heute noch Realität. Der Weg von A nach B wird manchmal zu einer logistischen Meisterleistung (siehe bspw. Bahnfahrten). Menschen mit einer geistigen Behinderung Bei der Gruppe der Menschen mit einer geistigen Behinderung oder Mehrfachbehinderung hat hingegen Barrierefreiheit eine ganz andere Bedeutung Wohnen Menschen mit Behinderung sind eher selten selbst eigenständiger Mieter einer Wohnung. Sie finden Wohnraum mit Unterstützung der Dienste und gesetzlichen Betreuer und oftmals auch nicht auf den eigenen Namen. Wenn auch nicht die Barrierefreiheit das Problem ist, so gilt dennoch auch hier, dass mit den Vorgaben aus der Sozialhilfe teilweise kein Wohnraum gefunden werden kann. Teilhabe Auch hier stellt sich die Frage, ob die finanziellen Mittel zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zur Verfügung stehen und ob sie aufgrund der Barrierefreiheit auch teilnehmen können. Zudem kommen bei Menschen mit Behinderung weitere Probleme hinzu. Oftmals sind für sie die Angebote der Vereine nicht zugänglich. Die Einbindung ins Gemeindeleben gestaltet sich sehr schwierig. Hier drei Beispiele zur Verdeutlichung: 1. Einer unserer Mitgliedvereine hatte mit der Kirchengemeinde einen regelmäßigen Treff für ältere und für behinderte Menschen organisiert. Der Treff besteht bis heute, nur blieben die älteren Menschen nach einer Weile weg und die Menschen mit geistiger Behinderung sind wieder unter sich. Wir erleben ganz oft, dass geistig behinderte Menschen, die aus einem Wohnheim in eine eigene Wohnung ziehen, den Kontakt zu den früheren MitbewohnerInnen aufrechterhalten und dort ihre sozialen Kontakte pflegen. 2. Eine Mitgliedsorganisation hat ein Projekt ins Leben gerufen, um junge Menschen mit vorwiegend geistiger Behinderung in örtliche Sportverereine zu integrieren. Sie haben eine Menge Überzeugungsarbeit leisten, viele Ängste in Richtung Haftung ausräumen müssen und letztlich ging es nur, wenn der Übungsleiter/ die Übungsleiterin dahinter stand. Die dauerhafte Begleitung des Jugendlichen durch eine Betreuungskraft ist auch oftmals erforderlich. 3. In Fußballvereinen scheitern viele Kinder mit Behinderung, da sie der steigenden Anforderung je Alterstufe nicht schaffen und der Erfolg und nicht die soziale Integration im Vordergrund steht. Ich denke das kennen auch Eltern von nicht behinderten Kindern, die sportlich nicht so fit sind. Anmerkung: Es gibt aber auch ganz viele Beispiele gelungener Integration. Sie sind m. E. immer an sehr engagierte Übungsleiter gebunden. Die Träger im Bereich der Eingliederungshilfe könnten diese Liste mit vielen weiteren Beispielen fortsetzen. Mobilität Mobilität heißt hier gute Verkehrsverbindungen im Ort, Einkaufmöglichkeiten und Freizeitmöglichkeiten. Seite 4
Workshop 2 Mobilität, Wohnen und Teilhabe Auch hier ein Bespiel zur Verdeutlichung: Es gibt nur bereits im zweiten Jahr in regelmäßigen Abständen in Saarbrücken in der Garage eine Party für Menschen mit und ohne Behinderung. Damit die Menschen mit Behinderung überhaupt an der Party teilnehmen können, braucht es die Unterstützung der Dienste, die den Fahrdienst sicherstellen, eventuell auch die Assistenz. Wenn sich auf der Party zwei Menschen mit Behinderung kennen lernen, bspw. jemand aus Merzig und jemand aus Neunkirchen, dann scheitert eine Freundschaft möglicherweise daran, dass die Wege zu lang und die Fahrten mit dem ÖPNV zu teuer sind und professionelle Helfer nur bedingt tätig werden können, da dies die heutige Finanzierung nicht hergibt. Was sind vor diesem Hintergrund Ihre Ziele und „Visionen“ zur Umsetzung der UN-BRK im Saarland? Ich habe mich bewusst auf einige praktische Beispiele bezogen, um die aktuelle Situation hier zu beschreiben. Wie kann es weitergehen? Wir sollten realistische Schritte planen, die umsetzbar sind. Inklusion ist bei uns in den sogenannten Fachkreisen schon längst angekommen. Es ist ein Thema für uns, das auch bedeutet nochmals kritisch hinzusehen und auch unser eigenes Weltbild nochmals zu