Insekten - Ungeziefer oder unverzichtbar? - von Henning Vierhaus
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14 Insekten - Ungeziefer oder unverzichtbar? von Henning Vierhaus Stechmücken sind für uns eher lästige Plagegeister. Foto: Henning Vierhaus Einleitung Rückgang der Insekten vieler Insektenpopulationen welt- weit, verbunden mit der Würdigung In den Medien und damit auch in Über den tatsächlichen Rückgang der Forschungen der Krefelder um den Köpfen vieler Menschen ist von Insektenbeständen in Teilen Martin Sorg. So gelangte ins Bewusst- inzwischen angekommen, dass es Deutschlands wurden wir in der sein der Öffentlichkeit, dass Insekten ein ‚Insektensterben’ gibt. Und das ABU bereits im März 2016 durch Dr. mehr sind als nur Ungeziefer, dass soll schlimm sein. Aber mal ehrlich, Martin Sorg informiert. Es sind die sie vielmehr entscheidende Beutung ist es nicht viel besser so, dass man Besorgnis erregenden Feststellungen für alle Lebensgemeinschaften auf nicht ständig von Fliegen belästigt einer langfristigen Untersuchung der Erde haben, und ihr Rückgang wird, Mücken einem vom Leibe zur Menge fliegender Insekten am nicht ohne böse Folgen auch für den gehalten werden und Schadinsekten Niederrhein durch eine Gruppe von Menschen bleiben dürfte. nicht mehr ganze Ernten vernichten? in Krefeld ehrenamtlich arbeitenden Überhaupt, da wurde jüngst im Lan- Entomologen, also Insektenkundlern. Die „Krefelder Studie“ de eine ‚Taskforce Käfer’ eingerichtet. Der Aufruhr in der Presse über die Offenbar gibt es sogar kriminelle erschreckenden Befunde entstand Auf untersuchten offenen Na- Käfer, die es zu bekämpfen gilt. Und allerdings erst, nachdem diese Er- turschutzflächen im nördlichen schließlich, sterben Insekten nicht gebnisse, statistisch gesichert, im Rheinland verringerte sich von 1989 sowieso? Eintagsfliegen leben doch, Herbst 2017 in einer renommierten bis 2013 die schiere Masse der flie- wie der Name schon sagt, immer nur wissenschaftlichen Zeitschrift veröf- genden Insekten um über 75%. In einen Tag lang, oder? fentlicht wurden. Und jüngst erschien anderen Teilen Deutschland ist der im New-York-Times-Magazin sogar Rückgang der Insekten gleichfalls ein langer Bericht über den Einbruch deutlich spürbar, auch wenn er nicht so gut dokumentiert ist, wie durch die „Krefelder Studie“ und der Einschnitt Die Honigbiene ist das Paradebeispiel des nützlichen Insektes. in die Insektenbestände lokal, etwa Foto: Henning Vierhaus in Wäldern, weniger ausgeprägt sein kann. Ein fast jedem bekanntes Indiz für die bedenkliche Abnahme heimischer Insekten ist übrigens, dass heute, anders noch als vor wenigen Jahrzehnten, die Windschutzschei- ben unserer Autos nach längeren Überlandfahrten kaum noch mit Insektenresten verklebt sind. Der Rückgang betrifft nicht nur die Gesamtmenge aller Insekten, vielmehr sind viele ehemals häufige Arten selten geworden oder haben ABU info 41-42 (2019)
