Gümpel/Pinotti: Berlusconi Zampano - Kapitelübersicht, Langfassung

 
WEITER LESEN
Gümpel/Pinotti: Berlusconi Zampano
Kapitelübersicht, Langfassung

Kapitel 1: Silvio Ber lusconi – die Legende
Der italienische Literatur­Nobelpreisträger Dario Fo nennt ihn „das größte Unglück Italiens
seit Mussolini“. Der Journalist Giovanni Ruggeri meinte: „Berlusconi hat so einen Erfolg bei
den Italienern, weil er ihre schlechtesten Seiten verkörpert. (…)Viele Leute denken, wenn er
es geschafft hat, dann kann ich das auch schaffen.“ Der Mann, von dem hier die Rede ist, der
italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, ist laut Financial Times einer der vier
einflussreichsten Menschen der Welt und steht auf Platz 25 in der Liste der reichsten. Er
selbst sagt über sich: „Auf der politischen Weltbühne gibt es nicht einen, der es wagen könnte,
es mit mir aufzunehmen.“
Wer ist dieser Silvio Berlusconi? Ab 1972 stampft der damals noch unbekannte junge
Baulöwe die Trabantenstadt „Milano 2“ aus dem Boden. Woher kam das Geld? Welche
einflussreichen Freunde und Gönner machten das anfangs zum Scheitern verurteilte Projekt
doch noch zu einem Erfolg? Steckte die Mafia dahinter, die später verbotene Geheimloge P2
oder Berlusconis politischer „Pate“, Ministerpräsident Bettino Craxi, der später wegen
Korruptionsvorwürfen ins tunesische Exil flüchtete?
Immer gelingt es Berlusconi, sich in den richtigen Positionen Freunde zu machen. Eines
seiner Erfolgsrezepte ist schlicht die Unfähigkeit seiner Gegner. Ein weiteres die brutale
Einschüchterung seiner Kritiker, die er durch ein Sperrfeuer teurer und langwieriger Klagen in
Atem hält. Seit seiner Machtübernahme kontrolliert der Medien­Mogul sieben Fernsehsender.
Alle Kanäle hat er in seiner Hand – ein einmaliger Vorgang in Europa. Der UNO­Experte für
die Pressefreiheit Ambeyi Ligabo schreibt: „Die Medienkonzentration in den Händen des
Regierungschefs hat die Meinungs­ und Ausdrucksfreiheit in Italien auf schwere Weise
beeinträchtigt.“ Die journalistische Zunft, sonst stolzer „vierter Stand“ in demokratischen
Staaten, ist mittlerweile so erzogen, dass sie dem Regierungschef nur noch „liebedienerische
Fragen“ stellt. Dario Fo klagt: »Wir leben unter Berlusconi wirklich in einer Gesellschaft, die
der Korruption applaudiert.«
Die folgenden Kapitel enthüllen, wie es zu diesem für Außenstehenden teilweise unfassbar
und grotesk anmutenden Aufstieg eines korrupten und skrupellosen Machtpolitikers zu einem
der mächtigsten Männer Europas kommen konnte.

Kapitel 2: Ein Mann der Familie und der Kirche oder Silvio, der brave Katholik
Schon als junger Mann hat Berlusconi begriffen, welch enorme, keineswegs nur
„moralische“, sondern auch ökonomische Macht die Kirche besitzt. Der ehemalige
Internatszögling des strengen Salesianerordens erweist sich schon als Kind als äußerst
geschäftstüchtig. So verkauft er z.B. seine Hausaufgaben an Mitschüler. Er jobbt als
Staubsaugervertreter und Entertainer auf Kreuzfahrtschiffen. Schon als Jurastudent nimmt er
Verbindung zum berüchtigten katholischen Geheimorden „Opus Dei“ auf. Dort lernt er auch
Marcello Dell’Utri kennen, seinen späteren engsten Vertrauten in Mafia­Kreisen.
1961 erste Bauprojekte, 1963 erste Firma „Edilnord“. Immobilienspekulationen mit „Kapital
unbekannter Herkunft“. 1965 Heirat mit Carla Elvira. Aus der Ehe gehen ein Sohn und eine
Tochter hervor. Berlusconi umgibt sich trotz zahlreicher Affären mit Sängerinnen und
Schauspielerinnen mit dem Image eines braven katholischen Familienvaters. Es gelingt ihm
immer wieder, Menschen für sich zu gewinnen, indem er in ihr Leben eindringt, ihre innersten
Bedürfnisse erkundet und so ihre Sympathie gewinnt. „Er glaubt, Gott so nahe zu sein, dass
seinem Selbstbewusstsein fast keine Grenzen gesetzt sind. Und er ist der festen Überzeugung,
dass der Zweck die Mittel heiligt – unter allen Umständen“, erzählt Berlusconis ehemaliger
Hauslehrer Nando Cito. Schließlich bringt eine Affäre mit seiner heutigen Frau Veronica
Silvios erste Ehe zum Platzen.

