Technischer Bericht Einführung - UEFA.com

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Technischer Bericht Einführung - UEFA.com
Technischer Bericht

Einführung

Geschichte wiederholt sich: Im Mai war England Schauplatz der UEFA-U17-Europameisterschaft,
zum ersten Mal seit der letzten Austragung des U16-Turniers 2001. Im Juli war Finnland
Gastgeber der U19-Endrunde, zum ersten Mal seit dem letzten U18-Turnier. Und von den sieben
Nationen, die 2001 in Finnland antraten, kehrte lediglich die Ukraine 2018 zurück.

Abgesehen von der Besetzung gab es auch unterschiedliche Austragungsorte. Während sich das
Turnier 2001 auf die Achse Tampere – Helsinki fokussierte, ging es 2018 in den Nordwesten in
die Küstenstadt Vaasa und etwa eine Stunde landeinwärts in die Bothnia-Region nach Seinäjoki.
In den beiden Stadien mit nahezu identischer Kapazität (5 572 zu 5 672) wurden alle 16 Spiele
ausgetragen, und zum ersten Mal fanden alle Partien auf Kunstrasenplätzen statt. Wie auch
schon 2001 präsentierte sich das Wetter von seiner besten Seite mit ungewöhnlich hohen
Temperaturen während der langen nordischen Sommertage. Die Bothnia-Region erlebte
beispielsweise den heißesten Tag seit 60 Jahren. Als das Turnier am Montag, den 16. Juli um 15
Uhr Ortszeit startete (gerade einmal 21 Stunden nach dem Anstoß des Endspiels der FIFA-
Weltmeisterschaft in Russland), war es klar, dass Trinkpausen Mitte beider Durchgänge ein
regelmäßiges Ereignis werden würden.

Gerade einmal zwei Teilnehmer des Turniers in Finnland (Portugal und Titelverteidiger England)
waren bei der U19-Endrunde ein Jahr zuvor in Georgien am Ball. Zu den fehlenden Nationen
zählten auch die früheren Champions Spanien und Deutschland.

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Abgesehen von einer
tadellosen Organisation
setzte                  der
Fußballverband         von
Finnland       bei      der
Werbung        für     das
Turnier auf Tim Sparv,
der 60 Mal für die
finnische
Nationalmannschaft
auflief, und Maija Saari
(86 Einsätze für die
Nationalmannschaft der
                            ©UEFA.com
Frauen) als Botschafter. Das Stadion in Seinäjoki
Während der Endrunde
gab es Fanzonen in Vaasa und Seinäjoki. Das Turnier wartete mit einer zusätzlichen Begegnung
auf: Die drittplatzierten Teams der beiden Gruppen bestritten ein Play-off-Duell, um den sechsten
europäischen Teilnehmer (zusammen mit den vier Halbfinalisten sowie Gastgeber Polen) bei der
FIFA-U20-Weltmeisterschaft im Mai-Juni 2019 zu bestimmen. Bis auf zwei Partien wurden alle
anderen im Fernsehen ausgestrahlt.

Die Technischen Beobachter der UEFA bei der Endrunde in Finnland waren zwei Trainer mit
umfangreicher Erfahrung bei UEFA-Juniorenturnieren: Jarmo Matikainen aus Finnland und László
Szalai aus Ungarn. Deren Ansichten und Beobachtungen wurden in diesem Technischen Bericht
zusammengefasst, der nicht nur eine dauerhafte Aufzeichnung des Events bietet, sondern auch
Trainern - vor allem denen, die im Juniorenfußball arbeiten - nützliche Informationen geben will.

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Der Weg ins Finale

Die Italiener feiern den Sieg im Gruppenspiel-Thriller gegen Portugal ©UEFA.com

Es ist eine weit verbreitete Annahme, dass Spieler Fehler machen müssen, um sich zu
entwickeln. Allerdings ist es dennoch schwer, mit jedem einzelnen Fehler richtig umzugehen. Und
je höher das Niveau ist, das man als Fußballer erreicht, desto härter werden Fehler bestraft. In
Finnland hatte die Endrunde auf Kunstrasen kaum begonnen, da nahm der schmerzhafte
Lernprozess schon seinen Lauf.

Wie schon bei der U17-Endrunde zwei Monate zuvor trafen die Norweger in ihrem Auftaktspiel auf
Portugal. Die Skandinavier versuchten, dem Spielfluss der Iberer mit einer gut organisierten
Verteidigung, basierend auf einer Fünferkette, beizukommen. Allerdings unterliefen ihnen gleich
zwei Fehler, die die Portugiesen prompt bestraften. Zunächst wurde der Ball an der eigenen
Strafraumgrenze verloren, danach unterschätzten die Norweger eine Flanke von der Torauslinie
auf den langen Pfosten. Sie markierten zwar den Anschlusstreffer, trafen aber auch dreimal das
Aluminium - und kassierten nach einem Konter der Portugiesen das entscheidende Tor zur 1:3-
Niederlage.

Auch wenn der Auftakt der Gastgeber ähnlich schief ging, waren die Gründe für die Niederlage
der Finnen eher in der Offensive als in der Defensive zu suchen. Fünfmal standen sie mehr oder
weniger frei vor dem gegnerischen Tor, doch Italiens Schlussmann Alessandro Plizzari konnten
sie nicht überwinden. Auf der anderen Seite nutzte Nicolò Zaniolo eine der wenigen
Unachtsamkeiten in der finnischen Abwehr, umkurvte gleich drei Verteidiger und blieb - im
Gegensatz zu den Gastgebern - auch vor dem Tor eiskalt.

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Im     folgenden    Spiel
erhielten die Finnen die
nächste bittere Lektion.
Nach einem frühen
Rückstand schlugen sie
gegen           Norwegen
zurück. Die Norweger
spielten       in    der
Verteidigung ein 5-4-1-
System, das die Finnen
mit schnellen Angriffen
zu            überwinden
versuchten.
                          ©Sportsfile
Mittelfeldspieler   Saku Finnland musste gegen Norwegen eine ganz bittere Niederlage hinnehmen
Ylätupa lenkte das Spiel
der Gastgeber und hatte auch das Auge für den entscheidenden Pass ins Angriffsdrittel. Nach
dem Ausgleich per Elfmeter war es Ylätupa, der einen Konter mit einem Solo abschloss und die
Gastgeber mit 2:1 in Führung brachte. Diese Führung hielt bis zur 90. Minute, ehe zwei
Abwehrfehler in der Nachspielzeit noch für den späten K.-o. sorgten.

Nach dem 2:3 mussten die Finnen gegen Portugal gewinnen, um zumindest noch eine
theoretische Chance auf Platz drei in der Gruppe und damit auf das Play-off-Spiel um das letzte
Ticket zur U20-WM zu haben. Doch die Mannschaft von Hélio Sousa, in der viele Spieler standen,
die zwei Jahre zuvor den U17-Titel geholt hatten, zahlten ebenfalls einen hohen Preis für ihre
Schwächen im Defensivverhalten gegen Italien. Nach nur neun Minuten profitierte der italienische
Angreifer Moise Kean davon, dass die beiden Innenverteidiger zu zögerlich agierten. Lucas
Queirós wusste sich anschließend nur mit einem Foul zu helfen und sah dafür vom polnischen
Schiedsrichter die Rote Karte. Die Portugiesen zeigten sich davon aber unbeeindruckt und
wechselten in eine 4-2-3-Formation, mit der die Italiener sichtlich Probleme hatten. Erst als sie
nach der Pause etwas höher verteidigten, wurden sie gefährlicher - und bezwangen die tapfer
kämpfenden Portugiesen mit 3:2.

