Guten Tag Welche Edda darf es denn sein? - Hintergründe - Übersetzungen Empfehlungen GardenStone - Chaosowl
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Guten Tag … Welche Edda darf es denn sein? Hintergründe – Übersetzungen Empfehlungen GardenStone Veröffentlicht von GardenStone Copyright © 2014 GardenStone E-Mail: GardenStone@boudicca.de -1-
Inhaltsverzeichnis 0. Vorwort 3 1. Begrifflichkeiten 4 2. Prosa-Edda 9 3. Lieder-Edda 14 4. Die Lieder der Eddica minora 19 5. Christliche Einflüsse 21 6. Umstrittene Teile 24 7. Vorliegende Edda Übersetzungen 27 Karl Simrock 28 Wilhelm Jordan 30 Hugo Gehring 32 Felix Genzmer 33 Arthur Häny 34 Arnulf Krause 37 Hans von Wolzogen 40 Gustav Neckel, Felix Niedner 43 Tor Åge Bringsvaerd 44 Rudolf Simek 47 8. Übersetzungsprobleme 48 Die Göttin Vár, War, Wara 51 Die Göttin Hlín 52 Vermischungen alter Vorlagen 53 9. Übersicht der Kapitel in Prosa- und Lieder-Edda in den deutschen Ausgaben 55 10. Lesetipps 58 11. Empfehlung 60 -2-
0. Vorwort Schon seit mehreren Jahren hatte ich den recht vagen Gedanken, dass ich doch etwas mit meiner Sammlung Eddas machen könnte. Die Sammlung besteht aus einigen altnordischen Ausgaben, einer größeren Gruppe deutscher Übersetzungen, mehreren auf Englisch und dann auch noch einigen auf Niederländisch. Die meisten davon sind in gedruckter Form, einige als Computerdatei. Diese vage Idee, irgendwann einmal etwas damit zu tun, reichte mir längere Zeit - es gab mir sogar ein zufriedenes Gefühl. Wie auch immer, nachdem die Idee, meine acht verschiedenen deutschen Übersetzungen näher unter der Lupe zu nehmen, anfing, sich in der Realität umzusetzen, wuchs sich das Ganze aus zu einem kleinen Projekt, das sich letztendlich realisierte in diesen Beitrag. Gleich am Anfang muss ich leider gestehen, dass es mir wahrscheinlich nicht gelungen ist, davon auszugehen, dass meine Zuhörer und Leser völlig unbeschriebene Blätter sind bezüglich Wikingern und nordischen Mythen. Denn damit hängt dieses kleine Edda-Projekt zusammen. Ein wenig Vorkenntnisse wären deshalb schon nützlich. Jedenfalls, einen Zusammenhang mit dem Hotel Villa Edda in Graal-Müritz an der Ostseeküste gibt es nicht und ebensowenig mit der Opernsängerin, der Romanautorin oder den vielen anderen mehr oder weniger bekannten Personen, die den Namen Edda tragen. Soweit das Vorwort. Viel Vergnügen beim Weiterlesen. GardenStone Usingen, März 2014. -3-
1. Begrifflichkeiten Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht 'die' Edda, ein Werk, das in altnordischer Sprache geschrieben wurde und als ein Juwel der nordischen Mythologie betrachtet wird. Altnordisch ist ein Sammelbegriff für nordgermanische Sprachen und Dialekte, die Bewohner von Skandinavien und den zugehörigen überseeischen Siedlungen ab etwa 800 (das ist auch der Beginn der Wikingerzeit) bis mindestens ca. 1350 sprachen. Bereits während dieser Zeit fand der Prozess einer kontinuierlich fortschreitenden Differenzierung statt, bei der die Sprachen in den verschiedenen Regionen langsam auseinander drifteten und sich zu den heutigen nordeuropäischen Sprachen entwickelten. Nordische Mythologie ist der Bezeichnung für die Gesamtheit derjenigen Sagen und Mythen skandinavischer Völker, die aus vor- und frühchristlicher Zeit stammen. Es sind Geschichten über verschiedene Gottheiten, andere nichtmenschliche Wesen und Helden aus zahlreichen und unterschiedlichen Quellen wie mittelalterliche Handschriften, archäologische Darstellungen und Volksüberlieferungen. Die Bezeichnung 'Edda' bezieht sich auf zwei unterschiedliche isländische Manuskripte: Das erste ist eine Sammlung von Gedichten (Liedern) und wir kennen sie unter den Namen ältere Edda, poetische Edda oder Lieder-Edda, in alten Quellen auch als Sæmundar-Edda bezeichnet – im Folgenden wird hier der Name Lieder-Edda verwendet. Das zweite Manuskript wurde von dem Autor Snorri Sturluson (1178-1241) jedenfalls teilweise als Lehrbuch der Dichtkunst (Skaldik) geschrieben und enthält eine umfangreiche Darstellung der nordisch-heidnischen Mythologie, insbesondere der Götterlehre und eine ausführliche Auflistung poetischer Synonyme und Umschreibungen vieler Begriffe und Namen, die sog. Kennings. Dieses Werk kennt man auch als jüngere Edda, Snorra-Edda oder Prosa-Edda - hier wird weiter der Name Prosa-Edda verwendet. Beide wurden in Übersetzungen manchmal unter dem Gesamtnamen Edda in einem Band veröffentlicht, oft aber auch wurden und werden sie getrennt publiziert. Zusammen gelten sie als wichtigste Quelle für den vorchristlichen heidnischen Glauben Nordeuropas. Die Lieder-Edda wurde -4-
um 1270 aufgezeichnet, die Lieder selber sollen zwischen 900 und 1200 entstanden sein. Die Prosa-Edda wird in ihrer schriftlichen Form zwar auf ca. 1220 datiert, also 50 Jahre zuvor, da in ihr aber aus den Lieder- Manuskripten zitiert wird, ist sie auf jeden Fall jünger als die Lieder-Edda. Die Lieder-Edda muss es deshalb entweder mindestens zum Teil und unveröffentlicht vor 1220 gegeben haben, oder mehrere Lieder daraus waren schon früher in schriftlicher Form verfügbar. Eins der erhaltenen Dokumente, die uns die Prosa-Edda überliefern, fängt an mit den Worten: Anfangszeilen der Prosa Edda. Quelle: http://www2.teknat.uu.se/forskning/uu/bild.php? typ=forskningsprogram&id=485 Dieses Buch heißt Edda. Snorri Sturluson hat es auf die Art zusammengestellt, die hier eingerichtet ist. Dabei ist es nicht einmal sicher, ob Snorri Sturluson wirklich selber diese Anfangszeilen geschrieben hat - es wird vermutet, dass der Text später von jemandem entsprechend editiert wurde. Später wurde dann auch noch eine Sammlung isländischer Lieder gefunden die auch den Namen Edda bekam, obwohl sie höchstwahrscheinlich nicht so hieß – die Lieder-Edda. Die Bedeutung des Wortes Edda ist nicht eindeutig geklärt, die vier am häufigsten angeführten Vorschläge sind: -5-
