Journal für Mobilität und Verkehr - Qucosa.Journals
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Journal für Mobilität und Verkehr, Ausgabe 13 (2022) Journal für Mobilität und Verkehr ISSN 2628-4154 www.dvwg.de Tote Winkel für Ladeinfrastruktur – was bei der Platzierung öffentlicher Ladeinfra- struktur im Detail zu beachten ist Timotheus Klein*, Thomas Prill, Daniela Kind Abstract Der Ausbau der Ladeinfrastruktur für batterieelektrische Fahrzeuge erfordert die Identifikation von Bereichen, in denen Ladeinfrastruktur viele Nutzer bedient und wirtschaftlich betrieben werden kann. Oft werden dabei Be- darfs-Hotspots auf einer Rasterzellenebene von einigen hundert Quadratmetern bestimmt. In dieser Studie war das Ziel, Nutzungsrelevante Faktoren innerhalb solcher Hotspots zu identifizieren. Dafür wurden Nutzung und Umgebung von benachbarten Ladestationen verglichen. Schlagwörter / Keywords: Standort, Erreichbarkeit, Elektromobilität, HeatMap 1. Einleitung wird, die in der europäischen Verordnung für alterna- tive Kraftstoffe als Obergrenze empfohlen wird. An- Nachdem Deutschland zunächst das Ziel verfehlt dere Regionen bieten attraktivere Kennzahlen – z.B. hat, bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf die 5,5 – 7,0 in den vier großen Stadtregionen der Nieder- Straße zu bringen (Bundesregierung 2009), verlagert lande (Wolbertus 2020). Die aktuellen Entwicklungen sich die deutsche Automobilindustrie in letzter Zeit in Hamburg und im Rest Deutschlands erfordern da- verstärkt auf batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) her einen zeitnahen Ausbau der Ladeinfrastruktur. (Wappelhorst 2020), wodurch die Erweiterung der La- Die öffentliche Ladeinfrastruktur in Hamburg wurde deinfrastruktur zunehmend dringlicher wird (Routes mithilfe einer Heatmap lokalisiert, in der das Nachfra- de France; ERF, FNTP; FIEC; CICA 2020). Die Verfügbar- gepotential für öffentliches Laden anhand einer Reihe keit von Lademöglichkeiten wird im Hinblick auf die von Umgebungsattributen beurteilt wurde. Eine Aus- Kaufentscheidung zugunsten eines Elektrofahrzeugs wertung der Ladedaten ergab jedoch niedrige Korre- als elementar erachtet (Buckstegen 2017; PwC Strate- lationskoeffizienten zwischen den in der Heatmap be- gie& 2020; Wolbertus 2020). In Hamburg waren An- rücksichtigten Umgebungsattributen und dem beo- fang 2022 nur 13078 BEV registriert (KBA 2022), aber bachteten Ladebedarf. Im Rahmen des Projektes „E- eine aktuelle Studie rechnet für Hamburg bis 2030 mit MetropoLIS“, in dem öffentlich zugängliche Ladeinfra- bis zu 320000 BEV, die bis zu 23000 normale und mehr struktur in Ballungsräumen evaluiert wird, soll diese als 1000 öffentliche Gleichstrom-Schnellladestationen Studie Faktoren identifizieren, die einen Standort mit benötigen würden (Nicholas & Wappelhorst, 2020). hoher Nachfrage von einem Standort mit geringer Die Stadt Hamburg hat bereits 2014 einen Master- Nachfrage unterscheiden, sofern sich die bisher be- plan für öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur ver- trachteten Merkmale nicht wesentlich unterscheiden. abschiedet (Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Die hierfür gewählte Methode ist der Vergleich öffent- Hamburg 2014), der den Aufbau von 592 Ladepunk- licher Ladestationen in unmittelbarer Nachbarschaft ten im öffentlichen Raum für voraussichtlich 4900 zueinander, die ähnliche oder identische Umgebungs- Fahrzeuge im Jahr 2016 vorsieht. Im Dezember 2019 eigenschaften aufweisen, deren Auslastung jedoch hat die Zahl der öffentlichen Ladepunkte im gesamten stark voneinander abweicht. Mit diesem Vergleich sol- Stadtgebiet 1000 überschritten. Kurzfristig kann es zu len Faktoren identifiziert werden, die bisher nicht be- Engpässen kommen, wenn eine Quote über 10 Fahr- rücksichtigt wurden, aber für die Auslastung öffentli- zeugen pro öffentlichem Ladepunkt überschritten cher Ladeinfrastruktur relevant sein können. 14 *Korrespondierender Autor: Timotheus Klein*, ARGUS Stadt und Verkehr, t.klein@argus-hh.de
