Internationales Jahrbuch der Erwachsenenbildung - International Yearbook of Adult Education Band 23 Architektur und Erwachsenenbildung ...

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Internationales Jahrbuch der
    Erwachsenenbildung
   International Yearbook of Adult Education

                    Band 23

     Architektur und Erwachsenenbildung

                Herausgegeben
                     von
           Joachim H. Knoll
               Editorial Board:
    Lalage Bown, Peter Jarvls, Jindra Kullch,
                 Klaus Künzel

                      1995
    BÖHLAUVERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

                                                1
INTERNATIONALESJAHRBUCHDERERWACHSENENBILDUNG                                                       Inhalt / Content
     INTERNATIONALYEARBOOKOF ADULTEDUCATION

                                  Herausgegeben von:
                                JOACHIM H. KNOLL                                                    Vorwort / Preface                                        XI

                              Editorial Board:
             Lalage Bown, Peter JaNis, Jlndra Kulich, Klaus Künzel                                 Beiträge / Contributions

                                        Redaktion:                                                 Architektur und Erwachsenenbildung
                                    Kirsten Menneken
                                                                                                   Joachim PETSCH:
                                                                                                   Architektur und Gesellschaft
                                                                                                   Anmerkungen zur Architekturvermittlung
                                                                                                   Georg BÖSE:
                                                                                                   Bauen und Weiterbildung - Versuch einer Annäherung        12
Manuskripte      und Rezensionsexemplare                                                           Albrecht GÖSCHEL:
bitten wir an den Herausgeber des Internationalen Jahrbuchs der Erwachsenenbildung,
Prof. Dr. Joachim H. Knoll, Institut für Pädagogik der Ruhr-Universität, Universitätsstraße 150,   Neue Kultureinrichtungenzwischen informeller Bildung
D-44780 Bochum, zu richten.                                                                        und urbanem Erlebnismarkt                                 27
Manuskripte    sind, möglichst noch Anfrage, In satzfertlgem Zustand, einseitig beschrie-          Andreas BENEDICT
ben zu übersenden. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine Haftung übernom-
men. Die Verfasser trogen für Ihre Beiträge die Verantwortung . Eine Verpflichtung zur             Das Amerika-Haus Ruhr
Aufnahme von Entgegnungen besteht nicht. Die Zeitschrift veröffentlicht keine bereits              Baudenkmal der deutsch-amerikanischenKulturbeziehungen    42
anderweitig erschienenen Aufsätze.
                                                                                                   Renate STRAUCH:
Besprechungsexemplare:        Die Auswahl der Arbeiten zur Rezension behält sich die
Redaktion vor. Rücksendungen unverlangter Bücher können nicht vorgenommen werden.                  Mit anderen Augen: die neue insel
 Werbeanzeigen       und Beilagen besorgt der Verlag. Theodor-Heuss-Str.
                                                                      76, 0-51149Köln              im Einkaufszentrum Marler Stern                           52
                        © l 995 by Böhlau Verlag GmbH & Cie Köln
                                 Alle Rechte vorbehalten
                                                                                                   Annette LOREY:
                                                                                                   Die Volkshochschule im Kulturzentrum Leverkusen           69
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zung, Nachdruck - auch von Abbildungen-. Vervielfältigung auf photomechonischem                    Eckurd HEINTZ:
oder ähnlichem Wege oder Im Magnettonverfahren, Vortrag, Funk- und Fernsehsendung                  Kultur-Managementim Münchner "Gasteig"
sowie Speicherung In Datenverarbeitungsanlagen - auch auszugsweise - bleiben vorbe-                                                                          79
halten. Werden von einzelnen Beitrögen oder Teilen von Ihnen einzelne Vervlelföltlgungs-           Alcxundcr N. CHARTERS:
stücke Im Rahmen des § 54 UrhG hergestellt und dienen diese gewerblichen Zwecken, Ist
die dafür nach Maßgabe des Gesamtvertrages zwischen der lnkossostelle für urheber-                 Architccturc und Adult Education in the U.S.A.            87
rechtliche Vervlelföltigungsgebühren GmbH, 60311 Fronkfurt/M., Großer Hirschgraben
 17-21. und dem Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.; 50674 Köln. Hobsburgerrlng             .lnck J>.BLANEY:
2-12, vom 15.7.1970zu zahlende Vergütung an die lnkassostelle zu entrichten. Die Vervlel-          Architccture for Adults in Canadian Universities
föltlgungen sind mit dem Vermerk über die Quelle und den Vervlelföltlger zu versehen.                                                                       99
Erfolgt die Entrichtung der Gebühren durch Wertmarken der lnkassostelle, so Ist für Jedes          l{uchclTOKATLI:
vervlelföltlgte Blatt eine Marke Im Werte von DM 0,40 (bzw. DM 0, 15) zu verwenden.
                                                                                                   Thc "Tehila-Project" in Israel                           109
                                                                                                   Tyl(c ARNFRED:
                   Gedruckt mit Unterstützungder Ruhr-UnlversltötBochum
                    Druck und Bindung: Offsetdruck HorstKrannlch. Erpel                            1>icl llluser der dänischen "Folkeh0jskole"              122
                                      PrlntedIn Germony
                                        ISSN0074-9818
VI                                      Inhalt / Content                                                    Inhalt/ Content              VII

