WAS LEBT DENN DA? - Bund für Umwelt und Naturschutz ...
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WAS LEBT DENN DA? Mal ehrlich: Wissen Sie, welches der häufigste heimische Vogel ist? Nicht mal jede*r zehnte Deutsche dürfte ihn erkennen. Es ist der Buchfink. Nun ist Ihnen – als BUND-Mitglied – wohl diese Weisheit vertraut: Nur was man kennt, kann man schützen. Das lässt sich weiterführen: Nur was man kennt, nimmt man zumeist überhaupt wahr. Erst mit etwas Artenkenntnis entpuppen sich die Meisen im Garten als Kohl- und Blau-, Hauben- oder Weidenmeise. Nur wer ein wenig geübt hat, filtert aus dem vielstimmigen Konzert der Vögel mehr als den Kuckuck heraus. Nur wer botanisch belesen ist, bemerkt, wo rare Pflanzen besonderen Schutz verdienen. An Flechten, Pilze oder den Mikrokosmos der Insekten gar nicht zu denken ... Um die Fülle unserer biologischen Vielfalt zu schützen, brauchen wir Leute, die sich auskennen: Naturkundige, die registrieren, wenn die Vielfalt bedroht ist. Und die uns sagen, was wir unternehmen können. Um sie geht es auf den nächsten Seiten.
16 BUNDmagazin 3 | 19 › TITELTHEMA NATURSCHUTZ RETTET DIE ARTENKENNER! KAI FROBEL W ie geht es dem Kiebitz im Land- kreis? Hat der Laubfrosch die neu angelegten Tümpel besiedelt? Wird die Doch wie sollen wir wissen, wie es un- serer natürlichen Umwelt geht, wenn nie- mand mehr erkennt, was da kreucht und lehrt Biogeographie an der Uni Bayreuth und ist Sprecher Speerazurjungfer wegen der Klimakrise fleucht, und Alarm schlägt, wenn Arten ver- des BUND-Arbeitskreises seltener? Typische Fragen im Naturschutz schwinden oder keinen Nachwuchs mehr Naturschutz. vor Ort. Wer sie beantworten will, braucht haben? Ohne ehren- und hauptamtliche Daten: Wo kommen welche Arten warum Artenkenner ist Naturschutz schlicht un- Nicht nur viele Tier- bei uns vor? Halten sie sich, nehmen sie zu möglich. Ihr Wissen und ihre langjährige oder ab? Ohne dieses Wissen bleibt unser Erfahrung bilden dafür erst die Grundlage. und Pflanzenarten BUND-Engagement orientierungslos. werden immer seltener. Hier sind wir auf Artenkundige angewie- BLEIBENDE LÜCKE sen: Menschen, die sich privat, ehrenamt- Artenkenntnis – ein Leben lang erweitert Gleiches gilt auch für lich oder beruflich mit bestimmten Tier- – ist eine oft unterschätzte Qualifikation. die Menschen, die sie und Pflanzengruppen befassen, diese be- Wir brauchen Menschen, die Tiere und stimmen und draußen in der Landschaft Pflanzen erkennen und beobachten und erkennen können: kartieren. Was sie beobachten, zeigt die aus eigener Anschauung die biologische Ihre Zahl schwindet. Verbreitung und – oft dramatische – Ent- Vielfalt »messen« können. Sie wirken wie wicklung bestimmter Arten. So waren es ein Frühwarnsystem. Nehmen sie doch Für den N aturschutz ist Krefelder Ehrenamtliche, die den langfristi- Veränderungen im Gelände oft viel eher das ein großes Problem. gen Niedergang der Insekten nachwiesen. wahr als die, die im Labor sitzen. Melanka Helms/GEO Käferexperte bei einem Tag der Arten- vielfalt, veranstaltet von GEO und BUND.
