Müdigkeit - Fatigue - Burn-out bei HIV/Aids - Medizinische Informationen zu HIV und AIDS

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Müdigkeit - Fatigue - Burn-out bei HIV/Aids - Medizinische Informationen zu HIV und AIDS
Medizinische Informationen zu HIV und AIDS
Ausgabe 61                                                   Dezember 2006

Müdigkeit –
Fatigue – Burn-out
bei HIV/Aids

  Zu dieser Ausgabe
  Müdigkeit ist für viele HIV-Positive eine ständige Begleiterscheinung der
  Infektion. Dabei kann sie ganz unterschiedliche Ursachen und Ausprä-
  gungen haben. Oft bewirken die Medikamente eine Abgeschlagenheit,
  oft sind es aber auch psychische Faktoren, die zu einem Ermattungsge-
  fühl führen. Die Umstände und Belastungen der HIV-Infektion können
  auch ein Burn-out-Syndrom hervorrufen. Diese Broschüre gibt einen
  Überblick über die vielfaltigen Ursachen von Müdigkeit, deren Behand-
  lungsmöglichkeiten sowie Tipps zur Selbsthilfe.
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                                                                                               Einleitung
Müdigkeit beschreibt im allgemeinen einen Zu-       gen Erkrankungen vor. In der HIV-Sprechstunde
stand reduzierter oder fehlender Wachheit. Es       ist Müdigkeit ein Dauerbrenner: Viele Patienten
besteht der Drang, sich zurückzuziehen, abzu-       berichten über wiederkehrende Phasen starker
schalten, nicht zuzuhören, die Augen zu schlie-     Müdigkeit und Abgeschlagenheit. Natürlich kann
ßen. Jeder Mensch kennt diesen Zustand, hat ihn     die chronische HIV-Infektion selbst und die damit
wiederholt bei sich festgestellt. Und doch können   einhergehende Verschlechterung des Immunsys-
sich hinter dem Begriff „Müdigkeit“ sehr unter-     tems zu ständiger Müdigkeit führen. In bestimm-
schiedliche Ursachen, Störungen oder Krankhei-      ten Fällen war die Müdigkeit der Grund, sich ei-
ten verbergen..                                     nem HIV- Test zu unterziehen.

Grundsätzlich kennt jeder Mensch Müdigkeit als
Folge von Schlafdefizit oder übermäßiger Ar-        Für Menschen, die HIV-Medikamente einneh-
beitsanstrengung (sowohl bei körperlichen als       men, kann Müdigkeit ein Grund für mangelnde
auch bei geistig anstrengenden Arbeiten). Wer       Therapietreue sein. In einer Untersuchung gaben
war am Morgen nach einer durchzechten Nacht         mehr als ein Viertel der Befragten an, dass Mü-
mit entsprechendem Schlafdefizit nicht schon        digkeit nach Medikamenteneinnahme für sie mit
schlecht gelaunt, weil einen der gewohnte Alltag    ein Grund war, die Medikamente nicht oder nicht
wieder erwartete. Diese Form der Müdigkeit lässt    regelmäßig einzunehmen.
sich in der Regel eindeutig als akutes Symptom
einer fehlenden Ruhe- oder Schlafphase feststel-
len – und folglich beheben. Man spricht hier von
sogenannter nicht-organischer Müdigkeit.

Anders zu bewerten ist chronische oder ständig
wiederkehrende Müdigkeit. Hält dieser Zustand
über Wochen an, so führt er zu einer deutlichen
Einschränkung der Lebensqualität. Chronische
Müdigkeit und Abgeschlagenheit hat jedoch viele
verschiedene Ursachen und kommt in der Regel
bei chronischen bzw. bei behandlungsbedürfti-

Abbildung 1: Gründe für fehlerhafte Einnahmen der HIV-Medikamente (nach Munk 1998)
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Müdigkeit hat viele Ursachen
        In den seltensten Fällen hat Müdigkeit nur eine    Abbildung 2 stellt einige Einflussfaktoren und
        einzige Ursache. Oft entsteht sie durch das Zu-    mögliche Ursachen von Müdigkeit dar, die im fol-
        sammenspiel verschiedener Faktoren.                genden Text näher beschrieben werden.

