Kann "besser" schlecht sein? - Sieben moraltheologisch-sozialethische Thesen zum Human Enhancement - Universität Regensburg

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Kann "besser" schlecht sein? - Sieben moraltheologisch-sozialethische Thesen zum Human Enhancement - Universität Regensburg
Kann “besser“ schlecht sein?

 Sieben moraltheologisch-sozialethische Thesen zum
              Human Enhancement
  „Wohin gehst Du, Mensch?“. Online-Kontaktstudium im SoSe 2021, Theologische Fakultät Fulda
 18.05.2021, Prof. Dr. Rupert Scheule, Fakultät für Katholische Theologie, Universität Regensburg

                                           R.M. Scheule 2021

Fall 1: Fabian, kleinwüchsig, aber gesund
                p   Die Eltern des achtjährigen Fabian „bitten
                    den Arzt darum, ihrem Sohn
                    Wachstumshormone zu verschreiben, damit
                    er schneller wachse. Der Arzt weist darauf
                    hin, dass die Gabe von Wachstumshormonen
                    nur dann angezeigt ist, wenn eine
                    Erkrankung mit Wachstumshormonmangel
                    vorliegt. Die Eltern ihrerseits weisen darauf
                    hin, dass sie beide kleinwüchsig sind und
                    deshalb in ihrem Leben schon viele
                    gesellschaftliche Nachteile erleiden mussten,
                    die sie ihrem Kind mithilfe der neuen
                    Behandlungsoptionen ersparen wollen“ (Maio
                    2012, 232)
                                            R.M. Scheule 2021

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Fall 2: Peter‘s face recognition system
          p   Imagine „someone who is tired of bumping into
              people he‘s met before and not being able to
              remember their names, or even be sure whether
              he‘s met them before. He has a special face-
              recognition system installed that works as follows.
              A tiny camera in this eyeglasses sends images
              wirelessly to a small computer in his pocket, which
              uses ... a daatbase of aquaintances and generate
              an audio signal of the name that is channeld
              directly to the brain via an interface with the
              auditory system, such that after several months of
              training up the system he no longer even notices
              the difference between cases in which he is
              prompted for the name of someone he meets and
              cases he recalls the name without assistance“
              (Anderson 2010, 261).
                                       R.M. Scheule 2021

Human Enhancement – Annäherungen
              p   Definition
                  n   Eingriff in die körperliche Integrität
                      (chirurgisch, chemisch, genetisch)
                  n   „wunscherfüllend“, ohne therapeutische
                      Zielsetzung oder Notwendigkeit
                  n   zur Ausweitung („enhancement“), Erhöhung,
                      Steigerung oder Verbesserung bestimmter
                      menschlicher Eigenschaften
                  n   integriert in eigene Identität
              p   Fragen
                  n   nach Mündigkeit und Legitimität des Wunsches
                  n   der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs
                  n   ...
                                       R.M. Scheule 2021

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Kann "besser" schlecht sein? - Sieben moraltheologisch-sozialethische Thesen zum Human Enhancement - Universität Regensburg
Human Enhancement – sieben Thesen
      p   1. Human Enhancement (in sensu definito) ist nichts Neues, es hat deutliche
          Spuren in unserer Kulturgeschichte
      p   2. Human Enhancement wirft Fragen nach der normativen Verfasstheit der
          jeweiligen Kultur und Gesellschaft auf – und wie sich der/die einzelne zu ihr stellt.
      p   3. Human Enhancement wegen unabsehbarer Folgen abzulehnen, ist möglich. Um
          ein knock-out-Argument handelt es sich dabei nicht.
      p   4. Human Enhancement inkorporiert soziale Ungleichheit. Darin liegt zumindest
          mittelfristig ein Gerechtigkeitsproblem.
      p   5. Human Enhancement ist kein isoliertes Phänomen. Es gehört ins
          Spannungsfeld von Autopraxis, Autopoiesis und Autonomie....
      p   6. Human Enhancement ist eine Versuchung zur autopoietischen
          Selbstabschließung und zur Invisibilisierung unserer Grenzen. Darin liegt sein
          ethisches Hauptproblem.
      p   7. Je mehr Human Enhancement, desto härter die verbleibenden Endlichkeits-
          und Grenzerfahrungen. In dieser Situation muss ein christliches “Lob der Grenze“
          hörbar bleiben.

