Kein Klimaschutz ohne Systemwechsel - Warum Konzepte wie "klimasmarte Landwirtschaft" und precision farming keine Lösung sind von Martin Häusling ...

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Der kritische Agrarbericht 2021

( Schwerpunkt »Welt im Fieber – Klima & Wandel«

Kein Klimaschutz ohne Systemwechsel
Warum Konzepte wie »klimasmarte Landwirtschaft«
und precision farming keine Lösung sind

von Martin Häusling

                       Bei der Beantwortung der Frage, welchen Einfluss die Landwirtschaft auf den globalen Klimawandel
                       hat und welche Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel sinnvoll und notwendig wären,
                       spielt es eine wesentliche Rolle, welches Agrarsystem man jeweils betrachtet. Konzepte wie climate-
                       smart agriculture oder precision farming als Antwort der »modernen« Intensivlandwirtschaft auf
                       die Herausforderungen des Klimawandels helfen da nach Ansicht des Autors nicht grundlegend
                       weiter, denn sie suggerieren Präzision, wo es keine gibt, und gehen am Problem vorbei. Aufgezeigt
                       wird dies sowohl für den Ackerbau als auch für die Nutztierhaltung, indem die vermeintliche Klima-
                       schädlichkeit des Rindes widerlegt wird. Nicht das Rind ist der »Klimakiller«, sondern der von außen
                       in die Landwirtschaft eingebrachte Mineraldünger und die Intensivtierhaltung. Für den Autor ist
                       Weidehaltung nicht nur aktiver Klimaschutz – ohne sie geht auch Welternährung nicht.

Im Vergleich zum Ausmaß der Klimaschädigung                     früchten sowie Obst- und Gemüsearten entfällt mehr
durch Landnutzungsänderungen wie dem Abholzen                   als ein Drittel der in der Landwirtschaft verbrauch-
von Wald oder dem Umbruch von Grasland, scheint                 ten Energie auf die Produktion der dort eingesetzten
die Freisetzung von Treibhausgasen bei verschiede-              Agrochemikalien (Düngemittel und Pestizide).4 Wird
nen Ackerbaupraktiken eine geringere Dimension                  dies in die Treibhausgasbilanz mit eingerechnet, so,
zu haben. Dies gilt aber nur, wenn man die externen             wie es z. B. das Umweltbundesamt 2013 angibt, beträgt
Betriebsmittel nicht mit betrachtet. Rechnet man je-            der Anteil der Landwirtschaft an den Treibhausgas-
doch den Input von synthetisch-mineralischen Dün-               emissionen für das Jahr 2010 in Deutschland nicht
gemitteln und Pestiziden hinzu, sieht die Klimabilanz           sieben Prozent, sondern 13 Prozent.5 Und da sind die
anders aus, wie die folgenden Ausführungen zeigen               Treibhausgasemissionen, die beispielsweise durch die
werden.                                                         Sojaproduktion für Futtermittel in Südamerika entste-
                                                                hen (und bei uns zusätzlich über die Ausbringung von
Intensivlandwirtschaft schadet dem Klima                        Gülle auf den Äckern anfallen), noch nicht einmal ein-
                                                                gerechnet. Diese Treibhausgase werden Südamerikas
Da die aktuellen Ackerbausysteme einen großen Teil              Landwirtschaft angerechnet. Rechnet man sie hinzu,
ihrer Produktivität nicht mehr aus dem landwirt-                landet man bei über 20 Prozent.6
schaftlichen Kreislauf, sondern aus dem industriellen              Durch diese energieintensiven Inputs ergeben sich
Bereich steuern, muss man die Freisetzung der Treib-            völlig andere Größenordnungen der Freisetzung von
hausgase bei der Produktion dieser Betriebsmittel ehr-          Treibhausgasen für intensive landwirtschaftliche Sys-
licherweise zum Anbausystem dazu rechnen. Das aber              teme. Daher muss man bei der Klimarelevanz sehr
wird in den meisten Klimamodellen nicht gemacht.1               stark zwischen von außen gedüngten Ackerbausyste-
   Ungefähr 1,2 Prozent des weltweiten Energiebe-               men und denen, die weitgehend innerhalb des land-
darfs benötigt die Haber-Bosch-Synthese für die                 wirtschaftlichen Kreislaufs mit organischer Düngung
Herstellung von Ammoniak aus dem Luftstickstoff.2               arbeiten, unterscheiden. Oder anders gesagt: Bei der
Mehr als 90 Prozent des Energiebedarfs innerhalb der            Auswirkung auf das Klima und auch bei der Anpas-
Düngemittelindustrie werden für die Produktion von              sung an den Klimawandel spielt es eine wesentliche
mineralischem Stickstoff verbraucht.3 Bei vielen Feld-          Rolle, welches Agrarsystem man betrachtet. Die Aus-