Gegen Finnland dominierten die Portugiesen das Spiel nicht nur wegen ihres Tempos und ihrer
Technik, sondern auch dank ihrer Ballkontrolle. Aber sie profitierten auch wieder von zwei
Unzulänglichkeiten bei den Hausherren - und führten deshalb zur Pause mit 2:0. Nach dem
Seitenwechsel kamen die neu formierten Finnen besser ins Spiel, weil sie mehr Druck ausübten
und vor allem über die linke Seite gefährlicher wurden. Doch nach einer Viertelstunde war die
ganze Herrlichkeit schon wieder vorbei. Die Portugiesen kamen wieder vermehrt zu Kontern und
nutzten den letzten Schnellangriff, um mit dem 3:0 in der Nachspielzeit alles klar zu machen. Im
Parallelspiel löschte Italien den letzten Funken Hoffnung bei den Norwegern. Sieben Minuten vor
Schluss glichen die Italiener aus, nachdem Norwegen durch einen Elfmeter in Führung gegangen
war. In Gruppe A sicherte sich Italien den Sieg mit einem Punkt Vorsprung vor Portugal.

In Gruppe B sorgten die Türken für die große Leidensgeschichte. Nach nur zwei Spielen stand ihr
Scheitern bereits fest, was sie sich aber zum Großteil selbst zuzuschreiben hatten. Gegen
England ging die Mannschaft von Vedat Inceefe zwar nach einem Ballgewinn früh in Führung.
Doch dann schlichen sich Fehler bei gegnerischen Freistößen und Ballverluste ein, und prompt
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stand es 1:3. Einen Abwehrfehler der Engländer nutzten die Türken zum Anschlusstreffer, selbst
ein Unentschieden war jetzt wieder drin. Doch dazu reichte es am Ende nicht mehr. Gegen
Frankreich wurde es dann noch bitterer. Nach nur zwei Minuten gerieten die Türken in Rückstand.
Anschließend drängten sie auf den Ausgleich, doch die Angriffsbemühungen gingen nach hinten
los. Frankreich konterte die Türken gnadenlos aus und gewann am Ende mit 5:0.

Der klare Erfolg sorgte
bei der Mannschaft von
Bernard Diomède für
große       Erleichterung.
Denn       zum     Auftakt
hatten die Franzosen
gegen       die   Ukraine
überraschend mit 1:2
verloren. Die Ukrainer
verteidigten in einer 5-4-
1-Formation           sehr
effizient und resolut. Bei
Kontern waren sie sehr
                           ©Jussi Eskola
gefährlich und sorgten Die Ukraine kam zu einem dramatischen Sieg gegen Frankreich
dafür, dass sich die
französischen Verteidiger häufig nur mit Fouls zu helfen wussten. Drei Spieler aus der Viererkette
sahen Gelb, der vierte - Innenverteidiger Malang Sarr - wurde in der 64. Minute sogar vom Platz
gestellt. Zu diesem Zeitpunkt stand es noch 1:1. Vier Minuten vor Schluss aber war es Serhiy
Buletsa, der den Siegtreffer für die Ukrainer erzielte.

Dank einer ähnlich soliden Leistung sprang gegen England ein Unentschieden heraus. Die Briten
gingen durch einen exzellent verwerteten Eckball in Führung, ehe die Ukrainer durch eine feine
Einzelleistung der einzigen Spitze, Vladyslav Supriaha, ausgleichen konnten. In der zweiten
Halbzeit ließen die Kräfte bei den Schützlingen von Trainer Olexandr Petrakov zwar langsam
nach. Es reichte aber noch, um sich dem Ansturm der Engländer erfolgreich entgegen zu stellen.

In ihrem letzten Gruppenspiel trafen die Ukrainer auf eine türkische Mannschaft, die auf drei
Innenverteidiger setzte und damit das System des Gegners kopierte. Die Türken hatten über weite
Strecken mehr Ballbesitz, fanden aber gegen sehr diszipliniert verteidigende Ukrainer keinen Weg
zum Erfolg. Den Ukrainern indes reichte ein gut ausgespielter Konter über die linke Seite, um das
Spiel zu gewinnen und Gruppensieger zu werden.

England, das im ersten Spiel auf eine Fünfer-Abwehr und im zweiten Spiel auf eine Viererkette
gesetzt hatte, begann die Partie gegen Frankreich, in der es um alles oder nichts ging, sehr
energisch. Aber die Engländer hatten große Probleme mit dem hohen Pressing, der ausgereiften
Technik und den explosiven Antritten der Franzosen. Außerdem machten es die Engländer ihren
Gegnern mit Ballverlusten im eigenen Verteidigungsdrittel ein ums andere Mal relativ leicht. Am
Ende bezahlten sie dafür mit einer 0:5-Niederlage. So endete die Gruppenphase wie sie
begonnen hatte: Mit Fehlern, die eiskalt bestraft wurden.

England spielte als Gruppendritter gegen Norwegen um einen Platz bei der FIFA-U20-

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Weltmeisterschaft. In dieser Partie zahlten die Engländer den Preis dafür, dass die Klubs sich
geweigert hatten, insgesamt über 30 Spieler für die Endrunde abzustellen. Die Mannschaft von
Paul Simpson ging schließlich mit 0:3 gegen die Norweger unter, die sich damit das Ticket für die
Junioren-WM sicherten.

Als das erste Halbfinale
in Vaasa begann, hätte
wohl keiner gedacht,
dass das Spiel schon
nach     einer    halben
Stunde             hätte
abgepfiffen      werden
können. Hélio Sousa
überraschte mit der
Berufung von Stürmer
Pedro     Correia,   der
zuvor noch gar nicht
zum Einsatz gekommen
                         ©Sportsfile
war.       Ausgerechnet Pedro Correia brachte Portugal im Halbfinale in Führung
Correia war es dann,
der nach nur zwei Minuten die Portugiesen per Abstauber in Führung brachte. Die Kontertaktik der
Ukrainer wurde noch stärker über den Haufen geworfen, als Stürmer Vladyslav Supriaha nach nur
zehn Minuten vom Platz humpelte. Das Drama für die Osteuropäer ging auch danach
unvermindert weiter, zwischen der 19. und 30. Minute kassierten sie weitere vier Gegentore. Ihre
Fünfer-Abwehr hatte dem flüssigen Angriffsspiel der Portugiesen nichts entgegen zu setzen. Die
Iberer hatten danach wohl ein Einsehen mit ihren Gegnern und ließen es in der restlichen Stunde
etwas ruhiger angehen.

Das zweite Halbfinale bot hingegen Hochgeschwindigkeitsfußball von der ersten bis zur letzten
Minute. Die Italiener präsentierten sich taktisch schon sehr reif und traten überaus selbstbewusst
auf. Die Franzosen hingegen bestachen durch große individuelle Klasse. In der Abwehr standen
große, athletische Spieler, im Mittelfeld boten die Franzosen sehr passsichere Akteure auf, und
die Stürmer waren außerordentlich schnell und dribbelstark. Die Italiener setzten ihre defensive
Klasse dagegen. Schnell schalteten sie um von einem 4-1-4-1 in der Verteidigung auf ein 4-3-3 im
Angriff. Das Team von Paolo Nicolato trat insgesamt sehr diszipliniert und hochkonzentriert auf.
Frankreich dagegen griff fast ununterbrochen an, vor allem in der zweiten Halbzeit, als es einen
Rückstand aufzuholen galt. Zweimal scheiterten die Franzosen aber mit ihren Bemühungen an
der Querlatte. Außerdem wurden zwei Tore wegen Abseitsstellungen nicht anerkannt. Das Team
von Bernard Diomède erspielte sich genügend Möglichkeiten. Doch die Italiener verteidigten
leidenschaftlich und warfen sich tapfer in jeden Ball. Jeder, nicht nur die vier Verteidiger und der
Torwart, beteiligten sich bei den Italienern an der Abwehrarbeit. Damit hielten sie ihren Kasten
sauber.

Die Tore wurden auf der anderen Seite geschossen. Sandro Tonali, herausragend als defensiver
Mittelfeldspieler, spielte den Ball die rechte Seite entlang, wo drei Italiener eine Überzahl
kreierten. Rechtsverteidiger Raoul Bellanova passte die Kugel in den Rücken der Abwehr, und
Christian Capone schloss überragend ab. Zuvor hatte Stürmer Moise Kean die Innenverteidiger
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auf sich gezogen. Nur drei Minuten später fing Nicolò Zaniolo einen Pass von Innenverteidiger
Malang Sarr ab, der dann nicht mehr rechtzeitig zurücklaufen konnte. Zaniolo nutzte das aus und
passte auf Kean. Der markierte nach einem Solo mit rechts das 2:0.

