KIELER KONJUNKTUR-BERICHTE - Euroraum im Herbst 2021

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KIELER KONJUNKTUR-BERICHTE - Euroraum im Herbst 2021
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

KIELER
KONJUNKTUR-
BERICHTE
Euroraum
im Herbst 2021

Abgeschlossen am 23. September 2021

                                       © Daniel Wolcke / IfW Kiel

                                                                       Nr. 82 (2021|Q3)
Jens Boysen-Hogrefe, Dominik Groll, Philipp Hauber,
Stefan Kooths und Ulrich Stolzenburg

                                                                          Forschungszentrum
                                                                    Konjunktur und Wachstum
                                                                                       1
KIELER KONJUNKTUR-BERICHTE - Euroraum im Herbst 2021
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

      INHALTSVERZEICHNIS

      Erholung noch mit Sand im Getriebe

      Angebotsseitige Knappheiten nehmen wieder zu .................................................................. 8

      Arbeitsmarkt trotz schwerer Wirtschaftskrise weitgehend stabil ............................................. 9

      Die Schleusen der Geldpolitik bleiben weit geöffnet............................................................. 10

      Defizite der öffentlichen Haushalte bleiben vorerst sehr hoch .............................................. 12

      Ausblick: Langsamere konjunkturelle Gangart über den Winter ........................................... 14

      Literatur ............................................................................................................................... 19

                                                                                                                                                     2
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

      ERHOLUNG NOCH MIT SAND IM GETRIEBE

      Jens Boysen-Hogrefe, Dominik Groll, Philipp Hauber, Stefan Kooths und Ulrich Stolzenburg

      Die Wirtschaft im Euroraum nähert sich derzeit mit       Nach leichten Rückgängen im Winterhalbjahr
      großen Schritten dem vor der Krise erreichten Produk-    ist die gesamtwirtschaftliche Produktion im
      tionsniveau. Nach einem kräftigen Anstieg lag die        zweiten Quartal wieder kräftig gestiegen. In-
      Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal noch 2,5 Pro-     folge der Corona-Pandemie war die Wirtschafts-
      zent unter ihrem Vorkrisenniveau. Frühindikatoren zur    leistung im Euroraum um bis zu 15 Prozent ein-
      Zuversicht von Unternehmen und Verbrauchern zei-         gebrochen, doch bereits im Sommer 2020 wurde
      gen seit dem Frühsommer eine äußerst gute Stim-          der größere Teil der stillgelegten Produktion wie-
      mung an; auch Mobilitätsdaten lassen für das laufende    der aktiviert. Angesichts erneuter Lockdown-
      Quartal einen erneut kräftigen Anstieg des privaten      Maßnahmen kam es im vergangenen Winter je-
      Verbrauchs und der Wirtschaftsleistung erwarten. Für     doch erneut zu leichten Rückgängen in der Wirt-
      das bevorstehende Winterhalbjahr rechnen wir jedoch      schaftstätigkeit. Mit den Fortschritten in der Impf-
      mit einer langsameren konjunkturellen Gangart. Die       kampagne und den sinkenden Fallzahlen seit
      pandemiebedingten Rückgänge im Produktionsniveau         dem Frühjahr 2021 konnten viele Beschränkun-
      sind dann größtenteils aufgeholt. Zudem dürfte die In-   gen zurückgenommen werden, so dass die Wirt-
      fektionsentwicklung die wirtschaftliche Aktivität dann   schaftsleistung im Euroraum im zweiten Quartal
      wieder stärker belasten. Hinzu kommen Liefereng-         kräftig um 2,2 Prozent stieg (Abbildung 1).
      pässe, die wohl auch in den nächsten Monaten die
      Produktion behindern werden. Vor diesem Hinter-          Abbildung 1:
      grund erscheint eine vollständige Erholung zunächst      Bruttoinlandsprodukt im Euroraum
      unwahrscheinlich. Für den Verlauf des kommenden                                                                     Prozent
                                                                       Index (2019 Q4 = 100)
      Jahres rechnen wir mit einer nachhaltigen Normalisie-      115                                                                  15
                                                                                                                 Veränderung
      rung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Le-                                                       Niveau
      bens und mit wieder kräftigeren Zuwächsen der Wirt-        110                                                                  10
      schaftsleistung. Insgesamt dürfte das Bruttoinlands-
      produkt im laufenden Jahr um 5,1 Prozent zulegen,          105                                                                  5
      gefolgt von 4,4 Prozent (2022) und 2,4 Prozent (2023).
      Die Verbraucherpreise steigen dieses Jahr aufgrund         100                                                                  0
      zahlreicher temporärer Sonder- und Basiseffekte wohl
      mit 2,2 Prozent recht stark. In den Folgejahren dürfte      95                                                                  -5
      die Teuerung mit 1,9 Prozent (2022) und 1,7 Prozent
      (2023) wieder unterhalb des Inflationsziels liegen.
                                                                  90                                                                  -10

                                                                  85                                                                  -15

                                                                          1,5         -6,5        5,1         4,4         2,4
                                                                  80                                                                  -20
                                                                        I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV
                                                                          2019        2020        2021        2022         2023

                                                                Quartalsdaten,  preis-,   kalender-  und   saisonbereinigt,
                                                                Veränderung gegenüber dem Vorquartal (rechte Skala).
                                                                Gerahmt: Jahresdaten, Veränderung gegenüber dem Vorjahr in
                                                                Prozent.