Der nächste Abschnitt gibt einen kurzen Überblick Ladeinfrastruktur auf städtischer oder lokaler Ebene über den bisherigen Standortwahlansatz in Hamburg, orientieren sich an nutzerInnenspezifischen Anforde- die zugrunde liegenden Überlegungen und die Ergeb- rungen und berücksichtigen das tatsächliche Ver- nisse der Evaluation. Der folgende Abschnitt be- kehrsaufkommen, die Verkehrsbeziehungen, das po- schreibt die Daten und den methodischen Ansatz die- tenzielle NutzerInnenverhalten und die räumlichen ser Studie. Der dritte Abschnitt und die darauf folgen- Strukturen (Brost, Funke, & Lembach 2018; Csaba, den präsentiert die Ergebnisse, die im letzten Ab- Bálint, Földes, Wirth, & Lovas 2019; Niels, Bogenber- schnitt diskutiert werden. ger, Gerstenberger & Hessel 2020). Grundlage dieser Praxis sind Erhebungen zum potenziellen, beabsichtig- 2. Lokalisierung der bestehenden öffentlichen La- ten oder praktizierten Ladeverhalten (BuW 2017; Kon- destandorte in Hamburg tou, Liu, Xie, & Wu 2019; Csaba et al. 2019). 70 % der NutzerInnen von Elektrofahrzeugen gaben an, min- Zielsetzung des ursprünglichen Ansatzes für die destens monatlich öffentliche Ladeinfrastrukturen zu Standortwahl für öffentliche Ladeinfrastruktur in nutzen. Zudem fanden mehrere Studien heraus, dass Hamburg war neben einer maximalen Auslastung Parkdauern von mindestens 15 Minuten für einen La- auch strategische Überlegungen wie die Unterstüt- devorgang attraktiv sind, sodass sich Aktivitäten mit zung intermodaler Wegeketten mit batterieelektri- entsprechender Dauer für eine nutzerzentrierte Aus- schen Carsharing-Fahrzeugen und dem ÖPNV. Für wertung besonders eignen (BuW 2017; Csaba et al. über 50.000 wabenförmige Zellen mit einem maxima- 2019). Grober, Janßen, & Kücükay (2020) beobachte- len Durchmesser von 150 Metern wurden dement- ten, dass BEV-FahrerInnen jede Gelegenheit zum Auf- sprechende Umgebungsvariablen bewertet. Die Be- laden nutzen, egal ob notwendig oder nicht. Mögliche wertung berücksichtigte die Erreichbarkeit mit öffent- Motive sind die Angst vor leeren Akkus, exklusives Par- lichen und privaten Verkehrsmitteln, die Dichte der ken zum Aufladen von Fahrzeugen und die obligatori- Wohn-, Gewerbe- und Freizeitnutzung, die Entfer- sche Aufladung bei der Anmietung. Es überrascht da- nung zu Points of Interest (POI) mit Einkaufsgelegen- her nicht, dass größere Städte mehr Ladevorgänge pro heiten und verschiedene Einrichtungen wie Bibliothe- Station aufweisen als kleinere Städte (Ziem-Milojevic ken, Ämter usw. Für vordefinierte Klassen der unter- & Wanitschke 2020). Allerdings schätzen Wirges, Lin- schiedlichen Attributskategorien wurden Punkte ver- der & Kessler (2012) ein, dass nur ein kleiner Teil aller geben und durch Addition zu einer Gesamtpunktzahl Ladevorgänge in der öffentlichen Infrastruktur statt- aggregiert (Tabelle 1). Gebiete, die ausweislich einer finden wird. Der überwiegende Teil tritt im privaten hohen Gesamtpunktzahl ein hohes Ladebedarfspo- Bereich auf, zum Beispiel in Garagen mit hauseigenen tenzial aufweisen, wurden vor Ort unter Berücksichti- Wallboxen. Dieser Umstand erfordert einen Kompro- gung der straßenräumlichen Situation, des urbanen miss zwischen einer sichtbaren, also möglichst hohen Umfelds und der elektrischen Infrastruktur unter- Anzahl von Ladestationen und deren Auslastung. In je- sucht. dem Fall muss die öffentliche Ladeinfrastruktur attrak- Tabelle 1: Umgebungsvariablen, Datenquellen und dimen- tiv sein und in einem Umfang genutzt werden, der die sionslose Bewertung der Rasterwaben für die Ladeinfra- öffentlichen Investitionen in Infrastruktur und Stadt- struktur (Klein & Scheler, 2018). ALKIS = Amtliches Liegen- raum rechtfertigt. schaftskatasterinformationssystem, BGF = Bruttoge- Der Planungsprozess in Hamburg wurde 2018 eva- schossfläche luiert. Im Fokus der Evaluation stand der Zusammen- hang zwischen quantifizierbaren Umweltmerkmalen und Ladebedarf auf der Ebene der hexagonalen Git- terzellen. Der Ladebedarf wurde anhand von Ladeer- eignissen und dem Energieverbrauch quantifiziert. Alle Korrelationskoeffizienten lagen für den gesamten Datensatz unter 0,36 und für eine Teilmenge von La- destationen mit einer speziellen Markierung auf dem Boden der entsprechenden Parkplätze unter 0,62 (Klein & Scheler 2018). 2. Methode und Daten Quelle: ARGUS Grundlage dieser Analyse ist ein Datensatz von ca. Dieser allgemeine Ansatz und die zur Abschätzung 150.000 Ladeereignissen an öffentlichen Ladepunkten des potenziellen Ladebedarfs verwendeten Umge- in Hamburg in den Jahren 2018 und 2019, der vom lo- bungsvariablen spiegelten den Stand von Forschung kalen Netzbetreiber Stromnetz Hamburg (SNH) für und Praxis wider. Methodiken zur Lokalisierung von das Forschungsprojekt E-MetropoLIS bereitgestellt 15
wurde. Die Tabelle der Ladeereignisse enthält die ent- Verbindungsdauer bzw. Anzahl Ladeereignissen ande- sprechende Ladestation, Zeitstempel für Start und rerseits besteht, wurden die Gradienten zwischen Stopp des Ladevorgangs und die verbrauchte Energie letzteren nach einem ersten Screening nicht separat in Kilowattstunden. Die Ladedaten wurden für La- untersucht. Unter den DC-Ladestationen wurden nur destationen aggregiert. Parameter zur Quantifizie- fünf Paare ausgewählt, da es für weitere Beispiele rung des Ladebedarfs sind die Anzahl der Ladevor- nicht genügend DC-Ladestationen in hinreichender gänge, die Dauer aller Ladevorgänge und die ver- Nähe zueinander gab. brauchte Energie. Es wurden zwei Jahre, 2018 und Der allgemeine Arbeitsablauf dieser Studie lässt sich 2019, analysiert und alle Parameter durch die Anzahl wie folgt zusammenfassen: der Betriebstage im jeweiligen Jahr dividiert. Saisonale Schwankungen wurden nicht analysiert. 1) Aggregation der Ladedaten für 2018 und Um zu erkennen, wo die lokale Variation der Umge- 2019. bung zu großen Unterschieden im Ladebedarf führt, 2) Berechnung der Gradienten für AC- und DC- wurden Gradienten zwischen Paaren von Ladestatio- Ladestationen. nen nach Gleichung (1) berechnet. 3) Auswahl von bis zu 15 Paar Ladestationen mit den höchsten Gradienten. 2 − 1 = (1) 4) Untersuchung der lokalen Umgebung ausge- wählter Ladestations-Paare auf potenziell re- mit g: Gradiente levante Aspekte. m: Maßeinheit (z.B. Kilowattstunden); index: Nummer der Ladestationen in 3. Ergebnisse Tabellen 2 und 3. Die Ergebnisse für die AC-Ladesäulen sind in Tabelle d: Distanz [m] 2 dargestellt, die für die DC-Ladesäulen in Tabelle 3. In beiden Tabellen ist die erste Ladesäule (Nr. 1) dieje- Diese Gradienten setzen die Differenz des Ladebe- nige, an der weniger Energie verbraucht wurde. Im All- darfs ins Verhältnis zur Entfernung zwischen zwei La- gemeinen sind die Unterschiede zwischen den norma- destationen. Es wurden nur Paare von Ladestationen lisierten Scoring-Werten gering, nur zwei von fünf- im Abstand von weniger als 300 m zueinander berück- zehn liegen über 0,1. Insgesamt zeigen die ausgewähl- sichtigt. Ladestationen mit Wechselstrom (AC) wur- ten Daten einen deutlichen Anstieg der Nachfrage von den nicht mit Stationen, die Gleichstrom (DC) liefern, 2018 bis 2019. Generell ist eine Tendenz zu mehr La- gepaart, um Auswirkungen der Ladegeschwindigkeit deereignissen, längeren Ladezeiten und höherem zu eliminieren. Sowohl AC- als auch DC-Ladestationen Energieverbrauch zu erkennen, trotz des Ausbaus der im Datensatz verfügen im Allgemeinen über zwei La- öffentlichen Ladeinfrastruktur von 413 Ladestationen depunkte, mit einer Ausnahme, die nicht in den