Karten neu gemischt? - SCHULDENREPORT 2007 - Umbrüche und aktuelle Tendenzen der Nord-Süd- und Süd-Süd-Finanzbeziehungen - weed-online.org

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SCHULDENREPORT 2007

Karten neu gemischt?
Umbrüche und aktuelle Tendenzen der
Nord-Süd- und Süd-Süd-Finanzbeziehungen
Die Krise der etablierten Gläubigergemeinschaft
Internationale Schuldenerlassinitiativen
auf dem Prüfstand
Impressum
Schuldenreport 2007
Karten neu gemischt?
Umbrüche und aktuelle Tendenzen der Nord-Süd- und
Süd-Süd-Finanzbeziehungen
Die Krise der etablierten Gläubigergemeinschaft
Internationale Schuldenerlassinitiativen auf dem Prüfstand

Diese Publikation wurde mit Mitteln         Danksagung:
der Europäischen Kommission und             Der Schuldenreport wurde unter
der C.S. Mott Foundation gefördert.         Mitarbeit von Andreas Kügler (Kapitel
Für den Inhalt ist ausschließlich der       2, 4 und 5, Co-Autor der Kästen
Herausgeber verantwortlich.                 zu den Länderbeispielen Haiti und
                                            Malawi) Thomas Bernhard (Kapitel
                                            4.1), Jörg Riegg (Kapitel 2) und
Herausgeber:                                Olivia Hannemann (Kasten Illegitime
Weltwirtschaft Ökologie &                   Schulden) erstellt. WEED bedankt
Entwicklung e.V. (WEED e.V.)                sich für ihre Beiträge. Ein besonderer
Torstr. 154                                 Dank gilt auch Florian Butollo, Heike
10115 Berlin                                Knoop, Juliane Broede und Horst
Tel.: +49 – (0)30 – 2758-3163               Setton für ihre Unterstützung bei der
Fax: +49 - (0)30 – 2759-6928                Endredaktion des Reports.

weed@weed-online.org                        Titelbild / Fotomontage:
www.weed-online.org
                                            Alexander Kiehne, Berlin
AutorInnen:
                                            Layout:
Daniela Setton                              WARENFORM
Mitarbeiterin bei WEED                      kommunizieren & gestalten
Peter Wahl
Mitarbeiter bei WEED
                                            Druck:
Jürgen Kaiser                               PegasusDruck
Politischer Koordinator von erlassjahr.de   DruckVogt

Redaktion:                                  Schutzgebühr: EUR 7,00
Daniela Setton                              (zzgl. Versandkosten)
Andreas Kügler
Olivia Hannemann                            Berlin, Dezember 2006

                                            ISBN-10: 3-937383-49-2
                                            ISBN-13: 978-3-937383-49-1
Inhalt
Vorwort ........................................................................................................ 5
1. Die Ruhe vor dem Sturm? ........................................................................ 7
    1.1 Wer von Armut redet, kann von Reichtum nicht schweigen ........................... 8
    1.2 Dominanz der Finanzmärkte – das neue Paradigma .................................... 11
    1.3 Die Verschuldungssituation der Entwicklungsländer ..................................... 11
    1.4 Wiederanstieg der privaten Kapitalflüsse ..................................................... 15
    1.5 Entwicklungshilfe ........................................................................................ 18
    1.6 Süd-Süd Flüsse ............................................................................................ 22
    1.7 Die Ruhe vor dem Sturm? ........................................................................... 23
2. Quo Vadis internationales Schuldenmanagement? ............................... 26
    2.1 Fünfzig Jahre Pariser Club ........................................................................... 26
    2.2 Zehn Jahre HIPC-Initiative: Eine ernüchternde Bilanz ................................ 30
    2.3 Big Bang? Der G8 Schuldenerlass ............................................................... 42
    2.4 Das Rahmenwerk für Schuldentragfähigkeit ............................................... 46
    2.5 Neue Schuldenkrise in Sicht? ...................................................................... 49
3. Deutschlands Rolle als Gläubiger ........................................................... 52
    3.1 Kategorien, Größenordnungen und Missstände… ....................................... 52
    3.2 Kreative Entschuldung: Die Schuldenumwandlungsfazilität.......................... 53
    3.3 Deutsche Forderungen als Belastung für die Haushalte des Südens ............. 54
    3.4 Schuldenerlass als Geldwäsche:
        Die Anrechnung von Erlassen auf die ODA-Quote ...................................... 55
4. Neue globale Konstellationen ............................................................... 58
    4.1 Der IWF in der Krise ................................................................................... 58
    4.2 Die Neuen Geber ........................................................................................ 65
    4.3 Der Machtverlust des traditionellen Gläubigerkartells ................................. 69
5. Ökologische Nachhaltigkeit, MDGs und Schuldentragfähigkeit ............ 74
    5.1 Globale Raubbau-Ökonomie und Verschuldung ......................................... 74
    5.2 Für eine Umweltreform des internationalen Schuldenmanagements ........... 75
    5.3 Ökologische Kriterien einer ‚tragfähigen’ Verschuldung .............................. 81
6. Schuldenbewegung: Stand und Perspektiven ....................................... 85
Annex I: Länderkategorien ......................................................................... 90
Annex II: Der HIPC-MDRI Hürdenlauf....................................................... 91
Annex III: Forderungen des Bundes gegenüber dem Ausland ................... 92
Abkürzungsverzeichnis............................................................................... 94
Literatur ..................................................................................................... 95
Serviceteil: Links zum Thema Verschuldung, IWF und Weltbank ............... 98
Kästen
  1:   Weltbankforschung: Manipulation und Meinungsmache .................................................. 10
  2:   Vorzeitige Schuldenrückzahlungen an den Pariser Club .................................................... 26
  3:   Wie funktioniert der Pariser Club? ................................................................................... 28
  4:   Umfassende Konditionalitäten der HIPC-Initiative............................................................. 32
  5:   ‚Heuschrecken’ gegen HIPCs ............................................................................................34
  6:   Zu geringer Schuldenerlass unter HIPC: Das Beispiel Haiti ................................................36
  7:   HIPC als Schuldenmotor: Das Beispiel Malawi ................................................................40
  8:   Schuldenerlass für Öl? ......................................................................................................44
  9:   Billige IWF-Kredite? ..........................................................................................................60
 10:   Schuldenerlass à la Argentinien .........................................................................................64
 11:   Hintergrund: Die EZ ausgewählter Neuer Geber ..............................................................68
 12:   Die genuine Sparrate: Indikator für Nachhaltigkeit? ........................................................78
 13:   Was sind illegitime Schulden? ...........................................................................................86
Grafiken
  1:   Zuwachs der Finanzvermögen der HNWIs und aggregierte ODA 1996-2005 ....................8
  2:   Die Top Ten bei der Wachstumsrate der HNWI 2004 - 2005 ..............................................9
  3:   Gesamtschuldenentwicklung der Entwicklungsländer 1980-2005 ..................................... 12
  4:   Entwicklung der Schuldenquote 1980 - 2004 ausgewählter Ländergruppen ..................... 13
  5:   Entwicklung der Schuldendienstquote ausgewählter Ländergruppen (in Prozent) .............. 13
  6:   Schuldendienst (alle Entwicklungsländer) und Entwicklungshilfe 2004 im Vergleich .......... 15
  7:   Öffentliche und private Ressourcenflüsse in die Entwicklungsländer im Vergleich ............. 16
  8:   FDI - weltweit (in Mrd. US-$) ........................................................................................... 21
  9:   Verteilung von FDI 1995 - 2005 nach Regionen ............................................................... 21
 10:   FDI in Länder mit niedrigem Einkommen 2000 - 2005 .....................................................22
 11:   Schuldendienst gezahlt von 25 Nach-Entscheidungspunkt HIPC-Ländern (2000 und 2005) ..... 35
 12:   ODA Quoten ...................................................................................................................56
 13:   Ausstehende IWF-Kredite, 1996 – 2006 (30. April) ..........................................................59
 14:   Öffentliche, multilaterale und private Schulden Afrikas (1970 – 2002) .............................. 71
Tabellen
  1: Entwicklung der Vermögen von HNWIs und Anzahl der HNWIs 1996-2005.......................7
  2: Vermögensentwicklung der HNWIs nach Regionen (in Bil. US-$)........................................9
  3: Verhältnis der kurzfristigen Schulden zu den Gesamtschulden
     in den größten Schuldnerländern, 1996 - 2004 (in Mrd. US-$) ......................................... 14
  4: Spitzenreiter bei Netto-Ressourcenflüssen ........................................................................ 16
  5: Brutto Devisenreserven der Entwicklungsländer, 1997 – 2005 (Mrd. US-$) ...................... 17
  6: Netto ODA, 1990 – 2005 (Mrd. US-$) ........................................................................... 19
  7: Anteil von Zuschüssen und öffentlichen Krediten an ODA 2000 - 2005 (in Mrd. US-$) ... 19
  8: Netto ODA an die zehn größten Empfängerländer
     (Mrd. US-$, mehrjährige Durchschnittswerte) ..................................................................20
  9: Anteil der Süd-Süd Investitionen an weltweiten FDI – gesamt (in Mrd. US-$) ...................23
 10: Stand der HIPC-Initiative (Dezember 2006)...................................................................... 31
 11: Der unter HIPC bereit gestellte Schuldenerlass ................................................................. 32
 12: Schuldenquote ausgewählter HIPCs nach dem Abschlusspunkt ....................................... 33
 13: Hauptmerkmale von HIPC und MDRI .............................................................................. 42
 14: Entlastung durch MDRI in Prozenten der gesamten externen Schuldenbelastung ...........43
 15: Politikabhängige Indikatoren für Schuldentragfähigkeit im Rahmen des DSF .................... 47
 16: Voraussichtliche Einnahmen aus Handels- und Entwicklungshilfeforderungen in Mio. € ...54
 17: Rückzahlungen wichtiger Schwellenländer an den IWF ...................................................59
 18: Ausstehende und ausgezahlte Schulden von Nicht-DAC und
     DAC-Gebern in ausgewählten LICs (durchschnittliche Werte 2000-04) ............................66
 19: MDG 7 – Sicherstellung ökologischer Nachhaltigkeit .......................................................77
5
Vorwort

