Jura lernen! Selbstlernkompetenzen in den Rechtswissenschaften entwickeln

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Jura lernen!
Selbstlernkompetenzen in den Rechtswissenschaften entwickeln

                                    Kurzbeschreibung
Ausgehend von der erhöhten Bedeutung einer selbständigen Aneignung der Lehrstoffes in einem
Massenstudiengang wie den Rechtswissenschaften ist das Ziel der geplanten Lehrinnovation, schon
von Beginn an die für die Bewältigung des Studiums notwendigen Selbstlernkompetenzen im Ver-
bund mit den anderen Erstsemesterveranstaltungen zu entwickeln und damit zu einer verbesserten
Begleitung der Studierenden in den großen Pflichtveranstaltungen der Studieneingangsphase beizu-
tragen. Dazu soll eine Veranstaltung im Umfang von 2 SWS angeboten werden, die kognitive (Organi-
sieren, Elaborieren, kritisches Prüfen und Wiederholen von Lerninhalten), metakognitive (Planung,
Kontrolle und Regulation des Lernprozesses) und ressourcenorientierte Lernstrategien (Reflexion
und Gestaltung innerer und äußerer Rahmenbedingungen) anhand von typischen Lernaufgaben im
Jurastudium vermittelt und einübt. Für die Umsetzung dieser Lernziele in der Veranstaltung sind als
didaktische Modelle der cognitive apprenticeship-Ansatz und das Lerntagebuch vorgesehen.
Jura lernen!
Selbstlernkompetenzen in den Rechtswissenschaften entwickeln

Ziel dieses Antrages ist es, eine bereits als Arbeitsgemeinschaft für Anfangssemester zur Einfüh-
rung in das juristische Lernen durchgeführte Veranstaltung (2 SWS) hochschuldidaktisch reflek-
tiert neu zu konzipieren und im Veranstaltungsprogramm des Studienganges zentral zu positionie-
ren. Ziel der geplanten Veranstaltung ist es, schon von Beginn an die für die Bewältigung des Stu-
diums notwendigen Selbstlernkompetenzen im Verbund mit den anderen Erstsemesterveranstal-
tungen zu entwickeln und damit zu einer verbesserten Begleitung der Studierenden in den großen
Pflichtveranstaltungen der Studieneingangsphase beizutragen.

    I.      Hintergrund und Problemstellung
Das Jurastudium als Massenstudiengang verlangt in besonderem Maße die selbständige Aneig-
nung der Studieninhalte. Er ist geprägt von Frontalveranstaltungen wie Vorlesungen und Arbeits-
gemeinschaften, wobei selbst letztere mitunter bis zu 80 Teilnehmer aufweisen. Dadurch ist eine
Lernbegleitung mit individuellen Rückmeldungen kaum zu leisten. Jurastudierende sind deshalb –
noch stärker als in anderen Studiengängen – im wesentlichen Autodidakten, die ihr Studium re-
gelmäßig im lernmethodischen Blindflug absolvieren.
Es gibt nun traditionell weder ein Ausbildungsangebot, das dieser Tatsache Rechnung tragen wür-
de, noch einen Ort im Studienplan, an dem die Frage, wie man Jura denn erfolgreich eigenver-
antwortlich lernen kann, systematisch behandelt würde. Die Folge ist häufig – insbesondere für
Erstsemester mit einer Vielzahl von Semesterabschlussklausuren – eine Überforderung. Das liegt
daran, dass es in Jura zumeist keinerlei Vorbildung gibt (wie in den Studienfächern, denen Schul-
fächer vorausgehen wie den Naturwissenschaften oder Sprachen) und sich das Lernen an der                               1
Universität deutlich vom schulischen Lernen unterscheidet. Diese Überforderung schlägt sich in
schlechten Anfängerklausuren mit hohen Durchfallraten1, einer hohe Studienabbruchquote2 von
über 25 % und einer oft nachhaltigen Verunsicherung, mitunter auch Demotivierung der Studie-
renden in den ersten Semestern nieder.3 Dazu kommt zum einen ein problematisches Selbstbild
vieler Jurastudierender (langweiliges Fach – langweilige Juristen), zum anderen die in den übli-
chen Frontalveranstaltungen geringe Resonanz der Lehre für den Enthusiasmus, den die Studie-
renden gerade zu Beginn mitbringen.
Es fehlt ein Ort, an dem Studierende sich über ihre Lernerfahrungen austauschen, ihren Lernpro-
zess reflektieren und neue Lerntechniken einüben können. Es fehlt ein Ort der Selbstvergewisse-
rung und der Ausbildung einer positiven Fachidentität, an dem die Studierenden auch ihrer Be-
geisterung Raum geben können. Das alles ist en passant in den normalen Fachveranstaltungen
(Vorlesung und vorlesungsbegleitender Arbeitsgemeinschaft) nicht zu leisten, sollte aber früh im

1
    Am FB Rechtswissenschaft der Universität Konstanz betrugen die Durchschnittsnoten und Durchfallraten bei den
    Erstsemesterabschlussklausuren im WS 2011/2012: Im Vertragsrecht I 5,2 (33 %), Strafrecht Allgemeiner Teil 5,06
    (34 %), Staatsorganisationsrecht 4,14 (45 %) und Deliktsrecht 5,32 (29 %).
2
    Mit einer dramatischen Steigerung bundesweit von 2006 – 2010 von zunächst nur 9 %, einem Wert, der dem der
    Mediziner entspricht, die in den letzten Jahren erhebliche hochschuldidaktische Anstrengungen unternommen ha-
    ben (Nachweise und aktuelle Projekte lassen sich über das Kompetenzzentrum für Hochschuldidaktik in Medizin
    (http://www.medidaktik.de, 05.06.2012) erschließen). S. Heublein et al. (2012), Die Entwicklung der Schwund- und
    Studienabbruchquoten an den deutschen Hochschulen. Statistische Berechnungen auf der Basis des Absolventen-
    jahrgangs 2010. HIS: Forum Hochschule 3/2012, S. 30 f. S. a. Selewies (2011), Auswertung der Studienabschlussbe-
    fragung des Jahrgangs 2010 der Universität Konstanz, Stabsstelle Qualitätsmanagement, S. 21.
3
    S. Bargel/Multrus/Ramm (1996), Das Studium der Rechtswissenschaft, Bonn: BMBF, S. 136 ff. S. a. die Berichte des
    Verbunds Norddeutscher Universitäten 2009, (http://www.uni-nordverbund.de/fileadmin/user_upload/redakteur/
    Veroeffentlichungen/Rechtswissenschaft_2009.pdf),        der    Evaluationsagentur   Baden-Württemberg     2006
    (http://www.evalag.de/dedievl/projekt01/media/pdf/evalag_berichte/jura.pdf) und der Zentralen Evaluations- und
    Akkreditierungsagentur      Hannover     2000,    (http://www.zeva.org/fileadmin/downloads/Evaluationsberichte/
    JURA.PDF) (Zugriff jeweils am 18.06.2012).
Studium geleistet werden, weil der Erstkontakt und die ersten Erfahrungen in aller Regel prägen
und insbesondere eine Distanz zu schulischen Lernformen etabliert werden sollte.
Die Förderung der Selbstlernkompetenz setzt bei einer der wesentlichen Schlüsselkompetenzen
in allen juristischen Berufen an. Jeder Berufsträger muss sich regelmäßig selbständig in neue
Sachverhalte und Regelungsstrukturen einarbeiten. Durch die starke Inanspruchnahme von Repe-
titorien werden erhebliche Defizite gerade in diesem Bereich dokumentiert. Diese Defizite sollen
durch die hier vorgestellte Veranstaltung abgebaut werden.