BUNDmagazin 3 | 19 › TITELTHEMA 17 Seit etlichen Jahren beschäftigt sich der BUND mit einer Entwicklung, die wir 2016 mit einer Studie erstmals belegen konnten: der Erosion der Artenkenner. In den letzten 20 Jahren ging ihre Zahl bun- Thomas Stephan desweit um 21 Prozent zurück. Viele von ihnen sind schon über 60. Und es mangelt an qualifiziertem Nachwuchs. So ist ab- sehbar: Viele Expert*innen werden uns in zehn, zwanzig Jahren verloren gehen. Und Lernen im Gelände: Jugendliche mit K eschern bei Wertvolles Wissen: Botanisch versierter einer BUND-Exkursion. Ehrenamtlicher des BUND. werden Lücken hinterlassen, weil Schulen und Universitäten kaum Nachwuchs lie- fern. Da fehlt eine ganze Generation von KAUM ANGEBOTE Profundes Artenwissen entsteht nicht Menschen mit Artenkenntnis. Hier müssen Ein Großteil der Artenkundigen erfuhr die von heute auf morgen. Der Nachwuchs wir schleunigst gegensteuern. Natur als Kind in der nächsten Umgebung: muss langfristig und gesamtgesellschaft- in heckenreicher Kulturlandschaft, viel- lich gefördert werden. Gefragt sind Um- VIELE URSACHEN fältigen Wäldern, geheimnisvollen Auen. weltbehörden, Naturschutzzentren, Schu- Es ist kurios: Die Unterstützung für den Dort erlebten sie Tiere und Pflanzen, ihre len, Universitäten – und wir alle. Schutz der Biodiversität steigt sprunghaft Schönheit und Faszination. Heute wach- Viele der heutigen Artenkenner sagen, – siehe das erfolgreiche Volksbegehren sen Kinder oft inmitten von Fichtenforsten, ihre Eltern hätten den Grundstein für ihre »Artenvielfalt in Bayern«. Gleichzeitig aber Maisäckern und Güllewiesen auf. Was gibt Naturbegeisterung gelegt. Dabei kam es schwindet die Artenkenntnis. Ohne genug es da noch zu entdecken? nicht darauf an, ob die Eltern Spezialisten Expertise droht uns ein regelrechter Blind- Daran ändert auch die Schule wenig. waren. Wichtiger war, dass sie Neugierde flug durch diese Zukunftsfrage. Wem selbst jede Artenkenntnis fehlt, und Interesse für die Natur weckten. Der eklatante Mangel ist ein weltweiter. kann sie auch nicht vermitteln. Und ver- So warnt US-Ökologe E. O. Wilson vor ei- meidet wohl eher, gemeinsam ins Grüne FÜR DIE ZUKUNFT nem »schwarzen Loch der Unwissenheit«. zu gehen, aus Angst vor peinlichen Fragen. Nötig sind auch Lehrer*innen, die draußen Er fordert angesichts des Artensterbens Die Universitäten wiederum versagen, da zumindest einen Teil der Artenfülle ver- mehr Wertschätzung für Feldbiologen – die Drittmittel der Industrie oder des Staates mitteln können. Ihre Ausbildung braucht einst an der Spitze ihrer Disziplin standen. andere Prioritäten setzen. So wurden Be- in der Didaktik der Biologie also andere Die Gründe für den Negativtrend sind stimmungskurse und freilandorientierte Schwerpunkte. Und die Universitäten vielfältig: Kinder erleben heute zu wenig Lehrstühle massiv gestrichen, die Stellen müssen wieder Leute mit Artenkenntnis Natur in ihrem Umfeld. Lange hat man die von Artenkennern nicht neu besetzt. Im ausbilden, das ist schlicht ihre gesell- Artenkenntnis gesellschaftlich kaum wert- Studium ist das Interesse an Arten und schaftliche Aufgabe. geschätzt. Viele Lehrer*innen sind zudem Geländekartierungen unverändert groß. Im BUND sollten wir unser reiches An- selbst ohne Artenkenntnis. Kein Wunder: Nur fehlen oft Angebote und die Wert- gebot an Naturerfahrung für Kinder erwei- An den Universitäten wurde die freiland- schätzung für entsprechende Abschluss- tern – um zusätzliche Möglichkeiten für biologische Ausbildung stark dezimiert, arbeiten. Deshalb suchen Planungsbüros angehende Artenkenner. Bewährt haben verdrängt von hoch geförderten Disziplinen und Behörden heute händeringend Nach- sich Artenkundige, die in kleinen Gruppen wie der Gentechnik. wuchs mit guter Artenkenntnis. im Gelände ihr Wissen an Interessierte weitergeben. Gerade Berufsanfänger so- WER IST GEFRAGT? wie Frauen mittleren Alters nehmen diese WAS LEBT Die BUND-Studie war ein Weckruf. So Angebote gerne an. Eine gute Ergänzung nahm das Bundesumweltministerium un- zur manchmal sperrigen Bestimmungs- DENN DA? ser Anliegen in die »Naturschutzoffensive literatur sind auch digitale, bildbasierte 2020« auf. Der Deutsche Naturschutztag Wege der Arterkennung über Apps. entwickelte ein eigenes Forum für Ju- Welche Konzepte versprechen heute gendliche mit diesem Schwerpunkt. Und besonderen Erfolg, um die Artenkenntnis neue Initiativen entstanden, um die zu fördern? Um das herauszufinden, for- Artenkenntnis zu fördern. Viele kleine dert der BUND Modellprojekte staatlich zu Anstöße vereinen sich gerade zu einer unterstützen. Damit die Vielfalt der Arten schwungvollen Bewegung. (-kenner) eine Zukunft hat!
