Kann eine künstliche Intelligenz unser politisches System ersetzen?
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Kann eine künstliche Intelligenz unser politisches System ersetzen?
Ja, das ist möglich. GAIA macht genau das. GAIA steht für Global Artificial Intelligent Ad- ministrator und ist eine künstliche Intelligenz, programmiert um unsere politisches System individueller, direkter, schneller und gerech- ter zu machen. Während wir heute politische Repräsentant_ innen wählen, müssen wir in Zukunft direkt in die Lösung unserer Probleme eingebunden werden. Während wir heute alle paar Jahre zur Wahlurne gebeten werden, brauchen wir in Zukunft Entscheidungen in Echtzeit. Die technischen Fortschritte – deep learning, selbstentwickelnde Algorithmen, und expo- nentielle Entwicklung der Rechenleistung – machen es möglich. Mit unserem digitalen Fußabdruck errechnet sie ein präzises Bild von unseren Interessen, Haltungen und Ethiken. Eine multidimen- sionale Stimme. GAIA berechnet aus den Stimmen aller Bürger_innen eine Lösung. Es ist ein System der direkten und permanenten Demokratie. Es ist eine ständige Volksabstim- mung. Eine multidimensionale Stimme be- deutet, dass wir nicht mehr „Ja“ oder „Nein“ stimmen. GAIA errechnet aus der Gesamt- heit aller Stimmen den besten Kompromiss.
GAIA — Global Artificial Intelligent Administrator Schriftlicher Teil der Diplomarbeit von Jakob Zerbes Sommersemester 2017 Universität für angewandte Kunst Wien Institut für Design Klasse für Grafik Design, Professer Oliver Kartak Betreuung: Univ.-Prof. Oliver Kartak Prof.in Mag.a Katharina Uschan Mag.a Sabine Dreher
Ich gehe durch Amsterdam. Mein Erasmus- Semester in Den Haag ist vorbei und ich habe noch zwei Wochen, die ich totschlagen muss, bevor ich die Reise nach Hause antrete. Es ist Juni und gefühlt der erste sonnige Tag, den ich in den Niederlande erlebe. Ich schlendere planlos durch die Massen an Reisegruppen und finde mich vor einem „English Bookshop“ wieder. Ich gehe hinein. Ein Ein-Euro-Wühl- tisch zieht meine Aufmerksamkeit auf sich, und ich entscheide mich für zwei Bücher: das eine ein Krimi – ich erinnere mich nicht genau, das andere ist Arthur C. Clarkes „City and the Stars“. Es wird noch einige Monate brauchen bis ich das Buch, das erste Mal auf- schlage und es mich in seinen Bann zieht.
Am Anfang steht die Idee. In „City and the Stars“ zeigt uns Arthur C. Clarke (> Science Ficti- Arthur C. Clarke, *1917 † 2008, on, Seite 28) eine Welt — Milliarden Jahre von heute entfernt. Diaspar, gehört zu den „Big Three“ der englischsprachigen Science so heißt die Stadt und gleichzeitig Maschine, in der die Menschheit Fiction-Literatur. Er gilt als Heimat gefunden hat. So lange schon, dass niemand mehr weiß wie Visionär neuer Techniken, die lange. Sie ist, so glauben die Bewohner_innen, der letzte Rückzugsort er nicht nur in seiner Literatur behandelte sondern auch in einer unwirtlich geworden Erde. Sie erfüllt ihren Bewohner_innen je- wissenschaftlichen Arbeiten den Wunsch. Es ist die volle –oder vielmehr– totale Automatisierung. abhandelete. Er beschrieb unter Wenn sie Hunger haben, „drucken“ sie sich ihre Lieblingsspeise in anderen geostationäre Satelli- ten als erster und rechnete sie 5-Sterne-Qualität, wenn ihnen langweilig ist, lassen sie sich in ela- durch. borierte Virtual Reality-Anwendungen auf gefahrlose Abenteuer ein. Ich lese die Seiten und bekomme ein flaues Gefühl im Magen. Die Menschen haben alles. Es geht ihnen gut und sie sind glücklich. Und trotzdem befremdet mich der Gedanke. Die Vorstellung irritiert mich, ich merke wie sich ein Widerstand in mir entwickelt, dessen rationalen Grund ich noch nicht erfassen kann (> Uncanny Valley, Seite 35). Er skizziert die totalen Entfremdung der Menschen von ihren Bedürfnis- sen und der Erfüllung ihrer Bedürfnisse und doch steht ein Weisen-Rat an der Spitze einer weitgehend postpolitischen und postideologischen Welt und wacht über die Gesellschaft und ahndet Missverhalten. Es gibt eine regierende Klasse in dieser voll-automatisierten Welt. Bereits 1956 spekuliert Clarke über eine Welt, in der die Versor- gung unserer Bedürfnisse von Maschinen erledigt wird, er spekuliert über selbsterhaltende Maschinen und künstliche Intelligenz (> Künst- liche Intelligenz, Seite 30), und noch wesentlicher: die Konsequenzen dieser technischen Errungenschaften auf die Gesellschaft. 60 Jahre später finden wir viele seiner Ideen in unseren realen Leben wieder. Welche kreative und interlektuelle Leistung dahinter steht, ist schwer zu beziffern, denn wohlgemerkt: Diese Visionen entstanden in einer Zeit, in der kommerzielle Computer schlechtere Taschenrechner waren. Es ist die Kraft der Spekulation (> Spekulatives Design, Seite 30), des Gedankenexperiments, die die Gesellschaft mit- geformt und Innovation vorangetrieben hat. Heute gibt es zahllose Beispiele für künstliche Intelligenzen in unserem Alltag, sie lernen und modifizieren ihr Verhalten selbst. Viele von ihnen studieren von uns. Sie versuchen zu verstehen, was uns als Individuum bewegt, um uns unsere Bedürfnisse zu erfüllen, oder –in Wahrheit viel öfter– um in uns Bedürfnisse zu wecken. Doch was se- hen sie, wenn sie uns studieren? Oder konkreter gefragt: wie nehmen sie uns wahr? 6
Ich trage mein Smartphone ständig bei mir. Die meisten von uns machen das. Ich google, ich kommuniziere, ich schaue Videos, selbst wenn ich Laufen gehe, will ich, dass mein Handy meine Strecke trackt. Und ich frage mich: welches Bild zeichnen die vielen Daten und Meta- daten (> Big Data, Seite 33) von mir. Das Cambridge Institute for Psycho- metrie beschäftigt sich mit der Frage. Sie lassen einen Algorithmus unser Like-Verhalten in eine Art Landkarte der Psyche verwandeln. Die Verbindung von diesen Parametern überlassen sie aber weitestge- hend Algorithmen. Diese Verbindung ist bereits gängige Praxis in der Werbung: als sich herausstellte, dass Donald Trumps Wahlkampfteam verwendete, wurde es breit und mit einer gewissen Empörung diskutiert. Dabei ist der Gedanke nicht neu: sogenanntes Targeted Marketing gibt es schon immer — oder sagen wir seit dem es Marketing gibt. Es werden –ohne auf die sexistischen Stereotypen eingehen zu wollen– andere Werbungen im Magazin „Woman“ geschalten, als im Magazin „GQ“. Neu ist der Grad der Automatisierung und dadurch die feinere Klinge in der Zusammensetzung der Gruppen. Aber wenn Maschinen uns schon so gut kennen, warum dann nicht den Spieß umdrehen? Warum füttern wir Datenkracken, wie Google und Konsorten, und nutzen sie nicht für uns? Ein Gedanke entwickelt sich in mir: Kann eine künstliche Intelligenz das politische System, wie wir es heute kennen, ablösen? Was würde das bedeuten? Bedeutet das die pure Bevormun- dung des Menschen durch die Maschine? Muss das das Ende der Demokratie bedeuten oder ist es ein Chance, den demokratischen Prozess zu revolutionieren? Ein Gedankenexperiment beginnt. 7