15 sich, meist unbemerkt, aus Teilen rend ihres Lebens auf zwei verschie- Foto: Henning Vierhaus ihres Verbreitungsgebietes verab- dene Lebensräume angewiesen ist, schiedet. Besonders betroffen sind einmal der für die flugunfähigen davon große Insektenarten und For- Larvenstadien, zweitens der für die men, die an spezielle Lebensräume ausgewachsenen, beflügelten und wie nährstoffarme Böden gebunden fortpflanzungsfähigen Tiere, die Ima- sind. So sind in NRW etwa manche gines, ist offensichtlich kein Nachteil. Hummelarten verschwunden und Schließlich ist die Vermehrungsrate unter den Schmetterlingen sind z.B. der meisten Arten enorm, sodass von Trauermantel und Großer Fuchs sehr Fall zu Fall schnelle Anpassungen an selten geworden. Warzenbeißer, eine neue Lebensbedingungen und Spezi- Heuschreckenart und der Heidelauf- alisierungen auf bestimmte oder neue käfer sind weitere Beispiele. Lebensbereiche möglich werden. Daher sind Insekten allgegenwärtig und auch stets da, wo wir Menschen Phänomen Insekten sie nicht gerne hätten. Zu ihrer Viel- Aber was sind das für Tiere, um die falt gehört gleichfalls die Nutzung solch ein Aufheben gemacht wird? ausgefallener Nahrungsquellen. Um Zugang zum Phänomen „Insek- Beispielsweise bedeutete die Ent- ten“ zu bekommen, wollen wir uns Die meisten Insekten sind klein und wicklung parasitischer Lebensweisen unscheinbar. Diese Gichtwespe einen Eindruck von den wesentlichen ein völlig neues „Tätigkeitsfeld“. So (Gasteruption spec.) pararasitiert Eigenschaften dieser sechsbeinigen hat die Evolution alleine unter den Maskenbienen. Kerbtier-Verwandtschaft verschaffen. über 570 in Deutschland nachge- Das Bauprinzip der Insekten ist wiesenen Wildbienenarten fast 140 Insektenzahlen offensichtlich ein Erfolgsmodell, hat Brutschmarotzer hervor gebracht. man doch bislang auf der Erde mehr Fliegen, Mücken, Bienen, Wespen, Die Zahl der in Deutschland nachge- als 1 Millionen verschiedene Arten, Hummeln, Ameisen, Heuschrecken, wiesenen Insektenarten liegt bei über deren Größe zwischen einem Mil- Schaben, Läuse, Flöhe, Wanzen, 30 000. Unter denen ist alleine der limeter und mehreren Zentimetern Käfer, Schmetterlinge, Motten, Ohr- Umfang einiger Insektenordnungen liegt, entdeckt und beschrieben. Die würmer, Libellen, das sind Namen, beeindruckend: wahre Zahl der Arten ist sicher um ein die fast jeder kennt, aber nur Wenige Vielfaches höher. Insekten machen unter uns haben klare Vorstellungen Fliegen und Mücken, sogenannte damit fast die Hälfte der Biomasse davon, was das für Tiere sind oder Zweiflügler oder Dipteren: über der gesamten Tierwelt aus. kann mit den Namen was anfangen. 9000 Arten, Das Flugvermögen der Kerbtiere Vielmehr verbindet fast jeder mit Schmetterlinge und Motten: ca. ermöglicht ihnen den schnellen Ort- Insekten nur die Vorstellung, dass 3600Arten, wechsel etwa zu neuen Nahrungs- das eher lästige oder gar schädliche Käfer: fast 6000 Arten, quellen sowie die zügige Ausbreitung Mitbewohner unseres Planeten sind, Hautflügler mit Bienen, Ameisen und und Neubesiedlung von Gebieten. auf die man gerne verzichten möchte, Wespen: um 9000 Arten. Dass die Mehrzahl der Arten wäh- halt Ungeziefer. Foto: Ralf Joest Zweimal dasselbe Tier: der C-Falter ist als Raupe ein ... als „fertiger“ Falter aber ein beliebter Frühlingsbote. hässliches Ekeltier,.... ABU info 41-42 (2019)