   Es scheint, als sei derzeit vor allem     schaftlichen Diskussion und Analyse
Sorglosigkeit angesagt. Die Aufregungen      der aktuellen globalen Dynamiken aus
um die Asienkrise und weitere schwere        einer Entwicklungsperspektive liefern.
Finanzturbulenzen der vergangenen Jah-       In Fortsetzung der Tradition der vorhe-
re sind verflogen, die Kapitalflüsse in        rigen Schuldenreporte werden im ersten
Entwicklungsländer erreichen ungeahn-        Kapitel wichtige Statistiken, Fakten und
te Rekordhöhen, der Welthandel boomt         Trends der Nord-Süd und – als neues
und die Weltkonjunktur beschert nicht        Element – der Süd-Süd Finanzbeziehun-
nur Schwellen-, sondern auch einigen         gen im Überblick präsentiert und in den
Entwicklungsländern hohe Wachstums-          Kontext der strukturellen Entwicklun-
raten. Sogar bei der Verschuldungssitu-      gen des internationalen Finanzsystems
ation der ärmeren Entwicklungsländer         gestellt.
ist eine gewisse Erleichterung festzustel-
len. Doch das Bild trübt sich erheblich,        Anlässlich des 50ten Geburtstags des
wenn ein Blick auf die Verteilung der        Pariser Clubs und des 10ten Geburtstags
Wachstums- und Vermögensgewinne              der internationalen Schuldenerlassini-
geworfen wird. Global wie innerstaatlich     tiative HIPC wird im zweiten Kapitel
verschärfen sich die sozialen Ungleich-      eine gründliche Bestandsaufnahme des
heiten: während die Reichen immer rei-       internationalen Schuldenmanagements
cher werden, nimmt die Armut zu. Die         vorgenommen und die großmundig
Frage, wem diese Globalisierung eigent-      gefeierten Schuldenerlasse der vergan-
lich nutzt und wie eine sozial gerechte      genen Dekade ausgewertet. Die von
Weltwirtschaft aussehen muss, wird also      Flickschusterei, westlicher Gläubigerdo-
immer drängender.                            minanz und technokratischen Schach-
                                             zügen bestimmten Neujustierungen
  Zudem vollziehen sich derzeit globale      im Umgang mit der Verschuldung von
Umbrüche, die erst in den Anfängen er-       Entwicklungsländern werden ebenso
kennbar sind. Politisch und ökonomisch       dargestellt. Im dritten Kapitel folgt dann
erstarkte Schwellenländer können in zu-      eine kritische Einschätzung der Rolle
nehmendem Maße die Muster globaler           Deutschlands als Gläubiger. Im vierten
Finanz- und Handelsströme mitbestim-         Kapitel werden die Verschiebungen in
men. Viele ehemalige große Schulden-         den internationalen Gläubiger-Schulde-
und Krisenländer haben sich in den letz-     nerbeziehungen anhand der Krise des
ten Jahren erfolgreich aus der Gläubiger-    IWF und dem Aufkommen ‚Neuer Ge-
zange von IWF und Pariser Club befreit       ber’ wie China, Venezuela und Indien,
und machen ihre neuen Machtansprü-           genauer analysiert.
che inzwischen auch über die Vergabe
von Krediten und Entwicklungshilfe gel-        Angesichts der Dringlichkeit der glo-
tend. Es scheint, als beginnt die hegemo-    balen Umwelt- und Klimaproblematik
niale Position der westlich dominierten      wird der Mangel an systematischer Be-
Gläubigergemeinschaft damit langsam          rücksichtigung ökologischer Fragen bei
aber sicher zu bröckeln.                     der internationalen Schuldendiskussion
                                             besonders offensichtlich. WEED möch-
  Dieser 8. WEED-Schuldenreport soll         te deshalb mit dem fünften Kapitel einen
einen Beitrag zur kritischen, zivilgesell-   Beitrag zu einer stärkeren Verknüpfung
1. Die Ruhe vor dem Sturm?

6   der Umwelt- und Schuldendiskussion
    leisten. Nach einer Analyse der ökolo-
    gischen Dimensionen der Verschuldung
                                               der aktuellen Entwicklungen und den
                                               Perspektiven der internationalen Schul-
                                               denbewegung.
    der Entwicklungsländer wird ein Vor-
    schlag zur Einbeziehung ökologischer         Wir hoffen, dass auch dieser WEED-
    Nachhaltigkeitsaspekte in Schulden-        Schuldenreport wichtige Denk- und
    tragfähigkeitsanalysen vorgelegt. Abge-    Diskussionsanstöße gibt und dabei zivil-
    schlossen wird der Schuldenreport im       gesellschaftliches Engagement motiviert
    sechsten Kapitel mit einer kurzen Skizze   und unterstützt.

    Daniela Setton, Berlin, im Dezember 2006
1. Die Ruhe vor dem Sturm?

1. Die Ruhe vor dem Sturm?                                                                                                                     7
Aktuelle Trends der Finanzbeziehungen
zwischen Entwicklungs- und Industrieländern
Peter Wahl

Einige Nachrichten aus dem Jahre                                   Die dritte Nachricht mit der gewöh-
2006:                                                           nungsbedürftigen Abkürzung HNWI                        Die Anzahl der Hungernden ist
  • „Die internationalen Kapitalflüsse in                        steht im Welt-Reichtumsbericht 2006                    seit 1990 auf 854 Mio. Men-
    die Entwicklungsländer erreichten eine                      (Merrill Lynch 2006). HNWI steht für                   schen angestiegen .....
    Rekordhöhe von 491 Milliarden $.“                           High Net Worth Individuals, also „Indi-
  • „Die Anzahl der Hungernden ist                              viduen mit hohem Nettowert“. Gemeint
    nicht gesunken, sondern von damals                          sind Menschen, die über ein liquides
    (1995 P. W.) 840 auf heute 854 Mil-                         Kapitalvermögen (also ohne Immobili-
    lionen Menschen angestiegen.“                               en u.ä. Vermögenswerte) von einer Mio.
  • „Das Finanzvermögen der HNWI                                US-$ an aufwärts verfügen. Der Zu-
    beläuft sich auf 33,3 Billionen $, was                      wachs dieser Vermögen um 8,5 Prozent
    ein Zuwachs von 8,5% bedeutet. ...                          von 2004 auf 2005 belief sich auf 2,6
    Südkorea, Indien, Russland und Süd-                         Bil.1 US-$ (s. Tabelle 1). In dem Jahr-                .... die Anzahl der Reichen hat
    afrika erlebten das stärkste Wachstum                       zehnt zwischen 1995 und 2005 konnten                   sich von 1995 bis 2005 auf 8,7
    der HNWI-Bevölkerung.“                                      die HNWIs ihr Vermögen von 16,6 Bil.                   Mio. Menschen verdoppelt.
   Die erste Nachricht findet sich im                            US-$ auf 33,3 Bil. US-$ verdoppeln.
Report der Weltbank zur globalen Ent-                           Auch die Anzahl der HNWIs hat sich in
wicklungsfinanzierung (World Bank                                diesem Zeitraum verdoppelt. 2005 gab
2006), die zweite in einer Untersu-                             es weltweit 8,7 Mio. solcher HNWIs.2
chung des Forums Umwelt & Ent-                                  Um sich die Dimensionen dieser Reich-
wicklung zur Bilanzierung der Ergeb-                            tumsentwicklung vorstellen zu können:
nisse des Welternährungsgipfels in                              im gleichen Zeitraum (1995-2005) be-
Rom 1996, bei dem die Regierungen                               lief sich die akkumulierte Entwicklungs-
sich das Ziel gesetzt hatten, die Anzahl                        hilfe der OECD Staaten auf 688 Mrd.
der Hungernden in der Welt bis 2015                             US-$ (OECD 2006). Das sind gerade
zu halbieren (Forum Umwelt & Ent-                               mal 3,5 Prozent des Vermögenszuwach-
wicklung 2006).                                                 ses der HNWIs.