Vermischtes / Miscellaneous:                                        Dokumente / Documents

Hilmar HOFFMANN und Dieter KRAMER:                                 DEUTSCHER VOLKSHOCHSCHUL-VERBAND:
Das Kommunale Kino als Element kultureller Öffentlichkeit   130    Volkshochschulen: Weiterbildung für die Zukunft
Rene SPITZ:                                                        Schweriner Erklärung des Deutschen Volkshochschul-Verbandes (DVV)    245
Die Wurzeln der Hochschule für Gestaltung Ulm (HfD)         137
Joachim H. KNOLL:                                                  Rezensionen / Reviews
Juden und jüdisches Leben in Berlin                         143
Martin SCHWEER:                                                    Bildung in und für Europa
Berufliche Weiterbildung heute                                     Sammelrezension
Anmerkungen anläßlich von drei Neuerscheinungen             158    ( Michael Schemmann und Christopher Wulff)                          250
Joachim H. KNOLL:
                                                                   ()ualitätssicherung in der Erwachsenenbildung
Das internationale Argument in der Erwachsenenbildung              Summelrezension
Wissenschaftliche und bildungspolitische Anregungen         169    ( 11orst Siebert)
                                                                                                                                       258
Joachim H. KNOLL :
                                                                  Management, Marketing und Beratung
Political Education , Civic Education and Citizenship
                                                                  in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung
Notizen zur ESREA-Tagung in Wroclaw (Polen)                 185   Summelrezension
                                                                  (Michael Schratz)
                                                                                                                                       263
Länderprofile / Country Reports                                   Jugend und Jugendforschung/Jugendkulturen
                                                                  Snmmclrezension
                                                                  ( Dieter Baacke)
JohnFIELD:                                                                                                                             268
Adult Education in a Divided Society:                             l{ITl'ELMEYER:
a Perspective from Northern Ireland                         188   Schulbauten positiv gestalten
                                                                  ( Klltc Meyer-Drawe)                                                 272
Agnieszka BRON° WOJCIECHOWSKA :
Active Citizenship and the Value ofEducation                      M/\RRIOTT/HAKE (Eds.):
The Case of Sweden                                          200
136                          Hilmar Hoffmann / Dieter Krarner