nach- Ende des Jahres 2018 auf 473 Ende 2019. folgend erörterten Einzelfällen vorkommt. Die örtliche Umgebung der in den Tabellen 2 und 3 Auch die mit aktuellen Landnutzungsdaten und der aufgeführten Paare öffentlicher Ladestationen wer- Gewichtung von Klein et al. (2018) berechneten Be- den im folgenden Abschnitt detaillierter beschrieben. wertungen wurden verglichen, indem die Gradienten Die Unterschiede zwischen quantifizierbaren Umge- zwischen den benachbarten Bewertungen berechnet bungsvariablen, wie sie im normalisierten Scoring- wurde (Tabellen 2 und 3). Diese weisen vor allem auf Wert zusammengefasst sind, sind im Allgemeinen ge- Unterschiede in der Flächennutzungsdichte (Wohnen, ring, mit zwei Ausnahmen. Die Vorzeichen der Gradi- Gewerbe) hin. In geringerem Maße berücksichtigt der enten der normalisierten Scores stimmen nicht immer Standort-Score auch die Frequenz des ÖPNV, Entfer- mit denen der Gradienten des Energieverbrauchs nungen zu Einkaufs-, Freizeit- und Privatangelegenhei- überein. In fünf von fünfzehn Fällen fiel ein höherer ten sowie zu Ausfallstraßen, da diese Faktoren in den Score mit einem niedrigeren Energieverbrauch zu- ursprünglichen Standort-Score einfließen. In dieser sammen. Dies bestätigt die Annahme, dass allein Form wurden quantitative Kennwerte berücksichtigt. quantifizierbare Umgebungsvariablen nicht die ideale Vor allem zielt diese Studie hingegen auf eine indivi- Position für eine Ladestation im fußläufigen Umfeld duelle Untersuchung von Einzelfällen ab, die möglich- berechnen können. erweise besser geeignet ist, den tatsächlichen Pla- nungsprozess zu unterstützen als beispielsweise eine Regressionsanalyse von Umgebungsvariablen. Unter den Paaren von AC-Ladestationen wurden die fünfzehn höchsten Gradienten für den Energiever- brauch untersucht. Da ein offensichtlicher Zusam- menhang zwischen Energieverbrauch einerseits und 16
Tabelle 2: Unterschiede beim Energieverbrauch [kWh/Tag] wirtschaftlichen Nutzung abträglich. Folglich sollten zwischen benachbarten AC-Ladestationen und andere La- Kennwerte der Erreichbarkeit zur Identifizierung von dekennzahlen für 2019 und 2018 (zweite Zeile). Auswahl Ladeinfrastrukturstandorten idealerweise das Pkw- der fünfzehn AC-Ladesäulenpaare mit dem höchsten Gra- Routing auf Hausnummernebene berücksichtigen und dienten für Energieverbrauch bezogen auf die Entfernung dabei nicht nur Einbahnstraßen, sondern auch zuläs- im Jahr 2019. sige Abbiegebewegungen und Fahrtrichtungsteiler berücksichtigen. Darüber hinaus scheinen eine gute Sichtbarkeit und die Möglichkeit, den Ladevorgang mit Besorgungen oder alltäglichen Freizeitaktivitäten zu kombinieren, zur Attraktivität einer öffentlichen Ladestation beizu- tragen. Dies setzt jedoch eine gute fußläufige Erreich- barkeit solcher Nutzungen von der Ladestation vo- raus. 4. Detailbetrachtung für AC-Ladestationen 402 und 267: Im Jahr 2019 war der Energiever- brauch an Ladestation Nr. 267 um 74% höher als an Ladestation Nr. 402. Die Anzahl der Ladevorgänge war höher und die Ladezeit war länger. Ladestation Nr. 267 liegt in der eher ruhigen innerstädtischen Er- schließungsstraße Altstädter Straße mit vielen Park- plätzen und einigen Dienstleistungs- und Einkaufs- möglichkeiten im Erdgeschoss. Nr. 402 liegt am „Jo- hanniswall“, einer Sammelstraße gegenüber dem „City-Hof“, dessen Abriss im April 2019 begann. 901 und 231: Im Jahr 2019 war der Energiever- brauch an Ladestation Nr. 231 um 49% höher als an Ladestation Nr. 901. Auch die Anzahl der Ladevor- Quelle: ARGUS gänge war höher, die Ladezeit jedoch kürzer. Ladesta- tion Nr. 231 liegt am Alstertor, einer innerstädtischen Tabelle 3: Unterschiede beim Energieverbrauch [kWh/Tag] Erschließungsstraße mit zahlreichen Geschäften im zwischen benachbarten DC-Ladestationen und andere La- dekennzahlen für 2019 und 2018 (zweite Zeile). Auswahl Erdgeschoss, gegenüber von einem der renommier- der fünfzehn DC-Ladesäulenpaare mit dem höchsten Gra- testen Theater Hamburgs (Thalia). Nr. 901 befindet dienten für Energieverbrauch bezogen auf die Entfernung sich in einer Garage eines Einkaufszentrums. im Jahr 2019. 