                                                                Quelle: Eurostat, Volkswirtschaftliche Gesamtrechungen. grau
                                                                hinterlegt: Prognose des IfW Kiel.

                                                                                                                                            3
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

      Die wirtschaftliche Aktivität im Euroraum lag                 wie Frankreich und Deutschland. Spanien war
      noch 2,5 Prozent unter dem Vorkrisenniveau,                   mit 6,8 Prozent immer noch am Weitesten vom
      wobei Spanien deutlich zurückhing. Nach                       Vorkrisenstand entfernt, für Portugal (4,6 Pro-
      Ländern aufgeschlüsselt gab es zum Teil erheb-                zent) und Italien (3,8 Prozent) war der Rückstand
      liche Unterschiede beim erreichten Produktions-               ebenfalls überdurchschnittlich. Der Abstand zum
      niveau im Vergleich zum Schlussquartal 2019                   zuvor erreichten Produktionsniveau zeigt aller-
      (Abbildung 2). Der Durchschnitt der Währungs-                 dings auch ein Aufholpotenzial an, sofern das
      union wurde dabei einmal mehr durch außerge-                  gesellschaftliche Leben und die wirtschaftliche
      wöhnliche Wirtschaftszahlen aus Irland beein-                 Aktivität sich weiter normalisiert. Außer in Irland
      flusst, wo das Produktionsniveau der Vorkrisen-               lag das Bruttoinlandsprodukt zuletzt auch in
      zeit bereits um mehr als 20 Prozent überschritten             Finnland, Griechenland, Luxemburg und den
      wurde1 – ohne Irland lag der Euroraum mit 3,3                 baltischen Staaten schon höher als vor der Krise.
      Prozent ähnlich weit unter dem Vorkrisenniveau

          Abbildung 2:
          Vorkrisenvergleich des Bruttoinlandsprodukts nach Mitgliedsländern

      1Bereits seit einigen Jahren wurden wiederholt unge-          für Irland ausgewiesen. Diese gehen maßgeblich auf
      wöhnlich hohe Zuwachsraten und starke Fluktuatio-             Steuergestaltungsaktivitäten multinationaler Unter-
      nen in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen             nehmen zurück. Vgl. Stolzenburg (2016).

                                                                                                                          4
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

      Kontaktintensive Wirtschaftsbereiche ver-            Abbildung 3:
      zeichneten bis zuletzt die größten Wert-             Entstehungsseite: Niveau der Bruttowertschöpfung
      schöpfungsverluste. Die Wertschöpfung bei                                           Q4 2019 - Q2 2021 (aktuell)
                                                                  Prozent                 Q4 2019 - Q4 2020 (vor 6 Monaten)
      Handel, Verkehr und Gastgewerbe sowie bei             10
      sonstigen Dienstleistern, die den Kultur- und Ver-
      anstaltungsbereich umfassen, blieben auch im            5

      zweiten Quartal 2021 deutlich unter dem Vorkri-
                                                              0
      senniveau (Abbildung 3). Daneben gab es noch
      Wertschöpfungsrückstände bei den Unterneh-             -5
      mensdienstleistern sowie im Verarbeitenden Ge-
      werbe, wo es zuletzt – insbesondere in Deutsch-       -10
      land – aufgrund von Lieferengpässen hakte. In
      allen übrigen Wirtschaftsbereichen wurden die         -15

      zwischenzeitlichen Produktionsrückgänge wei-
                                                            -20
      testgehend aufgeholt. Allerdings gab es zum Teil
      länderspezifische Unterschiede. So hatte das          -25
      Baugewerbe in Spanien immer noch einen Rück-
      stand von 19 Prozent auf das Produktionsniveau
      vom Jahresende 2019, dieser wurde aber im Eu-
      roraum-Aggregat von anderen Ländern ausge-
      glichen – Italien und Griechenland etwa ver-
      zeichneten zweistellige Zuwächse im Bau. Kaum
                                                           Quartalsdaten;     preis-   kalender-     und    saisonbereinigt.
      beeinträchtigt von den Corona-bedingten Ein-         Veränderung zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem
      schränkungen waren die Bereiche Land- und            zweiten / vierten Quartal 2020 in Prozent. Euroraum ohne Irland.
      Forstwirtschaft, Information und Kommunikation,      Quelle: Eurostat, Volkswirtschaftliche                                       Gesamtrechnungen,
                                                           Berechnungen des IfW Kiel.
      Finanz- und Versicherungsdienstleister sowie
      Grundstücks- und Wohnungswesen.
                                                           Abbildung 4:
      Verwendungsseitig lastete vor allem die              Verwendungsseite: Niveau der Hauptaggregate
      Schwäche des privaten Verbrauchs und des                                                 Q4/2019 - Q2/2021 (aktuell)
                                                                  Prozent
      Dienstleistungshandels auf der wirtschaftli-          10
                                                                                               Q4/2019 - Q4/2020 (vor 6 Monaten)

