Julia Merkle Die Insolvenzfestigkeit von Open Source Lizenzen - Bachelorarbeit an der HWR Berlin - ifrOSS
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Die Insolvenzfestigkeit von Open Source Lizenzen Julia Merkle Bachelorarbeit an der HWR Berlin im Studiengang Wirtschaftsrecht Matrikelnummer: 324087 Erstbetreuer: Dr. Martini Zweitbetreuer: Prof. Dr. Schunke
Eidesstattliche Erklärung Hiermit erkläre ich an Eides statt, dass ich die vorliegende Abschlussarbeit selb- ständig und ohne fremde Hilfe verfasst und andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt habe. Die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen (direkte oder indirekte Zitate) habe ich unter Benennung des Autors/der Autorin und der Fundstelle als solche kenntlich gemacht. Sollte ich die Arbeit anderweitig zu Prüfungszwecken eingereicht haben, sei es vollständig oder in Teilen, habe ich die Prüfer/innen und den Prüfungsausschuss hierüber informiert. Berlin, den 30. Juli 2014 Julia Merkle
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 Open Source Software und Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2.1 Open Source Software: Entwicklung und Definition . . . . . . . . . 3 2.2 Open Source Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.3 Wirtschaftliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3 Die Insolvenzrechtsreform als Ursache des Problems . . . . . . . 11 3.1 Rechtslage vor 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3.2 Insolvenzrechtsreform 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3.3 Rechtslage nach 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 4 Die Insolvenzfestigkeit von Open Source Lizenzen . . . . . . . . . 18 4.1 Rechtseinräumung vor Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . 19 4.1.1 Synallagmatische Vertragsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . 20 4.1.2 Erfüllung des Vertragsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . 21 4.1.3 Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 4.2 Rechtseinräumung nach Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . 26 4.2.1 Folgen der Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 4.2.2 Problem: Lizenzhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4.2.3 Gutgläubiger Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 4.2.4 Sukzessionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 4.2.5 Umwandlung in proprietäre Software . . . . . . . . . . . . . 30 4.2.6 Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4.3 Fazit: Unstimmige Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 5 Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 5.1 Lizenzvertragliche Anpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 5.2 Weitere Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 5.2.1 Sicherungsnießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 5.2.2 Einredeverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 5.2.3 Problem der Rechtsmängelhaftung . . . . . . . . . . . . . . 37 5.2.4 Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 5.3 Einführung eines § 108a InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I
Inhaltsverzeichnis Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis BB Betriebs-Berater BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof BMJ Bundesministerium für Justiz BR-Drs. Bundesrat-Drucksache BT-Drs. Bundestag-Drucksache CR Computer und Recht DZWIR Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht FIH Forschungsinstitut Havelhöhe FK-InsO Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung FSF Free Software Foundation GesO Gesamtvollstreckungsordnung GNU GNU is not unix GPLv2 General Public License Version 2 GPLv3 General Public License Version 3 GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GRUR (Int.) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Interna- tionaler Teil) ifrOSS Institut für Rechtsfragen der Freien und Open Source Software InsO Insolvenzordnung ITRB Der IT-Rechts-Berater KO Konkursordnung LG Landesgericht III
Abkürzungsverzeichnis LGPL Lesser General Public License MüKo Münchener Kommentar NJW Neue Juristische Wochenschrift NZI Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanie- rung OLG Oberlandesgericht OSI Open Source Initiative Rn. Randnummer UrhG Urhebergesetz VerlG Gesetz zum Verlagsrecht VglO Vergleichsordnung WRP Wettbewerb in Recht und Praxis ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZUM-RD Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht IV
1 Einleitung 1 Einleitung Open Source Produkte sind in vielen Bereichen als Alternative zu herkömmlicher Software zu finden. Linux oder OpenOffice sind z.B. als Betriebssystem bzw. Open Source Software weit verbreitet. Da- bei wird diese Software nicht immer nur von Initiativen oder pri- vaten Entwicklern, sondern auch von absatzorientierten Unterneh- men, wie Intel®, entwickelt und zur Verfügung gestellt. Mit Open Source Software verbinden viele zunächst nur kostenlos im Internet verfügbare Programme. Dahinter verbirgt sich jedoch ein Konzept, dass den Gegenpol zur kommerziellen bzw. proprie- tären Software darstellt. Mit der Sicherstellung verschiedener Frei- heiten sollen dabei Benutzern mehr Rechte als bei der üblichen kommerziellen Software eingeräumt werden. Open Source Software bietet einige Vorteile im Vergleich zur kommerziellen Software. So entstehen bei der reinen Nutzung von Open Source Produkten kei- ne Lizenzkosten. Ein weiterer Vorteil ist, dass durch den Wechsel auf preiswerte Standardhardware und geringerer Ressourcenanfor- derungen bei Open Source Programmen Hardwarekosten eingespart werden können. Man profitiert außerdem von dem Know-how an- derer Entwickler und ist gegenüber anderer Softwareanbieter unab- hängig.1 So greift unter anderem auch das Forschungsinstitut Havelhö- he (FIH) gGmbH aus Berlin auf „R“, eine Open Source Software für statistische Berechnungen und der grafischen Darstellung der Ergebnisse, zurück. Das Forschungsinstitut nutzt dieses Programm außerdem für den gesamten vorausgehenden data mining Prozess (Datengewinnung). Neben den Kosteneinsparungen bietet das Pro- gramm mehr Flexibilität und Möglichkeiten, als die kostenpflich- tigen Alternativen. Aus wissenschaftlicher Sicht besteht außerdem der Vorteil, dass die Ergebnisse und Skripte für jedermann nachvoll- ziehbar und transparent sind.2 Was wäre aber, wenn die „R Foun- dation“(Stiftung) etwa wegen dem Ausbleiben von Spenden oder massenhaftem Austritt von Mitgliedern insolvent werden würde? Die Insolvenzfestigkeit von Open Source Software in der Insolvenz des Lizenzgebers ist ein bislang juristisch wenig untersuchtes The- ma. Dies wirft vor allem zwei Fragen auf: 1 Vgl. Wichmann, Linux- und Open-Source-Strategien, S. 34 ff. 2 Vgl. Schriftliche Befragung von Dr. Jan Axtner, wissenschaftlicher Mitarbei- ter FIH, vom 14.07.2014, im Anhang auf S. 48. 1