531 und 474: Im Jahr 2019 war der Energiever- brauch an Ladestation Nr. 474 um 283% höher als an Ladestation Nr. 531. Die Anzahl der Ladevorgänge war höher und die Ladezeit war länger. Ladestation Nr. 474 befindet sich in der Marktstraße, einer Erschlie- ßungsstraße und beliebten Einkaufsstraße mit Einrich- tungsverkehr. Nr. 531 befindet sich in der „Laeisz- straße“, einer Sackgasse, die früher an die „Markt- straße“ anschloss und gesperrt wurde (vgl. LGV FHH 2020), vermutlich um den Durchgangsverkehr zu re- duzieren. Quelle: ARGUS 556 und 249: Im Jahr 2019 war der Energiever- Die detailliertere Betrachtung der Leistungsfähig- brauch an Ladestation Nr. 249 um 164% höher als an keit und des lokalen Umfelds benachbarter Ladesäu- Ladestation Nr. 556. Die Anzahl der Ladevorgänge war len offenbart ein wiederkehrendes Thema für eine at- höher und die Ladezeit war länger. Ladestation Nr. traktive Ladeinfrastruktur: gute Anfahrbarkeit für Au- 249 liegt an der Seilerstraße, einer Erschließungs- tofahrerInnen und Erreichbarkeit für FußgängerInnen straße, die auf ihrer Südseite als Zufahrt zu den Veran- sowie Sichtbarkeit für möglichst viele regelmäßig und staltungsorten der Reeperbahn dient und auf der zufällig vorbeifahrende potenzielle NutzerInnen. Ins- Nordseite von mehrgeschossigen Wohnhäusern ge- besondere die Lage der Ladeinfrastruktur in Einbahn- säumt wird. Am westlichen Ende der Straße befindet straßen, die lange Umwege erfordern, erscheint einer sich ein großes Parkhaus unterhalb eines Büroturms 17
mit einer Autovermietung. Der Standort ist über die Bundesstraße B4 gut zu erreichen. Nr. 556 liegt an der Clemens-Schultz-Straße, einer Erschließungsstraße in einem Wohngebiet mit mehreren Geschäften, Bars und Restaurants. Sie ist auf dem größten Teil ihrer Länge eine nach Osten ausgerichtete Einbahnstraße, jedoch nicht auf dem Abschnitt, wo sich Ladestation Nr. 556 befindet (Abbildung 1). Ladestation Nr. 556 ist für das Längsparken auf der Nordseite der Straße vor- gesehen, so dass die Benutzer Richtung Westen fah- ren müssen, um StVO-konform zu parken. Abbildung 2: Lage der Ladestationen Nr. 351, 693 und 527 (Quelle ARGUS) 635 und 300: Im Jahr 2019 war der Energiever- brauch an Ladestation Nr. 300 um 152% höher als an Ladestation Nr. 635. Die Anzahl der Ladevorgänge war höher und die Ladezeit war länger. Beide Ladestatio- nen befinden sich in Erschließungsstraßen nahe der Bundesstraße B431 „Bahrenfelder Chaussee“ / „Stre- semannstraße“ in der Nähe eines umgenutzten Fab- rikgeländes. Beide Erschließungsstraßen sind Sackgas- Abbildung 1: Lage der Ladestationen Nr. 556 und Nr. 249 sen. Es gibt eine moderate Anzahl von Dienstleistun- (Quelle ARGUS) gen, Geschäften und Gastronomiebetrieben in der Umgebung. Der Hauptvorteil der Station Nr. 300 über 693 und 351: Im Jahr 2019 war der Energiever- Station Nr. 635 ist, dass erstere vom Bahrenfelder brauch an Ladestation Nr. 351 um 285% höher als an Steindamm aus gut zu erreichen ist, der das Ortszent- Ladestation Nr. 693. Die Anzahl der Ladevorgänge war rum Ottensen im Süden mit dem Bornkampsweg ver- höher und die Ladezeit war länger. Ladestation Nr. bindet, der weiter nördlich zur Autobahn A7 führt (Ab- 351 liegt an einer Hauptverkehrsstraße im Zentrum bildung 3). von Altona, der Barnerstraße, gegenüber dem Kultur- und Konzerthaus „FABRIK“. Nr. 693 liegt an der Bah- renfelder Straße, einer Sammelstraße, die orthogonal zur Barnerstraße verläuft und aus dem Zentrum her- ausführt. In der Bahrenfelder Straße gibt es wesentlich mehr Geschäfte und Dienstleistungen. Allerdings wurde Nr. 693 erst im August 2019 installiert (Abbil- dung 2). 