      chen Aktivität. Der private Verbrauch stieg im
      zweiten Quartal zwar um mehr als 3 Prozent,             5

      blieb als größtes verwendungsseitiges Aggregat
                                                              0
      dennoch 6,1 Prozent hinter dem Vorkrisenniveau
      zurück und damit deutlich weiter als die Wirt-         -5
      schaftsleistung insgesamt (Abbildung 4). Eine
                                                            -10
      Normalisierung des privaten Konsums würde die
      weitere wirtschaftliche Erholung im Euroraum          -15
      maßgeblich vorantreiben. Dies dürfte durch ei-
      nen teilweisen Abbau der aufgestauten Kaufkraft       -20

      privater Haushalte unterstützt werden, die im
                                                            -25
      Verlauf der Pandemie auf rund 750 Mrd. Euro
                                                                        Privat

                                                                                 Staat

                                                                                                  Ausrüstung
                                                                                         Bau

                                                                                                                                          Dienste

                                                                                                                                                            Dienste
                                                                                                                                Waren

                                                                                                                                                    Waren
                                                                                                               Sonst. Anlagen

      bzw. auf über 10 Prozent der jährlichen verfüg-
      baren Einkommen angewachsen ist (Abbil-
      dung 5). Der Staatsverbrauch überschritt bereits
      im dritten Quartal 2021 das Vorkrisenniveau und             BIP   Konsum            Investition                           Export              Import
      lag zuletzt 3,9 Prozent darüber. Anlageinvestitio-
      nen im Bau sowie in immaterielle Vermögensge-        Quartalsdaten;     preis-   kalender-     und    saisonbereinigt.
                                                           Veränderung zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem
      genstände (sonstige Anlagen) haben den Vorkri-       zweiten / vierten Quartal 2020 in Prozent. Euroraum ohne Irland.
      senstand – für den hier dargestellten Länderkreis    Quelle: Eurostat, Volkswirtschaftliche                                       Gesamtrechnungen;
                                                           Berechnungen des IfW Kiel.

                                                                                                                                                                      5
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

       Abbildung 5:                                                           Abbildung 6:
       Aufgestaute Kaufkraft                                                  Verbraucherpreisinflation (HVPI)
                            Zusätzliche Ersparnis
                            Übliche Ersparnis (Sparquote aus 2019)                    Prozent                                  Kernrate
                            Konsumausgaben                                                                                     Gesamtindex
                            Verfügbare Einkommen
                                                                                3
                            Sparquote (rechte Skala)
                            Normale Sparquote (von 2019, rechte Skala)

              Mrd. €                                          Prozent
       2000                                                              30
                                          83 214   81 117 156 103               2
       1800                                                              27

       1600                                                              24

       1400                                                              21
                                                                                1
       1200                                                              18

       1000                                                              15

        800                                                              12     0
        600                                                              9

        400                                                              6

        200                                                              3      -1
                                                                                     2014   2015   2016   2017   2018   2019   2020   2021
          0                                                              0
                I      II      III   IV   I   II   III   IV   I   II
                        2019                   2020           2021             Monatsdaten; Veränderung gegenüber dem Vorjahr. Kernndex:
                                                                               Gesamtindex ohne Energie und unverarbeitete Lebensmittel.
       Quartalsdaten. Zweites Quartal 2021: Eigene Schätzung.
                                                                               Quelle: Europäische Zentralbank, Monatsbericht.
       Quelle: Eurostat, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen;
       Berechnungen des IfW Kiel.