Auf den folgenden Seiten finden Sie die Rede in der Fassung vom 9. Juni 2017. Das eigentliche Werk entsteht, wie bereits be- schrieben, erst im Zuge der Diplompräsentation. Ich habe mich entschlossen sie trotzdem in diese Arbeit aufzunehmen. Wenn Sie die volle Erfahrung in der Präsentation machen wollen, rate ich Ihnen sie zu überspringen. 9
Guten Morgen! Mein Name ist Jakob Zerbes. Ich bin Sprecher des Projekts GAIA. Ich werde Ihnen heute erklären, wie eine künstliche Intelligenz das politische System, wie wir es kennen, ersetzt. Es drängt sich zu allererst die Frage auf: Wozu? Brauchen wir überhaupt ein neues System? Ja. Ich denke schon. Die Wahlbeteiligung sinkt von Wahl zu Wahl. Einige gehen nicht wählen, weil sie glauben, ihre Stimme geht sowieso in der Masse unter. Einige finden keine Partei, der sie zustim- men könnten. Für andere sind die politischen Fragen so komplex, dass sie das Gefühl haben keine richtige, oder gut informierte Wahl treffen zu können. Und wieder andere haben das Gefühl es ist egal entweder, weil alle Parteien unterm Strich nur Schattierungen desselben Pro- gramms haben, oder weil sie bemerkt haben, dass Wahlversprechen nur vor der Wahl gelten. Viele Menschen verstehen diese Kritik. Viele von Ihnen werden diese Kritik nachvollziehen können. Sie verstehen ein bisschen was von dem, und ein bisschen was von da, aber Sie gehen trotzdem wählen … weil es sich gehört, oder weil Sie bis jetzt keine Alternative zur Demokratie sehen, weil Sie sich mehr vor dem fürchten, was sonst kommen könnte. Das ist ein Problem: Ein großer Teil geht nicht mehr wählen, und ein großer Teil der Übrigen tut das nur weil es das kleinere Übel ist. Und ab einem gewissen Punkt stellt sich die Frage: Ist das noch Demokratie? Wenn 30% wählen gehen, bedeuten 15% eine Mehrheit. Wenn nur 10% wählen gehen, hat nur jeder 20ste eine Regierungspar- tei gewählt. Es reicht einer aus 20 um die Politik zu bestimmen. Ab welchem Punkt wird dieses System absurd? Ich werde Ihnen von einer Idee erzählen. Einer Idee, die unser Zusammenleben neu definiert. Einer Idee, die Sie, und uns alle, ins Zentrum setzt. Einer Idee, die technischen Fortschritt aufgreift und daraus eine stärkere, persönlichere und schnellere Demokratie schafft. Stellen Sie sich vor, dass sie bei jedem Problem mitbestimmen. Und es geht nicht um „dafür oder dagegen“, sondern darum eine dif- ferenzierte Meinung haben, ein „dafür, aber…“ oder ein „in manchen Fällen, wie zum Beispiel…“. 10
Stellen Sie sich vor alle können mitbestimmen und aus der Mas- sen an Meinungen, aus diesen vielen Ideen, finden wir eine Lösung, die allen gerecht wird. Stellen Sie sich vor es gibt keine Gleicheren unter den Gleichen. Es gibt keine Politiker und oder Politikerinnen, die sich auf „Die Leute“ berufen, denn die Meinung der Leute steht nicht mehr zur Interpreta- tion offen. Diese Vision bedeutet individuelle Repräsentation. Diese Vision bedeutet, dass unsere Werte im Zentrum stehen. Es geht nicht um Gewinnen und Verlieren. Es geht um echte Gleichheit. Kein Lobbying, keine politischen Eliten. Ich möchte Ihnen GAIA vorstellen: GAIA ist ein Akronym für „Global Artificial Intelligent Administra- tor“. Und wie die, die sich in der Schule mit Griechisch plagen muss- ten, sicher wissen: Gaia ist in der griechischen Mythologie die per- sonifizierte Erde, die Mutter und sie wurde als Erste aus dem Chaos geboren. Und bei GAIA geht es genau darum, dass Sie als Individuum, in all Ihren Schattierungen, mitbestimmen. Es geht darum einen gemeinsamen Weg, den bestmöglichen Kompromiss, zu finden. Und es geht darum, dass diese Entscheidungen gerecht, trans- parent und schnell getroffen werden. Das ist ein großes Versprechen. Aber ich gebe Ihnen diese Versprechen: GAIA ist die ultimative, individuelle Repräsentation. GAIA ist permanente Demokratie. GAIA ist Liquiddemocracy. GAIA ist die Weiterentwicklung der Menschlichkeit. Ja, also das wollte ich sagen. Haha, nein ich schulde Ihnen natürlich ein, zwei Erklärungen. Also, wie funktioniert das? 11
GAIA, basiert auf 3 Bausteine: 1. Persönlichen Daten 2. Künstliche Intelligenz 3. Rechenleistung Also erstens, die persönlichen Daten: Wir wissen, die Daten, die wir über uns sammeln sind in den letz- ten Jahren massiv gewachsen. Und mit massiv meine ich explosionsar- tig. Es sind so viele Daten über jeden von uns da, wie noch nie zu vor. Es stehen uns so viele Daten über Personen – alleine aus dem letzten Jahr – zur Verfügung, wie über den gesamten Rest der Geschichte. Das beginnt bei unseren klassischen statistischen Daten, den Steuerbescheiden und Kontoaktivitäten über Nachrichten, die wir ver- schicken, und auch jenen die wir nicht verschicken, bis hin zu unseren Bewegungsmuster und in letzter Zeit auch immer mehr zu Körperfunk- tionsdaten, wie unserem Puls oder unserer Atemfrequenz. Ich möchte Ihnen ein Beispiel bringen: Forscher vom Cambridge Institute for Psychometrie haben es geschafft einen Algorithmus, also eine definierte Abfolge von Regeln, zu entwickeln der durch die Verknüpfung deiner Gefällt-Mir-Angaben ein Psychogramm, also eine Art Landkarte deines Charakters, zu er- rechnen. Mit nur 50 Angaben, ob dir zum Beispiel die TV Show „How I met your mother“, oder das Kosmetikunternehmen „Mac“ gefällt, kann die Software sagen, ob du introvertiert oder extrovertiert, ob du sozial- oder konkurrenzorientiert bist, deine sexuelle Orientierung, und… Mit sehr viel weniger Daten, als uns zur Verfügung stehen, kön- nen sie also bereits sehr genaue Aussagen treffen und diese Software, also der Algorithmus, clustert diese Daten selbstständig. Es sitzt kein Mensch dahinter und sagt, wenn A dann B. Der Algorithmus setzt sie selbstständig in Zusammenhang, erkennt selbstständig Muster und errechnet damit persönliche Eigenschaften. Das ist eine Methode, die wir Deep Learning nennen. Das ist schon beeindruckend. Und es bringt uns zum zweiten Punkt: der künstlichen Intelligenz. Das ist was wir uns meist vorstellen, wenn wir über künstliche Intelligenz reden: Terminator. Matrix. HAL. Aber ich kann Sie beruhigen: GAIA ist was wir in der Fachter- minologie eine „schwache“ künstliche Intelligenz nennen. Ich mag 12