Kapitel 3: Die Vatikan­Connection
Der Vatikan hat Berlusconi trotz seiner fragwürdigen Moral stets vorbehaltlos unterstützt. Als
Ministerpräsident bedankt er sich dafür u.a. mit Steuervergünstigungen für die Kirche.
Zwischen 1992 und 1994 löst sich die Demokrazia Christiane als staatstragende Partei auf.
Die korrupte Politikerkaste hat stets die politischen Interessen des Vatikans vertreten.
Berlusconi schickt sich an, diese Lücke auszufüllen. Das Projekt einer neuen politischen
Partei, der „Forza Italia“ ist geboren. Mafioso Marcello Dell’Utri ist an ihrer Gründung
maßgeblich beteiligt. In seiner ersten Regierungsperiode macht sich Berlusconi auch auf
internationaler Bühne vehement gegen Geburtenkontrolle stark – dem Vatikan zuliebe. Als ab
November 1994 Ermittlungen wegen Korruption gegen den Ministerpräsident laufen, stärkt
ihm der Vatikan den Rücken. Vergeblich, denn nach nur 8 Monaten Amtszeit muss
Berlusconi zurücktreten.

Kapitel 4: Du sollst deinen Vater ehren
Die „Banca Rasini“ erweist sich als Schaltstelle, bei der viele Fäden zusammenlaufen, vor
allem jene zwischen Mafia und Vatikan. Silvios Vater, Luigi Berlusconi, war dort Direktor.
Luigi hilft seinem Sohn bis zu seinem Tod 1989 bei seinen Geschäften. Vor allem muss er
von den mysteriösen Geldern gewusst haben, die über Schweizer Banken in Silvios erste
geschäftlichen Unternehmungen geflossen waren. Durch die Gründung von 2 Schweizer
Holdings gelang es Berlusconi, die Herkunft seiner Gelder zu verschleiern. Die Autoren
mutmaßen, dass sie direkt von den Konten der sizilianischen Mafia stammten. Silvio ist also
keine Selfmademan, wie er immer behauptet, sondern ein klassisches Vatersöhnchen.

Kapitel 5: Die „Bankiers Gottes“ und das Finanzparadies Liechtenstein
Die Autoren nehmen die Spur der geheimnisvollen ersten Finanziers von Silvio Berlusconi
auf und stoßen dabei auch auf Michele Sindona, den „Bankier der Mafia und des Vatikans“.
Sowohl Sindona als auch Roberto Calvi, der sogenannte „Banker Gottes“, sterben unmittelbar
nachdem sie angekündigt haben, sie wollten nun „auspacken“, unter rätselhaften Umständen.
Die Beziehungen Berlusconis zu den vatikanischen Finanzkreisen sind eine Konstante der
siebziger und achtziger Jahre, der Phase seines kometenhaften Aufstiegs. In dem Kapitel wird
außerdem das „Geldwäsche­Paradies“ Liechtenstein porträtiert, zu dem Berlusconi dubiose
Kontakte pflegt,