        Abbildung 2: Ursachen von Müdigkeit im Kontext von HIV/Aids

Was bedeutet Fatigue?
        Der Begriff Fatigue (französisch: Müdigkeit, Er-   Davon abzugrenzen ist das „Chronischen Mü-
        schöpfung) wird in Deutschland im medizinischen    digkeitssyndrom“ oder auch „chronic fatigue
        Sprachgebrauch uneinheitlich verwandt. Im Allge-   syndrome“ (CFS). Dieses Syndrom umfasst in
        meinen hat sich das Fatigue-Syndrom als Bezeich-   seiner Definition neben Müdigkeit, körperlicher
        nung für chronische Müdigkeit bei Krebserkran-     Abgeschlagenheit oder schneller Ermüdung auch
        kungen durchgesetzt. Inzwischen wird mit Fatigue   körperliche Symptome wie Muskel-, Gelenk-,
        auch die Erschöpfungssymptomatik bei anderen       Hals- oder Kopfschmerzen. Darüber hinaus kön-
        schweren chronischen Erkrankungen bezeichnet:      nen auch Schlafstörungen und allgemeine psy-
        Herz- und Lungen-Erkrankungen, Rheuma, Mul-        chische Befindlichkeitsstörungen auftreten. Ge-
        tiple Sklerose, Morbus Crohn (chronisch-entzünd-   legentlich leiden Patienten unter Nachtschweiß,
        liche Darmerkrankung), und eben bei chronischer    Bauchschmerzen, schnellem Puls mit mehr als
        HIV-Erkrankung/Aids.                               100 Schlägen pro Minute, Hautausschlägen und
                                                           unklarem Gewichtsverlust.
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Das CFS ist dann anzunehmen, wenn die Ermü-          schulischer, beruflicher, sozialer und privater Ak-
dungserscheinungen eindeutig klinisch feststell-     tivität führen.
bar sind und sich auch nach längeren Ruhepausen
(zum Beispiel etwa 24 Stunden nach anstrengen-       Bei der HIV-Infektion ist das CFS allerdings aus-
der Arbeit) nicht bessern. Zudem ist von einem       zuschließen, da die HIV-Erkrankung einige der
CFS erst auszugehen, wenn mindestens vier            genannten Beschwerden auslösen kann. Diese
der aufgeführten Beschwerden anhaltend oder          erklären sich dann aber durch HIV und nicht
wiederkehrend über mindestens sechs Monate           durch CFS.
bestehen und zu einer wesentlichen Minderung

                                      Was versteht man unter
                                    chronischer Müdigkeit bei
                                   chronischen Erkrankungen?
Die HIV-Infektion selbst kann zu eingeschränktem     Müdigkeit ist zudem zu erwarten bei endokrinen
Leistungsvermögen und chronischer Müdigkeit          Störungen und Hormonstörungen, z.B. Krankhei-
führen. Die Müdigkeit ist vor allem dann auf die     ten der Schilddrüse oder der Nebenniere. Eine
bestehende HIV-Infektion zurückzuführen, wenn        Hausstauballergie kann ebenso zu Müdigkeit
seit längerem niedrige Helferzellen und eine hohe    führen wie die Unverträglichkeit von Histamin,
Viruslast im Blut vorliegen.                         das in einigen Lebensmitteln wie Wein oder Käse
                                                     vorkommt. Generell sollte bei chronischer Müdig-
Andere chronische Erkrankungen, besonders eine       keit an Allergien gedacht werden. Bei Menschen,
chronische Hepatitis B oder C, haben als zentra-     die im Schlaf schnarchen und morgens schon
les Kennzeichen chronische Müdigkeit und Abge-       müde aufwachen, kann ein Schlafapnoe-Syndrom
schlagenheit zur Folge. Ein schlecht eingestellter   (Atempausen während des Schlafes) die Ursache
Diabetes mellitus („Zuckerkrankheit“) kann eine      sein.
mögliche Ursache sein.