Tabelle 1: Entwicklung der Vermögen von HNWIs
und Anzahl der HNWIs 1996 - 2005
                          1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005                                            Die akkumulierte Entwick-
 Vermögenshöhe                                                                                                         lungshilfe der OECD-Staaten
                 16,6              19,1     21,6      25,5          27    26,2     26,7     28,5    30,7     33,3
  (in Bio. US-$)                                                                                                       machte von 1995-2005 3,5
Anzahl der HNWIs                                                                                                       Prozent des Vermögenszu-
                  4,5                5,2      5,9           7      7,2      7,1      7,3     7,7      8,2     8,7
  (in Millionen)                                                                                                       wachses der Reichen aus.
                                                 Quelle: Capgemini/Merill Lynch World Wealth Report 2006

1 Da angesichts der Höhe dieser Zahlen die Vermutung            netär hochwertig sondern auch moralisch, denn: „HN-
aufkommen könnte, die amerikanische Zählweise sei               WIs in aller Welt haben zwei Dinge gemeinsam: die
hier wörtlich übersetzt worden, sei darauf hingewiesen,         tiefe Sorge um die Bewahrung ihres Reichtums und den
dass dies nicht der Fall ist. Im Englischen Original sind       beständigen Wunsch nach Wachstum ihres Reichtums
die Billionen trillions.                                        zum Nutzen zukünftiger Generationen und Wohltäter.“
2 Dem Bericht zufolge sind die HNWIs nicht nur mo-              (Merill Lynch 2006: 12)
1. Die Ruhe vor dem Sturm?

8
                                            Zuwachs der Finanzvermögen der HNWIs und aggregierte ODA
                                   Grafik 1: Zuwachs der1996-2005
                                                        Finanzvermögen       der HNWIs
                                                                 (in Mrd. US-$)
                                   und aggregierte ODA 1996 - 2005 (in Mrd. US-$)

                                       Mrd. US-$
                                        18000

                                        16000
Die Dynamik der Finanzmärkte            14000
hat zu einem erheblichen An-
                                        12000
steigen der privaten Vermögen                                16700
                                        10000
geführt, die in wenigen Hän-
den konzentriert sind.                  8000

                                        6000

                                        4000

                                        2000
                                                                                                   688

                                           0
                                                    Vermögenszuwachs für HNWIs           Aggregierte ODA

                                                                                                           Quelle:
                                                                                        Quelle: Merill Lynch/OECD    Merill Lynch/OECD

                                   Die Wachstumsrate der großen Ver-             Gewinner, an der ungleichen Verteilung
                                mögen ist im wesentlichen Resultat               des Wohlstandes ändert sich nichts. Die
                                der Dynamik auf den internationalen              weltweit reichsten 500 Personen haben
                                Finanzmärkten. Hier sind in den letz-            zusammen ein Einkommen, das größer
                                ten drei Jahrzehnten neue und äußerst            ist als das der ärmsten 416 Millionen
                                lukrative Quellen der Reichtumsver-              Menschen. 40 Prozent der Weltbevöl-
                                mehrung erschlossen worden. Insofern             kerung, das sind 2,5 Mrd. Menschen,
                                ist die These, dass die Globalisierung           müssen mit weniger als 2 US-$ am
                                zu hohen Wohlstandsgewinnen führt,               Tag überleben. Ihr Anteil am globalen
                                durchaus richtig. Allerdings konzent-            Einkommen beträgt 5 Prozent (UNDP
                                rieren sie sich in den Händen weniger            2005a).

                                1.1 Wer von Armut redet, kann von Reichtum nicht schweigen
                                  Wenn über Entwicklungsfinanzierung              te allenfalls als Abfallprodukt zu erwar-
                                gesprochen wird, erwartet man, dass die          ten, wenn überhaupt.
Über die Entwicklungseffekte    Kapitalströme in den Süden im Dienst                Leider gibt es zu einer verteilungspoli-
von Wachstum und Investi-       des Kampfes gegen Hunger und Armut               tisch differenzierten Betrachtung in den
tionen wird erst dann etwas     stehen. Sieht man nur auf die aggregier-         Statistiken der Weltbank keine verlässli-
ausgesagt, wenn auch über die   ten Zahlen in den Statistiken von Ka-            chen Angaben. Generell sind Angaben
Verteilung der Gewinne und      pitalströmen, Handel und Wachstum,               über Vermögenshöhe auch in den Statis-
Vermögenszuwächse gespro-       könnte der Eindruck entstehen, dass dies         tiken von OECD und der UN-Agentu-
chen wird.                      auch tatsächlich so ist. Seit einigen Jah-       ren selten zu finden. Einkommensstatis-
                                ren gibt es hohe Wachstumsraten in der           tiken gibt es zwar immer mal wieder, und
                                Weltwirtschaft, die Schuldenindikatoren          dabei werden auch die höheren Einkom-
                                signalisieren eine gewisse Erleichterung         men einbezogen. Allerdings werden die
                                für die Schuldner, die Investitionen             wenigen Reichen und Superreichen da-
                                ebenso wie die Rohstoffpreise steigen.           bei nicht gesondert erfasst, weil sie nach
                                  Allerdings: solange über die Vertei-           Anzahl der Personen eine extrem kleine
                                lung der Gewinne aus diesen Tenden-              Gruppe darstellen. Sie verschwinden
                                zen nichts gesagt ist, erfährt man auch          dann statistisch im oberen Zehntel oder
                                wenig über Entwicklung. Wenn z.B. die            im oberen Quintil der Bevölkerung. Das
                                Zuwächse vor allem in die Taschen der            quantitative Gewicht ihrer Einkommen
                                nationalen Eliten fließen und ein Teil            und Vermögen ist jedoch so bedeutend,
                                vielleicht auch noch den Mittelschichten         dass dieses statistische Verfahren ver-
                                zugute kommt, sind Entwicklungseffek-            schleiernd wirkt.
1. Die Ruhe vor dem Sturm?

Tabelle 2: Vermögensentwicklung der HNWIs nach Regionen
(in Bil. US-$)                                                                                                                                          9
                                             2003               2004             2005                    Zuwachs insg.
 Afrika                                       0,6                0,7              0,8                            0,2
 Mittlerer Osten                              0,8                 1               1,2                            0,4
 Asien & Pazifik                               6,6                7,1              7,6                                   1
 Lateinamerika                                3,4                3,7              4,2                            0,8
 Nordamerika                                  8,5                9,3            10,2                             1,7
                                                                                                                                Erfolgsmeldungen über hohe
 Europa                                       8,6                8,9              9,4                            0,8            Wachstums- oder Wohlstands-
 SUMME                                       28,5               30,7            33,4                             4,9            zuwächse sind mit Vorsicht zu
                                                                                                                                genießen - die herkömmlichen
                                                                                                    Quelle: Merill Lynch 2006   Statistiken blenden meist die
                                                                                                                                Verteilungsfrage aus und damit
  Vor diesem Hintergrund sind hohe                                 senschaftlichen Arbeiten, Reports und                        die tatsächlichen Zusammen-
Wachstumsraten und darauf gegründe-                                Statistiken der Weltbank kommt gerade                        hänge zwischen Finanzen und
te Erfolgsmeldungen über Wohlstands-                               bei den Arbeiten zu den Themen Globa-                        Entwicklung.
gewinne mit Vorsicht zu genießen. Der                              lisierung, Wachstum und Armut zu dem
grundlegende Defekt der meisten Statis-                            Ergebnis, dass „diese Forschung auf mis-
tiken und Reports dieser Art ist es, dass                          sionarische Weise für die Politik der Bank
sie die Verteilungsfrage ausblenden und                            genutzt wurde, ohne eine ausgewogene
daher die tatsächlichen Zusammenhän-                               Sicht auf das empirische Material, und
ge zwischen Finanzen und Entwicklung                               ohne die angemessene Skepsis. Eigenen
nicht oder nur sehr undeutlich sichtbar                            Forschungsarbeiten, die die Positionen
werden. Hinzu kommt, dass der Um-                                  der Bank bestätigten, wurde große Auf-
gang der Weltbank mit Fakten und Da-                               merksamkeit zuteil, kritische Arbeiten
ten von ihren ideologischen Interessen                             wurden ignoriert.“ (s. Kasten 1)
beeinflusst ist. Eine Evaluierung der wis-

   Grafik 2: Die Top Ten
   bei der Wachstumsrate der HNWI 2004 - 2005
                                                                                                                                Es gibt immer mehr Reiche:
    Prozent
          25
                                                                                                                                Schwellenländer liegen ganz
                                                                                                                                vorne bei den Wachstumsraten
                                                                                                                                der HNWI.
                 21,3
       20
                           19,3

                                     17,4

          15                                   15,9
                                                         14,7      14,4
                                                                               13,5      13,8

                                                                                                  11,8
                                                                                                              11,3
          10

          5

          0
               Südkorea   Indien   Russland Südafrika Indonesien Hong Kong    Saudi  Singapore Vereinigte   Brasilien
                                                                             Arabien            Emirate

                                                                                                    Quelle: Merill Lynch 2006
1. Die Ruhe vor dem Sturm?