Kapitel 6: Der Napoleon aus Arcor e
Berlusconi kauft teure Immobilien ein, bevorzugt vornehme Adelssitze. Sein Anwalt Cesare
Prevati hilft ihm dabei, die Verkäufer finanziell über den Tisch zu ziehen. Der Napoleon­
Bewunderer lässt sich ein protziges Mausoleum als Grabmal in den Garten seiner Villa in
Arcore stellen. Dabei umgeht er großzügig zahlreiche Bauvorschriften. Das Mausoleum, das
an den Grabkult der Pharaonen erinnert, besteht aus oberirdischen und unterirdischen
Anlagen, die hierarchisch um ein Zentrum (Berlusconis künftiges Grab) gruppiert sind.
Wichtige Angestellte sollen um ihn herum ihre letzte Ruhestätte finden, so dass er auch im
Tod noch ihr Chef und Zentralgestirn sein wird.

Kapitel 7: Die Milano­Connection
Mailand gilt in Italien seit jeher als Inbegriff von Fleiß, Effizienz und Bürgersinn. Silvio
Berlusconi nutzt dieses Image, indem er sich als Galionsfigur eines Mailänder
Unternehmertums präsentiert, das von den Mafiosi und Faulpelzen des Südens die Nase voll
habe. Am Geist Mailands soll Italien gesunden. Im Mailand der sechziger Jahre zählt
allerdings nur noch eines: Erfolg. Die Stadt ist zum Prototyp einer vom neoliberalen Geist
durchwehten Wirtschafts­, Banken­ und Pressestadt geworden.
In den sechziger und siebziger Jahren findet eine schleichende Eroberung statt. Die Mafia hält
Einzug, und sie ist dabei keineswegs zimperlich. Maßgeblich daran beteiligt ist Marcello
Dell’Utri, Berlusconis „rechte Hand,“ der am 11. Dezember 2004 von einem Gericht wegen
Beihilfe für die Mafia verurteilt werden wird. Anfang der siebziger Jahre gerät auch der junge
Baulöwe Silvio Berlusconi ins Blickfeld der Mafia. Er fühlt sich bedroht und hat Angst,
entführt zu werden. Berlusconi lässt der Mafia daher ein „Entspannungssignal“ zukommen.
Das bedeutet: Kooperation und Schutzgeldzahlungen.

Kapitel 8: In den Klauen der Cosa Nostra
Bei einem „Gipfeltreffen“ mit führenden Mafiosi (1974) bittet Berlusconi um
Sicherheitsgarantien – und bekommt sie. Berlusconi beherbergt einen Mafioso namens
Magano jahrlang unter seinem Dach. Dieser ist offiziell bei ihm angestellt, in Wahrheit aber
wohl eine Kontaktperson der Mafia und Garant für den „Schutz“ seines Gastgebers.

Kapitel 9: Die Venezuela­Connection
Marcello Dell’Utri verlässt seinen Dienstherren Berlusconi unter einem Vorwand. In
Wahrheit befindet er sich auf einer wichtigen Auslandsmission in Südamerika. Die Insel
Aruba nahe der venezolanischen Küste hat sich mittlerweile zu einer Art Maffiastaat
entwickelt. Dort befindet sich eines der wichtigsten Schaltzentren für Drogenhandel und
Geldwäsche. Auch einige Gesellschaften des Berlusconi­Konzerns hatten dort ihren Sitz –
wohl aus Gründen der “Steuervermeidung“. 1983 trat Dell’Utri erneut in den Dienst
Berlusconis und übernimmt dort überraschend wichtige Führungsaufgaben. Sein Dienstherr
brauchte ihn vermutlich, um die Kontakte zur Mafia zu verbessern, die ihn mit stetig
wachsenden Schutzgeldforderungen belästigten.