• Urgroßmutter: Das altnordische Wort Edda bedeutet 'Urgroßmutter' und es soll auf Überliefertes von den Ahnen hinweisen. • Oddi: Es soll genannt sein nach 'Oddi', dem Namen des Hofes, wo Snorri viele Jahre wohnte. • Óðr: Der altnordische Begriff óðr bedeutet Dichtkunst und daraus soll der Name hergeleitet sein. • EDO: Ähnlich wie 'kredda' (Aberglaube) die altnordische Form des lateinischen CREDO sein soll, so soll Edda aus dem lateinischen 'EDO' (verkünden) entstanden sein. Obwohl das oft gerne anders gesehen wird, beruhten die nordischen Mythen nie wirklich auf einer einigermaßen zusammenhängenden Religion, wie der Begriff in heutiger Zeit verstanden wird. Wenn überhaupt, dann waren einige der Mythen höchstens eine literarische Dachstruktur für bestimmte lokale oder regionale Kulte. Zu Unrecht auch wird Snorri Sturluson oftmals als Verfechter des Fortbestehens der heidnischen Traditionen und des heidnischen Glaubens betrachtet. Als überzeugter Christ war das nicht sein Anliegen. Snorris Bemühen war die Erhaltung der metrischen Formen der Skaldendichtung, die in den vorhandenen Gedichten und Lieder seiner Zeit mit altnordischen Mythen verknüpft waren. Statt eines Religionsbuchs, wie die Edda in einigen Kreisen gerne gesehen wird, wurden sowohl die Prosa-Edda als auch die Lieder-Edda mit dem Ziel aufgeschrieben, die einzigartige Skaldenlyrik zu erhalten. Heutzutage ist dieser ursprüngliche Zweck weitgehend 'ersetzt' durch die Sichtweise, die Prosa-Edda als ein 'Handbuch der nordisch-heidnischen Götterlehre' zu verstehen. Manchmal stößt das 'Christ-sein' Snorris auf Unglaube. Jemand der soviel über die heidnischen Mythen und die darin auftretenden Götter der Skandinavier weiß und schreibt, könne doch kein überzeugter Christ sein, wird manchmal bemerkt. Dennoch ist dem so, es gibt mehrere etwaige zeitgenössische Quellen, wie sein Neffe Sturla Thórdarson, die über Snorri berichten und über seine Taten - in den verschiedenen Biographien Snorri -6-
Sturlusons kommt es auch klar zum Ausdruck. Dazu nur beispielhaft ein Zitat aus ″Snorri Sturluson, Homer des Norderns. Eine Biographie″, von Óskar Gudmundsson, aus 2009, deutsche Übersetzung 2011, S.309: "Es gilt als wahrscheinlich, dass er sowie die meisten seiner Zeitgenossen nach dem christlichen Glauben lebte und die christlichen Werte verinnerlicht hatte. Er war in einem christlich geprägten Umfeld erzogen und ausgebildet worden, hatte sich jedoch zugleich Kenntnisse über die heidnische Religion und Mythologie angeeignet. Über sein Verhältnis zum Heidentum haben daher viele Forscher nachgedacht. Denn in seinen Schriften, sowohl in der Edda als auch in weiten Teilen der Heimskringla, tritt sein umfassendes Wissen der heidnischen Kultur zutage. Nicht selten deutet sich jedoch in seinen Beschreibungen etwa der Verehrung von Götzenbildern auch eine Kritik an diesen alten Bräuchen an." Ähnlich schreibt es Klaus Böldl, Professor für Altskandinavistik in Kiel in sein in 2013 erschienenes Buch ″Götter und Mythen des Nordens – Ein Handbuch″ auf S. 47 über die isländischen Schriftsteller wie Snorri Sturluson: ″Nirgendwo lassen die Autoren den geringsten Zweifel daran erkennen, das sie fest auf dem Boden des Christentums stehen und die natürliche Religion ihnen lediglich zur Deutung der heidnischen Vergangenheit dient und keineswegs als Argument für eine Fortführung oder Wiederherstellung.″ Und in ″Song of the Vikings. Snorri and the making of Norse Myths″ aus 2012 von Nancy Marie Brown, die sich schon über 30 Jahre mit isländischen Literatur und Kultur befasst, wird klar gemacht, dass Snorri nur Hauptling und kein Häuptling und Bischof wurde, wie das in vorigen Generationen öfters der Fall war, weil ein Gesetz erlassen war das besagte das beide Ämter nicht mehr in einer Person vereint sein durften. Sonst hätte der machtbeluste Politiker Snorri sich dieses Bisschofsamt sicherlich nicht entgehen lassen. Es sollte dazu schon erwähnt werden, dass für Snorri Sturluson, und andere zeitgenössische Gelehrten die Asen und auch die Wanen keine Götter waren, sondern mythische Ahnen, Menschen aus der Vorzeit - Asen sind dabei die Bewohner von Asaland und Wanen von Vanaland. Dass Snorri das nicht explizit darlegt, wird darauf zurückgeführt, dass sein Anliegen literarisch-technischer Art war - die Mythen waren für ihn bloß Träger der -7-
dichterischen Gestaltungstechnik. Schon am Anfang der Gylfaginning in der Prosa-Edda wird diese 'Vermenschlichung' der Götter dennoch klar: Da heißt es: König Gylfi war ein kluger und zauberkundiger Mann. Ihn verwunderte es sehr, dass das Asenvolk so mächtig war, dass alles nach seinem Willen lief. Er überlegte, ob dies von ihrer eigenen Macht komme oder ob es die göttlichen Mächte bewirkten, denen sie opferten. Übersetzung Arnulf Krause Mehr darüber später. Oftmals wird bemerkt, dass in den Ausgaben der Prosa- und Lieder-Edda Teile 'fehlen', d. h. dass die Werke nicht komplett seien. Dafür gibt es mehrere Gründe. • Die Eddas sind nicht in Originalform erhalten geblieben, aber sie sind in mehreren alten Dokumenten überliefert, die teilweise die gleichen Lieder und Themen behandeln, jedoch nicht immer mit gleichen Worten und im gleichen Umfang. Wenn bei einer übersetzten Ausgabe der Schwerpunkt auf einem oder zweien dieser Dokumente liegt und bei einem anderen Übersetzer weitere Dokumente einbezogen werden, dann wird das auch im Umfang der Übersetzung bemerkbar. • Übersetzer sind sich nicht alle einig, welche Mythen oder Lieder zur 'Edda' gehören sollen und welche nicht; deshalb enthalten einige Ausgaben mehr Teile als andere. • Und die Übersetzer haben darüber hinaus auch eigene Auffassungen, welche Teile wichtig für die Leser und welche in Hauptsache langweilig oder unverständlich seien. Letztere Teile werden dann entsprechend weggelassen. Mehrere Autoren erklären ihre Sicht dazu in einem Kommentar im Buch. -8-
2. Prosa-Edda Die Prosa-Edda ist überliefert in vier wichtigen und einigen weniger wichtigen handschriftlichen Dokumenten. Die wichtigsten vier sind: • 1. Codex Upssaliensis: das ist die älteste Version und stammt aus ca. 1300. Es kam in 1639 an der Öffentlichkeit und wurde in 1669 der Universitätsbibliothek Uppsalas in Schweden gespendet und bekam dort seinen heutigen Namen. • 2. Codex Regius: wird datiert auf das erste Viertel des 14. Jahrhunderts. Es kam in das 17. Jahrhundert in öffentliche Erscheinung nachdem es zweimal privat verschenkt wurde und dann in die Königliche Bibliothek Dänemarks erlangte - dort auch bekam es seinen Namen: 'Königliche Handschrift'. • 3. Codex Wormianus: wird dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts zugeordnet. Das Manuskript wurde nach seinen früheren dänischen Besitzern genannt, Bischof Christian Worm, der es von seinen Großvater Professor Ole Worm (1588 - 1654) bekam. • 4. Codex Trajectinus: Eine Handschrift auf Papier. Diese Handschrift wurde in 1595 in der Universitätsbibliothek der niederländischen Stadt Utrecht erstellt. Es ist eine Abschrift eines Manuskript aus dem 13. Jahrhundert. Das Original wurde nicht erhalten. Es wurde genannt nach dem alten lateinischen Namen für Utrecht: Trajectum. Es wird vermutet, dass der Codex Regius dieselbe verschwundene Handschrift als Vorlage hatte. Die Codex Regius wird von diesen als wichtigstes 'Edda'-Dokument gesehen. -9-