18 BUNDmagazin 3 | 19 › TITELTHEMA BUND AKTIV VIELFÄLTIGE ANGEBOTE Die Umweltbildung gehört zu den wichtigsten Säulen des BUND-Engagements. Getragen Bernd Quellmalz von vielen ehren- und hauptamtlich Aktiven, dient sie zumeist auch (und teilweise ganz gezielt) dazu, Artenkenntnis zu vermitteln. »Aktion Wasser«: Bestimmung von Wasserorganismen an der Umweltstation Iffens/Niedersachsen. K lar: Bei jeder kleinen BUND-Tour ins Grüne fallen ein paar Tier- und Pflanzennamen. Und jede Broschüre über ein Schutzgebiet führt exemplarisch einige seiner Bewohner mit auf. noch mehr Streuobst-Pädagogen: Über 70 können ihr Wissen zu diesem artenreichen Lebensraum bereits landesweit teilen. Last, but not least hat der BUND überall dort, wo Wildkatzen So fördert unser öffentlicher Einsatz für die Natur immer auch leben, auch für diese seltene Art Botschafter*innen ausgebildet. das Allgemeinwissen zur Artenvielfalt. Doch damit allein ist dem Schwund der Artenkenner nicht beizukommen. Der BUND ANGEBOTE FÜR KINDER hat deshalb spezifische Angebote entwickelt. Eine Investition in die Zukunft ist die Arbeit mit Kindern. Die »Artenkenntnis erhalten – Entdecke Dein NaturTalent« lautet meisten BUND-Kindergruppen eint das Anliegen, Umweltver- eine Kampagne des BUND in Bayern. Von Oberbayern bis Unter- ständnis und Artenkenntnis zu fördern. Das ist vielleicht nicht franken bieten etliche Kreisgruppen und Naturschutzzentren seit immer spektakulär, kann als dauerhaftes Angebot aber prägend Jahren Bestimmungskurse für Jugendliche und Erwachsene. sein. Wie auch die Aktion »Naturtagebuch« der BUNDjugend: Das inhaltliche Spektrum ist groß und reicht von Pilzen und Pflan- Jahr für Jahr regt sie Kinder zwischen 8 und 12 dazu an, einmal zen über diverse Insekten bis zu Vögeln und Fledermäusen. eingehender bestimmte Tiere oder einen Lebensraum zu erfor- Im Saarland leistet der BUND Überzeugungsarbeit für eine schen – und ihre Erlebnisse in einem Naturtagebuch festzuhalten. »Akademie für Artenkenner«. Sie soll Fachleute für Vier Bundesländer richten hierzu verschiedenste Artengruppen ausbilden. Die Landes- Wettbewerbe aus. Wer weiß, wie regierung hat sich das Projekt zu eigen gemacht viele Kinder das schon zum Anlass und erarbeitet derzeit ein Konzept. nahmen, sich in die Bestimmungs- literatur zu vertiefen? BOTSCHAFTER DER NATUR Damit sich Artenkenntnis verbreitet, bildet der BUND Zeichenkurs im Haus der BUNDten Natur, gerne Multiplikator*innen aus, die ihr Wissen an Hamburg: Ob aus dieser Künstlerin mal andere weitergeben. So etwa in Baden-Württemberg: eine große Artenkennerin wird? 40 »Schmetterlingsguides« bieten hier inzwischen Exkursionen, Schulausflüge oder Erlebnistage an. Sehr gefragt ist eine Fortbildung des BUND Rheinland-Pfalz. Im AKTIV AN SCHULEN Mittelpunkt seiner Kurse für Wildbienenbotschafter*innen stehen Diverse BUND-Angebote sind darauf gemünzt, Schulkinder für Artenkenntnis und Naturschutz. »Die Leute rennen uns die Bude den Artenschutz zu gewinnen. So können Klassen etwa Paten- ein«, heißt es dazu aus dem Landesverband. Der BUND Nieder- schaften für Bäche abschließen und deren Lebenswelt erkunden. sachsen qualifiziert ebenfalls »Wildbienenkennerinnen« – und Herauszuheben ist das fahrende Klassenzimmer des BUND Saar:
BUNDmagazin 3 | 19 › TITELTHEMA 19 WAS LEBT DENN DA? Axel Schreiner Andre Maslo Was sitzt denn da? Naturkundliche Führungen Insektenkurs im Bildungszentrum zählen zum Standardprogramm vieler BUND-Gruppen. Wartaweil am Ammersee. Im KunterBUNDmobil können über 2500 Schüler*innen pro Jahr unterscheiden? Artenkundige Ehrenamtliche geben bei solchen wirbellose Tiere unter der Lupe betrachten. Aktivitäten gerne Auskunft. Einer wichtigen Zielgruppe nimmt sich der BUND Bremen an: Wer weitab der Natur in Ballungsräumen wohnt, kann in Städten Kinder mit Migrationshintergrund und aus sozial schwachen wie Herten, Hamburg oder Bremen zudem Erlebnisgärten des Stadtteilen. Neugierde und Forscherdrang will er fördern bei de- BUND aufsuchen – und dort die heimische Natur kennenlernen. nen, die oft sehr wenig über die Natur vor ihrer Haustür wissen. Um Schüler*innen ganz allgemein Spinnen, Wildbienen, Wasser- SPEZIALISTEN AM WERK insekten oder Amphibien nahezubringen, bietet der Landesver- Hier und da hat sich in Gruppen und Arbeitskreisen besonderes band Materialkisten zu »Bremens Vielfalt unter der Lupe« an. Knowhow versammelt. Zwei Beispiele vom Bodensee: Die Projekttage und -wochen für Schulklassen vermitteln Wissen BUND-Gruppen aus Gottmadingen (Fokus: Fledermäuse) und speziell über Insekten. Radolfzell (Orchideen) gewinnen mittels vielfältiger Aktivitäten Die Schule meist schon beendet hat, wer bei der Kreisgruppe Verbündete und kundigen Nachwuchs. Köln Studienpraktika in Biologie und Geographie absolviert – Oder der Arbeitskreis »Feldherpetologie« in Sachsen-Anhalt: und dabei Grundkenntnisse in der Artenbestimmung erlangt. Er hat sich ganz der Erforschung und dem Schutz der Amphibien und Reptilien verschrieben. Dazu treibt er viel Öffentlichkeits- FÜR JEDEFRAU UND JEDERMANN arbeit: In Aschersleben betreut er einen Lehrgarten mit Schau- Zahllose BUND-Gruppen führen naturkundliche Exkursionen in gehegen. Außerdem organisiert er Camps für Kinder und Jugend- ihrem Programm. Je nach Jahreszeit stehen hier verschiedene liche sowie Exkursionen zu Frosch, Eidechse und Co. Tiere oder Pflanzen im Fokus. Um dauerhaft auf die Flora und Oder der Berliner Arbeitskreis »Pilzkunde & Ökologie«. Er wirbt Fauna eines Schutzgebietes hinzuweisen, haben viele Gruppen mit Vorträgen und Seminaren dafür, das so bunte – und doch Naturlehrpfade eingerichtet oder Infotafeln aufgestellt. Was ge- vielen ganz unbekannte – Reich der Pilze zu entdecken. nau wächst und gedeiht hier? Und was unternimmt der BUND vor Wer also seinen Blick für die Artenvielfalt öffnen und seinen Ort, um die Vielfalt zu bewahren? Horizont erweitern möchte, ist beim BUND vielerorts bestens