     1. Lernzielorientierung in der Lehre – auch beim Lernprozess selbst
Neben den Kenntnissen und Fertigkeiten, die durch den Prüfungsbezug vieler Veranstaltungen als
Lernziele offen zu Tage liegen, ist den Studierenden auch die Art des Lernens als Anspruch und
Lernziel zu vermitteln. Denn nicht das prüfungsorientierte sogenannte Oberflächenlernen, son-
dern das verständnisorientierte Tiefenlernen4 muss der Referenzpunkt jeder wissenschaftlichen
Ausbildung sein. Während Oberflächenlernen bedeutet, Studieninhalte auswendig zu lernen, um
sie insbesondere in Prüfungen reproduzieren zu können, zumeist ohne den Anspruch eines tiefe-
ren Verständnisses, bezeichnet Tiefenlernen ein Lernen, das sich an der gedanklichen Durchdrin-
gung und am Verständnis von Studieninhalten orientiert, das Querverbindungen zu anderen Wis-
sensbeständen herstellt, Beispiele generiert und zu den Studieninhalten kritisch Stellung nimmt.
Wird in der Rechtswissenschaft im Rahmen einer wissenschaftlichen Ausbildung am Anspruch
festgehalten, Tiefenlernen – auch auf die Gefahr des nicht nur gelegentlichen Scheiterns hin – zu
ermöglichen, dann muss den Studierenden gezeigt werden, wie das geht.5

     2. Den Wechsel von der Lehr- zur Lernorientierung konsequent vollziehen
Lernen findet, mitunter durchaus eigensinnig, bei den Lernenden statt. Das entspricht dem Ver-
ständnis der heute in der didaktischen Forschung vorherrschenden konstruktivistischen Lerntheo-
rie.6 Dieser Wechsel in der Perspektive vom Lehrenden zum Lernenden erfolgt in der nach wie vor                           2
dominierenden juristischen Lehrform, der Vorlesung, nur selten. In der Regel führt auch die Nut-
zung einiger aktivierender Elemente in der Vorlesung selbst bei erfahrenen Dozenten nicht zu
einem messbar erhöhten Lernerfolg. 7 Die Vorlesung als Veranstaltungsform und damit der Ein-
fluss des Dozenten auf den Lernerfolg wird tendenziell überschätzt.8
Auch vor diesem Hintergrund macht es Sinn, beim Studierenden selbst anzusetzen. Wegen der
hohen Individualität von Lernprozessen ist die didaktische Konzentration auf die Gestaltung von
Lehrveranstaltungen ergänzungsbedürftig. Es gibt keine Veranstaltung, die für alle passt.9 Es ist
gerade die Aufgabe, Studierende dazu anzuhalten, ihr eigenes Lernarrangement optimal zu wäh-
len. Das schließt auch die verantwortungsbewusste Abwahl von Lernformen, einschließlich Vorle-
sungen oder anderer universitärer Lernangebote und deren Ersetzung z.B. durch Lerngemein-
schaften, ein.

4
    S. Wild (2000), Lernstrategien im Studium: Strukturen und Bedingungen, Münster: Waxmann.
5
    Denn es gibt keine gleichsam naturwüchsige Entwicklung zur stärkeren Nutzung von Methoden des Tiefenlernens
    mit Fortschreiten der Kenntnisse im Studium. S. Wild (Fn. 4), S. 114.
6
    S. Brockmann/Dietrich/Pilniok (2009), Von der Lehr- zur Lernorientierung – auf dem Weg zu einer rechtswissen-
    schaftlichen Fachdidaktik, in: Jura 31, 579 (581 f.); Krapp/Weidenmann (Hg.) (2006), Pädagogische Psychologie, 5.
    Aufl., Weinheim: Beltz, S. 625.
7
    S. Andrews et al. (2011), Active Learning Not Associated with Student Learning in a Random Sample of College Bio-
    logy Courses, in: CBE – Life Sciences Education 10, 394 ff. Anders nur dann, wenn die Vorlesung nach allen Regeln
    didaktischer Kunst durchgeführt wird (s. Deslauriers et al. (2011), Improved Learning in a Large-Enrollment Physics
    Class, in: Science 332, 862).
8
    S. Winteler (2008), Professionell lehren und lernen. Ein Praxisbuch, Darmstadt: WBG, S. 127 f.
9
    Und das gilt selbstredend auch für eine Veranstaltung über Selbstlernkompetenzen. Deshalb sollte daneben eine
    individuelle Lernberatung in einer wöchentlichen Sprechstunde angeboten werden.
Betrachtet man die Lernbiographie von erfolgreichen Jurastudenten10, fällt vor allem deren lern-
methodische Vielfalt auf. Es gibt keinen für alle passenden Königsweg zum Studienerfolg. Es gibt
aber Strukturmerkmale, die ein erfolgreiches juristisches Studium wesentlich wahrscheinlicher
machen.11 Kern eines solchen erfolgreichen Lernprozesses ist regelmäßig eine aktive Auseinan-
dersetzung mit dem eigenen Lernarrangement.12
Dem Studierenden die notwendigen Fertigkeiten für die Gestaltung seines eigenen Lernprozes-
ses zu vermitteln, ist in doppelter Hinsicht überzeugend: Zum einen wird er darin unterstützt, für
den eigenen Lernprozess Verantwortung zu übernehmen. Zum anderen entlastet der Anspruch an
den Studierenden, den Lernprozess selbst zu gestalten und die vorgesehenen Inhalte selbst zu
erarbeiten, die Vorlesung entscheidend und ermöglicht den Weg aus der „Vollständigkeitsfalle“13.
Statt dessen kann die Vorlesung als Präsenzveranstaltung darauf ausgerichtet werden, wo ihre
Vorteile liegen, nämlich Inhalte kontextualisiert, exemplarisch, strukturiert, kleinschrittig, mit
Wiederholungen und Raum für Rückmeldungen darzubieten.