                                         R.M. Scheule 2021

1. Nichts Neues ...
                                    p   Die These
                                         n    Human Enhancement (in sensu
                                              definito) ist nichts Neues, es hat
                                              deutliche Spuren in unserer
                                              Kulturgeschichte
                                    p   Menschlicher Schädel, künstlich
                                        deformiert nach ostgotischer
                                        Mode, Regensburg, 5.
                                        Jahrhundert
                                    p   ... wider den kulturkritischen Blick
                                        auf die Thematik ...
                                    p   Aber
                                         n    Frage nach normativer Verfasstheit
                                              einer Gesellschaft steht im Raum
                                         R.M. Scheule 2021

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Kann "besser" schlecht sein? - Sieben moraltheologisch-sozialethische Thesen zum Human Enhancement - Universität Regensburg
2. Fragen nach der normativen Verfasstheit
einer Gesellschaft
          p   Die These
              n   Human Enhancement wirft Fragen nach der
                  normativen Verfasstheit der jeweiligen Kultur und
                  Gesellschaft auf – und wie sich der/die einzelne zu
                  ihr stellt
          p   Autonomie?
              n   “Viele Menschen ‚wünschen‘ sich ästhetische
                  Eingriffe nicht aus eigener Vorliebe für ihr ‚neues‘
                  Aussehen, sondern weil sie einem gewissen
                  soziokulturellen Normierungsdruck nicht
                  standhalten können. Solche Patienten sind also
                  nicht die starken autonomen Menschen, auf die
                  sich viele Vertreter der ästhetischen Medizin in der
                  Begründung ihres Tuns beziehen, sondern eben
                  eher schwache Menschen“ (Maio 2012, 324)
                                R.M. Scheule 2021

2. Fragen nach der normativen Verfasstheit
einer Gesellschaft
              p "Nicht-reziprokes
                  Herrschaftsgefälle“ (Habermas
                  2001, 110)“
                  n   Spezialfall Enhancement durch
                      Keimbahneingriff: „Nach welchen Kriterien
                      sollen die Steigerungen einzelner
                      Eigenschaften eines Kindes erfolgen? Nach
                      den Idealvorstellungen seiner Eltern oder
                      den Erfordernissen der Gesellschaft?“ (Ernst
                      2021, 380)
                  n   Verstoß gegen Würde und Selbstbestimmung
                      des „enhanceden“ Menschen

                                R.M. Scheule 2021

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2. Fragen nach der normativen Verfasstheit
einer Gesellschaft

               p   Personalität – eine sozialethische Erinnerung
                    n   Nach dem obersten Grundsatz der katholischen
                        Soziallehre „muss der Mensch Träger, Schöpfer
                        und Ziel aller gesellschaftlichen Einrichtungen
                        sein“ (MM 219).
                    n   Statt der Forderung ans Individuum, den sozialen
                        Ordnungen gerecht zu werden, die Forderung an
                        die Ordnungen, dem Menschen gerecht zu werden!
                    n   Enhancement als Zurichtung des einzelnen für die
                        Gesellschaft – wider das Personalitätsprinzip?
               p   Und Fabian?

                                    R.M. Scheule 2021

3. Unabsehbare Folgen ...
          p   Die These
              n    Human Enhancement wegen unabsehbarer Folgen abzulehnen, ist
                   möglich. Um ein knock-out-Argument handelt es sich dabei nicht.
          p   Geringe Wirkung? Nebenwirkungen? Doppelwirkungen
              n    Hormontherapie bei kleinen Eltern von geringer Erfolgsaussicht
              n    Bessere Laufeigenschaften durch erhöhten Hämoglobinwert –
                   Trombosegefahr?
              n    Ausschaltung des Krebs-Gens TP 53 – vorzeitiger Alterungseffekt?
              n    Ist es immer gut, alle Namen aller Bekannten im Kopf zu haben?
          p   Risiken sind konstitutiv für komplexe Gesellschaften. Wie
              überall sonst müssen sie beim human enhancement klug
              abgewogen und nach Möglichkeit minimiert werden.
          p   Ein Agieren nach dem Vorsichtsprinzip (precautionary
              principle) bleibt geboten.

                                    R.M. Scheule 2021

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4. Enhancement und soziale Ungleichheit
               p   Die These
                    n   Human Enhancement inkorporiert soziale
                        Ungleichheit. Darin liegt zumindest mittelfristig ein
                        Gerechtigkeitsproblem.
               p   Enhancement ist teuer
                    n   Income Gap wird inkorporiert, führt zu
                        Wettbewerbsvorteilen (vgl. Böhme 2003) und
                        verstärkt so Income Gap
                    n   Die „abgehängten Naturwüchsigen“
               p   Enhancement für alle?
                    n   Zu vermuten ist, „dass mit der Verbreitung dieser Eingriffe
                        die Vorteile für den einzelnen wieder nivelliert werden“
                        (Ernst 2020, 385)
               p   Enhancement-Spirale als logische Folge der
                   Enhancement-Logik
                                   R.M. Scheule 2021

5. “Autopraxis“, Autopoiesis, Autonomie
          p   Die These
              n    Human Enhancement ist kein isoliertes Phänomen. Es
                   gehört ins Spannungsfeld von Autopraxis, Autopoiesis und
                   Autonomie....
          p   „Autopraxis“ (vgl. Brunkhorst 1999, 76f)
              n    Selbstzweckhaftes Handeln im Selbstausdruck
          p   Poiesis
              n    Zweckhafte Herstellung nach Wünschen
          p   Autopoiesis
              n    Selbstherstellung nach Wünschen
              n    Selbstreduktion auf Größe der Wünsche?
          p   Autonomie vonnöten!
              n    Apriorische Freiheit, die mich ins Verhältnis setzt zur
                   Autopoiesis
                                   R.M. Scheule 2021