                 Was fehlt bei Mangelzuständen?
Auch Mangelzustände können der Grund für eine        Natrium) kann durchaus zu Schwächezuständen
andauernde Müdigkeit sein. So kann sich zum Bei-     führen. Daher sollte bei lang andauernden Durch-
spiel ein chronischer Eisenmangel (oft bei Frauen    fällen zumindest immer auf eine gute Flüssigkeits-
durch den Blutverlust der Menstruation) oder         aufnahme geachtet werden, um den Verlust von
aber ein Testosteronmangel dahinter verbergen.       Wasser und Salzen auszugleichen.
Ebenso kann eine Unterfunktion der Schilddrüse
zu Schwäche und Müdigkeit führen. Vitaminman-        Besteht seit längerem eine aus eigener Sicht nicht
gel ist hier in Deutschland ausgesprochen selten     erklärliche Müdigkeit, sollte immer der Arzt auf-
und nur bei längerer Fehl- oder Mangelernäh-         gesucht werden.
rung möglich. Auch ein Defizit an Salzen (Kalium,
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Welchen Einfluss haben Lebens-
gewohnheiten und Lebensstil?
        Rauchen und Alkoholkonsum können ebenfalls zu       Der Wert des eigenen Gamma-GT (Leberenzym)
        erhöhter Müdigkeit führen. Nikotin verengt die      kann Aufschluss über die Belastung der Leber
        Gefäße und reduziert dadurch die Durchblutung       geben.
        der Organe. Außerdem erhöht sich der Kohlen-
        monoxid-Gehalt des Blutes. Beide Faktoren redu-     Bewegungsmangel und fehlende sportliche Be-
        zieren das Sauerstoffangebot und sind damit Ur-     tätigung können ebenfalls zu chronischer Abge-
        sachen für chronische Müdigkeit. Starke Raucher     schlagenheit führen. Während der sportiv Tätige
        tendieren deshalb oft zu chronischer Müdigkeit.     nach seiner Leistungseinheit angenehm (!) ermat-
                                                            tet in den Sessel sinkt, haftet bei chronischem Be-
        Der regelmäßige Konsum von Alkohol kann eben-       wegungsmangel der Müdigkeit etwas „Klebriges,
        falls für Müdigkeit verantwortlich sein, indem er   Bleiernes“ an.
        direkt das Leistungsvermögen einschränkt. Au-
        ßerdem führen alle chronischen Belastungen der      Auch Arbeiten in überheizten Räumen und stun-
        Leber zu Müdigkeit, also auch regelmäßiger Al-      denlanges Arbeiten am Computer führen zu deut-
        koholkonsum                                         licher Abnahme der Konzentration, Erschöpfung
                                                            und Müdigkeit.
        Wer regelmäßig Schlafmittel zu sich nimmt, sollte
        mit seinem Arzt über eine mögliche Überdosie-       In diesem Zusammenhang ist es erforderlich, ein-
        rung sprechen, wenn er morgens schwer aus dem       mal den eigenen Tagesablauf zu analysieren. Be-
        Bett kommt und tagsüber weniger leistungsfähig      stehen genügend Pausen (auch 5-Minuten-Pau-
        ist. Es kann sich dabei um das Phänomen eines       sen können sehr erholsam sein!), in denen man
        „hangover“ handeln, also eines verzögerten Ab-      abschalten kann? Stehe ich unter permanentem
        baus von Schlafmitteln.                             Zeitdruck? Habe ich zu lange Arbeitseinheiten ge-
                                                            wählt? Habe ich monotone Arbeitsschritte?
        Drogen aller Art können entweder direkt oder
        indirekt zu Müdigkeit führen. Gerade in der „Ab-    Um etwas verändern zu können, müssen auch
        klingphase“ von stimulierenden (Party)-Drogen       Stressfaktoren im Privat- wie Berufsleben erkannt
        holt sich der Körper das zurück, was er schmerz-    werden . (nähere Infos hierzu in: MED-INFO-Bro-
        lich vermissen musste: den Schlaf.                  schüre „Stress, Stressbewältigung und HIV“)

