Kalkuliertes Risiko auf Skitouren dank einem - Schweizer Portal

Die Seite wird erstellt Gustav Voss
 
WEITER LESEN
Kalkuliertes Risiko auf Skitouren dank einem - Schweizer Portal
Samstag 20. März 2021

                                                                                                BILDER ANNICK RAMP / NZZ UND KEYSTONE (2).

«Ich habe keine Angst vor Corona, wir haben unser Leben gelebt.» Frau Weber, 88   SEITE 42–46

Kalkuliertes Risiko           Elternmord – was steht           Der Jumbo schreibt
auf Skitouren dank einem      hinter der Bluttat               Luftfahrtgeschichte –
Schweizer Portal SEITE 54     im Familienkreis? SEITE 50, 51   auch in der Schweiz SEITE 57
Kalkuliertes Risiko auf Skitouren dank einem - Schweizer Portal
42 WOCHENENDE                                                                                                                                                                               Samstag, 20. März 2021

                      Was am Ende
                      vom Leben bleibt
                      Ein Jahr lang kämpfen die Bewohnerinnen,
                      die Mitarbeiter und der Leiter des Alters-
                      und Pflegeheims «Ruhesitz» gegen die Pandemie.
                      Als sie glauben, die schwierigsten Monate seien
                      vorbei, bricht das Virus aus.
                      VON BARBARA KLINGBACHER,
                      ALINE WANNER (TEXT); ANNICK RAMP (BILDER)

                                                                                                                                      Frau Müller, 80, Bewohnerin: «Irgendwie wird uns alles erspart,
                                                                                                                                      was die Jungen draussen ertragen müssen.»

«Der Entwurf für meine Todesanzeige          vid-19-Patienten räumen mussten, zo-       hier als Pflegefachfrau arbeitet, würde          Gysin kennt die wichtigsten Regeln,      Leuten einen Vorsprung: Er weiss um
liegt schon lange in der Schublade»: Herr    gen hoch auf andere Etagen, und weil       er jetzt auf einen verschneiten Berg bei      die beim Einsargen von Corona-Opfern        die Widersprüchlichkeiten des Lebens,
Schwyn, 78, Bewohner.                        ein Platz fehlte, gab auch Gysin sein      Pontresina steigen. Stattdessen steigt        gelten: möglichst schnell arbeiten, aber    und er hält sie aus. Die Menschen, die
                                             kleines Reich gleich neben dem Ein-        Gysin an diesem Sonntagmorgen hinab           mit möglichst wenig Bewegungen. Die         im «Ruhesitz» zusammenkommen, sind
«Ich hätte nie gedacht, dass es so unlus-    gang auf. Er nahm sein Laptop, die wich-   in die Isolierstation, um die Leiche von      Leiche soll nicht wie sonst schön her-      nun einmal ganz verschieden. Alt und
tig ist im Alter»: Frau Müller, 80, Bewoh-   tigsten Unterlagen, dann stellte man ein   Frau Walter einzusargen. Frau Walter,         gerichtet werden. Man schickt die Men-      jung, krank und gesund, verwirrt und
nerin.                                       Bett in den Raum und machte aus dem        eine der vier Infizierten, ist in der Nacht   schen nicht in Kleidern auf die letzte      klar, impfkritisch, wissenschaftsgläubig,
                                             Büro des Heimleiters ein Bewohnerzim-      gestorben. Weil ihr Zustand so schlecht       Reise, sondern in dem Nachthemd, in         emotional, stur oder umgänglich. Jede
«Jetzt bist du so ein Brandherd»: Selina     mer auf Zeit.                              gewesen war, hatte Gysin schon am Tag         dem sie gestorben sind. Aber das bringt     und jeder findet hier seinen Platz.
Bommer, 16, Fachfrau Gesundheit in              Drei Tage nach dem Corona-Aus-          zuvor das Beerdigungsinstitut angeru-         Gysin nicht übers Herz. Er zieht Frau          «Richtig» und «falsch» sind nicht
Ausbildung.                                  bruch hätten Daniel Gysins Ferien be-      fen – und andere Heimleiter, die sich mit     Walter ein frisches Hemd an. Die 97-Jäh-    Gysins Kategorien. Sein Prinzip ist die
                                             gonnen. Mit seiner Frau Franziska, die     so einer Situation auskannten.                rige ist die erste Corona-Tote in seinem    Offenheit, in jeder Hinsicht. Deshalb
Es ist ein Mittwochmorgen im Februar                                                                                                  Heim. Sie wird nicht die letzte sein.       öffnete er den «Ruhesitz» auch für diese
2021, als die Zuversicht der Angst                                                                                                       Die Pandemie beschert Daniel Gysin       Recherche, soweit es die Pandemie ge-
weicht. Daniel Gysin arbeitet seit zwei                                                                                               die schwierigsten Monate in seiner lan-     stattet. «Reden Sie mit so vielen Leu-
Stunden in seinem Büro im Altersheim                                                                                                  gen Karriere als Leiter eines Alters- und   ten wie möglich», sagte er. Die Men-
«Ruhesitz» im schaffhausischen Be-                                                                                                    Pflegeheims. Er muss diesen Ort vor         schen, die in einem Altersheim leben
ringen. Kurz nach acht Uhr wählt der                                                                                                  dem Virus bewahren. Er muss das Le-         oder arbeiten, sollten endlich zu Wort
Heimleiter die Nummer des kantona-                                                                                                    ben der verletzlichsten Menschen unse-      kommen.
len Abklärungsteams.                                                                                                                  rer Gesellschaft schützen. Und gleich-         Sie alle beschäftigte im vergange-
    Nachdem eine Bewohnerin Sym-                                                                                                      zeitig ermöglichen, was den letzten Ab-     nen Jahr die gleiche Frage: Was bleibt
ptome gezeigt hatte und ein Schnelltest                                                                                               schnitt ihres Lebens lebenswert macht:      am Ende des Lebens vom Leben übrig?
positiv ausgefallen war, hat Gysin am                                                                                                 den Kontakt zu Angehörigen und Be-             Herr Schwyn ist 78-jährig und zieht
Vortag das ganze Heim durchtesten las-                                                                                                kannten, den sozialen Austausch, das        im Februar 2020 im «Ruhesitz» ein, vor-
sen. Die letzte Hoffnung auf ein fehler-                                                                                              gemeinsame Backen, die Spielenach-          übergehend, wie er damals denkt: «Ich
haftes Resultat des Schnelltests zerfällt                                                                                             mittage, den Gottesdienst und das Es-       hätte nach einer Operation in eine edle
innert Sekunden. Das Virus ist da, bestä-                                                                                             sen in der Gruppe. Es ist ein Kampf zwi-    Reha-Klinik gehen können. Stattdes-
tigt die Stimme am Telefon.Vier Bewoh-                                                                                                schen Freiheit und Abschottung, zwi-        sen fragte ich den Heimleiter, ob ich für
ner haben sich angesteckt und auch vier                                                                                               schen Risiko und Sicherheit, zwischen       ein paar Wochen hierherkommen dürfe.
Mitarbeiterinnen.                                                                                                                     Lebensqualität und Tod.                     Meine Frau lebte bereits hier, sie hatte
    «Ich konnte es nicht glauben», sagt                                                                                                                                           Demenz, und ich besuchte sie jeden Tag.
Gysin, «ich konnte nicht glauben, dass                                                                                                Frühling: Das Heim schliesst                Aber telefonieren konnte sie nicht mehr,
das ausgerechnet jetzt noch passiert.»                                                                                                                                            und ich hätte aus der Reha-Klinik nicht
Jetzt, wo das Ende der Bedrohung in                                                                                                   So neu das Coronavirus für Gysin ist, so    mit ihr kommunizieren können. Also
Sichtweite schien. Im Kanton Schaff-                                                                                                  plötzlich es seine Welt verändert – der     machte Daniel Gysin aus ihrem Einer-
hausen gab es nur noch wenige Fälle, in                                                                                               51-Jährige hat gegenüber vielen anderen     ein Zweierzimmer, und ich zog ein. Zum
den Heimen gar keine mehr.Ausserdem                                                                                                                                               Glück. Denn als das Heim geschlossen
hatte man im «Ruhesitz» zwei Wochen                                                                                                                                               wurde, hätte ich meine Frau gar nicht
zuvor fast allen Bewohnern und der                                                                                                                                                mehr sehen können, das wäre furchtbar
Hälfte der Mitarbeiter die zweite Impf-                                                                                                                                           gewesen. So aber blieb ich einfach hier
dosis gespritzt.                                                                                                                                                                  wohnen, wir waren Tag und Nacht bei-
    Ein Jahr lang navigierte Gysin sein                                                                                               «Sonst hätte ich                            einander.»
Heim wie eine Arche durch die erste                                                                                                                                                  An einem Donnerstag Mitte März
und durch die zweite Welle. Zwar gab es                                                                                               meine Frau gar nicht                        2020 schliesst der «Ruhesitz» wie alle
hin und wieder positive Testresultate bei
den Mitarbeitern, aber von den 87 Be-                                                                                                 mehr sehen können,                          anderen Alters- und Pflegeheime in der
                                                                                                                                                                                  Schweiz seine Türen für Besucher. Noch
wohnerinnen und Bewohnern hatte sich
nie jemand angesteckt. Und das, ob-
                                                                                                                                      das wäre furchtbar                          weiss niemand, was das neue Virus in
                                                                                                                                                                                  den kommenden Wochen und Monaten
wohl Gysin die Regeln manchmal weit
dehnte, um den Menschen in seinem
                                                                                                                                      gewesen. So blieb ich                       anrichten wird. Klar aber ist: Die alten
                                                                                                                                                                                  Menschen sind besonders gefährdet, sie
Heim möglichst viel Freiheit zu lassen.                                                                                               einfach hier wohnen.»                       sollen geschützt werden. Doch zu wel-
    Die Isolierstation im «Ruhesitz»                                                                                                                                              chem Preis?
nimmt eine Dreiviertelstunde nach                                                                                                     Herr Schwyn, 78                                Von nun an darf niemand mehr das
                                                                                                                                      Bewohner
der Hiobsbotschaft den Betrieb auf.                                                                                                                                               Heim verlassen, und es darf niemand
Seit Monaten ist man auf diesen Worst                                                                                                                                             mehr die Treppe zum Eingang hoch-
Case vorbereitet. Die Pflegerinnen und                                                                                                                                            kommen, den Gang entlanggehen, durch
Pfleger betreten die Station durch eine                                                                                                                                           die Cafeteria, vorbei am Aquarium, in
Schleuse, wo sie Schutzanzüge anziehen,                                                                                                                                           den Lift, in eines der 74 Zimmer. Die
Masken und Brillen aufsetzen und alles                                                                                                                                            Bewohnerinnen und Bewohner sind
desinfizieren. Die Gesunden, die ihre        Selina Bommer, 16, auszubildende Fachfrau Gesundheit: «Ich hätte nie gedacht,                                                        hier gefangen, abgeschnitten von der
Zimmer im Untergeschoss für die Co-          dass es mich so heftig treffen könnte.»                                                                                              Aussenwelt. Daniel Gysin richtet sofort
Kalkuliertes Risiko auf Skitouren dank einem - Schweizer Portal
Samstag, 20. März 2021                                                                                                                                                    WOCHENENDE 43