Der Rest des Spiels wurde zum Duell anrennender Franzosen gegen verteidigende Italiener. Ein
Tor fiel nicht mehr, weshalb die Italiener ins Finale einzogen, wo sie zum zweiten Mal bei diesem
Turnier auf Portugal trafen.

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Das Endspiel

Portugal jubelt nach einem denkwürdigen Finale ©Sportsfile

Das Vorspiel zu einer wundersamen Geschichte wurde geschrieben, bevor es an einem heißen
Nachmittag in Seinäjoki zum Anstoß kam. Launische Wolken lieferten etwas Farbe und Schatten,
doch wenn man von dem von Kiefern umgebenen Stadion in den Himmel schaute, sah man dort
vor allem blauen Himmel. Nachdem Hélio Sousa die Aufstellung bekanntgegeben hatte, musste er
auf Miguel Luís verzichten, der schon das ganze Turnier über mit Verletzungsproblemen zu
kämpfen hatte. Für ihn kam Nuno Nunes ins Spiel, der zuvor lediglich acht Minuten Einsatzzeit
hatte. Die Nummer 13 übernahm eine Position im defensiven Mittelfeld, während der bisher so
auffällige Florentino weiter nach vorne und in eine offensivere Rolle schlüpfte.

Paolo Nicolato sorgte für eine Überraschung und änderte seine Offensive auf gleich fünf
Positionen. Er kehrte zu einer 1-4-4-2-Formation mit Raute im Mittelfeld zurück, die er bereits am
Anfang des Turniers hatte spielen lassen. Gianluca Scamacca war nach abgesessener Sperre
wieder dabei und lief im Sturm neben Andrea Pinamonti auf, während Filippo Melegoni anstelle
von Nicolò Zaniolo, der nun auf der linken Seite agierte, den Spielmacher gab.

Als die Spieler das Feld betraten, waren auf den blauen Trikots von Italien keine Namen, während
auf den roten Trikots von Portugal die Spielernamen in goldener Schrift zu lesen waren. Sollte es
eine Auseinandersetzung kollektiver Tugenden gegen individuelle Ausnahmekünstler werden?
Taktische Disziplin gegen freigeistige Kreativität?

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In den ersten Minuten
war         es       eine
ausgeglichene
Angelegenheit. Italien
war     geduldiger     im
Aufbau als in den
Spielen zuvor und war
im Pressing aggressiv
genug,      um     einige
vielversprechende
Umschaltsituationen zu
erzwingen.         Diese
wurden von einer gut
                          ©Sportsfile
organisierten Defensive Beide Abwehrreihen verrichteten in der ersten Halbzeit gute Arbeit
Portugals aber immer
wieder schnell entschärft. Die ersten Angriffe der Italiener zielten darauf ab, die Flügel zu
überladen. Die beiden Angreifer waren viel unterwegs und machten die vorderste Linie breit,
anstatt als Tandem im Zentrum zu arbeiten. Die Portugiesen, bei denen der gefährliche João
Filipe 'Jota' quasi überall zu finden war, scheuten sich nicht, viele Spieler mit in den Angriff
einzubinden. Oftmals wurde nach Ballverlust ein hohes Pressing angewendet, damit Italien einen
langen Ball spielen musste. Es dauerte nicht lange, bis Scamacca nach einem weiteren
unpräzisen Befreiungsschlag seine Teamkollegen das erste Mal mit kritischen Blicken versah.

Die beiden Trainer grübelten und gestikulierten an der Seitenlinie, ehe sie im Rahmen einer
Trinkpause die Chance bekamen, einige taktische Veränderungen vorzunehmen. Nicolato sollte
sich nun mehr um Pinamonti kümmern, während Sousa den Rechtsverteidiger Thierry Correia in
Schach halten sollte. Beide Teams kamen danach zu Kopfballchancen. Pinamonti fehlte zum Tor
nicht viel, als Portugals Hintermannschaft einen Moment lang unachtsam war, auf der anderen
Seite scheiterte Correia nach einer Ecke. Als der vierte Offizielle an der Seitenlinie die
Nachspielzeit anzeigte, kam es zum ersten Tor der Partie. Portugals Kapitän José Gomes, der in
der Offensive mit viel Übersicht und Ballgefühl glänzte, brachte eine Flanke von der linken Seite
und über den Kopf von Francisco Trincão landete das Leder bei Jota. Der zog ab und Alessandro
Plizzari konnte den Gegentreffer nicht verhindern.

Nicolato reagierte mit der Herausnahme von Pinamonti in der Halbzeit und brachte dafür den
schnellen und explosiven Moise Kean als Sturmpartner von Scamacca. Vielleicht ließen sie sich
durch die Gruppe von "Cheerleadern" hinter dem portugiesischen Tor motivieren, die zur Pause
das rot-grüne Portugal-Outfit gegen blaue Italien-Fanutensilien getauscht hatten. Auf jeden Fall
war Italien von nun an spielbestimmend. Auch die Einwechslung von Christian Capone für
Melegoni wirkte sich positiv aus. Das Angriffsspiel war variabler, besser durchdacht und
gefährlicher, insbesondere über die rechte Seite, wo Raoul Bellanova unermüdlich rackerte und
für gute Flanken sorgte. Portugal, das sonst der eigenen Philosophie immer treu blieb und in
Angriff und Defensive im 1-4-3-3 agierte, musste gegen den Ball in ein 1-4-1-4-1 umschalten und
die Flügelstürmer etwas zurückziehen, um Italiens Vorstöße auf den Seiten besser in Schach
halten zu können.

Während der Trinkpause gab Nicolato seinem Stürmer Kean einen aufmunternden Klaps auf den
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Rücken, Sousa instruierte Innenverteidiger Romain Correia und Mittelfeldspieler Florentino.
Sekunden nach Wiederanpfiff nahm Jota einen langen Pass mit der Brust an und Trincão war zur
Stelle - 0:2.

Der Treffer markierte
gleichzeitig das Ende
aller          taktischen
Überlegungen - die
Zuschauer        erlebten
fortan eine emotionale
Achterbahnfahrt.
Während sich Portugal
noch über das Polster
einer         Zwei-Tore-
Führung freute, schlug
Italien    zurück.    Ein
Einwurf in vermeintlich
                          ©UEFA.com
harmloser Position auf João Filipe (rechts) traf doppelt für Portugal
der rechten Seite führte
dazu, dass Kean mit Geschwindigkeit in den Strafraum eindrang, von Capone mit der Hacke
bedient wurde und zum Anschluss traf. Portugal reagierte geschockt auf den Gegentreffer und
ließ sich danach von Italien mit nur sechs Pässen ausspielen. Zaniolo lieferte das letzte Zuspiel
auf Kean und schon stand es 2:2. Als der spanische Schiedsrichter die reguläre Spielzeit abpfiff,
kehrten die italienischen Spieler mit viel Selbstvertrauen und einem guten Gefühl an die
Seitenlinie zurück.

In der Verlängerung wollte Italien die schnelle Entscheidung erzwingen und verlor dabei die
defensive Ordnung. Beide Trainer nahmen ihre Option auf einen vierten Wechsel wahr. Sousas
Entscheidung, mit Pedro Correia einen Zielstürmer auf den Platz zu bringen, sollte sich als
goldrichtig erweisen. Er lieferte die Vorarbeit zu dem wuchtigen Schuss von Jota aus der zweiten
Reihe, den Plizzari nur ins eigene Netz ablenken konnte. Dieses Mal gab es großen Jubel auf der
portugiesischen Bank, die anschließend vom Schiedsrichter ermahnt werden musste. Mit der 3:2-
Führung von Portugal ging es in die zweite Halbzeit der Verlängerung.

