Italien zwischen Berlusconi und Prodi - Aufbruch oder Stagnation?

 
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FES-Analyse

Italien zwischen Berlusconi und Prodi
– Aufbruch oder Stagnation?

Michael Braun*
Juni 2007

 •   Seit nunmehr 15 Jahren durchlebt Italiens Demokratie eine Phase des Übergangs. Begonnen
     hat diese Phase mit dem Zerbrechen des Parteiensystems der Ersten Republik, ausgelöst
     durch die großen Korruptionsskandale der frühen Neunzigerjahre. In der Folge betraten
     neue Akteure das Feld, ohne dass sich bisher ein stabiles neues System herausgebildet hät-
     te. Personifiziert wird die Phase des ewigen Übergangs durch Silvio Berlusconi und seinen
     Widersacher Romano Prodi.

 •   Die Regierungskoalition Romano Prodis hat die Regierungskrise überstanden. Über die Fra-
     ge der Fortsetzung der italienischen Militäreinsätze im Ausland – vor allem Afghanistan –
     war die Koalition beinahe gescheitert. Romano Prodi muss nicht nur mit einer äußerst
     knappen Mehrheit regieren, sondern zugleich eine extrem heterogene Koalition von 13 Par-
     teien zusammenhalten, deren Spektrum von Kommunisten auf der Linken zu Christdemok-
     raten auf der Rechten reicht. Schon im Wahlprogramm der Koalition konnten für viele Poli-
     tikfelder nur Formelkompromisse gefunden werden. In der Wirtschafts-, Sozial- und Um-
     weltpolitik sind weitere scharfe interne Konflikte vorprogrammiert.

 •   Entgegen allen Voraussagen endeten die letzten Wahlen in einem Kopf-an-Kopf-Rennen, in
     dem die Prodi-Koalition nur mit einem hauchdünnen Vorsprung den Sieg davontrug. Silvio
     Berlusconi hatte im Vorfeld das Wahlrecht geändert und in einem aggressiv geführten
     Wahlkampf die politische Offensive zurückerobert. Das Ergebnis bestätigte erneut, dass Ita-
     lien ein in zwei fast gleich große Lager gespaltenes Land ist.

 •   Romano Prodi setzt vor allem auf das Projekt der Gründung einer „Demokratischen Partei“,
     die das Gros seiner Koalition hinter ihm vereinen und ein dominierendes Kraftzentrum in
     der Allianz schaffen soll. Unmittelbar aber droht dieses Parteigründungsprojekt neue Kon-
     flikte in und zwischen die Parteien der Prodi-Allianz zu tragen.

 •   Auf der Rechten konnte Berlusconi seine Rolle als Oppositionsführer vorerst verteidigen.
     Weiterhin streben aber wichtige Teile seiner Allianz an, Berlusconi aufs politische Altenteil
     abzuschieben, um so eine Neuordnung der Rechtsopposition zu ermöglichen. Diese Spal-
     tung der Rechtsopposition erhöht die Überlebensaussichten der Regierung Prodi entschei-
     dend.

 •   Erst noch beweisen muss die Mitte-Links-Koalition jedoch, ob sie zu mehr in der Lage ist als
     zur Organisation des eigenen Überlebens. Italien hat eine lange Phase wirtschaftlicher
     Stagnation hinter sich, hinter der sich tiefe strukturelle Probleme verbergen. Prodi wird
     nicht zuletzt daran gemessen werden, ob es ihm gelingt, die von seiner Allianz versproche-
     ne Modernisierungsoffensive einzuleiten.

Herausgeber und Redaktion: Arne Schildberg, Friedrich-Ebert-Stiftung, Internationale Politikanalyse,
      53175 Bonn, Tel: 0228-883-868, Fax: 0228-883-860, E-Mail: Arne.Schildberg@fes.de
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    Der Autor:   *Michael Braun ist Repräsentant der
                 Friedrich-Ebert-Stiftung in Rom.
FES-Analyse: Italien                                                                                            3