     II.     Ziele der Veranstaltung
Ziel der Veranstaltung ist es, durch die Heranführung an das Lernen im Jurastudium, durch die
Begleitung des Lernprozesses und das Aufgreifen von bisher in den Veranstaltungen nicht syste-
matisch erarbeiteter Schlüsselkompetenzen die Zufriedenheit mit dem Studium zu erhöhen, die
Abbruchquote zu verringern und die Klausurnoten im ersten Semester zu verbessern. Langfristig
soll die Lernkultur im Studium positiv verändert und damit der Grundstein für eine aktive und
erfolgreiche Bewältigung des Studiums – auch ohne Repetitor – gelegt werden.
Ansatzpunkt zur Umsetzung dieser Ziele ist es, die Fähigkeiten der Studierenden zu selbstgesteu-
ertem, verständnisorientiertem Lernen zu fördern. Die Förderung der Selbstlernkompetenz steht
im Zentrum der geplanten Veranstaltung; die Fachkompetenz tritt dabei in den Hintergrund und
ist lediglich Vehikel zur Förderung der Selbstlernkompetenz. Die folgenden Selbstlernstrategien
sollen im Rahmen einer wöchentlichen Präsenzveranstaltung (2 SWS, max. 20 Teilnehmer) vermit-                           3
telt und – ganz wesentlich! – mit Inhalten aus den Fachveranstaltungen trainiert werden:

      1. Kognitive Lernstrategien (Organisieren, Elaborieren, kritisches Prüfen und
         Wiederholen von Lerninhalten)
          Voraussetzungen einer nachhaltigen initialen Aufnahme des Lernstoffes
          Organisation und Strukturierung der Inhalte
          Zusammenfassung des Lernstoffes, Herstellen von Querbezügen und Entwicklung konkre-
           ter Beispiele
          Anwendung des Gelernten auf Aufgabenstellungen im Rahmen der Fallbearbeitung
          Analyse und Beurteilung juristischer Argumente
          Repetition zur dauerhaften Verankerung der erarbeiteten Fertigkeiten und Kenntnisse
Techniken des initialen Wissenserwerbs sind das aktive (= vorbereitete) Lesen und Zuhören. Dem
schließt sich in der Regel eine selbständige Strukturierung und Wiedergabe des Lernstoffes an,
die eine Analyse und Beurteilung der Inhalte voraussetzen und die in diesem Rahmen eine erste
Lernkontrolle zulassen (selbsterstellte Kurzskripte, Visualisierungen wie Mind Maps, Karteikarten).
Damit wird der Lernstoff langfristig – insbesondere auch zur Repetition – gesichert. Weitere For-
men der Lernkontrolle, die aber darüber hinaus auch Fertigkeiten der Synthese und Präsentation
voraussetzen, sind zum einen die Auseinandersetzung mit dem Lernstoff in Übungsklausuren,

10
     Ich hatte die Möglichkeit, im Januar/Februar 2012 die jeweils fünf Besten der Herbstkampagne 2011 des ersten
     juristischen Staatsexamens in Konstanz und Freiburg/Brsg. in einem knapp einstündigen Interview zu befragen.
11
     S. auch Mandl/Reinmann-Rothmeier/Kroschel (1995), Lerngeschichten. Lernerfahrungen als wirksamer Zugang zum
     Lernen, Lengerich: Pabst.
12
     So der Aufruf in Lemmerz/Bienert (2011), Die Examensvorbereitung – Mehr Mut zur Selbstreflexion, in: Jura 33, S.
     335 ff.
13
     S. Lehner (2009), Viel Stoff – wenig Zeit. Wege aus der Vollständigkeitsfalle, Bern: Haupt.
deren Nutzung als Lernmittel (und nicht als Prüfungsinstrument) ein spezifisches Vorgehen vo-
raussetzt, zum anderen die Stoffklärung durch Quizfragen bzw. Falllösung in studentischer Ar-
beitsgemeinschaft. Die kritische Prüfung juristischer Argumente zur begründeten eignen Stellung-
nahme erfordert eigene Formen der Darstellung und Analyse, die über die Organisation und Ela-
boration des Wissens hinausgehen. Schließlich ist der Lernerfolg durch Formen der Wiederholung
und Überprüfung des Gelernten zu verstetigen (Karteikarten im Fünf-Fächer-Modell, Repetition
mit einem zeitlichen Algorithmus, Besonderheiten der Repetition von Texten, Klausuren und Mind
Maps).
   2. Metakognitive Lernstrategien (Planung, Kontrolle und Regulation des
      Lernprozesses)
         Zeitliche Strukturierung des Lernprozesses und die Herausforderungen einer nachhaltigen
          Learn-Life-Balance
         Formulierung eigener Lernziele und Kontrolle der Lernfortschritte
         Anpassung und Veränderung des Lernprozesses anhand der bisherigen Lernerfahrungen
Die Planung von Lernprozessen und die Formulierung von Lernzielen setzt den Überblick über den
Lernstoff und den Abgleich mit der zur Verfügung stehende Zeit voraus. Lernzeiten, -orte
und -mittel können in einer Wochenstruktur abgebildet werden. Ein einheitlicher, immer wieder-
kehrender Aufbau der Selbstlerneinheiten vereinfacht die Durchführung für die Studierenden.
Schließlich können, bei hinreichend komplexen Lernarrangements, die Planungen von Tag zu Tag
operationalisiert werden. Für die Reflexion und Kontrolle des eigenen Lernprozesses ist eine Ini-
tialplanung als Formulierung von Erwartungen notwendig, die einen Vergleich mit der Wirklichkeit
und eine (gerade zu Beginn weithin übliche) Anpassung der Lernplanung ermöglicht.
   3. Ressourcenbezogene Lernstrategien (innere und äußere Rahmenbedin-
      gungen des Lernens)
         Motivation, einschl. der Voraussetzungen und Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit       4
         Lernorte
         Lernmittel (Bücher, Karteikarten etc., Präsenzveranstaltungen, Online-Ressourcen)
         Lernpartner und -berater (Dozenten, Kommilitonen, allgemeine Studien- und Fachbera-
          tung, Lernberatung, Kompetenzzentrum Schlüsselqualifikationen)
Eine wichtige Perspektive betrifft die Entwicklung und Aufrechterhaltung des eigenen Antriebs
zum Lernen (Motivation) und die entsprechend unterstützende Gestaltung des Lernprozesses.
Neben der Achtsamkeit für die eigenen emotionalen Voraussetzungen des Lernens tritt die Be-
rücksichtigung der – insbesondere im Tageslauf unterschiedlichen – körperlichen und geistigen
Leistungsfähigkeit. Die Zuordnung der unterschiedlichen Lernmittel zu den einzelnen Anforderun-
gen des Lernprozesses und ihre effektive Einpassung wie auch die Gestaltung der Beziehungen zu
möglichen Lernpartnern und -beratern komplettieren den ressourcenbezogenen Ansatz.