den Ausdruck „schwach“ nicht, denn die Aufgabe, die GAIA erfüllt ist durchaus groß. Aber bleiben wir beim Fachausdruck: Schwach bedeutet, dass sie dafür programmiert wurde selbstständig zu ler- nen, und Entscheidungen zu treffen. Also, ein spezifisches Problem zu lösen. Sie ist nicht dafür programmiert worden ein Bewusstsein zu entwickeln, GAIA hat auch keine körperliche Gestalt. Die Angst vor einer Superintelligenz, die den Menschen unterwirft ist also ausge- schlossen. (Ein Algorithmus-Diagramm ist auf der Leinwand projeziert.) Das ist also der Algorithmus,… und das ist der Punkt wo ich end- lich erkläre, wie das Ganze funktioniert: Wir beginnen hier: mit unseren persönlichen Daten. GAIA nimmt sie und errechnet präzise unsere ganz persönlichen Eigen- schaften, unsere persönlichen Haltungen und unsere politischen Werte – sie errechnet etwas das wir deine „multidimensionale Stim- me“ nennen. Mit „multidimensionalen Stimmen“ von allen Bürgern und Bürgerinnen errechnet sie einen Konsens oder zumindest den besten Kompromiss. Es ist also keine Frage von zwei gegensätzlichen Positionen mehr. Es ist keine Frage des kleinere Übels mehr. Deine Stimme steht für alles was du wirklich willst und schließt deine Zweit-, Drittwahl, Viertwahl… ein. Sie entwickelt Lösungen aufgrund des Votums, und stellt nicht nur Optionen zur Wahl. Der Clou ist: Sie macht das für uns alle – und zwar immer und gleichzeitig. Sie erschafft eine permanente Demokratie. Es ist ein ständiges Referendum, ein ständiger Volksentscheid mit 100% Wahlbeteiligung, ohne die Kosten und den Zeitaufwand. GAIA bedeutet: Keine Politiker. Keine Korruption. Oder positiv formuliert: GAIA bedeutet: Demokratische Ent- scheidungen in Echtzeit. Wir haben in der Geschichte gelernt, dass es Grundsätze braucht. Wir können keine Mehrheiten über Minderheiten entschei- den lassen. Wir brauchen einen Schutz des Individuums. Wir haben das mit Verfassungen und den Menschenrechten gelöst. Wir könnten jetzt diese Grundgesetze implementieren. Nur stellt uns das vor ein anderes Problem: Wir würden die ethischen Vorstellungen von heute 13
in Stein hauen, und keine Bewegung – gerade zum Besseren– zulas- sen, und Probleme, an die wir bis heute noch nicht gedacht haben bzw. die einfach nicht da waren, bleiben unbeantwortet. Das Prob- lem, das es zu lösen gilt ist also: Wir brauchen ein Grundgesetz das generell genug ist, um Bewegung zuzulassen, und spezifisch genug, um Schutz zu bieten. „GAIA darf die Menschheit nicht verletzen oder durch Passivität zulassen, dass die Menschheit zu Schaden kommt.“ Es ist eine Abwandlung des 0. Robotergesetzes, das Isaac Asi- mov für das Buch „I, Robot“ entwickelt hat. Es schützt in seiner inne- ren Logik jeden Menschen und durch den Passus „durch Passivität zulassen“ auch jeden Menschen vor anderen Menschen. Und hat auch noch einen anderen, wesentlichen Vorteil: Es schützt die Menschheit davor, sich durch kurzsichtige, fehlinformierte oder einfach dumme Entscheidungen selbst auszulöschen. GAIA hat Zugang zu allen, das heißt auch wissenschaftlichen, Daten: Sie würde keine Millisekunde am menschengemachten Klimawandel zweifeln. Der Deal ist: wir tauschen persönliche Daten für eine Demo- kratie, die eine ultimative, individuelle Repräsentation bedeutet, die permanente Mitbestimmung bedeutet, in der Entscheidungen fließend getroffen werden und die uns Schutz – individuell und kollek- tiv – bietet. Ja. Wir müssen unser persönliche Daten teilen. Ich möchte sie aber daran erinnern, dass dies ein Algorithmus ist der keine persönli- chen Interessen hat, der keine andere Agenda verfolgt als den Men- schen zu dienen. Warum gibt es GAIA dann noch nicht? Und damit kommen wir zum dritten Punkt: die Rechenleistung. Wir haben über die verfügbaren Daten gesprochen, wir haben uns mit künstlichen Intelligenzen beschäftigt, und wir haben den zugrunde liegenden Algorithmus durchge- dacht. Das Problem ist: dieser braucht Rechenkapazität. Das Glück ist: Die Rechenleistung wächst schnell. Und wenn diese drei Faktoren, personenbezogene Daten, die Effizienz der künstliche Intelligenz und Rechenleistung gemeinsam eine Schwelle erreichen – Sie sehen sie hier auf dem Screen – dann kann GAIA die Arbeit aufnehmen. Wir können den Zeitpunkt berechnen: Es ist der 20. Juni 2018, 9:38. 14
Genau heute in einem Jahr ist es soweit. Um GAIA möglichst schnell zu starten, beginnen wird heute mit dem Opting-I n. Sie ha- ben ab heute die Möglichkeit sich online anzumelden: und zu sagen: Ja, wir brauchen GAIA. Am Anfang habe ich Sie gefragt: „Wann ist der kritische Punkt erreicht an dem unser derzeitiges System absurd wird?“. Jetzt verhält es sich genau andersrum: Wir müssen die kritische Masse erreichen, damit die ultimative, individuelle Repräsentation, permanente Demo- kratie und fließende Demokratie Realität wird. Wenn wir uns eine Stufe weiterbringen und den demokratischen Prozess auf eine neues Level bringen wollen, müssen wir GAIA umsetzen. Denn aus Erfahrung wisse wir politische Eliten schaffen sich nicht selbst ab. Melden Sie sich an, erzählen Sie ihren Freunden, ihren Nachbarn ihrer Familie davon. Damit es das letztes Mal heißt: wir brauchen 50%, plus eine Stimme. 15
Die Werkbeschreibung Inhalt GAIA ist ein Akronym für Global Artificial Intelligent Administ- rator. Sie ist ein künstlicher Intelligenz-Algorithmus, der auf der An- nahme basiert, dass wir durch unseren digitalen Fussabdruck und der Menge an Daten, die über jeden von uns zur Verfügung stehen, ein klares Meinungsbild von jeden von uns errechnen können. Die Be- hauptung, sie kenne uns besser als wir uns selbst kennen, ist zulässig: wir alle haben uns die Frage „Wer bin ich eigentlich?“ schon öfter als einmal gestellt. Der Algorithmus ist –im Gegensatz zu uns– nicht bia- sed, durch soziale Konventionen, durch Erwartungen oder auch nur durch Wünsche, wie wir gerne wären. Diese Meinungsbild nennen wir „multidimensionale Stimme“, da sie nicht, wie unser politisches System heute eindimensional (also A oder B) bzw. stufenweise 2-di- mensional (also zum Beispiel: SPÖ, Grüne, NEOS, ÖVP (oder Neue Volkspartei), FPÖ), sondern in n-Dimensionen, also n-Schattierungen, unsere Meinung abbildet. Ein Wahlgang wird damit unnötig. Das ist nicht nur praktisch, sondern (und viel wichtiger) bietet eine individuel- lere Repräsentation als jemals zuvor. Es bietet die ultimative individu- elle Repräsentation. Diese Stimmen vergleicht GAIA in Echtzeit. Sie errechnet einen Konsens oder – wenn die Meinungen zu diametral auseinanderge- hen – den besten und fairsten Kompromiss. Es ist als hätten wir eine ständige Volksabstimmung. Es ist direkte Demokratie in Echtzeit. Nur ohne Kosten und Aufwand und wohl die angenehmste Vorstellung ohne Wahlkampf. Die technische Entwicklung erlaubt uns also eine Hyperdemokratie. Wir haben in der Geschichte gelernt, dass es Grundsätze braucht. Wir können keine Mehrheiten über Minderheiten entschei- den lassen. Wir brauchen einen Schutz des Individuums. Wir haben das mit Verfassungen und den Menschenrechten gelöst. Wir könnten jetzt diese Grundgesetze implementieren. Nur stellt uns das vor ein anderes Problem: wir würden die ethischen Vorstellungen von heute in Stein hauen, und keine Bewegung – gerade zum Besseren– zulas- 16