Seite aus der Codex Regius Quelle: http://www.germanicmythology.com/works/CodRegIMAGES/CR1.jpg Diese Manuskripte sind nicht alle im Ganzen bewahrt geblieben. Vom Codex Regius fehlt die erste Doppelseite, beim Codex Trajectinus fehlen sowohl die erste als auch einige Doppelseiten am Ende. Beim Vergleich der Dokumente zeigen sie untereinander Unterschiede, die manchmal bei Satzbau, Wortwahl und Strukturierung des Materials gravierend sind. Dabei sind die Unterschiede zwischen dem Codex Regius und dem Codex Trajectinus noch am geringsten. An einigen Stellen sind entsprechende Textstellen des Codex Wormianus kürzer als vergleichbare Stellen im Codex Regius, an anderen Stellen sind sie wieder länger. Obwohl der Text der Mythen im Codex Uppsaliensis am kürzesten ist, enthält dieses Manuskript noch einige Zusätze anderer Herkunft; diese sind ein Stammbaum des Geschlechts der Sturlungen, eine Abhandlung über Grammatik, eine Aufzählung von Skalden und eine Aufzählung von Juristen. - 10 -
Andere 'Edda-Handschriften' tragen den Namen 'Hauksbók', Flateyjarbók', 'AM 748 I', 'AM 748 II' und 'AM 757a'. Die 'vollständige' Prosa Edda kennt folgende Teile: • Prolog; Dieser Teil verknüpft die 'alten' Mythen mit der Weltanschauung in Sturlusons Zeit und bettet sie ein in die europäische Geschichte, so, wie man sie damals kannte. • Gylfaginning (Gylfis Täuschung); Dieser Teil enthält die Mythographie; die Mythen aus heidnischer Zeit, wie sie die Skalden damals kannten. Mittels einer Sinnestäuschung wird der beeindruckte Gylfi 'gezwungen' Fragen zu stellen und die Antworten stellen dann ein Bild dar einer fantastisch-heidnischen Vorzeit, in der viele Götter, Riesen, Zwerge und andere Wesen die Weltsicht der Menschen bevölkerten. • Skáldskaparmál (Lehre von der Dichtung); Die Mythen aus der Vorzeit sind hier Träger technischer Feinheiten der Skalden-Dichtkunst. Mit Hilfe vieler Zitate aus der Skaldenpoesie werden skaldische Metrik und die Lehre der Kennings verdeutlicht. An mehreren Stellen knüpft Snorri an die christliche Lehre seiner Zeit an und macht damit auch den Weg frei für zeitgenössische Skaldenlyrik – das christliche und nicht zur Edda gehörende (Sólarlióð, Sonnenlied) ist dafür ein Beispiel. • Das Háttatal (Strophenverzeichnis) Dieser Teil bietet praktische Hilfe für Skalden. In einem langen Gedicht, das Snorri selber schrieb, zeigt er seinen Lesern über hundert verschiedene Versarten. Zudem gibt er dabei in einem Prosateil erklärende Bemerkungen. • Das Skáldatal (Skaldenverzeichnis) Dieser abschließender Teil bietet eine chronologisch gegliederte Liste von Skalden und anderen berühmten Dichtern, soweit Sturluson deren Namen kannte. Das Skáldatal wird bei fast allen Übersetzungen und auch bei vielen altnordischen Ausgaben weggelassen, das Háttatal ebenso. In vielen Fällen wird die Skáldskaparmál nur in Auszügen angeboten, die Liste der Kennings die mit dem Namen Thulur (Nafnaþulur) bezeichnet wird, und sich am Ende der Skáldskaparmál befindet, ist oft nicht dabei. (Dieser - 11 -
Thulur ist wieder unterverteilt.) Der Prolog wird in vielen Fällen nur verkürzt wiedergegeben oder ist ganz ausgelassen. Noch eine Bemerkung zum Prolog: Darin wird die Entstehung von Gottesvorstellungen erklärt durch einen mythischen Aufstieg historischer Personen, anders gesagt, die heidnischen Götter, die im nachfolgenden Gylfaginning auftreten, sollen als menschliche Herrscher dargestellt werden. Es ist gut möglich, das Snorri Sturluson als überzeugter Christ wirklich der Überzeugung war, die Götter aus den Erzählungen seien 'in Wirklichkeit' mythische Ahnen... also Menschen. Die Sichtweise, die Götter seien Ahnen aus der Vorzeit, trifft man schon an bei den Angelsachsen, die in königlichen Stammbäumen Götternamen führten. Diese menschliche Herkunftsdarstellung ist nicht nur keine Erfindung Snorri Sturlusons, sondern auch nicht isländischer Herkunft. In Kapitel 2 des Prologs wird unser Teil der Welt "Europa oder Enea" genannt. Darin ist ein Bezug auf den Namen des trojanischen Helden Aeneas zu erkennen, der aus Troja nach Europa floh und im Geschichtsdenken des Mittelalters als Stammvater der Herrscher Roms und sogar der deutsche Kaiser (Heiliges Römisches Reich deutscher Nation) bekannt war. Schon im 7. Jahrhundert wurde in der Fredegar-Chronik die trojanische Herkunft der Franken dargestellt und Geoffrey von Monmouth (um 1100 - um 1154) sah Aeneas als Stammvater der Briten; er mag dafür als Quelle die 'HISTORIUM BRITTONUM' von Nennius benutzt haben, der sie ca. 825 schrieb. Darin steht, zusammengefasst und übersetzt: Nach dem trojanischen Krieg kam Aeneas mit seinem Sohn nach Italien; nachdem er dort Turnus besiegt hatte, heiratete er Lavinia, die Tochter des Königs Latinus, Sohn des Faunus, Sohn des Picus, Sohn des Saturn und Lavinia gebar einen Sohn der Silvius hieß. Silvius heiratete und seine Frau wurde schwanger. Bei der Geburt des Kindes, das den Namen Brutus bekam, starb die Mutter. Brutus wurde aus Italien verbannt. Er kam zu dieser Insel, die er Britannia nannte, verblieb dort und füllte sie mit seinen eigenen Nachkommen, und die bewohnten sie seitdem bis in heutige Zeit. Troja mag nach dem Verständnis mittelalterlicher Historiker im Weltteil östlich von Europa gelegen haben - Asien und Aeneas mit seinen Leuten und deren Nachkommen wären daher Leuten von Asaland. In Kapitel 3 des Prologs werden dann auch dementsprechend Namen von nordischen - 12 -