                                                                                        «Nur jeder zehnte
                                                                                        Bewohner antwortete,
                                                                                        er wolle
                                                                                        bei einer Erkrankung
                                                                                        mit Covid-19 ins Spital.»
                                                                                        Daniel Gysin
                                                                                        Heimleiter, 51

                                                                                        zin arbeitete, dachte er, ein Altersheim
                                                                                        sei ein Ort, wo Leute angestellt seien,
                                                                                        die man im Spital nicht brauchen könne.
                                                                                        Bis sein Vater ihn fragte, ob er nicht die
                                                                                        Pflegedienstleitung im «Ruhesitz» über-
                                                                                        nehmen wolle. Gysin kehrte zurück. Er
                                                                                        war neugierig, und es war für ihn eine
                                                                                        Karrierechance. «Im ‹Ruhesitz› merkte
                                                                                        ich dann, dass ich mich geirrt hatte: Die
                                                                                        Arbeit im Altersheim ist sehr vielfältig.»
                                                                                           Daniel Gysin ist ein feingliedriger
                                                                                        Mann, der überall gleichzeitig zu sein
                                                                                        scheint. Er eilt durch die Gänge und
                                                                                        bremst sofort ab, um sich geduldig das
                                                                                        Anliegen eines Bewohners anzuhören.
                                                                                        Er eilt die Treppe hinauf und spricht da-
                                                                                        bei am Telefon einer Angehörigen ruhig
                                                                                        Mut zu. Für jeden Mitarbeiter, dem er
                                                                                        begegnet, findet er einen freundlichen
Daniel Gysin, 51, Heimleiter: «Ich kann ihnen doch nicht alles wegnehmen.               Satz. Vielleicht sind die vielen Jahre       Herr Schwyn, 78, Bewohner: «Ich stellte mir vor, wie traurig das für meine Söhne wäre,
Was hätten sie sonst noch?»                                                             Lebens- und Berufserfahrung im Alters-       wenn gleich beide Eltern sterben würden.»
                                                                                        heim der Grund, warum Gysin eine be-
                                                                                        sondere Fähigkeit besitzt. Er kann
Begegnungszonen ein: vor dem Haupt-          Nähe bei uns, ich habe manchmal je-        immer wieder aus dem Chaos heraus-           ten sie sich mit dem Coronavirus anste-
eingang, auf der Terrasse, bei den Bal-      manden umarmt, auch wenn ich nicht         wachsen, mit Distanz auf all die Wider-      cken. «Nur jeder zehnte Bewohner ant-
konen, überall dort, wo Distanz möglich      durfte.»                                   sprüche, Regeln, unterschiedlichen Be-       wortete, er wolle bei einer Erkrankung
ist. Aber diese Zonen können nur Be-            Kein Ort ist Daniel Gysin vertrau-      dürfnisse in seinem Heim blicken und         mit Covid-19 ins Spital», sagt Gysin.
wohner nutzen, die mobil sind, gut hören     ter als der «Ruhesitz». Fast sein ganzes   sich fragen, was wirklich zählt. Ist das     Aber der Heimleiter, der früher selber
und sich noch in einem Gespräch ver-         Leben verbrachte er hier. Seine Eltern     Leben das höchste Gut? Oder ist es die       Pfleger in einem Spital war, weiss auch,     «Ich weiss nicht, wie er
ständigen können.                            zogen 1976 aus Langnau im Emmental         Lebensqualität?                              dass solche Antworten nur Moment-
    Frau Weiss, 80, Bewohnerin: «Es war      in das Heim, um es zu führen. Da war          Die Pflegerinnen und Pfleger im           aufnahmen sind. Der freie Wille verän-       diese Zeit erlebt hat.
manchmal wie im Gefängnis. Keine
Enkel mehr, keine Familie mehr, gar
                                             Gysin 6-jährig. «Mein Vater wurde so-
                                             zusagen berufen», sagt Gysin heute. Als
                                                                                        «Ruhesitz» gehen zu Beginn der Pande-
                                                                                        mie mit einem Formular von Bewohner
                                                                                                                                     dert sich. Gysin hat oft erlebt, dass je-
                                                                                                                                     mand in der Patientenverfügung ange-         Ob er verstanden hat,
nichts. Ich habe zwei Söhne und eine
Tochter und zwei Enkelkinder. Ich habe
                                             er sich selbst zum Krankenpfleger aus-
                                             bilden liess und später in der Akutmedi-
                                                                                        zu Bewohner und fragen, ob sie noch
                                                                                        ins Spital verlegt werden wollten, soll-
                                                                                                                                     geben hat, er wolle keine Antibiotika
                                                                                                                                     mehr, sollte er eine Lungenentzündung
                                                                                                                                                                                  was passiert. Manchmal
sie sehr vermisst. Eine liebe Freundin
konnte auch nicht mehr kommen. Mit
                                                                                                                                     bekommen. «Und als dann der Arzt am
                                                                                                                                     Bett stand und fragte, wollte der Patient
                                                                                                                                                                                  hat er bessere Tage,
ihr gehe ich normalerweise posten, zum                                                                                               das Medikament trotzdem.» Ob ein Le-         manchmal schlechtere.»
Coiffeur und zur Pediküre. Hier, an der                                                                                              ben noch lebenswert sei, findet Daniel
Wand, hängen alles Bilder von meinen                                                                                                 Gysin, könne man nur für sich selbst be-     Frau G.
                                                                                                                                                                                  Ehefrau eines Parkinson-Patienten, 72
Liebsten. So habe ich sie wenigstens                                                                                                 urteilen «in dem Moment, in dem sich
immer bei mir.»                                                                                                                      die Frage stellt».
    Frau Arena, 80, Bewohnerin: «Meine                                                                                                  Frau G. sitzt im kargen Zimmer
Kinder wohnen in Beringen. Die konn-                                                                                                 ihres Mannes. Sie streicht ihm über den
ten dann plötzlich nicht mehr zu mir.                                                                                                Kopf und den Nacken. «Was willst du
Meine Tochter hat MS, sie hatte auch                                                                                                 sagen?» Ihr Mann ist 79, er leidet seit