Welchen Einfluss haben
Depressionen?
        Chronische Müdigkeit kann ein Zeichen depres-       schwerden, Traurigkeitsgefühle, Zukunftsängste,
        siver Verstimmung oder Entwicklung sein. Häufig     Schlafstörungen, aber auch innerer Unruhe.
        geht Müdigkeit einher mit anderen Symptomen:
        generelles Desinteresse, fehlende Freude, Ap-       (nähere Infos hierzu in: MED-INFO-Broschüre
        petitlosigkeit, Gewichtsverlust, Oberbauchbe-       „Depressionen“).
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                                                     Welchen Einfluss haben
                                                            Medikamente?
Abgeschlagenheit und Müdigkeit gehören zu den        die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit
häufigsten Nebenwirkungen der HIV-Therapie.          Einfluss haben kann. Umgekehrt berichten Men-
Grundsätzlich kann jede Kombination – zumin-         schen mit HIV/Aids immer wieder, dass in den
dest phasenweise – Müdigkeit hervorrufen. Bei        ersten vier bis acht Wochen nach Beginn einer
Retrovir kommt es zu Beginn der Therapie häufig      HIV-Therapie sie sich deutlich wacher und leis-
zu Müdigkeit, aber auch im weiteren Therapiever-     tungsfähiger fühlen. Hier war die körperliche Ab-
lauf kann gerade diese Substanz dadurch unange-      geschlagenheit und Müdigkeit durch HIV bedingt
nehm auffallen. Gelegentlich berichten Patienten     und dann erfolgreich behandelt worden.
beim Wechsel von Retrovir zu einem anderen Me-
dikament aus der Klasse der NRTI, dass sie sich      Müdigkeit und Abgeschlagenheit gehören gene-
wesentlich wacher fühlen. Unter Zerit und/oder       rell zu den am häufigsten beschriebenen Neben-
Videx kommt es gelegentlich zu einer Übersäue-       wirkungen unter Einnahme von Medikamenten,
rung des Blutes durch Milchsäure (Laktatazidose).    besonders bei Mitteln gegen erhöhten Blutdruck
Neben Muskelschmerzen und Muskelschwäche,            (v.a. Betablocker), Antidepressiva, Medikamenten
Brechreiz und Erbrechen ist hier vor allem mit Mü-   zur Behandlung von Psychosen und Angstzustän-
digkeit zu rechnen. Auch bei den Medikamenten        den (Neuroleptika) (auch Gabapentin).
Viramune und Sustiva wird häufig über Müdigkeit
berichtet.                                           Eine besondere Situation liegt vor, wenn neben
                                                     einer HIV-Therapie noch andere Medikamente
Jedes HIV-Medikament kann individuell zu Mü-         eingenommen werden müssen, die ebenfalls Mü-
digkeit führen. Zudem muss grundsätzlich davon       digkeit hervorrufen. In diesem Fall können sich
ausgegangen werden, dass die kontinuierliche         die Effekte gegenseitig verstärken.
Einnahme einer HIV- Kombinationstherapie auf