        Italien in den letzten 15 Jahren: Die unvollendete Transitionsphase

Seit nunmehr 15 Jahren befindet sich Italiens Demo-      gegenüber. Die Rechte wurde angeführt von einem
kratie in einer immer noch nicht abgeschlossenen         Medienzaren, der von einem Tag auf den anderen in
Phase des Übergangs – und niemand symbolisiert die-      die Politik gewechselt war und mit den Personal- wie
se Tatsache besser als die beiden Hauptprotagonisten     Finanzressourcen seines Unternehmens eine völlig auf
Silvio Berlusconi und Romano Prodi.                      ihn zugeschnittene Partei aufgebaut hatte. Aus dieser
    1992 zerbrach das Parteiensystem der so genannten    Anomalie machte Berlusconi von Beginn an ein zent-
Ersten Republik. Die Democrazia Cristiana ver-           rales Element seiner politischen Stärke: Nach den hef-
schwand genauso wie die Sozialistische Partei Bettino    tigen Korruptionsskandalen, die die italienischen Par-
Craxis und die anderen Regierungsparteien im Gefol-      teien erschüttert hatten, setzte er auf das Image des
ge der Korruptionsermittlungen der Mailänder Staats-     Anti-Politikers, der aus „dem Schützengraben der Ar-
anwälte. 1993 betrat Silvio Berlusconi die politische    beit“ (Berlusconi) kam und nichts zu tun hatte mit den
Bühne, bald gefolgt von Romano Prodi als Gegen-          Gepflogenheiten der „Politikaster, die in ihrem Leben
spieler. Und Gegenspieler sind die beiden auch heute     nie gearbeitet haben“.
noch: Zum letzten Mal maßen sie in den Parlaments-           Die Linke dagegen engagierte gleichsam von au-
wahlen vom 9./10. April 2006 die Kräfte. Dabei er-       ßen einen Leader, der seinerseits ohne eigene Partei
rang Romano Prodi einen knappen Sieg und wurde           dastand und ein Bündnis anführte, in dem er selbst
Ministerpräsident; Berlusconi wurde Oppositionsfüh-      keinerlei Hausmacht hatte. Die Parteien blieben auf
rer.                                                     dieser Seite des politischen Spektrums zwar als zent-
    Diese Tatsache überrascht allein schon deshalb,      rale Akteure präsent, trauten sich aber ihrerseits nicht,
weil immer wieder mal der eine, mal der andere der       sich mit einem „eigenen“ Gesicht den Wählern zu
ewigen Duellanten Gegenstand politischer Nachrufe        stellen. Prodi gewann die Wahlen 1996, war im Par-
wurde. So siegte Berlusconi zwar bei den Parla-          lament jedoch auf die Stützung der Kommunisten an-
mentswahlen 1994 mit seiner gerade gegründeten Par-      gewiesen, die ihrerseits weder dem Ulivo-Bündnis
tei Forza Italia aus dem Stand, scheiterte dann aber     noch der Regierungskoalition angehörten. Erneut
binnen weniger Monate an den Widersprüchen in sei-       wurden politische Nachrufe auf Silvio Berlusconi ver-
ner Koalition. Zahlreiche politische Beobachter sahen    fasst, denen zu entnehmen war, dass der Medien-
ihn schon politisch am Ende; Berlusconi aber machte      unternehmer seinen Ausflug in die Politik nun wohl
weiter.                                                  endgültig beenden werden müsse, allein schon, weil
    Auf der anderen Seite hatte die Linke, die aus den   seine Partner in der Rechtsallianz den Unternehmer
Wahlen 1994 gedemütigt und demoralisiert hervorge-       mit seiner Privatpartei in Zukunft kaum mehr als Spit-
gangen war, ihre eigenen Schlüsse aus dem Debakel        zenkandidaten akzeptieren würden.
gezogen. Einerseits suchte der damalige Parteichef der       Zunächst aber scheiterte Prodi als Ministerpräsi-
Linksdemokraten (Democratici di Sinistra, DS), Mas-      dent. Er durfte zwar als großen politischen Erfolg ver-
simo D’Alema, das Bündnis zu weiteren Parteien der       buchen, dass es ihm gelungen war, Italien in die
Mitte, beginnend bei den linken Christdemokraten des     Gründungsgruppe des Euro zu führen. 1998 dann
Partito Popolare Italiano (PPI). Andererseits aber sah   scheiterte er jedoch am Konflikt mit den Kommunis-
D’Alema Chancen für einen Sieg nur, wenn die Mitte-      ten – vor allem aber daran, dass seine „Arbeitgeber“,
Links-Allianz genauso wie die Rechte nicht auf einen     die Linksdemokraten unter Massimo D’Alema und
gestandenen Berufspolitiker setzte, sondern auf einen    der PPI, glaubten, auf die weiteren Dienste des Regie-
unverbrauchten Seiteneinsteiger – und fand ihn in        rungschefs ohne eigene Partei verzichten zu können.
Romano Prodi. Er wurde 1995 zum Spitzenkandidaten        D’Alema übernahm das Amt des Ministerpräsidenten,
des „Ulivo“, des Ölbaum-Bündnisses, gekürt.              während Prodi im folgenden Jahr als EU-
    Damit standen sich nach der großen Parteien-         Kommissionspräsident nach Brüssel weggelobt wur-
krise der frühen Neunzigerjahre zwei einigerma-          de. Und nun wurde er zum Gegenstand politischer
ßen atypische Leader der beiden politischen Lager        Nachrufe, die auf der Linken mit seinem Sturz die
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Anomalie einer Parteienregierung mit einem Partei-        Das Resultat: Im Jahr 2006 erlebte Italien akkurat
losen an der Spitze beendet sahen.                        das gleiche Wahl-Duell Berlusconi-Prodi, das
    Auf der anderen Seite erlebte Berlusconi gleichzei-   schon 1996 stattgefunden hatte. Und wie schon
tig ein brillantes Comeback. Ihm gelang es zunächst,      1996 spiegelte sich in diesem Duell die bleibende
die 1994 noch völlig zusammengewürfelte und dann          Anomalie Italiens wider. Erneut nämlich standen
1996 gespalten angetretene italienische Rechte –          sich zwei Politiker gegenüber, die sich als Ausnahme
neben seiner Forza Italia (FI) die Postfaschisten der     von der Regel des aus einer politischen Partei hervor-
Alleanza Nazionale (AN), die rechtspopulistische          gegangenen Leaders.
Lega Nord sowie die Christdemokraten der CCD –                Der eine, Silvio Berlusconi, steht weiterhin einer
zum Bündnis der Casa delle Libertà (CdL, „Haus der        Partei vor, die in jeglicher Hinsicht ohne seine Person
Freiheiten“) zusammenzuführen. Dieses Bündnis ge-         gar nicht denkbar ist. „Partei des Präsidenten“ nennt
wann dann 2001 mit knapp 50% der Stimmen die Par-         sich Forza Italia selbst – und beschreibt damit das
lamentswahlen sowie klare Mehrheiten in beiden Häu-       auch formal gültige autokratische Führungsprinzip, in
sern des Parlaments. Vor allem dank des hervorragen-      der der Chef nie gewählt wurde, in der der „Presiden-
den Resultates von 29,4% für Forza Italia war Berlus-     te“ andererseits sämtliche Führungspositionen aus
coni erneut der unangefochtene Chef der italienischen     eigener Machtvollkommenheit per Nominierung von
Rechten. Der „Faktor B“ – der Faktor Berlusconi –         oben besetzt. Partei des Präsidenten ist FI aber auch
hatte sich endgültig als Grundkonstante in der ita-       mit Blick auf die Ressourcen: Allein die persönlich
lienischen Politik nach dem Zusammenbruch der             von Berlusconi gezeichneten Bankbürgschaften garan-
traditionellen Regierungsparteien etabliert.              tieren der mit über 100 Millionen Euro verschuldeten
    Die nun wiederum in die Opposition verbannte          Partei die Operationsfähigkeit. Partei des Präsidenten
Linke hatte nach dem Sturz Prodis 1998 gleich drei        ist FI jedoch vor allem, weil es als völlig ausgemacht
klassische Berufspolitiker als Leader der Allianz ver-    gilt, dass sie bei einem Ausscheiden Berlusconis aus
schlissen; D’Alema war nach nur 18 Monaten durch          der Politik von einem Tage auf den anderen auseinan-
Giuliano Amato als Ministerpräsident abgelöst wor-        der bräche.
den; Amato war von der Koalition als zu leichtge-             Doch auch auf Seiten der Mitte-Links-Allianz ist
wichtig befunden worden, um bei den Wahlen 2001           die schon 1996 gegebene Anomalie unverändert erhal-
gegen Berlusconi anzutreten; und der schließlich zum      ten geblieben. Hier gibt es zwar im Kern der Allianz
Spitzenkandidaten gekürte Francesco Rutelli war dann      strukturierte Parteien, die aus eigener Kraft unabhän-
deutlich gescheitert.                                     gig vom Schicksal eines Frontmannes lebensfähig
    Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung zog die          sind – diese Parteien sind aber nicht in der Lage, einen
Linksopposition zwei Schlüsse. Erstens war Berlusco-      glaubwürdigen Spitzenkandidaten zu stellen. Spitzen-
ni nur zu schlagen, wenn die Spaltung auf der Linken      kandidat wurde mit Prodi erneut ein parteiloser Expo-
überwunden und die Kommunisten als integrierender         nent; erneut wiederholte sich so die Konstellation ei-
Bestandteil in das Oppositionsbündnis aufgenommen         nes Parteienbündnisses, das auf die geliehene Aus-
wurden. Zweitens aber war nur eine Person als Spit-       strahlungskraft eines „Externen“ angewiesen ist, und
zenkandidat konsensfähig: Romano Prodi. Er, der erst      eines Kandidaten, der auf die geliehene Unterstützung
wenige Jahre vorher gescheitert war, hatte nun auf-       durch die Parteien seines Bündnisses angewiesen
grund seiner Tätigkeit als Präsident der EU-              bleibt. Von der Herausbildung eines konsolidierten
Kommission im fernen Brüssel erneut den Charme            und bei den Wählern glaubwürdigen neuen Partei-
des den täglichen Bündnis- und Parteiquerelen entzo-      ensystems nach der großen politischen Krise von
genen Quereinsteigers.                                    1992 war Italien, so schien es, auch bei den Wahlen
                                                          2006 noch weit entfernt.
FES-Analyse: Italien                                                                                         5

                                    Die Wahlen 2006 -
                       möglicher Schlusspunkt der Transitionsphase