sen, und Probleme, an die wir bis heute noch nicht gedacht haben bzw. die einfach nicht da waren, bleiben unbeantwortet. Das Prob- lem, das es zu lösen gilt ist also: Wir brauchen eine Grundgesetz das generell genug ist, um Bewegung zuzulassen, und spezifisch genug, um Schutz zu bieten. „GAIA darf die Menschheit nicht verletzen oder durch Passivität zulassen, dass die Menschheit zu Schaden kommt.“ Es ist ein Abwandlung des 0. Robotergesetzes, das Isaac Asimov für das Buch „I, Robot“ entwickelt hat. Es schützt in seiner inneren Lo- gik jeden Menschen und durch den Passus „durch Passivität zulassen“ auch jeden Menschen vor anderen Menschen. Und hat auch noch einen anderen, wesentlichen Vorteil: Es schützt die Menschheit davor, sich durch kurzsichtige, fehlinformierte (oder einfach dumme) Entscheidungen selbst auszulöschen. GAIA hat Zugang zu allen (das heißt auch wissenschaftlichen) Daten: sie würde keine Millisekunde an den menschengemachten Klimawandel zwei- feln. Name In der griechischen Mythologie ist Gaia die personifizierte Erde. Sie ist die Mutter Erde und entstand als eine der ersten Gottheiten aus dem Chaos. Das Motiv der Mutter, die es oft tatsächlich besser weiß, passt hier perfekt. Ein Kind, das kein Eis bekommt, freut sich über diese Entscheidung nicht, doch wird später im Leben erkennen, dass dies zum eigenen besten Interesse passiert ist. GAIA ist aus dem Cha- os entstanden. Ein Analogie, deren Dramatik der Vision entspricht. Medium Die Arbeit entsteht in seiner finalen Ausformung erst in der Dip- lompräsentation. Es ist eine Performance: Der Botschafter des Projekt GAIA , ich, stellt ein revolutionäres System vor. Ein System, das die 17
Politik, wie wir sie kennen ersetzt und dem demokratischen Prozess auf ein neues Level der Mitbestimmung hebt. Das Ziel eine Idee zu transportieren, verständlich und an- schaulich zu machen stellte mich vor das Problem, ein Medium zu finden in dem diese Kommunikation funktioniert. Ich überlegte mir Hilfskonstruktionen, überlegte, ob eine Bewerbungswebsite diesen Effekt haben kann, und stellte fest, dass alle diese Formen für den komplexen Gedanken, beziehungsweise einen Gedanken mit seinen komplexen Implikationen nicht funktionieren. Wenn ich möchte, dass die Betrachter meines Werkes die vielen Ebenen verstehen, muss ich das Rauschen durch das Medium ausschalten, zum Kern der Idee kommen und mit einer der ältesten, gestalteten Formen der Kommu- nikation gehen: Die Idee erklären.Die Präsentation ist formal ange- lehnt an TEDTalks. Die Organisation TED definiert ihr Ziel so: „Our Mission: Spread ideas. TED is a global community, welcoming people from every discipline and culture who seek a deeper understanding of the world. We believe passionately in the power of ideas to change attitudes, lives and, ultimately, the world. On TED.com, we‘re building a clearinghouse of free knowledge from the world‘s most inspired thinkers — and a community of curious souls to engage with ideas and each other, both online and at TED and TEDx events around the world, all year long.“1 Und unter all diesen Superlativen befindet sich der Kern: es geht darum Ideen zu transportieren. Bühne Die Bühne ist im Gesamten zurückhaltend. Der Hintergrund ist schwarz und aus drei Modulen aufgebaut. Das zentrale Modul fungiert auch als Leinwand. Selbst die Projektionsfläche ist schwarz und wird nur in einigen wenigen Situationen genutzt. Durch die Wahl einer schwarzen Projektionsfolie mit Rückprojektion besteht keine Gefahr, dass ich als Präsentierender im Bild stehe. Die modulare Bauweise hat auch den praktischen Hintergrund, der schnellen Abbaubarkeit für die weiteren Diplompräsentationen. Durch einen farblich abgegrenzten Bereich entsteht die eigent- liche Bühne. Die Bühne ist nicht erhöht. Ich stehe mitten unter Ihnen und lieferte auch gleich die Metapher für das Bild, das ich vermitteln möchte. Man begegnet sich auf Augenhöhe. Die Zuseher_innen wer- den um diese Bühne nicht klassisch frontal, sondern in einem Halb- kreis gesetzt. Das erhöht die gefühlte Verletzlichkeit des Präsentieren- den. Es hat den Zweck, ihn menschlicher und damit anschlussfähiger 1 https://www.ted.com/about/our-organization, Abgefragt am 7. Juni 2017 18
zu machen. Bühnenfluter leuchten die gesamte Bühne aus. Ein Verfolger- licht habe ich angedacht, jedoch scheint es einerseits angesichts der Größe der Bühne übertrieben, andererseits sollte die Bühne das Gefühl von Transparenz und Ehrlichkeit ausstrahlen, was durch die Vollausleuchtung erreicht wird. Die unaufgeregte Bühne hat einen Grund: Der Fokus liegt auf dem gesprochenen Wort. Jede Ablenkung ist unerwünscht. Slides Auch die Slides funktionieren nach dem Prinzip der minimalen Ablenkung. Wenn Slides zu bestimmten Abschnitten gezeigt werden, so haben sie entweder einen „teasenden“, erinnernden oder auch humoristischen Zweck. Der Mensch tendiert dazu, Schrift, die vor ihm ist zu lesen. Wären zuviele Worte darauf, oder würden sie verraten, was noch nicht gesagt wurde, muss der Präsentierende immer in Kon- kurrenz um die Aufmerksamkeit mit der Projektion stehen und nimmt sich selbst die Chance überraschend zu sein. Ein trockener Satz kann mit einem juxtaposierenden Bild in der Präsentation durchaus humorvoll sein. Lachen verbindet. Und das ist kein Werbe-Slogan, sondern anerkannte Neurowissenschaft. Vortrag Chris Anderson, der Chef von TED, behauptet ein guter Vortrag braucht zuallererst eines: Eine Idee, die es Wert ist erzählt zu werden. Den erste Schritt habe ich also abgeschlossen. Der zweite Schritt ist, ein Kernaussage zu finden: ein Unterfan- gen, das mir weniger einfach gefallen ist. Was ist die Hauptaussage? Die Idee hatte in meinen Kopf sehr viel Ebenen, denen ich nur schwer und ungern eine Hierachie geben wollte. Will ich mit meinem Vorschlag die heutige Demokratie kritisie- ren und Schwächen aufzeigen? Ist die Vorstellung, dass ein Algorith- mus uns besser kennen könnte als wir selbst der spannendste Gedan- ke? Ist es die Vision der Welt in der Zukunft? … 19