Berücksichtung des Stiefkindes Film in der öffentlichen Kunst- und Kulturförderung
galten, haben nichts an Richtigkeit verloren: Kulturen und Gesellschaften brauchen die
                                                                                                    Rene Spitz
lebenden Bilder des Kinos, um über sich selbst, ihre Zukunft, ihre Möglichkeiten und
Wünsche nachzudenken.
Darin ist der unverzichtbare, auch ästhetische Beitrag des Films zur kulturellen Öffent-            Die Wurzeln der Hochschule für Gestaltung Ulm (HfG)
lichkeit zu sehen. Wer dem Kino und dem Film diese Rolle verweigern will, der muß
                                                                                                    Im folgenden geht es um die Beziehungen zwischen der Volkshochschule (VHS) Ulm,
sich mit einer schmerzhaften Einschränkung dieser kulturellen Öffentlichkeit abfinden,
                                                                                                    einem herausragenden Exponenten der Erwachsenenbildung in der frühen Bundes-
denn gerade dieses moderne, zeitgenössische, künstlerische Medium besitzt eine weit
                                                                                                    republik, und der Hochschule für Gestaltung Ulm (HfG). 1 Es soll gezeigt werden, daß
über seine unmittelbare Präsenz hinausreichende Bedeutung.
                                                                                                    die HfG nur deshalb gegründet werden konnte, weil sie aus der VHS Ulm hervor-
                                                                                                    gegangen ist.
Literatur
HICKETHIER, K.: Online mit der Zukunft. Zum Diskurs über die neuen Medien, in:                      Die HfG - eine international bedeutende Design-Schule
        Ästhetik und Kommunikation, 88 (1995), S. 9-15.
HOFFMANN, H.: Bibliothek der Zukunft: Mediathek, in: DERS. (Hg.): Perspektiven                      Die HfG war eine Institution außerhalb des bundesdeutschen Bildungssystems . Sie
        der kommunalen Kulturpolitik, Frankfurt a. M. 1974, S. 372-384.                             bestand von 1953 bis 1968 und wurde von der privaten Geschwister-Scholl-Stiftung
DERS .: Kultur für alle, Frankfurt a. M. 2 1981, S. 218-234.
DERS.: Kommunales Kino, in: WITTE, K. (Hg.): Theorie des Kinos. Ideologiekritik            .lt.f    (GSS) getragen. Die Stiftung organisierte die Finanzierung der HfG aus Mitteln der
                                                                                           \~   1
        der Traumfabrik, Frankfurt a. M. 1972, S. 265-282.                                 't
                                                                                                    Privatwirtschaft und der öffentlichen Hand, wobei die Mittel von Stadt, Land und Bund
DEUTSCHES LITERATURARCHIV: Die Schriftsteller und der Stummfilm. Eine
        Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum                       im Laufe der Jahre überwogen und so eine Abhängigkeit hervorriefen, die ihre Gründer
        Marbach a. N. 1976, Stuttgart 1976, S. 405.                                                 hatten vermeiden wollen. An der HfG gab es vier Abteilungen : Produktgestaltung,
"MEIN KINO", in: DIE ZEIT, Ausgabe vom 30.12.1994.                                                  Visuelle Kommunikation, Architektur bzw. Industrialisiertes Bauen und Information .
RUPRECHT , H.: Audio-visuelle Kommunikationszentren, in: HOFFMANN, H. (Hg.):
        Perspektiven der kommunalen Kulturpolitik, a.a.O., 1974, S. 365-371.                        Zudem entwickelte sich aus der Initiative vor allem Alexander Kluges 1961/62 das
                                                                                                    Institut für Filmgestaltung. Im Laufe der 15 Jahre ihres Bestehens schrieben sich ins-
                                                                                                    gesamt 637 Studierende an der HfG ein, darunter 91 Frauen; 278 der eingeschriebenen
                                                                                                    Studierenden kamen aus dem Ausland.
                                                                                                    Die HfG war aus folgenden drei Gründen die wichtigste Design-Einrichtung der
                                                                                                    Bundesrepublik Deutschland : Zum einen leisteten die HfG-Angehörigen einen bedeu-
                                                                                                    tenden Beitrag zur Grundlagenforschung, zur Methodik und zur wissenschaftlichen
                                                                                                    Fundierung des Entwerfens - man spricht in diesem Zusammenhang heute noch vom

                                                                                                        Dieser Artikel faßt im wesentlichen einen Teil der Ergebnisse meiner Magisterarbeit zusammen, die
                                                                                                        ich 1993 Uber die GrUndungsgeschichte der Hfü geschrieben habe . Im Ubrigen verweise ich auf
                                                                                                        meine Dissertation, die an der Universität zu Köln von Prof. Dr. Harm Klueting betreut und im
                                                                                                        nächsten Jahr unter dem Titel "Politische Geschichte der Hochschule für Gestaltung" veröffentlicht
                                                                                                        wird.
138                                       Rene Spitz