Gottheiten zu solchen des trojanischen Adels; Trór (Thor) soll der Sohn einer Tochter des trojanischen Königs Priamus sein. Aber die Ansicht, Götter seien ursprünglich berühmte Menschen aus der Vorzeit, ist noch viel älter. Im 3. Jahrhundert v.d.Z. war es besonders der griechische Philosoph Ehemeros, der die Theorie vertrat, dass die Götter auf den Olymp keine übernatürliche Mächte seien, die aktiv in das Leben der Menschen eingriffen, sondern große Heerführer und Herrscher aus alten Zeiten. Das mag vielleicht auf den ersten Blick reine philosophische Theologie scheinen, in Wirklichkeit aber war es praktische Politik; es war gedacht als Anreiz für die herrschende Klasse; auch sie konnten dann als Belohnung für ihre Taten zugunsten der Gemeinschaft posthum auf außergewöhnliche Weise geehrt werden. Dass die Religion dadurch herabgewürdigt wurde, wird Ehemeros wenig geschert haben, zu seiner Zeit wurde er als 'Atheist' angesehen. Der römische Autor und Dichter Quintus Ennius ( 239 – 169 v.d.Z.) übernahm die Idee und hatte dabei auch schon einen berühmten Zeitgenossen ins Auge gefasst - er ging sogar noch einen Schritt weiter und wollte seine Umgebung damit vertraut machen den römischen Feldherrn Publius Cornelius Scipio Africanus, der in Nord-Afrika endgültig Hannibal besiegt hatte, schon bei Lebzeiten göttlichen Status zu verleihen. Der griechische Historiker Diodor (Diodorus Siculus), der im 1. Jahrhundert v.d.Z. lebte, hatte diese 'theologische Lehre' aufgenommen im 5. und 6. Band seines 40-bändiges historisches Werk, das lange Zeit im Mittelalter in den Klöstern ein Standardwerk war für die Geschichte des klassischen Altertums. Der frühchristliche Autor und Ratsherr des ersten christlichen römischen Kaisers Konstantin I, Lactantius (um 240 – um 320 d.Z.), benutzte Euhemeros' Theorie, dass die alten Götter ursprünglich Menschen waren, um deren Unterlegenheit gegenüber dem christlichen Gott zu 'beweisen'. Und sehr wahrscheinlich fand über diese Wege die Vermenschlichung der nordischen Götter ihren Weg nach Nord-Europa in die Werke Snorri Sturlusons, Saxo Grammaticus und anderer. Snorri (oder ein späterer Bearbeiter seiner Texte) und andere Gelehrten kannten sich einfach aus mit der Geschichte Europas, wie sie damals gesehen wurde, und betteten die Namen aus der nordischen Vorzeit darin ein. - 13 -
3. Lieder-Edda Snorri Sturluson Quelle: http://bifrost.it/GERMANI/Fonti/EddaSnorri.html Die Hauptquelle für die Lieder-Edda ist der zuvor schon genannte Codex Regius. Manchmal wird diese Handschrift wissenschaftlich getrennt gesehen von Codex Regius der Prosa Edda – dabei werden beide als eigenständige Manuskripte gesehen die durch ihre Aufnahme in der Königlichen Bibliothek Dänemarks den gleichen Namen bekamen. Aber zehn der Lieder sind in anderen eigenständigen Dokumenten aufgefunden worden. Wie es bei der meisten frühen Poesie der Fall ist, waren auch die eddischen Gedichte zuerst wahrscheinlich Spielmannslieder, die mündlich von Sängern oder Dichtern an andere weitergegeben wurden, die sie ihrerseits auch wieder weitergaben. Passend dazu wird angenommen, dass das Wort 'skáld' ursprünglich wahrscheinlich 'Spottdichter' bedeutete; es soll zusammenhängen mit dem westgermanischen '*skelan': 'schelten', 'schmähen', 'tadeln' - ein Spielmann, der in Lieder scheltet. Inwiefern der Inhalt dieser auswendig gelernten Lieder dabei abgeändert - 14 -
wurde, ist nicht herauszufinden. Aber wenn dieser Prozess verglichen werden darf mit der Entwicklung von Liedern und Gedichten der mittelalterlichen Barden, Minstrele (Minnesänger) und Troubadoure des europäischen Festlandes, dann kann man davon ausgehen, dass seit der Entstehung eines Liedes und bevor die erste schriftliche Aufzeichnung vorgenommen wurde, solche Änderungen stattfanden. Keins der Lieder kann definitiv einem bestimmten Autor zugeschrieben werden, obwohl bestimmte Charakteristiken eines Liedes manchmal schon in Richtung eines bestimmten Poeten weisen. Über die Datierung der Gedichte der Lieder-Edda haben Fachkundige schon lange und ausführlich argumentiert, aber zu einer eindeutigen und schlüssigen Übereinstimmung hat das (noch?) nicht geführt. Es gibt manchmal zwar Zeilen, die auch in anderen Gedichten aus dem 9. oder 10. Jahrhundert vorkommen, aber statt das ganze Eddalied dann auch dieser frühen Zeit zuzuschreiben, ist es genauso möglich, dass ein späterer Autor ein bestehendes, älteres Lied zitierte. In einzelnen Fällen können externe Umstände etwas über eine Entstehungszeit aussagen; z. B. für das Atlamál (Das jüngere Atli-Lied), der längere altnordische Name ist 'Atlamál hin groenlenzku', gibt es, außer diesem Titel auch einige weitere Hinweise, dass es auf Grönland geschrieben wurde – das muss dann zwangsläufig nach 985 passiert sein, denn vor diesem Jahr gab es die Skandinavier dort noch nicht. Manchmal wird eine mögliche Datierung noch erschwert, weil in ältere Gedichte Teile anderer, jüngerer Lieder später eingefügt wurden, das wird z.B. vermutet bei der Auflistung der Zwergennamen in den Strophen 10 – 16 der Völuspá, einem Teil, das den selbständigen Namen 'Dvergatál' (Zwergenzählung) trägt. Viele der Lieder sind älter als die Prosa-Edda, Sturluson zitiert sogar aus einigen dieser Lieder. Dennoch wurde die Kollektion der Götter- und Heldenlieder mehrere Jahrzehnte nach der Veröffentlichung der Prosa-Edda aufgeschrieben. Es mag als wahrscheinlich gelten, dass die Prosa-Edda der Anstoß war, die vielen Lieder überhaupt in einen Werk zusammenzubringen, schließt sie sich doch nahtlos Snorris Lehrbuch für Skalden an; die Prosa-Edda ist für die Ausbildung der Skalden gedacht, die Lieder-Edda bietet diesen ein Basis-Repertoire. In der Lieder-Edda kommen in den deutschen Ausgaben die folgenden Lieder vor – auch die umstrittenen oder inzwischen abgelehnten Lieder stehen hier in der Liste dabei: - 15 -
Zuerst die Götterlieder: 1. Götterlieder • Völuspá (Die Weissagung der Seherin, Der Seherin Weissagung) • Hávamál (Des Hohen Lied, die Sprüche des Hohen) • Vafþrúðnismál (Das Lied von Vafthrudnir) • Grímnismál (Das Lied von Grimnir) • Skírnismál (Lied von Skírnir) oder Skírnisför (Skirnirs Ritt, Fahrt) • Hárbarðslióð (Das Harbard-Lied) • Hymiskviða (Das Lied von Hymir) • Lokasenna (Lokis Zankreden, Lokis Spottrede) oder Oegisdrecka (Ægirs Trinkgelage) • Þrymskviða oder Hamarsheimt (Das Thrym-Lied oder Des Hammers Heimholung) • Völundarkviða (Das Wölund-Lied) • Alvíssmál (Das Alvislied) Nicht im Codex Regius enthaltene Götterlieder • Hrafnagaldr Óðins (Odins Rabenzauber) • Baldrs draumar oder Vegtamskviða (Balders Träume oder Das Wegtamslied ) • Svipdagsmál -Lied von Svipdag Grógaldr (Groas Erweckung) Fjölsvinnsmál (Das Lied von Fjölsvinn) • Rigsþula oder Rigsmál (Rigs Merkreihe oder Lied von Rig) • Hyndlulióð (Das Hyndlalied) • Völuspá in skamma - Die kurze Weissagung der Völva • Gróttasöngr (Grottis Gesang) Zum besseren Verständnis der nordischen Kosmologie solle man sich dessen bewusst sein, dass die Götter als 'herrschende Mächte'' betrachtet wurden; das altnordische Verb 'ragna': 'zaubern' wird auch interpretiert als ''herrschende Macht' und dementsprechend Rágnarök als 'Untergang der herrschenden Mächte' (Götterschicksal). Diese herrschenden Wesen waren nicht nur Asen und Wanen, sondern auch Riesen (Jöten) und sogar Unholde. Die meisten dieser Lieder wurden erstellt als 'Erkenntnis-Dichtung' oder als - 16 -