Ich tendiere dazu Dinge, zu „verkopfen“ und komplexe Details in den Mittelpunkt zu stellen (weil sie mich faszinieren) und nach einem langen, inneren Konflikt kam ich zu einer simplen, aber wie ich finde, prägnanten Kernaussage: „Ich erkläre Ihnen heute wie eine künstliche Intelligenz das politische System ersetzen kann.“ Es überdramatisiert nicht, verrät die Idee nicht so weit, dass es sich nicht mehr lohnen würde sie weiter anzuhören, ist überraschend genug, um Interesse zu wecken. Ein Vortrag braucht eine Erzählung. Und eine Erzählung braucht Struktur, eine logische Abfolge von Argumenten. Sie braucht aber auch einen dramatischen Bogen und sie braucht Emotionalität. Und auch hier ist mir meine Verkopftheit zum Verhängnis gewor- den und kostete mich mehrere Anläufe und Neustarts. Der Erstentwurf war sehr technisch, ich bin auf viele Details eingegangen, die ich mir gedanklich durchgespielt habe. Ich war aufgeregt beim Schreiben und war froh, all meine schweren Gedanken der Welt zugänglich zu machen. Ich ließ den Text eine Nacht liegen und musste mit Bedauern am nächsten Tag feststellen: der Text war vor allem eines – langweilig. Ich erkannte, warum die Absätze sich für mich logisch verbunden hat- ten, jedoch musste ich einsehen, dass meine Sprunghaftigkeit keinen anderen erlauben würde, ein Erzählung zu erkennen. Also versuchte ich einen anderen Ansatz: ich versuchte mir vorzustellen, dass ich die Idee einem 12 Jährigen erzähle. Es war ein umso größere Kampf. Umso enttäuschender die Erkenntnis, dass ich es wohl zu gut gemeint hatte. Jede_r im Raum würde glauben, ich hielte ihn_sie für einen Idioten. Ich tastete mich langsam heran und musste feststellen, dass ich auch die Themen ins Zentrum stellen muss für die ich brenne, und nicht nur jene, bei denen ich glaube, sie würden allgemein als interessant gelten. Ich habe gelernt, dass die Authentizität des Gesagten wichtiger ist, oder zumindest ebenbürtig zur Qualität an Argumenten. Knapp gesagt: bin ich begeistert, sind sie begeistert. Ich halte mich für einen humorvollen Menschen, ich mache ger- ne Witze, und oft auch sehr platte. Umso härter war es zu bemerken, dass der geskriptete Witz extrem schwierig zu landen ist. Und das, 20
obwohl ich in meinen Leben genug Live-Sendungen gesehen, habe in denen die Moderator_innen mit Witzen abgestürzt sind. Ich habe die Präsentation vorgeschrieben und einstudiert. Je- doch verspreche ich, dass kein Satz, den ich auf der Bühne sage, eins zu eins in meinen Skript steht. Ich rede frei – aber nach meinem Skript. Es gibt mir das Vertrauen nichts zu vergessen und in Notsituationen zum geschriebenen Wort zurück zu kehren. 21
Das Ziel Die technische Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Innovation ist ein Teil dessen, was uns zu Menschen macht. Eine konservative oder reaktionäre Haltung ist nicht haltbar. Wer sagt, dass früher alles besser war, lügt. Wer glaubt, dass wir zu einen früheren Zeitpunkt zurück können, belügt sich selbst. Wissenschaftlichen Fortschritt abzulehnen, hieße keine Anti- biotika. Oder Photovoltaik. Blind der Technik zu verfallen funktioniert allerdings auch nicht: wir haben Jahrzehnte Verbrennungsmotoren eingesetzt, das Resultat ist der Klimawandel. Forschung bedingt auch immer ein gewisses Risiko. Einstein hatte mit seiner Forschung um die Relativitätstheorie sicher nicht den Grundstein für Atombomben legen wollen. Das Problem ist jedoch: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“ — Möbius in „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt2 Die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse können an sich nicht falsch, oder böse sein. Sowie ein Stein nicht böse sein kann, auch wenn er als Waffe eingesetzt wurde. Es bedarf der Menschen um es in eine Waffe zu verwandeln. Jetzt gibt es natürlich nicht nur den Stein. Wenn wir beispiels- weise eine Handfeuerwaffe anschauen, liegen die Dinge nicht mehr so klar: der inhärente Zweck des Objekts ist die Ausübung von Ge- walt. Allerdings ist eine Waffe in der Hand eines Polizisten weniger be- drohlich, als in der Hand eines 3-Jährigen. Wir haben gut daran getan, strenge Regeln für den Erwerb einer Solchen zu sorgen. Wir sind also nicht per se die Opfer des technologischen Fort- schritts, wir können uns Regeln geben, und diese durchsetzen. Aber in einer neoliberal beschleunigten Welt bleibt die Entwicklung einer Ethik immer wieder auf der Strecke zurück. Einfach formuliert: Nicht alles was möglich ist, sollte auch gemacht werden. Die Definition von dem, was nicht gemacht werden sollte, bleiben wir uns allerdings selbst oft schuldig. Zusätzlich ändert sich gleichzeitig unsere –ich meine damit die hegemoniale– innere Haltung und Ethik mit dem technischen Fortschritt. Wir bekämen mit Sicherheit andere Ant- worten, fragten wir heute oder vor 30 Jahren, welche Einschnitte in 2 Friedrich Dürrenmatt: „Die Physiker“ (1998), Auflage: 44., Diogenes Verlag 22
unsere Privatsphäre zulässig sind um Terrorismus zu bekämpfen, und diese Unterschiedlichkeit kann nicht an der Zahl des Terroranschläge Terrrorismus in Europa ist auf liegen, schließlich gab es im Europa der 1980iger Jahre bei weitem dem niedrigsten Level der Nachkriegsgeschichte. mehr Terrorismustote. Neue Technologien ergeben Fragen, die so vorher noch nicht gestellt wurden. So stellt sich die Frage der Täterschaft: Kann man Autor_innen eines Algorithmus zur Verantwortung ziehen? „Now, I am become Death, the destroyer of worlds.“, sagte Julius Robert Oppenheimer, geläutert nach den Bombardements von Hiroshima und Nagasaki. Er war wissenschaftlicher Leiter des Manhat- tan-Projekts und gilt damit als Vater der Atombombe. Doch wer ist dafür verantwortlich? Können wir sagen es waren die Entwickler_innen, die Pilot_innen, ihre Befehlsgeber_innen, nicht zuletzt der Präsident selbst? Trägt eine Gesellschaft Mitschuld, wenn sie ihre politischen Eliten nicht an solchen Unternehmungen hindert? Wir leben „postprivat“ und stellen Daten zur Verfügung, die an- dere kapitalisieren, und das oft ohne, dass wir es wissen, geschweige denn eine persönliche, ethische Haltung dazu entwickelt zu haben — und noch weniger eine gemeinsame. Künstliche Intelligenzen entwickeln sich rasant und haben ihren Weg aus den Labors in unseren Alltag gefunden; ermöglicht nicht nur durch effizientere Algorithmen, sondern auch durch einen unglaubli- chen Anstieg und gleichzeitigen Preisfalls der Rechenleistung. Das Problem ist allerdings nicht nur die Beschleunigung, son- dern auch die Komplexität der Frage. Ist ein Pulsmesser in unserer Uhr eine obskure Entartung eines Selbstvermessungszwangs oder kann sie uns auf Arrhythmien hinweisen und zu einer frühzeitigen und des- wegen effizienten Therapie führen? Nach welchen Maximen bewer- ten wir unsere Privatsphäre in diesen Zeiten? Wir haben noch keinen moralischen Kompass für diese Fragen entwickelt und bevor wir diese Fragen aussortiert haben, setzen neue Entwicklungen einen drauf und meißeln alles davor gewesen in Stein. Paul Virillio erklärt in dem Buch „Geschwindigkeit und Politik. Paul Virilio, *1932, ist ein franzö- Ein Essay zur Dromologie.“3, das die Beschleunigung im 20. Jahrhun- sischer Philosoph und Kritiker der Mediengesellschaft. Virilio dert das verhängnisvollste Phänomen sei, und erkennt einen parado- ist vor allem als Simulations-, xen Effekt der Selbstblockade. Er nennt es den Dromologischen Still- Virtualitäts- und Geschwin- stand. In etwa bedeutet es das: In Österreich gibt es beinahe pro Kopf digkeitstheoretiker sowie als Begründer der Dromologie ein Auto. Das Auto hat den Zweck unser Leben zu beschleunigen, uns bekannt. mobiler zu machen. Wir stehen am Ende jedoch im Stau. Wir haben 3 Paul Virillio: „Geschwindigkeit und Politk. Ein Essay zur Dromologie“, (2008), Merve Verlag Berlin 23