   III.     Inhalte und Umsetzung
    1. Curriculare Verortung
Die Veranstaltung richtet sich an Erstsemester und ist – wie die Einführungsveranstaltung – frei-
willig. Sie ist jedoch auch offen für andere Studierende, wenn später Bedarf nach einer Reflexion
des eigenen Lernverhaltens besteht.
Die Veranstaltung wird mit den Fachvorlesungen für Erstsemester abgestimmt. Zum einen wer-
den die Schwerpunkte des vorgeschlagenen Kurses in der Diskussion mit den Dozenten der Erst-
semestervorlesung entwickelt, zum anderen sind die Lernerfahrungen aus diesen Vorlesungen
Gegenstand der Lernbegleitung während des Semesters. Auch der in den vorlesungsbegleitenden
Fallanwendungs-AGs zu den Erstsemestervorlesungen behandelte Lehrstoff wird berücksichtigt.
Der Kurs kann, da er nicht Teil der prüfungsrelevanten Ausbildung ist, voraussetzungslos als wei-
tere Lehrveranstaltung eingeführt werden. Er ermöglicht eine weitgehende Verselbständigung
des Lernprozesses gegenüber dem institutionellen Lehrarrangement und bedarf keiner Änderung
der Prüfungs- oder Studienordnung.

     2. Lehrinhalte
Aus den Lernzielen ergeben sich in tabellarischer Übersicht folgende Unterrichtsinhalte:

 Woche                                                    Inhalte
 1          Einführung
               Warum sind Sie hier? Die Motive der Teilnehmenden, die Ziele und Voraussetzungen der Veran-
                staltung
               Was ist Jura? Wozu man hier ausgebildet wird
               Wann braucht man das? Individuelle Konflikte – gesellschaftliche Entscheidungsvorgaben durch
                Politik und Rechtspraxis
               Wer wollen Sie werden? Die Rolle der Juristen in der Gesellschaft und die eigene Veränderung
                durch das Studium
               Wie wollen Sie also lernen? – Teil 1:
                Individuelle Lernziele und Lerntagebuch
 2          Lernpsychologische Grundlagen
               Wie wollen Sie lernen? – Teil 2: Voraussetzungen des Tiefenlernens
               Aufgaben im Lernprozess
                 Zeit und Motivation
                 Aufnahme und Organisation des Wissens
                 Verstehen und Kontrollieren
                 Anwenden und Hinterfragen
                 Erinnern
               Lernmittel: Texte und Veranstaltungen als Lösungen der Aufgaben im Lernprozess
               Exemplarische Lernwege von erfolgreichen Examenskandidaten                                        5
            Wochenaufgabe: Eigene Lernplanung und Lernmittelauswahl
 3          Zeitmanagement und Motivation
               Reflexion der Lernplanung und Lernmittelauswahl
               Schritte zur zeitlichen Strukturierung des Lernprozesses
               Möglichkeiten eigener inhaltlicher Schwerpunktsetzung im Studium
               Vom Plan zur Umsetzung: Lernprozess und Motivation
            Wochenaufgabe: Stoffplan, Wochenstruktur und To-do-Liste
 4          Wissensstrukturierung und –management
               Reflexion der äußeren Struktur des Lernprozesses
               Wissensmanagement: Wissensspeicher, Vor- und Ablagesysteme
               Die Organisation des Rechtswissens: Gesetzes- und Falllösungsstruktur
            Wochenaufgabe: Eigenstrukturierung eines bekannten Gesetzesabschnittes, Einarbeitung in die Falllö-
            sungsstruktur
 5          Gesetzesstruktur und Falllösung
               Reflexion der Eigenstrukturierung des Gesetzes und Einarbeitung in die Falllösungsstruktur
               Gemeinsame Strukturierung eines unbekannten Gesetzesabschnittes und Einarbeitung in die Fall-
                lösungsstruktur
               Möglichkeiten der Visualisierung von Strukturen
            Wochenaufgabe: Darstellung der bearbeiteten Gesetzesstruktur in Normalfällen/Abwandlung oder
            durch Visualisierung
 6          Wissen zusammenfassen und sichern mit Karteikarten I
               Reflexion der Strukturierungsmöglichkeiten der Inhalte
               Die Ergänzung des Gesetzes durch Lehrbuch oder Vorlesung: Unterschiedliche Formen und Funkti-
                onen von Karteikarten für unterschiedliche Lernanlässe
               Definitionen, Prüfschemata und Problemfälle identifizieren und auf Karteikarten zusammenfassen
            Wochenaufgabe: Karteikarten zu einem vorgegeben Thema fertigen
7          Karteikarten II
               Reflexion der Karteikartenübung
               Karteikarten als Wissensspeicher pflegen
               Gruppenarbeit mit Karteikarten
               Repetieren mit Karteikarten
            Wochenaufgabe: Den Sachverhalt eines Falles erfassen
 8          Mit Fällen lernen
               Die fünf Schritte der Fallbearbeitung
               Gemeinsame erste Schritte: Sachverhalt, Fallfrage und der Weg zum Recht
            Wochenaufgabe: Falllösung weiterführen
 9          Mit Fällen lernen II
               Reflexion der Falllösung
               Darstellung der Musterlösung
               Handwerkliche und inhaltliche Fehleranalyse
            Wochenaufgabe: Eigene Fehleranalyse und erneutes Schreiben
 10         Mit Fällen lernen III
               Reflexion der Fehleranalyse
               Fehleranalyse des Zweitversuches
               Die Komposition von Prüfungsfällen
               Gruppenarbeit mit Fällen
               Repetieren mit Fällen
            Wochenaufgabe: Darstellung einer juristischen Kontroverse
 11         Wissenschaftliche Auseinandersetzung im Recht
               Reflexion der Darstellung kontroverser Rechtsmeinungen
               Das Rechtsproblem und sein Fallbezug
               Die Verortung des Problems im Falllösungsschema und die Anknüpfung ans Gesetz
               Wahrheitskriterien im Recht: Auslegung und Wertung
            Wochenaufgabe:                                                                                     6
            Strukturierte Darstellung kontroverser Rechtsmeinungen anhand des Auslegungskanons
 12         Wissenschaftliche Auseinandersetzung im Recht II
               Reflexion der strukturierten Darstellung kontroverser Rechtsmeinungen
               Die Bewertung von Argumenten: Konfligierende Auslegung und Rechtsprinzipien
               Eigene Kritik und Stellungnahme verfassen
            Wochenaufgabe: Die eigene begründete Stellungnahme zu kontroversen Rechtsmeinungen
 13         Wissenschaftliche Auseinandersetzung im Recht III
               Reflexion der eigenen Stellungnahme zu einer juristischen Kontroverse
               Der mündliche Vortrag einer kontroversen Fallentscheidung
            Wochenaufgabe: Zusammenfassung kontroverser Rechtsmeinungen in der Klausur
 14         Schlussreflexion
               Reflexion der Zusammenfassung kontroverser Rechtsmeinungen in einer Klausur
               Kontrolle des Lernkontrakts und die Reflexion des eigenen Lernprozesses
               Neue Ziele
            Soweit im Semester 15 Veranstaltungen möglich sind, bleibt eine Veranstaltung unbesetzt und kann
            flexibel eingesetzt werden.