Angst. Manchmal sind die Kinder und                                                                                                  fünfzehn Jahren an Parkinson und kann
Enkel und Urenkel gekommen, dann                                                                                                     nicht mehr sprechen. Vor drei Jahren
haben wir draussen, vor dem Alters-                                                                                                  hatte er einen Schlaganfall und sitzt im
heim, miteinander gesprochen.»                                                                                                       Rollstuhl. Im Januar 2020 zog er in den
    Die Pandemie soll niemanden im                                                                                                   «Ruhesitz», weil seine 72-jährige Frau          Probst: «Ausser am Dienstagnach-
«Ruhesitz» einsam machen. Darum er-                                                                                                  ihn nicht mehr zu Hause pflegen konnte.      mittag, da ging eine Freundin bei ihr
öffnet Daniel Gysin im Frühling eine                                                                                                 Frau G. erzählt: «Mein Mann war dabei,       vorbei.»
Skype-Station im Entrée und eine Glas-                                                                                               sich einzuleben, als das Virus kam. Das         Schneider: «Unsere Mutter hatte
box im Wintergarten. Darin können sich                                                                                               war schon schwierig, man durfte nicht        nicht viel Kontakt zu anderen Heim-
Bewohnerinnen und Angehörige tref-                                                                                                   mehr kommen. Ich habe manchmal an-           bewohnern, sie sagte immer: Ich habe
fen, getrennt durch eine Scheibe. Aber                                                                                               gerufen und gefragt, wie es ihm gehe.        ja euch.»
wer nicht mehr gut hören und sprechen                                                                                                Gut, haben sie gesagt. Aber ich weiss           Probst: «Während des Besuchsver-
kann, will fühlen. Körperkontakt ist für                                                                                             natürlich nicht, wie er diese Zeit erlebt    bots probierten wir die Kontaktbox im
viele ältere Menschen wichtig, um sich                                                                                               hat. Ob er verstanden hat, was passiert.     Wintergarten aus, aber sie war überfor-
zu verständigen, um Nähe herzustellen,                                                                                               Manchmal hat er bessere Tage, manch-         dert damit, weil sie einen Knopf drücken
um Gefühle zu zeigen und Trost oder                                                                                                  mal schlechtere. Irgendwann konnten          musste, wenn sie reden wollte.»
Zuneigung zu empfangen. Auf den Pfle-                                                                                                wir uns wiedersehen, in der Glasbox. Er         Schneider: «Sie hat Demenz und ver-
genden lastet in diesen Monaten eine                                                                                                 hat mich gefragt, was los sei. Ich habe      gisst mehr als früher. Also sind wir zum
besondere Verantwortung. Sie werden                                                                                                  es ihm erklärt. Die Enkel dürfen nicht       ‹Ruhesitz› spaziert und haben sie ange-
für die Bewohner zu den wichtigsten                                                                                                  mehr zur Schule, das Militär wurde auf-      rufen, sagten, komm raus auf den Bal-
Bezugspersonen – und zum grössten                                                                                                    geboten. Da hat er schon gemerkt, dass       kon. Und dann standen wir vor ihrem
Risiko. Tragen sie das Virus ins Heim,                                                                                               es ernst ist. Es war für mich viel besser,   Balkon, und wir sprachen eine Viertel-
könnte das Dutzende von Todesfällen                                                                                                  als wir uns sehen konnten.»                  stunde miteinander.»
zur Folge haben.                                                                                                                        Frau Müller, 80, Bewohnerin: «Man            Probst: «Zu meinem Geburtstag im
    Selina Hedinger, 18, Fachangestellte                                                                                             wurde so richtig überrollt von der Pan-      April seilte unsere Mutter in einem ge-
Gesundheit: «Ich wurde am 14. März                                                                                                   demie. Als niemand mehr ins Heim             häkelten Täschchen einen kleinen Pro-
18 Jahre alt, zwei Tage vor dem Lock-                                                                                                durfte, hat der Leiter eine Besucherbox      secco ab, und alle sangen gemeinsam
down. Ich konnte gar nie machen, was                                                                                                 installiert. Ein Journalist machte dar-      ‹Happy Birthday› für mich.»
ich jetzt dürfte: in den Ausgang gehen,                                                                                              über einen Bericht, und ich kam in der          Frau Weiss, 80, Bewohnerin: «Ich
in irgendeinen Klub.Turnfeste sind auch                                                                                              Zeitung.»                                    habe häufig telefoniert, als das Heim ge-
gestrichen, Lager und Konzerte fallen                                                                                                   Heidi Schneider und Margret Probst,       schlossen war. Ich bin auch eine Lese-
aus. Manchmal bereue ich, dass ich vor                                                                                               67 und 68, Töchter einer Bewohnerin.         ratte, ich habe viele Bücher hier, ge-
der Pandemie nicht öfter weg war. Als                                                                                                   Schneider: «Vor der Pandemie be-          rade lese ich eine Saga über ein Land-
Corona angefangen hat, dachten wir zu-                                                                                               suchten meine Schwester und ich unsere       gut. Die Stimmung hier war nicht immer
erst, das betrifft uns nicht. Aber das hat                                                                                           89-jährige Mutter jeden Tag. Wir waren       gut. Es hat jeden Tag Tränen gegeben.
sich rasch geändert. Es war traurig, dass                                                                                            abwechslungsweise zwischen halb zwei         Für demente Bewohner war es schwie-
die Bewohner ihre Angehörigen nicht                                                                                                  und vier bei ihr und nahmen sie am           rig, sie haben nicht verstanden, was pas-
mehr sehen konnten. Sie suchten mehr         Der Hometrainer ergänzt Spaziergänge im Freien.                                         Sonntag jeweils nach Hause.»                 siert. Mir war klar, die Massnahmen sind
Kalkuliertes Risiko auf Skitouren dank einem - Schweizer Portal
44 WOCHENENDE                                                                                                                                                                             Samstag, 20. März 2021

                                                                                        «Unsere Mutter
                                                                                        ist kontaktfreudiger
                                                                                        geworden, als wir sie
                                                                                        seltener sehen konnten.
                                                                                        Sie kennt jetzt viel mehr
                                                                                        Leute im Heim.»
                                                                                        Margret Probst
                                                                                        Tochter einer Bewohnerin, 68

                                                                                        wir dann ein kleines Fest im Gemeinde-
                                                                                        haus machen können, mit neun Erwach-
                                                                                        senen und einem Kind.»