die Entwicklung also nicht zu Ende gedacht, haben uns aber gleich- zeitig eine Vision der Freiheit durch individuelle Mobilität verkaufen lassen und das Auto gleich dazu. Akzelerationismus Nick Srnicek und Alex Williams sehen in dem Buch „Inventing in the Future. Postcapitalism and a World without Work“4 auch eine Chance den Kapitalismus mit seinen eigenen Mittel zu schlagen, und seinen Zusammenbruch herbeizuführen. Sie kritisieren, dass der Zugang der politischen Linken sich beinahe hegemonial auf „Grassroot“-Bewegung verknappt. Fortschritt und technische Weiter- entwicklung werden dem Neoliberalismus überlassen. Da es keinen Widerspruch gibt, scheint jede Veränderung unmöglich. Es braucht allerdings eine Gegenerzählung, eine Utopie. Modernisierungsverlierer_innen werden ihren Job nicht be- halten, weil sie Technologie ablehnen. Eine Erzählung einer Welt von damals ist weder glaubwürdig noch einer linken Erzählung würdig. Doch auch abseits der Analyse in linken Manifesten läuft etwas falsch. Unsere Gesetzgebung läuft der technischen Entwicklung hinterher. Vieles ist erlaubt, hauptsächlich aus Mangel einer Regelung. Spekulation ist also keine Freizeitbeschäftigung. Es ist die einzige Möglichkeit, nicht vor der technischen Entwicklung hergetrieben zu werden, und zum Betrachter des eigenen Schicksals zu werden. Es gibt und die Möglichkeit auf Entwicklungen frühzeitig zu reagieren, eine Haltung zu entwicklen und sie die Zukunft zu formen. Spekulati- on, auch in literarischer Form, war schon immer Impulsgeber. Was ist also mein Ziel? Ich formulierte also eine mögliche Zukunft unseres politischen Systems, unser gesellschaftlichen Miteinanders. Eine Vision, die be- fremdlich ist. Sie ist für die meisten sogar mehr als das: sie ist beklem- mend. Der Gedanke, unsere Stimme einem Computer zu überlassen, einem Algorithmus vertrauen zu müssen, stößt auf einen inneren Wi- derstand. Wenn ich mein Projekt mit Freund_innen diskutierte, haben 4 Vgl. Nick Srnicek, Alex Williams: „Inventing in the Future. Postcapitalism and a World without Work“, (2015), Verve 24
einige gereizt reagiert: als wäre der bloße Gedanke ein Affront gegen ihre Persönlichkeit. Und sie haben zu einem gewissen Grad recht: wenn wir weiter unsere Arbeit automatisieren, was ja zwangsläufig eine weitere Entfremdung unserer Bedürfnisse von ihrer Erfüllung ist, wenn wir unser politisches Bewusstsein an ein System abgeben, das so totalitär demokratisch ist, das Widerstand gegen jenes eine Ableh- nung der Demokratie an sich bedeuten würde, was macht uns dann noch menschlich? Was bleibt vom Menschsein übrig? Es ist also eine Provokation, in dem Sinne, dass es eine Haltung in den Zuhörer_innen provozieren soll. Ich vertrete die Meinung, dass der Fortschritt nicht aufzuhalten ist. Wir können nicht die Augen vor der Technologie verschließen, weil sie unheimlich ist. Meine Idee ist nicht absurd, sie ist denkmöglich. Das ist wichtig und essentiell für die Arbeit. Sie muss sich im Spannungsfeld zwischen Realität und Fiktion befinden. Oder wie es Benjamin Bratton in einen Interview mit dem Dis Benjamin H. Bratton (*1968), Magazine formuliert: „For the first, we are uncertain whether the ist Soziologe, Architekt, Design Theoretiker und Professor of project is “real” (did it happen, is it really being proposed to happen, Visual Arts at the University of are these prototypes functional, are those images composites, etc.?) California, San Diego und Direc- It may be clear to us, the viewers/respondents/users of the work, that tor of The Center for Design and Geopolitics think-tank at Calit2. this uncertainty is deliberate and that our interpretation depends on thinking it through. Ideally, if as we examine the work more carefully we are yet even less sure how “real” the work is (even unsure of the designer’s own intentions), then it is possible that instructive fault-lines between common sense and emergent reason can be discerned.”5 (Zu erst müssen wir unsicher sein, ob die Arbeit „real“ ist (Ist es passiert? Ist es ein ernstgemeinenter Vorschlag? Sind die Prototypen funktionstüchtig, usw.). Es mag für uns, die Betrachter/Benutzer der Arbeit, klar sein, dass diese Unsicherheit beabsichtigt ist und das un- sere Interpretation davon abhängt, dass wir es durchdenken. Im Ide- alfall, wenn wir unsicherer werden wie „real“ die Arbeit ist, je genauer wir sie studieren (und uns unklar über die Intentionen des Designers sind), dann ist es möglich, die aufschlussreiche Bruchlinie zwischen Alltagsverstand und aufkommenden Verstand zu unterscheiden.) Und ebenda findet man auch eine zweite These über die Stärke einer spekulativen Arbeit: „If we are taken aback by the strength of the design proposal, and are certain that should this project be realized it would have dramatic, significant effect, but are also uncertain whether doing so would be the best thing or the worst thing in the world (and more unsure the more we consider the project), then it is more likely 5 http://dismagazine.com/discussion/81971/on-speculative-design-benja- min-h-bratton/, Abgefragt am 6. Juni 2017 25
that there are original and serious insights be gleaned from the rese- arch.“6 (Wenn wir verblüfft von der Stärke eines Projektes sind, und uns sicher sind, dass – sollte das Projekt realisiert werden – es einen dramatischen und signifikanten Effekt hätte; und wir uns unsicher sind (und immer unsicherer werden je genauer wir das Projekt betrachten), ob es das Beste oder das Schlimmste ist, was der Welt passieren kann, dann ist es wahrscheinlich, das hier originäre und wichtige Erkenntnis- se die im Research gesammelt wurden.) Wenn ich es schaffe, dass der_die Zuhörer_in sich die Frage stellt, ob GAIA das Beste oder das Schlimmste ist, was der Menschheit passieren kann, bedeutet das, dass er_sie über alle Implikationen ,die diese Konzept in sich trägt, nachdenkt. Fragen, wie „Was macht uns Menschen aus?“, „Was bedeutet der Aufstieg von künstlichen Intel- ligenzen für uns?“, „Sind wir schon postprivat oder können wir hier noch mitbestimmen?“ drängen sich auf. Wenn sich die Betrachter_in- nen mit diesen Fragen auseinandersetzen, ist das der erste Schritt um eine Haltung zu entwickeln und eine Haltung zu diesen Themen wird in naher Zukunft immer mehr an Relevanz gewinnen. Wenn sich die Betrachter_innen sich mit diesen Fragen ausein- andersetzen, empfinde ich meine Arbeit als erfolgreich. 6 http://dismagazine.com/discussion/81971/on-speculative-design-benja- min-h-bratton/, Abgefragt am 6. Juni 2017 26