Kapitel 10: Die Nahost­Connection
Eines der rätselhaftesten Kapitel in der Vermögensbildung des Silvio Berlusconi ist zweifellos
das seiner finanziellen Beziehungen zum Nahen Ostens. Wenn man seine Lebensgeschichte
von den sechziger Jahren bis heute verfolgt, entdeckt man, dass er stets mit Personen oder
Institutionen aus Israel, dem Libanon, Tunesien oder Ägypten zu tun hatte. Einer seiner
wichtigsten Kontaktleute war Tarak Ben Ammar. Als die Staatsanwaltschaft Berlusconi
beschuldigt, zum Zwecke der Politikerbestechung 10 Millionen Dollar auf ein Offshore­
Konto eingezahlt zu haben, eilt Ben Ammar seinem Freund zu Hilfe und sagt aus, dieses Geld
sei für ihn bestimmt gewesen – als Honorar für geleistete Dienste im Filmgeschäft. Er ist es
auch, der Kontakte zur europäischen Finanzwelt und zu anderen internationalen
„Medienzaren“ wie dem Briten Rupert Murdoch und dem Deutschen Leo Kirch knüpft.

Kapitel 11: Silvios Welt
Nach Berlusconis Wahlsieg von 2001 wurde die RAI, das staatliche Fernsehen auf eine Weise
»gesäubert«, die es bis dato noch niemals gegeben hatte. Berlusconi sendet über Jahre illegal
auf einer Frequenz, die vom Gericht dem Fernsehunternehmer Francesco Di Stefano
zugeschrieben wurde. Die staatlichen Institutionen dulden diesen eklatanten Rechtsbruch. Das
Fernsehmonopol Berlusconis behindert den Meinungspluralismus in Italien auf das
Schwerste. Missliebige Journalisten werden mit Beschwerdeanrufen schikaniert und verlieren
in der Regel bald ihren Posten. Das Fernsehen mutiert unter Berlusconis Führung zu einem
bunten, seichten und hektischen Unterhaltungsmedium, das dem Zuschauer keine Zeit zum
Nachdenken lässt.

Kapitel 12: Karotte und Knüppel
Der reichste Mann Italiens versucht, seine Kritiker mit allen Mitteln niederzuringen und
mundtot zu machen. So geschieht es u.a. den beiden Journalisten Giovanni Ruggeri und
Mario Guarino, die bei ihren Recherchen über Berlusconis sagenhaften Aufstieg einige
pikante Enthüllungen zutage fördern. Man versucht die Autoren zunächst zu bestechen, um
sie dann, als das nicht funktioniert, mit Hilfe der versammelten Medienmacht des
Ministerpräsidenten schlicht totzuschweigen. Die linke Parlamentsminderheit, die sich vor
einem wirklich unabhängigen Journalismus offenbar nicht weniger fürchtet (zumal auch sie
vom herrschenden Korruptionssystem profitiert) verhält sich merkwürdig ruhig. So kommt es,
dass ein Buch, das in jeder anderen Demokratie eine Untersuchungskommission ins Leben
gerufen hätte, nie ins Bewusstsein der Öffentlichkeit dringt.
Die omertà (Schweigeverschwörung – ein Begriff aus der Mafia­Sprache), die sich um Silvio
Berlsuconis Person rankt, wird von den wichtigsten Parteien Italiens und von fast allen
Medien mitgetragen. Oberstes Gebot ist: keine Fragen zur dunklen Vergangenheit des
Regierungschefs. Mit Millionenklagen wird ein unerhörter psychischer Druck auf nicht
linientreue Journalisten und Verleger ausgeübt. Selbst wenn die Klagen völlig aussichtslos
und meist erfolglos sind, halten sie die Beklagten über Jahre in Atem.

Kapitel 13: Die Sardinien­Connection

Berlusconi unterhält ein luxuriöses Domizil auf Sardinien und „erobert“ im Laufe der Jahre
immer mehr sardisches Territorium. Umweltschützer beklagen das Verschandeln der
Landschaft u.a. durch Bauschutt. Der Allmächtige verhängt daraufhin als Regierungschef
Amnestiegesetze für Bausünder. Das Kapitel enthüllt ein verwirrendes Geflecht von
Grundstückgeschäften, Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Mafiakontakten im
Zusammenhang mit der „Sardinien­Connection“.