Als Fortsetzung der langen Übergangsphase der ita-         der Regierung vertreten sein sollten. Den Kern der
lienischen Demokratie, zugleich aber auch als ihr          „Unione“ bilden zwei Parteien: die Linksdemokra-
möglicher Schlusspunkt: So erschienen im Vorfeld die       ten und die 2001 aus der christdemokratischen PPI
Parlamentswahlen des April 2006. Denn der Ausgang          und liberaldemokratischen Kräften entstandenen
der Regionalwahlen im April 2005, mit dem Debakel          Margherita. Doch Linksdemokraten und Margherita
Berlusconis und dem Erdrutschsieg des Prodi-               standen zusammen nur für etwa 30% der Stimmen.
Bündnisses, verhieß ebenso wie alle Umfragen vor           Ihr Verhältnis war – trotz der gemeinsamen Unter-
den Wahlen ein eindeutiges Resultat: das politische        stützung Prodis und der verbalen Befürwortung des
Ende Berlusconis und damit das Verschwinden des            Projektes einer Demokratischen Partei – von hoher
„Faktors B“ aus der italienischen Politik.                 Rivalität gekennzeichnet.
    Ein eindeutiges Wahlresultat bei den Parla-          • Zugleich schien mit der erwarteten Ablösung Ber-
mentswahlen 2006 hätte die Voraussetzungen für             lusconis als Führer der italienischen Rechten das
die Rückkehr Italiens zu demokratischer Normali-           Ende einer weiteren italienischen Anomalie mög-
tät schaffen können:                                       lich: der Tatsache, dass die beiden politischen La-
• Auf der Rechten war mit dem für sicher gehaltenen        ger einander als Gefahr für die Demokratie und
   Scheitern Berlusconis die Erwartung verknüpft, er       eher als Feinde denn als Gegner betrachten. Berlus-
   werde sich aus der Politik zurückziehen. Damit          coni galt schon allein wegen seines offensichtlichen
   schien das Auseinanderbrechen seiner Partei Forza       Interessenkonflikts, der ihm als in die Politik ge-
   Italia und in dessen Gefolge das Entstehen einer        gangenen Medienunternehmer entstand, als Gefahr
   nicht mehr exklusiv ans Charisma eines Leaders          für die Demokratie. Er antwortete seinerseits – mit
   gebundenen, großen konservativen Partei möglich.        großem Erfolg bei der eigenen Wählerschaft –, in-
• Auf der Linken hatte Prodi schon im Vorfeld der          dem er eine Allianz aus „Kommunisten“ und „roten
   Wahlen seinen Willen bekundet, die Ausnahme-            Staatsanwälten“ beschwor, die seit jeher versuche,
   situation zu überwinden, in der er sich als „Leader     die Rechte mit einem „Justizputsch“ (d.h. mit den
   ohne Partei“ befand. Prodi favorisierte das Entste-     Verfahren gegen Berlusconi wegen Steuerhinter-
   hen einer großen „Demokratischen Partei“, in der        ziehung, Bilanzfälschung, Korruption etc.) auszu-
   wichtige Kräfte seiner Mitte-Links-Koalition zu-        schalten. Ein Ausscheiden Berlusconis aus der Poli-
   sammenfinden sollten und die das Kraftzentrum der       tik hätte hier für eine Beruhigung der Auseinander-
   Koalition werden konnte. Ein überzeugender Wahl-        setzung sorgen können.
   sieg war eine entscheidende Voraussetzung, um         • Und schließlich hätte Prodi, ausgestattet mit einem
   Prodi mit dem Mandat auszustatten, das Partei-          überzeugenden Mandat der Wähler, all jene Ano-
   gründungsprojekt zügig voranzutreiben.                  malien beseitigen können, die der damalige
• Zudem war ein überzeugender Wählerauftrag für            Ministerpräsident Berlusconi in fünf Jahren an der
   Prodi von zentraler Bedeutung, um mit der großen        Regierung in Gesetzesform gegossen hatte. Dazu
   Zersplitterung und Heterogenität seiner Koalition       gehören die „Ad-Personam-Gesetze“, die mit Ein-
   an der Regierung problemlos fertig zu werden.           griffen ins Strafgesetzbuch und die Strafprozess-
   Nicht zuletzt zusammengeschweißt durch den              ordnung viele der gegen Berlusconi laufenden Pro-
   „Faktor B“, die über alle Trennlinien hinweg eini-      zesse und Ermittlungsverfahren abgewendet hatten,
   gende Gegnerschaft zu Berlusconi, hatten in der         aber auch das Mediengesetz, das Berlusconis
   Mitte-Links-Allianz Parteien zusammengefunden,          Machtstellung als privater Medienunternehmer ze-
   deren Spannbreite von Kommunisten zu Christ-            mentiert und der Regierung totalen Zugriff auf die
   demokraten reichte. Das Bündnis, das 2006 als           staatliche Rundfunkanstalt RAI erlaubt hatte.
   „Unione“ antrat, vereinte eine Unzahl von Listen,
   von denen schließlich 13 im Parlament und neun in
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                 Der Ausgang der Wahlen – eine Wende ohne Wandel?

Silvio Berlusconi war es nur allzu bewusst, dass die       Unterscheidung zwischen Abgeordnetenhaus und Se-
Italiener bei den Wahlen 2006 über mehr als nur über       nat deutlich abgeschwächt. Auch zwei entgegenge-
einen möglichen Regierungswechsel abstimmten. Der          setzte Mehrheiten in den beiden Kammern wurden
Urnengang konnte bei einem deutlichen Resultat sein        nun denkbar. Nicht denkbar war dagegen, dass Prodi
politisches Ende, das Ende seiner Partei und zugleich      ein ähnlich deutliches Übergewicht haben würde, wie
den Eintritt Italiens in eine Phase der politischen Kon-   es Berlusconi 2001 gewonnen hatte, als ihm im Abge-
solidierung unter neuen Vorzeichen einläuten.              ordnetenhaus fast 100 und im Senat 40 Sitze Mehrheit
                                                           zugefallen waren.

              Ein Wahlrecht nach Maß
                                                                             Der Wahlkampf
Die erste Reaktion des scheidenden Ministerpräsiden-
ten und seiner Koalition war eine Änderung des Wahl-       Während ganz Italien schon Monate vor der Wahl die
rechts unmittelbar vor den Wahlen. Seit 1994 waren         Szenarien nach einem Wahlsieg Prodis diskutierte, die
alle Parlamente nach einem gemischten System ge-           Linke mental schon mit der Verteilung von Macht und
wählt worden. 75% der Sitze wurden nach Mehr-              Posten beschäftigt und die Rechte mit Überlegungen
heitswahlrecht britischen Musters vergeben, d.h. der       zur Nach-Berlusconi-Ära ausgelastet war, dachte Ber-
führende Kandidat im Wahlkreis war auch gewählt,           lusconi nicht daran, das Rennen schon im Voraus ver-
wenn er nur die relative Mehrheit erreichte. Die übri-     loren zu geben.
gen 25% wurden nach Proporz über Parteilisten ge-              Wie immer seit 1994 warf er nicht nur seine über-
wählt.                                                     reichlich vorhandenen Ressourcen in den Wahlkampf,
    Die 2006 eingetretene Wahlrechtsänderung sah           sondern engagierte sich auch selbst mit gewohnter
nun eine reine Proporzwahl nach Parteilisten vor.          Energie. Berlusconi reagierte zudem taktisch sehr ge-
Damit sollten zwei Ziele erreicht werden: Erstens          schickt auf das große Handicap, das er gegenüber dem
musste die Mehrheit der siegenden Koalition natur-         Wahlkampf 2001 hatte. Damals hatte er, noch aus der
gemäß niedriger ausfallen als bei einem Mehrheits-         Opposition heraus, den Hauptakzent auf das Verspre-
wahlrecht. Zweitens hatte sich bei allen Wahlen seit       chen eines „neuen italienischen Wunders“ legen und
1994 gezeigt, dass die Mitte-Links-Allianz relativ         wachsenden Wohlstand bei sinkenden Steuern und
mehr Wahlkreisstimmen als Zweitstimmen für die             steigenden Sozialleistungen versprechen können. Im
Parteilisten zu erobern wusste.                            Jahr 2006 musste er sich für fünf Jahre an der Regie-
    Zugleich aber war das neue System kein echtes          rung verantworten, mit einer Bilanz, die auch in der
Proporzsystem. Denn eine weitere Klausel sah vor,          eigenen Anhängerschaft als insgesamt enttäuschend
dass die siegreiche Allianz einen Mehrheitsbonus           empfunden wurde. Italien war das Wachstums-
erhalten sollte. Im Abgeordnetenhaus sollte die vorne      Schlusslicht in Europa, die Einkommen stagnierten,
liegende Koalition automatisch 340 der 630 Sitze er-       von einer Senkung der Staatsquote konnte keine Rede
halten, während im Senat die Bonus-Sitze regional an       sein.
die jeweils im Latium, der Lombardei, dem Piemont              Berlusconi löste dieses Problem, indem er statt auf
etc. führende Allianz fallen sollten.                      Hoffnung auf die in der rechten Wählerschaft weit
    Damit war schon vor der Wahl ein Zwang zur             verbreiteten Ängste vor der Linken setzte. Der Wahl-
Allianzbildung geschaffen, wie er Proporzwahl-             kampf der Rechtskoalition beschwor die katastro-
systemen eigentlich fremd ist. Zudem konnte noch           phalen Folgen eines Prodi-Sieges, der mit dem
jede Kleinstpartei relevant werden: Für die Berech-        Machtantritt der „Kommunisten“ unweigerlich zu
nung des Mehrheitsbonus war entscheidend, welche           höheren Steuern führen müsse.
Parteien im Vorfeld die Zugehörigkeit zu einem der             Auf diese aggressive Angst-Kampagne fand die
Bündnisse erklärt hatten. Die theoretisch gegebene         „Unione“ Prodis insgesamt keine befriedigende
Chance, dank des Mehrheitsbonus trotz Proporzwahl          Antwort. Während Prodi darauf setzte, die Wähler-
zu klaren Mehrheiten zu kommen, wurde durch die            schaft mit beruhigenden Versprechen zu besänftigen –
FES-Analyse: Italien                                                                                           7