1 Einleitung 1. Kann der Lizenznehmer auf den Bestand der bereits über- tragenen Nutzungsrechte auch nach Insolvenzeröffnung des Lizenzgebers vertrauen? 2. Können auch nach der Insolvenzeröffnung Nutzungsrechte er- worben werden? Ein Blick ins Gesetz verschafft keine Abhilfe. Mit Überarbeitung der Insolvenzrechtsreform 1999 ist zudem die zuvor mittels analoge Anwendung anerkannte Insolvenzfestigkeit von Lizenzen in Frage gestellt. Um sich insbesondere den beiden Fragen nähern zu können, wer- den zunächst allgemein die Begriffe der Open Source Software und Open Source Lizenzen dargelegt. Neben der Entwicklung und Defi- nition wird auch auf die wirtschaftliche Bedeutung der Open Source Software eingegangen, die unter Umständen auf dem ersten Blick nicht sofort ersichtlich ist. Eine Kategorisierung verschiedener Open Source Lizenzen sowie die Abgrenzung zu proprietären Lizenzen soll schließlich einen Überblick über die Vielfalt der existierenden Open Source Lizenzen verschaffen. Anschließend wird die Insolvenzrechts- reform als Ursache des Problems näher beleuchtet. Dabei wird die Rechtslage vor und nach Überarbeitung des Gesetzes verglichen. Es sollen außerdem die Beweggründe der Reform dargestellt wer- den. Schließlich soll speziell die Insolvenzfestigkeit von Open Sour- ce Lizenzen näher betrachtet werden. Kann der Insolvenzverwalter die Nutzungsrechte einschränken oder gelten die Nutzungsrechte fort und sind insolvenzfest? In diesem Rahmen wird die Situati- on vor und nach Insolvenzeröffnung untersucht. Die Bachelorarbeit beschränkt sich dabei auf den Fall, dass der Lizenzgeber als Her- ausgeber der Software insolvent wird. Die Insolvenz des Lizenzneh- mers wird hingegen nicht betrachtet. Auf Basis dieser Ergebnisse werden anschließend verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten unter- sucht, die eine Insolvenzfestigkeit herbeiführen könnten. Ziel der Arbeit ist es, den aktuellen Rechtsstand in Deutschland zu dem Thema „Insolvenzfestigkeit von Open Source Lizenzen“ und den Umgang hiermit darzustellen. 2
2 Open Source Software und Lizenzen 2 Open Source Software und Lizenzen Bevor auf die Problematik der Insolvenzfestigkeit eingegangen wird, werden zunächst die Entwicklung und Definition von Open Source Software geklärt, um ein einheitliches Verständnis zu schaffen. An- schließend werden gängige Lizenzmodelle vorgestellt, die den An- forderungen an Open Source Software gerecht werden. Schließlich wird die wirtschaftliche Bedeutung von Open Source Anwendun- gen thematisiert, die von vielen zunächst durch den Begriff und dem Konzept von Open Source nicht vermutet wird. 2.1 Open Source Software: Entwicklung und Definition In den 80er Jahren fand in den USA eine Open Source Bewegung statt, die durch die US-amerikanische „Free Software Foundation“ (kurz: FSF) ausgelöst wurde. Dieser Bewegung trat Ende der 90er Jahre die „Open Source Initiative“ hinzu. Den Begriff der Open Source Software gibt es damit seit 1998. Dank den Bemühungen der freien Softwareszene, wurden bereits frühzeitig die wesentlichen Ei- genschaften der Freien Software definiert, um sie damit von der so- genannten „proprietären“ Software abzugrenzen.3 Die erste grund- legende Definition von Freier Software stammt von der FSF, in der vor allem der durch die Lizenzen ermöglichte freie Nutzen betont wird. Sie beschreiben Open Source Software folgendermaßen4 : „Ganz allgemein bedeutet das, dass Nutzer die Freiheit haben, Software auszuführen, zu kopieren, zu untersu- chen, zu ändern oder zu verbessern.“ Wie stehen aber die beiden verwendeten Begriffe „Freie Software“ und „Open Source Software“ zueinander? Zu Beginn der Bewegung war der Begriff der Freien Software gebräuchlich. Allerdings wurde dies vor allem in der Industrie mit Verschenken und damit Ge- schäftsfeindlichkeit assoziiert und schreckte vor der Nutzung sol- cher Programme ab. Um dem entgegenzuwirken, wurde eine Mar- ketingoffensive gestartet. Daraus hat sich am 3. Februar 1998 in 3 Dreier, in: Dreier/Schulze, § 69c Rn. 38; Jaeger/Metzger, Open Source Soft- ware, Rn. 2 f. 4 GNU, Was ist freie Software?, URL: http://www.gnu.org/philosophy/ free-sw.de.html [Zugriff am 15.04.2014]. 3
2 Open Source Software und Lizenzen Kalifornien die „Open Source Initiative“ sowie der Begriff „Open Source“ herausgebildet. Einer der ersten Aktionen der Initiative war die Definition des Begriffs der Open Source Software.5 Dabei wurden folgende Kriterien festgelegt6 : – Freie Weitergabe: Die Lizenz darf keinem Nutzer den Verkauf oder die Weitergabe der Software als Teil eines Pakets mit Programmen aus verschiedenen Quellen unterbinden. Für die Lizenz darf keine Gebühr anfallen. – Source Code: Der Quellcode muss im Programm enthalten sein. Die Verbreitung des Codes darf nicht unterbunden wer- den. – Veränderungen/Ableitungen: Veränderungen sind erlaubt und unter den gleichen Bedingungen wie die der Ausgangsversion zugänglich zu machen. – Integrität: Die Lizenz kann die Verbreitung des geänderten Quellcodes nur verbieten, wenn die Lizenzen stattdessen die Verbreitung von „patch files“ (kleine Programmteile) erlaubt, mit denen das Programm modifiziert werden darf. – Keine Diskriminierung: Die Lizenz darf unter keinen Umstän- den Personen oder Personengruppen diskriminieren. Darüber hinaus darf sie nicht auf bestimmte Anwendungsfelder (z.B. auf ausschließlich berufliche Nutzung) beschränkt werden. – Verteilung der Lizenzen: Die Rechte, die am Programm ge- bunden sind, stehen allen Nutzern zu, ohne, dass sie eine Zu- stimmung einholen müssen. – Keine Spezifizierung: Die Rechte, die dem Programm anhaf- ten, hängen nicht von der Nutzung eines bestimmten Produk- tes ab. – Keine Verbote: Lizenzen dürfen keine Verbote auf Software verhängen, die zusammen mit der lizenzierten Software ver- trieben wird. 5 Open Source Initiative, History of the OSI, URL: http://opensource.org/ history [Zugriff am 14.04.2014]. 6 Open Source Initiative, Open Source Definition, URL: http://opensource. org/docs/osd [Zugriff am 16.04.2014]. 4