hinterfragen. Außerhalb unserer „Eingliederungswelt“ aber ist Inklusion m. E. noch lange nicht angekommen. Nicht in den Verwaltungen, nicht in Vereinen, nicht in der Arbeitswelt, nicht in der Wirtschaft, kaum in den Schulen und schon gar nicht in der Bevölkerung. Für mich ist es wichtig das Thema positiv zu transportieren und nicht nur als Pflichtaufgabe und Kostenfaktor. Es ist wichtig Inklusion mit allen zu diskutieren und ihnen den eigenen Nutzen bewusst zu machen. Denn eine inklusive Welt verbessert für alle diese Gesellschaft. - Sei es dadurch, dass wir eine einfache und für alle lesbare Beschilderung haben, - Busse leichter zu begehen sind, - Aufschriften auf Verpackungen nicht mehr mit Lupe gelesen werden müssen, - Schachtelsätze vermieden werden. - sei es dass Einkaufsläden, wie jetzt bspw. Globus seine Struktur auf Barrierefreiheit überprüft. Eine inklusive Bildung wird auch Kindern mit andern Unterstützungsbedarfen (Hochbegabte genauso wie sozial Schlechtergestellte oder Migranten) nutzen. Inklusion bedeutet eine Haltungsänderung und neue Formen des Umgangs in dieser Gesellschaft miteinander. Kinder die gemeinsam die Kindertagesstätte besuchen, erleben Menschen mit Behinderung als Teil unserer Gesellschaft. Für sie wird es normal sein, anders zu sein. Wohnen mitten drin, heißt auch, dass den Sozialraum neu gestalten. Übrigens für mich die schwierigste Aufgabe im ganzen Prozess. Dies muss eine Top-down-Aufgabe jeder Kommune sein.. Und Inklusion darf kein Thema nur für die sogenannte leicht integrierbaren Menschen sein. Meine Beispiele bezogen sich alle auf die leichter integrierbaren behinderten Menschen. Seite 5
Workshop 2 Mobilität, Wohnen und Teilhabe Ich hatte es zu Beginn gesagt, dass mir der Frauenbereich ein wichtiges Anliegen ist. Ich erhoffe mir von dem Prozess ein Bewusstseinswandel, dahingehend, dass auf die Belange von Mädchen und Frauen mit Behinderung ein besonderes Augenmerk geworfen wird. Dies ist noch ein Aufgabenbereich bei dem es viel zu tun gibt, aber m. E. vieles auch sehr schnell umsetzbar wäre, wenn nur mal der Blick dafür geschärft würde, dass Mädchen- und Frauen eben nicht nur behindert sind, sondern darüber hinaus Mädchen und Frauen, mit ganz eigenen Unterstützungsbedarfen, Erwartungen und Lebensträumen. Was sind Meiner Sicht die wichtigsten konkreten Schritte zur Umsetzung? Ich habe es schon gesagt: Aufklärung und Werben auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen für eine inklusive Gesellschaft und dort Multiplikatoren gewinnen, die nicht nur die Hürden sehen sondern auch die Chancen und den Mehrwert erkennen. Dies gilt insbesondere für die Kommunen, dort wo die Menschen ihren Lebensmittelpunkt haben. Der Erfolg hängt wesentlich von einem Bewußtseinswandel ab. Zielvereinbarungen, wie die mit Globus, sind der richtige Weg und relativ schnell umsetzbar. Den bereits begonnen Weg der Hilfen zum Selbstbestimmten Leben und Wohnen weiter gehen und bedarfsgerecht ausbauen. Dazu gilt es sich die Hürden nochmals genauer anzuschauen. Mehr barrierefreier Wohnraum schaffen (Anreize schaffen) Öffentlich geförderte Projekte viel strenger unter die Anforderung der Inklusion gewähren (ich denke hier auch an gewerbliche Bereiche, die Zuschüsse erhalten) Ich verweise auch auf die vier Papiere des Landesbehindertenbeirates, in dem vieles Weitere aufgeführt ist. Wir werden unseren Teil dazu beitragen, auf dem Weg zu Inklusion voranzukommen. Wir als Verband werden aber auch genau darauf achten, dass Inklusion nicht heißt, dass die bestehenden Rechte Menschen mit Behinderung ausgedünnt werden, was auch aus BRK keinesfalls ableitbar ist. Wir alle wissen, dass all dies erst mal bedeutet Geld in die Hand zu nehmen. Dies in einem Land, das unter dem Diktat der Schuldenbremse steht und 2011 in der Eingliederungshilfe deutliche Einsparungen umsetzt. Bei allen Visionen, die wir uns hier erlauben, gibt es auch einen realen Rahmen, den wir mitdenken müssen. Seite 6
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