Kenningspoesie. Das bedeutet, dass wahrscheinlich bewusst sehr viel Wissen in extrem konzentrierter Form verarbeitet wurde. Viele solche Lieder sind in Dialogform geschrieben und bieten mittels Frage und Antwort eine Art Wettkampf zwischen den Hauptfiguren. Das war auch in ähnliche Literatur aus anderen Kulturen eine effektive Art Wissen zu vermitteln – Skalden kannten die Lieder auswendig und waren diese 'Lehrer'. Eine zweite Gruppe der Götterlieder sind Spruchdichtungen. An erster Stelle werden da Verhaltensregeln und Lebensweisheiten vermittelt und mythologische Aspekte sind zweitrangig. Ursprünglich hatte die Reihenfolge der Lieder ein erkennbares System. Am Anfang bietet die Völuspá die generelle Evolution vom Anfang bis zum Ende und die nachfolgenden Lieder gehen dann immer mehr ins Detail, indem sie spezifische Themen behandeln. 2. Heldenlieder • Helgakviða Hjörvarðssonar (Das Lied von Helgi dem Sohn Hjörwards) • Helgakviða Hundingsbana fyrri (Das erste Lied von Helgi dem Hundingstöter) • Helgakviða Hundingsbana önnur (Das zweite Lied von Helgi dem Hundingstöter) 2a. Die Nibelungen-Lieder • Sinfiötlalok oder Frá dauða Sinfjötla (Sinfiötlis Ende oder Über Sinfjötlid Tod) • Sigurdarkviða Fafnisbana fyrsta oder Grípisspá (Das erste Lied von Sigurd dem Fafnirstöter oder Gripirs Weissagung) • Reginsmál oder Sigurðarkviða Fafnisbana önnur (Reginns Lied oder Das zweite Lied von Sigurd dem Fafnirstöter) • Fáfnismál (Das Lied von Fafnir) • Sigrdrífomál (Das Lied von Sigrdrifa) • Brot af Brynhildarkviða (Bruchstück eines Brynhildenliedes) • Sigurdarkviða Fafnisbana thridja (Das dritte Lied von Sigurd dem Fafnirstöter) • Sigurdarkviða in skamma (Das kurze Sigurdlied) • Helreið Brynhildar (Brynhilds Helfahrt) - 17 -
• Guðrúnarkviða in fyrsta (Das erste Gudrun-Lied) • Drap Niflunga (Mord der Niflunge) • Guðrúnarkviða in önnur (Das zweite Gudrun-Lied) • Guðrúnarkviða in þriðja (Das dritte Gudrun-Lied) • Oddrúnargrátr (Oddruns Klage) • Atlakviða (Das alte Atli-Lied) • Altlamál (Das jüngere Atli-Lied) 2b. Die Ermenrich-Lieder • Guðrúnarhvöt (Gudruns Aufreizung) • Hamðismál (Lied von Hamdir) Nicht im Codex Regius enthaltene Heldenlieder • Hlöðskviða – Hunnenschlachtlied • Hervararljóð – Herwörlied • Gróttasöngr (Grottis Gesang) (Das Mühlenlied) • Darraðarljóð (Das Walkürenlied) • (Sólarlióð Sonnenlied) Mit Ausnahme der Helgi-Gedichte stehen bei den anderen Liedern germanische Helden im Mittelpunkt, die zur Zeit der Völkerwanderung auf dem europäischen Festland lebten. Oft handelt es sich um historisch erkennbare Menschen. So ist z.B. Atli der Hunnenkönig Etzel / Attila und Gunnar der burgundische König Gundahar. Das Nibelungenlied ist in einer Reihe der Lieder gut erkennbar; die eddischen Lieder sollen die Quelle gewesen sein für die mittelhochdeutsche Dichtung „Der Nibelunge Not“. Allerdings muss dem Dichter eine ältere Fassung bekannt gewesen sein als der Codex Regius, denn der wurde später geschrieben als die älteste überlieferte Version des Nibelungenliedes die aus um 1230 stammt. Die Hauptmotive der Heldenlieder hängen alle zusammen mit Heldenhaftigkeit, Sterben, Ermordung und Rache, wobei die Helden oft 'magisch' unterstützt werden von Seherinnen, vorhersagenden Träumen, u.ä. Diese Lieder sind eine logische Ergänzung der Götterlieder; die dort präsentierten Verhaltensregeln und Lebensweisheiten werden in menschlichen Taten praktiziert. - 18 -
4. Die Lieder der Eddica minora Dass es aus der gleichen Zeit noch mehr solche Lieder gibt, zeigt eine Veröffentlichung aus dem Anfang des 20. Jahrhundert. In 1903 publizierten Andreas Heusler und Wilhelm Ranisch, beide Altgermanisten, eine Sammlung "Dichtungen eddischer Art aus den Fornaldarsögur und anderen Prosawerken", der sie den Titel Eddica Minora gaben. Bei den 'Fornaldarsögur' handelt es sich um sog. Vorzeitsagas die sich abspielen in der Zeit bevor Island besiedelt wurde. Der historische Rahmen dieser Mythen ist nur Schein und die darin auftretende Figuren sind auch nicht historisch belegbar. Diese Lieder, die ins 13. Jahrhundert datiert werden, sind den Heldengedichten der Lieder-Edda sowohl dichtungstechnisch als auch inhaltlich sehr ähnlich. Einige dieser Lieder sind wahrscheinlich sogar noch einige Jahrhunderte älter - So soll z.B. das Biarkamál schon im Jahr 1030 gesungen worden sein, um eines Morgens bevor eine Schlacht anstand, die Soldaten des Heeres von Olaf dem Zweiten von Norwegen aufzuwecken. Obwohl wir diese Lieder nur aus isländischen Quellen kennen, wird die Herkunft mehrere der Lieder Dänemark und Norwegen zugeschrieben. 1. Das Lied von der Hunnenschlacht (Aus der Hervararsaga) 2. Das Hervǫrlied (Aus der Hervararsaga) 3. Die Biarkamál 4. Das Innsteinslied (Aus der Hálfssaga) 5. Der Vikarsbálkr (Aus der Gautrekssaga) 6. Das Hrókslied (Aus der Hálfssaga) 7. Hiálmars Sterbelied (Aus der Ǫrvar-Oddssaga und der Hervararsaga) 8. Hildibrands Sterbelied (Aus der Ásmundarsaga kappabana) 9. Ǫrvar-Odds Sterbelied (Aus der Ǫrvar-Oddssaga) 10. Das Valkyrjenlied (Aus der Niálssaga) 11. Kleinere Bruchstücke: a. Aus der Vaterrache der Hálfdanssöhne b. Aus dem Kampf auf Sámsey c. Aus der Heiðrekssaga d. Aus einem Starkaðliede - 19 -
12. Ǫrvar-Odds Männervergleich (Aus der Ǫrvar-Oddssaga) 13. Útsteins Kampfstrophen (Aus der Hálfssaga) 14. Ǫrvar-Oddr in Biálkaland (Aus der Ǫrvar-Oddssaga) 15. Scheltgespräche Ketils und Grims 16. Aus der Ketilssaga hængs und der Grímssaga loðinkinna a. Ketill und Gusir b. Ketill und die Hexe c. Ketill und Framarr d. Grímr und die Hexen Diese Lieder wurden praktisch alle in die Edda-Ausgabe von Felix Genzmer aufgenommen. Seite aus der Codex Trajectinus Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Prose_Edda_Utrecht.jpg, Author Gilwellian, public domain - 20 -