Kapitel 14. Ärger in London

Mit der britischen Hauptstadt verbindet sich eine der wohl bittersten Niederlagen in der
beruflichen Laufbahn Berlusconi. Der Versuch, seine Einflusssphäre auf andere europäische
Staaten auszudehnen, scheitert 1996 vorerst an der Prinzipientreue der Richter an Londons
Oberstem Gerichtshof. Ein umfangreiches Archiv mit äußerst kompromittierendem Material
darf also an den Mailänder Staatsanwalt übergeben werden. Es schließt sich ein langwieriger
Prozess an, in dessen Verlauf Berlusconi steuerliche, kartellrechtliche und Bestechungsdelikte
vorgeworfen werden. Die Aussicht, als Ministerpräsident zahlreiche strafrechtliche Vergehen
nachträglich legalisieren zu können, hat seine Rückkehr in die Politik wohl maßgeblich
motiviert. Als Berlusconi 2001 zum zweiten Mal zum Ministerpräsidenten gewählt wird, ist
eine seiner ersten Amtshandlungen eine Gesetzesinitiative, die das Delikt der Bilanzfälschung
in Italien quasi abschaffte.

Kapitel 15: Leo und Silvio – eine Hand wäscht die andere
In diesem Kapitel wird erzählt, wie man es schaffen kann, die Mediengesetze halb Europas
auszuhebeln. Dass Deutschland hier keinen Anlass hat, über Italien die Nase zu rümpfen,
zeigt die Geschichte der mannigfachen geschäftlichen Verbindungen zwischen Silvio
Berlusconi und seinem deutschen „Kollegen“ Leo Kirch. Um das Kartellrecht zu umgehen,
das der Kirch­Gruppe die Kontrolle über den Sportsender DSF normalerweise verbieten
würde, wird Amigo Silvio für Leo als Strohmann tätig. Auch der bayerische Ministerpräsident
steht den Monopolbestrebungen Kirchs hilfreich zur Seite. Vier Jahre lang sendete das DSF
mit einer Lizenz, die gar nicht hätte ausgestellt werden dürfen. Das sind tatsächlich
„italienische Verhältnisse“.

Kapitel. 16: Abgeordnete, Delinquenten und Winkeladvokaten
Wer sind die Abgeordneten des italienischen Parlaments, die sich offenbar jahrelang
überwiegend mit dem Schutz der Privatinteressen ihres Chefs beschäftigen mussten und somit
das Rechtssystem Italiens in seinen Fundamenten erschüttert haben? Das Kapitel erzählt die
Geschichte von Gianstefano Frigerio, der im Augenblick seiner Wahl ins italienische
Abgeordnetenhaus 2001 zur Verbüßung einer Haftstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten
wegen Bestechlichkeit verhaftet wird. Frigerio verliert seinen Sitz dennoch nicht, sondern
wird von seiner eigenen Fraktion, der Partei des Regierungschefs, auf Biegen und Brechen
verteidigt. Berlusconi braucht ihn, um nach dem politischen Ende seines Ziehvaters Bettino
Craxi eine neue politische Kraft, die „Forza Italia“, aus dem Boden zu stampfen.

Kapitel 17: Das System der Richter kor ruption
Geschickte Anwälte schaffen es regelmäßig, die gerichtliche Auseinandersetzung auf gut
sieben Jahre hinauszuzögern. Wenn man weiß, dass Berlusconi mit seiner Rechtsreform vom
November 2005 die Verjährungsfristen für die meisten der in Betracht kommenden
Verbrechen von zuvor fünfzehn auf sieben Jahre herabgesetzt hat, dann wird die Dramatik der
Lage klar. Während die Zahl der Häftlinge in italienischen Gefängnissen drastisch
angestiegen ist, entgehen „spezielle“ Angeklagte, die es sich leisten können, trotz einwandfrei
erwiesener Schuld immer häufiger mit Hilfe dubioser Tricks einer Verurteilung. Der Jurist
Franco Cordero spricht von einer Umwandlung „des italienischen Staates in den
Kleinkrämerladen eines Mannes“.