      Was kann ich gegen Müdigkeit tun?
Grundsätzlich gilt es bei rascher Ermüdbarkeit,      • höhere Umgebungstemperaturen als 20 Grad
wiederkehrender oder chronischer Müdigkeit,            Celsius vermeiden
den Arzt aufzusuchen und den Grund dafür he-         • zwischendurch bewusst an der frischen Luft
rauszufinden.                                          bewegen (Spazieren, Wandern, Gymnastik,
                                                       leichte Gartenarbeit)
Die sogenannte nicht-organische Müdigkeit ist        • beim Duschen am Schluss kalten Guss, gege-
ein Symptom, das auf ein Defizit von Schlaf bzw.       benenfalls Wechselduschen (heiß/kühl)
Ruhepausen hinweist. Hier ist eine kritische Be-     • auf gleichbleibende Tagesrhythmik achten!
standsaufnahme des eigenen Lebensrhythmus            • immer auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr
und Tagesablaufs nötig.                                achten
                                                     • auf üppige Mahlzeiten verzichten
Prinzipiell haben sich folgende einfache Maßnah-     • Beruhigungsmittel und Alkohol vermeiden
men als hilfreich bewährt:                           • den Konsum von kurzfristigen Muntermachern
                                                       (Kaffee, Tee, Schokolade) einschränken
• sich ausreichend Schlaf genehmigen (individu-      • bewusst kurze Pausen in einem längeren Ar-
  ell ca. 6 – 8 Stunden)                               beitsprozess einlegen, z.B. fünf Minuten pro
• gegebenenfalls. ein „Mittagsschläfchen“              Stunde bei Computerarbeit
  (20 – 40 Minuten)                                  • Entspannungsverfahren, z.B. Autogenes Trai-
• nicht zu lange schlafen                              ning, Meditation
• Wohnräume und Arbeitsräume regelmäßig
  lüften
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Welche Auswirkungen haben HIV/
Aids auf die psychische Situation?
        Die Auseinandersetzung mit der eigenen HIV-In-       Wer arbeitslos ist, findet sich oft zwischen den
        fektion bzw. -Erkrankung fordert vom Betroffenen     Mühlen der Behörden und Ämter wieder. Bei
        einiges. Immerhin handelt es sich um eine chro-      anerkannter Schwerbehinderung infolge einer
        nische und bisher nicht heilbare Erkrankung. Die     HIV-Erkrankung ergeben sich eingeschränk-
        Behandlungsmöglichkeiten sind heute sehr gut,        te Möglichkeiten bei der Stellenvermittlung.
        wenngleich dafür regelmäßig täglich und nach         Umschulungsbestrebungen des Einzelnen wer-
        heutigem Wissenstand lebenslang Medikamente          den dann nicht mehr gebührend unterstützt.
        eingenommen werden müssen. In der Regel be-          Andererseits ist heute ein erheblich höherer
        steht die Therapie aus mehreren Medikamenten         Erklärungsaufwand nötig, damit der Rentenver-
        (Kombinationstherapie). Im einzelnen können          sicherungsträger eine vollständige Erwerbsun-
        die Anzahl der Tabletten/Kapseln, die Häufigkeit     fähigkeit anerkennt. In besonders gravierenden
        der Einnahme, aber auch die Nebenwirkungen           Fällen langjähriger Arbeitslosigkeit bei jungen
        der HIV-Medikamente, die Wechselwirkungen            Menschen mit HIV/Aids fühlen sich Betroffene
        untereinander wie auch mit anderen Substanzen        zwischen Agentur für Arbeit, Sozialamt und Ren-
        Herausforderungen darstellen. Die Tatsache,          tenversicherungsträger „hin- und hergeschoben“,
        lebenslang Medikamente nehmen zu müssen,             wobei der Medizinische Dienst der jeweiligen In-
        kann ermüdend sein. Außerdem können Ängste           stitution durchaus zu kontroversen Auffassungen
        auftreten bezüglich möglicher therapiebedingter      und Einschätzungen kommen kann. Dies ließ in
        Nebenwirkungen oder Entstellungen (Lipodystro-       der Sprechstunde einen „Amts-geschädigten“
        phie).                                               Patienten formulieren: „Ich bin es so müde und
                                                             so leid, von Hinz zu Kunz geschickt zu werden,
        Der Beginn der HIV-Therapie bedeutet, dass das       mich ständig erklären zu müssen.“ Einerseits wird
        Immunsystem Unterstützung braucht. Dies allein       HIV/Aids in der Medizin und der Sozialbürokratie
        führt bei manchen dazu, sich noch kränker zu füh-    als behandelbare Erkrankung „normalisiert“. An-
        len. Ängste wie nach dem positiven Testergebnis      dererseits gilt die Infektion bei Versicherungen oft
        kommen wieder auf.                                   als Ausschlusskriterium (zum Beispiel bei Lebens-