Während die Sonne in Seinäjoki langsam unterging, hatte das Spiel eine erneute Wende parat.
Kurz nach Wiederanpfiff baute Italien über die linke Seite auf, passte in die Mitte und von dort
zurück nach links. Jetzt folgte der Wechsel auf rechts, von wo Bellanova eine perfekte Flanke auf
Scamacca in den Strafraum segeln ließ - 3:3. Nun war die italienische Bank erneut an der Reihe,
der Euphorie freien Lauf zu lassen.

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Abermals hatte das
Schicksal andere Pläne.
Während Italien noch im
Jubelmodus war, fand
Jota die Lücke für einen
Pass        auf      den
eingewechselten
Stürmer Pedro Correia,
der    sich     erst  im
Zweikampf behauptete,
um nach einer Drehung
in die lange Ecke
abzuschließen. Wieder
                         ©Sportsfile
kam es zu emotionalen Portugal schlug in der 109. Minute zu
Szenen        an     der
Seitenlinie, nur dieses Mal sollte das für die jubelnde Mannschaft keinen schlechten
Nachgeschmack entwickeln. Italien hatte noch zwei gute Chancen, konnte Portugals Defensive
aber nicht mehr knacken. Sekunden vor dem Ende bekam Jota bei seiner Auswechslung
stehende Ovationen.

Bevor Portugal erstmals die U19-Trophäe in die Hände bekam, zollte man dem Gegner großen
Respekt. Auf eine zunächst taktische Angelegenheit war ein denkwürdiges Spektakel gefolgt -
Jubel auf der einen und Tränen auf der anderen Seite waren aber immer unvermeidlich. Die
Akteure werden für den weiteren Verlauf der Karriere die Lektion gelernt haben, wie wichtig
emotionale Intelligenz sein kann.

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Technische Themen

Italien und Portugal lieferten sich ein packendes Finale ©UEFA.com

Kader und Spielerstatistiken
Das Turnier in Finnland war ein höchst unterhaltsames Spektakel. Bevor wir jedoch den
taktischen Vorhang öffnen, müssen wir noch die Bühne bereiten. Die Besonderheit der Endrunde
lag darin, dass in den beiden Spielorten Kunstrasen eingesetzt wurde. Dieser Umstand löste bei
den Trainern ein gewisses Maß an Zurückhaltung aus. Frankreichs Bernard Dioméde beherzigte
die Warnungen hinsichtlich Knie- und Rückenbeschwerden und ließ auf Naturrasen trainieren. Er
begrenzte die Nutzung von Kunstrasen nur auf die Spieltage. Das Bewässern des Platzes wurde
als enorm wichtig angesehen, doch die außergewöhnlich hohen Temperaturen führten teilweise
dazu, dass das Wasser aus den Sprinkleranlagen verdampfte, ehe es am Boden ankam. Die
allgemeine Meinung der Trainer wurde kurz und bündig von Italiens Trainer Paolo Nicolato
zusammengefasst: "Ich denke, die Spieler werden schneller müde, aber der Spielstil wird dadurch
nicht beeinträchtigt."

Im Kontrast zu diesem Novum gab es auch einige Beständigkeiten. Der Austragungstermin im Juli
brachte die gewohnten Probleme mit sich. So erläuterte Englands Trainer Paul Simpson ein
extremes Beispiel, dass mehr als 30 Kandidaten seines Kaders keine Freigabe ihrer Vereine
erhielten. Das Ergebnis war, dass England das Play-off verlor und somit seinen Titel bei der FIFA-
U20-WM 2019 nicht verteidigen kann. Da andere Endrunden-Teilnehmer weniger oder gar nicht
davon beeinträchtigt waren, wurde das Turnier - zumindest in dieser Hinsicht - nicht unter gleichen
Wettbewerbsvoraussetzungen durchgeführt.

Wie in vergangenen Ausgaben gehörte auch die Analyse der Geburtsdaten der Spieler zu den
wichtigsten Themen. Von den 160 Spielern in Finnland wurden 43 Prozent in den ersten drei
Monaten des Jahres geboren, nur 15 Prozent in den letzten drei Monaten. Die Trainer erklärten
einheitlich, dass das Geburtsdatum der Spieler bei der Zusammenstellung des Kaders keine Rolle
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gespielt habe. Die Daten geben aber unmissverständlich zu verstehen, dass es weiterhin viel
Arbeit gibt, um die Chancengleichheit in der Entwicklung zu gewährleisten.

Mehr        Verteidiger,
mehr Tore
Soweit       zu       den
grundlegenden Dingen.
Auf dem Platz gab es
ein    Phänomen        zu
beobachten, das in
gewisser Weise als
paradox zu werten ist.
Während Norwegen bei
der UEFA-U17-EURO
zwei Monate zuvor noch
das einzige von 16
                           ©UEFA.com
Teams war, welches mit Die Trainer der Gruppe A
einer Fünferkette in der
Abwehr operiert hatte, griffen gleich fünf der acht Teilnehmer in Finnland zumindest in Teilen des
Turniers auf dieses Mittel zurück. "Ich denke, wir müssen vorsichtig sein, dies als eindeutigen
Trend zu bezeichnen", meinte Jarmo Matikainen, Technischer Beobachter der UEFA. "Die Trainer
haben dies aus unterschiedlichen Gründen und in verschiedenen Wegen an ihr System
angepasst." Simpsons 1-5-3-2-Formation war der Tatsache geschuldet, dass ihm im
improvisierten Kader die Flügelstürmer fehlten. Vedat Inceefe setzte im letzten Gruppenspiel der
Türkei auf einen ähnlichen Ansatz, um die Formation der Ukraine zu spiegeln. Norwegens "Paco"
Johansen ließ grundsätzlich eine Fünferkette auflaufen, der Spielaufbau sah aber vor, dass sich
ein defensiver Mittelfeldspieler als zentrale Komponente der drei Innenverteidiger positionierte.

Bei Halbfinalist Ukraine gab es derweil eine eher klassische Fünferkette als Teil eines 1-5-4-1.
Matikainen dazu: "Es war perfekt für die Spielphilosophie, zunächst auf eine kompakte Defensive
zu setzen, um in der Abwehr stets Überzahl zu haben. Somit war die Abwehr schwer zu
überspielen und man konnte auf Konter setzen. Diese Strategien der Trainer zeigen, dass man
sich der vorhandenen Spielertypen und Qualitäten anpasste."

Und obwohl es teilweise sehr dicht gestaffelte Abwehrlinien gab, fielen im Verlauf des Turniers 55
Treffer (aus Vergleichsgründen wurde das WM-Play-off nicht mitgezählt). Es war eine deutlich
höhere Ausbeute als bei den Turnieren 2015 (36) und 2017 (39). "Wenn wir nach Erklärungen
suchen", so der Technische Beobachter László Szalai, "können wir erkennen, das Mannschaften
mit Fünferketten nach Ballgewinn schnell nach vorne spielen wollen. In diesem Moment ist man
verwundbar und wir haben einige Tore gesehen, die nach hohen Rückeroberungen in der
kritischen Phase des Umschaltens von Abwehr auf Angriff gefallen sind."

Wenn man eher das Positive als das Negative in den Vordergrund stellt, kommt man bei der
Analyse der Tore zu dem Schluss, dass relativ wenige aus "Abwehrfehlern" resultierten. Geht man
die Sache eher kritisch an, könnte das Fazit aber auch anders ausfallen. Der Ballverlust nahe des
eigenen Strafraums, welcher Norwegen den Rückstand gegen Portugal einbrachte; je ein Treffer
für beide Teams beim Spiel zwischen der Türkei und England, als Pässe in kritischen Zonen

                                                                                                     13
abgefangen wurden; Finnlands Unachtsamkeit an der Strafraumgrenze gefolgt vom 0:2 gegen
Portugal und gleich drei haarsträubende Schnitzer von England tief in der eigenen Hälfte gegen
Frankreich…

Ein          zusätzlicher
Innenverteidiger       ist
auch                nicht
gleichbedeutend        mit
mehr Absicherung. So
gab es von ihnen auch
Fehler,      die      den
Spielverlauf maßgeblich
beeinflussten. So wie
den     Vorstoß       von
Frankreichs
Innenverteidiger Malang
Sarr in die gegnerische
                           ©Jussi Eskola
Hälfte im Halbfinale Finalist Italien nutzte viele Abwehrfehler aus
gegen Italien. Dabei
spielte er einen Pass, der einfach zu durchschauen war, und Nicolò Zaniolo leitete den
Gegenangriff ein. Dieser schickte Moise Kean auf die Reise und der Stürmer ließ sich nicht
zweimal bitten. Oder der Fehler von Lucas Queirós, der seinen Gegenspieler (erneut Kean)
einfach davonlaufen ließ, was zu einer Roten Karte führte, so dass Portugal im Spiel gegen Italien
schon nach acht Minuten nur noch zu zehnt agierte.