      des Euroraums ohne Irland – in etwa wieder er-                          Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor war der
      reicht; Investitionen in Ausrüstungsgüter lagen                         Wegfall der temporären Mehrwertsteuersenkung
      leicht darunter. Der Warenhandel hat die Vorkri-                        in Deutschland, der die Inflationsrate im Euro-
      senniveaus bei Aus- und Einfuhr bereits über-                           raum seit Jahresmitte um weitere drei bis vier
      schritten. Demgegenüber war der Dienstleis-                             Zehntel erhöht hat. Er wirkt ebenfalls auf die
      tungshandel, der rund ein Viertel der Export-                           Kernrate der Inflation, die Preisänderungen von
      bzw. Importaggregate im Euroraum ausmacht,                              Energie und unverarbeiteten Lebensmitteln aus-
      weiter stark beeinträchtigt und lag bis zuletzt fast                    blendet. Sie lag im August bei 1,6 Prozent.
      20 Prozent unter seinem Vorkrisenniveau. Ge-                            Die Preise in einigen kontaktintensiven Wirt-
      rade in Ländern der Mittelmeerregion mit einem                          schaftsbereichen haben sich noch nicht voll-
      starken Standbein im Tourismus sind die Dienst-                         ständig von den Auswirkungen der Pandemie
      leistungsexporte überproportional eingebrochen.                         erholt. Kontaktintensive Wirtschaftsbereiche wie
      Sie stellen dort aber gleichzeitig ein besonderes                       Körperpflege, Reiseveranstalter, Gastgewerbe,
      Aufholpotenzial für den Prognosezeitraum dar,                           Beherbergung, Freizeit- und Kulturdienstleistun-
      sobald sich die Aktivitäten im Tourismusbereich                         gen und auch Verkehrsdienstleistungen ver-
      wieder weitgehend normalisieren.                                        zeichneten während der Pandemie massive Ak-
      Die Verbraucherpreise zogen im Jahresver-                               tivitätseinbrüche. Die zugehörigen Produkte ma-
      lauf merklich an. Nachdem die Verbraucher-                              chen rund 18 Prozent im Warenkorb der harmo-
      preisinflation im zweiten Halbjahr des Vorjahres                        nisierten Verbraucherpreise aus. Sowohl die di-
      in den negativen Bereich gefallen war, stieg sie                        rekte Reaktion auf die Pandemie als auch die
      seit Jahresbeginn kontinuierlich auf zuletzt 3 Pro-                     nachfolgende Erholung offenbaren eine gewisse
      zent (Abbildung 6). Eine Hauptursache war der                           Heterogenität im Hinblick auf den Preisdruck in-
      Einfluss der Energiepreise, der im Jahresverlauf                        nerhalb dieser Produktgruppe kontaktintensiver
      stetig größer geworden ist und im August rund                           Dienstleistungen (Abbildung 7). Im Mai 2020 wa-
      1,3 Prozentpunkte der Inflationsrate ausmachte.                         ren Pauschalreisen 0,9 Prozent günstiger als ein
                                                                              Jahr zuvor, während Preise für Beherbergung
                                                                              um 0,4 Prozent teurer waren – diese an der

                                                                                                                                             6
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

      horizontalen Achse ablesbare Rate wird im Fol-                                                                           anhand dieser mittleren Preissteigerungsrate ge-
      genden als unmittelbare Preisreaktion der Pan-                                                                           genüber Juli 2019 noch nicht vollständig von den
      demie interpretiert. Die größten Preisrückgänge                                                                          Auswirkungen der Pandemie erholt und beinhal-
      zeigten sich bei Kategorien, die stark mit                                                                               ten somit zusätzliches Preissteigerungspotenzial
      Schwankungen der Energiepreise verbunden                                                                                 für den Prognosezeitraum. Die Preise im Gast-
      sind, etwa der Betrieb von Privatfahrzeugen (ein-                                                                        gewerbe sowie von Freizeit- und Kulturdienst-
      schließlich Kraftstoffe) sowie Elektrizität, Gas                                                                         leistungen stiegen jahresdurchschnittlich um
      und andere Brennstoffe, die jeweils um mehr als                                                                          knapp 2 Prozent gegenüber Juli 2019, die Frisör-
      6 Prozent fielen. Mit dem Wiederanstieg der                                                                              preise (Bereich Körperpflege) um etwa 3 Pro-
      Energiepreise stiegen auch die Preise in diesen                                                                          zent. Diese Preissteigerungsraten sind jeweils
      Kategorien merklich, übrigens auch im Vergleich                                                                          vergleichbar mit der unmittelbaren Preisreaktion
      zur Vorkrisenzeit. Im Juli 2021 – verglichen mit                                                                         zu Beginn der Pandemie; für diese Teilbereiche
      dem Juli 2019 – lag die mittlere (d.h. annuali-                                                                          besteht daher augenscheinlich kein zusätzliches
      sierte) Inflationsrate hier bei rund 2,5 Prozent.                                                                        Aufwärtspotenzial für die Inflationsrate.
      Die Preise von Pauschalreisen, Verkehrsdienst-
      leistungen und Beherbergung haben sich

      Abbildung 7:
      Preisentwicklung nach Produktgruppen (HVPI)

                                                                                                                                                 kontaktintensiv       andere Kategorien
                                                        Prozent
                                                  5
                                                                                                                                                                                  Tabak

                                                  4
                                                                                                                                                                           Finanzdienstl.
                                                                Betrieb von
         Juli 2021 vs. Juli 2019 (annualisiert)

