K inder baumeln kopfüber von den Klettergerüsten des Spiel- Bast Medien
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01 Hydrantendeckel Was vom Majolikahäuschen übrig blieb K inder baumeln kopfüber von den Klettergerüsten des Spiel- platzes, Pärchen sitzen Händchen haltend auf Bänken und auf der Hundewiese nebenan rennen die Vierbeiner: Unweit der Tonhalle herrscht an Sommertagen Hochbetrieb. Auch Melanie Florin kommt dann gern hier vorbei. Und sie weiß: Einst ging es an dieser Stelle im Hofgarten viele Jahre lang noch wesentlich idyl- lischer zu als im 21. Jahrhundert. Doch das letzte Relikt, das aus dieser Zeit geblieben ist, wird heutzutage von den Parkbesuchern mit Füßen getreten und vollkommen ignoriert. „Bei diesem Hydrantendeckel handelt es sich um den einzigen Hinweis darauf, dass hier einmal etwas anderes als ein Spielplatz war, nämlich das so genannte Majolikahäuschen“, sagt die Kunsthistorike- rin. Im Rahmen ihrer Magisterarbeit an der Düsseldorfer Heinrich- Heine-Universität hat sie sich ausführlich mit dem Gebäude beschäf- tigt, das ursprünglich vom Unternehmen Villeroy & Boch als Ausstellungspavillon errichtet worden war. Und seither gilt sie als unangefochtene Expertin, wenn es um die Geschichte des Majoli- kahäuschens geht, das einst als „Blüte des Jugendstils im Düsseldorfer Hofgarten“ bekannt war. „Mit der Geschichte des Häuschens muss man im Jahr 1902 anfan- gen. Denn damals fand die Düsseldorfer Industrie-, Kunst- und Gewerbeausstellung im heutigen Rheinpark und in Teilen des Hofgar- tens statt“, beginnt Melanie Florin zu erzählen. Anders als bei moder- nen Ausstellungen oder Messen sei es damals üblich gewesen, dass die Aussteller eigene temporäre Bauten errichten, um ihre Exponate der Öffentlichkeit adäquat zu präsentieren. „Das handhabte auch das Unternehmen Villeroy & Boch so. Der damalige Weltmarktführer in Sachen Keramik errichtete als Ausstellungspavillon ein Gesamtkunst- werk, bei dem verschiedenste keramische Techniken zum Einsatz kamen. Innen und außen war das Häuschen komplett mit farben- Hätte Melanie Florin vor 100 Jahren hier gesessen, hätte sie sich im Majolika- 10 häuschen Kaffee und Kuchen bestellen können. Der Hydrantendeckel im Boden 11 erinnert daran.
prächtigen Fliesen, Mosaiken und Reliefs bedeckt“, erklärt die Exper- gebaut wurden, konnte es bis 1918 als Milchhäuschen fungieren, in tin. Und so bekam das Bauwerk auch seinen Namen: Der Begriff dem es sich die Düsseldorfer bei alkoholfreien Getränken gut gehen „Majolika“ bezeichnet farbig glasierte Keramik. Villeroy & Boch prä- ließen. Später zog ein Café ein. „Diese Idylle aus Natur und Architek- sentierte in und an dem Gebäude seine komplette Produktpalette, von tur war ein sehr belieb- der Abort-Keramik bis hin zu Küchenfliesen, aber auch Geschirre und ter Treffpunkt für die Ein- „Diese Idylle aus Natur und Archi- Ziergegenstände. heimischen“, hat Melanie tektur war ein sehr beliebter Treff- „Alle Gebäude wurden nach Ende der Ausstellung im Oktober Florin bei ihren Recherchen punkt für die Einheimischen. Das 1902 wieder abgerissen. Nur eines nicht, und das war das Majoli- herausgefunden. „Das war war alles malerisch schön. Es gibt kahäuschen. Das schenkte das Unternehmen Villeroy & Boch der Stadt alles malerisch schön. Es gibt Düsseldorf “, erklärt Melanie Florin. Dazu schrieb die Deutsche Töpfer- viele reizende Geschichten viele reizende Geschichten von und Zieglerzeitung am 27. September 1902: „Der Pavillon von Villeroy von Liebespaaren, die sich Liebespaaren, die sich hier ge- & Boch wird erhalten bleiben und späteren Geschlechtern in unver- hier ge-troffen haben“, weiß troffen haben.