"Ulmer Modell". Zum anderen haben viele der an der HfG entwickelten Produkte das
internationale Design beeinflußt - der "Ulmer Stil" wurde durch die zeitgenössische
Anerkennung international verbreitet. Und nicht zuletzt war die HfG ein Schmelztiegel,
                                                                                           '                                     Hochschule fUrGestaltung Ulm

                                                                                                 Ende des Jahres 1949 ergab sich für Inge Scholl ein Kontakt zum Leiter der
                                                                                                 Norwegischen Europahilfe, Odd Nansen; dieser Kontakt war die Initialzündung zur
                                                                                                 Gründung der HfG.
                                                                                                                                                                                           139

aus dem eine Vielzahl von Design-Professoren hervorgegangen ist: Rund 18% der                    Inge Scholl und Otl Aicher traten 1949 mit denselben gesellschafts- und kultur-
'Ulmer' unterrichteten nach der Schließung der HfG als Dozenten und damit als                    politischen Überzeugungen an die Gründung der HfG heran, die sie schon bei der
Multiplikatoren im In- und Ausland.                                                              Errichtung der VHS Ulm 1945 geteilt hatten: Der Neubeginn der deutschen Gesellschaft
                                                                                                 sollte aus einer "vom Geist des Humanismus geprägte(n) Verbindung von Demokratie
Beziehungen zwischen der VHS Ulm und der HJG                                                     und Sozialismus"4 hervorgehen. Sie hatten sich außerdem die Ansicht des Bauhauses zu
                                                                                                 eigen gemacht, daß die Gestaltung der Dinge des täglichen Bedarfs verbessert werden
Wie eingangs bereits angedeutet, lassen sich Verbindungslinien zwischen der VHS Ulm
                                                                                                 müßte, um die Lebensverhältnisse der einfachen Bevölkerung anzuheben. Der Gestalter
und der HfG nachweisen, ohne die es zu einer Gründung der Design-Einrichtung in der
                                                                                           • 1   hatte in ihren Augen auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung. Man könnte ihre
beschriebenen Form nicht gekommen wäre. Die VHS Ulm ging aus einer privaten
                                                                                                 Überzeugung auf das Motto "Demokratisierung durch Design" zuspitzen. Aber sie muß-
Initiative Otl Aichers hervor, der wenige Wochen nach Ende des Zweiten Weltkriegs in
                                                                                                 ten feststellen, daß sich mittlerweile die Stimmung in der Bevölkerung gewandelt hatte:
Ulm öffentliche Vorträge veranstaltete, in denen es um die Notwendigkeit ging, ange-
                                                                                                 War es vier Jahre zuvor noch weitverbreitete Ansicht, daß sich die Gesellschaft in
sichts der gerade überlebten Katastrophe einen gesellschaftlichen Neuanfang zu wagen.
                                                                                                 Deutschland grundlegend wandeln müsse, damit so etwas wie das "Dritte Reich" nicht
Das vielzitierte Stichwort von der "Stunde Null" bedeutete in diesem Kontext, nicht
                                                                                                 wieder möglich wäre, so stießen die HfG-Gründer nun überall auf Unverständnis für
einfach eine Kontinuität zu der Zeit vor 1933 herzustellen, sondern an andere histori-
                                                                                                 Neuanflinge, Neugründungen und neue Denkansätze.5 Inge Scholl bemerkte einmal, daß
sche, kulturelle und gesellschaftliche Grundlagen anzuknüpfen, die nicht von den
                                                                                                 es leichter gewesen wäre, an etwas Bestehendes anzuknüpfen oder etwas Traditionelles
Nationalsozialisten vereinnahmt worden waren;2 dazu gehörte aus dem Bereich der
                                                                                                 aufzubauen. 6 Daß sich Inge Scholl und Otl Aicher dieses 'Nullpunkt-Denken' bewahrt
Gestaltung das "Bauhaus". Inge Scholl und Otl Aicher gründeten im Anschluß an die
                                                                                                 hatten, ist ein wichtiger Grund dafür, daß die HfG nicht ohne die VHS Ulm zu denken
Vorträge die VHS Ulm. Sie wurden dabei vom US High-Commissioner of Germany
                                                                                                 ist. Beide haben ihre gesellschafts- und kulturpolitische Haltung über die Gründung der
(HICOG) unterstützt, weil ihr Konzept hervorragend in das amerikanische
                                                                                                 HfG hinaus in diese hineingetragen und ihre Vorstellungen dort auch zum Teil verwirk-
Re-education-Prograrnm paßte3• Am 24.04.1946 eröffnete der damalige Kultusminister
                                                                                                 lichen können. Dazu gehört auch, daß sie im Frühjahr 1950 mit Max Bill einen promi-
von Württemberg-Baden, Theodor Heuss, den Betrieb der VHS Ulm. Es stellte sich bald
                                                                                                 nenten Vertreter des Bauhauses für ihren Plan gewinnen konnten. Hiermit schlugen sie
ein außerordentlicher und unerwarteter Erfolg ein. So gediehen unter dem Einfluß des
                                                                                                 die Brücke zu einer Kontinuität, die sich von derjenigen Kontinuität deutlich unter
"Ulmer Kreises" um die VHS Ulm Pläne, eine zweite Bildungseinrichtung zu gründen,
die sich international ausrichten und die für die Lebens- und Berufspraxis ihrer Studen-
ten unmittelbar verwertbares Wissen und Fertigkeiten vermitteln sollte. Aber erst