                                                  3          Privatfahrzeugen
                                                                                                                                                                   Körperpflege

                                                                                                                                                           Gastgewerbe
                                                  2                             Electrizität, Gas und
                                                                                andere Brennstoffe                         Bekleidung
                                                                                                                                                                             Nahrungsmittel
                                                  1
                                                                                                                          Schuhe                                      Freizeit- &
                                                                                                                                                                Kulturdienstleistungen
                                                  0
                                                                                                                                                 Beherbergung

                                                  -1
                                                                                                           Electronik
                                                                                                                                                Verkehrsdienstleistungen
                                                  -2
                                                                                                                           Pauschalreisen

                                                  -3
                                                       -10        -9     -8       -7       -6      -5     -4      -3      -2       -1       0       1      2       3         4       5        6
                                                                                            Mai 2020 vs. Mai 2019 (in Prozent, Preisreaktion zu Beginn der Pandemie)

               Quelle: Eurostat, Verbraucherpreise; Berechnungen des IfW Kiel.

                                                                                                                                                                                                  7
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

      Angebotsseitige Knappheiten neh-                    Abbildung 8:
      men wieder zu                                       Produktionslücke im Euroraum
                                                                Prozent
      Im Durchschnitt des laufenden Jahres sind            4
                                                                                                    OECD (2022: -0,8%)
      die Produktionskapazitäten im Euroraum                                                        EU-Kommission (-0,3%)
      noch deutlich unterausgelastet, im kommen-                                                    IWF (-1,0%)
                                                           2
      den Jahr nur noch wenig. Nach jüngsten
      Schätzungen der Europäischen Kommission aus
      dem Mai 2021 liegt die Produktionslücke im lau-      0

      fenden Jahr bei -3,3 Prozent. Für das kommende
      Jahr rechnet die Kommission damit, dass sich        -2
      die Lücke bis auf 0,3 Prozent schießen wird (Ab-
      bildung 8). Der Internationale Währungsfonds
                                                          -4
      (IWF) sieht die Produktionslücke für das lau-
      fende Jahr bei -3,1 Prozent, die OECD bei -4,2
      Prozent – beide rechnen aber ebenfalls mit ei-      -6
      nem raschen Schließen der Produktionslücke
      auf -1,0 Prozent (IWF) bzw. -0,8 Prozent (OECD)
                                                          -8
      im Jahr 2022. Damit geht die Unterauslastung             1999   2002    2005   2008    2011   2014    2017   2020
      aus Sicht dieser drei Institutionen im kommen-
      den Jahr deutlich zurück.                           Jahresdaten. In Klammern: Schätzung der Produktionslücke für
                                                          das Jahr 2022.

                                                          Quelle: Internationaler Währungsfonds, WEO; OECD,
      Unternehmensbefragungen zeigen an, dass             Economic Outlook; Europäische Kommission, Frühjahrs-
      die Auslastung im Jahresverlauf rasch zuge-         prognose 2021.

      nommen hat und die Produktion bereits wie-
      der durch angebotsseitige Knappheiten be-
      hindert wird. Bei Industrieunternehmen hat sich
                                                          Abbildung 9:
      die Lage hinsichtlich verfügbarer Kapazitäten –
                                                          Kapazitätsauslastung
      zum Zeitpunkt der jüngsten Befragung im Juli
                                                                                                    Industrie
      2021 – wieder merklich zugespitzt. Die Kapazi-            Prozent                             Dienstleister
                                                          95                                        Mittelwert LTP Labour
      tätsauslastung bei den privaten Dienstleistern,
      bei denen diese Kennzahl erst seit 2011 erhoben
      wird, lag zur Jahresmitte zwar noch unter dem       90
      mehrjährigen Durchschnitt, allerdings nur knapp.
      Im Verarbeitenden Gewerbe überschritt sie be-
                                                          85
      reits wieder deutlich den langjährigen Durch-
      schnitt (Abbildung 9). Auch der Anteil der Unter-
      nehmen, deren Produktion durch einen Mangel         80

      an geeigneten Arbeitskräften beschränkt wird, ist
      sowohl bei Industrieunternehmen als auch bei        75
      Dienstleistern wieder in die Nähe der vorher er-
      reichten Rekordstände geklettert und zeigt somit
                                                          70
      eine erhebliche Knappheit an (Abbildung 10).
      Darüber hinaus sind zuletzt auch erhebliche An-
                                                          65
      spannungen hinsichtlich Ausrüstung und Mate-
                                                               1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021
      rial hinzugetreten – so gab ein außergewöhnlich
      hoher Anteil von Firmen dies als produktionslimi-   Quartalsdaten: Gestrichelte Linien: Mittelwerte seit 1999/2011.