                                                                                        Herbst: Keine Feste mehr
                                                                                        Herr Schwyn, 78, Bewohner: «Meine
                                                                                        Frau ist vor einer Woche gestorben, aber
                                                                                        nicht an Corona. Ich bin froh, dass wir
                                                                                        die letzten Monate so eng beieinander
                                                                                        verbringen durften. Wir haben die Geis-
                                                                                        sen im Innenhof besucht, zuerst mit dem
                                                                                        Rollator, später dann mit dem Rollstuhl.
                                                                                        Im Zimmer habe ich ihr Liedtexte und
                                                                                        Geschichten vorgelesen, und wenn sie
                                                                                        meine Hand drückte, wusste ich, sie hat
                                                                                        mich verstanden. Wir waren 56 Jahre
                                                                                        lang verheiratet. Nachdem meine Frau
                                                                                        gestorben war, blieb sie noch eine Nacht
                                                                                        in unserem Zimmer, und ich dachte
Frau Weiss, 80, Bewohnerin: «Es war manchmal wie im Gefängnis.                          mir, es wäre nicht das Schlimmste, jetzt    Selina Hedinger, 18, Fachfrau Gesundheit: «Ich habe manchmal jemanden umarmt,
Keine Enkel mehr, keine Familie mehr, gar nichts.»                                      auch zu gehen. Aber dann stellte ich mir    auch wenn ich nicht durfte.»
                                                                                        vor, wie traurig das für meine Söhne
                                                                                        wäre, wenn gleich beide Eltern sterben
zu unserem Schutz. Trotzdem habe ich        meine Eltern, sie leben in Kosovo. Dort     würden.»                                    ertragen müssen. Wir haben uns in der       vergleichen. Wegen Corona kommen
oft mit meiner eigenen Stimmung ge-         gibt es nicht so gute Spitäler wie in der      Frau Weber, 88, und Frau Müller,         Zeitung informiert.»                        weniger Leute hierher. Besuch sollte
kämpft. Corona ging einem auf die Psy-      Schweiz. Im April wollten wir sie besu-     80, sitzen nebeneinander im Esssaal.           Frau Weber: «An Informationen hat        man im Zimmer empfangen. Die Pfle-
che. Mein Mann ist vor dreieinhalb Jah-     chen, dann kam der Lockdown. Wir ver-       Frau Müller hat einen Cappuccino be-        es hier drin schon ein bisschen gehapert.   ger bringen dann einen Kuchen hoch,
ren an einem Tumor gestorben, ich bin       schoben die Ferien in den Juli, aber da     stellt. Das Rühren in der Tasse fällt ihr   Und das Essen ist manchmal nicht so gut.    das machen sie schon.»
immer noch sehr traurig, ich habe einen     kam Kosovo auf die Quarantäneliste.         schwer, sie hat Parkinson und oft starke    Es gibt oft Hackfleisch. Mein Mann und          Es ist sein Bedürfnis nach Sicherheit,
sehr lieben Mann gehabt. Ich hatte ge-      Meine Mutter sagte zu mir, sie denke        Schmerzen.                                  ich haben früher gewirtet.Man hat ja hier   das Daniel Gysin immer wieder in den
hofft, wir können vielleicht noch einmal    jeden Abend, es sei in Ordnung, wenn           Frau Weber: «Ich habe keine Angst        nicht mehr so viel Freude am Leben,aber     Keller seines Altersheimes treibt. An
zusammen nach Hause. Jetzt bin ich          sie sterbe. Wenn sie uns nur wenigstens     vor Corona, wir haben unser Leben           ein guter Zmittag wäre etwas. Ich habe      einem Mittwochvormittag im Oktober,
hier, weil ich auf Hilfe angewiesen bin     noch einmal sehen dürfe.»                   gelebt.»                                    am liebsten Tomatenspaghetti.»              kurz vor der Znünipause, steigt er hin-
und meine Kinder es so wollen.»                Cornelia Flammer, 40, Fachfrau Ge-          Frau Müller: «Irgendwie wird uns            Frau Müller: «Man kann das Leben         unter und zählt die Schutzmasken und
                                            sundheit: «Im Sommer haben wir einen        alles erspart, was die Jungen draussen      im Altersheim nicht mit dem zu Hause        Kittel, die Brillen und Hauben. Noch
Sommer: Ein Drink in der Bar                Pool für die Terrasse gekauft. Sonst be-                                                                                            ist genug Material da, nur Handschuhe
                                            suchte ich fast täglich die Badi, aber in                                                                                           sind gerade schwierig zu besorgen. Die
Patrick Portmann, 31, Pflegefachmann:       diesem Jahr war ich nur zweimal dort,                                                                                               Fallzahlen steigen wieder, und Gysin hat
«Ich arbeite seit dem 3. Juni im ‹Ruhe-     ich hatte Angst, mich anzustecken. Und                                                                                              grosse Angst, dass sich jetzt doch noch
sitz›. Als ich hier angefangen habe, war    ich ging auch nur ein einziges Mal in                                                                                               Bewohner infizieren. Erste Fälle unter
die Situation relativ entspannt. Wir        den Ausgang, in eine Bar. Bevor ich sie                                                                                             den Mitarbeitern gab es schon, «ich rufe
haben Masken getragen bei der Arbeit,       betrat, habe ich durch die Tür hinein-                                                                                              die Betroffenen dann jeden Tag an und
daran gewöhnt man sich. Wir Pflegen-        geschaut, ob der Raum leer genug war.                                                                                               frage, wie es geht», sagt er.
den erfahren viel Solidarität. Ich hatte    Meine Kollegin und ich waren dann die                                                                                                   Fast täglich schicken der Kanton und
das Gefühl, wir bekommen Respekt und        einzigen Gäste.»                                                                                                                    der Bund nun neue Verordnungen und
Anerkennung. Ich arbeite nur 75 Pro-           Heidi Schneider und Margret Probst,                                                                                              Empfehlungen. Die neusten hat Gysin
zent, auf 100 Prozent würde ich 5300        67 und 68, Töchter einer Bewohnerin:                                                                                                um drei Uhr nachts gelesen, danach
Franken verdienen. Das finde ich einen         Schneider: «Auch wenn das Heim seit                                                                                              konnte er nicht mehr schlafen. «Wie
fairen Lohn. Aber klar, wir fordern bes-    ein paar Monaten wieder offen ist, kom-                                                                                             sollen wir das bloss machen?», fragt er.
sere Arbeitsbedingungen. Ich habe auf       men wir nicht jeden Tag zu Besuch – nur                                                                                             Die Regeln sind für viele Alltagssitua-
jeden Fall im Moment sehr das Gefühl,       noch donnerstags und sonntags.»                                                                                                     tionen nicht eindeutig, und Gysin ent-
gebraucht zu werden. Systemrelevant,           Probst: «Unsere Mutter ist kontakt-                                                                                              scheidet von Fall zu Fall. Müssen die Be-
sagt man doch.»                             freudiger geworden, als wir sie seltener                                                                                            wohner in Altersheimen Masken anzie-
    Der Sommer 2020 bringt zurück, wo-      sehen konnten. Sie kennt jetzt viel mehr                                                                                            hen? Nein, findet Gysin vorerst: «Wir
nach sich alle seit Monaten sehnen: eine    Leute im Heim. Und sie hat eine beste                                                                                               sind ja eigentlich wie eine Familie hier.»
Pandemie-Pause, ein Stück Normalität,       Freundin gefunden, ihre Zimmernach-                                                                                                 Kann der Pfarrer den Gottesdienst im
ein paar Freuden des Alltags. Die Be-       barin, die beiden sind wie Zwillinge.»                                                                                              «Ruhesitz» noch durchführen? «Ja»,
wohnerinnen und Bewohner im «Ruhe-             Schneider: «Im November wird                                                                                                     sagt Gysin, «aber ohne Abendmahl.»
sitz» dürfen wieder Besucher empfan-        unsere Mutter 90. Wir hoffen sehr, dass                                                                                             Darf man weiterhin gemeinsam mit den
gen, Daniel Gysin spielt wieder Ten-                                                                                                                                            Bewohnern backen? «Ich kann ihnen
nis. Es sind Wochen, in denen sich der                                                                                                                                          das doch nicht alles wegnehmen. Was
Heimleiter etwas erholen kann von den                                                                                                                                           hätten sie sonst noch?»
vielen Momenten der Anspannung, von                                                                                                                                                 Ram Bhalla, 64, Angehöriger:
den vielen Auseinandersetzungen.                                                                                                                                                «Daniel Gysin hat Zivilcourage. So viele
    Gysin erinnert sich an Mails von An-    «Ich selber sorgte mich                                                                                                             Leute sind im Moment von Angst getrie-
gehörigen, die ihn beschimpften. «Die                                                                                                                                           ben, die oft irrational ist.Wir alle müssen
einen wollten mehr Freiheiten und           um meine Eltern,                                                                                                                    sterben, auch wenn wir das gerne ver-
haben nicht verstanden, warum sie ihre
Mutter oder ihren Vater nicht mehr be-      sie leben in Kosovo.                                                                                                                drängen. Natürlich soll man vorsichtig
                                                                                                                                                                                sein im Umgang mit dem Virus. Meine
suchen dürfen. Den anderen waren die
Massnahmen zu lasch.» Er habe immer
                                            Dort gibt es nicht                                                                                                                  Tochter Ursina leidet an einer unheil-
                                                                                                                                                                                baren Krankheit des Nervensystems
versucht, ruhig zu bleiben und alles
zu erklären. «Aber manche Nachrich-
                                            so gute Spitäler                                                                                                                    und liegt hier auf der Pflegeabteilung.
                                                                                                                                                                                Sie ist erst 35 Jahre alt, muss beatmet
ten habe ich rasch wieder gelöscht, aus     wie in der Schweiz.»                                                                                                                werden und kann nur noch einen ein-
Selbstschutz.» Für Gysin ist klar, dass                                                                                                                                         zigen Muskel am linken Mundwinkel
sich nicht mehr wiederholen soll, was       Halimi Beqir                                                                                                                        bewegen. Aber sie nimmt alles wahr.
                                            Stationsleiter, 48
im Frühling geschah: eine Schliessung                                                                                                                                           Ich finde, man muss das Leid, das man
des Altersheimes. Er hofft, eine zweite                                                                                                                                         durch die Corona-Massnahmen verhin-
Welle bleibe aus, er hofft auf eine Imp-                                                                                                                                        dern möchte, in Relation stellen zu dem
fung, vielleicht auch auf ein Wunder.                                                                                                                                           Leid, das man mit ihnen verursacht.
    Halimi Beqir, 48, Stationsleiter: «Im                                                                                                                                       Zum Beispiel, wenn man Angehörige in
Sommer war die Situation stabiler, die                                                                                                                                          schweren Stunden nicht besuchen darf.
Bewohner und die Angestellten hatten                                                                                                                                            Wir dürfen das Leben nicht ersticken
sich beruhigt. Ich selber sorgte mich um                                                Frau Wollek, 74, Bewohnerin: «Ich brauchte einfach wieder einmal ein Bier.»             vor lauter Angst.»
Kalkuliertes Risiko auf Skitouren dank einem - Schweizer Portal
Samstag, 20. März 2021                                                                                                                                                     WOCHENENDE 45