      3. Didaktische Ansätze: cognitive apprenticeship und Lerntagebuch
Die Abfolge der Inhalte ergibt sich aus den dringendsten Problemen der Studierenden: Zunächst
gilt es, eine zeitliche Struktur zu etablieren, die eine Kontrolle über den Lernprozess ermöglicht.
Die ressourcenbasierten Lernstrategien werden auch deshalb zu Beginn eingeübt, damit Zeit
bleibt, in den Fachveranstaltungen erste Themen zu behandeln, die dann mit den entsprechenden
Lernerfahrungen dort den Bezugspunkt für das Training kognitiven Lernstrategien (vor allem Or-
ganisation und Elaboration) bilden. Da die Studierenden an der Universität Konstanz am Ende des
Semesters Abschlussklausuren schreiben, wird das Thema „Lernen mit Klausuren“ vor der wissen-
schaftlichen Bearbeitung juristischer Streitfragen angesprochen, um den Studierenden die not-
wendigen Kompetenzen so frühzeitig zu vermitteln, dass genug Zeit für weitere Übungen bleibt.
Jura lernen! basiert methodisch auf dem cognitive apprenticeship-Ansatz14. Dieser Ansatz ver-
sucht, Studierende in die tatsächliche Problemlösungspraxis einer Fachgemeinschaft einzuführen
und orientiert sich dabei am Modell der Handwerkerausbildung am Arbeitsplatz, in der im Rah-
men einer in Einzelaktivitäten gegliederten Problemlösungsstrategie die dazu notwendigen Schrit-
te vorgeführt und vom Lernenden nachvollzogen werden.
Die Anwendung des Ansatzes erfolgt in unterschiedlichen Phasen:

     Modeling
     Verbalisierung der vom Lehrenden angewandten praktischen Schritte zur Lösung
     eines Problems : Lernen am Modell

             Coaching
             Rückmeldungen zu den Lösungsversuchen der Studierenden, die anfangs noch
             durch vorgegebene Lernressourcen oder Teilschritte gestützt (scaffolding), später
             nach dem schrittweisen Rückzug des Lehrenden (fading) selbständig versucht
             werden.

                     Articulation / Reflection
                     Zugänglichmachung der eigenen Problemlösungsstrategie durch Explikation des
                     eigenen Vorgehens, Reflexion des Lernprozesses und Analyse von Stärken und
                     Schwächen zur dessen Verbesserung

                              Exploration
                              Anwendung der Problemlösungsfähigkeiten auf neue, nicht vom Lehrenden
                              strukturierte Probleme

Weil nicht die Fachinhalte selbst Gegenstand der Veranstaltung sind, sondern die Ausbildung von                             7
Lernkompetenzen, ist die berufliche Bezugssituation in einiger Hinsicht zu modifizieren: Zeitpla-
nung und Falllösung haben zwar Entsprechungen im professionellen Kontext, sind aber hier der
spezifischen Studiensituation und den Formen der Leistungskontrolle durch Klausuren und Staats-
examen anzupassen. Auch wenn die Situierung in diesem Falle darauf zugeschnitten wird, wie ein
Studierender erfolgreich arbeitet (und nicht ein Berufsträger), bleibt das Phasenmodell des cogni-
tive apprenticeships auch hier maßgeblich. Im übrigen ist es eine übliche Erfahrung der meisten
Anwälte und Richter, sich regelmäßig in neue (oder zwischenzeitlich vergessene) Rechtsbereiche
einarbeiten zu müssen, Fälle zu bearbeiten und wissenschaftliche Literatur auszuwerten und dar-
zustellen. Diesen Aspekt können die abgeordneten Praktiker an der Universität Konstanz (Richter
und Staatsanwälte) besonders anschaulich machen.
Das Phasenmodell wird dadurch umgesetzt, dass die Studierenden zunächst selbst versuchen
sollen, Probleme zu lösen. Die erste Phase – das modeling – setzt ein, wenn die Studierenden be-
reits erste Erfahrungen damit gemacht haben, eine Aufgabe zu lösen und dabei mit Probleme
konfrontiert wurden. Damit werden individuelle Anknüpfungspunkte für die weitere Bearbeitung
geschaffen. Diese Erfahrungen werden gemeinsam reflektiert und dann in einer Modellbearbei-
tung aufgenommen. Im zweiten Teil der Veranstaltung, der wenigstens die Hälfte der Veranstal-
tungszeit ausmachen soll, wird mit Hilfe des Modells ein neues Problem bewältigt, wobei hier
Rückmeldungen (coaching) und Hilfestellungen (scaffolding) gegeben werden. In der folgenden
Woche werden im Rahmen einer kurzen Rückschau die Ergebnisse und noch bestehenden Prob-
leme mit dem Thema der letzten Woche besprochen (articulation/reflection), dann wiederum die
Erfahrungen mit dem neuen Thema aufgegriffen und ins Modeling überführt. Die Übertragung auf

14
      Siehe Brill, J., Kim, B., Galloway, C. (2001), Cognitive apprenticeships as an instructional model, in: Orey (Ed.),
      Emerging perspectives on learning, teaching, and technology.
      http://projects.coe.uga.edu/epltt/index.php?title=Cognitive_Apprenticeship (27.06.2012).
andere Lerninhalte des Jurastudiums durch die Studierenden jenseits der bearbeiteten Beispiele
realisiert die Phase exploration im Modell des cognitive apprenticeship.
Zur Förderung der metakognitiven Lernstrategien wird auf das Instrument des Lerntagebuches
zurückgegriffen, um das Nachdenken über sich selbst im Lernprozess zu strukturieren und anzulei-
ten.15 Damit wird die kontinuierliche Reflexion der eigenen Lernprobleme und Lösungsstrategien
abgesichert. Das Lerntagebuch ermöglicht schließlich am Ende des Kurses eine Rückmeldung über
den Lernprozess und weitere Empfehlungen durch den Dozenten.

      4. Lehrformat
Nach einer Einführungsveranstaltung (2 Unterrichtsstunden) in der Einführungswoche für alle
Erstsemester und weitere interessierte Studierende folgt eine Aufteilung in Arbeitsgemeinschaf-
ten mit maximal 20 Teilnehmenden, die Veranstaltung wird entsprechend mehrfach angeboten.
Diese Gruppen werden den Rest des Semesters zusammen arbeiten und können ggf. in Kleingrup-
pen geteilt werden.
Die Arbeitsgemeinschaften finden in einem Umfang von 2 SWS statt. Neben die Präsenzveranstal-
tungen tritt die individuelle Beratung und Betreuung, die durch eine Politik der offenen Tür mit
Lernsprechstunden und der kurzfristigen Erreichbarkeit per E-Mail abgesichert wird. Die E-
Learning-Plattform der Universität Konstanz wird im Rahmen der Veranstaltung im Wesentlichen
zur Bereitstellung, Sicherung und Strukturierung der Inhalte über eine Wiki und zur Diskussion
über ein moderiertes Forum genutzt. Beiträge zum Forum wie auch die Erstellung von Beiträgen
für das Wiki sollen Aufgaben im Rahmen der Wochenaufgaben sein.
In der ersten Pilotphase (Sommersemester 2013) werden die Arbeitsgemeinschaften vom Antrag-
steller unterrichtet (ca. 110 Erstsemester). Im Normalbetrieb (ab Wintersemester 2013/2014, 330
Studierende) ist die Leitung der AGs durch ein Team von Studierenden vorgesehen, die die Veran-
staltung durchlaufen haben und ausführlich geschult werden. Sie sollen durch Hospitation, kolle-
giale Beratung und Evaluationen Rückmeldungen erhalten. Bei der entsprechenden Einbindung ist                                 8
nach den bisherigen Erfahrungen eine Teilnehmerquote von 2/3 der Studierenden zu erwarten.
Prüfungen sind nicht Teil des Veranstaltungskonzeptes. Die Studierenden erhalten ein Feedback
exemplarisch durch den Dozenten über die Besprechung von ausgewählten Wochenaufgaben, auf
Wunsch auch individuell in der Lernsprechstunde, außerdem ist als zentraler Lerntechnik die Ein-
übung konstruktiven Feedbacks durch die Studierenden selbst geplant.