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Agrarpolitik und soziale Lage

wirkungen können völlig gegensätzlich sein. In fast       auch vor, insgesamt wirkt der Ansatz aber beliebig.
allen Klimamodellen wird dies so aber nicht gemacht;      Eine richtige Definition ist, neben viel Klimaschutz-
vielmehr wird auf einzelne Aspekte fokussiert und         und Nachhaltigkeitsrhetorik, nirgends zu finden.
die enorm energieintensive Düngemittelproduktion             Präzisionslandwirtschaft setzt mittels Farblesetech-
bleibt außen vor.7                                        nik über die Auswertung des Blattgrüns auf einen
   Böden mit intensiver Stickstoffdüngung zeigen ei-      effizienteren Stickstoffdüngereinsatz, was Stickstoff-
nen deutlich schnelleren Humusabbau und können            dünger und damit Treibhausgasemissionen einsparen
Nährstoffe und Kohlenstoff weniger gut speichern als      kann, aber kein Ersatz für eine ausgewogene Pflanze-
Böden unter weniger intensiver Bewirtschaftung.8 Das      nernährung ist. Die Messung des Blattgrüns ergibt nur
ist mit hohen CO2- und vor allem Lachgasemissionen        eine höchst indirekte und grobe Information darüber,
(N2O) verbunden, wobei Lachgas etwa 300-mal kli-          ob die Pflanze ausreichend Nährstoffe bekommt, sie
mawirksamer ist als CO2. Das World Resources Insti-       bezieht sich – und auch das nur indirekt – auf den
tute (WRI) und das Umweltprogramm der Vereinten           Stickstoff. Das ist sehr einseitig, denn auch weniger
Nationen (UNEP) beziffern weltweit für Lachgasemis-       oder genauer ausgebrachter Stickstoffdünger beein-
sionen den höchsten Anteil bei den klimarelevanten        trächtigt die Böden, wenn nach wie vor kohlenstoffrei-
Gasen im Bereich Landwirtschaft, nämlich 46 Prozent       che Substanzen zur Ernährung des Bodenlebens und
(Abb. 1). Obwohl Lachgas den größten Anteil der kli-      für den Humusaufbau fehlen. Wenn die Mischung an
mawirksamen Emissionen im Landwirtschaftsbereich          Nährstoffen nicht stimmt, leidet die Pflanzen- und Bo-
darstellt, steht es kurioser Weise deutlich weniger zur   denökologie auch dann an Mangelernährung, wenn
Debatte, was die dann folgenden Lösungsansätze häu-       die falsche Mischung genauer dosiert wird. Daran
fig völlig verzerrt.                                      ändert auch die sog, Präzisionslandwirtschaft nichts.
                                                          Das ist »präzise Mangelernährung«, wie Andrea Beste
»Klimasmart« und »präzise« –                              es in der von mir in Auftrag gegebenen Studie zu Kli-
neue Frames, alte Inhalte                                 ma und Landwirtschaft10 nennt. Der negative Effekt
                                                          innerhalb des Systems bleibt derselbe.
Das neue Konzept einer »klimasmarten Landwirt-               Außerdem stehen bei der viel zu intensiven Tierhal-
schaft« (climate-smart agriculture – CSA) setzt in        tung Landwirte vor dem Problem, was sie mit dem Rest
erster Linie auf die sog. Präzisionslandwirtschaft        der Gülle machen sollen, wenn die auf den Boden aus-
(precision farming) und die Mulch- oder Direktsaat        gerichteten Ausbringungsmethoden nur einen »präzi-
(auch konservierende Bodenbearbeitung, conserva-          sen« Bruchteil davon verwenden. Wenn zu viel Gülle
tion agriculture oder no-tillage genannt). Letztere ist   vorhanden ist, muss sie ja trotzdem irgendwo hin.
in Sachen Klimaschutz sogar kontraproduktiv, da sie          Ähnliches gilt für den Humus, dessen Gehalt im
Lachgasemissionen fördert und konventionell mit           Boden man bis heute nicht zufriedenstellend flächen-
­einem höheren Einsatz von Glyphosat verbunden ist.       deckend erheben kann – von der Qualität der Hu-
 Auch Gentechnik gehört in einigen Projekten unhin-       mussubstanzen ganz zu schweigen. Und auch beim
 terfragt mit zur »klimasmarten Landwirtschaft«. Die      Phosphor gibt es keine aussagefähigen Messmethoden
 klimafreundliche Agroforstwirtschaft kommt zwar          für den Bodenphosphorgehalt, die als Grundlage für