16 nicht genug Fachleute für Insekten, feld der Ballungsräume geschehen. Foto: Henning Vierhaus die sich in dieser Vielfalt auskennen Sehr nachteilig wirkt sich die Ratio- und auch die kleinsten Arten ihrer nalisierung und Intensivierung der jeweiligen Spezialgruppe bestimmen Bewirtschaftung von Äckern, Weiden können. So ist es verständlich, dass und Wiesen aus, was den verstärk- wir über die Verbreitung, Biologie ten Anbau von Energiepflanzen wie und ihre Rolle im Naturhaushalt Mais mit einschließt. Hierzu kommt der meisten Insekten herzlich we- der Einsatz hochwirksamer Pflan- nig wissen. Besonders das Leben zenschutzmittel wie die modernen der flügellosen Jugendstadien, den Neonikotinoide, um Schadinsekten Larven, Raupen und Maden, bleibt klein zu halten. Es lässt sich kaum ver- beim Großteil der Arten weiterhin ein meiden, dass diese Gifte auch Arten Rätsel. Da mag es dann beruhigen, töten, die nicht Ziel der jeweiligen wenn man erfährt, dass den bereits Maßnahmen sind. Auch der Einsatz erwähnten geschlechtsreifen, flugfä- von Herbiziden, die wahllos „Unk- higen Eintagsfliegen doch eine mo- räuter“ vernichten, beeinträchtigen nate- sogar jahrelange Entwicklung die Insektenwelt, wird dieser doch Der Trauermantel ist selten ihrer im Wasser lebenden Larven dadurch ihre Nahrungsgrundlage geworden. voraus gegangen ist. entzogen. Der hohe Eintrag von Stick- Immerhin erfreuen sich z. B. stoff in die Böden durch Düngung Das ist, besonders im Vergleich Heuschrecken und Großschmetter- aber auch aus anderen Quellen ist mit den rund 500 jemals in Deutsch- linge, Gruppen mit bescheidenem ebenfalls schädigend. Das geschieht land festgestellten Vogel- und nur Umfang, besonderen Interesses auch unter anderem dadurch, dass auf gut 100 Säugetierarten, unglaublich von Personen, die keine studierten nährstoffarme Böden angewiesene viel. Das Interesse an und damit Zoologen sind. Auch die attraktiven Pflanzenarten, die wiederum Nah- das Wissen über diese Tiergruppen Libellen gehören dazu, wobei viele rung für spezialisierte Insektenarten weichen jedoch sehr von diesen Menschen, völlig unbegründet, sind, von Allerweltspflanzen ver- Relationen ab. Das alte Standartwerk Vorbehalte gegen diese angeblich drängt werden. Offenbar bekommt der Tierkunde „Brehms Tierleben“ (4. stechenden „Teufelsnadeln“ haben. vielen Insekten auch ihre gewohnte Auflage 1913) spiegelt dieses Missver- pflanzliche Spezialnahrung nicht hältnis drastisch wider. Während nur mehr, wenn diese im Gefolge der einer von den 13 Bänden Insekten Gründe für die Abnahme Düngung einen höhern Anteil an einschließlich der Spinnenverwandt- Es gibt viele Gründe für die Abnah- Stickstoffverbindungen aufweist. schaft behandelt, beanspruchen me der Insekten. In erster Linie ist Und wenn Gülle aus von herkömm- Säugetiere und Vögel alleine acht es der weiter zunehmende Mangel lich gehaltenem Vieh in Natur- Bände. Dass das heute nicht viel an geeignetem Lebensraum, also schutzgebieten ausgebracht wird, anders aussieht zeigt die aktuelle das Verschwinden naturnaher und schadet nicht alleine die Düngung Rote Liste von Nordrhein-Westfalen. chemisch unbelasteter Landschaften. diesen Flächen, sondern Reste von Den 387 Wirbeltierarten sind 190 Der Verlust von extensiv genutzten Medikamenten, die den Rindern oder Seiten gewidmet, während die viele Obstwiesen und die Abnahme von Schweinen gegeben wurden, können Tausende heimischen Insektenarten Ruderalflächen sind Beispiele dafür, so in diese Bereiche gelangen und die nur 315 Seiten füllen. Es gibt längst Veränderungen die verstärkt im Um- dortige Organismenwelt beeinträch- Viele moderne Gärten bieten kaum Platz für Insekten - naturnahe Wildpflanzenbeete dagegen locken viele Insekten an. Fotos: Henning Vierhaus ABU info 41-42 (2019)