                                                             oder Berufsunfähigkeitsversicherungen). Diese
        Gerade bei HIV/Aids erleben viele eine frühe         Diskrepanzen zwischen so genannter „Normali-
        Konfrontation mit der Endlichkeit des Lebens.        tät“ und „Sonderstatus“ empfinden viele Positive
        Dies kann zu Blockaden führen, sein Leben zu         als anstrengend und zermürbend.
        planen und die eigenen bisherigen Ziele weiter
        zu verfolgen. Ängste vor dem Verlust der Selbst-     HIV-positive Frauen werden bei der Bewältigung
        ständigkeit oder vor Stigmatisierung und Isolie-     ihrer HIV-Infektion oft mit anderen Bedingungen
        rung können das Denken und Handeln negativ           und Problemen konfrontiert als schwule Männer.
        bestimmen.                                           Zum einen gibt es nicht die ausgeprägten Netz-
                                                             werke, auf die schwule Männer zurückgreifen
        Die Situation von HIV-Positiven hat sich besonders   können. Zum anderen wird (auch heute noch)
        medizinisch gesehen in den letzten Jahren erheb-     eine positive Frau von ihrem sozialen Umfeld an-
        lich verbessert. Dennoch haben viele Positive bei    ders wahrgenommen als ein positiver (schwuler)
        den Themen Partnerschaft und Sexualität auch         Mann. Mehrfachbelastungen durch die Versor-
        heute noch große Schwierigkeiten. Aus Angst vor      gung der Familie (oft ohne Partner), Geheimhal-
        Ablehnung verheimlichen daher viele ihren positi-    ten der Infektion (wenn Kinder vorhanden sind,
        ven HIV-Status oder sind bemüht, ausschliesslich     auch um diese zu schützen) und wenige bis keine
        ebenfalls positive (Sex-) Partner zu finden. Beide   Austauschmöglichkeiten kennzeichnen häufig die
        Strategien können aber auch zu einer außerge-        Situation von positiven Frauen. Diese Faktoren
        wöhnlichen Belastung und Einengung führen.           führen oft zu Rückzug vom sozialen Umfeld, Isola-
                                                             tion und hoher psychischer Belastung.
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Gibt es ein HIV-bedingtes Burn-out?
Als Burn-out (aus dem englischen: ausgebrannt        Veränderungen bekommen. Begleitend kann der
sein) bezeichnet man einen tiefgreifenden Er-        Einsatz eines Antidepressivums förderlich sein.
schöpfungszustand als Folge hoher und/oder lang
dauernder psychischer Überbeanspruchung. Dies        Gesundheitstraining
ist verbunden mit der Unfähigkeit, Reize und Ein-
flüsse aus der Umgebung angemessen verarbei-         Ein sinnvoller Ansatz kann darin bestehen, ein so-
ten zu können. Anders ausgedrückt: Ein über Wo-      genanntes Gesundheitstraining zu besuchen. Im
chen oder Monate anhaltender Druck und Stress        Kreis von anderen HIV-positiven Menschen lassen
führt zu einer Erschöpfung, und der Betroffene       sich gut eigene Erfahrungen und Probleme be-
findet selbst keine Lösung zur Wiederherstellung     sprechen. Es geht darum, eine individuell ange-
eines inneren seelischen Gleichgewichts oder ei-     messene Einstellung zur eigenen Erkrankung und
nes Zustands relativer Zufriedenheit. Es kommt zu    zum geeigneten Umgang mit ihr zu entwickeln.
einem Gefühl von Hilf- und Perspektivlosigkeit.      Ein Gesundheitstraining kann das Selbstmanage-
                                                     ment fördern und helfen, eigene Kompetenzen
Für den Arzt ist es oft Schwierig zu entscheiden,    hierfür zu entwickeln bzw. zu aktivieren. Hilfreich
ob es sich um einen Burn-out oder eine Depressi-     ist es, die Selbstwahrnehmung zu sensibilisieren
on handelt. Etwa in der Hälfte der Fälle kann bei    und Hilfen zur Bewältigung des Alltagslebens zu
Burn-out eine begleitende depressive Verstim-        bekommen.
mung eindeutig festgestellt werden.
                                                     Siehe auch:
Burn-out ist gekennzeichnet durch sowohl psy-        www.gesundheitstraining.de
chische als auch körperliche Symptome, es hat
also Einfluss auf Gedanken, Gefühle , körperliche
Funktionen und das Verhalten. Zu den häufigsten
Zeichen gehören:
• Erschöpfungsgefühl, Müdigkeit, Antriebsarmut
• nachlassende Belastbarkeit, schnelle Ermüd-
   barkeit
• Gefühl der emotionalen Leere und Starrheit
• fehlendes Einfühlungsvermögen für die Be-
   dürfnisse Anderer
• starke Frustration/Gereiztheit
• herabgesetzte Konzentration, Kurzzeitge-
   dächtnis
• Angstgefühle
• vermindertes Interesse an Sex
• Schlafstörungen
• Nervosität und Anspannung
• diffuse Schmerzen und Muskelverspannungen,
   auch Kopfschmerzen