  Abb. 1: Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft9
                                                                  Subsektor                     Gas

    
   restliche                                                  Böden (N₂O)              N₂O         
   globale
   Treibhausgase

                                                              Enterische
                                                              Fermentation (CH₄)
    
   Landwirtschaft                                                                  
                                                                                          CH₄         
                                                              Reis (CH₄)           
                                                              Energie (CO₂)        
                                                              Gülle (CH₄)          
                                                              Andere (CH₄N₂O)           CO₂          
   Quelle: WRI, 

                                                                                                                   49
Der kritische Agrarbericht 2021

eine »präzise« Düngung dienen könnten: In Europa           lich und auch nicht klimafreundlicher, wie oft behaup-
werden bis zu 16 verschiedene Methoden zur Messung         tet. Es ist eine Ernährungsweise, die privat sinnvoll
des Phosphorgehaltes in Böden eingesetzt. Doch kei-        sein mag, aber nicht als globales Ernährungsmodell.
ne davon erfasst den organisch gebundenen Phosphor         Die Forderung nach einem geringeren Fleischkonsum
im Boden korrekt. Dieser kann aber 25 bis 65 Prozent       als dem aktuellen aus Klima- und Gesundheitsgrün-
ausmachen.11 Daher stellt sich die Frage, welche Daten     den bleibt dennoch richtig. Doch das Rind muss hier
ein »präzises«, satellitengestütztes digitales Düngesys-   sicher nicht zuerst vom Speiseteller.
tem bei der Bestimmung des Humus- oder Phosphor­
gehalts verwenden sollte?                                  Klimaschutz braucht Weidetiere

