Keine Schlepperei, Lampedusa richtig: 4 juristische Fakten über die Freilassung von Carola Rackete

Die Seite wird erstellt Julia-Hortensia Metz
 
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Keine Schlepperei, Lampedusa
richtig: 4 juristische Fakten
über die Freilassung von
Carola Rackete

Hausarrest aufgehoben
Die Kapitänin der „Sea Watch 3“, Carola Rackete, wurde am
Wochenende in Italien verhaftet. Sie hatte 53 Menschen im
Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet. Als lediglich 13 aus
medizinischen Gründen aufgenommen worden waren und sie in
Lampedusa eine Hafensperre erhalten hatte, widersetzte sie
sich und fuhr dennoch ein. Bei Landung wurde sie verhaftet und
unter Hausarrest gestellt. Inzwischen wurde sie jedoch wieder
frei gelassen. Wir erklären, warum Staatsanwalt und Richterin
den Hausarrest aufhoben.

1.) Keine „Schlepperei“!
Am 2. Juli wurde der Hausarrest gegen Rackete aufgehoben. Laut
zuständigem Staatsanwalt gäbe es keine Anhaltspunkte für die
Zusammenarbeit mit Schleppern. Abgesehen davon sei die Anzahl
der Anlandungen durch Rackete und andere NGOs zahlenmäßig zu
unbedeutend, als dass sie ins Gewicht fallen würden. So seien
im gleichen Zeitraum 200 weitere Geflüchtete in Lampedusa
angekommen (Quelle).

Salvini hat hastig kurz zuvor als Innenminister ein
„Sicherheitsdekret“      erlassen,    das  Geldstrafen     für
Hilfsorganisationen vorsieht, wenn diese unerlaubt
italienische Häfen anfahren, mit dem Vorwurf, dass es sich
dabei um Schmuggeln von Menschen handeln würde. Doch die
zuständige Richterin erklärte, dass diese Verordnung „nicht
auf Rettungseinsätze anwendbar“ sei. Strittig ist, ob das
Gesetz nicht verfassungswidrig ist, da es sich de facto über
internationales Recht hinwegsetzt (Quelle). Dennoch muss
Rackete sich am 9. Juli noch einer Anhörung zum Tatbestand der
Erleichterung der illegalen Einwanderung stellen (Quelle).

2.) Lampedusa war der einzig anfahrbare
Hafen
Entgegen der falschen Unterstellungen, Rackete hätte die
Geretteten an einen anderen Hafen als „Place of Safety“
bringen können, hat die Richterin betont , dass ihre
Entscheidung, Lampedusa anzufahren, notwendig gewesen war.
Häfen in Tunesien und Libyen könnten nicht als sichere Häfen
angesehen werden. Rackete wurde der Hafen in Tripolis
zugewiesen, der darüber hinaus auch näher war als Lampedusa.
Einige schlussfolgern hieraus, dass sie die Menschen doch auch
nach Libyen hätte bringen können. Das ist aber falsch.

Trotz der Zuweisung der MRCC ist es Rackete völkerrechtlich
untersagt gewesen, die Geretteten nach Libyen zu bringen (Mehr
dazu). Libyen ist ein failed state, in welchem systematisch
Menschenrechtsverletzungen und Folter betrieben werden. Es ist
verboten, Geflüchtete dorthin zu bringen. Deutschland hat
ebenfalls eine Reisewarnung für Libyen ausgegeben. Erst
gestern wurde ein Flüchtlingslager bei Tripolis angegriffen,
was zu Dutzenden Toten führte. Dorthin hätten die Geretteten
gebracht werden sollen. Rackete hätte also die Geretteten
nicht nach Libyen bringen können. Für Tunesien ist die
Situation ähnlich, dort hätte darüber hinaus ebenfalls eine
Verhaftung gedroht.

3.) Sie war zur Rettung verpflichtet
Rackete hatte also die Geretteten nur nach Lampedusa bringen
können, erst recht nachdem Frankreich und Malta eine Aufnahme
(ebenfalls) ablehnten und alles andere viel weiter weg gewesen
wäre. Doch musste sie die Schiffbrüchigen überhaupt an Bord
nehmen? Nach Artikel 98 des Seerechtsübereinkommens der
Vereinten Nationen gilt:

„Jeder Staat verpflichtet den Kapitän eines seine Flagge
führenden Schiffes (…) jeder Person, die auf See in
Lebensgefahr angetroffen wird, Hilfe zu leisten [und] so
schnell wie möglich Personen in Seenot zu Hilfe zu
eilen.“ Darüber hinaus gilt das Internationale Übereinkommen
von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See und das
Internationale Übereinkommen von 1979 zur Seenotrettung. Sie
musste die Schiffbrüchigen also aufnehmen.

4.) Keine „Gewalt gegen Kriegsschiffe
Nach Informationen von Sea Watch verwarf die Richterin den
Vorwurf an Rackete, „Gewalt gegen Kriegsschiffe“ angewendet zu
haben. Sie vertrat die Auffassung, dass der Widerstand gegen
Beamte „in Erfüllung einer Pflicht“ – hier, die Leben auf See
zu retten – gerechtfertigt gewesen sei. Bei der erzwungenen
Einfahrt in den Hafen machte Rackete ein riskantes
Anlegemanöver, als ein Schnellboot der „Guardia di Finanza“
versucht hatte, die „Sea Watch 3“ zu blockieren.

Fazit: Rackete hatte mehr recht auf ihrer
seite
Halten wir fest: Carola Rackete ist frei gekommen, weil sie
das Recht größtenteils auf ihrer Seite hatte. Sie war
verpflichtet, die Schiffbrüchigen aufzunehmen. Sie hatte
rechtlich und humanitär keine andere Wahl, als Lampedusa als
nächsten sicheren Hafen anzusteuern, da Landungen in Tunesien
oder Libyen verboten waren und eine Menschenrechtsverletzung
bedeutet hätten. Ob sie eine Einfahrt erzwingen hätte dürfen
ist allerdings eine rechtliche Lücke.

Ihr Hausarrest wurde aufgehoben, da das Recht auf Rettung das
rechtlich dubiose Einfahrverbot übertrumpfte, jedoch gibt es
keine Pflicht für die Aufnahme an Land, wie es für die Schiffe
auf See gilt. Dort gibt es eine Lücke im Seerecht, wie auch
Experten erklären. Es ist klar, dass die Menschen nicht ewig
auf See bleiben konnten und in Lampedusa an Land gehen hätten
müssen. Ob man die Einfahrt in den Hafen jedoch erzwingen
kann, ist fraglich. Rackete wurde also vor die unmögliche Wahl
gestellt, bei widersprüchlichen Gesetzen und juristischen
Lücken eine Lösung zu finden.

 Das Gericht entließ Cpt. #CarolaRackete aus einer Reihe von
 Gründen:

 1. Die Richterin verwarf den Vorwurf 'Gewalt gegen
 Kriegsschiffe' & vertrat die Auffassung, dass der Widerstand
 gegen Beamte "in Erfüllung einer Pflicht"–der Pflicht, Leben
 auf      See     zu      retten–gerechtfertigt         war.
 pic.twitter.com/eSWHg44Ixu

 — Sea-Watch (@seawatchcrew) July 2, 2019

Artikelbild: Sea Watch

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