„mit mir keine Steuererhöhungen“ – klebten die           zeugenden Wende-Mandats für Prodi hatte es einen
Kommunisten Plakate mit dem Slogan „Auch die Rei-        nun fast zufällig erscheinenden Zittersieg gegeben.
chen werden weinen!“ und spielten so Berlusconi den      Dagegen erlebte der politisch schon totgesagte Ber-
Ball zu. Der Ministerpräsident schärfte den Bürgern      lusconi in der Wahlnacht seine politische Wieder-
immer wieder ein, er selbst werde die Grundsteuer        auferstehung. Er galt nun auf der Rechten als jener
abschaffen. Die Linke dagegen wolle diese Steuer er-     Politiker, der fast im Alleingang die drohende
höhen, außerdem plane sie die Wiedereinführung der       katastrophale Niederlage abgewendet hatte. Prozentu-
von ihm abgeschafften Erbschaftssteuer auch für klei-    al war seine Koalition auf fast das gleiche Ergebnis
ne Vermögen. Auch dies dementierte die Linke, ver-       gekommen wie 2001, und wenn auch seine Forza Ita-
strickte sich aber in eine bizarre Diskussion darüber,   lia auf nur noch 23,7% (2001: 29,4%) kam, lag dieser
was nun „Großvermögen“ seien, ohne eine befriedi-        Wert doch deutlich über den von den Wahlforschern
gende Antwort zu ihren Plänen zu liefern.                vorhergesagten 18-20%.
    Auf diesem Wege und mit scharfen, ideologisch            Berlusconi verstärkte die psychologische Wir-
aufgeladenen Tönen gelang es Berlusconi auch dies-       kung des relativen Wahlerfolges noch, indem er
mal wieder, die eigene Anhängerschaft komplett zu        nicht einmal die knappe Niederlage eingestand,
mobilisieren – um den Preis eines völlig vergifteten     sondern stattdessen das eigene Resultat zum „ge-
Klimas zwischen den beiden politischen Blöcken des       raubten Sieg“ umdeutete. Tagelang hielt er ganz
Landes.                                                  Europa mit der Behauptung in Atem, nur Unregelmä-
                                                         ßigkeiten und offene Wahlfälschung hätten der Linken
                                                         den Sieg eingetragen. Belege ließen sich für diese Be-
       Das Resultat: ein „gespaltenes Land“              hauptung bisher nicht finden, und das Kassations-
                                                         gericht erklärte denn auch die Prodi-Allianz zum
Berlusconis Rechnung ging auf: Statt des selbst noch     Wahlsieger. Berlusconi dagegen ist nie von seiner
in den exit polls vorhergesagten klaren Siegs der Uni-   Darstellung abgerückt und fordert bis heute die kom-
one kam es zu einem spektakulären Kopf-an-Kopf-          plette Neuauszählung aller Stimmzettel.
Rennen. Am Ende stand mitten in der Wahlnacht Pro-           Ernsthaft rechnet auch Berlusconi nicht mit einer
di als Sieger fest. Im ganzen Land konnte er bei den     positiven Antwort auf diese Forderung. Nützlich ist
Stimmen zum Abgeordnetenhaus einen Vorsprung             sie trotzdem: sie dient als Grundlage für die Festigung
von gerade 24.755 Stimmen verzeichnen; mit 0,6 Pro-      der Überzeugung, Prodi sei nicht mit voller demokra-
zent Vorsprung errang seine Allianz 49,8%, während       tischer Legitimität ausgestattet. Zudem kann Berlus-
Berlusconis „Haus der Freiheiten“ auf 49,74% kam.        coni von diesem Punkt aus seine Position verkünden,
Dies verschaffte Prodi allerdings eine klare Mehrheit:   Italien sei ein akkurat in zwei Hälften gespaltenes
dank des Wahlrechts erhielt sein Bündnis 340 der 630     Land. Prodis Wahlsieg sei daher im besten Falle ein
Sitze.                                                   Unentschieden, das der regierenden Koalition mora-
   Im Senat dagegen, der von den über 25-jährigen        lisch nicht erlaube, gegen die Rechte zu regieren.
Bürgern gewählt wird, lag das Berlusconi-Lager lan-          Wahr daran ist, dass Italien tatsächlich in zwei po-
desweit mit 50,2% (Unione: 49,0%) vorne. Da der          litisch kaum miteinander kommunizierende Blöcke
Mehrheitsbonus aber Region für Region vergeben           gespalten ist. Doch auch wenn die Rede vom „gespal-
wurde, reichte es dennoch für eine Mehrheit der Sitze    tenen Land“ erst nach den Wahlen von 2006 aufge-
von 158 zu 156 für Prodi.                                kommen ist, stellt diese Situation keine Neuheit dar.
   Dies machte den Erfolg Prodis schon materiell zu      Im Gegenteil: Sie ist Teil jener Anomalie, die die Prä-
einem verstümmelten Sieg. Die hauchdünne Mehr-           senz des „Faktors B“ in der italienischen Politik bil-
heit im Senat machte den Regierungschef erpress-         det. Denn es ist Berlusconi selbst, der seit 1994 mit
bar, nicht nur durch jede einzelne der ihn stützen-      großem Erfolg auf die Freund-Feind-Polarisierung in
den Parteien: Selbst einzelne Senatoren konnten          der innenpolitischen Auseinandersetzung setzt und
nun den neuen Regierungschef mit der Drohung             jede Wahl nicht zur Entscheidung über die zukünftige
des Ausscheidens aus der Koalition unter Druck           Regierung, sondern über die demokratische bzw.
setzen.                                                  „kommunistische“ Zukunft des Landes umdeutet.
   Doch auch psychologisch handelte es sich um ei-           In einem weitergehenden Sinne aber hat Ber-
nen verstümmelten Sieg. Statt des erwarteten über-       lusconi nur eine von ihm vorgefundene Spaltung
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des Landes politisch ausgebeutet. Schon seit dem         so auch in einem zweiten Sinne zum Schreckgespenst
Ende der 1940er Jahre hatten sich die mächtige           der selbstständigen Mittelschichten: Sie verkörperte
Christdemokratische Partei auf der Rechten und           nicht bloß die „kommunistische Gefahr“, sondern
die KPI (die größte Kommunistische Partei in ei-         auch die Drohung einer rigideren Steuerpolitik.
nem Land des freien Westens) auf der Linken ge-             Berlusconi hatte im Jahr 1994 sehr richtig erkannt,
genüber gestanden. Beide Parteien organisierten ihre     dass die „alten“ Spaltungen mit dem Ende des Ost-
Anhängerschaft in einem dichten Netz gesellschaftli-     West-Gegensatzes keineswegs hinfällig waren – man
cher Organisationen bis hin zum – mal katholischen,      musste sie nur am Leben erhalten. Dies tat Berlusconi
mal „roten“ – Sportverein und schufen so regelrechte     mit einer geschickten Propaganda, die vor allem an
politische „Subkulturen“. Wählerwanderungen zwi-         die Angst der Mittelschicht-Wähler vor dem „linken“
schen den beiden Lagern – die in den Romanfiguren        Steuerstaat appellierte. Bis heute ist die „kommunisti-
Don Camillo und Peppone gar nicht allzu unrealis-        sche Gefahr“, in der altbewährten „christdemokrati-
tisch abgebildet waren – fanden so gut wie gar nicht     schen“ Mischung zwischen ideologischen Kreuzzugs-
statt. Zentral war auf beiden Seiten ein hoher Grad an   tönen und Appellen an die Interessen der Selbststän-
ideologischer Bindung. Gerade bei der Christde-          digen, fester und wirksamer Bestandteil der politi-
mokratie spielte auch eine gezielte Interessenpolitik    schen Rhetorik der italienischen Rechten.
eine wichtige Rolle, die nicht zuletzt die Angehörigen      Dass nach der Wahl vom 9./10. April 2006 die Di-
der selbständigen Mittelschichten – Landwirte, Händ-     agnose vom tief gespaltenen Land weiterhin stimmt,
ler, Handwerker – systematisch begünstigte. Jene         zeigt deutlich, wie wenig sich die Erwartung erfüllt
Selbstständigen, die damals wie heute knapp ein Drit-    hat, jener Urnengang könne mit einem klaren Resultat
tel der Erwerbsbevölkerung zählten, durften sich zum     und dem darauf folgenden Ausscheiden Berlusconis
Beispiel sicher sein, dass die Steuerfahndung sehr       aus der Politik einen grundlegenden Wandel nach sich
nachlässig mit dem weit verbreiteten Tatbestand der      ziehen. Statt einen grundlegenden Wandel herbei-
Steuerhinterziehung umging. Umgekehrt setzte die         zuführen, präsentierte sich der Wahlgang 2006
KPI in ihrer politischen Rhetorik immer auf die Gei-     zunächst bloß als weitere Etappe in der Italien seit
ßelung dieses Missstandes, mit dem erklärten Ziel, die   1994 charakterisierenden politischen Übergangs-
Arbeitnehmer für sich zu gewinnen. Die Linke wurde       phase.