17 tigen. Die ungebremste Erweiterung Foto: Henning Vierhaus von Siedlungs- und Verkehrsflächen raubt vielen Insektenarten den Le- bensraum und die einem fragwür- digen Ordnungsideal verpflichtete Pflege der Grünflächen in Städten und Dörfern gestaltet sich üblicher- weise nicht insektenfreundlich. Auch die Autos im enorm zu- genommen Straßenverkehr haben sicherlich mit zu einer Minderung der Insektenmenge beigetragen. Ferner sind die Windräder zu nennen, deren Leistungsfähigkeit nach geraumer In den Gärten könnten viele Insekten leben: Zeit nachlässt, weil sich an den Diese Wollbiene ist auf den Gartenziest als Futterpflanze spezialisert. Kanten der Rotorblätter ein Film aus Foto: Ralf Joest ungezählten getöteten Insekten des „Luftplanktons“ gebildet hat. Und auf Pferdeweiden hängen merkwürdige glockenähnliche Gebilde, die den Rössern lästige Bremsen weg fangen sollen, aber auch sehr viele andere Insekten in diese tödlichen Fallen einsammeln. Schließlich lockt die allgegenwärtige nächtliche Lichter- flut Insekten an, die an den Lampen doch wohl eher umkommen als dass sie dort Nahrung finden. Die sich abzeichnende Klimaän- derung lässt sich als Erklärung für die Abnahme allerdings schwerlich bemühen, mögen es die wechsel- warmen Insekten doch lieber wär- Blühende Ackerränder sind Insektenlebensräume in der Agrarlandschaft. mer. Eher sorgen die zunehmend höheren Temperaturen dafür, dass gehören Heiden und Trockenrasen nen. Auch in jedem (Vor-) Garten etwa manche Wärme liebende sowie Sümpfe, Moore und intakte gibt es genügend Möglichkeiten um Heuschreckenart häufiger wird oder Ufervegetationen. der Natur freien Lauf zu lassen. Der bislang auf den Süden beschränkte Weiterhin muss die Menge der sterile, wenigstens einmal in der Insekten einwandern und einge- Pflanzenschutzmittel, in erster Li- Woche gemähte Rasen dagegen ist schleppte Exoten sich bei uns breit nie Insektizide, in der Landschaft kein Lebensraum für Insektenvielfalt. machen können. drastisch herunter gefahren werden, Da, wo ernsthaft begründet, doch was aber kaum ohne Änderungen in gegen bestimmte Insektenarten Was ist zu tun? den derzeit üblichen landwirtschaft- lokal vorgegangen werden muss, Auch wenn weitere Untersuchungen lichen Arbeitsweisen erreicht werden ist sicher zu stellen, dass solch ein zur Entwicklung von Insektenpopu- kann. Um Naturschutzgebiete sind gezielter, vorübergehender Einsatz lationen notwenig sind und dabei wirksame Pufferzonen auszuweisen, nicht andere Arten und angrenzende die Klärung der für die Abnahme damit wenigstens diese geschützten Gebiete schädigt. entscheidenden Ursachen Vorrang Flächen keine Einträge von schädi- Die Anlage von Streifen entlang hat, ist es noch viel dringender der genden Stoffen über die Luft oder von Feldern, die nicht gedüngt und Insektenwelt unmittelbar zu helfen das Wasser erleiden. Kleine und mit Pflanzenschutzmitteln behan- und den Rückgang aufzuhalten. Da- große ungenutzte Flächen bedürfen delt werden, bieten heimischen