2 Open Source Software und Lizenzen – Neutralität: Die Lizenzen dürfen nicht die Bedingung enthal- ten, dass Anwendungen auf individuelle Technologie oder be- stimmte Schnittstellen basieren. Im Zentrum steht dabei, dass Änderungen am offenen Quellco- de ebenfalls unter den gleichen Bedienungen wie die Open Source Lizenz der Ausgangsversion anderen Nutzern zugänglich gemacht wird.7 Die Namensänderung Ende der 90er Jahre zeigte Wirkung; große Unternehmen wie IBM und Oracle kündigten die Migrati- on und Portierung (Plattformumstellung) ihrer Hard- und Software auf Open Source Anwendungen an. Kritik gab es vor allem aus dem Lager der Free Software Bewegung. Insbesondere die Free Software Foundation sah hier einen Prinzipienwandel, bei dem nur noch der offene Quellcode im Vordergrund stehe und auch „unfreie“ Software darunter falle könne. 8 Sie kritisieren, dass ihre ethischen und sozia- len Werte, insbesondere die Achtung der Freiheit der Nutzer, nicht bei Open Source Software Anforderungen wiederzufinden wären. Zu sehr würden dort die praktischen Werte, die Schaffung einer leis- tungsstarken und zuverlässigen Software, überwiegen. Der soziale Aspekt würde dort in den Hintergrund verdrängt sein.9 Die nahezu übereinstimmenden Anforderungen an die Softwa- re und die Argumentation der Kritiker verdeutlichen, dass es sich hier weniger um eine inhaltliche, denn eine ideologische Diskussi- on handelt. Eine Trennung dieser Begriffe wird im Rahmen dieser Bachelorarbeit daher nicht vorgenommen. 2.2 Open Source Lizenzen Eine Softwarelizenz bestimmt die mit der Nutzung verbundenen Rechten und Pflichten für die Lizenznehmer. Sie ist durch § 2 I Ur- hG geschützt. § 12 UrhG ermöglicht es dem Urheber zu entscheiden, ob und wie er seine Software veröffentlichen möchte und welche Li- zenz er dafür wählt. Die Lizenzen speziell für Open Source Software werden von der Open Source Initiative als solche anerkannt. Diese entsprechen den in Kapitel 2.1 vorgestellten Kriterien und garantie- ren vor allem die freie Nutzung, sowie die Änderung und Verbrei- 7 Auer-Reinsdorff, ITRB 2009, 69. 8 Jaeger/Metzger, Open Source Software, Rn. 4. 9 GNU, Why Open Source misses the point of Free Software, URL: http: //www.gnu.org/philosophy/open-source-misses-the-point.de.html [Zugriff am 17.04.2014]. 5
2 Open Source Software und Lizenzen Abbildung 1: Abgrenzung Open Source und proritäre Software Software Open Source Proprietär Copyleft Kommerzielle Vollversion Strenges Nur Binär Copyleft Beschränktes Binär & Copyleft Quellcode Non Copyleft Shareware Freeware Freie Software Quellcode für Anwender verfügbar Kostenlos verfügbar Darstellung in Anlehnung an: Bundesverwaltungsamt, URL: http://www. bva.bund.de/DE/Organisation/Abteilungen/Abteilung_BIT/Leistungen/IT_ Beratungsleistungen/CCOSS/02_OSS/03_Open-Source-Lizenzen/node.html [Zugriff am 20.04.2014] tung der Software. Software, die keine Open Source Lizenz erhalten würde, wird als proprietäre Software bezeichnet. In Einzelfällen be- steht auch die Möglichkeit, die Software sowohl proprietären als auch Open Source Lizenzen zu unterstellen (sog. Dual Licensing). Die proprietäre Lizenz erlaubt die kommerzielle Nutzung, die, je nach Ausgestaltung, auch zum Beispiel Support- oder Softwarepfle- geanspruch vorsehen kann. Die Nutzer erhalten nur den Binärcode, der durch kompilieren des Quellcodes entsteht. Durch diese Über- setzung in einen Maschinencode wird die Nutzung des Programms ermöglicht, aber die Offenlegung und somit Weitergabe des Co- des verhindert. Nur in Ausnahmefällen dürfen Benutzer auf den Quellcode zugreifen. In der Regel fallen bei proprietärer Software Lizenzkosten an. Diese fallen lediglich bei der kostenlosen Share- ware (zeitlich beschränkte Nutzung, z.B. WinZip®) und Freeware (zeitlich unbeschränkte Nutzung, z.B. Adobe Reader) nicht an. Der nicht offengelegte Quellcode und die Unterbindung der Weitergabe machen alle Ausformungen der proprietären Software zu „unfreier“ Software. Eine Übersicht der Abgrenzung zwischen Open Source und proprietärer Software bietet Abbildung 1. 10 Die Lizenz wird 6
2 Open Source Software und Lizenzen durch einen schuldrechtlichen Vertrag eingeräumt. Der schuldrecht- liche Lizenzvertrag ist gesetzlich nicht geregelt. Das anwendbare Recht leitet sich daher aus vielen verschiedenen Einzelregelungen, insbesondere aus dem Urhebergesetz (UrhG), ab.11 Es existieren eine Vielzahl von Lizenzen, die den Kriterien der Open Source Software gerecht werden. Abbildung 2 auf der nächs- ten Seite stellt die 20 beliebtesten Open Source Lizenzen dar. Al- lerdings nutzen rund 96 Prozent der Open Source Software die in den Top 10 aufgelisteten Lizenzen. Mit 27 Prozent ist die General Public License 2.0 (GPLv2) die beliebteste der Open Source Lizen- zen und wird bei fast einem Drittel als Grundlage herangezogen. 17 Prozent nutzen die MIT License. Gerne genutzt werden außerdem die General Public License 3.0 (GPLv3) und die Apache License. Da die ersten vier Lizenzen bereits 70 Prozent ausmachen, haben die übrigen Lizenzen einen eher geringen Anteil. Dazu gehören auch unter anderem die von Microsoft geschaffene Lizenz „Microsoft Pu- blic License“ (0,4 Prozent) oder die von Mozilla stammende „Mozilla Public License“ (0,89 Prozent). Unterteilt man die Open Source Lizenzen nach Lizenzierungs- pflichten bei Bearbeitungen, erhält man fünf Kategorien: 1. Lizenzen mit einer strengen Copyleft-Regelung sehen vor, dass alle Bearbeitungen die gleiche Lizenz wie die Ursprungsli- zenz erhalten. Hierunter fallen zum Beispiel die prozentual am meisten genutzten Lizenzen General Public Licenses 2 und 3 (GPLv2, GPLv3). Das vom Forschungsinstitut Havelhöhe ge- nutzte Open Source Programm „R“ nutzt z.B. die GPLv212 .13 2. Ist hingegen nur eine beschränkte Copyleftklausel vorgese- hen, sind Ausnahmen bei der Lizensierungspflicht für Bear- beitungen möglich. Dies ermöglicht Kombinationen mit an- deren proprietären Softwaremodulen unter anderen Lizenzbe- dingungen. Solch eine Klausel beinhaltet unter anderem die Mozilla Public License und die GNU Lesser General Public 10 Bundesverwaltungsamt, Open-Source-Lizenzen, URL: http://www.bva. bund.de/DE/Organisation/Abteilungen/Abteilung_BIT/Leistungen/IT_ Beratungsleistungen/CCOSS/02_OSS/03_Open-Source-Lizenzen/node. html [Zugriff am 20.04.2014]. 11 Weber/Hötzel, NZI 2011, 432. 12 R-Project, What ist R, URL: http://www.r-project.org [Zugriff am 14.07.2014]. 13 Jaeger/Metzger, Open Source Software, Rn. 24. 7