                                                                                                 4   SONTHEIMER (1991), S. 135.
                                                                                                 5   Vgl. hierzu etwa SCHWARZ (1981).
2     Vgl. hierzu etwa GLASER (1990).                                                            6   Vgl. Hffi-Archiv, Akte 433: unveröffentlichter Brief von Inge Scholl an Shepard Stone vom
3     Zum Konzept der Re-education vgl. BUNGENSTAB (1970).                                           31.12.1951.
140                                            Rene Spitz                                                                               Hochschule für Gestaltung Ulm                        141

schied, mit der nun in Deutschland unter dem Stichwort "Normalität" seit dem Beginn                       etagen bei der Spendensammlung durchsetzen mußten, obwohl John J. McCloy ihnen
des "Wirtschaftswunders" an die Zeit vor 1933 angeknüpft             wurde. 7                             den Rücken stärkte. HICOG wiederum hätte Inge Scholl und Otl Aicher nicht unter-
Hinsichtlich der Verbindung von VHS Ulm und HfG ist es von nicht zu unterschät-                           stützt, wenn diese nicht ihre Erfahrung und ihren Erfolg mit der VHS Ulm hätten
zender Bedeutung, daß die Gründer beider Einrichtungen identisch waren: Es waren                          vorweisen können. Schließlich hatte sich durch ihre Arbeit die VHS für einige Jahre
dieselben engagierten Menschen, die sich zuerst der Erwachsenenbildung verschrieben                       zum Mittelpunkt des geistigen Lebens der Stadt Ulm entwickelt.
hatten und dann über die HfG Kulturpolitik in einem weitergefaßten Maßstab betrieben.                     Wenn man diesen Faden noch ein wenig weiter verfolgt, so läßt sich auch schluß-
So wichtig dieser Aspekt auch ist, so darf er doch nicht zu unangemessenen Einschät-                      folgern, daß die HfG, wäre sie ohne die Vorgeschichte der VHS Ulm gegründet worden,
zungen führen: Bis auf die Gründer der VHS Ulm und der HfG, lnge Scholl und Otl                           zumindestens in den Anfangsjahren ohne ihren architektonischen und institutionellen
Aicher, finden sich keine weiteren Verbindungen und Kontakte, die aus der Arbeit der                      Rahmen hätte bestehen müssen. Die Campus-Anlage gehörte aber von ihrem Wesen her
VHS Ulm hervorgehend die HfG bereichert hätten. Man darf aber nicht übersehen, daß                        zur HfG und zu ihrem Programm, sie bedingte ihre Eigenheit und ihren Charakter. Ohne
die HfG in ihren kargen Anfangsjahren auf die Institution VHS Ulm zurückgreifen                           ihre Hochschulbauten wäre die HfG eine Schule ohne festen Bezugspunkt gewesen. Da
konnte, eben weil beide Einrichtungen über Inge Scholl und Otl Aicher miteinander                         ist es fraglich, ob sie überhaupt eben ihre schulbildende internationale Wirkung hätte
verwoben waren. Die Aufbauarbeit wurde in den Räumen und mit der Verwaltungsaus-                          entfalten und sich zum Brennpunkt der Lebenslinien verschiedenster ausgeprägter
stattung der VHS Ulm geleistet, und als am 03.08.1953 der erste Grundkurs von Walter                      Persönlichkeiten entwickeln können.
Peterhans den Unterricht der HfG eröffnete, fand dieser in den Räumen der VHS Ulm                         Abschließend bleibt festzuhalten, daß das hier gewählte Beispiel eine enge Verbindung
statt.                                                                                                    zwischen der Erwachsenenbildung und der kulturellen Entwicklung in der frühen