Geben und nehmen
Bei der Analyse des Turniers lag die Herausforderung darin, auf der einen Seite die Fehler
aufzuzeigen, diese aber auch mit der Fähigkeit aufzuwiegen, gegnerische Schnitzer auszunutzen.
Die Diskussionen führten zu einer Vielzahl an Themen, die eng miteinander verbunden sind. Etwa
das Pressing, die Positionierung von Abwehrreihen, die Nutzung von Kontern als Hauptwaffe oder
die Bereitschaft einer Mannschaft - selbst bei gegnerischen Fünferketten - voll auf die Abwehr
draufzugehen und mit großem Laufpensum abseits des Balles und Positionswechsel Chaos zu
schaffen. "Die Mannschaften waren bereit, die vorderste Reihe zu überladen", so die
Einschätzung von Matikainen. "Der Gegner sollte auch mit direkten Angriffen und Pässen in die
Tiefe überrumpelt werden. Wir haben viele Angriffe gesehen, die durch die Überladung einer Seite
entstanden sind, worauf es dann zum Seitenwechsel kam, wenn der Gegner gerade dabei war,
sich der Situation anzupassen. Die Türkei hat dies gegen England sehr gut gemacht. Aber danach
haben sie ihren Stil verändert und konnten in den nächsten zwei Partien kein Tor mehr erzielen."

                                                                                                     14
"Italien war das taktische Chamäleon", so Szalai.
"Sie hatten die Flexibilität in ihrem Angriff und
haben in der Offensive permanent die Positionen
getauscht." Die Grafik 1, die sich auf das
Gruppenspiel gegen Norwegen bezieht, zeigt
eine der Angriffsoptionen, die in der 1-4-4-2-
Formation mit Zaniolo als Spielmacher in der
Mittelfeldraute zur Verfügung stand. Während
Sandro Tonali (Nummer 18) die Innenverteidiger
absicherte, konnten sich beide Außenverteidiger
weit vorne mit einschalten. Insbesondere Raoul
Bellanova (14) tat dies auf der rechten Seite.
Zaniolo stieß meist zu den beiden Stürmern, die
sich knapp an der Abseitslinie bewegten und
immer wieder die Positionen wechselten. Dabei
lauerten sie auf Pässe in die Schnittstelle oder ©UEFA.com
                                                  Grafik 1: Italien mit Mittelfeldraute und offensiven
auf Bälle über die Abwehr hinweg. Abhängig von Außenverteidigern
der Reaktion der Innenverteidiger entschied sich
Zaniolo manchmal dazu, sich fallen zu lassen, um so einen Gegenspieler herauszuziehen, oder
den Ball im Zwischenraum in Empfang zu nehmen.

Portugal, das Team mit den meisten Toren bei
der Endrunde, war besonders zweikampfstark,
ebenso wie Frankreich. Grafik 2 zeigt, wie sich
diese Qualität mit den flüssigen Bewegungen
abseits des Balles in der Offensive ergänzte.
Anders als Italien setzte man dabei nicht auf
einen Zielstürmer. José Gomes nutzte seine
Mobilität und seine gute erste Ballberührung, um
zu den überlegten Angriffen beizutragen, anstatt
auf die Brechstange zu setzen. Die Grafik (aus
dem Spiel gegen Finnland) zeigt einen typischen
Angriff über die rechte Seite. Francisco Trincão
(17) bewegte sich auf Thierry Correia (14) zu,
während Miguel Luís (8) und Gomes Überzahl
schafften, um den Gegner zu zwingen, die
Formation zu verlassen. Oftmals kam es danach ©UEFA.com
                                                  Grafik 2: Portugal hatte sehr starke Flügelstürmer
zu schönen Kombinationen zwischen Quina (10)
und Jota (7), die auf der nun unbewachten linken Seite den Freiraum ausnutzten.

                                                                                                         15
©Jussi Eskola
Ukraine bot gute Leistungen

"Insgesamt hatte ich das Gefühl, dass die
Mannschaften das Passspiel in der eigenen
Hälfte nicht übertrieben", meinte Szalai.
"Stattdessen haben wir ein größeres Bemühen
hin zu direkten Angriffsoptionen gesehen." Das
Paradebeispiel lieferte die Ukraine unter
Olexandr Petrakov. Bis zur desaströsen halben
Stunde im Halbfinale gegen Portugal agierte das
Team in einem 1-5-4-1 mit "militärischer
Präzision" (Zitat Paul Simpson). Die Grafik 3 vom
Auftaktsieg gegen Frankreich zeigt, wie der
herausragende Vladyslav Supriaha (11) - der bei
Ballgewinn oft extrem isoliert stand - gute Läufe
startete, um einen direkten Ball von den
Innenverteidigern in Empfang zu nehmen. Die
beiden Außenverteidiger hatten die nötige ©UEFA.com
                                                  Grafik 3: Ukraine setzte auf lange Pässe
Kondition, um permanent die Linie auf und ab zu
laufen, während die äußeren Mittelfeldspieler nach innen zogen, wo sie ihre Dribbelstärke zur
Geltung bringen konnten. So konnte die Ukraine viele gefährliche Konter fahren.

Der falsche Fuß ist der richtige Fuß
Das Turnier in Finnland hat gezeigt, dass Flügelstürmer immer öfter auf der "falschen" Seite
eingesetzt werden: Linksfüßer auf rechts, Rechtsfüßer auf links. Dies war einst Rarität, ist heute
aber weit verbreitet. Die Ukrainer Heorhii Tsitaishvili und Serhii Buletsa waren dafür ein gutes
Beispiel, aber auch Portugal war mit Trincão und Jota besonders effektiv. "Die Vorteile liegen auf
der Hand", erklärte Szalai. "Ein Flügelstürmer, der auf der anderen Seite eingesetzt wird, kann in
die Räume zwischen die Innenverteidiger gehen und so die Seite für den Außenverteidiger frei
                                                                                                     16
machen."

Pressing ist Premium
In Verbindung mit der
Anzahl               der
Abwehrfehler wurde von
den         Technischen
Beobachtern auch die
Bedeutung            von
einstudierten
Pressingstrategien     in
den          Vordergrund
gestellt.          Hohe
Verteidigungslinien und
"offensives Verteidigen"
                          ©Jussi Eskola
standen in Finnland England jubelt im Spiel gegen die Türkei
hoch im Kurs. Die
Beobachter suchten die Schlussphase von Finnlands Spiel gegen Norwegen heraus, um ein
Beispiel für die Gefahr eines tiefen Verteidigens zu zeigen. Beim Stand von 2:1 in der 90. Minute
ließ sich der Gastgeber instinktiv zurückfallen, um den Vorsprung über die Zeit zu retten. In der
Nachspielzeit wurde man für die Passivität zweimal bestraft. Norwegen markierte nach einem
Durcheinander im Strafraum den Siegtreffer. Es war eines von zwei Toren, die von einem
Abwehrspieler markiert wurden. Bei dem anderen Treffer handelte es sich um Englands Ausgleich
gegen die Türkei, als Innenverteidiger Japhet Tanganga nach einem Freistoß erfolgreich war.