2 Open Source Software und Lizenzen Abbildung 2: Top 20 Open Source Lizenzen Common Development and GNU Affero GPL v3, 0,40% Mozilla Public License (MPL) Distribution License (CDDL), Simplified BSD, 0,89% 1.1, 0,89% 0,40% Microsoft Reciprocal License (Ms-RL), 0,40% Code Project Open 1.02 License, 1,92% CDDL-1.1, 0,40% Sun GPL With Classpath Exception v2.0, 0,40% zlib/libpng License, 0,23% GNU Lesser General Public License (LGPL) 3.0 , 2,00% Common Public License (CPL), Microsoft Public License, 2,00% 0,19% Eclipse Public License (EPL), 2,00% GNU Lesser General Public License (LGPL) 2.1 , 5,00% GNU General Public License (GPL) 2.0, 27,00% Artic License (Perl), 5,00% BSD License 2.0 (3-clause, New oder Revised) License, 7,00% GNU General Public License (GPL) 3.0, 11,00% MIT License, 17,00% Apache License 2.0, 15,00% Darstellung in Anlehnung an: BlackDuck, Top 20 Open Source Licen- ses (Stand: Juli 2014), URL: https://www.blackducksoftware.com/resources/ data/top-20-open-source-licenses [Zugriff am 19.07.2014]. License (kurz: LGPL). Sie wurde entwickelt, da die GPL in einigen Fällen zu streng war und die Verbreitung der Open Source Software zu behindern drohte.14 3. Wird bei der Lizenz auf eine Copyleft-Klausel verzichtet, ent- fällt bei Bearbeitungen die Lizenzierungspflicht. Dies soll die Akzeptanz fördern. Diese Variante ist durch den Wegfall der Pflicht rechtlich wenig problematisch und in der Literatur da- her wenig thematisiert. Keine Copyleft-Klausel gibt es zum Beispiel bei der der Apache Software License, die, wie aus Abbildung 2 ersichtlich, ebenfalls zu den 20 beliebtesten Li- zenzen zählt.15 4. Außerdem gibt es die sogenannten „Artistic“-Lizenzen. Dort kann bei Änderungen der Bearbeiter zwischen verschiedenen Lizenzen wählen.16 5. Werden dem Inhaber Sonderrechte eingeräumt, so kann ein 14 Jaeger/Metzger, Open Source Software, Rn. 81; Wichmann, Linux- und Open-Source-Strategien, S. 6. 15 Jaeger/Metzger, Open Source Software, Rn. 98; Wichmann, Linux- und Open-Source-Strategien, S.6. 16 Jaeger/Metzger, Open Source Software, Rn. 107. 8
2 Open Source Software und Lizenzen Bearbeiter Änderungen vornehmen, ohne jedoch Rechte an der Ursprungssoftware von dem Inhaber zu erhalten. Häufig nutzen dies Unternehmen, die als Inhaber den Quellcode of- fen gelegt haben, in der Hoffnung, dass dieser weiterentwickelt wird. Die Unternehmen erhalten an den Weiterentwicklungen Sonderrechte und könnten Beiträge z.B. proprietär nutzen. Ein Beispiel wäre die, nicht in den Top 20 vertretene, Netsca- pe Public License von Mozilla. Dieses Lizenzmodell hat aller- dings im Laufe der Jahre an Bedeutung verloren. Unterneh- men greifen zunehmend auf Lizenzen der übrigen Kategorien zurück. Nichtsdestotrotz versuchen sie, die Urheberrechte von externen Programmierern übertragen zu bekommen, wie dies zum Beispiel bei Open-Office.org-Produkten der Fall ist.17 2.3 Wirtschaftliche Bedeutung Betrachtet man die Definitionskriterien von Open Source Software und die Abgrenzung der Lizenzen von proprietären Anwendungen, fällt vor allem der soziale Aspekt des offenen Quellcodes und der freien Nutzung ins Auge. Je nach Lizenz-Kategorie dürfen auch die Bearbeitungen von Lizenzen nicht von der strengen Copyleft- Regelung abweichen und nicht mit anderen Lizenzbedingungen kom- biniert werden. Hat die kostenlos verfügbare Open Source Software wirtschaftlich also überhaupt ein Gewicht? In einer von der EU in Auftrag gegebenen Studie aus dem Jahr 2006 wurden die ökonomischen Auswirkungen von Open Source Software untersucht. Darin wurde der Wert der existierenden Open Source Anwendungen auf rund zwölf Milliarden Dollar geschätzt. Sie stellten außerdem fest, dass Firmen rund 1,2 Milliarden Euro in die Entwicklung von Open Source Software investiert haben. Sie prognostizierten darüber hinaus, dass der Anteil am IT-Markt auf 32 Prozent und auf 4 Prozent am europäischen Bruttoinlandspro- dukt in den nächsten vier Jahren anwachsen würde. Open Source Software gewinnt demzufolge in der Wirtschaft immer mehr an Be- deutung.18 Die wirtschaftliche Bedeutung wird bei Open Source Software oft- 17 Jaeger/Metzger, Open Source Software, Rn. 113. 18 UNU-Merit, Economic impact of open source software, S. 9, auch online verfügbar unter: http://ec.europa.eu/enterprise/sectors/ict/files/ 2006-11-20-flossimpact_en.pdf [Zugriff am 28.04.214]. 9
2 Open Source Software und Lizenzen mals zunächst als gering eingeschätzt, da die Lizenzgebühren entfal- len. Die Gründe, warum auch absatzorientierte Unternehmen Open Source Software entwickeln und darin investieren, sind auf dem ersten Blick nicht unbedingt ersichtlich. Tatsächlich bildet Open Source Software die wirtschaftliche Grundlage in einer Reihe von Geschäftsmodellen19 : – Softwareintegration: Unternehmen schaffen bei der Softwar- eintegration Verknüpfungen zwischen verschiedener Softwa- re. Diese können dann der breiten Masse an Unternehmen angeboten werden. Es besteht aber auch die Möglichkeit sie individuell für bestimmte Unternehmen in Kombination mit Supportverträgen anzubieten. – Hardwareintegration: Jede Hardware mit Prozessor benötigt entsprechende Software. Bei diesem Geschäftsmodell wird ei- ne Kombination aus Hardware mit darauf abgestimmter Soft- ware angeboten. Es wird daher auch von eingebetteten Syste- men (engl. „Embedded Systems“) gesprochen. Dieses Modell stellt einen schnell wachsenden Markt in der Computerindus- trie dar. Beliebt ist dieses Geschäftsmodell vor allem deshalb, da beim Rückgriff auf Open Source Software die Hardware- Hersteller nicht auf einzelne Anbieter angewiesen sind. So bie- tet z.B. IBM Computer an, die das Open Source Betriebssys- tem GNU/Linux bereits enthalten. Ein weiteres Beispiel sind etwa Smartphones, die Android nutzen. – Support/Publikationen: Einige Unternehmen bieten auch als Beratungsunternehmen Support für die Open Source Software an. Es gibt außerdem Webseiten, die sich als Mittler zwischen Entwicklern und Nutzern anbieten (sog. Mediatoren). Seiten wie SourceForge.net bieten daneben meist kostenfrei Hilfsmit- tel für Entwickler wie z.B. Wikis an. Unternehmen können außerdem Veröffentlichungen zu Open Source Themen oder Produkten anbieten und diese bei entsprechenden Fachbuch- verlagen vertreiben. Zu dem Open Source Statistikprogramm „R“ gibt es so zahlreiche Publikationen, die den Umgang mit „R“ erklären. Außerdem können Fachartikel in Zeitschriften, wie dem „Linux Magazin“, veröffentlicht werden. 19 Vgl. Jaeger/Metzger, Open Source Software, Rn. 19 ff.; Keßler, Anpassung von Open-Source-Software in Anwenderunternehmen, S. 18 ff. 10
3 Die Insolvenzrechtsreform als Ursache des Problems – Auftragsentwicklung: Bei der Auftragsentwicklung werden drin- gend benötigte Erweiterungen einer Open Source Software entwickelt, die die ursprüngliche Version nicht anbietet. Die- ses Geschäftsmodell wird häufig bei beliebten Open Source Produkten angeboten. – Schaffen einer Entwicklungsumgebung: Bei diesem Geschäfts- modell wird eine Entwicklungsumgebung für eine Open Sour- ce Software und die Serverkonsole für den Open Source Server bereitgestellt. – Kommerzielle Verbesserung: Dieses Geschäftsmodell ähnelt dem der Auftragsentwicklung. Allerdings werden hier Verbes- serungen an der ursprünglichen Open Source Software vorge- nommen und keine Erweiterung entwickelt. Während die Veröffentlichung der Open Source Software im Inter- net kostenlos stattfindet, haben sich daneben also einige Geschäfts- modelle entwickelt, die sich Open Source Software als wirtschaft- liche Basis zu Nutze machen. Obwohl sich Open Source Anwen- dungen insbesondere durch die freie Weitergabe und den offenen Quellcode auszeichnen, besitzen sie durchaus wirtschaftliches Ge- wicht, welches vermutlich mit wachsender Beliebtheit weiter anstei- gen wird. 3 Die Insolvenzrechtsreform als Ursache des Problems Nachdem im vorherigen Kapitel Open Source Software und Lizen- zen definiert, als auch die Hintergründe und die wirtschaftliche Be- deutung für einen umfassenden Eindruck dargelegt wurden, soll nun die Insolvenzfestigkeit der Lizenzen betrachtet werden. Zuvor wird allerdings die Insolvenzrechtsreform 1994/1999 als Ausgangspunkt des Problems der Insolvenzfestigkeit von Open Source Lizenzen nä- her beleuchtet. Hierfür wird zunächst die Rechtslage vor 1999 dar- gestellt. Anschließend sollen die Gründe der Insolvenzrechtsreform aufgeführt werden. Danach soll die nun herrschenden Rechtslage mit den entstandenen Problemen und den Umgang damit darge- legt werden. 11