                                                                                         «Ich war auch seit
                                                                                         Monaten in keiner Bar
                                                                                         mehr und nicht mehr im
                                                                                         Ausgang. WG-Partys
                                                                                         gibt es keine, auch
                                                                                         keinen Fondueplausch.»
                                                                                         Patrick Portmann
                                                                                         Pflegefachmann, 31

                                                                                         Heimleiter hat Musiker eingeladen,
                                                                                         unter ihnen auch eine Flötenspielerin.
                                                                                         «Sie hat jedes Mal einen Corona-Test
                                                                                         gemacht, sie hatte grossen Abstand zu
                                                                                         den Bewohnern, und es war keine Quer-
                                                                                         flöte, also nicht so gefährlich.» Gysin hat
                                                                                         abgeklärt, welche Flöte wie viele Aero-
                                                                                         sole verbreitet. «Zur Sicherheit habe
                                                                                         ich Daniel Koch angerufen, den ehema-
                                                                                         ligen Leiter der Abteilung für übertrag-
                                                                                         bare Krankheiten beim BAG. Ich habe
                                                                                         ihn im Sommer persönlich kennenge-
                                                                                         lernt. Er sagte mir, so wie wir die Feste
                                                                                         planten, sei das kein Problem.»
                                                                                             Frau Müller, 80, Bewohnerin: «Die
                                                                                         Feier war schön, eine Flötistin hat klas-
                                                                                         sische Musik gespielt. Das Essen war
                                                                                         wirklich sehr gut, ich habe nichts zu
                                                                                         meckern. Es gab Salat und Terrine, Kalb-
                                                                                         fleisch und Kroketten und zum Dessert
Patrick Portmann, 31, Pflegefachmann: «Es ist ein einsames Sterben. Ein Sterben,         Glace. Wir durften auch singen. Sie zün-      Cornelia Flammer, 40, Fachfrau Gesundheit: «Ich war lange hin- und hergerissen,
wie ich es niemandem wünsche.»                                                           deten echte Kerzen an, wunderschön.           ob ich mich impfen lassen soll.»
                                                                                         Ich habe mich entschlossen, hierzublei-
                                                                                         ben über Weihnachten. Meine Toch-
    Patrick Portmann, 31, Pfleger: «In       diesen Monaten zu einer Schaltzentrale      ter wohnt viel zu weit oben, ich müsste       Heims. «Es gibt Angehörige, die mir sa-     rein, dann können wir wieder zusam-
den vergangenen zwei, drei Wochen hat        geworden ist. Hier telefoniert er mit den   lange Treppe steigen.»                        gen, es sei ihnen egal, wenn ihre Mutter    men sein, ohne nachzudenken.› Aber es
die Vorsicht zugenommen. Ich bin in          Angehörigen, ruft neue Informationen            Daniel Gysin rät den Bewohnerinnen        oder ihr Vater Covid-19 bekomme.» Das       gibt auch viele, die skeptisch sind. Es ist
der Gewerkschaft, wir haben eine Pfle-       zur Pandemie ab, bespricht mit Mit-         und Bewohnern davon ab, zu tun, was           sei natürlich in Ordnung, sagt Gysin.       natürlich auch eine ethische Frage bei
gedemo mit 250 Leuten organisiert. Die       arbeitern die Lage und sucht nach Kom-      viele am liebsten tun würden: über die        «Aber ich sage ihnen dann, sie sollten      uns, wir arbeiten mit der Risikogruppe.»
habe ich dann wieder abgesagt, weil ich      promissen und Lösungen. Etwa, wie er        Festtage nach Hause zu gehen, zu ihrer        vielleicht auch an die anderen Leute in         Frau Weiss, 80, Bewohnerin: «Wir
das nicht hätte verantworten können.         dem Wunsch nach einem Fest gerecht          Familie. Wer es trotzdem macht, muss          der Gruppe denken.»                         tragen jetzt auch Masken, jeden Tag
Ich war auch seit Monaten in keiner Bar      werden kann, wenigstens ein bisschen.       nachher in Quarantäne. So sind die Vor-          Frau Weber, 88, Bewohnerin: «An          bekommen wir eine frische. Ich halte
mehr und nicht mehr im Ausgang. WG-             Gysin organisierte dann kleine Weih-     schriften des Kantons. Der Heimleiter         Weihnachten gehe ich zu meinen Kin-         mich an alle Regeln. Ich schaue jeden
Partys gibt es keine, auch keinen Fon-       nachtsfeiern in den Wohngruppen, damit      ist wieder einmal hin- und hergerissen:       dern. Ich habe keine Angst, mich an-        Abend Fernsehen, ‹Schweiz aktuell› und
dueplausch.»                                 nicht zu viele Leute zusammen waren,        zwischen Regeln und Wünschen, zwi-            zustecken. Wir hatten immer so schöne       die Nachrichten. Gestern habe ich ge-
    Cornelia Flammer, 40, Fachfrau Ge-       damit sich nicht zu viele mischten. Der     schen der Weltlage und der Welt seines        Weihnachten. Jetzt ist leider mein Mann     hört, dass es ein noch stärkeres Virus in
sundheit: «Ich habe mich immer, wirk-                                                                                                  gestorben. Meine beiden Enkel tschut-       Grossbritannien gibt. Ich hoffe jetzt fest
lich immer an alle Vorsichtsmassnahmen                                                                                                 ten bei den Junioren. Ich mag Fussball      auf die Spritze.»
gehalten.Aber gestern Abend haben wir                                                                                                  und bin ein Fan des FC Basel. Es gab            Die Spritze bringt eine mobile Impf-
ein Abschiedsfest für eine Kollegin ge-                                                                                                ein Weihnachtsfest hier im Altersheim.      einheit des Kantons in den «Ruhesitz»,
feiert. Als wir es vor einem Monat ge-                                                                                                 Das war schön. So lernt man auch an-        an einem Donnerstag Anfang Januar
plant haben, war die Situation viel bes-                                                                                               dere Bewohner kennen. Man sollte die        2021. Daniel Gysin wollte eigentlich
ser. Wir haben einen Raum im ‹Nuevo                                                                                                    Situation einfach annehmen, wie sie ist.    früher starten. Als Schaffhausen ein Pi-
Sombrero› reserviert, darin hätte es                                                                                                   Ich denke, mir wäre es egal, wenn ich       lot-Altersheim suchte, in dem sich alle
eigentlich Platz für achtzig Leute. An-                                                                                                hier sterben könnte.»                       impfen lassen, hätte er sich gerne ge-
gemeldet hatten sich sechsundzwanzig                                                                                                                                               meldet. «Aber ich habe kein impffreu-