5. Christliche Einflüsse Weil die beiden Eddas heute als eine sehr wichtige Quelle für Informationen über der heidnische Glaube und Mythologie der Wikinger gesehen werden, ist die Frage legitim, ob und wenn ja, in welchen Ausmaß diese Quellen von christlichen Ansichten, Interpretationen, Beurteilungen und moralischen Ansichten beeinflusst sind. Mindestens teilweise sind christliche Einflüsse in den Eddas tatsächlich erkennbar, direkt und auch nur indirekt, sie werden z. B. in Wortwahl oder moralischen Textstellen vermutet. Solche Einflüsse können sogar bis in die Zeit zurückgehen, bevor auf Island das Christentum eingeführt wurde. Das hat damit zu tun, dass die skandinavischen Siedler nicht nur aus Norwegen kamen, sondern auch aus Irland, wo viele Skandinavier sich schon einige Generationen zuvor niedergelassen hatten. Diese Siedler, die mitsamt Familie und keltischen Dienern und Sklaven nach Island kamen, hatten sowohl einen christlichen als auch einen keltischen Hintergrund. Ob die irischen Norweger vielleicht teilweise christianisiert waren, weiß man nicht, es ist aber durchaus möglich, aber die keltischen Begleiter waren sicherlich Christen; diese Gruppe brachte also sowohl das Christentum als auch keltische Folklore nach Island. Die ersten 'offiziellen' Siedler Islands (ca.870) kamen aus Norwegen, hatten aber auch irische Sklaven dabei. Und im gleichen Jahrhundert soll es schon christliche Priester auf Island gegeben haben, die mit dem aus dem Irischen entlehnten Wort 'papar' bezeichnet wurden. Insbesondere bei der Prosa-Edda sind eindeutige christliche Einflüsse zu finden. Das wird zwar manchmal bestritten, aber das kommt vermutlich, weil in der dabei benutzten Übersetzung die entsprechenden Stellen weggelassen wurden. Der Prolog der Prosa-Edda fängt an mit den Worten: Der allmächtige Gott schuf am Anfang Himmel und Erde und alles, was zu ihnen gehört, und zuletzt die beiden Menschen Adam und Eva, von denen die Geschlechter abstammen. Ihre Nachkommen vermehrten sich und breiteten sich über die ganze Welt aus. Krause Übersetzung So geht es noch einige Absätze weiter. - 21 -
Kapitel 1 der Skáldskaparmál endet mit einigen 'weisen' Worte gerichtet an junge Skalden: Aber dies ist nun jungen Dichtern zu sagen, die danach trachten, die Sprache der Dichtkunst zu verwenden und sich den Wortschatz mit alten Namen anzueignen, oder die danach streben zu begreifen, wie ein Gedicht umschrieben wird. Sie mögen dieses Buch für ihr Wissen und zur Unterhaltung benutzen. Aber diese Überlieferungen dürfen nicht vergessen oder es darf nicht als falsch angesehen werden, aus der Dichtkunst die alten Kenninge zu verwenden, die schon den Hauptskalden gefielen. Jedoch sollen Christen nicht an heidnische Götter glauben und den Wahrheitsgehalt dieser Geschichten nicht anders verstehen als so, wie man es am Anfang des Buches findet. Krause Übersetzung Mit diesem „Anfang“ ist eben der zuvor genannte Prolog gemeint. Und nachdem am Ende des Kapitels 50 der Skáldskaparmál Christus schon genannt wird in: ″.. der die höchste Gunst des weißen Christus empfing″, fängt Kapitel 51 an mit: ″Wie soll man Christus umschreiben?″ was dann anschließend ausführlich beantwortet wird. In mehreren deutschsprachigen Veröffentlichungen sind diese Textstellen weggelassen. Da die 'christlichen' Textstellen in der Prosa-Edda so klar sind, sind sie aber auch von den heidnischen Mythen gut abzutrennen – Die Gylfaginning jedenfalls ist frei von solchen direkten christlichen Teilen. Das menschenähnliche Handeln der Götter kann aber auf der damaligen christlichen Sicht beruhen, heidnische Götter als menschenähnlich darzustellen – als mythische Ahnen. (s.o.) Das war keine 'Erfindung' Snorri Sturlusons, denn das wurde auch schon in älteren Werken so dargestellt, wie z.B. im 'Isländerbüchlein' (Íslendingabók), das etwa 90 Jahre vor der Prosa- Edda erschien – ein kleines Buch über die frühe Geschichte Islands. Am Ende dieses Werkes gibt der Autor eine Übersicht über die Ahnentafel zweier Geschlechte, in der er als älteste Ahnen einige Götternamen nennt. Es fängt an mit: Das sind die Namen der Ahnen der Ynglings und der Breidafjord Leuten: 1. Yngvi, König der Türken. - 22 -
2. Njörd, König der Schweden. 3. Freyr, Fjölnir, ….usw. Solche gelehrten Sichtweisen wie diese Vermenschlichung der Götter gehörten zu Snorris Erziehung. Diese Betrachtungsweise war aber nicht die der heidnischen Isländer. Das ist deutlich der Kristni Saga zu entnehmen, die Geschichte der Christianisierung, wahrscheinlich geschrieben im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts. Darin gibt es folgenden Abschnitt: König Olaf schickte Stefnir nach Island um dort das Wort Gottes zu predigen, als dieser das erste Mal im Sommer nach Norwegen kam. Aber als er in Island ankam, wurde er dort unfreundlich empfangen, am schlimmsten durch seine eigenen Verwandten. Das kam, weil alle Menschen in dem Land Heiden waren. Und er reiste mutig in den Norden und Süden und unterrichtete die Menschen im Wahren Glauben. Diese waren aber nicht von seinen Belehrungen beeindruckt. Und als er einsah, dass er keine Fortschritte machte, fing er an Tempel und heilige Plätze zu zerstören und Götzenbilder zu zerbrechen. Die Heiden verehrten also klar ihre Götter, denn für Ahnen hätten sie bestimmt keine Tempel, Kultstätten und Statuen erstellt. Bei der Lieder-Edda sind eventuelle christliche Einflüsse viel schwieriger nachzuweisen. Weil das dort nicht explizit so geschrieben wird, gibt es Versuche, bestimmten Teilen einen christlichen Ursprung zuzuschreiben. Diese Versuche sind aber alle umstritten. Das gilt z.B. sowohl für den Versuch, das Hängen Odins am Baum mit dem gekreuzigten Christus zu erklären und Rágnarök mit dem christlichen Jüngsten Gericht. Für beide gibt es aber auch andere einleuchtende Erklärungen, die in prähistorischen Zeiten situiert werden. Eine mittelalterlich-christlich anmutende Moral bei einigen Heldenliedern wird aber wahrscheinlich zu Recht vermutet. - 23 -