                           Die Perspektiven der Mitte-Links-Allianz

So knapp Prodis Sieg am Ende auch war – er stell-        jedoch die absolute Mehrheit der Wähler auf ihrer Sei-
te doch in wenigstens einer Hinsicht ein Novum           te zu haben.
dar. Zum ersten Mal nämlich seit Berlusconis Ein-            Bei den Wahlen von 2001 wiederum hatte Berlus-
stieg in die Politik 1994 war es dem italienischen       coni seinen Block erneut geeint und 49,6% der Stim-
Mitte-Links-Bündnis gelungen, die Rechte aus ei-         men davongetragen, während das Ölbaum-Bündnis
gener Kraft zu schlagen.                                 auf 35,6% und die separat angetretene „Rifondazione
    Denn Prodis Sieg von 1996 war alleine deshalb zu-    Comunista“ auf 5,0% gekommen waren. „Dritte“,
stande gekommen, weil sich in jener Wahl die Rechte      (keine der beiden Allianzen angehörige Kräfte) hatten
gespalten präsentiert hatte. Einerseits war Berlusconi   9,8% erreicht.
damals im Bündnis mit den Postfaschisten der Allean-         2006 dagegen war es Prodi gelungen, einerseits ei-
za Nazionale (AN) und den Christdemokraten der           nen Pakt mit den Kommunisten zu schließen und an-
DDC-CDU (die dann zur UDC fusionieren sollten)           dererseits auch alle bisher zwischen den beiden La-
angetreten; andererseits war die rechtspopulistische     gern aktiven Parteien ins Bündnis zu ziehen. Zwar
Lega Nord in allen Wahlkreisen Norditaliens mit ei-      gelang es Prodi nicht, der Berlusconi-Allianz
genen Kandidaten ins Rennen gegangen. Von dieser         Stimmen abspenstig zu machen – deren Resultat
Zersplitterung der Rechten – deren Parteien bei der      blieb mit 49,7% (gegenüber 49,6% 2001) völlig un-
Proporzstimme damals insgesamt auf 52,5% gekom-          verändert –, doch er konnte als letztlich ausschlag-
men waren – hatte am Ende die Linke profitiert, ohne     gebenden Erfolg vorweisen, alle nicht mit
FES-Analyse: Italien                                                                                              9

Berlusconi paktierenden Parteien zu einem Anti-             anstrebte, und er hatte schon im Vorfeld versucht,
Berlusconi-Bündnis geeint zu haben.                         das Problem einzuhegen.
    Die so erreichte arithmetische Stärke bezeichnet           Erstens hatte er auf der Abhaltung einer Ur-
zugleich jedoch die politische Schwäche des Bünd-           wahl unter den Anhängern des Mitte-Links-
nisses. Dessen Spektrum reicht von Politikern der Eu-       Bündnisses zur Bestimmung des Spitzenkandida-
ropäischen Volkspartei, die in Deutschland bei Angela       ten bestanden. Damit wollte er vermeiden, wie in den
Merkel zu Hause wären, zu Neo-Kommunisten, deren            Jahren 1996-98 aufgrund seiner fehlenden Hausmacht
deutsche Partner Gregor Gysi und Lothar Bisky hie-          zum Spielball der Koalition zu werden, um schließlich
ßen. Zudem fehlt der Koalition ein wirkliches Kraft-        sang- und klanglos abgelöst zu werden. Diese im Ok-
zentrum, da selbst die stärkste Partei nicht über gut       tober 2005 abgehaltenen „Primarie“ bescherten ihm
17% hinauskommt. Und schließlich steht ihr ein par-         ein doppelt überzeugendes Resultat: 4,3 Millionen
teiloser Ministerpräsident ohne eigene politische           Bürger fanden an die Urnen (sie mussten eine Erklä-
Hausmacht vor. Insgesamt sind im Parlament 13               rung unterzeichnen, dass sie sich zum Mitte-Links-
Parteien vertreten, die sich zu Prodis Allianz zäh-         Lager zugehörig fühlten, und einen Euro bezahlen),
len. Neun von ihnen sitzen mit Ministern oder               und sie stimmten mit über 75% für Prodi.
Staatssekretären in der Regierung:                             Zweitens hatte Prodi auf die Verabschiedung
• Die aus der KPI hervorgegangenen Linksdemokra-            eines von allen Parteien unterzeichneten Pro-
   ten (DS) mit 17,5% der Senatsstimmen. Ihr gewich-        gramms gedrungen, um die Partner auch in der
   tigster Mann im Kabinett ist Außenminister und           Sache auf die Koalitionsdisziplin verpflichten zu
   Vize-Premier Massimo D’Alema. Der Parteivorsit-          können. Dabei kam ein Konvolut von 281 Seiten her-
   zende Piero Fassino übernahm kein Regierungsamt.         aus, das kein Politikfeld auslässt, aber dennoch zu vie-
• Die Mitte-Partei „Margherita“ mit 10,7% der Se-           len Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik, der
   natsstimmen unter ihrem Parteivorsitzenden Fran-         Bürgerrechte, des Umweltschutzes und der internatio-
   cesco Rutelli, der als Kulturminister und Vize-          nalen Rolle des Landes Formelkompromisse enthält.
   Premier in die Regierung eintrat. Die „Margherita“          Drittens schließlich hatte Prodi die beiden
   ist ein 2001 gebildeter Zusammenschluss der              stärksten Partner, die Linksdemokraten und die
   christdemokratischen Partito Popolare Italiano und       Margherita, zur Kandidatur auf einer gemeinsa-
   anderen linksliberalen Kleinparteien.                    men Liste gedrängt. Diese Liste sollte gleichsam den
• Die Parteien des Linksaußen-Flügels der Koalition,        Prodi am nächsten stehenden Kern der Koalition ver-
   sprich „Rifondazione Comunista“ mit 7,4% der Se-         körpern, sie sollte das Kraftzentrum der Koalition bil-
   natsstimmen, die „Comunisti Italiani“, die sich          den, und sie sollte den Wählern die Perspektive der
   1998 von Rifondazione Comunista abgespalten hat-         Herausbildung einer starken „Demokratischen Partei“
   ten, und die Grünen. Die beiden letztgenannten Par-      signalisieren. Hier war dem Spitzenkandidaten nur ein
   teien kamen auf je gut 2% und bildeten für den Se-       Teilerfolg beschieden. Für das Abgeordnetenhaus ei-
   nat eine gemeinsame Liste, die 4,3% erreichte.           nigten sich die beiden Parteien auf die Einheitsliste
• Die laizistisch-bürgerrechtliche und zugleich in          des „Ölbaums“. Für den Senat hingegen gab es ge-
   Fragen der Wirtschaftspolitik neoliberale Radikale       trennte Kandidaturen, da keine der beiden Parteien auf
   Partei bildete mit der nach dem Zusammenbruch            das für die Verteilung von Posten ebenso wie für die
   von Bettino Craxis Sozialistischer Partei entstande-     Frage des politischen Gewichts entscheidende Kräf-
   nen Kleinpartei „Socialisti Democratici Italiani“ ei-    temessen verzichten wollte.
   ne Einheitsliste, die auf 2,5% kam.                         Vor allem aber hatte Prodi auf ein überzeugen-
• Die aus dem Zusammenbruch der DC entstandene              des Mandat der Wähler gesetzt. Dies hätte ihm er-
   christdemokratische UDEUR, die 1,4% erreichte.           laubt, aus einer Position der Stärke heraus mit den
• Die vom früheren Anti-Korruptions-Staatsanwalt            vielen Koalitionspartnern zu verhandeln – und gege-
   Antonio Di Pietro ins Leben gerufene und geführte        benenfalls das Veto eines der zahlreichen kleineren
   Partei „Italia die Valori“ (IdV, „Italien der Werte“),   Partner dank breiter Mehrheiten einfach zu übergehen.
   die 2,9% der Wähler für sich gewinnen konnte.               Der letztlich erreichten kleinstmöglichen Mehr-
Romano Prodi war völlig bewusst, mit welch’ hete-           heit steht eine große Spannbreite der Positionen
rogener Koalition er die Regierungsübernahme                auf wichtigen Politikfeldern gegenüber.
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           Wirtschafts- und Sozialpolitik                                      Umweltpolitik