"Die Fähigkeit, den Ball in der gegnerischen Hälfte zu erobern, war eine der Schlüsselqualitäten",
bilanzierte Matikainen. "Ich war besonders beeindruckt von den Mannschaften, die Situationen
antizipieren konnten, in denen sich der beste Zeitpunkt zum Ballgewinn anbot, oder wann es
besser war, positionelles Pressing und Zustellen der Passwege anzuwenden. Dies bedeutet im
Umkehrschluss, dass die Fähigkeit, sich dem Pressing zu entziehen und die erste
Verteidigungslinie auszuspielen, ein kritisches Element darstellte."

Ein zufälliges Beispiel in
Grafik 4 zeigt Englands
Pressing im Spiel gegen
die Ukraine. Ziel war es,
den         gegnerischen
Spielaufbau auf eine
bestimmte Seite zu
limitieren. Die vorderen
fünf Spieler bewegen
sich energisch auf einen
Flügel,      um       die
Passwege               zu
blockieren. Einer aus
                             ©UEFA.com
dem Mittelfeldtrio rückt     Grafik 4: England mit hohem Pressing
heraus,      um      den
                                                                                                     17
Innenverteidiger unter Druck zu setzen. Der Rechtsverteidiger geht ebenfalls ins Pressing,
während der Rest der Abwehrkette sich zum Abfangen eines langen Ball bereit macht.

                                                                      In jener Partie lieferte
                                                                      England Beispiele, wie
                                                                      man das Aufbauspiel
                                                                      gestalten kann, wenn
                                                                      der Gegner (in diesem
                                                                      Fall also die Ukraine)
                                                                      sich für ein hohes und
                                                                      kollektives     Pressing
                                                                      entscheidet. Grafik 5
                                                                      zeigt, wie zwei der drei
                                                                      Innenverteidiger       tief
 ©UEFA.com                                                            und      breit    stehen,
 Grafik 5: England entzieht sich dem Pressing
                                                                      während       der    dritte
Innenverteidiger sich etwas absetzt, um Räume und Passwege zu öffnen. Damit erhält der
Torwart mehr Möglichkeiten. Die vorderen Spieler waren bereit, um einen langen Pass
festzumachen und nach der Spieleröffnung des Torwarts reagierten die Akteure schnell, um den
ballführenden Mitspieler Unterstützung anzubieten.

Die Ukraine mischte
schnelle Konter mit
geduldigem
Aufbauspiel. Aber in
beiden Fällen lag das
Endziel darin, direkte
Pässe in das vordere
Drittel zu spielen. Grafik
6 zeigt, wie Englands
Abwehr          überladen
wurde, um für Gefahr zu
sorgen. Während sich
der Ball auf der rechten
                           ©UEFA.com
Seite befindet, ließ sich Grafik 6: Die Ukraine mit der Spielverlagerung
Nummer 21 fallen, um
anschließend die Sturmspitze in Szene zu setzen oder einen Diagonalpass in den Laufweg von
einem der beiden Spieler auf dem anderen Flügel zu spielen.

Der Faktor Hitze
"Die Hitze hinderte Teams daran, permanent kollektiv hoch zu pressen", urteilte Szalai, "deshalb
haben wir einen guten Mix defensiver Strategien gesehen. Es gab hohe, mittlere und tiefe
defensive Formationen. Immer war es aber so, dass auf Ballgewinne sehr schnelle Gegenangriffe
folgten. Drei der fünf Tore im Spiel zwischen Frankreich und der Türkei waren das Ergebnis aus
Kontern, die zu einer Eins-gegen-Eins-Situation führten." Zustimmung gab es von Matikainen:

                                                                                                    18
"Wir haben klassische Überzahlkonter gesehen. Italiens Vorstoß bis ins Finale hat gezeigt, dass
sie immer bereit waren, bei schnellen Gegenangriffen mehrere Spieler nach vorne zu schicken."
Gegen Norwegen und Finnland zeigte jeweils das dritte Tor genau, wie viel Wert das
portugiesische Team auf Konter legte. Zwei der vier Treffer der Ukraine entstanden nach
schnellen Gegenangriffen und eines davon (der Siegtreffer gegen Frankreich) fiel als Folge eines
Freistoßes des Gegners.

Finnlands Trainer Juha
Malinen hatte sich eine
Pressing-und-Konter-
Strategie zurechtgelegt,
die dann ihre volle
Wirkung entfalten sollte,
wenn     der     Gegner
besonders verwundbar
war. Oder wie er es
ausdrückte: "Damit sie
'Aua' sagen müssen."
Während      sich    die
eigenen Spieler nach
                            ©UEFA.com
Ballgewinn    für   den     Grafik 7: Finnland im Aufbauspiel
Konter bereit machen,
                                                                       wurden zunächst ein
                                                                       paar       kurze     Pässe
                                                                       gespielt. Grafik 7 zeigt,
                                                                       wie       die     Strategie
                                                                       umgesetzt wurde. nach
                                                                       dem Ballgewinn in der
                                                                       eigenen Hälfte folgt das
                                                                       eingestreute
                                                                       Kurzpassspiel.        Zieht
                                                                       der Gegner in Richtung
                                                                       des          ballführenden
                                                                       Spielers,      folgt    ein
 ©UEFA.com                                                             Seitenwechsel. Grafik 8
 Grafik 8: Finnlands schnelles Angriffspiel
                                                                       illustriert Mechanismen
des direkten und schnellen Angriffspiels. Während Nummer 9 auf Läufe in die Tiefe spekuliert,
sucht Nummer 8 den Zwischenraum und ist bereit, in Dribblings zu gehen oder den Ball schnell
weiterzuleiten. Auf der rechten Seite wurde der Gegner von der unermüdlichen Nummer 7
beschäftigt, während Nummer 10 und der Linksverteidiger ein gutes Zusammenspiel und ein Auge
für offene Räume unter Beweis stellten.

Die Rückkehr des großen Stürmers
"Ein Merkmal des Turniers war die Anzahl an groß gewachsenen Stürmern", stellte Szalai fest.
Viele Teams hatten diesen Spielertyp, Norwegens Erling Håland und Vladyslav Supriaha von der
Ukraine sind nur zwei Beispiele. Allerdings interpretierten alle ihre Rolle unterschiedlich. Håland

                                                                                                      19
war der klassische Zielstürmer, Supriaha wich auch gerne auf die Flügel aus. England und
Finnland hatten ebenfalls Stürmer, die sich nicht in die eine Schublade packen lassen. Die beiden
Finalisten hatten vielleicht die interessantesten Variationen. Portugals Trainer Hélio Sousa (im
Gegensatz zu seinen Kollegen wie Bernard Diomède, ein Verfechter der Idee, "verschiedene
Spielsysteme" in die Ausbildung fließen zu lassen) sagte mit Überzeugung: "Ich werde die Spieler
dem Charakter meines Teams anpassen, anstatt die Struktur zu verändern." Dies setzte er in die
Tat um, als er im Halbfinale mit Pedro Correia einen Stürmer aufstellte, der viel mehr dem Typ
"Zielstürmer" entspricht als der quicklebendige José Gomes. Im Finale gegen Italien kam Correia
von der Bank und markierte den Siegtreffer.

Paolo Nicolato hatte
zwei "große Stürmer" in
seinem             Kader,
allerdings ließ er sie nur
selten        zusammen
auflaufen. Moise Kean,
der in zentraler Rolle
agierte     und      seine
Schnelligkeit einsetzte,
um durch die Mitte für
Durcheinander in der
gegnerischen Defensive
zu sorgen, zog es vor,
                           ©UEFA.com
sich über die Außen zu Italiens Gianluca Scamacca hinterließ einen guten Eindruck
bewegen, wenn sein
Team eher geduldig aufbaute. Dadurch öffneten sich mehr Räume im Mittelfeld. Gianluca
Scamacca, ein großer, kopfballstarker und ballsicherer Akteur, war ebenfalls sehr effektiv darin,
als Bindeglied aus der Tiefe zu agieren.