6. Umstrittene Teile Mehrere Teile der Lieder-Edda sind umstritten und werden z.B. wegen ihres späten 'Wiederauffindens' oder durch eine abweichende Technik des Dichtens von mehreren Fachkundigen nicht zur Edda gerechnet, andere sehen die entsprechenden Argumente aber als unbegründet oder schlichtweg falsch an. Hrafnagaldr Óðins (Odins Rabenzauber) In der 2. Hälfte des 17. Jahrhundert wurde das Gedicht Hrafnagaldr Óðins (Odins Rabenzauber) gefunden. Generell wird es zwar öfters zu den alten nordischen Liedern gerechnet wird, oft aber nicht in Veröffentlichungen der Lieder-Edda aufgenommen. Über die Datierung der Herkunft dieses Gedichts gingen die Meinungen der Forscher lange Zeit auseinander. Manche argumentierten, das es aus dem Zeitalter der Renaissance stamme, also nach dem Mittelalter – die Wiederentdeckung des Codex Regius soll zum Schreiben des Rabenzaubers angeregt haben. Andere wieder meinten belegen zu können, dass es aus dem 14., vielleicht sogar dem 13. Jahrhundert stammen könnte. Inzwischen aber ist nach eingehender Forschung akzeptiert, dass dieses Lied während oder nach der Renaissance-Zeit geschrieben wurde. Einer der klaren Hinweise dafür ist die Verwendung einer auf altnordisch übersetzter griechischen Redewendung "nótt skal nema nýræða til" (Die Nacht wird dich auf neue Gedanken bringen, oder verkürzt: Eine Nacht drüber schlafen). Während der Renaissance entstand ein großes Interesse am klassischen Altertum und den dazu gehörenden Sprachen Griechisch und Latein – auch in Island. Während die neueren deutschsprachigen Übersetzungen dieses Lied deshalb nicht dabei haben, haben Simrock und Jordan es damals noch aufgenommen. - 24 -
Svipdagsmál (Svipdaglied) Die beiden Gedichte Grógaldr (Groas Erweckung) und Fjölsvinnsmál (Das Lied von Fjölsvinn) wurden im 17. Jahrhundert gefunden und sind, weil sie zwei aufeinander folgendeTeile einer Geschichte enthalten, unter dem Namen Svipdagsmál zusammengebracht, der Name der Hauptperson der Erzählung. Über das Alter des Svipdaglieds besteht keine Einstimmigkeit, sowohl das 13./14. Jahrhundert als auch das 15./16. Jahrhundert werden als Ursprungsdatum angegeben. In deutschen Ausgaben der Lieder-Edda sind diese Gedichte dennoch fast überall aufgenommen. Alvíssmál (Das Alvislied) Beim Alvíssmál ist nicht die zeitliche Herkunft das Problem, es werden sowohl das 9. als auch das 12. Jahrhundert genannt, sondern es soll 'fantasiert' worden sein. Es scheint ein ziemlich breiter Konsens darüber zu bestehen, dass es eine Erfindung eines (unbekannten) Dichters sei. Möglicherweise hat er dabei das Vafþrúðnismál (Das Lied von Vafthrudnir, ein anderes Gedicht der Lieder-Edda), als Vorlage für seine Kreativität benutzt. Das würde aber bedeuten, dass dieses Gedicht keine zu Reim gemachter altnordische Sage wäre. Sólarlióð Sonnenlied Das isländische Lied von der Sonne ist eine altnordische Dichtung, um 1200 geschrieben. Es steht im traditionellen metrischen Stil der Lieder-Edda, inhaltlich ist aber ganz klar ein christlicher Inhalt und eine christliche Moral zu erkennen. Es wird wiederholt über 'Gott' geschrieben – zeitgenössische christliche Werte werden vermittelt, oft zu Lasten der alten Mythen. Für die damaligen Menschen auf Island wurde es wahrscheinlich verständlich und den Menschen nahe gebracht, indem Namen und Ausdrücke aus den heidnischen Mythen verwendet werden, wahrscheinlich zusammen mit einer Vermischung von einheimische und christliche Konzepte innerhalb eine christliche Weltanschauung. Beispiele sind: Strophe 25: Die Disen bitte, die Bräute des Himmels, Strophe 51: Auf der Nornen Stuhl saß ich neun Tage, - 25 -
Strophe 56: Volle Hörner hoben sie des herrlichen Mets Strophe 79: Das sind die Runen, die da ritzten Niörds Töchter neun, Da in den anderen Liedern und der Prosa-Edda Njörd keine neun Töchter zugeschrieben wurden, handelt es sich hier beim letzten Beispiel vielleicht um die Töchter des anderen Meeresgottes Ægir, da von den neun Mütter Heimdalls gar keine Elternnamen bekannt sind. Das diese neun Frauen des Meeres auch runenkundig waren, ist dabei jedenfalls eine neue Mitteilung. Die Götter werden im Lied aber negativ dargestellt, wie z.B. in Strophe 77, wo Frigg auf einem Schiff umherfährt, süchtig suchend nach wollüstigem Vergnügen. Wie die anderen Teile der Lieder-Edda, wurde auch das Sonnenlied in einem schon etwa 200 Jahre lang christianisierten Island aufgeschrieben, wo man aber Mythen und Volkssagen aus heidnischer Zeit noch kannte. Dann ist es nicht befremdend, dass in dieser Zeit auch Lieder wie das Sólarlióð entstanden, die sich den anderen Liedern anschlossen und darauf im christlichen Sinne weiter aufbauten. In den deutschsprachigen Eddas kommt dieses Lied nur bei Simrock vor. Heutzutage ist man sich einig darüber, dass es nicht zur Edda gehört. Darraðarljóð (Dörruðs Lied) Dieses Lied, auch bekannt unter den Titel 'Das Walkürenlied', kommt in keinem der überlieferten Manuskripte vor, auf die die Ausgaben der Eddas gegründet sind. Das Gedicht ist überliefert als Teil der Njáls Saga; diese Saga stammt wahrscheinlich aus dem Ende des 13. Jahrhunderts, das Gedicht soll von einen unbekannten Skalden stammen und wird dem 11. Jahrhundert zugeordnet. Es stammt also zwar aus der Wikingerzeit und in überlieferter Form aus dem gleichen Jahrhundert, in dem die Eddas aufgezeichnet wurden. Als zur Edda gehörend wird es aber generell abgelehnt, eine kleine Minderheit sieht das aber anders. - 26 -
7. Vorliegende Edda Übersetzungen Generell sind Übersetzungen aus dem 19. Jahrhundert und davor nicht zu empfehlen; zu stark hat die Skandinavistik sich seitdem entwickelt und zu sehr ist die Entschlüsselung der altnordischen Poesie vorangeschritten. Zudem hat auch die deutsche Sprache sich gewandelt – altertümlicher Sprache ist für sehr viele Menschen heutzutage schwierig zu verstehen – man möchte doch sicher nicht eine Edda lesen, die so alt ist, dass man ein Wörterbuch dabei benötigt. Zudem fanden auch politische und christlich- religiöse Auffassungen der älteren Übersetzer ihren Weg in 'ihre' Eddas. Aus heutiger Sicht wohl sehr anekdotenhaft ist die Übersetzung des Jacob Schimmelmann von 1777, der sich sehr bemühte, das Heidentum, das die eddische Poesie ausstrahlt, zu entkräften und als christlich umzudeuten. Dabei sprach er nicht von Göttern der Wikinger oder Germanen, sondern spricht im Titel seines Buches von ″Der geheimen Gottes-Lehre der ältesten Hyperboräer, ….". Im Vorwort zieht Schimmelmann eine Verbindung zwischen dem christlichen Gott und den nordischen Göttern Tyr und Thor, indem er seinen Leser vorhält, dass sie bedenken sollten, das "Thür und Thor" doch die Mittel seien, durch die man in eine "Kirche eingehe". Er sieht sich dabei unterstützt von einer Passage aus der Bibel seiner Tage, wo es im Buch Johannes 10 steht: ″Ich bin die Thür und das Thor! Wer durch mich eingeht wird Weide finden und seelig werden!" (Heutzutage ist das Joh. 9, wo steht: ″Ich bin die Türe. Wenn jemand durch mich hineingeht wird er gerettet werden). Schimmelmann geht dann auch entsprechend unbeirrbar weiter. Schon in der ersten Strophe der Völuspá, wo in der dritte Zeile nach Gehring steht: ″Wallvater wünscht es, so will ich erzählen″ übersetzt Schimmelmann: ″Ich will die Thaten Gottes erzählen.″ Bei den verschiedenen Übersetzungen der beiden Eddas gehen die Prioritäten oft auseinander. Wo der eine Übersetzer versucht, die Reihenfolge der Lieder beizubehalten, so wie sie im Codex Regius steht, - 27 -