“ minderter Schönheit verkünden, was deutsches Können zu Beginn des die Kunsthistorikerin. Bis in 20. Jahrhunderts vermocht hat.“ Schon während der Bauarbeiten die 1920er-Jahre hinein erfreuten sich die Düsseldorfer an dem kleinen waren dafür Vorkehrungen getroffen worden: Anstelle von leichten Prachtbau der Jugendstilzeit, so lange, bis er einigen von ihnen nicht Materialien wie Holz, Stoff oder Gips waren für das Häuschen massive mehr zeitgemäß erschien. Ziegel verwendet worden, ein Kamin wurde eingebaut und Wasser- Mit dem Architekten Wilhelm Kreis (1873-1955), in Fachkreisen und Stromleitungen unterir- auch „Architekt der neuen Sachlichkeit“ genannt, kam der Anfang disch verlegt. Damit waren die vom Ende. „Als er das Gelände für eine weitere Ausstellung überpla- notwendigen Voraussetzungen nen sollte, waren ihm der Zierrat und die Jugendstilelemente des Majo- erfüllt, um das Häuschen nach likahäuschens ein Dorn im Auge. Es passte einfach überhaupt nicht der Ausstellung weiter nutzen zu zu seiner Auffassung von erstrebenswerter Architektur“, erzählt Mela- können. Doch davon ist heute nie Florin. Wieder ging es um eine Messe, in der sich Düsseldorf her- weit und breit nichts mehr zu vorragend präsentieren wollte, die Große Ausstellung für Gesundheits- sehen, außer einem Hydranten- pflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen, kurz GeSoLei. Sie fand vom deckel, der neben einem Spiel- 8. Mai bis 15. Oktober 1926 statt und sollte die Besucher aus Düssel- platz etwas fehl am Platz wirkt. dorf, Deutschland und der Welt zu neuen, leistungsfähigen Menschen Was ist geschehen? „Das erziehen. Kreis war als leitender Architekt mit dem städtebaulichen liegt daran, dass die Geschichte Gesamtentwurf betraut worden. Und da sich das Majolikahäuschen des Häuschens noch weitergeht“, auf dem geplanten Gelände befand, wünschte er es sich fort – und zwar schmunzelt die Kunsthistorike- so schnell wie möglich. Doch Hermann Starkloff, der damalige Päch- Ein schnöder Hydrantendeckel markiert die Stelle, an der mit dem Majolikahäuschen einst rin. Nach 1902 diente das ter des Cafés, kam der Aufforderung, seinen Betrieb innerhalb von eine Blüte des Jugendstils stand. Kleinod nicht mehr dazu, wert- drei Tagen komplett zu räumen, nicht nach. Und auch die Düsseldor- volle Keramikarbeiten zu prä- fer wollten von einem Abriss nichts wissen. sentieren. Vielmehr erfrischten sich hier fortan die Spaziergänger aus Kreis wusste weder ein noch aus, bis er eines Abends mit dem dem Hofgarten. Dank sanitärer Einrichtungen, die nachträglich ein- jungen Konstrukteur Richard Sonnemann bei mehreren Flaschen 12 13