für sollte es selbstverständlich sein, nicht zwingend Pflege, sie müssen Blütenpflanzen, wie Feldrittersporn, dass die in der Landschaft verblie- verstärkt sich selbst überlassen wer- Erdrauch und anderen für Äcker ty- benen Reste von Sonderstandorten den, sodass hier ungestört naturnahe pischen Arten notwendige Wuchsbe- wirksam geschützt und möglichst Lebensgemeinschaften bestehen dingungen. Und von diesen Pflanzen wieder vergrößert werden. Dazu oder sich wieder entwickeln kön- profitiert wiederum eine Vielzahl von ABU info 41-42 (2019)
18 errechneten 500 Milliarden Dollar Foto: Henning Vierhaus pro Jahr machen mehr Eindruck als irgendeine verloren gegangene Zika- denart. Tatsächlich kann es aber beim notwendigen Schutz der Insekten nicht nur um Blütenbestäuber und erst recht nicht nur um Honigbienen und deren Nutzen für uns Menschen gehen. Nützlich - schädlich Damit sind wir wieder bei der Nütz- lich-Schädlich-Einteilung der Tier- und Pflanzenwelt. Auf die Insekten bezogen heißt das bis heute, es gibt einerseits schützenswerte oder Ein „schädlicher“ Käfer: Fraßgänge der Larven des Buchdruckers. Diese Art kann attraktive Arten und andererseits erhebliche Forstschäden verursachen. ärgerliches und unnützes Ungeziefer. Blüten besuchenden Insekten. Wenn kung der letzt genannten Maßnah- Auf der Grundlage dieser Bewertung auf diesen Flächen - und nicht nur auf men sind begrenzt und sie sollen erfolgten in der Vergangenheit Unter- diesen sondern wenigstens in Teilen meist vorrangig Blüten besuchende schutzstellungen von Artengruppen. eines Gartens – zusätzlich weitere und bestäubende Insekten fördern. So erklärt sich der schon lange beste- Blütenpflanzen ausgesät werden, Oft profitieren allerdings nur Honig- hende Naturschutz für Fleder- und sollte man auf exotische Arten ver- bienen davon und die vielen drin- Spitzmäuse aus deren Ernährungsge- zichten, denn mit denen können die gend schutzbedürftigen Wildbienen wohnheiten. Ihr ‚Täglich Brot’ sind heimischen Insekten auf Grund ihrer und weitere Insektenarten haben Insekten, und damit sind diese Tiere Spezialisierung oft nichts anfangen. gegenüber diesem sowieso ums- nützlich und schützenswert. Was- All diese Maßnahmen wären dann orgten ‚Haustier’ das Nachsehen. serspitzmäuse waren übrigens von ein wertvoller Beitrag zur Bewah- Gerade im vergangenen Sommer diesem Schutz ausgenommen, da rung der Tier- und Pflanzenwelt in 2018 war die erdrückende Domi- sie ja hin und wieder Fische fressen. Deutschland und entsprechen damit nanz der Honigbienen an blühenden Für die meisten Insekten fressenden bestens den Zielen der ‚Nationalen Gartenpflanzen besonders auffällig. Singvögel gilt ähnliches, allerdings Biodiversitätsstrategie’ (NBS). Soge- Diese dennoch sinnvollen Maß- sind diese außerdem nett anzusehen nannte Bienen- oder Insektenhotels nahmen gelten offensichtlich in und anzuhören – und damit irgend- sind gleichfalls Instrumente um die erster Linie den in unseren Augen wie zusätzlich nützlich. Solch eine Bestände vieler Wildbienenarten nützlichen Tieren. So wird dann vor- Unterscheidung in Gut und Böse zu sichern. Allerdings machen sie gerechnet, welchen ökonomischen aus der Sicht des Menschen, sollte nur Sinn, wenn es in deren Umfeld Wert Insekten als Bestäuber