3 Die Insolvenzrechtsreform als Ursache des Problems 3.1 Rechtslage vor 1999 Bevor 1999 die Insolvenzordnung (InsO) in Kraft trat, galten die Regelungen der Konkursordnung (KO) von 1877, der Vergleichs- ordnung (VglO) von 1935 und der Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) von 1991. Die Konkursordnung hatte die Vollstreckung der Gläubigeransprüche als Hauptziel. Die Gläubiger sollten in einem selbst verwalteten Verfahren, unter Aufsicht des Gerichts, gemein- sam befriedigt werden. Die später eingeführte Vergleichsordnung sollte den nicht bevorrechtigten Konkursgläubigern eine höhere Quo- te sichern.20 Während die Konkurs- und Vergleichsordnung in West- deutschland Anwendung fanden, galt auf dem Gebiet der ehemali- gen DDR die Gesamtvollstreckungsordnung.21 Wie wurden nun vor 1999 Lizenzverträge in der Insolvenz be- handelt? Bereits unter Anwendung der Konkursordnung waren die Auswirkungen einer Insolvenz auf die Lizenzen umstritten. Damals wie heute fehlt es an einer speziellen Regelung für Lizenzen. Zur Diskussion stand insbesondere, ob § 17 oder § 21 KO Anwendung finden würde. § 17 KO sah ein Wahlrecht für den Konkursverwal- ter bei gegenseitigen Verträgen vor, während § 21 KO regelte, dass Miet- und Pachtverhältnisse über Gegenstände nicht durch die In- solvenz beeinträchtigt werden.22 Die herrschende Meinung und die Rechtsprechung gingen davon aus, dass im Falle des Konkurses des Lizenzgebers § 21 KO analog Anwendung fand, wenn sie bereits dem Lizenznehmer überlassen war. Wurde die Erfindung bzw. das Know- how noch nicht überlassen, so hatte der Konkursverwalter hingegen ein Wahlrecht nach § 17 KO zwischen Erfüllung und Nichterfüllung des Lizenzvertrages.23 Ein Lizenzvertrag ist zwar nicht als Pacht- oder Mietvertrag, sondern als Vertrag sui generis (eigener Art) an- zusehen. Es ist jedoch bei dauerhaften Lizenzverträgen mit wie- derkehrenden Lizenzzahlungen ein hohes Maß an Vertrauen des Li- zenzgebers in die Kreditwürdigkeit des Lizenznehmers notwendig, sodass § 19-21 KO analog angewendet wurden.24 Damit blieb der Lizenzvertrag nach § 21 I KO von der Konkurseröffnung unberührt 20 Braun/Kießner, Einf. Rn. 1ff. 21 Landfermann, BB 1995, 1649. 22 Schleich/Götz, DZWIR 2008, 58. 23 BGH, NJW-RR 1995, 936, 938; Jaeger/Henckel, § 21 KO Rn. 6; Kuhn/Uhlenbruck, § 21 KO Rn. 4a. 24 Kuhn/Uhlenbeck, § 19 KO Rn. 2a; Schleich/Götz, DZWIR 2008, 58 f. 12
3 Die Insolvenzrechtsreform als Ursache des Problems und somit konkursfest.25 3.2 Insolvenzrechtsreform 1999 Bereits 1994 verkündet, ist die InsO zum ersten Januar 1999 in Kraft getreten. Der lange Zeitraum zwischen Verkündung und In- krafttreten wurde gewählt, um die Insolvenzgerichte nicht übermä- ßig zu belasten. Der Ausbildung zusätzlicher Rechtspfleger wur- de damit Zeit gegeben und die Unternehmen konnten sich auf die neue Rechtslage besser einstellen. Der Grund für das Inkrafttre- ten der InsO war der unhaltbare Zustand, dass Konkursanträge in 3/4 aller Insolvenzfälle mangels Masse abgewiesen worden sind. Das Problem der Verbraucherverschuldung konnte während der letzten Jahre ebenfalls nicht gelöst werden. Nach der Wiedervereinigung wollte man außerdem die bisherige Rechtsspaltung überwinden. Die Insolvenzordnung ist anstelle der Konkursordnung und Vergleichs- ordnung getreten. 26 Mit der Insolvenzordnung wurde ein einheitliches Verfahren für natürliche und juristische, als auch für Kaufleute und Nichtkauf- leute geschaffen. Folgende Ziele wurden im Wesentlichen mit der Reform 1994/1999 verfolgt27 : – Einheitliches Verfahren: Wie bereits erwähnt, wurde mit der Rechtsordnung Rechtseinheit zwischen West- und Ostdeutsch- land hergestellt. Die Verfahrensziele Liquidation und Sanie- rung bestehen außerdem gleichwertig nebeneinander. Es ist die freie Entscheidung der Gläubiger, welches Verfahrensziel im Einzelnen verfolgt werden soll. Außerdem wurde die örtli- che Zuständigkeit vereinfacht. Im Grundsatz gilt, dass es ein Insolvenzgericht je Landgerichtsbezirk gibt. – Bekämpfung der Massearmut: Viele Konkursverfahren konn- ten mangels Masse nicht eröffnet werden. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sollte nun vor allem frühzeitig, leichter und häufiger ermöglicht werden. Damit die Insolvenzverfah- ren zu einem Zeitpunkt beantragt werden können, bei dem eine Sanierung noch Aussicht auf Erfolg hat, wurde die dro- hende Zahlungsunfähigkeit in § 18 InsO als neuer Eröffnungs- 25 Jaeger/Henckel, § 21 KO Rn. 6, 8; Schleich/Götz, DZWIR 2008, 58 f. 26 Landfermann, BB 1995, 1649. 27 Braun/Kießner, Einf. Rn. 12 ff. 13
3 Die Insolvenzrechtsreform als Ursache des Problems grund eingeführt. Die Insolvenzmasse muss nun die Verfah- renskosten (inklusive Abwicklungskosten) decken können. Die Masse soll außerdem durch Neuerwerb, ebenso wie durch ei- ne Erleichterung der Anfechtungsansprüche mittels teilweisen Verzicht auf die Erfüllung subjektiver Merkmale, angereichert werden können. – Stärkung der Gläubigerautonomie: Die Abwicklung des In- solvenzerfahrens wird von den Gläubigern bestimmt. Die ge- stärkte Gläubigerautonomie wird zum Beispiel durch die Be- stimmung eines Verwalters nach § 97 InsO zum Ausdruck ge- bracht. Auch besteht die Möglichkeit, den Insolvenzverwal- ter zu beauftragen, einen Insolvenzplan zu erstellen (§ 157 S. 2 InsO). Der Insolvenzplan ist das Kernelement des ein- heitlichen Verfahrens. Durch ein Mehrheitsprinzip können die Beteiligten in Abweichung aller Liquidationsregeln die güns- tigste Form der Insolvenzabwicklung bestimmen. – Verbraucherinsolvenz: Im Rahmen des neuen Verbraucherin- solvenzverfahren sollen Fälle schneller und kostengünstiger abgewickelt werden. – Restschuldbefreiung: Um zu einer Antragstellung zu bewegen, wurde die Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) als ein neu- es Verfahren eingeführt. Die Restschuldbefreiung ist nach ei- ner sechsjährigen Wohlverhaltensperiode für natürliche Per- sonen möglich. Voraussetzung dafür ist, dass das pfändbare Arbeitseinkommen den Gläubigern zur Verfügung steht. In- solventen Schuldnern soll durch die Restschuldbefreiung die Möglichkeit eines Neustarts gegeben werden. Alternativ be- steht auch mit dem Aufstellen eines Insolvenzplans die Mög- lichkeit der Befreiung. 3.3 Rechtslage nach 1999 Die Einführung der Insolvenzordnung 1999 führte gleichzeitig zu einer Veränderung der Rechtslage bei Lizenzverträgen. Wenngleich der Gesetzgeber keine Änderungen der bisherigen Rechtspraxis bezwe- cken wollte, so gestaltet sie sich nun zum Nachteil der Lizenzneh- mer. Der Rechtsgedanke des § 21 KO, dass Miet- und Pachtverhält- nisse über Gegenstände nicht von der Insolvenz betroffen sind, ist 14