Die Fehleinschätzung der Rinder                            Rinder werden in vielen Klimamodellen noch im-
                                                           mer als »Klimakiller« dargestellt, obwohl sie es sind,
Abgesehen von Böden in Permafrostgebieten ent-             die Grünlandschutz erst möglich machen. Eine art-
halten Moore und Grasland den größten Teil des             gerechte Haltung von Rindern, Schafen und Ziegen
im Boden gespeicherten Kohlenstoffs. Werden sie in         auf der Weide verursacht keine Klimaprobleme – im
Ackerland umgewandelt, dann werden große Mengen            Gegenteil. Klimaschädlich ist in erster Linie eine Tier-
an Treibhausgasen freigesetzt, die Biodiversität wird      haltung, die auf energieintensiven Futteranbau mit
zerstört und die Bodenfruchtbarkeit und Wasserspei-        Monokulturen zur Herstellung von Kraftfutter für die
cherkapazität nehmen erheblich ab. Das ist in Mittel-      Stallhaltung zurückgreift. Das betrifft aber vor allem
europa seit vielen Jahren mit sehr hohen CO2-Emis-         Tiere, die mit Kraftfutter gefüttert werden; und das ist
sionen verbunden. Zwischen 1967 und 2007 wurden            bei Rindern am wenigsten der Fall.
in den EU-Gründungsländern (Belgien, Deutschland,             Auch die Futterverwertung, bei der Kühe lange
Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande)            als »schlechte Futterverwerter« dargestellt wurden16,
über sieben Millionen Hektar Dauergrünland, das            weil man ihnen fälschlicherweise eiweiß- und ener-
sind über 30 Prozent, und mit der EU-Erweiterung in        giereiches Futter zu fressen gab (was ihrer natürlichen
den letzten 20 Jahren zusätzlich nochmal vier Milli-       Konditionierung völlig widerspricht), muss man vor
onen Hektar Grünland umgebrochen – mit verhee-             diesem Hintergrund anders bewerten. Tiere, die aus
renden Folgen für die Artenvielfalt und den Humus-         Biomasse, die wir nicht essen können, hochwertiges
gehalt der Böden. Im Hinblick auf die Bindung von          Protein machen können, sind doch keine schlechten
atmosphärischem Kohlenstoff konzentrierten sich            Futterverwerter! Sie sind neben Fischen und Insek-
Forschung und öffentliche Wahrnehmung lange Zeit           ten die wichtigsten tierischen Proteinlieferanten der
sehr auf die Wälder. Grünland war hingegen gar nicht       Zukunft, weil nur sie ohne Nahrungskonkurrenz zum
im Blick. Heute steht Grünland nicht umsonst unter         Menschen gehalten werden können. Das geht mit
Schutz und unterliegt strengen Auflagen für den Um-        Schweinen und Hühnern nur bedingt. Außerdem
bruch. Doch für den Schutz des Grünlands braucht           liefern sie wertvollen mit speziellen Mikroorganis-
man Wiederkäuer, denn nur beweidetes Grünland              men angereicherten Humus, den Pflanzenkompost in
bleibt auch bestehen.                                      gleicher Qualität nicht liefern kann.17 Sie haben so seit
   Grasland ist neben Wald das größte Biom auf             Jahrtausenden der Evolution auch eine ganz beson-
unserem Planeten und bedeckt etwa 40 Prozent der           ders fruchtbarkeitssteigernde Wirkung auf den Boden.
bewachsenen Landfläche.12 Von allen landwirtschaft-        Experten und Modelle, die Rinder als Klimakiller be-
lichen Nutzflächen weltweit besteht ein Drittel aus        werten, haben 80 Prozent der Umweltökologie dieser
Ackerland und zwei Drittel aus Grasland.13 Letzteres       Tiere ausgeblendet und kommen so zu verheerenden
bildet die Lebensgrundlage für ein Zehntel der Welt-       Bewertungen und falschen Schlussfolgerungen für die
bevölkerung.14 Doch das funktioniert nur mit grasfres-     Politikberatung.
senden Tieren. Die Welternährungsorganisation FAO             Der Fleischkonsum geht – wenn auch immer noch
schätzt, dass für 100 Millionen Menschen in Trocken-       zu hoch – in Europa seit Jahren zurück. Es ist die Pro-
gebieten und wahrscheinlich für weitere 100 Millionen      duktion für den Export, die mehr in den Blick rücken
Menschen in anderen Regionen Weidevieh die einzige         sollte. Diese basiert hauptsächlich auf importierten
verfügbare Protein- und auch Einkommensquelle ist.15       Futtermitteln. Wir verlagern damit Waldrodung und
   Das bedeutet, sowohl für den aus Klimaschutzgrün-       Graslandumbruch beispielsweise nach Brasilien. Die
den so wichtigen Schutz von Grünland, Grasland und         Klimabilanz in der europäischen Landwirtschaft hängt
Prärien als auch für die menschliche Proteinversor-        daher unter anderem davon ab, ob die Tier­produktion
gung weltweit sind wir auf Tiere angewiesen, die Gras      massiv gesenkt wird, um den Druck auf noch intakte
verdauen können. Eine vegane Ernährung ist auf die-        Ökosysteme zu verringern. Sie erfordert eine Aus-
sem Planeten daher gar nicht für alle Menschen mög-        richtung auf Arten und Nutzungsintensitäten, die auf