von beim wohl verstandenen, moder- ein hinreichendes Angebot an blü- Rapsblüten, Obstbäumen und wei- nen Naturschutz längst keine Rolle henden (Wild-) Pflanzen gibt. teren Nutzpflanzen haben. Zuge- mehr spielen, vielmehr geht es um Der Umfang und damit die Wir- geben, die laut einigen Quellen so die Schutzbedürftigkeit von Tieren oder Pflanzen. Foto: Henning Vierhaus Ein „nützlicher“ Genosse: Der Mistkäfer sorgt für den Abbau von Mist. Aber bleiben wir mal bei dieser üblichen Sichtweise. Sind Blau- und Kohlmeisen denn wirklich nützlich? Können Meisen erkennen ob sie gerade ein Schadinsekt fressen oder ob es vielleicht ein nützliche Art oder gar die Raupe eines schönen Schmetterlings ist, die sie verzehren wollen? Nach der allgemeinen Ein- schätzung, dass die überwiegende Mehrheit der Insekten eigentlich schädlich ist, kann eine Meise kei- nen Fehler machen. Und bei einer echten Insektenkalamität fressen ABU info 41-42 (2019)
19 sich die nützlichen Meisen dann an Foto: Henning Vierhaus den massiv auftretenden Raupen etwa des Eichenwicklers satt und bekämpfen damit ohne sich ihrer verantwortungsvollen Leistung be- wusst zu sein, diesen Schädling. Jedoch sind unter ihren Beutetieren viele dabei, die bereits mit den Ei- ern einer Schlupfwespe oder einer Raupenfliege parasitiert wurden, deren Larven dann die Raupe töten und damit weit erfolgreicher die Zahl der Eichenwickler dezimieren. Und nicht nur das, sie verhindern dadurch auch die wünschenswerte Vermehrung solcher Raupenpara- siten. Also behindern die Meisen Die Wespenbiene ist ein Brutparasit. ungewollt die natürliche, biologische Die Blüten bestäubenden Insekten als Parasiten oder Brutschmarotzer. und viel wirksamere Kontrolle von bilden nur eine wenn auch wichtige Diese Verhaltensweisen wurden in in unseren Augen unerwünschten Facette ihres Wirkens. Viel elemen- mehreren Insektenordnungen un- Insektenpopulationen. Auf diese tarer ist ihre Stellung im Stoffkreislauf abhängig voneinander entwickelt. vertrackte Beziehung und die damit der Organismen. Als sogenannte So gibt es innerhalb der Zweiflüg- verbundene nicht sachgerechte Ein- Konsumenten erster Ordnung sind ler, den Dipteren, blutsaugende schätzung vieler Singvögel als nütz- sehr viele Insektenarten Pflanzenfres- Stechmücken sowie Bremsen und die lich machte vor über hundert Jahren ser wie z. B. Heuschrecken, Blattläu- Larven der Dasselfliegen entwickeln bereits Alexander Bau aufmerksam, se oder Borkenkäferlarven. Letztere sich sogar in der Haut von Rindern. ein Ornithologe, der zugleich aber sind die gefürchteten „Buchdrucker“ Auch in der Wanzenverwandtschaft auch Entomologe war. Bei den Vo- und „Kupferstecher“, denen die finden sich einige Vertreter wie die gelliebhabern damals machte er sich bereits genannte „Taskforce Käfer“ Bettwanze, die auf Wirbeltierblut durch diese Überlegungen äußerst galt. Solche Insekten verbrauchen angewiesen sind. Zur Ordnung der unbeliebt. und vernichten damit das, was die Flöhe gehören dagegen ausschließ- Dieses Beispiel macht deutlich, Vegetation aus Wasser und Kohlendi- lich parasitisch lebende Formen. wie schwer oder wenig sachge- oxid und weiteren anorganischen Große Bedeutung haben Insekten- recht es ist, sich mit diesem ein- Verbindungen unter Einsatz