3 Die Insolvenzrechtsreform als Ursache des Problems nun in § 108 InsO wiederzufinden. Allerdings beschränkt sich die Anwendung des § 108 InsO, anders als der bisherige § 21 KO, auf Miet- und Pachtverhältnisse über das unbewegliche Vermögen.28 Der Begriff der unbeweglichen Gegenstände ist in § 49 InsO legal- definiert. Darunter fallen solche, die dem unbeweglichen Vermögen unterliegen, wie etwa Grundstücke, Schiffe oder Flugzeuge. Nicht erfasst sind hingegen Verträge über Mobilien und Rechte, da als unbeweglich nach § 90 BGB nur körperliche Gegenstände gesehen werden.29 Aufgrund dieser Anpassung ist heutzutage umstritten, ob und unter welchen Umständen Lizenzverträge bei einer Insolvenz des Lizenzgebers überhaupt fortbestehen. Eine Ansicht sieht § 108 In- sO weiterhin in analoger Anwendung mit der gleicher Begründung wie zu § 21 KO, da § 103 InsO lediglich für Miet- und Pachtverhält- nisse über bewegliche Sachen geschaffen wurde. Man wollte mit der Gesetzesänderung lediglich den Anwendungsbereich für bewegliche Gegenstände einschränken. Der Gesetzgeber habe bei der Unter- teilung zwischen Mobilien und Immobilien den analogen Anwen- dungsbereich des § 108 InsO schlichtweg nicht bedacht.30 Gegen diese analoge Anwendung spricht jedoch, dass § 108 InsO lex spe- cialis zu § 103 InsO ist. Mit Nichtanwendung des § 108 InsO kann demzufolge immer noch auf die allgemeinen Regeln für gegenseitige Verträge zurückgegriffen werden. Eine planwidrige Lücke, die für eine analoge Anwendung sprechen würde, kann daher nicht ange- nommen werden.31 Andererseits wird in der Literatur vertreten, dass bei einer dauer- haften Softwareüberlassung und der Erfüllung der Leistungspflich- ten die Lizenzverträge weiterhin bestehen bleiben. Begründet wird dies damit, dass Lizenzverträge gegen Einmalzahlung als Kaufver- träge zu qualifizieren seien und kein miet-, oder pachtähnliches Dau- erschuldvehältnis darstellen. Mit wirksamer Einräumung der Lizenz gegenüber dem Lizenznehmer, seien die vertraglichen Pflichten zu- mindest seitens des Softwarehauses erfüllt worden. Das von § 103 InsO verlangte Kriterium des beidseitig nicht erfüllten Vertrages 28 Jaeger/Metzger, Open Source Software, Rn. 170b; Schleich/Götz, DZWIR 2008, 58, 59. 29 Braun/Kroth, § 108 Rn. 10 f.; MüKo/Eckert, § 108 Rn. 36 f. 30 Fezer, WRP 2004, 793, 803. 31 McGuire, GRUR 2009, 13, 15. 15
3 Die Insolvenzrechtsreform als Ursache des Problems würde dieser Ansicht zufolge fehlen.32 Das Problem ist allerdings hier, das verkannt wird, dass die Nutzungsbefugnis allein aus dem Lizenzvertrag resultiert, da es kein gesetzliches Schuldverhältnis für Lizenzen gibt. Der Bestand der Lizenz ist damit von dem Bestand des Lizenzvertrages abhängig. Mit Beendigung des Vertrages enden auch die Nutzungsrechte. Der Vertrag endet aber nicht unbedingt mit Zahlung der Lizenzgebühr. Anschließend möchte der Lizenz- nehmer auch die Lizenz in Anspruch nehmen. Damit ist der Li- zenzgeber dem Lizenznehmer verpflichtet, die Nutzungsrechte dau- erhaft zu überlassen und zu gewährleisten, dass dies auch möglich ist. Es ist daher eher von einem Dauernutzungsverhältnis auszuge- hen, bei dem die vollständige Erfüllung erst mit Beendigung der Vertragslaufzeit eintritt.33 Die Ausgestaltung des Lizenzvertrages ähnelt damit mehr einem Dauerschuldverhältnis wie der Miete oder Pacht, als einem Kaufvertrag. Der Ansicht, dass ein Lizenzvertrag als Kaufvertrag zu qualifizieren sei, kann daher nicht gefolgt wer- den. Eine andere Meinung sieht ebenfalls die Rechtsstellung des Li- zenznehmers in der Insolvenz des Lizenzgebers als insolvenzfest an, da sie, entgegen der herrschenden Ansicht, das Abstraktionsprinzip als weiterhin gültig betrachtet. Die überwiegende Meinung begrün- det die Nichtgeltung des Abstraktionsprinzips bei Nutzungsrechten und Lizenzen aus einer analogen Anwendung des § 9 VerlG. § 9 VerlG sieht vor, dass mit Beendigung des Vertragsverhältnisses das Verlagsrecht erlischt (Kausalprinzip). Diese Nichtgeltung des Ab- straktionsprinzips wird analog auch im Urheberrecht angewendet.34 Dagegen könnte sprechen, dass § 9 VerlG noch nicht einmal bei einer Insolvenz im Bereich des Verlagsrechts angewendet werden würde. Versteht man die damaligen Gesetzesmaterialien so, dass eine Ausklammerung des Konkurses aus dem Anwendungsbereich des § 9 VerlG ausdrücklich gewollt war, so würde es bereits an einer planwidrigen Lücke fehlen, um eine Analogie annehmen zu können. Damit würde der schuldrechtliche Lizenzvertrag unter die Anwen- dung des § 103 InsO fallen. Die Lizenzen müssten jedoch nicht zu- rückübertragen werden, da der Entgeltanspruch im Interesse der 32 Berger, CR 2006, 505, 507; Grützmacher, CR 2006, 289 f.; Wallner, ZIP 2004, 2073, 2076. 33 Vgl. McGuire, GRUR 2009, 13, 16 f. 34 BGH, NJW 1958, 1583, 1584 - Privatsekretärin; LG Mannheim, ZIP 2004, 576; Wandtke, Urheberrecht, § 4 Rn. 9. 16
3 Die Insolvenzrechtsreform als Ursache des Problems Masse liegt. Bei Zurückbehaltung könne der Lizenznehmer zudem aufgrund der Nichterfüllung des Lizenzvertrages einen Schadenser- satz nach § 273 BGB verlangen.35 Hier wird allerdings verkannt, dass bei Betrachtung des Wortlautes des § 9 VerlG keine Differen- zierung vorgenommen wird, sondern es nur entscheidend ist, ob der schuldrechtliche Vertrag beendet wurde. 