Kap. 18: Mit Gottes Segen ins 3. J ahrtausend

Nach seinem Rücktritt 1994 bereitet Berlusconi sich – allseits von den Ermittlungen der
Staatsanwälte bedrängt – auf seine große politische Revanche vor. Er braucht die politische
Macht, um Gesetze zu machen, die ihn und seine Getreuen vor dem Zugriff der Justiz retten.
Als der Wahltag näher rückt, entfesselt Berlusconi eine beispiellose Medienkampagne. Diese
und die Zerwürfnisse des linken Lagers bringen ihn am 13. Mai 2001 erneut auf den Stuhl des
Ministerpräsidenten. Für die Schützenhilfe des Vatikans bedankt er sich umgehend, indem er
sich für eine erschwerte Abtreibung, gegen die Gleichstellung von Homosexuellen und für die
Wiedereinsetzung der Familie als zentrale Institution der italienischen Gesellschaft einsetzt.
Während die italienische Wirtschaft in eine ihrer längsten Krisenperioden eintritt, baut
Berlusconi die Gesellschaft nach seinem Gusto um. Er vergleicht sich mit Jesus, leugnet die
Verbrechen Mussolinis und beteiligt sich als gehorsamer Vasall seines „Freundes“ George
Bush am Irakkrieg. Obwohl der Vatikan „offiziell“ gegen den Krieg ist, lässt er es an
Unterstützung für Silvio Berlusconi nicht fehlen. Der damalige Kardinal Ratzinger und
heutige Papst Benedikt XVI schreibt in diesem Zusammenhang: „ Einig sind wir uns über die
Tatsache, dass ein Pazifismus, der keine Werte mehr als verteidigenswert anerkennt und jeder
Sache den gleichen Wert zumisst, als unchristlich abzulehnen ist.“ Doch die erneute Welle
von Mafiakriminalität, das Klima langsamen moralischen Verfalls und die maßgeschneiderten
Berlusconi­Gesetze beginnen allmählich, das Image des Ministerpräsidenten anzukratzen.

Nachwort: Was Ber lusconi für Europa bedeutet

Die Nachforschungen, die die Autoren über den Werdegang Silvio Berlusconis angestellt
haben, sollen auf die Gefahren aufmerksam machen, die den europäischen Demokratien von
einer Machtelite neuen Typs drohen. Sie sprechen von einer „neuen Klasse von
‚Heuschrecken’, die sich über alle demokratischen Kontrollen und Regeln stellen, weil sie mit
neuen Methoden in einem neuen Raum operieren“. Alte Kategorien von „rechts“ oder links“
versagen in diesem Zusammenhang. „Seit dem Sturz des Faschismus 1945 gilt es als
ausgemacht, dass der Westen demokratisch organisiert ist. Dass die Prinzipien und Regeln,
auf die man sich geeinigt hat, nicht infrage gestellt werden. Doch die Realität ist eine andere.
Neue und komplexe Formen der Manipulation höhlen die Demokratie von innen her aus. Ein
neues Paradigma entsteht, in dem sich Elemente des Raubtierkapitalismus (…) mit
messianischen Komponenten und Pseudowerten mischen (…) Die totale Abwesenheit von
ethischen Normen, die Zerstörung jeglicher Moral, auf der einst Sozialpakte geschlossen
wurden, wird heute selbst zur Norm, zum Grundwert eines neuen Systems, ja einer neuen Ära,
eines neuen Menschenbildes.“ Die Autoren beklagen, dass „die Besorgnis erregende
Machtzunahme Berlusconis und der damit einhergehende schleichende Verfall der Moral nur
selten Gegenstand des zivilen Widerstands vonseiten der Bevölkerung geworden, weder in
Italien noch im Rest Europas.“ Sie appellieren an den „deutschen Papst“, aber auch die
Institutionen und die Bevölkerung, sich nicht länger durch schweigende Duldung daran
mitschuldig zu machen, dass die rechtsstaatliche Demokratie, wie wir sie kannten, zum
Auslaufmodell werden könnte.
Sie können auch lesen