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Agrarpolitik und soziale Lage

Grasland und nicht auf Kraftfutter basieren. Zudem         negative Umweltwirkungen zu erzeugen. Beispiels-
muss das Potenzial der Weidewirtschaft für die Welt-       weise mit dem Einbringen von Pflanzenkohle, bei de-
ernährung in den Fokus der Agrarforschung und -po-         ren Erzeugung Schadstoffe entstehen, die dann in den
litik rücken. Feuchtgebiete, Bergweiden, Prärien und       Boden eingebracht werden und die bodenökologisch
Savannen gehören nicht nur zu den besten Kohlen-           deutlich weniger positive Wirkungen hat als kompos-
stoffspeichern, für die Bildung von Proteinen sind sie     tierte Biomasse.
die größte Nährstoffbasis der Erde. Die nachhaltige           Wir brauchen stabile Agrarökosysteme mit konse-
Nutzung von Grasland ist wichtig für die biologische       quent klimafreundlichen Ackerbautechniken: Dazu
Vielfalt und hat eine Schlüsselfunktion im Hinblick        gehören: eine hochwertige organische Düngung mit
auf den Klimawandel.                                       lebendigem organischem Material, Fruchtfolgen mit
                                                           Leguminosen, Zwischenfruchtbau, Humusaufbau,
Tunnelblick vermeiden - Klimaschutz mit System             Agroforst- und Permakulturtechniken. Leider wird
                                                           aber genau dafür seit Jahren in Forschung und Pra-
Es würde uns gut tun, bekannte, klimafreundliche           xis viel zu wenig Geld ausgegeben. Agrarökologische
Anbautechniken konsequent anzuwenden und wei-              Techniken sind wissensintensiv und erfordern eigen-
terzuentwickeln, und auf diese zugeschnittene digi-        ständige Beobachtung, Entscheidungsfähigkeit und
tale Techniken für ihre Optimierung zu nutzen. Es          Flexibilität. Ökologisch bewirtschaftete Böden zeigen
ist dann allerdings nicht die Digitalisierung, die die     höhere Kohlenstoffgehalte und -vorräte sowie eine sig-
Klimaanpassung bewirkt, sondern die Agrarökologie.         nifikant höhere Rückbindung von CO2 aus der Atmo-
Auch digitale, frei abrufbare Datenbanken zu Anbau-        sphäre.19 Ökologisch bewirtschaftete Böden emittieren
techniken, Zeigerpflanzen, lokal angepassten Sorten        weniger Lachgas (N2O) und sind in der Lage, mehr als
oder symbiotischen Wirkungen von Mischkulturen             doppelt so viel Wasser aufzunehmen und zu speichern
sind positive digitale Einsatzmöglichkeiten. Potenziale    als konventionell bewirtschaftete.20 Das macht die Bö-
einer bedarfsgerechten Digitalisierung für den Öko-        den und ganze Ökosysteme widerstandsfähiger gegen
landbau sollten daher besser erforscht und entwickelt      Starkregen und Dürre und vermeidet Hochwasser.
werden (z. B. der Einsatz von autonomen Feldrobo-             Dies alles gilt jetzt schon für den klassischen Öko-
tern zur Pflege von Mischkulturen).                        landbau in Europa. Noch besser wäre es, Agroforst-
   Eine Absage sollte die Landwirtschaft allerdings        systeme21 und Permakultur zu integrieren und dem
jeder einseitigen Maximierung der CO2-Speicherung          Ökolandbau ein Forschungsbudget zuzuweisen, das
für den Emissionshandel erteilen, der andere Bran-         dessen konsequente Optimierung erlaubt. Bisher
chen entlasten soll. Humusaufbau und Bodenfrucht-          werden auf europäischer Ebene nur zwei Prozent der
barkeit sind nicht gleichzusetzen mit einem unter­         Forschungsausgaben im Agrarbereich in die ökolo-
irdischen Kohlenstoff-»sparbuch« und sie sind klima-       gische Forschung investiert. Das ist gemessen an den
technisch nur sehr begrenzt wirksam.18 Generell droht      Potenzialen, die sich für den Klimaschutz und alle
die Gefahr, durch einseitige Forschungsansätze und         Ökosystemdienstleistungen bieten, und auch bezogen
Scheuklappen-Klimaschutzmaßnahmen letztendlich             auf die 25 Prozent Ökolandbau, die in der Farm-to-
                                                           Fork-Strategie der EU-Kommission angepeilt werden,
                                                           deutlich zu wenig.
  Folgerungen    & Forderungen
  ■   Mineraldünger ist der größte landwirtschaftliche
      Klimakiller.                                         Das Thema im Kritischen Agrarbericht
                                                           X Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft: Optimum
  ■   Rinder sind keine Klimakiller, sondern potenzielle
                                                             statt Maximum. Herausforderungen und Lösungsansätze einer
      Grünlandschützer.                                      zukünftigen Ackerbaustrategie. In: Der kritische Agrarbericht
  ■   Präzision und High-Tech im falschen System bringen     2020, S. 67–72.
      uns nicht weiter.                                    X Claudia Heidecke, Viktoriya Sturm, Bernhard Osterburg, Martin
                                                             Banse und Folkhard Isermeyer: Politikoptionen zur Reduzierung
  ■   Die Tierhaltung muss an (vor allem Weide-)Fläche
                                                             von Treibhausgasen aus der Landwirtschaft Eine Analyse ihrer
      gebunden werden.                                       Wirkungen, Chancen und Risiken. In: Der kritische Agrarbericht
  ■   Notwendig ist mehr Forschung, Schulung und Bera­       2020, S. 73–78.
      tung zu bekannten Klimaanpassungstechniken wie       X Jürn Sanders und Jürgen Heß: Gesellschaftliche Leistungen der