Science Fiction Science Fiction ist nicht Fantasy. Doch was ist Science Fiction? Wie bei jedem Genre lassen sich Grenzen nur schwer ziehen; was für den Großteil stimmt muss, im Einzelnen nicht wahr sein. Nichtsdesto- trotz lassen sich Muster beschreiben, die eine gewisse Abgrenzung erlauben. Science Fiction beschäftigt sich mit der Frage: Was wäre wenn. Es ist ein großes Gedankenexperiment. Es untersucht die möglichen Konsequenzen von wissenschaft- lich (oft auch technischen) Entwicklungen und Innovationen. Über- natürlichkeit hat in diesen Konzept keinen Platz. Es geht um Logik: es ist ein geschlossenes System, das um eine Prämisse gesponnen wird. Inkonsequenz ist in diesem System tödlich; der berühmte „Deus Ex Machina“ ist kein adäquates Mittel; ein Bruch mit der inneren Logik vertreibt den_der Leser_in. Die erzählte Geschichte fungiert oft als Vehikel, um die Idee in allen ihren Facetten durchzuspielen. Die Erklärung muss wissenschaftlicher Natur sein - zwar ist es zulässig und manchmal sogar Kern der Idee, einzelne wissenschaft- lichen Dogmen zu modifizieren (als Teil des „Was wäre wenn“), aber dies muss klar deklariert sein. Es muss für den_die Leser_in nachvoll- ziehbar sein. Im Gegenzug spielt in der Fantasy-Literatur das Übernatürliche, das Märchenhafte eine große Rolle. Wenn es Trolle gibt, gibt es Trolle. Es ist ein „Matter of Fact“, Erklärungen sind für die Kohärenz der Ge- schichte nicht notwendig. Auch in der Wahl der Sprache unterschei- den sich die Genres stark. So ist die Stilistik der Wahl in der Science Fiction-Literatur sehr direkt und klar. Die Leistung liegt zuallererst in der Idee selbst. In der Fantasy-Literatur ist ein malerische Sprache in Verwendung. Ein wesentlicher Teil der Science Fiction ist, eine glaubwürdi- ge Vorgeschichte zu erzählen, um daraus die Welt in ihrer Logik zu konzipieren. Das bedeutet nicht, dass es im Laufe der Geschichte keine Überraschung geben darf, es braucht sie sogar sicherlich um die Erzählung aufrecht zu erhalten – sie präsentieren sich allerdings vielmehr als ein Gedanke innerhalb der Logik. Es ist eine Konsequenz 28
– oder zumindest eine mögliche Konsequenz – aus der ursprüngli- chen Prämisse. Science Fiction gilt auch als Literatur der Ideen. Nicht umsonst sind viele Gedanken und Innovationen lange vor ihrer Zeit zum ersten Mal in Science Fiction Literatur aufgetaucht. 29
Speculative Design Spekulatives Design ist eine praxisbasierte Strategie, die schwer erfahrbare Phänomene und schwer denkbare Themen durch ästheti- sche Setzungen und experimentelle Untersuchungen adressiert.7 Der Begriff Speculative Design ist eine von Anthony Dunne und Fiona Raby eingeführte. Es ist eine Weiterentwicklung des ebenfalls von ihnen konzipierten Critical Design. Die beiden Designer arbeiten seit den 1990er-Jahren an diesen Themen im Rahmen ihrer Tätigkeit am Royal College of Art in London sowie ihrer Praxis im Designstudio Dunne und Raby. Seit circa zehn Jahren wird der Ansatz auch von an- deren Akteur_innen der Designforschung erweitert und theoretisiert. Unter Anderem von Benjamin H. Bratton. Er unterrichtet an der Univer- sity of California das Fach Visual Arts. Seine Anforderung an ein gutes spekulative Design Projekt ist den_die Betrachter_in in zwei Fragen in der Schwebe zu halten. Erstens: Ist das real? Bzw. ist es ein ernst gemeinter Vorschlag? Im besten Fall werde es noch unklarer je länger man sich mit dem Projekt beschäftigt. Und zweitens: der_die Be- trachter_in muss das Gefühl haben, dass die Umsetzung eine immen- sen Effekt hätte, sich aber zeitgleich unklar ist, ob dieser Effekt das Schlimmste oder das Beste ist, was der Menschheit passieren kann. Er verweist aber auch auf ein bekannteres Design Briefing des United States Department of Energy’s Office of Civilian Radioacti- ve Waste Management’s Yucca Mountain Project (YMP). Das YMP suchte Grafik Design für eine atomare Endlagerstelle. Der Atommüll sollte in der Wüste vergraben, und für 10.000 Jahre gelagert werden, bevor es unschädlich genug wäre. Doch wie stellen wir sicher, dass nicht vor Ablauf dieser Zeit jemand dort zu graben beginnen würde? Ein „Achtung“-Schild ist sowohl materialtechnisch als auch linguistisch nicht zukunftsgewandt genug.8 7 http://form.de/de/magazine/form263/focus, Abgefragt 06. Juni 2017, 16:04 8 http://dismagazine.com/discussion/81971/on-speculative-design-benja- min-h-bratton/, Abgefragt am 6. Juni 2017, 17:03 30
Künstliche Intelligenz Mangels einer allgemeingültigen Definition von Intelligenz ist auch der Begriff einer künstlichen Intelligenz schwierig abzugrenzen. Im Allgemeinen versteht man unter künstlicher Intelligenz den Ver- such, einen Computer so zu programmieren, dass er eigenständig Probleme lösen kann. Wir unterscheiden zwischen simulierten KIs, starken KI und schwachen KIs. Simulierte Intelligenzen, oft in Computerspielen eingesetzt, ver- suchen möglichst alle möglichen Spielsituation vorauszuplanen und Antworten zu liefern. Der eigentlich intelligente Teil passiert allerdings in der Programmierung und wird lediglich durch verhältnismäßig einfache Algorithmen getriggert. Die starke künstliche Intelligenz hat die Vorstellung, das mensch- liche Denken in seiner Gesamtheit nachzubauen und basiert auf den Gedanken, dass der Mensch im Endeffekt eine sehr komplexe Maschine ist. Murray Shanahan, Professor of Cognitive Robotics am Murray Shanahan ist Profes- Imperial College of London, stimmt diesen Gedanken in seinem Buch sor für Kognitive Robotik am Department für Computing am „The Technological Singularity“9 zu, gibt jedoch zu bedenken, dass Imperial College London. Er wir bereits die Rechenleistung des menschlichen Hirns erreicht, wenn ist der Autor von „Solving the nicht sogar überschritten haben, jedoch aufgrund der grundsätzlich Frame Problem“ (MIT Press) und „Embodiment and the Inner anderen Architektur dieser „Rechensysteme“ noch weit von einer Si- Life“. mulation des menschlichen Verhaltens entfernt sind. Die Europäische Kommission investiert derzeit über eine Milliarde Euro in das Human Brain Project. Das Ziel ist es, eine Blaupause des Hirns zu erstellen – auch um die extrem raum- und energieeffiziente Struktur nachbauen zu können. Eine schwache künstliche Intelligenz hat das Ziel, konkrete Anwendungen selbstständig zu lösen. Lernfähigkeit gilt als erste Hauptanforderung an eine Intelligenz. Die Fähigkeit, bei Unsicherhei- ten Entscheidungen zu treffen ist ebenfalls eine Anforderung. Eine Schaffung von Bewusstsein oder ein tieferes Verständnis von Intelli- genz ist keine Anforderung dieser Form. GAIA ist nach dieser Definition eine schwache Intelligenz, was rein sprachlich ihrem Anspruch nur schwer gerecht wird. Sie kombi- niert Daten und errechnet Stimmen. Aus diesen Stimmen errechnet sie eine gemeinsame Lösung und mit dieser Lösung bestimmt sie ein 9 Murray Shanahan: „The Technological Singularity“, MIT Press (2015) 31