In der Wirtschafts- und Sozialpolitik verläuft die         Die gleiche Konfliktlinie kennzeichnet die Umweltpo-
Konfliktlinie zwischen den Mitte-Parteien und der          litik. Im Wahlkampf bestand weitgehende Einigkeit
gemäßigten Linken der DS einerseits, der so                über die Ablehnung des von Berlusconi angeschobe-
genannten „antagonistischen“ Linken der beiden             nen Prestigeprojekts der Brücke von Messina, die in
Kommunistischen Parteien und der Grünen ande-              Zukunft Sizilien mit dem Festland verbinden sollte.
rerseits. Rhetorisch können sich beide Lager auf die       Die Prodi-Allianz lehnte dieses mit sechs Milliarden
Formel „Sanierung, Gerechtigkeit, Innovation“ eini-        Euro veranschlagte Projekt als zu teuer und umwelt-
gen, in der konkreten Ausgestaltung aber drohen im-        schädlich ab. Andere Infrastrukturprojekte dagegen
mer wieder Konflikte, die zum Beispiel in den              wurden im Wahlprogramm gar nicht angesprochen –
Herbstmonaten 2006 die Diskussion und Verabschie-          weil es keinen Konsens gab. Die größte Sprengkraft
dung des Staatshaushaltes 2007 zum für die Mitte-          könnte die Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke
Links-Wähler völlig unverständlichen Hin und Her           Turin-Lyon entfalten, die durch das Alpental Val di
über Steuersenkungen und -erhöhungen machten.              Susa führen soll. Grüne und Kommunisten mobilisie-
    Ein zentrales Feld der Auseinandersetzung war da-      ren gemeinsam mit der Mehrheit der örtlichen Bevöl-
bei die Frage, wie weit die steuerliche Entlastung der     kerung gegen das Projekt, während das Gros der Mit-
Unternehmen gehen sollte. Prodi hatte eine solche          te-Links-Koalition die Hochgeschwindigkeitsstrecke
Entlastung im Wahlkampf in Aussicht gestellt, um die       für unverzichtbar hält.
Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen zu erhöhen.
Die Rede war von einer Senkung der Lohnnebenkos-
ten um 5% (gerechnet als Anteil der gesamten Lohn-                             Außenpolitik
kosten). Am Ende fand die Koalition einen Kompro-
miss, der 60% der Absenkung den Unternehmen zu-            In der Außenpolitik ist zwischen den Koalitions-
gute kommen ließ, während die restlichen 40% in die        parteien die Abkehr vom Kurs der Regierung Ber-
Senkung der Einkommenssteuer für die unteren und           lusconi unstrittig. Berlusconi hatte einerseits im Irak-
mittleren Einkommensgruppen flossen.                       Konflikt auf einen engen Schulterschluss mit der
    Weiterhin umstritten ist die Frage der Rentenre-       Bush-Administration gesetzt; andererseits hatte die
form. Der linke Flügel der Koalition und die Gewerk-       Rechtsregierung die traditionell sehr pro-europäische
schaften wollen jede Regelung vermeiden, die zum           Haltung aller italienischen Regierungen der letzten
Beispiel auf eine Erhöhung des Renteneintrittsalters       Jahrzehnte zugunsten eines europaskeptischen Kurses
hinausläuft. Linksdemokraten und Margherita halten         verlassen.
dagegen eine solche Reform noch im Jahr 2007 für               Immer wieder wurde diese Kursänderung zudem
unabweisbar.                                               mit kaum verhüllten Polemiken gegen die „Achse Pa-
    Schließlich drohen weitere Konflikte auf dem Feld      ris-Berlin“ unterfüttert. Berlusconi, der seine An-
der Arbeitsmarktpolitik. In Italien gibt es mittlerweile   sprechpartner in Europa spätestens mit Ausbruch des
etwa 2,5 Millionen so genannte prekäre Beschäfti-          Irak-Krieges in Blair und Aznar sah, brachte die Be-
gungsverhältnisse. Vor allem die Regierung Berlusco-       ziehungen zu Frankreich und Deutschland auf einen
ni hatte mit ihren Gesetzen eine weitgehende Flexibi-      Tiefpunkt. Der Eklat um Berlusconis Auftritt im Eu-
lisierung des Arbeitsmarktes durchgesetzt. Der linke       ropäischen Parlament im Juli 2003 – als er den deut-
Flügel der Prodi-Koalition fordert jetzt – unter dem       schen Sozialdemokraten Martin Schulz als „Kapo“
Schlagwort „Abschaffung der Berlusconi-Gesetze“ –          schmähte – machte weltweit die Verschlechterung der
eine drastische Eingrenzung der flexiblen Beschäfti-       deutsch-italienischen Beziehungen deutlich.
gungsverhältnisse. Linksdemokraten und Margherita              In der Abkehr von diesem Kurs weiß Romano Pro-
dagegen denken an punktuelle Korrekturen dieser Ge-        di die gesamte Koalition hinter sich. Wie vor dem
setze, um die Stellung der prekär Beschäftigten zu         Amtsantritt Berlusconis im Jahr 2001 gilt auch nach
verbessern, ohne jedoch die Flexibilität des Arbeits-      dem Regierungswechsel 2006 wieder: Italien sieht die
marktes zu beseitigen.                                     wichtigsten außenpolitischen Partner in Deutschland
                                                           und Frankreich. Politischen Konfliktstoff mit der
                                                           Bundesregierung gibt es mit Ausnahme der Frage des
                                                           ständigen Sitzes im UN-Sicherheitsrat in keinem rele-
FES-Analyse: Italien                                                                                         11