      Fruchtfolgegestaltung und Humusaufbau.                 Ökologischen Landwirtschaft. Interdisziplinäres Forschungs­
                                                             projekt vergleicht ökologische mit konventionellen Anbau­
  ■   Die Förderung des Ökolandbaus sowie von Agroforst-
                                                             systemen. In: Der kritische Agrarbericht 2020, S. 134–139.
      und Permakulturtechniken in Praxis, Forschung,       X Anita Idel: Klimaschützer Kuh. Kritische Anmerkungen zu
      Beratung und Ausbildung muss verbessert werden.        einer aktuellen Debatte. In: Der kritische Agrarbericht 2012,
                                                             S. 227–232.

                                                                                                                         51
Der kritische Agrarbericht 2021

X    Urs Niggli und Andreas Fließbach: Gut fürs Klima? Ökologische       13 M. Roser and H. Ritchie: Yields and land use in agriculture. Our
     und konventionelle Landwirtschaft im Vergleich. In: Der kriti­         world in data 2018 (https://ourworldindata.org/yields-and-land-
     sche Agrarbericht 2009, S. 103–109.                                    use-in-agriculture). Dort: Percentage of total land area, 1961–2018.
                                                                         14 J. L. Peyraud et al.: Multi?species swards and multi scale strate­
                                                                            gies for multifunctional grassland?base ruminant production
Anmerkungen                                                                 systems: An overview of the FP7?MultiSward project. In: Grass­
 1 International Panel on Climate Change (IPCC): Global Warming of          land Science Europe 19 (2014), pp. 695–715. – A. Jering et al.:
   1.5°C. An IPCC Special Report on the impacts of global warming           Globale Landflächen und Biomasse nachhaltig und ressourcen­
   of 1.5°C above pre-industrial levels and related global green­           schonend nutzen. Hrsg. vom Umweltbundesamt. Dessau-Roß­
   house gas emission pathways, in the context of strengthening             lau 2013, S. 12 (www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/
   the global response to the threat of climate change, sustainab­          medien/479/publikationen/globale_landflaechen_biomasse_
   le development, and efforts to eradicate poverty. IPCC Special           bf_klein.pdf).
   Report 15. IPCC. Geneva 2018 (www.ipcc.ch/sr15/).                     15 Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO):
 2 M. Sutton and C. Howard et al. (Eds.): The European Nitrogen             Livestock on grazing lands. Rome 2020 (www.fao.org/docrep/
   Assessment: Sources, effects and policy perspectives. Cam­               x5304e/x5304e03.htm).
   bridge 2011.                                                          16 M. MacLeod et al.: Greenhouse gas emissions from pig and chicken
 3 L. Bernstein et al.: Industry. In: Climate Change 2007: Mitigation.      supply chains – A global life cycle assessment. Food and Agri­