Ein klassischer Anlass, um Artenkenntnisse zu vermitteln, ist aufgehoben. Kontaktieren Sie Ihre Kreisgruppe oder Ihren Landes- der GEO-Tag der Natur. Gruppen wie der BUND Neubrandenburg verband, wenn Sie sich schlauer machen wollen! sz nutzen ihn alljährlich, um mit Fachleuten bestimmte Flächen ge- nauer unter die Lupe zu nehmen. Dazu laden sie regelmäßig auch die Öffentlichkeit ein. Für Laien lässt sich da viel lernen! Wie bei i MEHR INFORMATIONEN so vielen Einsätzen draußen: Welche Molche und Frösche sind zum Bildungsangebot des BUND finden Sie unter diesmal am Krötenschutzzaun gestrandet? Und wie sind sie zu www.bund.net/umweltbildung
WAS LEBT DENN DA? Thomas Stephan Hat hier eine Wildkatze Haare gelassen? BUND- Aktive kontrollieren einen Lockstock in Sachsen. BÜRGERWISSENSCHAFT PATENT AUS PASSION MARTINA LÖW leitet die Abteilung Freiwilligenmanagement. Ehrenamtliche Artenkundige liefern wert- MAGNUS WESSEL volle Daten für Wissenschaft und Naturschutz. leitet die Naturschutzpolitik Und verdienen dafür alle Unterstützung. des BUND. C itizen Science hat in den vergangenen Jahren erheblich an Popularität ge- wonnen. Auch ist sie aus der Diskussion LANGE TRADITION Grundsätzlich ist das nichts Neues: Men- schen mit Interesse an der Natur erfas- WAS LAIEN LEISTEN Wie wichtig – und immer wichtiger – der bürgerwissenschaftliche Einsatz ist, um die Zukunft der Forschung nicht mehr sen ehrenamtlich Arten, sammeln Daten zeigt das Beispiel der Roten Listen ge- wegzudenken. Citizen Science – oft als oder ergründen Zusammenhänge und die fährdeter Arten: Ihr Fundament bilden »Bürgerwissenschaft« übersetzt – meint Ursachen von Veränderungen in Natur ganz überwiegend Daten und Schlussfol- vor allem zweierlei: die Beteiligung von und Umwelt. Das haben schon Goethe, gerungen, die außerhalb der universitä- Laien an wissenschaftlichen Projekten. Charles Darwin oder Jane Godall getan – ren Forschungswelt entwickelt wurden. Und die eigenständige Forschungsarbeit große Namen, lange bevor über Citizen So stammt der wichtigste Nachweis da- von Menschen jenseits der universitären Science gesprochen wurde. Schon seit für, dass unsere Insektenfauna nun seit Wissenschaft (oder nur lose verknüpft Jahrhunderten erforschen »Laien« Jahrzehnten verarmt, von pri- damit). Ihr Einsatz erfolgt dabei freiwillig Themen, die der institutionellen vat tätigen Insektenkundlern. und nicht im Rahmen einer beruflichen Wissenschaft oft abwegig erschie- Auch zentrale Artenschutz- Tätigkeit. nen. Sie entwickelten eigene Hy- projekte des BUND fußen auf pothesen und Theorien, zuweilen Citizen Science (> Kasten). sehr erfolgreich, wie Darwins Welche Herausforderungen Evolutionstheorie bezeugt. Oder zeichnen sich dafür ab? sie bleiben einer Passion wie Unsere Gesellschaft steht der Pflanzen-Taxonomie treu, vor der Jahrhundertauf- obwohl sie an vielen Unis gabe, schnell zu einer längst aufs Abstellgleis ran- wirklich nachhaltigen giert wurde. Lebensweise zu finden.