vanten Punkt. Wie Deutschland setzt Italien unter             Eine „Demokratische Partei“ als Lösung?
Prodi nicht zuletzt auf die Wiederaufnahme des Ver-
fassungsprozesses in Europa. Und Vertreter der italie-   Zusätzliche Brisanz erhalten diese inhaltlichen Di-
nischen Regierung knüpfen daran immer wieder den         vergenzen in der Koalition mit einer Fülle von
expliziten Hinweis, dass sie die Bundesregierung als     Partnern, die kaum ein italienischer Bürger aufzu-
wohl wichtigsten Partner bei neuen Schritten zur eu-     zählen weiß, durch das Problem der „Sichtbar-
ropäischen Integration betrachten.                       keit“. Unabhängig von inhaltlichen Positionen
    Unstrittig war in der Koalition auch der im De-      müssen die Parteien täglich um die ihnen gebüh-
zember 2006 beschlossene Abzug des 3000 Solda-           rende Rolle in der Koalition kämpfen. Dies führt zu
ten starken italienischen Kontingentes aus dem           Spannungen zwischen den wichtigen Lagern der Koa-
Irak. Die verbleibenden internationalen Missionen        lition, der radikalen Linken einerseits, der gemäßigten
unter italienischer Beteiligung bergen großen Kon-       Linken und den Mitte-Kräften andererseits. Es führt
fliktstoff für die Koalition: Über die erneute Ab-
                                                         aber auch zu Konflikten in diesen Lagern. So rivali-
stimmung zur Fortsetzung des Afghanistan-
Einsatzes war die Koalition im März 2007 fast zer-       sieren die beiden Kommunistischen Parteien heftig
brochen, als mehrere Abgeordnete gegen den               miteinander, und auch das Verhältnis zwischen DS
Verbleib in Afghanistan gestimmt hatten und der          und Margherita ist von kontinuierlicher Rivalität in
Ministerpräsident zurückgetreten war. Die Mehr-          der Auseinandersetzung um die Vorherrschaft ge-
heit im Senat konnte Prodis Mitte-Links-Bündnis          prägt.
nur dank den Stimmen der oppositionellen Christ-             Vor diesem Hintergrund waren unmittelbar nach
demokraten der UDC gewinnen.                             der Regierungsbildung skeptische Stimmen zu hören,
Die Parteien am linken Rand hatten in den Jahren der     die der Regierung höchstens einige Monate Lebens-
Regierung Berlusconi regelmäßig gegen die Mission
                                                         zeit zutrauten und ein Scheitern spätestens mit den
in Afghanistan votiert und fordern weiterhin einen
Rückzug Italiens. Prodi konnte im Sommer 2006 eine       Haushaltsberatungen vom November/Dezember prog-
Niederlage im Senat – acht Senatoren seiner Koalition    nostizierten. Zum schnellen Untergang ist es jedoch
drohten gegen die Mission zu stimmen – nur durch         nicht gekommen.
Stellung der Vertrauensfrage vermeiden.                      Stattdessen konnte die Regierung einige für sie
                                                         wichtige politische Erfolge verbuchen. Ihr gelang
                                                         es, Italien wieder ins Konzert der europäischen
                                                         Mächte zurückzuführen und das internationale
                   Bürgerrechte                          Gewicht des Landes mit der Übernahme einer
                                                         zentralen Rolle in der UN-Mission im Libanon zu
Völlig anders verlaufen dagegen die Konfliktlinien       erhöhen. Außerdem gelang ihr die Verabschiedung
auf dem Feld der Bürgerrechte. Hier präsentieren         eines Haushaltes, der das Defizit des Landes, das
sich große Teile der Mitte-Partei „Margherita“           2006 noch bei über 5% lag, im Jahr 2007 auf vor-
unter Francesco Rutelli ebenso wie die christde-         aussichtlich nur noch 2,8% zurückführen wird.
mokratische UDEUR unter Justizminister Clemen-               Romano Prodis numerische Schwäche im Parla-
te Mastella sehr vatikannah. Diese Kräfte wollen         ment hat sich zumindest in dieser ersten Phase als po-
höchstens sehr vorsichtige Reformen auf dem Feld         litische Stärke erwiesen. Allen Koalitionspartnern ist
etwa gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften         klar, dass ihre Regierung nur diese eine Chance hat
hinnehmen, während die gemäßigte ebenso wie die          und dass nach einem Scheitern unweigerlich Neuwah-
radikale Linke für entschlossene Lösungen nach dem       len folgen würden, die einen sicheren Sieg Berlusco-
Vorbild der meisten anderen europäischen Länder ein-     nis über die dann als Versager-Bündnis dastehende
treten. Die Katholische Kirche hat – nicht nur in        Mitte-Links-Koalition mit sich brächten. Dennoch
Gestalt der italienischen Bischofskonferenz, sondern     stellt sich die Frage, ob die dünne Mehrheit Prodis zu
auch die Kurie und Papst Benedikt XIV selbst – den       mehr reicht als zum politischen Überleben. Schon in
Ton in den letzten Monaten drastisch verschärft. Da-     den Jahren 1996-2001 hatte die Mitte-Links-Allianz
her ist kaum zu erwarten, dass die katholischen Kräfte   trotz knapper Mehrheit – und nicht zuletzt aus Angst
in der Koalition einen Kompromiss mittragen, der         vor vorgezogenen Wahlen – überdauert, ohne sich den
nicht-eheliche Lebensgemeinschaften mit der Ehe zi-      Wählern aber als geeintes Bündnis mit überzeugender
vilrechtlich weitgehend gleichstellt.                    Perspektive darzustellen.
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Prodi setzt aus diesem Grund weiterhin vor allem auf     kratischen Partei Europas (SPE) an. Ein Austritt aus
das Projekt einer Demokratischen Partei. Seit den        diesen Organisationen würde von großen Teilen der
Wahlen erscheint dieses Projekt nicht zuletzt deshalb    Basis als Verrat an der eigenen Identität verstanden; in
realistisch, weil es relativ erfolgreich war: Die ge-    der Folge würden die Gegner der Demokratischen
meinsame „Ölbaumliste“ aus DS und Margherita er-         Partei weiteren Zulauf erhalten. Der DS-Vorsitzende
reichte im Abgeordnetenhaus 31,3% Wiederholung           Piero Fassino hat andererseits bisher immer erklärt,
von Seite 9, während die Summe der beiden separaten      die neue Partei werde selbstverständlich in der Fami-
Listen von DS und Margherita im Senat nur 28,2%          lie der Sozialistischen Parteien verbleiben. Führende
ergibt.                                                  Vertreter der Margherita dagegen – die ja oft genug
    Eine neue Partei würde erstens zu einer bei wei-     eine christdemokratische Vergangenheit haben – be-
tem größten Mitte-Links-Partei mit 30-35% füh-           kundeten auch auf ihrem Parteitag im April 2007, sie
ren; sie würde zweitens das Problem der Dauerri-         könnten sich keinesfalls vorstellen, auf dem Umweg
valität zwischen DS und Margherita lösen; und sie        der internationalen Zugehörigkeit zu Sozialisten zu
würde drittens dem bisher parteilosen Prodi end-         mutieren.
lich eine politische Heimat verschaffen. Bisher              Weitere große Probleme entstehen auf dem Feld
wollen zwar sowohl die Parteiführungen als auch          der politischen Identität. In der Margherita beziehen
Prodi dieses Projekt – hinter diesem Willen steht        zahlreiche Politiker offen klerikale Positionen und
aber eher kühles politisches Kalkül anstatt einer        machen aus ihrer Nähe selbst zu Organisationen wie
neuen politischen Identität und eines einigenden         dem Opus Dei keinen Hehl. Diese Politiker, die sich
Gemeinschaftsgefühls nötigen politischen Passion.        zum sogenannten „Teo-Dem“-Flügel der vatikantreu-
    Im Oktober 2006 kam es zu einer ersten großen        en Demokraten zusammengeschlossen haben, reagie-
Konferenz der beiden Parteien in Orvieto. Dort einig-    ren mit großer Aggressivität auf Vorschläge etwa zur
ten sie sich auf einen Fahrplan zur Parteigründung. In   Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensgemein-
einem zweiten Schritt beschlossen die im April 2007      schaften – und sind für die Anhänger der DS ein rotes
parallel abgehaltenen Parteitage der DS und der Mar-     Tuch. Bei den Linksdemokraten hatte sich vor diesem
gherita die Einleitung der „konstituierenden Phase“      Hintergrund breiter innerparteilicher Widerstand ge-
für die Demokratische Partei, die mit der Wahl der       gen das Projekt formiert. Der linke Parteiflügel (mit
Konstituierenden Versammlung voraussichtlich im          etwa 15% der Mitglieder) lehnte den Zusammen-
Oktober 2007 angegangen werden soll. Im Jahr 2008        schluss rundheraus ab.
soll dann die eigentliche Parteineugründung erfolgen,        Schon der Beschluss, die DS in die Demokratische
damit bei den Wahlen zum Europäischen Parlament          Partei überzuführen, hatte schließlich auf dem Partei-
2009 eine erste Kandidatur der Demokratischen Partei     tag im April zum Auszug der linken Minderheit eben-
möglich wird. Offen ist aber weiterhin, in welcher       so wie einiger Skeptiker auch aus der Parteimitte ge-
Form das Projekt realisiert wird: Als „Föderation“       führt. In der Folge konstituierte sich diese Minderheit
zwischen DS und Margherita, in der beide Parteien        als „Sinistra Democratica“ (SD) – „Demokratische
zunächst unter einem Dach fortexistieren, oder in der    Linke“ – und erklärte, statt der Gründung einer De-
Form einer Fusion.                                       mokratischen Partei müsse das Ziel die Zusammen-
    Sicher ist aber eines: Ein Scheitern des Projek-     führung der versprengten linken Kräfte in der Prodi-
tes wäre katastrophal, da Ministerpräsident Ro-          Koalition sein. Zu der abgespaltenen Gruppierung
mano Prodi genauso wie die Führungen der beiden          unter Führung von Wissenschaftsminister Fabio Mus-
Parteien die Neugründung zur strategischen Vor-          si zählen 21 Abgeordnete und 12 Senatoren, die mitt-
aussetzung der Zukunftsfähigkeit der Koalition           lerweile eigene Fraktionen bildeten. Die SD hat inten-
erklärt haben. Im Falle eines Misserfolges müssten       sive Kontakte einerseits zu der Kleinpartei der Sozia-
sie mit einem kaum gutzumachenden Verlust ihrer          listen, andererseits zu den beiden Kommunistischen
politischen Glaubwürdigkeit leben.                       Parteien in der Prodi-Allianz geknüpft. Dies markiert
    Sicher ist jedoch auch, dass das Gründungspro-       ihren politischen Widerspruch: Einerseits erklärt die
jekt noch große Hürden zu überwinden hat. Diese          SD, sie sei beim Projekt der Demokratischen Partei
beginnen bei der Frage der internationalen Zugehörig-    nicht dabei, weil diese Neuschöpfung automatisch den
keit der Partei. Die Linksdemokraten gehören der So-     Bruch mit der internationalen Familie der Sozialisti-
zialistischen Internationale (SI) und der Sozialdemo-    schen und Sozialdemokratischen Parteien mit sich
FES-Analyse: Italien                                                                                           13