   Contribution of Working Group III to the Fourth Assessment               culture Organization of the United Nations (FAO). Rome 2013.
   Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change.              17 H. Redelberger: Organischer Dünger – Festmist. In: Springer
   Geneva 2007.                                                             Loseblatt System Ökologische Landwirtschaft. Pflanzenbau,
 4 P. Clausing: Energieschleuder Agrarindustrie. In: Ökologie &             Tierhaltung, Management 1. Heidelberg 1998. – F. Schinner
   Landbau 172 (2014), S. 32–34.                                            und R. Sonnleitner: Bodenökologie 2: Bodenbewirtschaftung,
 5 Umweltbundesamt: Klimaschutz und Emissionshandel in der                  Düngung und Rekultivierung. Mikrobiologie und Boden­
   Landwirtschaft. Dessau-Roßlau 2013.                                      enzymatik. Berlin 1996.
 6 Bayerischer Rundfunk: So viele Treibhausgase verursacht die           18 Bayerischer Rundfunk: Humusaufbau: Wirksamer Klimaschutz
   Landwirtschaft. 2. Dezember 2019 (www.br.de/nachrichten/                 oder Green-Washing? 10. Oktober 2020 (www.br.de/nachrich­
   wissen/so-viele-treibhausgase-verursacht-die-landwirtschaft,             ten/deutschland-welt/humusaufbau-wirksamer-klimaschutz-
   RjOJ2Pm).                                                                oder-green-washing,SBKW3fY).
 7 Kritisch dazu A. Idel und A. Beste: Vom Mythos der klimasmarten       19 SOILSERVICES (siehe Anm. 8).
   Landwirtschaft oder warum weniger vom Schlechten nicht gut            20 Kommission Bodenschutz beim Umweltbundesamt: Böden als
   ist. Im Auftrag von Martin Häusling (Die Grünen / Europäische            Wasserspeicher. Dessau-Roßlau 2016.
   Freie Allianz im Europäischen Parlament). 2. Auflage, Wiesba­         21 Siehe hierzu den Beitrag von Rico Hübner in diesem Kritischen
   den 2018 (www.martin-haeusling.eu/images/Klimaschutz_klei­               Agrarbericht (S. 241–246).
   ner_RZ_copi.pdf).
 8 SOILSERVICE: Conflicting demands of land use, soil biodiversity
   and the sustainable delivery of ecosystem goods and services
   in Europe. Brussels 2012.
 9 Abbildung entnommen aus Idel und Beste (siehe Anm. 7), S. 10.                              Martin Häusling
10 Idel und Beste (siehe Anm. 7).                                                             Biomilchbauer und seit 2009 Mitglied
11 H. Böcker: Phosphat verfügbar machen. In: Landwirtschaftliches                             des Europäischen Parlaments in
   Wochenblatt 21/18 (2018).                                                                  der Fraktion Greens/EFA.
12 R. P. White, S. Murray and M. Rohweder: Pilot analysis of global
   ecosystems: Grassland ecosystems. World Resources Institute.                               info@martin-haeusling.de
   Washington, D. C. 2000.                                                                    www.martin–haeusling.eu

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