10    Kasten 1
      Weltbankforschung: Manipulation und Meinungsmache
      Ergebnisse einer unabhängigen Evaluierung der wissenschaftlichen Arbeit der Weltbank

      Im Oktober 2006 legte ein internationales Team renommierter Autoren und Auto-
      rinnen - u.a. vom Massachusetts Institute for Technology (MIT) und der Univer-
      sitäten Oxford, Harvard und Yale – eine Evaluierung der wissenschaftlichen Arbeit
      der Weltbank vor (Deaton et al 2006). Geleitet wurde das Team von Angus Deaton
      (Princeton).
      Die Frage nach der Qualität der Forschungsarbeiten, Studien, Statistiken und Reports
      der Bank ist insofern von großer Bedeutung, als die Bank sich über ihre politische
      Funktion und ihre operative Arbeit hinaus auch weltweit als Meinungsführer im ent-
      wicklungspolitischen Diskurs etablieren konnte. Ihre Statistiken und Reports, wie der
      Weltentwicklungsbericht oder Global Development Finance gelten als autoritative
      Quellen. Auch in der Diskussion über die Rolle der Globalisierung für die Entwick-
      lungsländer haben die Publikationen der Bank einen großen Einfluss.
      Die Evaluierung bestätigt, was kritische Stimmen schon lange behaupten: die Welt-
      bank nutzt Statistiken, Forschungsergebnisse und Reports um ihre politische Linie
      damit zu rechtfertigen. Dabei wird geschönt, manipuliert, verschwiegen, oder auch
      einfach nur schlampig gearbeitet. Vor allem bei Themen, die politisch umstritten sind.
      Dazu gehören Globalisierung, Wachstum und Armut. So heißt es in der Evaluierung,
      dass „diese Forschung auf missionarische Weise für die Politik der Bank genutzt wur-
      de, ohne eine ausgewogene Sicht auf das empirische Material, und ohne die ange-
      messene Skepsis. Forschungsarbeiten, die die Positionen der Bank bestätigten, wurde
      große Aufmerksamkeit zuteil, kritische Arbeiten wurden ignoriert.“ (ibid. S.6)
      Auch die Erhebung und die Verbreitung von statistischen Daten wird kritisiert: „Die
      Daten-Aktivitäten sind wahllos organisiert, sowohl bei der Erhebung, wie bei der Ar-
      chivierung und Verbreitung.“ (S. 6) Und: „Zu wenig wurde unternommen, um auf
      den frühen Erfolgen des Living Standards Measurement Surveys aufzubauen und zu
      international vergleichbaren Daten für zentrale Themen beizutragen, wie Armut und
      Sterblichkeit.“ (ibid.) Die AutorInnen der Evaluierung vermuten, „dass das Manage-
      ment das Verständnis und die Vertrautheit der Forscher mit statistischen und öko-
      nometrischen Methoden nicht immer richtig beurteilte, und dass dies mitunter zum
      Scheitern einer angemessenen Interpretation und eines entsprechenden Manage-
      ments von Forschungsergebnissen führte.“ (S. 7)
      Speziell zum Flaggschiff der Weltbankpublikationen, dem Weltentwicklungsbericht,
      heißt es in der Studie: „Es fehlt ihnen oft die Trennschärfe und Fokussierung, und sie
      sind in gewisser Weise inkohärent, insbesondere wenn es sich als unmöglich erweist,
      die Sichtweisen der verschiedenen Kommentatoren und Autoren miteinander in Ein-
      klang zu bringen.“ (S. 8)
      Die Studie analysiert auch einige Einzelpublikationen, die großen Einfluss auf die öf-
      fentliche Debatte der vergangenen Jahre hatten, wie die Studie „Growth is good for
      the poor“ von Dollar/Kray, oder „Globalization, growth, and poverty“ von Dollar/
      Collier. Sie kommt dabei zu dem Schluss, dass „vieles in der Linie dieser Untersuchun-
      gen so schwere Fehler zu haben scheint, dass die Resultate heute nicht als ausrei-
      chend zuverlässig angesehen werden können.“ Dennoch wurden sie in der Politik der
      Bank zu ultimativen Wahrheiten hochstilisiert: „In wichtigen politischen Reden und
      Publikationen wurden die neuen Arbeiten mit missionarischem Eifer präsentiert ohne
      angemessene Vorsicht hinsichtlich deren Zuverlässigkeit.“ (S. 52)
      Gipfelpunkt des manipulativen Umgangs mit Forschungsergebnissen ist jedoch die
      Ausgrenzung und das „Beschweigen“ von Arbeiten, die nicht in das herrschende
      Weltbild passen. So wurden z.B. die Arbeiten des Experten für die Messung sozi-
      aler Ungleichheit, B. Milanovic, in der offiziellen Außendarstellung unterschlagen.
      Milanovic hatte u.a. nachgewiesen, dass sich Handelsliberalisierungen und der
      Abbau von Zöllen negativ auf die unteren 20 Prozent der Einkommenspyramide
      auswirken.
1. Die Ruhe vor dem Sturm?

 Die Studie zählt mehrere solchen Beispiele auf, die der politischen Linie der Bank wi-
 dersprechen, die Globalisierung als Segen für die Menschheit und Erfolgsstory bei der
 Armutsbekämpfung hochzujubeln.
                                                                                                                       11
 Die Studie gibt es zum Download unter: http://siteresources.worldbank.org/DEC/
 Resources/84797-1109362238001/726454-1164121166494/RESEARCH-EVALUA-
 TION-2006-Main-Report.pdf

1.2 Dominanz der Finanzmärkte – das neue Paradigma
   Die Finanzbeziehungen zwischen In-          • die Institutionalisierung und Profes-
dustrie- und Entwicklungsländern kön-            sionalisierung der Eigentümerfunkti-
nen nicht losgelöst von den tektonischen         on in Form der institutionellen Anle-
Verschiebungen gesehen werden, die               ger und die sich daraus ergebende
sich auch gesellschaftspolitisch in den        • Orientierung am Shareholder Value
letzten zwanzig Jahren auf dem Globus            (s. dazu Windolf 2005) und damit
durchgesetzt haben. Was gemeinhin als            ein Wechsel von der Substanzorien-
Globalisierung bezeichnet wird, ist in           tierung der Untenehmen hin zu einer
seinem ökonomischen Kern Ausdruck                Ertragswertorientierung. Der Wie-
eines Systemwechsels. Das Nachkriegs-            derverkaufswert von Vermögenswer-
system mit seiner Orientierung auf die           ten (assets) ist wichtiger als der Ertrag
Bildung von Sachkapital bzw. materi-             geworden.
eller Wertschöpfung und auf politische          Es ist eine vermögensgetriebene Öko-
Lenkung ist durch ein marktzentriertes       nomie (Bischoff 2006) entstanden, in
System ersetzt worden, in dem die Fi-        der die Interessen der institutionellen
nanzmärkte eine dominante Rolle über         Anleger, Aktionäre und Vermögensbe-                     Die Finanzbeziehungen zwi-
die Realwirtschaft innehaben. Es ist ge-     sitzer dominieren. Sie saugen den Net-                  schen Industrie- und Entwick-
kennzeichnet durch:                          toertrag der gesamtgesellschaftlichen                   lungsländern müssen vor dem
                                             Akkumulation für sich ab. Dies erklärt                  Hintergrund des in den letzten
 • die Verselbständigung der Finanz-         die im vorherigen Abschnitt skizzierten                 zwanzig Jahren erfolgten
   sphäre von der Realökonomie, d.h.         horrenden Vermögenszuwächse. Damit                      globalen Systemwechsels zu
   die Entstehung eines selbstreferenti-     geht eine Umverteilung von unten nach                   einer vermögensgetriebenen
   ellen Finanzsektors mit einer eigenen     oben einher sowie die Ersetzung solidari-               Ökonomie betrachtet werden.
   Dynamik,3                                 scher Sozialsysteme durch kapitalmarkt-
 • systemisch bedingte Instabilität auf      finanzierte. Über ihre zunehmende Inte-
   den Finanzmärkten, die die Voraus-        gration in den Weltmarkt übernehmen
   setzung für neue, spekulative Rendi-      Entwicklungsländer zunehmend diese
   temöglichkeiten bilden,                   Strukturen. Die Finanzbeziehungen zwi-
 • die Umstellung der Unternehmens-          schen Industrie- und Entwicklungslän-
   finanzierung vom klassischen Bank-         dern sind vor dem Hintergrund dieser
   kredit auf die Kapitalmarktfinanzie-       systemischen Einbettung zu interpretie-
   rung,                                     ren.