      tierendem Faktor an, der höchste Anteil seit Be-    Quelle: Europäische Kommission, Industry Survey und Services
                                                          Survey; Berechnungen des IfW Kiel.
      stehen der Währungsunion. Insgesamt zeigen
      die Unternehmensbefragungen, dass es bereits

                                                                                                                             8
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

      zur Jahresmitte 2021 in einigen Bereichen wie-                          Prozent unter dem Vorkrisenniveau. Drastischer
      der spürbare angebotsseitige Knappheiten gibt,                          war der Einbruch bei den gesamtwirtschaftlich
      selbst wenn die gegenwärtigen Schätzungen der                           geleisteten Arbeitsstunden. Hier schlug sich
      Produktionslücke dies für den Jahresdurch-                              auch die Arbeitszeitreduzierung von Menschen
      schnitt keinesfalls nahelegen.                                          in Kurzarbeit nieder, die durchgängig beschäftigt
                                                                              blieben. Vom vierten Quartal 2019 bis zum zwei-
          Abbildung 10:
                                                                              ten Quartal 2020 fielen die geleisteten Arbeits-
          Limitierender Faktor Arbeitskräfte
                                                                              stunden um 17,4 Prozent – zuletzt lag diese Zahl
                 Prozent                          Industrie
                                                  Dienstleister
                                                                              noch 4,2 Prozent unter dem Vorkrisenniveau.
          25
                                                                              Der breite Einsatz von Kurzarbeit hat dazu bei-
                                                                              getragen, dass die Wirtschaftskrise bislang nur
          20
                                                                              wenig auf Arbeitslosen- und Beschäftigtenzahlen
                                                                              durchgeschlagen hat (EUROFRAME 2021). Eu-
          15                                                                  rostat verweist darüber hinaus auf methodische
                                                                              Gründe bei der Erhebung der Erwerbslosen-
          10                                                                  quote, die den geringen Anstieg zum Teil erklä-
                                                                              ren können. So wird eine Person nach der ILO-
            5                                                                 Definition als arbeitslos gezählt, wenn sie in den
                                                                              letzten vier Wochen aktiv nach Arbeit gesucht
                                                                              hat und innerhalb der beiden nächsten Wochen
            0
                1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021   eine Arbeit aufnehmen kann. Während der
                                                                              Corona-Krise suchte ein erheblicher Teil derjeni-
           Quartalsdaten, saisonbereinigt. Anteil der Unternehmen, die
           fehlende Arbeitskräfte als Hemmnis für die eigene Produktion       gen, die sich bei Arbeitsämtern angemeldet hat-
           ansehen. Gestrichelte Linien: Mittelwerte seit 1999.
                                                                              ten, jedoch nicht aktiv nach einem Arbeitsplatz
           Quelle: Europäische Kommission, Industry Survey und Services       oder stand dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfü-
           Survey; Berechnungen des IfW Kiel.
                                                                              gung, etwa wenn Kinder betreut werden muss-
                                                                              ten. Dies führte zeitweilig zu Abweichungen bei
                                                                              der Zahl der registrierten Arbeitslosen und derje-
      Arbeitsmarkt trotz schwerer Wirt-                                       nigen, die gemäß der Definition der ILO als ar-
      schaftskrise weitgehend stabil                                          beitslos eingestuft waren (Eurostat 2021).
                                                                              Bislang blieb die Lohnentwicklung im Euro-
      Arbeitslosigkeit und Beschäftigung sind trotz                           raum verhalten. Im zweiten Quartal 2021 lagen
      der drastischen Produktionseinbrüche ver-                               die Tarifverdienste 1,7 Prozent über dem Vorjah-
      gleichsweise stabil geblieben – nicht zuletzt                           resquartal. Die effektiv gezahlten Arbeitneh-
      durch den Einsatz von Kurzarbeit. Ausgehend                             merentgelte je Beschäftigten stiegen zwar um 8
      von einer Erwerbslosenquote im Euroraum von                             Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal, dies
      7,4 Prozent (ohne Deutschland: 9,1 Prozent) im                          erklärt sich jedoch durch die Rückkehr von Ar-
      Februar 2020, ist sie im Spätsommer vergange-                           beitnehmern aus der Kurzarbeit, bei denen die
      nen Jahres bis auf 8,6 Prozent (ohne Deutsch-                           geleisteten Lohnzahlungen mit der höheren Ar-
      land: 10,8 Prozent) geklettert (Abbildung 11). In-                      beitszeit stiegen, ohne dass die Zahl der Be-
      zwischen (Juli 2021) ist sie jedoch wieder auf 7,6                      schäftigten davon beeinflusst war. Es handelt
      Prozent (ohne Deutschland: 9 Prozent) zurück                            sich also um eine Gegenbewegung zum Frühjahr
      gegangen und liegt damit nahezu auf dem Ni-                             2020, als viele Menschen in die Kurzarbeit wech-
      veau der Vorkrisenzeit.2 Die Beschäftigtenzahl                          selten und die Effektivverdienste stark (um
      ist im ersten Krisenhalbjahr um insgesamt 3,1                           knapp 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr) zu-
      Prozent gefallen, begann aber im zweiten Halb-                          rückgingen, und nicht um den Ausweis einer son-
      jahr wieder zu steigen; zuletzt lag sie noch 1,3                        derlich dynamischen Lohnentwicklung.