36 Wenn der Gesetzgeber bereits bei Entstehung des Gesetzes eine Ausnahmeregelung bei § 9 VerlG für den Fall der Insolvenz unbedingt gewollt hätte, so hätte er dies wohl auch mit aufgenommen. Es ist daher der herrschenden Ansicht zu folgen, dass das Abstraktionsprinzip bei Nutzungsrech- ten und Lizenzen keine Anwendung findet. Die herrschende Meinung ordnet auch nach der Reform Lizenz- verträge als Dauernutzungsvertrag der Rechtspacht entsprechend der §§ 108, 112 InsO ein. Die Lizenz kann aber nicht unter den Begriff des unbewegliches Vermögens subsumiert werden (da Li- zenzen, wie in Kapitel 2.2. erwähnt, die Rechten und Pflichten des Lizenznehmers definieren und somit nicht körperlich sind). § 108 InsO ist nach der herrschenden Ansicht folglich nicht anwendbar. Daher muss auf den allgemeinen § 103 InsO zurückgegriffen wer- den.37 § 103 InsO räumt dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht ein, beiderseitig noch nicht vollständig erfüllte Verträge zu erfüllen oder die Erfüllung abzulehnen. Das Wahlrecht wird dabei sehr weit aus- gedehnt. Selbst wenn die jeweiligen Hauptpflichten (Einräumung der Lizenz, vollständige Zahlung der Lizenzgebühr) bereits erfüllt sind, die Nebenpflichten jedoch weiterhin bestehen, wird angenom- men, dass der Vertrag beidseitig noch nicht erfüllt ist.38 Eine Ne- benpflicht in einem Softwarelizenzvertrag könnte zum Beispiel die Erbringung von Softwareupdates über einen bestimmten Zeitraum sein.39 Bei der derzeit geltenden Rechtslage kann der Insolvenzverwalter also den Vertrag fortsetzen oder die Erfüllung ablehnen. Wählt er die Erfüllung, so kann er die volle Lizenzgebühr als eine der Masse zustehenden Forderung verlangen. Der Lizenznehmer darf im Ge- 35 Wallner, ZIP 2004, 2073, 2078 ff. 36 LG Mannheim, ZIP 2004, 576, 578. 37 BGH, GRUR 2006, 435, 437; LG Mannheim, ZIP 2004, 576, 577; Abel, NZI 2003, 121, 124; FK-InsO/Wegener, § 103 Rn. 23; Tintelnot, in: Küb- ler/Prütting/Bork, § 103 Rn. 62; McGuire, GRUR 2009, 13, 17; Mü- Ko/Huber, § 103 Rn. 64, 76. 38 Berger, NZI 2006, 380. 39 Weber/Hötzel, NZI 2011, 432, 434. 17
4 Die Insolvenzfestigkeit von Open Source Lizenzen genzug nach wie vor entsprechende Nutzungshandlungen vorneh- men. Wird die Erfüllung von ihm allerdings abgelehnt oder auf Auf- forderung gar nichts erklärt, so sind die gegenseitigen Erfüllungsan- sprüche mit Insolvenzeröffnung „suspendiert“. Der Insolvenznehmer kann sich dann nur noch als Insolvenzgläubiger am Insolvenzver- fahren wegen Nichterfüllung einer Forderung beteiligen. Die quo- tenmäßige Befriedigung ist in der Regel sehr gering.40 Durch die Ablehnung der Erfüllung des Lizenzvertrages erlischt nach bishe- riger Rechtsprechung auch die „dingliche“ Lizenz. Dies hängt mit der „Nichtgeltung des Abstraktionsprinzips“ zusammen, sodass der schuldrechtliche Lizenzvertrag und die dingliche Lizenz miteinan- der verbunden sind. Der Lizenznehmer verliert also nicht nur die schuldrechtlichen Ansprüche aus dem Lizenzvertrag, sondern auch das Recht, die Software weiterhin nutzen zu dürfen.41 Die Insol- venz des Lizenzgebers stellt die Lizenznehmer insbesondere dann vor erheblichen Risiken, wenn die Software im Unternehmen oder in ihren Produkten verwendet wird. Bereits getätigte Zahlungen sind außerdem verloren.42 Open Source Software und Lizenzen unterscheiden sich allerdings erheblich von proprietären Softwarelizenzen (vgl. Kapitel 2.2.). Ist eine Anwendung des § 103 InsO dennoch auf Open Source Lizenzen ohne Weiteres möglich? 4 Die Insolvenzfestigkeit von Open Source Lizenzen Wie im vorherigen Kapitel dargestellt, wird bei der Insolvenz des Lizenzgebers dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht nach § 103 In- sO eröffnet, soweit der Vertrag mit Insolvenzeröffnung nicht oder noch nicht vollständig erfüllt ist. Er kann in diesem Fall über die Er- füllung oder Nichterfüllung des Lizenzvertrages entscheiden. Open Source Software unterscheidet sich allerdings, wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, in vielerlei Hinsicht von proprietärer Software. Wesentli- che Kriterien waren, neben der Neutralität der Programme, die Er- laubnis Veränderungen vorzunehmen und das Verbot, die Software 40 Dreier, in: Dreier/Schulze, § 69c Rn. 43; Gottwald/Huber, InsolvenzR-Hb, § 37 Rn. 50; Smid/Lieder, DZWIR 2005, 7, 12. 41 Berger, NZI 2006, 380, 281 f. 42 Berger, GRUR 2004, 20; Dreier, in: Dreier/Schulze, § 69c Rn. 43. 18
4 Die Insolvenzfestigkeit von Open Source Lizenzen von bestimmten Programmen abhängig zu machen. Insbesondere geht es aber um die Offenlegung des Codes und die kostenfreie und uneingeschränkte Weitergabe der Software an alle Nutzer. Ob das Wahlrecht nach § 103 InsO daher auch uneingeschränkt bei Open Source Lizenzen möglich ist, soll in diesem Kapitel untersucht wer- den. Dabei wird hier aufgrund der Folgen für den Lizenzvertrag danach differenziert, ob die Nutzungsrechte für den Lizenznehmer vor oder nach der Insolvenzeröffnung eingeräumt wurden. Kann aber eine kostenlose und zur freien Weitergabe bestimmte Software überhaupt Teil der Insolvenzmasse sein? § 35 InsO defi- niert die Insolvenzmasse als das gesamte Vermögen, das dem In- solvenzschuldner zur Eröffnung des Verfahrens bereits gehört oder das er während des Verfahrens erlangt. Kriterien, wie die kostenlo- se und freie Weitergabe, schließen aber noch nicht notwendig aus, dass Open Source Software als Teil der Insolvenzmasse qualifiziert werden kann. Der Insolvenzverwalter muss bei der Verwertung von Software, die nicht auf den Vertrieb ausgerichtet ist, die Zustim- mung des Urhebers einholen. Auch wenn die Zustimmung nicht er- teilt wird, so bleibt sie ein Teil davon, kann aber nicht in Form eines Vertriebs gegen Bezahlung verwertet, wohl aber kostenfrei überlassen werden.43 Open Source Software kann demzufolge der Insolvenzmasse zugeordnet werden. 4.1 Rechtseinräumung vor Insolvenzeröffnung Was geschieht mit den Nutzungsrechten an Open Source Software, die noch vor Insolvenzeröffnung erworben wurden? Erst mit Insol- venzeröffnung verliert der Insolvenzschuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen, § 80 I InsO. Die vor diesem Zeitpunkt getätigten Rechtsgeschäfte sind grundsätzlich wirksam. Die hier erworbenen Rechte fallen nicht in die Insolvenzmasse, § 91 InsO.44 Ist § 103 InsO auf solche Lizenzverträge anwendbar, die vor Insolvenzeröffnung abgeschlossen wurden? Damit würde dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht zwischen Erfüllung oder Nichter- füllung des Lizenzvertrages zustehen. Bei Wahl der Erfüllung müss- te er dann die ausstehende Leistung als Masseverbindlichkeit nach § 55 II Nr. 2 InsO erbringen und könnte die Gegenforderung für die 43 Koch, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, Teil 26.1 Rn. 89. 44 BGH, ZIP 2003, 1208, 1209; Gottwald/Huber, InsolvenzR-Hb, § 34 Rn. 1. 19