Hier ist es angezeigt, sich fachliche Hilfe zu ho-
len. Als besonders erfolgversprechend haben sich
verhaltenstherapeutische und psychodynamische
Therapieverfahren erwiesen. Empfehlenswert sind
Gruppentherapien, bei der der Einzelne emotio-
nale Unterstützung durch die Gruppe erfährt. Die
Situation wird von den anderen verstanden und
man kann möglicherweise wertvolle Tipps für
9

Was kann jeder für sich selbst tun?
        Es haben sich einige Tipps als hilfreich und unter-   Vergiss nicht:
        stützend erwiesen, die jeder eigentlich kennt:
        • Tagebuch führen, um die Selbstwahrnehmung           • Du bist zuerst einmal für Dich zuständig und
          zu verbessern                                         Dir gegenüber verantwortlich!
        • mittel- und langfristige Ziele formulieren
        • bewusst positive Erlebnisse und Aktivitäten in      • Nimm Dich ernst in Deinen Bedürfnissen,
          den Alltag einbauen, sich regelmäßig beloh-           grenze Dich gegenüber dem ab, von dem
          nen                                                   Du merkst, dass es Dir nicht gut tut!
        • neue soziale Kontakte aufbauen (Verein, Eh-
          renamt)                                             • Lass Dein Bedürfnis nicht zu Deiner
        • ein Hobby suchen oder reaktivieren                    Bedürftigkeit werden!
        • Entspannungsverfahren lernen (Yoga, Auto-
          genes Training, Meditation, Atemtherapie,           Und ganz wichtig:
          Progressive Muskelrelaxation)                       • Entschleunige Dein Leben!
        • auf eine gute Ernährung achten
        • auf ein gutes Verhältnis von Schlaf/Ruhepau-
          sen und andererseits Aktivitäten/sportlicher
          Betätigung achten

           „Es ist nicht nur die Frage, wie alt wir werden, sondern wie
           wir alt werden!“
           (Prof. Ursula Lehr, ehemalige Bundesgesundheitsministerin)
10

     Notizen
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Notizen
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IMPRESSUM                                                  Bestellnummer dieser Ausgabe: 140061