der arten, welche wie Schmeißfliegen fachen Schwarz-Weiß-Denken Sonnenenergie aufgebaut hat. Man oder Totengräberkäfer und in den ‚Nützlich-Schädlich’ durch die könnte das ihren Beitrag dazu anse- Tropen die Ameisen, oft effektiver ökologische Zusammenhänge, hen, dass „die Bäume nicht in den als das Geier vermögen, Kadaver speziell im Bereich der Insekten, Himmel wachsen“. Entweder werden verdauen, zersetzen und damit deren zu hangeln. Und erst recht kann es diese Insekten selbst wieder schnell verwertbare Stoffe wieder über den nicht gut gehen, wenn man das In- über ihren Kot oder Verwesung ihrer Erdboden den Pflanzen zuführen. sektensterben nur auf der Grundlage toten Körper mineralisiert oder sie Hier sei auch an die „gemeinnützige“ dieser schlichten Sichtweise und dem werden zur Nahrung beispielswei- Reinigungstätigkeit etwa von Mistkä- mangelhaften Wissen über die Bio- se von Spinnen, Schwalben oder fern und Dung- sowie Goldfliegen logie und Ökologie dieser immens Fledermäusen. Räuberische Insek- erinnert, die sich über die Hinterlas- wirksamen Tiergruppe aufhalten will. tenarten gibt es ebenfalls in großer senschaften vieler Tiere hermachen. Zahl. Zum Beispiel werden Blattläuse Ein spektakuläres Beispiel für die Bedeutung der Insekten von den Larven der Schwebfliegen Bedeutung von Insekten in dieser Aufgrund ihres dominierenden oder von Marienkäfern gefressen, Sache war das „Kuhfladenproblem“ Anteils an der Tierwelt, der damit Hornissen und viele andere We- Australiens. So verschwanden immer verbundenen Allgegenwart und ihrer spenarten jagen Fliegen und der größere Teile von Weiden unter enormen Formenvielfalt mit Anpas- Bienenwolf, eine Grabwespenart, einem Teppich von vertrocknetem sungen an die verschiedenartigsten erbeutet bevorzugt Honigbienen. Dung der eingeführten Rinder, da Lebensbedingungen haben Insekten Selbst in manchen menschlichen dieser nicht von der dortigen Käfer- einen entscheidenden Einfluss auf Gesellschaften stehen Insekten und fauna verwertet werden konnte. Erst und eine elementare Bedeutung für deren Entwicklungsstadien auf der aus Afrika eingebrachte Dungkäfer das Leben auf der Erde. Speisekarte. Sehr viele Arten leben sorgten für eine Entspannung dieser ABU info 41-42 (2019)
20 miss(t)lichen Lage. Foto: Henning Vierhaus Es gibt auch freundliche Bezie- hungen, sogenannte Symbiosen, zwischen verschiedenen Insekten- arten. Das bekannteste Beispiel sind Ameisen, die Blattlauskolonien pflegen und beschützen, von denen sie im Gegenzug deren zuckerhal- tigen Ausscheidungen melken und verzehren. Waldameisen können durch Ansammlungen von zahlreichen Ameisenhaufen der miteinander vernetzten Einzelkolonien zu Land- schaftsgestaltern werden. Das Landschaftsbild zu prägen vermögen allerdings Termiten mit ihren Bauten in manchen heißen Regionen der Bestäuber: Die Blattschneiderbiene, eine solitäre Widlbiene beim Blütenbesuch. Erde weit besser. Termiten, Ameisen, Honigbienen sowie einige soziale Wespenarten zeichnen sich durch Bildung hochkomplexer Staaten aus, die man als Individuen einer höheren Ordnung betrachten kann. Bleibt schließlich noch ein weni- ger angenehmes Kapitel übrig, näm- lich dass besonders manche bluts- augenden Insekten hin und wieder Krankheiten übertragen. Beispiele