BUNDmagazin 3 | 19 › TITELTHEMA 21 Die biologische Vielfalt zu schützen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ge- nauso wie viele Aspekte des Umweltschut- zes. Die Bürgerwissenschaft spielt dabei eine starke Rolle. Doch dauerhaft können Natur- und Umweltschutz nur erfolgreich sein, wenn der Staat seine Verantwortung hierbei angemessen wahrnimmt. Jutta Schreiner Ehrenamtliche befestigen in Rheinland-Pfalz einen Spurentunnel, um Gartenschläfer nachzuweisen. Der dafür nötige Wandel wird nur glücken, kritisch im Blick zu behalten. Das schützt wenn Zivilgesellschaft und Wissenschaft vor Missbrauch und »Greenwashing« und WILDKATZEN UND eng kooperieren. Kundige Freizeitforsche- bietet Chancen für beide Seiten. r*innen haben den Raum, über die Fach- Damit Citizen-Science-Projekte gelin- SCHLAFMÄUSE disziplinen hinaus den Blick zu öffnen, ihr gen und die Freiwilligen gut eingebunden Fachgebiet breiter zu denken und zu werden, müssen sie begleitet und koordi- »Als wir Handschuhe bekamen, überschauen. Wer ehrenamtlich forscht, niert werden. Wer ein solches Projekt wurde mir klar: Jetzt wird es wis- hat die Freiheit, seinen Blick auf größere plant, sollte deshalb immer einen Förder senschaftlich. Die Proben sollten Zusammenhänge zu werfen. Und das, anteil für das Management der Freiwilligen ja nicht verunreinigt werden.« ohne überlegen zu müssen, welche The- beantragen. Auch der nicht-universitäre men und Hypothesen sich wohl für die Partner sollte die Federführung und die Wissenschaftsjournale eigneten. Antragsrechte innehaben können. Ehren- Wer nicht hauptberuflich forscht, kann amtlich Aktiven darf es zudem nicht zu So berichtet ein ehrenamtlicher Hel- auch mal eine Außenseitermeinung ver- schwer gemacht werden: Kurze Fristen fer von seiner Teilnahme am Citizen- treten – faktenbasiert, versteht sich. Oder für die Antragstellung, zu wenig Anerken- Science-Projekt »Wildkatzensprung« sich in vernachlässigte Bereiche vertiefen. nung ehrenamtlicher Zeit und Ressourcen des BUND. Freiwillige sammelten Oder sein Wirken mit einem praktischen (für den Eigenanteil) sowie hohe formale jahrelang Haare von Wildkatzen, Naturschutzprojekt verbinden. akademische Hürden haben der Citizen begleitet von einem Forschungs- Science in der Vergangenheit oft Steine in institut. In sechs aufeinanderfol- WAS BRAUCHT CITIZEN SCIENCE? den Weg gelegt. genden Wintern kontrollierten sie Fruchtbar könnte sich ein engeres Mitein- regelmäßig über 3500 Lockstöcke. ander von Wissenschaft und Bürgerwis- STAAT IN DER PFLICHT Damit lieferten eine beachtliche senschaft auswirken. Und mehr Mut sei- Schließlich sollten wir nicht vergessen: Bei Datenbasis, um die Verbreitung der tens der Institutionen, auf Augenhöhe mit bestimmten Aufgaben steht primär der seltenen Art zu erforschen. den Laien zusammenzuarbeiten. Gemein- Staat in der Verantwortung – zum Beispiel Wie erfolgreich Citizen Science same Standards und Methoden, techni- bei der kontinuierlichen Überwachung und beim BUND zum Einsatz kommt, sche Unterstützung und Möglichkeiten Kontrolle europäischer Schutzgebiete. zeigt auch unser aktuelles Projekt der Veröffentlichung schaffen die Basis Wenn Behörden dieser Pflicht nicht ausrei- »Spurensuche Gartenschläfer«. der Kooperation – und sichern gleichzeitig chend nachkommen, können und sollten Viele freiwillige Helfer*innen wei- die Qualität der Ergebnisse. Ehrenamtliche diese Lücke nicht füllen. sen die Schlafmaus hier mithilfe Für die Eigenständigkeit von Citizen- Politisch bewegt sich sonst noch weniger. von »Spurentunneln« nach, die den Science-Projekten ist es wichtig, die Rech- Auch darf zum Beispiel, wer bei einem Ein- Pfotenabdruck der Tiere dokumen- te an Datengrundlagen und Ergebnissen griff Natur und Umwelt schädigt, nicht aus tieren. Außerdem kontrollieren sie zu wahren; sich intensiv auszutauschen; der Pflicht entlassen werden, selber nach- Nistkästen und bringen Wildtier- die Forschungsergebnisse transparent zu zuweisen, dass er diesen Schaden ausge- kameras in Aktion. verwenden; und politische Einflussnahme glichen hat (wie vom Gesetz gefordert).
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