      5. Einzelschritte im Rahmen des Förderantrages
Die Bearbeitung folgender Projektbereiche ist im Rahmen der Förderung vorgesehen:
         Konkretisierung des hier vorgestellten Konzeptes in einem umfassenden Kurscurriculum
         Mikroplanung aller Lehreinheiten des Kurses
         Vernetzung des Kurses mit den übrigen Erstsemesterveranstaltungen
         Einbindungen und Begleitung der Kommunikation, Informationsstrukturierung und
          -sicherung außerhalb der Präsenzveranstaltung mit Hilfe der E-learning-Plattform der Uni-
          versität Konstanz
         Sukzessive Durchführung, Reflexion und Revision der Veranstaltungspraxis zum Winter-
          semester 2013/2014
         Umsetzung eines langfristigen Evaluationskonzeptes
         Dokumentation des Projekts und Erarbeitung eines Kursmanuals
         Diskussion erster Erfahrungen bei einem Expertenworkshop und inhaltliche Vorbereitung
          der Abschlusskonferenz

15
     Siehe Birrer/Rytz (2006), Das Lerntagebuch als Hilfsmittel für die persönliche und praxisbezogene Auseinandersetzung,
     in: Pfäffli/Herren (Hg.), Praxisbezogen lehren an Hochschulen. Beispiele und Anregungen, Bern: Haupt, S. 115 ff.; Ram-
     bow/Nueckles (2000), Der Einsatz des Lerntagebuchs in der Hochschullehre, in: Das Hochschulwesen 2002, 113 ff.
    Fachdidaktische Abschlusskonferenz „Selbstlernkompetenzen im Jurastudium“ mit Vor-
           stellung des Gesamtprojektes

     IV.     Innovation, institutionelle Einbindung und Verstetigung
Die Veranstaltung passt sich ein in die allgemeine Entwicklung zu einer didaktischen reflektierten
Reform des Jurastudiums jenseits der bisher dominierenden Diskussion um Strukturveränderun-
gen, die insbesondere durch die Einrichtung rechtsdidaktischer Institute oder Zentren dokumen-
tiert wird.16 Zentraler Ansatzpunkt dieser Entwicklung ist die Ausrichtung von Ausbildungsformen
auf den Lernprozess des Lernenden. So wie der Ansatz von Prof. Dr. Matthias Klatt, Hamburg,
einem Fellow der letzten Ausschreibung (Basiskompetenz Grundrechte), auf die Vorlesung zurück
greift und diese hochschuldidaktisch mit Methoden des problembasierten Lernens anpasst, geht
die hier beantragte Lehrinnovation von Tutorien- bzw. Mentorenprogrammen aus und möchte
diese didaktisch aufbereiten und auf die Förderung von Selbstlernkompetenzen ausrichten, als
eigenständige Säule neben und vernetzt mit den Fachveranstaltungen in der Studieneingangspha-
se etablieren und sie einer Wirkungskontrolle unterwerfen. 17 Zwar gibt es an allen juristischen
Fakultäten in Baden-Württemberg spezielle Programme zur Examensvorbereitung18, ähnlich pro-
minente Angebote für Studienanfänger neben den Formaten Vorlesung und AG fehlen indes.19
Hier will das Vorhaben als Pilotprojekt erste Erfahrungen sammeln und für die weitere Verwen-
dung bereitstellen.
Die Veränderung der Studieneingangsphase wird vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Uni-
versität Konstanz voll unterstützt. Für das Wintersemester 2012/2013 wurde der Antragsteller im
Rahmen des Programms „Freiräume für die Lehre“ von der Universität Konstanz mit 4 SWS von
der Lehre entlastet, Fahrtkosten für die Vernetzung mit Projekten in Hamburg, Köln, Regensburg
und Passau gewährt und eine studentische Hilfskraft zur Vorbereitung des Projekts zur Verfügung
gestellt. In diesem Rahmen sollen schon im Wintersemester 2012 Vorarbeiten geleistet werden,
darunter die Erarbeitung der Methode des „cognitive apprenticeship“ und exemplarische Anwen-                             9
dung auf Einzelveranstaltungen, die Erstellung eines Konzeptes zur Einbindung der übrigen Erst-
semesterveranstaltungen, die Konzeptionierung eines langfristigen Evaluationsprozesses und die
Vorbereitung für dessen Durchführung sowie schließlich die Planung der Kommunikation, Infor-
mationsstrukturierung und -sicherung außerhalb der Präsenzveranstaltung mit Hilfe der E-
learning-Plattform der Universität Konstanz.
Der Fachbereich hat deutlich gemacht, dass die Veranstaltung nach erfolgreicher Durchführung
ohne weiteres fortgeführt werden kann. Eine Verlängerung der Abordnung des Antragstellers bis
September 2014 ist denkbar. Das Justizministerium Baden-Württemberg hat dazu seine Zustim-
mung signalisiert. Im Anschluss daran könnte das Projekt von einem jungen Richterkollegen fort-
geführt werden, der vor dem Eintritt in die Justiz mehrere Jahre als Repetitor gearbeitet hat und
die notwendigen Kenntnisse wie auch die Begeisterung für eine eigenständige Fortführung – und
Verbesserung – des Projekts mitbringt. Im übrigen könnte der Antragsteller dem Fachbereich
auch weiterhin als Lehrbeauftragter zur Verfügung stehen.
Die Planung und Umsetzung wird im Hause in Abstimmung mit dem Studiendekan, Herrn Prof. Dr.
Ibler, und der Leiterin der Arbeitsstelle Hochschuldidaktik, Frau Leidig, durchgeführt. Als externe
Berater steht Herr Prof. Dr. Udo Branahl (Universität Dortmund) zur Verfügung, der als rechts-