Wein zusammensaß. Melanie Florin zitiert in ihrer Magisterarbeit die wieder abgerissen wurde, und dann wuchs im wahrsten Sinne des Erinnerungen Sonnemanns, wie er sie 1964, fast 40 Jahre später, einer Wortes Gras über die Sache. In den 1970er-Jahren entstand der Spiel- Zeitung erzählte: „Schließlich in vorgerückter Stunde erklärte Kreis: platz. Und erst, als dieser 2014 überarbeitet wurde, kam die ganze ‚Mensch, Sie sind doch Pionieroffizier gewesen. Für Sie muß (sic) es Geschichte wegen der Grabungen doch eine Kleinigkeit sein, das olle Ding unauffällig wegzublasen!‘ “, wieder ans Tageslicht“, sagt Melanie beschrieb der Konstrukteur den Abend und fuhr fort: „Da ritten mich Florin. Denn dabei stießen die Bauar- der Teufel und die Weingeister. Ich sagte: ‚Herr Professor, machen Sie beiter auf Reste des Häuschens. Viele morgen einen Spaziergang durch den Hofgarten, und Sie werden von kleine Keramikscherben kamen zu- dem Majolikahäuschen kein Stäubchen mehr finden.‘ “ Nach eigenen tage und auch die Grundmauern wur- Angaben ging Sonnemann anschlie- den gefunden. Melanie Florin wurde „Als Cafébetreiber Hermann ßend in die Altstadt, organisierte ein als Sachkundige auf die Baustelle Starkloff in den Hofgarten kam Dutzend Zimmerleute von seiner gerufen. „Das war ein sehr bewegen- und seinen Betrieb aufsperren Baustelle, spendierte ihnen Freibier der Moment, als ich plötzlich die wollte, war das Häuschen weg.“ bis ein Uhr nachts und traf sich dann Kacheln in der Hand hatte, die das mit ihnen, um binnen weniger Stun- Gebäude einst geziert haben. Davor den das Majolikahäuschen abzureißen. „Das ist die einzige bekannte stand ich einem Wiederaufbau des Heute spielen Kinder über den Beschreibung des Hergangs, aber sie ist nicht ganz frei von Übertrei- Majolikahäuschens immer skeptisch Grundmauern des Häuschens. bungen und Irrtümern“, ordnet Melanie Florin das Erzählte ein. Bei- gegenüber. Aber in diesem Moment spielsweise, dass die Zerstörung spontan an einem Samstagabend wünschte ich mir doch, dass die ganze beschlossen und in derselben Nacht umgesetzt wurde, kann so nicht Pracht wiederaufersteht“, blickt sie zurück. Die Mauern des Häuschens stimmen. „Das Majolikahäuschen wurde nicht an einem Wochenende, stehen noch immer unter den Klettergerüsten, von denen an warmen sondern am Dienstag, den 9. Februar 1926, zunächst zwangsgeräumt, Tagen kopfüber die Kinder baumeln. Doch an ein idyllisches Café mit bevor es einen Tag später abgerissen wurde“, stellt die Kunsthistorike- fließend Wasser erinnert nur noch der Hydrantendeckel. rin richtig. Sie weiß, was am nächsten Morgen passierte: „Als Cafébetreiber Heike Thissen Hermann Starkloff in den Hofgarten kam und seinen Betrieb aufsper- ren wollte, war das Häuschen weg. Auf der Wiese standen das Mobiliar, das Geschirr und das Besteck, aber von dem Gebäude war nichts mehr zu sehen.“ Melanie Florin hat ihre Informationen sozusagen aus zwei- So geht’s zum Hydrantendeckel: ter Hand: Für ihre Magisterarbeit hat sie sich vom Sohn des Cafébe- Der Hydrantendeckel befindet sich linker Hand im Zugang zum treibers beschreiben lassen, wie der Vater vom Abriss seiner Existenz- Spielplatz an der Oederallee. grundlage erfahren hatte. Der empörte Aufschrei, der durch Düsseldorfs Bevölkerung ging, war groß. Aber er fand in den Medien kaum Niederschlag. Und es nutzte natürlich nichts: Das Majolikahäuschen ließ sich nicht wieder- aufrichten. „Zur Messe stand hier dann ein kleiner Kastenbau, der 14 15
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