Leute. Gerade gab der Bundesrat neue                                                                                                   Winter: Wer will die Spritze?               diges Personal», sagt er, «bei mir arbei-
Verschärfungen bekannt, danach haben                                                                                                                                               ten Impfskeptikerinnen.» Fast alle Be-
sich viele wieder abgemeldet. Wir sind                                                                                                 Frau Müller, 80, Bewohnerin: «Über die      wohner haben sich für die erste Imp-
dann zu zehnt an einer riesigen Tafel                                                                                                  Impfung hat man uns noch nicht infor-       fung angemeldet, aber nur die Hälfte
gesessen, haben Fajitas gegessen und                                                                                                   miert. Ich habe keine Angst vor dem         des Personals. Gysin hofft, dass in den
Mojito getrunken. Mir tat der Restau-                                                                                                  Sterben. Ich bin Exit-Mitglied, ich habe    vier Wochen zwischen erster und zwei-
rantbesitzer ein bisschen leid. Wir muss-                                                                                              mir überlegt, wie ich mit der Sterbe-       ter Dosis ein Umdenken stattfindet.
ten das Fest einfach irgendwie durch-                                                                                                  hilfeorganisation in Kontakt komme.         Beim zweiten Termin, so glaubt er, wür-
ziehen. Das hatte nichts mit Trotz zu tun.                                                                                             Ich hätte nie gedacht, dass es so unlus-    den sich einige Mitarbeiter doch noch
Alle anderen Abschiedsfeiern haben wir                                                                                                 tig ist im Alter. Manchmal habe ich so      die erste Dosis spritzen lassen. Aber der
wieder abgesagt.»                                                                                                                      viele Schmerzen, dass ich gar nicht ge-     Heimleiter irrt sich.
    Frau Weiss, 80, Bewohnerin: «Ich bin                                                                                               nau weiss, wo überall.»                         Der Impfstoff ist bereits knapp, als
80 geworden in diesem Jahr, zweimal                                                                                                       Cornelia Flammer, 40, Fachange-          die mobile Impfeinheit am 10. Februar
habe ich ein Fest in einem Restaurant                                                                                                  stellte Gesundheit: «Die Demenzkran-        im «Ruhesitz» die zweite Dosis inji-
organisiert und dreissig Leute eingela-                                                                                                ken auf meiner Abteilung brauchen           ziert. Nicht nur hier, auch in den ande-
den, zweimal habe ich es abgesagt. Jetzt                                                                                               Nähe, wollen auch einmal in den Arm         ren Schaffhauser Heimen gibt es inzwi-
mache ich keines mehr.»                                                                                                                genommen werden, da ist es schwierig,       schen Wartelisten von Pflegerinnen und
                                                                                                                                       den Abstand einzuhalten. Gegenüber          Pflegern, die sich umentschieden haben.
Weihnachten: Feier mit Flötistin                                                                                                       dem Impfen bin ich trotzdem skeptisch.      Auch die Bewohner, die den ersten Ter-
                                                                                                                                       Man weiss nicht, was die einem rein-        min verpasst haben, können nun nicht
Herr Schwyn, 78, Bewohner: «Einer                                                                                                      lassen, und kennt die Nebenwirkungen        geimpft werden. Und da gibt es noch
meiner vier Söhne schickt mir in der                                                                                                   nicht. Es gibt keine Langzeitstudien, das   ein anderes Problem. «Bei uns ziehen ja
Adventszeit per Mail jeden Tag ein                                                                                                     geht alles viel zu schnell. Im Moment       immer wieder Menschen neu ein», sagt
Musikstück, das er selber aufgenom-                                                                                                    würde ich mich nicht impfen lassen.»        Gysin, «und die sind nicht geimpft.»
men hat. Das Internet bringt mir viele                                                                                                    Franziska Gysin, 52, Pflegefachfrau          Tatsächlich ist es Rosmarie Wol-
Vorteile in der Pandemie. Nur ‹de choge                                                                                                und Ehefrau von Daniel Gysin: «Ich          lek, eine neue Bewohnerin, die am
Parkinson› macht alles komplizierter.                                                                                                  leide an einer chronischen Erkrankung       23. Februar als Erste positiv getestet
Manchmal rutsche ich von der Tastatur                                                                                                  und nehme Immunsuppressiva. Mein            wird, obwohl sie beim Eintritt noch ne-
ab. Wenn es geht, schalte ich mich am                                                                                                  Arzt hat mir im Dezember empfohlen,         gativ war. Sie kommt auf die Isolations-
Sonntag per Live-Stream dem Gottes-                                                                                                    mich nicht als Erste impfen zu lassen.      station. Bald stellt sich heraus, dass sie
dienst in Schaffhausen zu.»                                                                                                            Ich weiss, dass eine Impfung den Be-        an der mutierten englischen Variante
    Gott ist allgegenwärtig im «Ruhe-                                                                                                  wohnern das Leben erleichtern würde.        des Virus erkrankt ist. Eine zweite In-
sitz». Das Alters- und Pflegeheim steht                                                                                                Aber ich habe nicht das Gefühl, dass        fizierte hatte den Impftermin verpasst,
der freikirchlichen Chrischona-Ge-                                                                                                     ich andere gefährde, wenn ich mich an       weil sie an diesem Tag krank war. Die
meinde nahe. Auch Daniel Gysin ist                                                                                                     die Schutzmassnahmen halte. Bei uns         anderen beiden Patienten auf der Iso-
ein gläubiger Mensch, Weihnachten ist                                                                                                  im Team unter den Pflegenden sind die       lationsstation hatten beide Impfdosen
für ihn ein wichtiges Fest. Es ist Ende                                                                                                Meinungen sehr unterschiedlich. Die         erhalten. Gysin glaubt, dass sich der
Dezember 2020, der Heimleiter sitzt in                                                                                                 Jungen sind eher für die Impfung. Sie       Schutz bei besonders geschwächten
seinem Büro im Eingangsbereich, das in       Ein Kuscheltier über einem Pflegebett.                                                    sagen: ‹Jetzt ziehe ich mir dieses Zeugs    Menschen langsamer aufbaut. «Aber
Kalkuliertes Risiko auf Skitouren dank einem - Schweizer Portal
46 WOCHENENDE                                                                                                                                                                                 Samstag, 20. März 2021

