Jüdische Literatur in Österreich nach Waldheim by Andrea Reiter (review)
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Jüdische Literatur in Österreich nach Waldheim by Andrea Reiter (review) Viktoria Pötzl Journal of Austrian Studies, Volume 52, Number 3, Fall 2019, pp. 119-122 (Review) Published by University of Nebraska Press DOI: https://doi.org/10.1353/oas.2019.0054 For additional information about this article https://muse.jhu.edu/article/745630 [ This content has been declared free to read by the pubisher during the COVID-19 pandemic. ]
Reviews | 119 how Sissi has been deployed in the construction of the Habsburg myth and the branding of Vienna as a tourist destination on both sides of the Atlantic. While the editors do a fine job introducing the project’s stakes and back- ground literature, Hochreiter’s chapter serves, in my view, as the theoretical keystone for the whole volume. Hochreiter argues that “Sissi” (or “Sisi”) is a “complex discursive fabric” (248) and a “continuous practice of quotations” (257) distinct and indeed detached from the real-life Elisabeth. The ahisto- rical plasticity and transcultural portability of Sissimania becomes instantly comprehensible when viewed as something unto itself, rather than as a “dis- tortion” or “corruption” of historical reality. Furthermore, if indeed the “actu- al” Elisabeth is by now lost hopelessly to Sissi discourse, then the unofficial Urtext of that discourse is Ernst Marischka’s trilogy of Sissi films from the 1950s. Indeed, though only Chapters 9 and 10 focus directly on them, their influence can be felt at practically every turn. It is Sissi’s world; all other inter- pretations just live in it. The one lingering frustration I experienced with this aggregated discursive reading of “Sissi” is that the political implications of monarch worship are not explored as fully as they might be. For all the personal unfreedom that Elisabeth endured despite her station (the constraints of heteronormative gender codes, the rigors of court protocol), she was, after all, at the top of an inherently undemocratic and at times outright repressive dynastic system—and, indeed, owned a slave (335). What are we to make of the enduring cult of an empress? While some of the chapters do touch on the problems of monarchic power (particularly 5, 6, 8, and 11), there would be something to gain from a less sympathetic, even radical interpretation. But that awaits further study—and in this respect, the volume extends other scholars a wonderful jumping-off point to deepen the academic investigation into Sissi and her world. Andrew Behrendt Missouri University of Science & Technology Andrea Reiter, Jüdische Literatur in Österreich nach Waldheim. Wien: New Academic Press, 2018. 299 S. Ich schreibe diese Rezension am 4. Oktober 2018—an einem Donnerstag. “Es ist wieder Donnerstag”—so der Aufruf zu einer Kundgebung gegen
120 | JOURNAL OF AUSTRIAN STUDIES 52:3 Österreichs ÖVP/FPÖ Regierung, die sich an die Proteste gegen die erste ÖVP/FPÖ Regierung 2000 anlehnt. Die Vorläufer dieser Protestkultur wer- den von Andrea Reiter in ihrem Buch Jüdische Literatur in Österreich nach Waldheim kontextualisiert. Jüdische Literatur in Österreich nach Waldheim stellt eine notwendige und überaus willkommene Übersetzung des bereits 2013 bei Routledge in engli- scher Sprache erschienenen Buches von Andrea Reiter Contemporary Jewish Writing: Austria After Waldheim dar. Reiter gibt darin einen breiten Überblick über jüdische kulturelle Produktionen mit einem Fokus auf Wien als “metonymischen Ort” (4). Ausgehend von einem jüdischen Raum—Makan—zeichnet Reiter jüdisches kulturelles und politisches Leben in Österreich und deren Debatten nach. Das Buch beginnt mit einer historischen Verortung und einer politischen Positionierung mithilfe der Beispiele von Leon Zelman, Simon Wiesenthal und Bruno Kreisky. Durch eine genaue Analyse der nationalen Debatte beginnend im Wahlkampf Kurt Waldheims für das Bundespräsidentenamt, eröffnet Reiter eine Darstellung von ziviler Widerständigkeit und Protestkulturen. Traurigerweise müssen wir nun—2018—wieder gegen eine xenophobe, sexistische und antisemitische Regierung auf die Straße gehen und können so vieles aus Reiters Buch lernen. Ein großer Teil von Jüdische Literatur in Österreich nach Waldheim befasst sich mit den wiederkehrenden Fragen nach jüdischen Identitäten in österreichischer Literatur und Film—entlang der Termini Familie, Ort, Raum und Zeit. Innerhalb dieses Kapitels analysiert Reiter auf eindrucksvolle Weise Werke von Robert Menasse, André Heller, Ruth Beckermann, Anna Mitgutsch, Eva Menasse, Doron Rabinovici, Hazel Rosenstrauch, Peter Stephan Jungk, Vladimir Vertlib und Julya Rabinowich. Reiter bezieht sich bei ihren Analysen sowohl auf bereits etablierte Autoren und Autorinnen, als auch auf weniger bekannte und kritisiert damit zu Recht bereits existierende Forschung, die sich ausschließlich mit den sogenannten Stars der österreichischen Literaturszene beschäftigt und dadurch eine sehr verkürzte Darstellung jüdischer kultureller Produktionen in Österreich reproduziert. Bemerkenswert ist Reiters Textverständnis, das neben Literatur auch neue Medien wie Facebook, Homepages, Blogs, Zeitungen, Zeitschriften und die performativen Künste in Diskussionen miteinander bringt und sie zu jüdischen Orten werden lässt. Diese jüdischen Räume, konstruiert unter anderen mithilfe von Robert Menasses Facebook-Seite, Robert Schindels