Ein vierter und letzter Grund ist vermutlich der ausschlaggebende gewesen: Die Grün-                      Bundesrepublik   nachweist: Die Volkshochschule Ulm kann als Impulsgeber           der
der der HfG hätten in diesen frühen 50er Jahren, die ja, wie erwähnt, andere Rahmen-                      Hochschule für Gestaltung Ulm angesehen werden .
bedingungen als die späten 40er aufwiesen, kaum finanzielle Mittel für ihre Neugrün-
dung erhalten, weder vom Land noch vom Bund und erst recht nicht von privatwirt-                          Literatur
schaftlicher Seite, wenn nicht der amerikanische Hochkommissar McCloy hinter dem
                                                                                                          AICHER, 0 .: Die Hochschule für Gestaltung. Neun Stufen ihrer Entwicklung, in:
Vorhaben gestanden hätte . Er hatte dem Plan zur Errichtung der HfG zugestimmt und                                archithese 15 (1975), S. 26-37.
eine Million DM versprochen, wenn eine zweite Million innerhalb eines Jahres von                          DERS.: krise der moderne, in: DERS.: die weit als entwurf, Berlin 1991, S. 15-26.
                                                                                                          DERS .: bauhaus und ulm, in: DERS.: die weit als entwurf, a.a.O., S. 87-95.
deutscher Seite aufgebracht würde und wenn der Betrieb der HfG innerhalb der ersten
                                                                                                          BUNGENSTAB, K.-E .: Umerziehung zur Demokratie? Re-education-Politik 1m
drei Jahre gesichert wäre. Es ist heute kaum noch vorstellbar, gegen welche Wider-                                Bildungswesen der US-Zone 1945-1949, Düsseldorf 1970.
stände sich Inge Scholl und ihre Mitstreiter in deutschen Ministerien und Vorstands-                      FREI, H.: Konkrete Architektur? Über Max Bill als Architekt, Baden/Schweiz 1991.
                                                                                                          GLASER, H. : Kleine Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bde. 1-3,
                                                                                                                  Frankfurt a. M. 1990.
                                                                                                          UNDINGER, H. (Hg.): Ulm - Hochschule für Gestaltung . Die Moral der Gegenstände,
7     Die Bedeutung Max Bills für das Vertrauen der Amerikaner in das Gelingen der HfG-Gründung
                                                                                                                  Berlin 1987.
      steht zwar hier nicht im Mittelpunkt des Interesses, darf aber dennoch nicht unerwähnt bleiben.
      Übrigens war es auch Max Bill, der im Sommer 1950 den Plan lnge Scholls und Otl Aichers             RETTICH, H.: Kunstförderung, in: SCHRAAB, M. (Hg.): 40 Jahre Baden-
      umwandelte : Aus einer Hochschule für Politik mit gestalterischem Hintergrund wurde eine Hoch-              Württemberg. Aufbau und Gestaltung 1952-1992, Stuttgart 1992, S. 557-589.
      schule für Gestaltung mit politischer Unterfütterung. Er vollbrachte außerdem das Kunststück, die   RÜBENACH, B.: der rechte winke! von ulm. ein bericht über die hochschule für
      Amerikaner davon zu überzeugen, daß diesem Konzept mit ihm als Rektor mehr Überlebensaus-                   gestaltung 1958/59, hg. v. B. MEURER, Darmstadt 1987.
      sichten beschieden seien, obwohl das ursprüngliche Konzept den Re-educutlon-lntcntionen sehr
      entgegenkam.
142                                  Rene Spitz