218 und 446: Im Jahr 2019 war der Energiever- brauch an Ladestation Nr. 446 um 349% höher als an Ladestation Nr. 218. Die Anzahl der Ladevorgänge war höher und die Ladezeit war länger. Die Ladestation 218 befindet sich an der Erschließungsstraße Born- Abbildung 3: Lage der Ladestationen Nr. 635 und 300 straße, in der Nähe der Sammelstraße Grindelhof. Das (Quelle ARGUS) Gebiet ist durch den angrenzenden Universitätscam- pus, ein Programmkino und entsprechende Geschäfte und Dienstleistungen geprägt. Es wurde ein hoher 527 und 351: Im Jahr 2019 war der Energiever- Parkdruck in der Umgebung beobachtet (ARGUS brauch an Ladestation Nr. 351 um 141% höher als an 2004). Die Bornstraße ist ohne Linksabbieger an die Ladestation Nr. 527. Die Anzahl der Ladevorgänge war Grindelallee, eine Hauptverkehrsstraße, und an den höher und die Ladezeit war länger. Ladestation Nr. Grindelhof, eine Einbahnstraße zwischen Grindelallee 351 liegt an einer Hauptstraße im Zentrum von Altona, und Bornstraße, angeschlossen. Ladestation Nr. 446 Barnerstraße, gegenüber dem Kultur- und Konzert- liegt weiter nördlich am Grindelhof und ist über meh- haus „FABRIK“. Nr. 527 befindet sich im Nernstweg, rere Sammelstraßen (Hallerstraße, Rothenbaum- einer ruhigen Anliegerstraße mit kaum Geschäften chaussee) leichter zu erreichen. und Dienstleistungen (Abbildung 2). 18
326 und 212: Im Jahr 2019 war der Energiever- ein großes Bürogebäude und verschiedene andere Lä- brauch an Ladestation Nr. 212 um 280% höher als an den und Dienstleistungen. Ladestation Nr. 326. Die Anzahl der Ladevorgänge war 644 und 523: Im Jahr 2019 war der Energiever- höher und die Ladezeit war länger. Ladestation Nr. brauch an Ladestation Nr. 523 um 1332% höher als an 326 befindet sich in der „Präsident-Krahn-Straße“, ei- Ladestation Nr. 644. Die Anzahl der Ladevorgänge war ner Einbahnstraße, die die Sammelstraße „Julius-Le- höher und die Ladezeit war länger. Die Ladestation ber-Straße“ mit dem Altonaer Fernbahnhof verbindet. 644 befindet sich in der Lichtwarkstraße, einer Er- Aufgrund von Bauarbeiten an der Unterführung der schließungsstraße in einem Wohngebiet. Die Straße Julius-Leber-Straße unter dem Bahnhof war die Zu- ist auf der Südseite bebaut, während die Nordseite an fahrt zur Präsident-Krahn-Straße seit 2016 noch wei- ein Stadtbahngleis grenzt. Nr. 523 befindet sich am ter eingeschränkt. Nr. 212 liegt an der Max-Brauer-Al- Loogeplatz an der Südseite des ÖPNV-Knotens lee, einer großen Ringtangente, die Altona mit dem Kellinghusenstraße (Bus- und Stadtbahnlinien U1 und Norden Hamburgs verbindet. Nur wenige Gehminu- U3). ten von Ladestation Nr. 212 befindet sich eine Fuß- 362 und 463: In den Jahren 2019 und 2018 wurde gängerzone. die Ladestation Nr. 362 kaum genutzt. Möglicher- 568 und 438: Im Jahr 2019 war der Energiever- weise war sie aufgrund von Wartungsarbeiten oder brauch an Ladestation Nr. 438 um 99% höher als an angrenzenden Bauarbeiten nicht zugänglich. Die La- Ladestation Nr. 568. Die Anzahl der Ladevorgänge war destation 362 befindet sich an der „Schwarzen höher und die Ladezeit war länger. Die Ladestation Straße“, einer Einbahnstraße, die zur Sammelstraße 568 ist eine neue Anlage auf der Ostseite der „Sievekingsdamm“ führt. Die Ladestation 463 befin- Kellinghusenstraße, einer Sammelstraße mit regelmä- det sich an der Bundesstraße B5 Burgstraße, direkt ne- ßigem ÖPNV-Busverkehr. Nr. 438 befindet sich auf ei- ben der Stadtbahnstation Burgstraße (U2 und U4). nem Parkplatz auf der gegenüberliegenden (westli- 586 und 393: Im Jahr 2019 war der Energiever- chen) Seite. Ebenfalls auf der Westseite, in unmittel- brauch an Ladestation Nr. 393 war 1709% höher als barer Nähe, befinden sich eine Schule und ein an Ladestation Nr. 586. Die Anzahl der Ladevorgänge Schwimmbad. Weiter westlich