hierfür sind die Stechmückenarten der Gattung Anopheles, die keines- wegs nur auf die Tropen beschränkt sind. Sie können bei ihrer Blutmahl- zeit die Erreger des Sumpffiebers, also der Malaria, weitergeben, und die afrikanischen Tsetsefliegen sind für die Verbreitung der Schlafkrankheit Totengräber: Der Aaskäfer Rothalsige Silphe frisst Kadaver kleiner Tiere. sowie der Naganaseuche der Rin- der verantwortlich. Weiterhin sind Kriebelmücken, deren Larven sich in schnell strömenden Bächen und Flüssen entwickeln, die Vektoren der sogenannten Flussblindheit. So schlimm diese lebensgefährlichen Erkrankungen tatsächlich sind, die Anwesenheit von Insekten, die diese Krankheitserreger übertragen können, war immerhin der Grund dafür, dass große Teile Afrikas und dadurch auch einige der heutigen großen Nationalparks im Osten des Kontinents der Tsetsefliegen wegen, oder Flussniederungen in Westafrika, Kriebelmücken-bedingt, lange Zeit mehr oder weniger unbesiedelt blie- ben. Auch die dauerhafte Eroberung Kompostierer: Der Stierkäfer zerstetzt den Dung von Schafen. - ABU info 41-42 (2019)
21 und Kolonisierung der Tropen durch Europäer erfolgte erst, nachdem die Entdeckung des fiebersenkenden Mittels Chinin ihnen das Leben in Ma- lariagebieten trotz der anwesenden Fiebermücken möglich machte. Verständlicherweise sind wir froh, wenn uns Insekten vom Halse geschafft werden, die wir als schäd- liches Ungeziefer oder Plagegeister betrachten. Allerdings dürfen wir uns nicht wundern, wenn radikale Erfolge gegenüber solchem Getier schließlich mit unangenehmen Überraschungen enden. Denn die Bekämpfung der jeweiligen „Schäd- linge“ geschieht meist auf der Grund- lage einer einseitigen Bewertung und Räuber: Hornissen erbeuten gerne andere Insekten, hier einen Schmetterling. ohne Berücksichtigung der Vernet- zungen der Arten im Ökosystem. Daher müssen wir bei dem Umgang mit der Insektenwelt weitsichtig handeln und Lebensgemeinschaften unbedingt einschließlich ihrer Insek- ten erhalten, und zwar nicht nur um mögliche nachteilige Folgen Mensch und Natur zu vermeiden. Vielmehr sind wir das den Insekten und all den anderen eher unscheinbaren Tieren grundsätzlich schuldig. Natur- und Artenschutz darf sich nicht vorrangig nur um die großen, auffälligen und interessanten Tiere kümmern. Hoffentlich hat der mediale Weckruf über den Rückgang der Insektenwelt genügend Wirkung, sodass die politisch Handelnden Regulierer: Eine der vielen Schlupfwespenarten, die Raupen parasitieren und ihre tätig werden und die Kraft aufbrin- Beutearten dadurch wirkungsvoll reduzieren. gen, notwendige, vielleicht auch unpopuläre Dinge wie Umsteuern des Konsumverhaltens und der Landwirtschaftspolitik in die Wege zu leiten. Literatur HALLMANN, C.A., et al. (2017): More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PloS ONE 12 (10): e0185809. JARVIS, B. (2018): The Insect Apocalypse Is Here. The New York Magazine, 27. Nov. 2018. BAU, A. (1905): Nutzen und Schaden durch die Vögel. In: FRIDERICH, C. G. (1905): Naturgeschichte der Deutschen Vögel, 5. Auflage bearb. von A. BAU, S 60-76. Sprösser & Nägele, Stuttgart. Beute: Eine Bachstelze bringt ein ganzes Bündel Insekten zum Nest. ABU info 41-42 (2019)
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