Grafik 9 zeigt, wie Kean
von       Nicolato     im
Gruppenspiel       gegen
Portugal              als
Schlüsselelement        in
Italiens Umschaltspiel
eingesetzt wurde. Die
Nummer 20 war immer
als        Anspielstation
bereit, konnte die Bälle
festmachen oder selbst
ein Solo starten. Aber er
war auch ein wichtiger
                           ©UEFA.com
Bestandteil          des Grafik 9: Italien im Umschaltspiel in die Offensive
italienischen     Teams,
wenn es darum ging, schnelle Konter zu fahren. Er wich oft auf die Seiten aus und zog damit
einen Verteidiger mit sich, wodurch sich Räume für die unterstützenden Spieler aus dem Mittelfeld

                                                                                                    20
boten.

Zurück zum Spielsystem: Portugal hielt an dem 1-4-3-3 fest und stand damit um Kontrast zu
Teilnehmern wie Italien, England oder der Türkei, die ihr System zu einem Grad änderten, der es
den Technischen Beobachtern schwer machte, sich auf eine Standardformation der Mannschaften
für die Grafik in diesem Bericht zu einigen.

Aufbauspiel
"Ich muss meine Spieler darauf hinweisen, dass das Aufbauspiel mit dem Torwart als
Ausgangsposition manchmal riskant ist", so Hélio Sousa. "Ich denke, wir gehen manchmal zu
weit, wenn wir bei tiefem Aufbauspiel ins Schwärmen geraten und ich versuche, meine Spieler
davon zu überzeugen, dass nichts dagegen spricht, auch mal einen langen Ball in einen für uns
nützlichen Bereich zu schlagen."

Die Diskussion wurde angeheizt durch die Anzahl der Tore, die nach Fehlpässen und Fehlern tief
in der eigenen Hälfte entstanden. Das Thema lässt sich erweitern, wenn man das Konzept
"Ballbesitzfußball" als Ganzes mit dazu nimmt. In Finnland wurden sechs von 13 Siegen durch die
Mannschaft mit weniger Ballbesitz als der Gegner gewonnen. Die Ukraine erreichte das
Halbfinale, obwohl man im Schnitt nur knapp mehr als 40 Prozent Ballbesitz hatte. Der Höchstwert
lag gerade einmal bei 45 Prozent und davon verzeichnete man einen Großteil, als man in der
zweiten Halbzeit bereits mit 0:5 zurücklag.

Die Statistik aller Spiele zeigt, bis zu welchem Ausmaß Ballbesitz zu Vorstößen in das letzte
Drittel führte. Noch mehr Bedeutung hat in diesem Zusammenhang natürlich die Anzahl der
Torschüsse.

Motivation und Ansprache
Finnlands Trainer, der erst im März ins Amt gekommen war, betonte die Bedeutung von
Motivationsarbeit und in ein starkes Selbstvertrauen. Damit war er bei weitem nicht der einzige
Trainer, der auf viel Kommunikation setzte. Frankreichs Coach Bernard Diomède, der bis 4 Uhr in
der Früh aufblieb, um nach dem Sieg gegen England mit seinen Spielern zu sprechen, unterstrich
die Bedeutung von persönlichen Beziehungen und dem Betreuen einer Gruppe, die aufgrund der
Interessen von Klubs und Beratern leicht vom kollektiven Grundgedanken abgelenkt werden
können. Olexandr Petrakov von der Ukraine formulierte es so: "Ich sehe mich nicht nur als
Trainer, sondern auch als einen Mentor bei ihrem Lebenstraining-Prozess. Also geht es bei
meinem Job viel um Psychologie, ich muss sie ermutigen und inspirieren." Englands Paul
Simpson, einer der Befürworter von Rotation des Kaders, will "jedem Spieler
Entwicklungsmöglichkeiten bieten." Für ihn ist es eine der wichtigsten Aufgaben, "aus Spielern
bessere Persönlichkeiten" zu machen. Norwegens "Paco" Johansen freute sich über die Mithilfe
eines Mentaltrainers, einem Master-Absolventen in Sportpsychologie, der unentgeltlich nach
Finnland angereist war. Der türkische Trainer Vedat Inceefe hatte sich gewissenhaft auf die
Endrunde vorbereitet und war mit der Mannschaft weit vor dem ersten Spiel nach Finnland
gereist. Für ihn war es wichtig, sich mit Herausforderungen wie Heimweh und der Dynamik eines
längeren Zusammenseins in einer Gruppe zu befassen.

Der Terminplan, die hohe Intensität der Spiele, die Hitze und der Kunstrasen forderten ihren
Tribut. Während die Spieler an ihre Grenzen gingen, mussten die Trainer eng mit dem
Betreuerstab zusammenarbeiten, um die Regenerationsphasen so effektiv wie möglich zu

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gestalten. Auch Rotation war ein wichtiges Werkzeug. Ein weiterer Faktor stellte Erfahrung bei
großen Turnieren dar. War es Zufall, dass im portugiesischen Kader elf Spieler standen, die zwei
Jahre zuvor den U17-Titel gewonnen hatten? Bei Italien waren es zehn, bei der Ukraine neun und
bei Frankreich sieben.

Viele Tore
Das Turnier kam gänzlich ohne torlose Unentschieden aus. Es fielen 55 Treffer, was einem
Schnitt von 3,67 pro Partie entspricht (58 und 3,63, wenn man das Play-off mit einbezieht). Dies
kann sich durchaus sehen lassen. Die Analyse der Tore ergab, dass 15 der 46 Treffer, die aus
dem Spiel heraus fielen, nach Flanken oder Hereingaben von außen erzielt wurden. Tore durch
Schüsse aus der Distanz waren Mangelware, ebenso wie Sololäufe. Die meisten davon kamen
nach schnellen Kontern. Nur vier Tore wurden per Kopf markiert - auch wenn die ersten beiden
Treffer Portugals im Halbfinale gegen die Ukraine nach einer Hereingabe und einer Ecke erzielt
wurden, nachdem es zunächst zu Kopfbällen gekommen war.

Tore nach Standardsituationen waren außergewöhnlich selten (16,36 Prozent). Im Gegensatz
dazu waren bei der FIFA-WM, welche nur Stunden vor dem Beginn der Endrunde in Finnland
beendet wurde, ganze 43 Prozent der Treffer nach Standards gefallen. Auch in Abwesenheit des
Video-Schiedsrichters stellt dies eine schwache Ausbeute nach Standardsituationen dar. Nur zwei
der 140 Eckbälle resultierten in ein Tor. Die Tatsache, dass Finnland gegen Norwegen den
Ausgleich erzielte, nachdem man im Anschluss an eine Ecke einen Elfmeter erhielt, macht die
Statistik nur geringfügig besser. "Vielleicht war dies keine große Überraschung", reflektierte
Matikainen, "muss man doch bedenken, dass nur wenig Zeit in das Trainieren von
Standardsituationen gesteckt werden konnte. Die Türkei und Finnland widmeten den Standards
im Training viel Aufmerksamkeit, während Frankreich und England dies weitestgehend
vernachlässigten. "Wir haben nur wenig Zeit mit Standards verbracht", gab Paul Simpson zu. "Wir
haben ein paar Dinge einstudiert, aber generell erlauben wir den Spielern viel Kreativität und
Freiheiten bei ruhenden Bällen. In der Defensive haben die Spieler alle klare Anweisungen, wie
sie ihre Rolle in der Mannschaft auszuführen haben."

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©UEFA.com
Zeiten der Tore (fehlende 2% = Stellen nach dem Komma)

Auch zum Angriffsverhalten gibt es einige Zahlen: Im Vergleich zum Vorjahr wurde ein Anstieg
von 19 Prozent bei den Torschüssen verzeichnet. Insgesamt 383 Torschüsse führten zu 55 Toren
- also führte etwa jeder siebte Schuss zum Tor. Hinsichtlich der Präzision beim Abschluss bleibt
festzuhalten, dass 46 Prozent der Schüsse auch auf das Tor gingen (60 Schüsse wurden
abgeblockt). Italien war das einzige Team, welches mehr Schüsse über das Tor oder am Tor
vorbei verzeichnete. Die detaillierte Analyse bestätigt, dass Portugal besonders effizient war.
Jeder fünfte Torschuss führte zu einem Treffer.