bringen müsse – in dieser Logik wäre das Zusammen-            Flügels sowie der Kommunisten begleitet wäre.
gehen mit den Sozialisten, die allerdings nur auf 2%          Statt ein gestärktes Zentrum der Koalition mit sich
kommen, zwingend. Andererseits aber hat die SD, die           zu bringen, könnte dieses Szenario zu dem parado-
sich fast vollständig aus dem linken Flügel der DS            xen Resultat einer Stärkung des „antagonistisch-
rekrutiert, politisch weit mehr Berührungspunkte mit          linken Flügels der Prodi-Koalition führen.
den beiden Kommunistischen Parteien – und so ist           • Ein völliges Scheitern, etwa weil die Frage der in-
durchaus die ironische Wendung vorstellbar, dass die          ternationalen Zugehörigkeit der neuen Partei keiner
Dissidenten im Namen des europäischen Sozialismus             befriedigenden Lösung zugeführt werden kann.
am Ende eine Einheitsliste mit den Kommunisten             Jenseits der Frage, welches dieser Szenarien am Ende
schaffen.                                                  Realität werden wird, ist aber jetzt schon gewiss, dass
    Vor diesem Hintergrund sind drei mögliche              der Gründungsprozess die Koalition Prodis weiteren
Szenarien denkbar:                                         Belastungen aussetzen wird. Es ist kaum denkbar,
• Ein Erfolg des Gründungsprojektes: Er wäre dann          dass die zu erwartenden harten Auseinandersetzungen
   gegeben, wenn das Gros der Margherita sowie der         auf der Linken der Koalition zwischen der DS und der
   DS den Zusammenschluss mittrügen und weitere            abgespaltenen SD, womöglich aber auch zwischen DS
   bisher nicht an Parteien gebundene Kräfte der ge-       und Margherita, ohne Folgen für das Koalitionsklima
   mäßigten Linken gewinnen könnten – und wenn die         bleiben, auch wenn sie unmittelbar mit der Politik der
   neue Kraft bei Wahlen auf über 30% käme.                Regierung nichts zu tun haben.
• Ein Teilerfolg: Er läge dann vor, wenn die Grün-             Doch womöglich hat Prodi einen wertvollen
   dung zwar erfolgte, aber von der Schaffung einer        Alliierten: die italienische Rechte. Denn sie ist in
   starken Einheitsliste auf der Linken der Koalition      der Frage der Zukunft des Oppositionsbündnisses
   unter Beteiligung des von der DS abgespaltenen          tief gespalten.

                          Die Perspektiven der italienischen Rechten

Auf dem Papier ist Italiens Rechte unbeschädigt aus        ten Blick korrespondiert die anscheinende Stärke
den letzten Wahlen hervorgegangen, auch wenn diese         der Opposition mit einer von Beginn an als
den Verlust der Regierung mit sich brachten. Das un-       schwach wahrgenommenen Regierung Prodi.
erwartet gute Resultat führte zu einer Situation, in der       Bei näherem Hinsehen aber erscheint ein
die Rechte als das Lager dastand, das verloren hatte,      schnelles Scheitern der Koalition und eine Rück-
ohne jedoch wirklich besiegt worden zu sein, und das       kehr Berlusconis an die Macht eher unwahrschein-
weiterhin und ohne jeden Einbruch die Hälfte der           lich. Silvio Berlusconi ist mittlerweile 70 Jahre alt,
Wählerschaft hinter sich wusste. Anders als die Linke      eine realistische Perspektive der Rückkehr an die Re-
nach ihrer Niederlage 2001 zeigte denn auch Italiens       gierung hätte er nur, wenn die Mitte-Links-Allianz
Rechte – die Politiker genauso wie die Anhänger-           schnell scheitert – eben dies wollen aber zwei der Op-
schaft im Land – keinerlei Zeichen politischer Demo-       positionsparteien nicht. Gianfranco Fini, Chef der
ralisierung. Einen eindrucksvollen Beleg ihrer Stärke      postfaschistischen Alleanza Nazionale (AN), rechnet
lieferte sie mit ihrer Massendemonstration vom 2. De-      sich ebenso Chancen auf die Spitzenkandidatur der
zember 2006 in Rom. Die genannte Teilnehmerzahl            italienischen Rechten aus wie Pierferdinando Casini,
von zwei Millionen war zwar kräftig übertrieben, se-       Leader der christdemokratischen UDC; Chancen, die
riöse Schätzungen aber sprechen von 400.000 bis            jedoch reifen müssen. Deshalb haben weder Fini noch
700.000 Demonstranten. Und auch die Meinungsum-            Casini Interesse an einer schnellen Regierungskrise
fragen sahen die Rechte zum Ende des Jahres 2006           mit Neuwahlen, die als Rechtskandidaten nur Berlus-
mit 52-55% wieder deutlich in Führung. Auf den ers-        coni sehen könnten.
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