                                                                                         «Die Isolierstation war
                                                                                         das Schlimmste, was ich
                                                                                         je mitgemacht habe.
                                                                                         Meine Zimmernachbarin
                                                                                         ist unten geblieben,
                                                                                         sie ist gestorben.»
                                                                                         Frau Wollek
                                                                                         Bewohnerin, 74

                                                                                         auch gerne wieder einmal einen Ausflug
                                                                                         machen, bis nach Bern mindestens.»
                                                                                             Cornelia Flammer, 40, Fachfrau Ge-
                                                                                         sundheit: «Ich war lange hin- und her-
                                                                                         gerissen, ob ich mich impfen lassen soll.
                                                                                         Schliesslich habe ich mir die Situation
                                                                                         nüchtern angeschaut und gedacht:Wenn
                                                                                         ich damit jemanden im Heim schützen
                                                                                         kann, oder meine Eltern oder meinen
                                                                                         Partner, dann stimmt es für mich. Jetzt
                                                                                         bin ich froh, dass ich es gemacht habe.»
                                                                                             Selina Bommer, 16, auszubildende
                                                                                         Fachfrau Gesundheit: «Ich hätte nie
                                                                                         gedacht, dass es mich so heftig tref-
                                                                                         fen könnte. An einem Morgen bin ich
                                                                                         mit 39,6 Grad Fieber aufgewacht, hatte
                                                                                         Kopfweh, Husten, das ganze Programm.
                                                                                         Ein paar Tage später hatte ich ein Ste-
                                                                                         chen in der Brust, konnte kaum mehr
                                                                                         atmen. Ich musste notfallmässig ins Spi-
Heidi Schneider, 67, und Margret Probst (r.), 68, Angehörige: «Wir haben unsere          tal. Dort war es sehr einsam, niemand        Franziska Gysin, 52, Pflegefachfrau: «Das Virus macht so viel Arbeit,
Mutter angerufen, sagten: ‹Komm raus auf den Balkon.›»                                   durfte mich besuchen, nicht einmal Blu-      da bleibt zu wenig Zeit für die Menschen, für das gemeinsame Leben.»
                                                                                         men waren erlaubt. Ich dachte, jetzt bist
                                                                                         du so ein Brandherd. Sechzig Leute
das ist nur mein Eindruck.» Wieder stellt    mein Glaube hilft mir auch: zu wissen,      mussten meinetwegen in die Quaran-               Patrick Portmann, 31, Pflegefach-
sich die Frage, ob Gysin den «Ruhesitz»      wir kommen in den Himmel, wir sehen         täne, Mitschüler, Freunde, die Familie,      mann: «Ich kann nicht nachvollziehen,
schliesst. Der Heimleiter entscheidet        uns alle wieder. Ich habe sowieso nie da-   die Familie meines Freundes. Ich glaube,     warum sich so viele nicht impfen las-
sich dagegen, obwohl es die einfachste       mit gerechnet,uralt zu werden.In meiner     ich habe mich im Heim angesteckt. In-        sen. Vor allem die Jungen: Sie rauchen,
Antwort auf die Gefahr wäre. Obwohl          Patientenverfügung steht, dass ich keine    zwischen arbeite ich wieder. Mein Ge-        trinken Alkohol, konsumieren im Aus-         «Jetzt gehen diese
er sich so absichern könnte – oder zu-       lebenserhaltenden Massnahmen will,          ruchssinn ist immer noch weg, ich könnte     gang vielleicht auch mal was anderes –
mindest sein Gewissen. Gysin führt aber      und der Entwurf für meineTodesanzeige       Desinfektionsmittel inhalieren, ohne es      aber Impfen, das ist böse. Es ärgert mich,   Menschen von der Welt,
eine neue Regel ein: Von nun an muss
jeder Besucher ein Gespräch mit ihm
                                             liegt schon lange in der Schublade. Vor-
                                             her möchte ich aber noch ein bisschen
                                                                                         zu merken. Ich bin vorsichtig geworden,
                                                                                         desinfiziere dreimal häufiger, putze alles
                                                                                                                                      wenn jemand sagt, das seien ja alles alte
                                                                                                                                      Leute, die sterben. Ich habe mich frei-      und die Schuhe, die sie
führen und eine FFP2-Maske tragen.
   Frau Wollek, 74, Bewohnerin: «Die
                                             Normalität zurück, mit meinen Söhnen
                                             und Enkeln ins Restaurant gehen, das
                                                                                         doppelt nach. Nur impfen lassen würde
                                                                                         ich mich immer noch nicht, da bleibe ich
                                                                                                                                      willig für den Dienst in der Isolations-
                                                                                                                                      station gemeldet. Die Leute dort atmen
                                                                                                                                                                                   auf ihrem Weg
Isolierstation war das Schlimmste, was
ich je mitgemacht habe. Jeder hatte seine
                                             habe ich ihnen versprochen. Ich würde       bei meiner Meinung.»                         schwer, ringen nach Luft, es ist ein Lei-
                                                                                                                                      densprozess. Ein Mensch leidet, ob er 20,
                                                                                                                                                                                   getragen haben, werfen
Kammer.Wir konnten praktisch mit nie-                                                                                                 30 oder 90 Jahre alt ist. Normalerweise      wir einfach weg.»
mandem reden und konnten auch nicht                                                                                                   nehmen wir uns Zeit, wenn jemand im
raus, es war grässlich. Die Pflegerinnen                                                                                              Sterben liegt. Wir lesen der Person vor,     Franziska Gysin
                                                                                                                                                                                   Pflegefachfrau, 52
trugen eine Art Pelerine. Ich habe mich                                                                                               beten mit ihr, halten ihre Hand.Aber auf
schampaar gefreut, als es zu Ende war.                                                                                                der Isolationsstation ist die Vorgabe: nur
Meine Zimmernachbarin ist unten ge-                                                                                                   so viel Berührung wie nötig. Man trägt