16
     Siehe z.B. das Zentrum für rechtswissenschaftliche Fachdidaktik der Universität Hamburg, das Zentrum für juristi-
     sches Lernen der Bucerius Law School, REGINA (REGensburger Individuelles und Nachhaltiges Ausbildungszentrum)
     an der Universität Regensburg, des Instituts für Rechtsdidaktik der Universität Passau, das Kompetenzzentrum für
     juristisches Lernen und Lehren an der Universität zu Köln.
17
     Das Hamburger Zentrum für rechtswissenschaftliche Fachdidaktik bearbeitet derzeit zwei Projekte zur "Einführung
     in das rechtswissenschaftliche Arbeiten" und "Selbstorganisation und Lernstrategien" (http://www.jura.uni-
     hamburg.de/rechtsdidaktik/projekte/, 28.05.2012).
18
     Vorbildlich in Heidelberg mit dem Programm „HeidelPräp“ (www.examensvorbereitung-heidelberg.de, 25.05.2012).
19
     In      Heidelberger      ist    eine     Erstsemesterbetreuung       (http://www.jura.uni-heidelberg.de/studium/
     arbeitsgemeinschaften.html, 30.05.2012), in Tübingen ein Mentorenprogramm (http://www.jura.uni-
     tuebingen.de/mentorenprogramm.html, 30.05.2012) eingerichtet.
wisssenschaftlicher Fachdidaktiker seit Jahren in Kooperation mit dem Landesjustizprüfungsamt
Baden-Württemberg die Leiter von Referendar-Arbeitsgemeinschaften schult und selbst als
Rechtslehrer am Institut für Journalistik langjährige Erfahrungen in der Arbeit mit juristischen
Laien gemacht hat. Ebenfalls beratend tätig ist Herr Dr. Fischer, Lehrbeauftragter am Institut für
Erziehungswissenschaft der Universität Freiburg und Dozent des Hochschuldidaktischen Zentrums
Baden-Württemberg. Für die Begleitung bei der konzeptionellen Gestaltung der über die eLearn-
ing-Plattform der Universität Konstanz laufenden (Gruppen-) Kommunikationsprozesse konnte
Frau Eva-Christina Edinger, M.A., FH Nordwestschweiz, gewonnen werden.

     V.      Begleitforschung, Risiken und Übertragbarkeit
Der Erfolg der geplanten Veranstaltung wird sich daran zu messen haben, inwieweit die Zahl der
Studienabbrüche sinkt, die Leistungen in den Erstsemesterklausuren steigen (Durchschnittsnote
und Durchfallquote) und die Studierenden ihr erstes Semester subjektiv motiviert und ohne ein
Gefühl der Überforderung abschließen. Der erste Punkt kann über die Abschlussbefragung der
Studienabbrecher erhoben werden. Die Leistungen in den Semesterabschlussklausuren lassen sich
relativ einfach feststellen, wobei aus Gründen der Validität auch eine Inhaltsanalyse einer Klausu-
renstichprobe vor und nach Einführung des Kurses stattfinden und die Angabe, ob am Kurs teilge-
nommen wurde oder nicht, bei der Klausur erhoben werden sollte. Die subjektive Wahrnehmung
der Studiensituation lässt sich mit den üblichen Evaluationsverfahren abklären.
Die empirische Wirkungsforschung würde in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Soziologie,
Dr. Thorsten Berndt (Qualitative Verfahren), und der Stabsstelle Qualitätsmanagement der Uni-
versität Konstanz, Frau Sewelies, durchgeführt.
Als Risiko bei der Durchführung der Veranstaltung kommt in Betracht, dass Studierende fernblei-
ben, weil sie sie als nicht prüfungsrelevant oder für sich persönlich nicht notwendig betrachten.
Dieses Risiko dürfte indes bei der frühen Verankerung im Studium gering sein. Die Veranstaltung
funktioniert außerdem nur, wenn die Teilnehmenden aktiv mitarbeiten. Trotz aller Anstrengungen         10
ist eine Verweigerung der aktiven Teilnahme – auch nach einer etablierten Lernpraxis in der Schu-
le – nie auszuschließen. Immerhin kennen diese Studierenden dann Angebote und Anlaufstellen,
um sich im Falle eines späteren extrinsisch motivierten Interesses (z.B. wegen schlechter Prü-
fungsleistungen) die bisher nicht aktiv erlernten Fertigkeiten und Kenntnisse anzueignen. Im übri-
gen besteht bei Veranstaltung dieser Art die Gefahr, auf dem Niveau von Ratgeberbüchern umge-
setzt zu werden. Dem wird man dann entgehen, wenn die Veranstaltung – wie hier – hinreichend
hochschuldidaktisch reflektiert und kollegial beraten durchgeführt wird.
Die Form der Veranstaltung lässt sich auf alle anderen Studiengänge übertragen. Ähnliche Veran-
staltungen finden sich in anderen Fachrichtungen seit einigen Jahren. So lässt seit etwa fünf Jah-
ren die Fakultät für Maschinebau am KIT im 2. Semester alle Ihre Studierenden die Veranstaltung
„Arbeitstechniken für den Maschinebau“20 besuchen. In Heidelberg ist ein „Basiskurs für ein
nachhaltiges Studium“ als Teil der Einführungsveranstaltung an der Fakultät für Physik obligato-
risch.21 Gerade im letzteren Fall werden zwei Probleme deutlich: Im Kurs werden zum einen die
Lernkompetenzen nicht beispielhaft anhand von Fachinhalten trainiert, zum anderen wird der
Lernprozess nicht begleitet. Hier soll das vorgeschlagene Projekt im Sinne der Nachhaltigkeit
dadurch Impulse geben und weiterführen, dass das Thema Selbstlernkompetenz in allen übrigen
(zunächst Erstsemester-) Veranstaltungen thematisiert werden könnte – dann natürlich am Ran-
de, da die Fachinhalte im Zentrum stehen. Das wäre eine Möglichkeit wirklich „Kompetenz“ zu
fördern, da niemand davon ausgehen kann, dass eine Kompetenz nach einer Veranstaltung „da
ist“. Kompetenzen müssen immer wieder in unterschiedlichen Kontexten trainiert werden, sonst
bilden sie sich nicht aus. Entsprechende Gespräche wurden mit den Dozenten der Erstsemester-
veranstaltungen bereits geführt. Eine Gesamtkonzeption der Studieneingangsphase wäre – aus-
gehend vom beantragten Projekt – der nächste Schritt.