                                                                                      6
Kann "besser" schlecht sein? - Sieben moraltheologisch-sozialethische Thesen zum Human Enhancement - Universität Regensburg
6. Human Enhancement und
autopoietische Selbstabschließung
                p   Die These
                     n   Human Enhancement ist eine Versuchung zur
                         autopoietischen Selbstabschließung und zur
                         Invisibilisierung unserer Grenzen. Darin liegt sein
                         ethisches Hauptproblem.
                p   Wo Selbstreflexion angesichts der Welt
                    ersetzt wird durch Selbstproduktion in der
                    Welt, droht die Gefahr einer incurvatio in me
                    ipsum.
                p   Ein Wachsen an der Welt (und an meinen
                    Grenzen) wird ersetzt durch ein Wachsen
                    durch Wunscherfüllung
                p   Invisibilisierung unserer Endlichkeit?
                p   Quis ut Deus?
                                    R.M. Scheule 2021

7. Lob der Grenze
           p   Die These
               n    Je mehr Human Enhancement, desto härter die
                    verbleibenden Endlichkeits- und Grenzerfahrungen. In
                    dieser Situation sollte ein christliches “Lob der Grenze“
                    hörbar bleiben.
           p   Grenzen werfen mich nicht notwendig auf mich selbst
               zurück
           p   Keine Begegnung ohne Grenze
           p   Christliche Grenzkultur
               n    Adventisches, keine futurisches Zeitverständnis: Zukunft der
                    Christen ist „Advent, Anbruch, Kommen, genauer das
                    Kommen des Reiches dessen, der im Gekreuzigten und
                    Auferstandenen gehandelt hat“ (Rich 1991, 124).
               n    ChristInnen verenden ihrer Hoffnung nach nicht an Grenzen
               n    An Grenzen kommt ihnen Gott entgegen (vgl. Ps. 59)
               n    Einladung an die Enhancement-süchtige Welt, Grenz, also
                    Begegnungserfahrungen zu machen
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Kann "besser" schlecht sein? - Sieben moraltheologisch-sozialethische Thesen zum Human Enhancement - Universität Regensburg
Nochmals die sieben Thesen
       p    1. Human Enhancement (in sensu definito) ist nichts Neues, es hat deutliche
            Spuren in unserer Kulturgeschichte
       p    2. Human Enhancement wirft Fragen nach der normativen Verfasstheit der
            jeweiligen Kultur und Gesellschaft auf – und wie sich der/die einzelne zu ihr stellt.
       p    3. Human Enhancement wegen unabsehbarer Folgen abzulehnen, ist möglich. Um
            ein knock-out-Argument handelt es sich dabei nicht.
       p    4. Human Enhancement inkorporiert soziale Ungleichheit. Darin liegt zumindest
            mittelfristig ein Gerechtigkeitsproblem.
       p    5. Human Enhancement ist kein isoliertes Phänomen. Es gehört ins
            Spannungsfeld von Autopraxis, Autopoiesis und Autonomie....
       p    6. Human Enhancement ist eine Versuchung zur autopoietischen
            Selbstabschließung und zur Invisibilisierung unserer Grenzen. Darin liegt sein
            ethisches Hauptproblem.
       p    7. Je mehr Human Enhancement, desto härter die verbleibenden Endlichkeits-
            und Grenzerfahrungen. In dieser Situation muss ein christliches “Lob der Grenze“
            hörbar bleiben.
                                           R.M. Scheule 2021

Literatur
             p   Anderson, Joel (2010): Neuro-Prosthetics, the Extended Mind
                 an Respect for Persons with Disability. In: Düwell, Marcus
                 (u.a.): The Contingent Nature of Life. Berlin u.a., 259-292.
             p   Brunkhorst, Frauke (1999): Hannah Arendt. München.
             p   Ernst, Stephan (2020): Am Anfang und am Ende des Lebens.
                 Grundfragen medizinischer Ethik. Freiburg/Br.
             p   Habermas, Jürgen (2001): Die Zukunft der menschlichen
                 Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik. Frankfurt/M.
             p   Maio, Giovanni (2012): Mittelpunkt Mensch. Ethik in der
                 Medizin. Stuttgart.
             p   Römelt, Josef (2021): Erfüllung im Diesseits. Wie
                 Gegenwartsutopien die christliche Heilsbotschaft
                 herausfordern. Freiburg/Br.
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Kann "besser" schlecht sein? - Sieben moraltheologisch-sozialethische Thesen zum Human Enhancement - Universität Regensburg Kann "besser" schlecht sein? - Sieben moraltheologisch-sozialethische Thesen zum Human Enhancement - Universität Regensburg
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