      2 Bei den länderspezifischen Erwerbslosenraten kam                      jeweils 0,3 Pp.). Sie wurden dagegen nach oben revi-
      es jüngst zu erheblichen Revisionen. Die Quoten wur-                    diert für Irland (um 2,1 Pp.), Österreich (um 1,7 Pp.),
      den substanziell nach unten revidiert für Deutschland                   Belgien (um 1,4 Pp.) und Frankreich (um 0,5 Pp.).
      (um 0,6 Prozentpunkte), Estland und die Slowakei (um

                                                                                                                                        9
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

      Abbildung 11:                                                        Die Schleusen der Geldpolitik blei-
      Arbeitslosenquote und Beschäftigung                                  ben weit geöffnet
            Prozent                                      Millionen
       16                                                            166
                                                                           Die Europäische Zentralbank reagiert verhal-
                 Euroraum ohne Deutschland
                                                                           ten auf die höhere Inflation. Die zuletzt gestie-
       14                                                            162
                                                                           gene Verbraucherpreisinflation ist durch tempo-
                                                                           räre Sonder- und Basiseffekte gut erklärbar und
                                                                           liefert damit zum jetzigen Zeitpunkt noch wenig
                             Euroraum                                      Anlass, mit einem merklich höheren Inflations-
       12                                                            158
                                                                           trend zu rechnen. Die meisten aktuellen Progno-
                                                                           sen gehen davon aus, dass der Preisdruck im
                                                                           kommenden Jahr wieder merklich nachlassen
       10                                                            154
                                                                           wird (Beckmann et al. 2021). Eine etwas höhere
                                                                           zugrunde liegende Teuerungsrate als in den ver-
                                                                           gangenen Jahren ist zudem ein erklärtes Ziel der
        8                                                            150   Geldpolitik, so dass ein Durchwirken der aktuell
                  Beschäftigung Euroraum                                   erhöhten Inflationsrate über Zweitrundeneffekte
                      (rechte Skala)
                                                                           in etwas höhere Inflationserwartungen durchaus
        6                                                            146   erwünscht wäre (Schnabel 2021). Die Europäi-
         2011         2013     2015     2017     2019       2021
                                                                           sche Zentralbank hat darüber hinaus jüngst ihre
       Monatsdaten, saisonbereinigt.                                       geldpolitische Strategie angepasst. Der für die
       Quelle: Eurostat, Arbeitsmarktstatistik; Europäische Zentralbank,   Kommunikation etwas ungelenke Zielbereich
       Monatsbericht; Berechnungen des IfW Kiel.
                                                                           von „unter, aber nahe bei zwei Prozent“ wurde
                                                                           ersetzt durch ein symmetrisches Inflationsziel
                                                                           von zwei Prozent. Somit würde ein moderates
      Die Lohndynamik dürfte sich alsbald bele-                            Überschreiten dieses Zielwerts zukünftig wohl
      ben. Normalerweise gilt zwar, dass im Verlauf                        über längere Zeit toleriert werden. Die geldpoliti-
      und Nachgang von Wirtschaftskrisen die Vertei-                       schen Rahmenbedingungen dürften nicht we-
      lungsspielräume sinken und damit die Aussich-                        sentlich verändert werden, bis sich ein nachhal-
      ten der Arbeitnehmerseite, substanzielle Lohn-                       tiger Anstieg der Kerninflation über das Inflati-
      steigerungen durchzusetzen. Doch ist der Ar-                         onsziel hinaus abzeichnet, und ein solcher An-
      beitsmarkt im Euroraum derzeit von einer im his-                     stieg ist bislang nicht erkennbar.
      torischen Vergleich geringen Arbeitslosenrate
      gekennzeichnet sowie – gemäß Unternehmens-                           Die geldpolitischen Rahmenbedingungen
      befragungen – von einer spürbaren Knappheit an                       bleiben auf absehbare Zeit unverändert. Die
      Arbeitskräften, was die Verhandlungsposition                         Leitzinsen dürften bis zum Ende des Prognose-
      der Arbeitnehmer stärkt. Darüber hinaus sorgen                       zeitraums auf ihren niedrigen Niveaus bleiben,
      verschiedene Sonder- und Basiseffekte im lau-                        auf denen sie seit geraumer Zeit liegen (Abbil-
      fenden und im kommenden Jahr für merklich hö-                        dung 12a). Auch die gezielten längerfristigen Re-
      here Preissteigerungsraten auf Verbraucherseite                      finanzierungsgeschäfte (TLTRO III) und die Net-
      als in den Vorjahren. Die damit verbundenen                          tokäufe im Rahmen des Anleihekaufprogramms
      Kaufkraftverluste dürften in den bevorstehenden                      APP in Höhe von 20 Mrd. Euro pro Monat wer-
      Tarifentscheidungen zunehmend Berücksichti-                          den auf unbestimmte Zeit fortgesetzt, Rückflüsse
      gung finden. Insgesamt wird sich die Lohnent-                        aus fällig werdenden Anleihen werden zudem
      wicklung angesichts der absehbaren Überwin-                          vollumfänglich reinvestiert. Die Käufe im Rah-
      dung der Krise, niedriger Arbeitslosenquoten,                        men des Pandemie-Notfallprogramms (PEPP),
      zunehmender Anspannungen am Arbeitsmarkt                             das einen sehr flexiblen Rahmen für Interventio-
      und einer etwas höheren Verbraucherpreisinfla-                       nen am Anleihemarkt absteckt, sollen in den
      tion im Prognosezeitraum wohl allmählich bele-                       kommenden Monaten von bislang monatlich
      ben.                                                                 rund 80 Mrd. Euro moderat reduziert werden. Die
                                                                           Laufzeit (bis März 2022) und das Gesamtvolu-
                                                                           men des Programms (1850 Mrd. Euro) wurden