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Trainieren nach Zahlen
Ein Großteil der Fußball-Beobachter ist der Meinung, dass Fußball nicht "auf Statistiken reduziert"
werden kann. In einer Ära, in der mehr Daten als je zuvor zur Verfügung stehen, besteht eine der
Herausforderungen für den Trainer darin, die statistischen Zusammenfassungen richtig zu
interpretieren. Welche davon sind für die Verbesserung einer Mannschaft überhaupt hilfreich?

Das Turnier in Finnland wurde statistisch von InStat beobachtet. Die Daten von InStat wurden mit
den Statistiken, die von der UEFA selbst angefertigt wurden, zusammengetragen und flossen in
diesen Bericht ein. Dabei sind einzelne Spielstatistiken den Durchschnittswerten vorzuziehen, da
letztere manchmal irreführend sein können. Beispielsweise hatte Norwegen in der Gruppenphase
einen Schnitt von elf Torschüssen pro Spiel, im Play-off gegen England waren es aber 25. Man
darf hoffen, dass die Statistiken zum Nachdenken in Bereichen wie der Bedeutung von Ballbesitz
und dem Umschalten nach Balleroberungen anregen. Wie lassen sich positive Aktionen wie
Vordringen in den Strafraum und letztendlich das Erzielen von Toren steigern? Die Statistiken
deuten an, dass allgemein die Flügel der beste Weg zum Torerfolg sind. Frankreich war dabei die
Ausnahme der Regel und verzeichnete besonders viele gute Angriffe durch die Mitte. Titelträger
Portugal nutzte die Flügel regelmäßig und vor allem die herausragenden Leistungen von Jota
führten dazu, dass man es immer wieder über links probierte. Nur in dem Gruppenspiel zwischen
Portugal und Italien kam es anders (erneut ein Beleg dafür, dass Durchschnittswerte mit Vorsicht
zu genießen sind), denn dabei griff die Elf von Hélio Sousa vor allem durch die Mitte an. Eine
mögliche Erklärung: Nach dem Platzverweis von Lucas Queirós in der neunten Minute wurde Jota
aus dem Spiel genommen, so dass David Carmo die Lücke in der Innenverteidigung schließen
konnte.

Einige     der   wichtigsten     Statistiken   des    Turniers    lassen    eine    Vielzahl    an
Interpretationsmöglichkeiten zu.

Torschussversuche

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                                                                                                      24
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Hinweis: Schüsse, die an Latte/Pfosten gingen, werden in der Spalte "Schüsse auf das Tor"
gewertet, wenn sie vom Torwart oder einem Verteidiger berührt wurden. Schüsse an das
Aluminium ohne Berührung werden als "nicht auf das Tor" gewertet.

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Trainer des Siegers

Portugals Trainer Hélio Sousa (links) und Kapitän Diogo Queirós ©FPF

"Wir haben den Spielen einen portugiesischen Stempel aufgedrückt: Defensiv stark sein, den
Gegner unter Druck setzen, viele Chancen kreieren und Tore schießen. Meine Spieler waren
positiv, haben ihre Qualitäten gezeigt und demonstriert, dass wir eine Spielphilosophie haben."

Diese Worte von Hélio
Sousa wurden nach
Portugals Gewinn des
UEFA-U17-Titels 2016
gesprochen. In den
zwei Jahren seither hat
sich seine Einstellung
nicht geändert, obwohl
er in Finnland ein ganz
anderes Team unter
sich hatte. Fünf Spieler
waren           aufgrund
fehlender Freistellung
                          ©Sportsfile
ihrer    Vereine    nicht Portugal erhält in Finnland den Pokal
dabei,      einer    war
verletzt. "Das Wichtigste ist, dass wir unsere Identität nicht verloren haben, egal was passierte.
Und es ist wichtig, dass wir weiterhin versuchen, diese Identität zu entwickeln: Dass wir das
implementieren, was wir im Training tun, und unser Wissen aus den gemeinsamen Jahren auch
nutzen. Alle portugiesischen Nationalmannschaften spielen auf Basis eines 1-4-3-3. Das kann
aufgrund der Spielerentwicklung und von individuellen Eigenschaften angepasst werden, und
manchmal sieht man uns auch im 1-4-4-2. Das ist die Basis unserer Arbeit. Ich glaube, dass man

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die Persönlichkeit des Teams verändert, indem man Spieler verändert, und nicht die Strukturen."

Nirgendwo zeigte sich seine positive Philosophie so wie im Gruppenspiel gegen Italien in Vaasa,
in dem sein Team nach acht Minuten in Unterzahl geriet. Unbeeindruckt spielte Portugal im 1-4-2-
3 hohes Pressing und fiel nur, wenn es sein musste, in ein 1-4-4-1 zurück. Portugal schoss zwei
Tore. "Wir haben in diesem Spiel ein paar Fehler gemacht – wie in der Szene vor der Roten Karte
– und für diese wurden wir bestraft. Aber die Art und Weise, wie Italien den 3:2-Sieg gefeiert hat,
zeigt, wie viel Respekt sie vor unserem Team hatten."

Als Schlüsselelemente
seiner kontinuierlichen
Spielerentwicklung
identifiziert er in erster
Linie "Intensität". "Im
Training muss man
intensiv arbeiten", sagt
er. "Wenn man nur kurz
mit der Gruppe arbeiten
kann, muss man die
Spieler       aus    ihrer
Komfortzone holen. Ich
glaube,      dass     zum
                            ©Sportsfile
Beispiel ein Training João Filipe feiert eines seiner zwei Tore im Endspiel
ohne       Gegner     kein
richtiges Training ist. Ich denke, dass Nationaltrainer aus anderen Ländern das gleiche Problem
haben wie ich:Ddie Spieler bei Topklubs werden nicht oft an ihr Limit gebracht. Das heißt zum
Beispiel, dass wir den Fokus auf Spielsituationen ohne Ballbesitz legen müssen, weil sie oft nicht
hart pressen müssen, um den Ball zurückzubekommen. Auf internationalem Niveau treffen wir auf
viele Teams, die - zumindest in einigen Spielsituationen - auf Ballbesitz ausgelegt sind. Deshalb
müssen die Spieler lernen, damit umzugehen und geduldig und effizient zu sein, wenn der Gegner
den Ball hat."

Auch das Umschaltspiel und die defensive Struktur gehören zu den Prioritäten. "Das Spiel
entwickelt sich und ich denke, dass manchmal fast zu viel Wert darauf gelegt wird, das Spiel von
hinten aufzubauen. Man muss akzeptieren, dass es ein Risikoelement gibt und man muss daran
arbeiten, einen längeren Pass in einen Bereich zu spielen, wo wir ihn nutzen können."

"Der Sieg war schön", gibt er zu. "Aber es ist auch wichtig, sich nicht nur auf das Ergebnis zu
konzentrieren. Wenn man mit diesen Altersgruppen arbeitet, muss man im Kopf behalten, dass es
diese Wettbewerbe sind, die man ihnen geben will. Erinnerungen sind Spiele, aber zu
Erinnerungen gehören auch Kollegen und gemeinsame Erfahrungen. Ich kenne das aus meiner
eigenen Vergangenheit und dem Beginn meiner Karriere. Die Beziehungen, die ich damals
aufgebaut habe, bedeuten mir heute noch sehr viel. Klar, nur ein Team kann den Titel holen, aber
man muss im Kopf behalten, dass diese Turniere eine unvergleichliche Erfahrung sind."

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Team des Turniers
Torhüter

     Alessandro Plizzari        Yehvann Diouf
1                          16
             Italien                 Frankreich

Verteidiger

      Romain Correia            Rúben Vinagre         Trevoh Chalobah        Davide Bettella
4                          5                      6                     6
            Portugal                 Portugal              England                 Italien

        Thierry Correia         Raoul Bellanova
14                         14
             Portugal                  Italien

Mittelfeldspieler

       Nicolò Zaniolo            Florentino            Saku Ylätupa         Mickaël Cuisance
5                          6                      8                     8
             Italien                 Portugal              Finnland              Frankreich

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