1.3 Die Verschuldungssituation der Entwicklungsländer
  In den aktuellen Reports der Weltbank      gibt es in den vergangenen Jahren eine
und anderer multilateraler Institutionen     ungebrochene Wachstumsphase, an der                     In den letzten Jahren gab es
stehen die positiven Wachstumsraten,         die meisten Entwicklungsländer über-                    eine ungebrochene Wachs-
die Expansion der Kapitalflüsse, der          durchschnittlich beteiligt sind. Auch in                tumsphase, an der auch die
Investitionen und des Exports im Vor-        ehemaligen Krisenländern wie Argenti-                   meisten Entwicklungsländer
dergrund, verweisen auf die Erholung                                                                 beteiligt waren.
in ehemaligen Krisenländern und be-
                                             3
                                               Dies bedeutet nicht völlige Abkopplung von der Re-
                                             alökonomie, vor allem dann, wenn es zu Finanzkrisen
tonen, dass es seit der Argentinienkrise     oder Crashs kommt, die dann doch wieder auf die Real-
keine neuen Krisen mehr gab. In der Tat      ökonomie durchschlagen.
1. Die Ruhe vor dem Sturm?

12                               nien und Russland zeigen viele makro-
                                 ökonomische Daten wieder eine positive
                                 Tendenz auf. Hierbei sind drei Haupt-
                                                                                                        rung, die durch gezielte Intervention
                                                                                                        der Zentralbank gewährleistet wird).
                                                                                                        Im Fall Argentiniens ist es auch die
                                 faktoren von Bedeutung:                                                selbstbewusste Art des Schuldenma-
                                  a. die insgesamt positive Konjunktur-                                 nagements, die die Interessen der
                                     entwicklung weltweit,                                              Gläubiger nicht an die erste Stelle
Die von IWF und Weltbank          b. der starke Rohstoffhunger von Chi-                                 setzt (s. Kasten 10).
Orthodoxie abweichende Wirt-         na und einigen anderen asiatischen                             Im Zuge dieser makroökonomischen
schaftspolitik vieler ehemali-       Volkswirtschaften, der eine entspre-                           Aufhellung hat es auch bei einigen wich-
ger Krisenländer ist einer der       chende Nachfrage zur Folge hat,                                tigen Schuldenindikatoren eine Verbesse-
entscheidenden Faktoren der       c. eine unorthodoxe Wirtschaftspolitik,                           rung gegeben. Zwar ist der Gesamtstock
günstigen Wachstumsentwick-          die sich zunehmend von den neoli-                              der Schulden (langfristig) aller Entwick-
lung dieser Länder.                  beralen Dogmen und Vorgaben von                                lungsländer weiter gewachsen (s. Grafik
                                     IWF und Weltbank entfernt. Dazu                                3), aber die absolute Schuldenhöhe ist
                                     gehört die Orientierung auf Han-                               nicht sehr aussagekräftig. Sie muss mit
                                     delsbilanzüberschüsse als Entwick-                             anderen Größen, wie dem Brutto-Nati-
                                     lungslokomotive (abgesichert durch                             onaleinkommen und der Exportleistung
                                     Unterbewertung der eigenen Wäh-                                in Relation gesetzt werden.

                                     Grafik 3: Gesamtschuldenentwicklung
                                     der Entwicklungsländer 1980 - 2005
                                      Bill. US-$
                                        2,50

Der Gesamtstock der Schulden                                                                                                           2,16    2,19
                                        2,00                                                                                    2,05
von Entwicklungsländern ist                                                                         1,94
                                                                                             1,89          1,91          1,93
                                                                                                                  1,87
zwar gewachsen ......
                                                                                      1,66
                                                                        1,56   1,61
                                        1,50

                                                                 1,10
                                        1,00

                                                          0,76

                                        0,50
                                                   0,41

                                        0,00
                                               1980 1985 1990 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

                                                                                                                                              Quelle: GDF 2006

                                   Demnach stellt man fest, dass sich der                           quote (Verhältnis langfristige Schulden
                                 Druck der Schuldenlast relativ gesehen                             zu Brutto-Nationaleinkommen) in allen
                                 vermindert hat. So sinkt die Schulden-                             Länderkategorien4 (s. Grafik 4).

                                 4
                                  Auflistung der einzelnen Länderkategorien siehe An-
                                 nex I.
1. Die Ruhe vor dem Sturm?

    Grafik 4: Entwicklung der Schuldenquote 1980 - 2004
    ausgewählter Ländergruppen                                                                                                           13
      in Prozent
       des BIP
         70,0

         60,0

         50,0

         40,0                                                                                                        ..... aber Erleichterung signali-
                                                                                                                     siert die Schuldenquote .....
         30,0

         20,0

         10,0

          0,0
                  1980 1985 1990 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004

                     Alle Entwicklungsländer
                     Länder mit niedrigem Einkommen (LICs)
                     Länder im unteren Bereich mittlerer Einkommen (LMICs)           Quelle: GDF 2006

  Auch bei den Problemgruppen, den Län-                       schaftliche Konjunktur beigetragen. Auch
dern mit niedrigem Einkommen (LICs)                           die Schuldenerlasse wie die HIPC-Initia-
und darunter wiederum der besonderen                          tive, die Multilateral Debt Relief Initiati-
Gruppe der hoch verschuldeten armen                           ve (MDRI5) und bilaterale Erlasse haben
Länder (HIPCs) hat es eine Erleichterung                      – bei aller Begrenztheit der Maßnahmen
gegeben. Dazu hat nicht nur die weltwirt-                     - dazu beigetragen (s. Kapitel 2).

    Grafik 5: Entwicklung der Schuldendienstquote
    ausgewählter Ländergruppen (in Prozent)
        Prozent
         400

                                                                                                                     ..... und die Schuldendienst-
         350
                                                                                                                     quote.
         300

         250

         200

         150

         100

          50

           0
                   1985      1990        1995         2000        2001       2002     2003      2004

                    Alle Entwicklungsländer
                    Länder mit niedrigem Einkommen (LICs)
                    Länder im unteren Bereich mittlerer Einkommen (LMICs)            Quelle: GDF 2006

5
 Die MDRI wurde 2005 von den G8-Finanzministern               Afrikanischer Entwicklungsbank und IDA gestrichen
beschlossen und sieht vor, dass jene Länder, die HIPC         bekommen, unter der Voraussetzung, dass sie bestimm-
durchlaufen haben, zusätzlich ihre Schulden bei IWF,          te Strukturanpassungsmaßnahmen durchführen.
1. Die Ruhe vor dem Sturm?

14                                  Darüber hinaus hat es qualitative Ver-
                                  besserungen in der Zusammensetzung
                                  der Schulden gegeben. So ist der Anteil
                                                                              bilität und systemischen Risiken im in-
                                                                              ternationalen Finanzsystem erhöht. Die
                                                                              kurzfristigen Kapitalflüsse wurden auch
                                  der kurzfristigen Schulden zurückge-        vom finanzpolitischen Mainstream,
                                  gangen. Kurzfristig bedeutet eine Lauf-     wie z.B. vom Forum für Finanzstabili-
                                  zeit von bis zu maximal einem Jahr. Ihr     tät (FSF) schon nach der Asienkrise als
Das massive Ansteigen der         Anteil an den gesamten Transfers hatte      Risikofaktor angesehen. Kurzfristiges
kurzfristigen Kapitalflüsse in     sich in der ersten Hälfte der neunziger     Kapital wirkt nämlich pro-zyklisch, das
Entwicklungsländer in den         Jahre mehr als verdreifacht, nämlich        heißt in Phasen eines Aufschwungs stei-
1990er Jahren hat die Instabi-    von 176 Mrd. US-$ 1990 auf 454 Mrd.         gen die Zuflüsse überproportional an,
lität und systemischen Risiken    US-$ (World Bank 2000). Sie wurden          in der Abschwungphase oder gar Krise
des internationalen Finanzsys-    in der zweiten Hälfte der neunziger         wird das Kapital aber dann rasch abge-
tems erhöht.                      Jahre häufig zur Zwischenfinanzierung         zogen. Die Aufhebung von Kapitalver-
                                  genutzt. Ihre Zinsen sind niedriger, weil   kehrs- und Devisenkontrollen hat die
                                  das Risiko bei kurzen Zeiträumen des        Lenkungsmöglichkeiten des Zustroms
                                  Investors niedriger ist. Die Aufblähung     und Abflusses von Kapital faktisch auf-
                                  dieses Schuldentyps hat aber die Insta-     gehoben.