Reviews | 121 Homepage und Doron Rabinovicis Blog mitSprache unterwegs, betrachtet Reiter durch zwei Zäsuren jüdischen Lebens in Österreichs die Shoah und die Waldheim-Affäre. Reiter schafft eloquent, woran andere WissenschafterInnen scheitern. Sie schreibt eine Literaturgeschichte, die Diskurse historisch kontextualisiert und dabei eine Einbindung theoretischer und philosophischer Konzepte nicht vernachlässigt. Allerdings muss bedacht werden, dass nicht jede Theorie für jedes Thema brauchbar ist und auch nicht brauchbar gemacht werden kann. So bleibt zum Beispiel fraglich, inwiefern es sinnvoll ist Judith Butlers Konzept von Performativität auf das politische Verhalten von Shoah Überlebenden und deren Nachfahren anzuwenden (72). Die Gefahr einer Homogenisierung von Erfahrungen könnte damit vorangetrieben werden; eine Homogenisierung, die Formen von Traumata—kollektiv und individuell—dadurch von einer Analyse über politisches Handeln ausschließt. Wie bereits in der englischen Rezension von Dagmar C. G. Lorenz des englischen Buches angemerkt, ist das Außerachtlassen der Analysekategorie Geschlecht zu bemängeln. Sprachlich, durch die durchgängige Verwendung des generischen Maskulinums im Deutschen, wird eine männliche Darstellung von kulturellen Produktionen reproduziert. Diese sprachlichen Repräsentationen spiegeln sich zum Beispiel in der historischen Kontextualisierung des ersten Kapitels wieder, wenn eine durchwegs männliche öffentliche Debatte oder Großteils männliche Protestformen beschrieben und dargestellt werden. Nicht nur hier, sondern auch bei der Analyse der Werke der Autoren und Autorinnen wäre die Kategorie Geschlecht durchaus fruchtbar, zumal Konstruktionen von (jüdischer) Männlichkeit/Weiblichkeit in einem Diskurs um Identitäten nicht fehlen soll. Jüdische Literatur in Österreich nach Waldheim ist ein Buch, das nicht nur für AkademikerInnen übersetzt wurde, sondern vor allem für eine breite LeserInnenschaft (7). Der unermessliche Wert dieses ambitionierten Projekts speist sich wohl auch dadurch, dass Österreich—wieder einmal— ein Stück weiter nach rechts gerückt ist. 2018 schreibt das Jahr, in dem erneut zu den Donnerstagsdemos aufgerufen wird. Darin sehen wir eine klare Fortschreibung der von Reiter erstklassig analysierten Protestkultur, die sich ausgehend von der Waldheim Affäre in Österreich entwickelte. 2018 schreibt auch das Jahr, in dem der Film Waldheims Walzer von Ruth Beckermann Premiere feiert. Reiter trifft hiermit den Nerv der Zeit und ihr
122 | JOURNAL OF AUSTRIAN STUDIES 52:3 höchst aktuelles Buch ist von großer politischer, wissenschaftlicher aber auch öffentlicher Relevanz. Viktoria Pötzl Universität Wien Stefan Krammer, Fiktionen des Männlichen: Männlichkeitsforschung in der Literaturwissenschaft. Vienna: Facultas, 2018. 232 pp. Although critical masculinity studies is still predominantly within the pur- view of the social sciences, questions of masculinity and maleness have by now spread to other disciplines in the sciences and humanities, including literary studies. Stefan Krammer’s book Fiktionen des Männlichen is a wel- come addition to the growing corpus of literary masculinity research in the German-speaking academic world for two reasons: First, Krammer focuses primarily on Austrian literature (often in contrast to a corresponding German text), and second, he presents a unique focus on the gendered construction and knowledge creation of the state, as well as the relationship between state and gender, especially with respect to the organization of a (binary) gender order. This dual focus provides the book, which is based on previously pub- lished articles, with the necessary coherence. The selection of literary texts is broad, ranging from the century to today, albeit with distinct emphases on the interwar years and the late twentieth century. Theoretically and methodologically, Krammer positions himself firmly in the poststructuralist camp. His deconstructionist reading tactics are informed by a wide range of theoretical approaches including Butlerian gender and performativity theory, Crenshawian intersectionality theory, Lacanian psychology, and Foucauldian discourse analysis, although he also acknowledges the influence of sociological concepts, such as hegemonic masculinity (Connell), habitus (Bourdieu), and masquerade (Bethien and Stephan). While this may seem like an overstuffed grab bag of trendy identity theories, Krammer skillfully deploys the various concepts and approaches to examine a number of key discursive formations around masculinity and to present insightful readings of a wide range of prose texts, dramas, and even one film. The book is divided into six chapters, each of which focuses on one thematic unit or Themenbereich. Following the introduction, which outlines
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