befindet sich in fußläu- war höher und die Ladezeit war länger. Die Ladesta- figer Entfernung ein Marktplatz („Marie Jonas-Platz“) tion 586 befindet sich in der Semperstraße, einer Er- mit einem Supermarkt und weiteren Geschäften, Res- schließungsstraße in einem Wohngebiet von Barm- taurants und einem dreiwöchentlichen Bio-Bauern- bek. Nr. 393 liegt an der Bundesstraße und Bundes- markt. Die Fahrbahn der Kellinghusenstraße ist ca. 12 straße B5 „Barmbeker Straße“. In der Umgebung gibt m breit. Die nächste signalisierte Querungsmöglich- es mehrere soziale Dienste (Kindertagesstätte, Spiel- keit befindet sich 200 m von der Ladestation Nr. 568 platz) sowie Freizeiteinrichtungen (Sportvereinsheim, entfernt, wodurch die Straße zu einer effektiven Bar- Kleingärten). Nördlich von Nr. 393, Richtung Stadt- riere zwischen der Ladestation und den Einrichtungen bahnstation Borgweg (U3), befinden sich mehrere Ge- wird, die NutzerInnen anziehen könnten. schäfte. 551 und 203: Im Jahr 2019 war der Energiever- brauch an Ladestation Nr. 203 war 595% höher als an 4. Detailbetrachtung für DC-Ladestationen Ladestation Nr. 551. Die Anzahl der Ladevorgänge war 37 und 32: Im Jahr 2019 war der Energieverbrauch höher und die Ladezeit war länger. Die Ladestation an Ladestation Nr. 32 um 127% höher als an Ladesta- 551 befindet sich in der Schmarjestraße, einer Ein- tion Nr. 37. Die Anzahl der Ladevorgänge war höher bahnstraße, die nur über Rechtsabbieger mit der Max- und die Ladezeit war länger. Ladestation Nr. 32 befin- Brauer-Allee verbunden ist, einer Haupttangente, die det sich in der Sackgasse ‚Beim Grünen Jäger‘. In un- Altona mit dem Hamburger Norden verbindet. Nr. 203 mittelbarer Nähe befinden sich zahlreiche beliebte befindet sich in der Schillerstraße, einer Zufahrts- Geschäfte, Dienstleistungen, Bars und Restaurants. straße zum Parken und Anliefern südlich der Fußgän- Vor Covid-19 war die Gegend eine der beliebtesten gerzone „Neue Große Bergstraße“. Gegenden Hamburgs für „Cornering“ (Schipkowski 468 und 222: Im Jahr 2019 war der Energiever- 2015). Laut Augenzeugenbericht wurde die Station oft brauch an Ladestation Nr. 222 um 303% höher als an von Fahrzeugen des in Hamburg inzwischen einge- Ladestation Nr. 468. Die Anzahl der Ladevorgänge war stellten CleverShuttle genutzt. Die Straße ‚Beim Grü- höher und die Ladezeit war länger. Die Ladestation nen Jäger‘ ist an die Richtungsfahrbahn zu Innenstadt 468 befindet sich in der Buckmannstraße, einer Ein- der Bundesstraße B4 „Neuer Pferdemarkt“ / „Buda- bahnstraße in St. Georg unweit des Hamburger Haupt- pester Straße“ angebunden. Nr. 37 liegt in einer Sack- bahnhofs. Nr. 222 liegt auf der Südseite des gasse in einem reinen Wohngebiet. Steindamms, dem innerstädtischen Ende einer Haupt- 22, 49 und 37: Im Jahr 2019 war der Energiever- verkehrsstraße zum Nordwesten Hamburgs. In unmit- brauch an Ladestation Nr. 37 um 2894% höher als an telbarer Nähe von Nr. 222 gibt es einen Supermarkt, Ladestation Nr. 22, und 56% höher als an Ladestation 19
Nr. 49. Die Anzahl der Ladevorgänge war höher und meisten Beispielfällen hatte die attraktivere Ladesta- die Ladezeit war länger. Beide Ladestationen Nr. 22 tion trotz allgemein steigender Nachfrage mehr als und nr. 49 liegen oder befanden sich in einer Wohn- den doppelten Energieverbrauch gegenüber der we- gebiets-Sackgasse. Nr. 49 ersetzte 2019 Nr. 22, vier niger attraktiven. Monate nachdem diese geschlossen worden war. Ein wichtiger Faktor dürfte die Beobachtung sein, 81 und 25, 47: Der Energieverbrauch an Ladestation dass BEV-Fahrer dazu neigen, jede Lademöglichkeit zu Nr. 25 war um 21% höher als an Ladestation Nr. 81. nutzen (Grober et al. 2020). Dies kann auch daran lie- Auch die Anzahl der Ladevorgänge war höher, die La- gen, dass das Aufladen bei einem durchschnittlichen dezeit jedoch kürzer. An der Ladestation