                                  Tabelle 3: Verhältnis der kurzfristigen Schulden zu den
                                  Gesamtschulden in den größten Schuldnerländern,
                                  1996 - 2004 (in Mrd. US-$)

Die Zusammensetzung der             Land                           1996         2004         Veränderung
Schulden von Entwicklungslän-
                                    China                          19,7         47,2              27,5
dern hat sich verbessert: der
Anteil der kurzfristigen Schul-     Russische Föderation            9,5         17,8               8,4
den an den Gesamtschulden ist       Venezuela                       7,9         12,2               4,3
zurückgegangen.                     Ägypten                         7,4           9,7              2,3
                                    Algerien                        1,0           2,0              1,0
                                    Indien                          7,2           6,1             −1,1
                                    Türkei                         21,7         19,7              −2,0
                                    Argentinien                    21,2         16,2              −4,9
                                    Nigeria                        18,1         12,8              −5,3
                                    Pakistan                        9,4           3,5             −6,0
                                    Malaysia                       27,9         21,9              −6,0
                                    Kolumbien                      20,4         14,2              −6,2
                                    Indonesien                     25,0         17,4              −7,6
                                    Chile                          25,7         17,5              −8,2
                                    Brasilien                      19,8         11,4              −8,4
                                    Philippinen                    18,1           8,3             −9,8
                                    Mexiko                         19,1           6,6            −12,5
                                    Südafrika                      41,6         27,8             −13,8
                                    Peru                           22,2           8,0            −14,2
                                    Thailand                       42,3         22,4             −19,9
                                    Durchschnitt                   18,8         16,4              −2,4
                                                                                               Quelle: GDF 2006
1. Die Ruhe vor dem Sturm?

  All diese Verbesserungen dürfen nicht
darüber hinwegtäuschen, dass auch jetzt
die Schuldenlast für die armen Länder
                                             als zugangsberechtigt angesehenen Län-
                                             der der Gruppe den Punkt erreicht, bei
                                             dem sie in den vollen Genuss des ver-
                                                                                                            15
nach wie vor erdrückend ist. Wenn im         sprochenen Schuldenerlasses kommen.
Mainstream immer wieder auf die kri-            Der Ressourcenabfluss durch Schul-
senfreie Entwicklung der letzten Jahre       dendienst absorbiert nach wie vor erheb-
hingewiesen wird, so verkennt dies, dass     liche Entwicklungskapazitäten. Um sich
die Verschuldungskrise vor allem für die     die Größenordnungen verdeutlichen zu
armen Länder seit nun einem Viertel-         können: er betrug 2004 immer noch
jahrhundert Dauerzustand ist. Auch zehn      fünfeinhalb Mal so viel wie die gesamte
Jahre nach dem Start von HIPC haben          Entwicklungshilfe der OECD-Länder            Trotz einiger Verbesserun-
immer noch erst 21 der ursprünglich 42       zusammen genommen.                           gen ist der Schuldenstand
                                                                                          der Entwicklungsländer noch
                                                                                          immer erdrückend und der
   Grafik 6: Schuldendienst (alle Entwicklungsländer)                                      Schuldendienst verschlingt
   und Entwicklungshilfe 2004 im Vergleich                                                erhebliche Entwicklungskapa-
                                                                                          zitäten. Die Verschuldungskrise
                                                                                          der Entwicklungsländer ist nun
                                                                                          seit einem Vierteljahrhundert
  Mrd. US-$                                                                               Dauerzustand.

     500

     450                                                   450,25

     400

     350

     300

     250

     200

     150

     100
                          79,6
      50

       0
                       ODA                         Schuldendienst

                                                                       Quelle: GDF 2006

1.4 Wiederanstieg der privaten Kapitalflüsse
   In den neunziger Jahren wurden die        rie abgesetzt hatten, wurden die anderen
damals rapide ansteigenden Privatflüsse       in den Strudel der Krise gezogen. Brasi-
in die Entwicklungsländer als das ideale     lien, Russland und Argentinien folgten
Instrument für Entwicklung angesehen.        kurz danach. Es war deutlich geworden,       Mit der Asienkrise ist die Vor-
Nachdem die keynesianisch-staatszen-         dass hohe Kapitalflüsse unter Bedingun-       stellung, private Kapitalflüsse
trierten Modernisierungsstrategien an        gen weit gehender Liberalisierung nicht      seinen das beste Instrument
ihre Grenzen gestoßen waren, wurde           per se gut sein müssen, sondern auch         für Entwicklung, eindeutig ent-
die Vorstellung dominant, die Privaten       enorme Risiken bergen. Das Verspre-          zaubert worden.
könnten alles besser. Zwar war auch          chen, die Flut der privaten Kapitalströ-
schon damals deutlich, dass nur eine         me würde alle Boote emporheben – die
kleine Gruppe von etwa einem Dutzend         großen Dampfer wie auch die kleinen
Länder in den Genuss des Geldsegens          Kähne – hatte sich nicht bewahrheitet.
kam, aber es musste erst der Crash in Asi-      Das ist nicht verwunderlich. Denn
en 1997/98 kommen, um die Privatflüs-         das Ziel privater Investoren ist es nicht,
se zu entzaubern. Mit Ausnahme jener         Entwicklung zu ermöglichen, sondern
Länder, die sich wie China und Indien        Renditen für die Kapitalgeber zu erwirt-
durch Kapitalverkehrskontrollen von der      schaften – und zwar größtmögliche. Ef-
damals allfälligen Liberalisierungseupho-    fizienz heißt in diesem Zusammenhang
1. Die Ruhe vor dem Sturm?

16                               Maximalprofit. Der ist aber nicht iden-
                                 tisch mit entwicklungspolitischer Wirk-
                                 samkeit. Die trickle down-These – schon
                                                                                             les Handeln, das Entwicklung als Priori-
                                                                                             tät definiert und Kapazitäten und Res-
                                                                                             sourcen entsprechend konzentriert. Der
                                 von Keynes als Pferdeäpfel-Theorie ver-                     Markt versagt an dieser Aufgabe.
                                 spottet (man muss den großen Pferden                          Daran dürfte sich auch zukünftig
Maximalprofit für private         nur ordentlich zu fressen zu ergeben,                       nichts ändern. Denn die immer stärker
Investoren ist nicht identisch   dann fällt hinten auch was für die klei-                    werdende Orientierung an der größt-
mit entwicklungspolitischer      nen Spatzen ab) - ist in den neunziger                      möglichen Rendite ist Ausdruck des o. g.
Wirksamkeit.                     Jahren einmal mehr empirisch widerlegt                      Paradigmenwechsels im Wirtschaftssys-
                                 worden. Entwicklung erfordert planvol-                      tem überhaupt.

                                    Grafik 7: Öffentliche und private
                                    Ressourcenflüsse in die Entwicklungsländer im Vergleich
                                  Mrd. US-$
                                   450

                                    400

                                    350

                                    300

                                                                                             privat
                                    250

Die Schere zwischen privaten        200
und öffentlichen Kapitalflüssen
in Entwicklungsländer geht          150

immer weiter auf.
                                    100

                                                                                                öffentlich
                                    50

                                     0
                                          1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

                                                                                                                                Quelle: GDF 2006

                                   Mit der Krisenserie 1997 bis 2001                         den Löwenanteil ab. Unter den Schwer-
                                 ging der private Kapitalfluss in den Sü-                     punktregionen ragen wiederum China
Seit 2003 steigen die privaten   den vorübergehend wieder zurück. Ab                         in Asien und Russland und die Türkei
Kapitalflüsse in Entwicklungs-    2003 gehen die Zahlen wieder steil nach                     in Europa heraus. China, Russland und
länder wieder rapide an, wo-     oben. An der regionalen Konzentration                       Türkei erhielten damit 2004 zusammen
durch die systemischen Risiken   hat sich dabei wenig geändert. Wie in                       etwa ein Drittel aller privaten Ressour-
wieder ansteigen.                den 1990er Jahren bekommt die Grup-                         cenflüsse in Entwicklungsländer (109,65
                                 pe der aufstrebenden Emerging Markets                       Mrd. US-$ = 33,53 Prozent).

                                 Tabelle 4: Spitzenreiter bei Netto-Ressourcenflüssen

                                                                              Land         2000         2001        2002        2003         2004

                                 Privater Netto-Ressourcenfluss
                                                                             China         40,64       41,07       47,11       59,75        73,83
                                 (Mrd. US-$)
                                 Privater Netto-Ressourcenfluss
                                                                           Russland         1,41        1,71         8,45      15,78        23,72
                                 (Mrd. US-$)
                                 Privater Netto-Ressourcenfluss
                                                                             Türkei         9,82        0,89         7,45        2,59        12,1
                                 (Mrd. US-$)

                                                                                                                                  Quelle GDF 2006
1. Die Ruhe vor dem Sturm?