blieben, sie ist gestorben. Darum ist ihr                                                                                             einen Schutzmantel, Handschuhe, eine
Bett jetzt leer. Ich hatte noch keine Imp-                                                                                            Maske, eine Taucherbrille, sieht aus wie
fung, weil es zu wenige gibt. Unser Bun-                                                                                              ein Astronaut. Es ist ein einsames Ster-
desrat gibt mir zu denken, so eine Bande                                                                                              ben. Ein Sterben, wie ich es in meinen
da oben. Eigentlich wollte ich im ver-                                                                                                sechzehn Jahren in der Pflege nie erlebt
gangenen Jahr zu meiner Schwester auf                                                                                                 habe und niemandem wünsche. Das
die Philippinen, aber dann kam dieses                                                                                                 macht mich traurig. Ich hoffe, dass bald     Hoffnung in die Zukunft. In der Cafete-
Virus.Wir haben jeden Abend einen Gin                                                                                                 Normalität bei uns einkehrt. Die Men-        ria stellt er den Mitarbeitern den neuen
getrunken, ich glaube, das hilft.Aber auf                                                                                             schen ausserhalb meinen mit Normali-         «Ruhesitz» vor. Das Projekt ist seit zehn
die Philippinen konnte ich dann nicht.                                                                                                tät, wieder ins Café oder an ein Konzert     Jahren in Planung, nun sieht es so aus,
Darum bin ich jetzt halt hier. Die Leute                                                                                              zu gehen. Für unsere Demenzkranken           als könnten die Bauarbeiten im August
im ‹Ruhesitz› sind sehr lieb. Sie küm-                                                                                                heisst Normalität, dass sie unsere Ge-       beginnen. «Endlich einmal etwas Posi-
mern sich und flechten mir einen Zopf                                                                                                 sichter endlich wieder ohne Maske se-        tives, das nichts mit Corona zu tun hat»,
mit den Haaren. Meine Schwester ist in-                                                                                               hen, wir ihnen vorlesen, mit ihnen sin-      sagt Gysin, während er vor einem Bea-
zwischen nach Schaffhausen gekommen.                                                                                                  gen, sie in Gespräche involvieren kön-       mer mit der Visualisierung steht. Im
Sie besucht mich immer, und wir lau-                                                                                                  nen. Normalität bedeutet, dass unsere        neuen «Ruhesitz» soll es einen Rund-
fen phantasielos irgendwo herum. Ges-                                                                                                 Bewohner einen Alltag leben, der bes-        lauf im Garten für die Demenzkranken
tern waren wir hier draussen an diesem                                                                                                ser und fröhlicher ist.»                     geben, ein unterirdisches Parkhaus, eine
Stand. Wir haben einen Döner gegessen                                                                                                     Franziska Gysin, 52, Pflegefachfrau      Terrasse für die Mitarbeiter, und viel-
und ein Bier bestellt. Ich brauchte ein-                                                                                              und Ehefrau von Daniel Gysin: «Am            leicht wird das Altersheim dereinst gar
fach wieder einmal ein Bier.»                                                                                                         Montag habe ich die Isolierstation ge-       nicht mehr «Ruhesitz» heissen. «Hier ist
   Von den vier Menschen, die am Mitt-                                                                                                putzt. Vor den Betten der Toten lagen        ja viel zu viel Bewegung.»
wochmorgen die Isolationsstation be-                                                                                                  noch vier Paar Finken. Ich musste sie in         Heimleiter Gysin beantwortet die
zogen haben, ist Frau Wollek die Ein-                                                                                                 den Abfall werfen. Das hat mich sehr         Fragen der Mitarbeiter, er lacht und
zige, die sie wieder verlässt. Auch dies-                                                                                             getroffen. Ich dachte: Jetzt gehen diese     scherzt, dann hastet er zu seinem Com-
mal entscheidet sich Daniel Gysin dafür,                                                                                              Menschen von der Welt, und die Schuhe,       puter zurück. Seit das Virus Ende
ein Risiko einzugehen: Er lässt Ange-                                                                                                 die sie auf ihrem Weg getragen haben,        Februar den Weg ins Heim gefunden
hörige zu den Sterbenden, natürlich mit                                                                                               werfen wir einfach weg.Wäre keine Pan-       hat, haben sich nochmals zwei Bewoh-
Schutzausrüstung. Er dürfe dies in Aus-                                                                                               demie, hätten wir ihnen die Schuhe an-       ner angesteckt. Ein Mann ist gestor-
nahmesituationen bewilligen, sagt er, er                                                                                              gezogen oder sie den Angehörigen ge-         ben, eine Frau liegt noch auf der Iso-
habe aber gar nicht beim Kanton nach-                                                                                                 geben. Es war ein belastendes Jahr. Das      lierstation; sie ist auf dem Weg der Bes-
fragen wollen. «Warum sollte der Kan-                                                                                                 Virus macht so viel Arbeit, da bleibt zu     serung. «Wenn wir jetzt eine Woche lang
tonsarzt diese Verantwortung tragen                                                                                                   wenig Zeit für die Menschen, für das ge-     keine neuen Fälle mehr haben», sagt der
müssen? Ich kenne die Situation, also                                                                                                 meinsame Leben. Belastend war auch,          Heimleiter, «ist die Ansteckungskette
muss ich entscheiden.»                                                                                                                dass mein Mann so viel Verantwor-            wahrscheinlich unterbrochen.»
                                                                                                                                      tung trägt. Als das Virus ausgebrochen           Eine Woche später verlässt die
Wieder Frühling: Angst bleibt                                                                                                         ist, waren wir alle so müde. Zum Glück       Patientin die Isolierstation. Aber noch
                                                                                                                                      konnte ich mich inzwischen doch imp-         können die Bewohner nicht in ihre alten
Herr Schwyn, 78, Bewohner: «Kürzlich                                                                                                  fen lassen. Sonst wäre alles noch kom-       Zimmer im Untergeschoss zurück und
ist eine Frau von meinem Stockwerk                                                                                                    plizierter.»                                 Daniel Gysin nicht in sein Büro. Es gibt
an Corona gestorben. Aber Angst habe                                                                                                      Es ist der 10. März 2021, und Daniel     zwei neue Verdachtsfälle. Die Angst
ich keine, ich bin ja jetzt geimpft, und     Die Isolierstation für Corona-Patienten im «Ruhesitz» bleibt bestehen.                   Gysin blickt einen Moment lang voller        bleibt im «Ruhesitz».
Kalkuliertes Risiko auf Skitouren dank einem - Schweizer Portal Kalkuliertes Risiko auf Skitouren dank einem - Schweizer Portal Kalkuliertes Risiko auf Skitouren dank einem - Schweizer Portal Kalkuliertes Risiko auf Skitouren dank einem - Schweizer Portal
Sie können auch lesen