Nr. 47 war Ladezustand viel schneller ist als das Aufladen des Au- der Energieverbrauch 16% höher als an der Ladesta- tos auf 100 % (FASTNED 2020). Zudem raten die Be- tion Nr. 81. Die Ladezeit war ebenfalls länger, aber die treiber zunehmend von langen Ladevorgängen ab, z. Anzahl der Ladevorgänge war geringer. Die Ladesta- ENBW (EnBW 2020). tion 81 ist die dritte Installation vor der St. Michaels- Die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, dass es kirche. Während sie ähnlich gut angebunden ist wie Faktoren bei der Standortwahl gibt, die mit einem ihre konkurrierenden Stationen Nr. 25 („Zeughaus- Standort-Lokalisierungstool, insbesondere einem für markt“) und 47 („Schaarsteinweg“) könnten die wie- eine ganze Stadt oder noch größere Gebiete konzi- derholten Sperrungen aufgrund von Wartungsarbei- pierten, kaum berücksichtigt werden können und im ten potenzielle NutzerInnen abgeschreckt haben. Einzelfall eine suboptimale Platzierung zur Folge ha- ben können: das Vorhandensein einer elektrischen 5. Diskussion und Schlussfolgerung Infrastruktur zur Stromversorgung und eine Vielzahl von potenziellen räumlichen Konflikten aufgrund der Ziel dieser Studie war es, Aspekte des lokalen Um- Knappheit des öffentlichen Raums in dicht besiedelten felds zu identifizieren, die die Nutzung öffentlicher La- Stadtgebieten. Der sowohl automobilen als auch fuß- deinfrastruktur beeinflussen. Dazu wurden Gradien- läufigen Erreichbarkeit muss im Lichte dieser Ergeb- ten berechnet, die das Verhältnis von der Differenz im nisse ein größeres Gewicht bei der Platzierung einge- Energieverbrauch und der direkten Entfernung zwi- räumt werden. schen verschiedenen Ladestationen mit ähnlicher La- Im Hinblick auf die Bevorzugung gut erreichbarer deleistung und -geschwindigkeit messen. Dieser An- Ladestationen an beliebten Standorten stellt sich mit satz war erfolgreich, um schnell Paare benachbarter den Ergebnissen dieser Studie jedoch auch die Frage, Ladestationen mit großen Unterschieden im Energie- ob die flächendeckende Bereitstellung von Ladeinfra- verbrauch zu identifizieren. Die Verwendung einer an- struktur in verdichteten urbanen Wohnquartieren deren Distanzmetrik im Nenner der Gradienten wäre ohne private Parkplätze wichtig genug ist, um entspre- möglich, z.B. die geroutete Geh- oder Fahrstrecke chende Konflikte in solchen Gebieten zu rechtfertigen. oder die Fahrzeit. Auch könnte eine lineare oder nicht- Vielleicht ist die Idee einer gleichmäßig über die ganze lineare Ableitung der Distanzmetrik hilfreich sein, um Stadt verteilten öffentlichen Elektroladeinfrastruktur die Steigung der Gradienten an sich zu interpretieren. genauso verfehlt wie die des leichten Elektrofahr- Die im Ergebnis dargestellte Stichprobe von Ladesäu- zeugs vor einigen Jahren. Es könnte effektiver sein, be- lenpaaren mit hohen Gradienten ist nicht groß genug, stehende und beliebte Ladestationen zu Ladehubs zu um die Auswirkungen eines der lokalen Faktoren zu entwickeln. quantifizieren. Sie zeigt allerdings, dass die Variation im lokalen Maßstab beträchtlich sein kann. In den Literatur Bundesregierung (2009), Nationaler Entwicklungs- plan Elektromobilität der Bundesregierung. [Online] ARGUS (2004), Quartiersgarage Allendeplatz - Download von https://www.bmu.de/fileadmin/bmu- Standortuntersuchung, Hamburg: s.n. import/files/pdfs/allgemein/applica- Brost, W., Funke, T. & Lembach, M. (2018), Spatial tion/pdf/nep_09_bmu_bf.pdf [Zugriff am 10 11. Analysis of the Public Transport Accessibility for Mo- 2020]. delling the Modal Split in the Context of Site Iden- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg tification for Charging Infrastructure. infrastructures, (2014), Drucksache 20/12811 - Masterplan Ladeinf- 04.07., Ausgabe 2018, 3, 21, S. 1-15. rastruktur. 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