  Mit der rapiden Zunahme der priva-
ten Kapitalflüsse steigen auch wieder
die systemischen Risiken. Zum einen
                                          die Entwicklungsländer ihre Wechsel-
                                          kurse dadurch zu stabilisieren, dass sie
                                          mit Hilfe von Devisenreserven auf den
                                                                                                        17
würde im Fall einer abrupten Umkehr       Devisenmärkten intervenieren. Dar-
der Flüsse ein Crash umso größer, zum     über hinaus wollen sie sich gegen spe-
anderen kommen die Wechselkurse der       kulative Attacken und Währungskrisen         Mit dem Aufbau hoher
Währungen der Entwicklungsländer          schützen. In der Asienkrise hatten die       Devisenreserven wollen sich
unter Aufwertungsdruck. Eine Auf-         Reserven nicht ausgereicht, den Crash        Schwellen- und Entwicklungs-
wertung verteuert aber wiederum die       abzuwenden. Deshalb haben fast alle          länder vor dem nächsten Crash
Exporte und beeinträchtigt damit die      Entwicklungsländer in den letzten Jah-       schützen.
Wettbewerbsfähigkeit auf dem Welt-        ren hohe Devisenreserven angehäuft (s.
markt. Aus diesem Grund versuchen         Tabelle 5).

Tabelle 5: Brutto Devisenreserven der Entwicklungsländer,
1997 - 2005 (Mrd. US-$)

                          1997    1998     1999     2000     2001     2002     2003        2004    2005*

Alle EL                   571,6   588,0    621,2    666,6    748,3    920,1 1,211,8 1,616,6 2,009,5

Europa und Zentralasien    90,8    95,9    102,3    118,9    130,0    173,8    234,6       313,9    408,7
  Russ. Föderation         12,8     7,8       8,5     24,3     32,5    44,1     73,2       120,8    175,7
  Türkei                   18,6    19,4      23,2     22,3     18,7    26,9     33,8        35,5     50,4
Lateinamerika
                          166,5   157,3    149,7    152,7    155,5    156,4    189,5       214,4    246,5
und die Karibik
  Argentinien              22,2    24,5      26,1     24,4     14,5    10,4     13,1        18,0     22,7
  Brasilien                50,8    42,6      34,8     32,5     35,7    37,4     49,1        52,7     53,5
  Chile                    17,3    15,3      14,2     14,7     14,0    14,8     15,2        15,5     16,7
  Mexiko                   28,1    31,5      31,0     35,1     44,4    49,9     57,7        62,8     73,0
  Venezuela                14,0    11,6      11,7     12,6      8,8      8,0    15,5        17,9     23,5
Nahost und Nordafrika      43,7    42,0      40,8     45,6     55,1    67,1     89,1       103,3    124,6
  Algerien                  8,0     6,8       4,4     11,9     18,0    23,1     32,9        43,1     56,2
  Ägypten                  18,5    17,9      14,3     12,9     12,9    13,2     13,4        14,1     20,5
  Libanon                   5,9     6,5       7,7      5,9      5,0      7,2    12,5        11,7     11,8
Ostasien und Pazifik       212,5   233,2    262,5    272,7    320,4    408,4    545,0       782,0    999,9
  China                   139,9   145,0    154,7    165,6    212,2    286,4    403,3       609,9    818,9
  Indonesien               16,1    22,4      26,2     28,3     27,0    30,8     34,7        34,7     32,8
  Malaysia                 20,0    24,7      29,7     28,6     29,6    33,3     43,5        65,4     69,7
  Philippinen               7,2     9,1      13,1     13,0     13,4    13,2     13,5        13,0     15,8
  Thailand                 25,7    28,4      33,8     31,9     32,3    38,0     41,0        48,5     50,5
Sub-Sahara Afrika          28,1    26,6      27,9     34,1     34,4    34,7     38,6        60,9     81,6
  Angola                    0,4     0,2       0,5      1,2      0,7      0,4         0,6     1,4       3,2
  Nigeria                   7,6     7,1       5,5      9,9     10,5      7,3         7,1    17,0     28,3
  Südafrika                 4,8     4,2       6,1      5,8      5,8      5,6         6,2    12,8     18,3
Südasien                   30,0    32,9      37,9     42,6     52,8    79,8    114,8       142,0    148,3
  Indien                   24,3    27,0      32,0     37,3     45,3    67,0     97,6       125,2    131,0
  Pakistan                  1,2     1,0       1,5      1,5      3,6      8,1    10,7         9,6       9,8

 * geschätzt                                                                                Quelle: GDF 2006
1. Die Ruhe vor dem Sturm?

18                                 Dem Nutzen der Reserven als Instru-
                                 ment zur Wechselkurstabilisierung und
                                 zur Abwehr von Währungskrisen steht
                                                                                         ausgegeben, die den Gesamtstand die-
                                                                                         ser Anleihen auf 1,033 Bil. Yuan erhöh-
                                                                                         ten (entspricht 103 Mrd. US-$; GDF
                                 aber als Problem gegenüber, dass dieses                 06). Hinzu kommt das Risiko, dass eine
                                 Instrument gewaltige Mittel absorbiert,                 Abwertung der Währungen, in der die
                                 die dann nicht mehr für Entwicklung                     Reserven gehalten werden, zu entspre-
                                 und Armutsbekämpfung zur Verfügung                      chenden Verlusten führt und hohe Re-
Devisenreserven sind als In-     stehen. Finanziert werden müssen die                    serven Zinserhöhungsdruck erzeugen.
strument zur Wechselkurssta-     Reserven durch inländische Staatsver-                   Diese Form der Absicherung des Wech-
bilisierung und Krisenabwehr     schuldung – oder mit Hilfe der Noten-                   selkursrisikos ist also in hohem Maße
auf Dauer ineffizient und ein     presse. So hat die chinesische Staatsbank               ineffizient und auf Dauer ein Entwick-
Entwicklungshemmnis.             2004 und 2005 Inlandsanleihen jeweils                   lungshindernis.
                                 in Höhe von 805 und 922 Mrd. Yuan

                                 1.5 Entwicklungshilfe
                                   Neben dem Umfang der privaten Fi-                     2005 ins Auge. Dies ist eine historisch
                                 nanzströme fällt die öffentliche Entwick-               einmalige Steigerungsrate sowie ein abso-
                                 lungshilfe der OECD-Länder (Official                     luter Höchststand in absoluten Zahlen.
                                 Development Aid – ODA) bescheiden                       Sieht man sich das Kleingedruckte an,
                                 aus. 421 Mrd. US-$ privater Flüsse 2005                 dann erweist sich dieser Zuwachs rasch
Der hohe Zuwachs der offiziel-    stehen 106,5 Mrd. US-$ - also einem                     als Seifenblase. Denn von den 26,9 Mrd.
len ODA erweist sich bei nähe-   Viertel davon - gegenüber. Es gibt viel an              US-$ Zuwachs entfallen allein auf einen
rem Hinsehen als Seifenblase.    der Entwicklungshilfe auszusetzen. Ihre                 Schuldenerlass für den Irak 14 Mrd.
                                 Qualität, die geringe Höhe, der politische              US-$6 und weitere 5 Mrd. auf Nigeria.
                                 Missbrauch für strategische Zwecke oder                 Abgesehen davon, dass es problematisch
                                 als Türöffner für den Privatsektor etc.                 ist, Schuldnerlasse, die in der Regel auf
                                 Der Großteil der Kritik ist zutreffend,                 Geld verzichten, das ohnehin nicht mehr
                                 und die Anstrengungen um eine Reform                    einzutreiben ist, auf die ODA anzurech-
                                 und eine substantielle Steigerung dürfen                nen7, kommt beim Irak hinzu, dass der
                                 nicht eingestellt werden. Dennoch: auch                 Erlass ausschließlich politisch motiviert
                                 mit all ihren Mängeln ist die ODA den                   ist. Die Hilfe wird hier missbraucht zur
                                 privaten Kapitalströmen entwicklungs-                   Ko-Finanzierung der Fehlentwicklun-
                                 politisch noch weit überlegen. Vor allem                gen, zu denen die imperiale Großmacht-
                                 erreicht sie Länder und Sektoren, die                   politik der USA in der Region geführt
                                 von den Privaten links liegen gelassen                  hat. Während US-Unternehmen bei der
                                 werden. Die Zivilgesellschaft sollte sich               Ölförderung und beim Wiederaufbau
                                 daher nicht an einem undifferenzierten                  große Profite in private Kassen lenken,
                                 ODA-Bashing beteiligen, sondern sich                    übernehmen die öffentlichen Hände die
                                 konstruktiv für Verbesserung einsetzen.                 Schulden.
                                   Schaut man sich die Entwicklung der                      Weitere 2,2 Mrd. des Zuwachses ent-
                                 ODA nun im Detail an, dann springt als                  fallen auf die Soforthilfe beim Tsunami,
                                 erstes der exorbitante Sprung von 79,6                  also eine vorübergehende Maßnahme.
                                 Mrd. US-$ 2004 auf 106,5 Mrd. US-$

                                 6
                                   Der Gesamterlass beläuft sich auf 30 Mrd. US-$.
                                 7
                                   Bei der UN-Konferenz Financing for Development
                                 in Monterrey 2002, versprachen die Geber selbst, dass
                                 Schuldenerlasse andere Komponenten der ODA nicht
                                 ersetzen würden.
1. Die Ruhe vor dem Sturm?