RUPPERT, W.: Ulm ist tot. Es lebe Ulm! Rückblick auf die Hochschule für Gestaltung,
       in: Kursbuch 106 (1991), S. 119-138.
SCHNAIDT, C.: Ulm 1955-1975, in: archithese 15 (1975), S. 5-10.
                                                                                      'l
                                                                                           i   Joachim H. Knoll
SCHWARZ, H. P.: Die Ära Adenauer 1949-1958. Gründerjahre der Republik,
       Stuttgart/Wiesbaden 1981.
SECKENDORFF, E. von: Die Hochschule für Gestaltung in Ulm. Gründung
       (1949-1953) und Ära Max Bill (1953-1957), Marburg 1989.
                                                                                               Juden und jüdisches Leben in Berlin*
SONTHEIMER, K.: Die Adenauer-Ära. Grundlegung der Bundesrepublik,
       München 1991.
SPITZ, R.: Die Hochschule für Gestaltung in Ulm. Ein Beispiel für kulturelle Bemü-             Jüdische Minderheit und Berlin - Anlässe
       hungen und Kulturpolitik in der frühen Bundesrepublik, Köln 1993 (unveröff.
       Magisterarbeit).                                                                        Daß sich die diesjährige Exkursion des Bochumer Oberseminars des Lehrstuhls für
                                                                                               Erwachsenenbildung .und außerschulische Jugendbildung zur "Jüdischen Minderheit in
                                                                                               Deutschland" thematisiert und dies in Berlin zu erkunden sucht, hat mehrfache Gründe:
                                                                                               Einmal den, daß Minderheitenfragen, autochthone Minderheiten und Minderheiten
                                                                                               zufolge von Migrationsbewegungen in den vergangenen Jahren ein perennierendes
                                                                                               Interesse beansprucht haben; wir haben solchermaßen die Dänen in Deutschland, die
                                                                                           1
                                                                                               Deutschen in Dänemark, die Sorben in der Lausitz und im engeren Zusammenhang die
                                                                                               Polen aus der Periode ihrer Früheinwanderung im Ruhrgebiet forschend und mit-
                                                                                               erlebend aufgesucht und dies auch an mehreren Stellen dokumentiert. Die dazu-
                                                                                               gehörigen Minderheitenfragen gehören, so meine ich, in einen wissenschaftlichen
                                                                                               Zusammenhang, zumal wenn Fragen und Aspekte des Bildungswesens im Vordergrund
                                                                                               stehen. Erwachsenenbildungsforschung legt sich multikulturell aus. Es sei indes hier
                                                                                               bereits darauf hingewiesen, daß die jüdische Minderheit, zufolge ihrer geschichtlichen
                                                                                               Eigenheit    und    ihres grauenvollen Schicksals, eine plane Übertragung                       oder
                                                                                               Analogisierung nicht verträgt.
                                                                                               Die jüdische Minderheit nimmt zudem aus der Perspektive der Shoa einen besonderen
                                                                                               Stellenwert ein, der durch die Wannsee-Konferenz und deren Vemichtungsbeschlüsse
                                                                                               nur als ein letztes Indiz für den planmäßigen Genozid angezeigt ist. Der besondere
                                                                                               Verfolgungs- und Leidensdruck äußert sich derzeit auch angesichts der Rückerinnerung
                                                                                               des Jahres 1945 und der Beendigung nationalsozialistischer Diktatur. Dabei scheint, daß
                                                                                               die 'Denkmalfrage' der jüdischen Minderheit von außen aufgedrängt wird und zudem

                                                                                               •   Einleitungsvortrag anläßlich der Exkursion des Oberseminars von Prof. Dr. Knoll vom 20. - 24. Mai
                                                                                                   1995 nach Berlin. Die Exkursion stand unter dem Titel: "Bildung und Kultur der jüdischen
                                                                                                   Minderheitin Berlln".Für die Unterstützung zur Durchführung der Exkursion sei der Hanns Martin
                                                                                                   Schleyer-Stlftuna nachdrücklich aedankt.
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