20
     Siehe http://www2.mach.uni-karlsruhe.de/srmach/atm_2012.pdf (22.06.2012).
21
     Siehe https://w3.physik.uni-heidelberg.de/studium/physikstudieren/vorkursinfo.php (22.06.2012).
Jura lernen!
Selbstlernkompetenzen entwickeln in den Rechtswissenschaften

                                      Arbeitsplan

Phase 1:                                 Projektplanung und Aufbau der Projektinfrastruktur
                   Dezember 2012
Vorbereitung                             Mitarbeitersuche und –auswahl
                                         Erstellung eines detaillierten Kurscurriculums
                                         Planung der einzelnen Lehrveranstaltungen unter Heran-
                                          ziehung erster Erfahrungen aus dem Wintersemester
                                          (Lernziele, Lehrmethoden, Feedback für die Studieren-
Phase 2:           Januar 2013 –          den, Evaluation)
Planung            April 2013            Einrichtung der technischen Voraussetzungen für die
                                          Kommunikationsstrukturen außerhalb der Veranstaltung
                                          über die E-learning- Plattform der Universität
                                         Abstimmung mit den Kollegen der Erstsemestervorle-
                                          sungen und –AGs
Phase 3:           April 2013 –           Durchführung mit Dokumentation und anschließender
Pilotphase         Juli 2013              Nachbereitung der Einzelveranstaltungen
                                         Evaluation, Reflexion und Revision
                                         Workshop zur Diskussion der bisherigen Erfahrungen mit
Phase 4:           August 2013 –          externen Fachdidaktikern (außerdem inhaltliche Vorbe-
Nachbereitung      September 2013         reitung der Abschlusskonferenz)
                                         Erarbeitung eines Schulungskonzeptes für die AG-Leiter
                                          im Wintersemester
Phase 5:           September 2013 –       Schulung der AG-Leiter mit Beispielen und Material aus
Schulung           Oktober 2013           der Pilotphase
Phase 6:           Oktober 2013 –         Veranstaltungsdurchführung der AG-Leiter mit Hospita-
Durchführung       Februar 2014           tion, Dokumentation und kollegialer Praxisberatung

Phase 7:                                 Schlussevaluation, gemeinsame Reflexion und Erarbei-
                                          tung eines modularen Kursmanuals
Revision,          Februar 2014 –
                                         Gesamtprojektdokumentation und Vorstellung im Rah-
Dokumentation,     März 2014
                                          men einer Konferenz „Selbstlernkompetenzen im Jura-
Abschlusskonferenz                        studium“
Jura lernen!
Selbstlernkompetenzen entwickeln in den Rechtswissenschaften

                                    Lebenslauf

Name:                 Dr. jur. Frank Bleckmann
Adresse dienstlich:   Universität Konstanz, FB Rechtswissenschaft, Fach 102, 78457 Konstanz,
                      Frank.Bleckmann@uni-konstanz.de
Adresse privat:       Postfach 1547, 79305 Emmendingen, f.bleckmann@gmx.net
Geburtsdatum:         02. September 1970

05/1990               Abitur am Sophie-Scholl-Gymnasium, Oberhausen-Sterkrade
10/1990 – 01/1992     Zivildienst
04/1992 – 06/1997     Studium der Rechtswissenschaften und an der Juristischen Fakultät der
                      Universität Konstanz
10/1993 – 08/1997     Parallelstudium Soziologie (Hauptfach), Philosophie und
                      Rechtswissenschaften (M.A.)
07/1997               Erstes juristisches Staatsexamen
10/1997 – 06/1998     University of Cambridge, England,                                             1
                      Master of Philosophy (M.Phil.) am Institute of Criminology
01/1998 – 03/2000     Promotionsstipendiat der Max-Planck-Gesellschaft am Max-Planck-
                      Institut für ausländisches u. internationales Strafrecht in Freiburg i.Br.,
                      Fachgruppe Kriminologie
04/2000 – 11/2002     Rechtsreferendariat am Landgericht Freiburg i.Br.
05/2001               Promotion durch die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-
                      Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.
10/2002               Zweites juristisches Staatsexamen
15.01.2003            Eintritt in den höheren Justizdienst des Landes Baden-Württemberg
10.05.2007            Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit als Staatsanwalt und Richter
                      kraft Auftrags
Seit 2007             Regelmäßige vierstündige Sonderlehrveranstaltung bei den neuen
                      Referendaren an den Landgerichten Freiburg, Offenburg und Baden-
                      Baden zum Thema „Lerntechniken und Zeitmanagement zur
                      Examensvorbereitung“
23.12.2008            Ernennung zum Richter am Landgericht (LG Offenburg)
Seit 10/2010          Abordnung an den Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität
                      Konstanz auf zunächst drei Jahre (mit Verlängerungsmöglichkeit),
                      Lehrdeputat bis zu 16 SWS
Jura lernen!
Selbstlernkompetenzen entwickeln in den Rechtswissenschaften

WS 2010                       Übung im Zivilrecht für Fortgeschrittene
                              AG zur Examensvorbereitung im Zivilrecht
                              AG zur Lerntechnik und Zeitplanung für das Jurastudium
                              Examinatorium Zivilprozessrecht
SoSe 2011                     Vorlesung Zivilprozessrecht
                              AG zur Examensvorbereitung im Zivilrecht
                              AG zur Lerntechnik und Zeitplanung im Jurastudium
                              Schlüsselqualifikation „Forensisches Argumentieren“
WS 2011                       Vorlesung Verbraucherschutzrecht
                              AG zur Examensvorbereitung im Zivilrecht
                              AG zur Lerntechnik und Zeitplanung im Jurastudium
                              Examinatorium Zivilprozessrecht
SoSe 2012                     Vorlesung Zivilprozessrecht
                              AG zur Examensvorbereitung im Zivilrecht
                              AG zur Lerntechnik und Zeitplanung im Jurastudium
                              Schlüsselqualifikation „Forensisches Argumentieren“                        2

                           Lehraktivitäten neben den Lehrverpflichtungen:
      Individuelle Lernberatung
      Simulation einer Staatsexamensprüfung im Zivilrecht für Studierende
      Probevorträge von Studierenden mit Aufzeichnung und strukturiertem Feedback
      Nutzung der e-Learning-Plattform der Universität Konstanz (Ilias), zur Bereitstellung von Lehr-
       und Übungsmaterial, Kommunikationsmöglichkeiten neben der Veranstaltung über ein Forum
       und Nachweis von Internet-Ressourcen
      Außercurriculares Praxisprojekt: Vorbereitung einer Klage gegen eine internationale
       Softwarefirma wegen des Suchtpotentials seines Online-Rollenspieles (30 Teilnehmende)

                                 Hochschuldidaktische Qualifikation:

      Seminar für Ausbildungsleiter in der juristischen Referendarausbildung, September 2010
      Seminar für Prüfer im Ersten Juristischen Staatsexamen, November 2011
      Modul I des Hochschuldidaktischen Zertifikats Baden-Württemberg: Fit für die Lehre I + II,
       Kollegiale Praxisberatung, Lehrhospitation, Abschlussreflexion, 2011
      Workshop "Selbstgesteuertes und motiviertes Lernen fördern" in Modul II des
       Hochschuldidaktischen Zertifikats Baden-Württemberg, Dezember 2011
      Semi-strukturierte Interviews mit den zehn erfolgreichsten Examenskandidaten in Freiburg i. Br.
       und Konstanz im Jan/Feb 2012
      Workshop "Viel Stoff - wenig Zeit?" in Modul II des Hochschuldidaktischen Zertifikats Baden-
       Württemberg, September 2012
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