MED-INFO, Medizinische Informationenzu HIV und AIDS
                                                           Folgende Ausgaben der MED-INFO-Reihe sind aktuell:
herausgegeben von der                                      Nr. 32: PCP
AIDS-Hilfe Köln e.V.                                       Nr. 33: Toxoplasmose
Beethovenstraße 1
Tel.: 0221 / 20 20 30                                      Nr. 34: Kaposi-Sarkom
                                                           Nr. 35: Zytomegalie (CMV)
in Zusammenarbeit mit der
Deutschen AIDS-Hilfe Berlin e.V.                           Nr. 36: Therapiepausen
                                                           Nr. 37: Lymphome (Bestellnummer: 140001)
Text:
                                                           Nr. 38: Sexuelle Störungen (Bestellnummer: 140002)
Dr. med. Christoph Mayr
MVZ Ärzteforum Seestrasse Berlin                           Nr. 39: Resistenzen (Bestellnummer: 140003)
                                                           Nr. 40: Magen-Darm-Beschwerden
Grafik:
                                                                   (Bestellnummer: 140004) Neuauflage 2004!
CHECK UP, Köln
                                                           Nr. 41: Haut und HIV (Bestellnummer: 140005)
                                                           Nr. 42: Feigwarzen, HPV und AIDS
REDAKTIONSGRUPPE                                                   (Bestellnummer: 140007)
                                                           Nr. 43: HIV-Therapie (Bestellnummer: 140010)
Leitung:                                                   Nr. 44: HIV und Hepatitis B (Bestellnummer: 140009)
Carlos Stemmerich
                                                           Nr. 45: Fettstoffwechselstörungen
Ehrenamtliche Mitarbeit:                                           (Bestellnummer: 140011)
Andrea Czekanski                                           Nr. 46: HIV und Depressionen (Bestellnummer: 140012)
Daniela Kleiner
Rebecca Poage                                              Nr. 47: Neurologische Erkrankungen
Christine Schilha                                                  (Bestellnummer: 140013)
                                                           Nr. 48: Lipodystrophie (Bestellnummer: 140014)
V.i.S.d.P.:
Carlos Stemmerich                                          Nr. 49: Medikamentenstudien (Bestellnummer: 140015)
                                                           Nr. 50: Laborwerte (Bestellnummer: 140016)
                                                           Nr. 51: HIV und Hepatitis C (Bestellnummer: 140017)
Gesamtherstellung:                                         Nr. 52: HIV und Niere (Bestellnummer: 140018)
Prima Print, Köln
                                                           Nr. 53: Compliance – Umgang mit der HIV-Therapie
Auflage:                                                           (Bestellnummer: 140019)
4000                                                       Nr. 54: HIV und Reisen (Bestellnummer 140020)
                                                           Nr. 55: HIV und Immunsystem (Bestellnummer 140055)
                                                           Nr. 56: Wechselwirkungen der HIV-Therapie mit freiver-
Hinweis:                                                           käuflichen Medikamenten (Bestellnummer 140056)
Das MED-INFO                                               Nr. 57: HIV und Kopfschmerz (Bestellnummer 140057)
ist bei der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. zu bestellen         Nr. 58: Stress und Stressbewältigung bei HIV
Tel: 030 / 69 00 87-0                                              (Bestellnummer 140058)
Fax: 030 / 69 00 87-42
www.Aidshilfe.de                                           Nr. 59: Mund, Rachen, Zähne und HIV
                                                                   (Bestellnummer 140059)
                                                           Nr. 60: Therapiepausen (Bestellnummer 140060)
                                                           Nr. 61: Müdigkeit, Fatigue, Burnout bei HIV/Aids
Das MED-INFO dient der persönlichen Information
                                                                   (Bestellnummer 140061)
und ersetzt nicht das Gespräch mit einem Arzt des
Vertrauens. Geschützte Warennamen, Warenzeichen sind
aus Gründen der besseren Lesbarkeit nicht besonders
kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen            Alle MED-INFO-Broschüren sind auf der
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