4 Die Insolvenzfestigkeit von Open Source Lizenzen Masse verlangen. Die gegenseitigen Ansprüche, deren Durchsetzbar- keit aufgrund der Insolvenzeröffnung gehemmt war, wären wieder umsetzbar und erhalten die Rechtsqualität von originären (neuen) Masseverbindlichkeiten und -forderungen. Der Insolvenzverwalter kann dann den Wert der gegenseitigen Verträge für die Masse rea- lisieren. Der Wert eines Vertrages ergibt sich aus der Differenz zwi- schen Leistung und Gegenleistung. Der gegenseitige Vertrag bleibt materiell-rechtlich unberührt, für den Lizenznehmer ändert sich also am Vertragsverhältnis nichts. Es richtet sich inhaltlich nach dem Li- zenzvertrag, wie er zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung zwischen den Parteien bestand. 45 Würde die Erfüllung hingegen abgelehnt werden, so hätte der Lizenznehmer, wie bereits in Kapitel 3.3 erwähnt, nur noch nach § 103 II 1 InsO die Möglichkeit die Forde- rungen als Insolvenzforderung anzumelden und sich aus der Masse quotenmäßig befriedigen zu lassen. Wesentliche Voraussetzungen für die Anwendung des § 103 InsO sind das Vorliegen synallagmati- scher Vertragsverhältnisse, sowie die Nichterfüllung des Rechtsver- hältnisses beider Seiten.46 4.1.1 Synallagmatische Vertragsverhältnisse Für die Anwendung des § 103 InsO müsste zunächst der Open Source Lizenzvertrag ein gegenseitiges Rechtsverhältnis darstellen. Verträge gelten im Sinne dieser Vorschrift als synallagmatisch, bei dem die Verpflichtungen der Vertragsparteien wie bei §§ 320 ff. BGB im gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen und somit für den jeweils Anderen erbracht werden. Darunter fallen vor al- lem Kauf-, Tausch- oder auch Werkverträge. 47 Der Meinungsstreit, ob Softwareverträge miet- bzw. pachtähnlich oder doch als Kauf- /Werkvertrag zu qualifizieren sind (siehe Kapitel 3.3), spielt an die- ser Stelle keine Rolle, da bei jedem dieser Verträge ein gegenseitiges Rechtsverhältnis vorliegt. Fraglich ist allerdings, ob ein do-ut-des Verhältnis auch bei Open Source Verträgen gegeben ist. Eines der wesentlichen Kriterien der Open Source Software ist gerade die Besonderheit, dass keine Li- zenzgebühren anfallen. Sie ist damit kostenlos für den Lizenzneh- 45 Andres, in: Andres/Leithaus, § 103 Rn. 2; Gottwald/Huber, InsolvenzR-Hb, § 35 Rn. 20; MüKo/Kreft, § 103 Rn. 39, 41. 46 Metzger/Barudi, CR 2009, 557, 559; MüKo/Kreft, § 103 Rn. 19. 47 Braun/Kroth, § 103 Rn. 6, 8; Gottwald/Huber, InsolvenzR-Hb, § 34 Rn. 14; MüKo/Huber, § 103 Rn. 55. 20
4 Die Insolvenzfestigkeit von Open Source Lizenzen mer nutzbar. Eine äquivalente Gegenleistung fehlt hingegen. Zwar hat auch der Lizenznehmer (Neben-)Pflichten aus den Lizenzbe- stimmungen, wie z.B. die Namensnennung der Urheber oder die Beibehaltung von Copyright-Vermerken. Sie stehen jedoch nicht im Synallagma. Kosten können allenfalls z.B. beim Nutzen eines Sup- portservices oder dem Erwerb eines Handbuches anfallen. Der Open Source Lizenzvertrag selbst enthält hingegen eher schenkungsrecht- liche Elemente.48 Die Schenkung (§ 516 BGB) als nur einseitig ver- pflichtender Vertrag, fällt nach herrschender Meinung nicht in den Anwendungsbereich des § 103 InsO.49 Im Ergebnis kann daher fest- gehalten werden, dass ein Open Source Vertrag nicht die Voraus- setzung eines gegenseitigen Rechtsverhältnisses erfüllt. 4.1.2 Erfüllung des Vertragsverhältnisses Selbst wenn man ein synallagmatisches Rechtsverhältnis annehmen würde, so wäre darüber hinaus problematisch, ob das Vertragsver- hältnis nicht bereits mit Einräumung der Nutzungsrechte erfüllt ist. § 103 InsO verlangt, dass der Vertrag zum Zeitpunkt der Verfah- renseröffnung noch nicht vollständig erfüllt worden ist. Sobald auch nur eine Partei ihrer Leistungsverpflichtung dem Vertrag entspre- chend vollständig nachgekommen ist, ist § 103 InsO nicht anwend- bar. Allerdings müssen auch die Nebenpflichten vollständig erfüllt worden sein. Wie auch im Rahmen des § 362 BGB tritt hier die Erfüllung mit Eintritt des Leistungserfolges ein, nicht bei Vornah- me der Leistungshandlung.50 Das auch die Nebenpflichten erfüllt sein sollen, ergibt sich aus der teleologischen und systematischen Auslegung der Zurückbehaltungsrechte innerhalb eines Vertragsver- hältnisses. § 17 KO sah vor, dass der Insolvenzverwalter gleich dem Gemeinschuldner die Leistung erbringen solle. Die geforderte Erfül- lung der Leistung könne dann abgelehnt werden, wenn die Gegen- leistung nicht erbracht werden würde. Der Gesetzgeber sah damit in gegenseitigen Verträgen vor, dass die allgemeinen Sicherungen nicht durch den Konkurs berührt werden sollten. Wollte der Verwal- 48 Auer-Reinsdorff, ITRB 2009, 69; Tintelnot, in: Kübler/Prütting/Bork, § 103 Rn. 63; Jaeger/Metzger, Open Source Software, Rn. 170d; Metzger/Barudi, CR 2009, 557, 560. 49 Andres, in: Andres/Leithaus, § 103 Rn. 7; Braun/Kroth, § 103 Rn. 13; Mü- Ko/Huber, § 103 Rn. 91. 50 LG München I, ZUM-RD 2007, 498, 502; Braun/Kroth, § 103 Rn. 19 f.; MüKo/Huber; § 103 Rn. 122 f. 21
4 Die Insolvenzfestigkeit von Open Source Lizenzen ter die Erfüllung der Nebenpflichten bezwecken, so musste er diese ebenfalls erfüllen. Auch der Grundgedanke von § 103 InsO sieht vor, dass der Insolvenzverwalter die Möglichkeit der vollständigen Abwicklung gegenseitiger Verträge haben soll. Dazu zählen neben den Hauptleistungspflichten eben auch die Nebenpflichten.51 Bei proprietären Softwarelizenzverträgen hängt der Zeitpunkt der Er- füllung von der Qualifikation als Kaufvertrag oder miet-bzw. pacht- ähnliches Dauerschuldverhältnis ab. Wie bereits in Kapitel 3.3 dar- gestellt, wird einerseits vertreten, dass Softwareverträge mit einer Einmalzahlung als Kaufverträge zu qualifizieren sind. Mit Zahlung des Betrages und Einräumung der Lizenznutzung wäre der Vertrag dann bereits beidseitig erfüllt. Die herrschende Meinung qualifiziert hingegen den Softwarevertrag als Dauernutzungsvertrag und sieht damit eine Ähnlichkeit zur Miete oder Pacht. Der Vertrag ist hier erst mit Vertragsbeendigung vollständig erfüllt. Dieser Meinung fol- gend wird ein Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO zumindest bei proprietären Softwarelizenzverträgen befürwortet. Ist ein Open Source Vertrag ebenfalls als Dauerschuldverhält- nis zu qualifizieren? Zunächst kann die Pflicht des Lizenznehmers, bestimmte Lizenzbestimmungen einzuhalten, an ein Dauerschuld- verhältnis erinnern. Das eingeräumte Nutzungsrecht wird dabei als auflösend bedingt betrachtet. Unter einer auflösenden Bedingung versteht man nach § 158 II BGB, dass das Rechtsgeschäft mit Ein- tritt einer Bedingung endet. Verstößt der Lizenznehmer gegen die Lizenzbestimmungen, so entfallen automatisch die Rechte unter der Lizenz mit dinglicher Wirkung ex nunc. Dem Nutzer ist damit auch die Weitergabe des Open Source Programms untersagt. Nur bereits eingeräumte Lizenzen bleiben gemäß Nr. 8 GPLv352 davon unbe- rührt. Ein Verstoß gegen die Lizenzbestimmungen würde z.B. die Weitergabe einer Kopie ohne Beifügung der GPL darstellen. Beim automatischen Wegfall aller Rechte werden nach Nr. 8 GPLv3 we- der die Nutzungsrechte eingeräumt, noch wird ein Vertrag erfolg- reich abgeschlossen. Dem rechtmäßigen Erwerber stehen allerdings als einfacher Nutzer die in § 69d UrhG vorgesehen gesetzlichen Min- destrechte zu.53 51 Wallner, ZIP 2004, 2073, 2076. 52 GNU, General Public License Version 3, http://www.gnu.de/documents/gpl.de.html [Zugriff am 02.06.2014]. 53 Dreier, in: Dreier/Schulze, § 69c Rn. 38; Wiebe, in: Spindler/Schuster, § 69c Rn. 38 f. 22
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