sieht ein Anderer Gründe, gerade davon abzuweichen. Manche versuchen den altnordischen Reimformen so gut wie möglich nachzufolgen, auch wenn das manchmal zu Lasten des Inhalts des Textes geht, andere hingegen legen den Akzent auf einen so gut wie möglich verständlichen Inhalt. Wo ein Übersetzer es wichtig findet, so wörtlich wie möglich zu übersetzen, meint ein anderer mit einer freieren Interpretation zu besserer Lesbarkeit zu kommen. Wenn man dann mehrere Übersetzungen miteinander vergleicht, wird man bemerken, dass die Lieder nicht immer die gleiche Anzahl Strophen haben; einerseits kann das kommen, wenn ein Übersetzer mehr Teile aus den verschiedenen alten Dokumente aufnimmt als ein anderer, anderseits auch, weil mancher Übersetzer Teile weglässt, die er als uninteressant oder sogar als langweilig für seine Leser ansieht. Bezüglich die Lieder-Edda ist das beste Werk zweifellos das 'DFG-Projekt Edda-Kommentar' des 2013 verstorbenen Klaus von See und seines Teams an der Frankfurter Goethe-Universität. Von diesem auf 7 Bände plus Registerband angesetzten Projekt sind inzwischen 6 Bände erschienen, Band 1 ist noch in Arbeit, der Registerband muss dann noch folgen. In den nachfolgenden Kurzdarstellungen der deutschsprachigen Prosa- und Lieder-Eddas ist dieses Werk nicht aufgenommen, weil jedes Teil zwischen 77 und 124 Euro kostet und daher, Ausnahmen unberücksichtigt, wohl nicht von Privatpersonen erworben werden wird. Außerdem wird es sicher noch dauern, bevor alle acht Bände fertig sind. Wer sich aber mit seriöser Forschung über die Lieder-Edda beschäftigt oder damit anfangen möchte, der kann die vorhandenen Bücher sicherlich in einer (Uni-)Bibliothek zurate ziehen. Karl Simrock Die Edda, Die ältere und jüngere nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, übersetzt und mit Erläuterungen begleitet, Karl Simrock, 1878. Diese Ausgabe war eine revidierte Version der 1. Auflage von 1851. Simrocks Übersetzung wurde mehrmals neu aufgelegt und auch überarbeitet. Die vorliegende Ausgabe ist: Die Edda, Götterlieder, Heldenlieder und Spruchweisheiten der Germanen. Überarbeitete Neuausgabe von Manfred Stange. 1995. - 28 -
Prosa- und Lieder-Edda werden in einen Band angeboten. Die generell akzeptierten Teile der Lieder-Edda sind alle vorhanden, die Lokasenna (Lokis Zankreden) findet man hier unter den Namen Oegisdrecka (Ægirs Trinkgelage). Von der Prosa-Edda werden nur die Gylfaginning und Auszüge aus der Skáldskaparmál geboten. In einem Anhang gibt es zusätzlich das schon erwähnte Sólarlióð (Sonnenlied) und 'Gunnars slagr' (Gunnars Harfenschlag) das erst im frühen 18. Jahrhundert verfasst wurde. Mit den zu seiner Zeit verfügbaren Kenntnissen hat Simrock versucht, sowohl so genau wie möglich zu übersetzen, als auch den nordischen Stabreim beizubehalten und das auch noch in einer blumenreichen, gehobenen Sprache, die an Literatur des Zeitalters der Romantik erinnert. Dabei wurde er wohl gezwungen, für uns merkwürdigen Satzbau zu benutzen und Worte, die man heutzutage vielleicht nur noch in Wörterbüchern antrifft. In Strophe 27 des Skírnismál (Lied von Skírnir) übersetzt Simrock bei den Bedrohungen, die Skírnir der Riesentochter Gerd zufügt: Auf des Aaren Felsen in der Frühe sollst Du sitzen, ... Wer weiß heute noch, dass das mittelhochdeutsche Wort 'Aar' Adler bedeutet. Simrock erklärt es weiter auch nicht. Derartige Übersetzungen entsprachen dem damaligen Zeitgeist, man findet sie auch bei den Shakespeare-Ausgaben von Schlegel/Tieck wieder. Das mag sich dann vielleicht schön anhören, macht viele Stellen aber schwer verständlich. Zudem sind an mehreren Stellen Worte und Sätze nach aktuellem Kenntnisstand des Altnordischen falsch übersetzt. In der späteren Überarbeitung von Manfred Stange sind zwar mehrere solche Fehler beseitigt, dennoch gibt es sie noch reichlich. Simrock hat sogar einige schwierige Passagen ganz weggelassen, die er wohl als nicht übersetzbar betrachtete und umgeht auch Kennings. Ein Beispiel dieser Problematik ist zu finden in Strophe 51 der Völuspá: Auf altnordisch heißt es: Surtr ferr sunnan með sviga lævi So wörtlich wie möglich übersetzt wird das, nach Krause: Surtur kommt von Süden mit der Zweige Verderben, Altnordisch 'sviga' ist ein '(dünner, biegsamer) Zweig und 'læva' ist 'Schaden, 'verderben'. 'sviga lævi' ist eine Kenning für 'Schaden bringendes Schwert'. - 29 -
Simrock übersetzt: Surtur fährt von Süden mit flammendem Schwert ... und lässt damit die altnordische Kenning weg und ersetzt es durch 'normale' Sprache, in der 'flammend' nur Simrocks eigenen Hang zu Dramatik widerspiegelt. Ein Beispiel fehlerhafter Übersetzung gibt es in Strophe 14 der Hymiskviða (Das Lied von Hymir). In der 2. Zeile heißt es auf altnordisch: gýgjar grœti Nah wörtlich übersetzt bedeutet das: Bekümmerer der Riesin Denn 'gýgjar' ist ein altnordisches Wort für Riesin und 'grœti' ist eine Form von 'grœta':'zum Weinen bringen'. Simrock übersetzt hier falsch mit: Trollenbetrüger Und wer sich darüber wundert, dass das Lied Baldrs draumar (Balders Träume), das in späteren Dokumenten Vegtamskviða (Wegtamslied) heisst, bei Simrock (und auch bei Jordan) mehr Strophen enthält als im ursprünglichen Text wo es 14 Strophen lang ist: gefundene Papierhandschriften aus dem 17. Jahrhundert mit diesem Lied enthalten diese zusätzlichen Strophen. Obwohl die zu Simrocks Zeit schon als eine post-mittelalterliche Fälschung diskutiert wurden, nahmen Simrock und später Jordan sie dennoch auf. Heute besteht über die Unechtheit dieser Strophen keine Zweifel mehr. Fazit: Die Simrock-Edda, auch in der überarbeiteter Form, ist ein schönes historisches Werk, aber nicht geeignet für eine seriöse Vertiefung in die nordische Mythologie; dafür braucht es eine inhaltlich genauere und auch verständlichere Übersetzung. Wilhelm Jordan Jordan's Edda, Wilhelm Jordan, 1889. Die vorliegende Ausgabe ist eine Neuauflage ohne inhaltlichen Änderungen, 2001. Diese gebundene Ausgabe ist schön aufgemacht und ansprechend illustriert. Wie der Untertitel schon angibt, ″Die heiligen Lieder der Ahnen″, bietet das - 30 -
Sie können auch lesen