Tabelle 6: Netto ODA, 1990 - 2005 (Mrd. US-$)

 DAC Mitgliedsländer
                          1990
                          54,3
                                     1995
                                     58,8
                                             2000
                                              53,7
                                                        2001
                                                        52,4
                                                                  2002
                                                                  58,3
                                                                           2003
                                                                            69,1
                                                                                     2004
                                                                                     79,6
                                                                                            2005*
                                                                                            106,5
                                                                                                                      19
 G7 Länder                42,4       44,7     40,2      38,2      42,6      50,0     57,6     80,1
 USA                      11,4        7,4     10,0      11,4      13,3      16,3     19,7     27,5
 Japan                       9,1     14,5     13,5       9,8       9,3       8,9      8,9     13,1
 Großbritannien              2,6      3,2      4,5       4,6       4,9       6,3      7,9     10,8
 Frankreich                  7,2      8,4      4,1       4,2       5,5       7,3      8,5     10,1
 Deutschland                 6,3      7,5      5,0       5,0       5,3       6,8      7,5      9,9
 Kanada                      2,5      2,1      1,7       1,5       2,0       2,0      2,6      3,7
 Italien                     3,4      1,6      1,4       1,6       2,3       2,4      2,5      5,1

zum Vergleich:
EU-Länder                 28,3       31,2     25,3      26,4      30,0      37,1     42,9     55,7
* vorläufig                                                                     Quelle: OECD 2006

  Hinzu kommt, dass ähnlich wie bei              von 0,34 Prozent zu Beginn der 1990er
der absoluten Schuldenhöhe die absolu-           Jahre. Bereits ab 2006 prognostiziert
ten Zahlen der ODA wenig aussagekräf-            die OECD sogar wieder ein Sinken der
tig sind. Würde man diese als Kriterium          Quote, das sich wohl bis zum Abschluss              Mit einem Anteil von 0,33
nehmen, wären die USA der größte Ge-             des Schuldenerlasses für den Irak 2008              Prozent am BIP liegt die ODA-
ber. Entscheidend ist aber der Anteil am         fortsetzen wird.                                    Quote weit unter der Zielmar-
Brutto-Nationaleinkommen der Geber-                Positiv dagegen ist, dass die Vergabe             ke von 0,7 Prozent.
länder, und nach diesem Maßstab bilden           konzessionärer Kredite der öffentlichen
die USA das Schlusslicht.                        Geber zugunsten von Zuschüssen weit-
  Für den Anteil am Brutto-Nationalein-          gehend zurückgefahren wurde (s. Tabelle
kommen gilt seit 1970 die Zielmarke 0,7          7). Denn trotz der nicht marktförmigen
Prozent. Gemessen daran besteht kein             Bedingungen (geringere Zinsen, längere
Anlass für Optimismus. Zwar ist die-             Laufzeiten etc.) waren die konzessionä-
se Kennziffer von ihrem Tiefpunkt von            ren Kredite immer wieder eine Quelle
0,22 Prozent im Jahr 2001 inzwischen             von Neuverschuldung. Der Übergang zu
auf 0,33 Prozent gestiegen. Damit liegt          reinen Zuschüssen ist daher eine lange
sie immer noch unter der Höchstmarke             Forderung der Zivilgesellschaft gewesen.

Tabelle 7: Anteil von Zuschüssen und öffentlichen Krediten
an ODA 2000 - 2005 (in Mrd. US-$)
                   2000            2001       2002         2003            2004        2005
 Zuschüsse      33.039,60     33.522,10     39.813,40    50.908,30       57.222,50   83.109,30
                                                                                                     Ein Großteil des Wachstums
 Öff. Kredite     3.288,20     2.679,10      1.583,50          757,07      389,10     1.790,40
                                                                                                     der ODA geht auf die Erhö-
                                                                              Quelle: OECD 2006      hung von Zuschüssen zurück.

  Gleichzeitig hat eine stärkere Kon-            der ODA auf sog. „Post-Konflikt Län-
zentration der ODA auf die Gruppe                der“ zu verteilen. So entfällt der dras-
der ärmsten Länder stattgefunden. Sie            tische Anstieg der ODA für den Mitt-
erhalten heute 45 Prozent der Gesamt-            leren Osten von 4,5 Prozent 2002 auf
ODA im Vergleich zu 30 Prozent 1999.             11,6 Prozent 2004 fast ausschließlich
Damit geht auch eine regionale Ver-              auf den Irak, Afghanistan und Jorda-
schiebung einher. So stieg der Anteil            nien. Die Hilfe für den Irak stieg von
der ODA für Subsahara Afrika von 25              im Schnitt 90 Mio. US-$ 2000-2002
Prozent 1999 auf 40 Prozent 2004.                auf 3,2 Mrd. US-$ 2003-2004. Damit
  Höchst zweischneidig dagegen ist die           wurde der Irak zum größten Empfän-
Tendenz, einen zunehmenden Anteil                gerland.
1. Die Ruhe vor dem Sturm?

20                                 Die ODA wird hier zu einem Repa-
                                 raturinstrument für die Schäden, die
                                 durch die Kriege der USA und ihrer
                                                                                            scher wenn man bedenkt wie problem-
                                                                                            los riesige Summen für die Kriegführung
                                                                                            selbst ausgegeben werden. Die direkten
                                 Verbündeten erst hervorgerufen wurden.                     Kosten der US-Operationen im Irak be-
                                 Die Gebergemeinschaft wird dazu he-                        liefen sich 2006 auf 100,4 Mrd. US-$.8
                                 rangezogen, die desaströsen Folgen der                     Dazu kommen die indirekten Kosten
Die ODA ist zu einem Repara-     US-Kriege kollektiv zu finanzieren, und                     in den USA wie Versorgungsbezüge für
turinstrument für durch Kriege   damit die Krieg führenden Mächte zu                        Militärangehörige, Hinterbliebenenren-
und Konflikte hervorgerufene      einem Großteil aus der Verantwortung                       ten etc. sowie die volkswirtschaftlichen
Schäden geworden, die von        zu entlassen. Dies ist umso problemati-                    Schäden am Kriegsschauplatz.
den Gebern - vor allem den
USA - erst hervorgerufen         Tabelle 8: Netto ODA an die zehn größten Empfängerländer
wurden.                          (Mrd. US-$, mehrjährige Durchschnittswerte)

                                         1990–1999                                 2000–2002                                     2003–2004
                                     Ägypten          2,23                  Indonesien            1,35                    Irak                  3,24
                                                                                                                          Demokrati-
                                     China            1,82                  China                 1,18                    sche Republik         3,09
                                                                                                                          Kongo
                                     Indonesien       1,47                  Ägypten               1,12                    Afghanistan           1,45
                                                                            Serbien &
                                     Polen            1,33                                        1,05                    China                 1,36
                                                                            Montenegro
                                     Indien           1,07                  Mosambik              1,00                    Vietnam               1,07
                                     Philippinen      0,90                  Vietnam               0,94                    Äthiopien             1,03
                                     Bangladesch      0,75                  Tansania              0,88                    Tansania              1,00
                                     Mosambik         0,72                  Indien                0,78                    Ägypten               0,98
                                     Thailand         0,70                  Pakistan              0,76                    Indonesien            0,85
                                     Tansania         0,68                  Bangladesch           0,57                    Jordanien             0,76
                                                                                                                                   Quelle: GDF 2006

                                 Investitionen                                              fen realwirtschaftliche Werte, Wachs-
                                                                                            tum und Beschäftigung und sorgen für
                                   Während bei Portfolioinvestitionen9                      Technologietransfer. Da es seit 2003 ei-
                                 auch der ökonomische Mainstream                            nen starken Anstieg der FDI gibt – von
                                 durchaus Risiken für Entwicklungslän-                      161 auf 237 Mrd. US-$ = +47 Prozent
                                 der sieht, gelten ausländische Direk-                      (Grafik 8) – wäre dies eigentlich Anlass,
                                 tinvestitionen (FDI) als in besonderem                     auch dementsprechend positive Ent-
                                 Maße entwicklungsfördernd. Sie schaf-                      wicklungseffekte zu vermuten.

                                 8
                                  US Department of State: congressional research service:   9
                                                                                                Portfolioinvestition = Investition in ein Finanzgeschäft
                                 http://fpc.state.gov/documents/organization/73948.pdf
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