Risiko für den einzelnen und für die gesamte Menschheit und damit auch für die Erde. Natürlich ist das Verfahren nicht so banal und bedarf hochkomplexer probabilistischer Mathematik. Künstliche Intelligenzen sorgen allerdings auch für Unbehagen. Auch, weil viele Filme uns auf das Risiko einer Singularität hinweisen. Singularität ist das Konzept einer Superintelligenz, die bemerkt, dass sie dem Menschen überlegen ist und deswegen das Diener/Meis- ter-Verhältnis umdreht, bzw. feststellt, dass sie den Menschen über- haupt nicht braucht und ihn im besten Fall ignoriert oder sich eben seiner entledigt. Eine Gefahr, die wir bei GAIA ausschließen können. Als schwache Intelligenz entwickelt sie kein Bewusstsein, zudem feh- len ihr als körperloser Algorithmus die Notwendigkeit sowie Fähigkeit sich Platz zu schaffen. 32
Big data Big Data hätte wohl den Titel Unwort des Jahrzehntes verdient, nachdem es in den Jahren wohl so viel und oft so inhaltsbefreit ver- wendet wurde. Was landläufig unter großen Datenmengen verstan- den wird, ist nur ein Teilaspekt des Phänomens. Es ist wahr, es werden so viele Daten gesammelt wie nie zuvor. Doch nicht das Sammeln, sondern die Möglichkeit diese Daten sinnvoll zu verarbeiten, stehen im Kern der Debatte. Das „big“ in Big Data steht eben nicht nur für die Menge, son- dern auch für die Geschwindigkeit mit der sie verarbeitet werden kön- nen und der Unterschiedlichkeit der Daten, also sind es zum Beispiel Tabellen oder Bilder. Wikipedia10 bietet hier eine nicht abgeschlossen Liste an Beispielen: • Aufzeichnungen verschiedenster Überwachungssysteme. • die Nutzung von Kunden- oder Bank- bzw. Bezahlkarten (Giro („EC“)-, Kreditkarte), • jegliche elektronische Kommunikation, dabei auch die per- sönlich geprägte, individuell unterschiedliche Art und Weise der Benutzung z. B. eines S mart-phones (sowohl manuelle wie geografische Bewegungsmuster), • geschäftliche bzw. private Nutzung elektronischer Geräte oder Systeme wie „Fitness“- bzw. „Gesundheitsarmbänder“ bzw. „Wearables“ wie „Activity Tracker“ oder „Smartwatches“, „Ambient Assisted Living“ („umgebungsunterstütztes Leben“) oder globaler Navigationssysteme wie „GPS“, Smartphones, Computer usw., • die Nutzung von Social Media Informationen und Interaktio- nen, • Kraftfahrzeuge (insbesondere im Kontext „Vernetztes Auto“), • vernetzte Technik in Häusern („Smart Homes“, „Smart Meter“), • von Behörden und Unternehmen erhobene und gesammelte Daten. Die Frage nach dem Datenschutz ist noch nicht gänzlich recht- lich geklärt. Nicht zuletzt, da Benutzer_innen und Anbieter_innen oft in unterschiedlich Rechtsräumen (also Nationen) agieren. Ein bekann- 10 https://de.wikipedia.org/wiki/Big_Data, Abgefragt am 6. Juni 2017, 11:44 33
ter Rechtsstreit ist „Europe vs. Facebook“, eine Initiative des Wiener Jus Studenten Max Schrems. Die technische Möglichkeit, große gemischt-strukturierte Da- tenmengen in akzeptabler Zeit verarbeiten zu können, schafft neue Businessmodelle. Im Marketing kennen wir das bereits. Wir sind in der Situation, dass wir freizügig unsere Daten hergeben. Eine zweite Partei diese Daten verkaufen kann, eine dritte Partei die Daten verar- beitet und eine vierte Partei damit ihr Produkt gezielt an uns vermittelt. Der Service, den wir vermeintlich gratis nutzen, ist also in Wirklichkeit hochbezahlt. Aber nicht nur Firmen verwenden, diese Analysen. Seit Edward Snowden wissen wir, dass der US amerikanischen Geheimdienst NSA auch ohne Verdacht Daten sammelt und systematisch analysiert. Selbst, wenn wir uns der Vorstellung „Ich habe nichts zu verbergen“ hingeben und der derzeitigen Regierung vertrauen, können wir nicht ausschließen, dass unser Verhalten von zukünftigen Regierungen oder Regimen nicht bestraft werden würde. Die Weimarer Republik führte sogenannte „Rosa Listen“, also Listen von Männer, die vermeintlich ho- mosexuell waren. An sich schon ein fragliche Praxis, aber als 1933 die bereits vorhanden Daten in die Hände der Nationalsozialisten fielen, bedeutete das für jene Männer die Verfolgung als „Perverse“. 34
Uncanny Valley Das Uncanny Valley wurde ursprünglich vom Robotiker Masa- hiro Mori beschrieben. Er beschrieb ursprünglich den Effekt, dass es Menschen schwerer fällt Roboter zu akzeptieren, die den Menschen ähnlich sind. Wir empfinden sie als unheimlich. Hätten wir zwei Robo- ter, die dieselbe Aufgabe erfüllen – einer versucht das menschliche Aussehen zu simulieren und ein anderer hat eine abstraktere Form – würden wir die abstraktere Form bevorzugen und den Humanoiden Roboter als befremdlich empfinden. Das Uncanny Valley, also das unheimliche Tal, hat seinen Namen aus dem entwickelten Gefühl der Unvertrautheit und zum anderen aus der Grafik (siehe unten). Es entsteht eine Art Tal. + bewegt Uncanny Valley unbewegt gesunder Mensch Humanoider Roboter Vertrautheit ausgestopftes Tier Industrieroboter Menschenähnlichkeit Leichnam Handprothese – Zombie Der Ursprung unseres Ablehnens ist nicht geklärt: die medi- enpsychologische Erklärung vermutet, dass wir humanoide Formen auch menschlich einordnen, unsere Erwartungshaltung demnach recht hoch sind und deren Nichterfüllung wir als assoziales Verhalten einstufen. Die ausdruckspsychologische Erklärung vermutet, dass wir in unseren Alltag mit Mustern im Ausdruck funktionieren. Musterfremdes Verhalten deuten wir als asozial. Neurowissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass der Um- gang mit Humanoiden, in der selben Hirnregion, wie der Umgang mit Menschen passiert und eben nicht in jener in der wir sonst mit Maschi- nen interagieren. Der Begriff wurde zuerst in das Fach der Animation übernom- men und zog von dort aus in viele andere Fächer ein. Im Buch „TED Talks: The Official TED Guide to Public Speaking“ vergleicht Chris Anderson eine auswendig gelernte, aber nicht persönliche gemeinte Rede mit dem Uncanny Valley, und meint damit wohl, dass die fehlen- 35
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