                                                                                                                                 10
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

      Abbildung 12:
      Monetäre Rahmenbedingungen
                                                                                                                          Spitzenrefinanzierungssatz
             Prozent                                           (a) Geldpolitik und Geldmarktzinsen
                                                                                                                          Hauptrefinanzierungssatz
       6                                                                                                                  Einlagesatz
                                                                                                                          EONIA
                                                                                                                          Euribor 3m
       5

       4

       3

       2

       1

       0

       -1
            1999          2001        2003          2005         2007          2009   2011         2013          2015       2017        2019        2021

                                   (b) Kreditzinsen                                                       (c) Kreditvergabe (yoy)
             Prozent                                                                         Prozent
                                                                                      15
       6                                                                                                                  Nichtfin. Kapitalgesellschaften
                                             Nichtfin. Kapitalgesellschaften
                                             Haushalte                                                                    Haushalte
       5
                                                                                      10

       4

       3                                                                               5

       2
                                                                                       0
       1

       0                                                                              -5
        2007       2009     2011     2013    2015    2017      2019     2021            2007      2009    2011     2013    2015    2017    2019     2021

                       (d) Zinsen auf Staatsanleihen (10y)                                             (e) Geldmengenwachstum (yoy)
                                                                                                                                                     M1
             Prozent                                             Griechenland                Prozent                                                 M3
                                                                 Italien
       6                                                                              15
                                                                 Spanien
                                                                 Portugal
       5                                                         Belgien
                                                                 Finnland
                                                                 Irland               10
       4                                                         Frankreich
                                                                 Österreich
                                                                 Niederlande
       3
                                                                 Deutschland
                                                                                       5
       2

       1
                                                                                       0

       0

       -1                                                                             -5
         2016          2017        2018      2019       2020      2021                  2007      2009    2011     2013    2015    2017    2019     2021
        Monatsdaten. Kreditvergabe und Geldmengenwachstum: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent. Kreditvergabe: Korrigiert
        um Kreditveräußerungen und Verbriefungen. Zinsen auf Staatsanleihen: Anleihen mit zehnjähriger Restlaufzeit; Griechenland: teil-
        weise außerhalb der gewählten Skala.

        Quellen: EZB, Composite Cost of Borrowing Indicators, BSI; Refinitiv.

                                                                                                                                                            11
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

      zunächst unverändert gelassen, die EZB behält        mit steigenden Inflationserwartungen auch auf
      sich diesbezüglich aber Anpassungen in alle          Derivatemärkten – zunächst wieder leicht an, bil-
      Richtungen vor. Es ist zu erwarten, dass die An-     deten sich aber inzwischen wieder zurück (Abbil-
      leihekäufe über das PEPP-Programm im Prog-           dung 12d). Für den Prognosezeitraum gehen wir
      nosezeitraum zunächst zurückgefahren und             von einem nur geringfügigen Anstieg der Zinsen
      schließlich – womöglich Mitte kommenden Jah-         aus. Die zehnjährigen Bundeswertpapiere, die
      res – beendet werden. Abgesehen davon dürften        als Referenzwert gelten und gegenwärtig -0,3
      die geldpolitischen Rahmenbedingungen vorerst        Prozent abwerfen, dürften Ende 2023 mit 0 Pro-
      unverändert bleiben, und bei den gegenwärtigen       zent rentieren.
      Inflationsprognosen gibt es für die EZB auch we-
      nig Gründe, unmittelbar zu reagieren. In der mitt-
      leren und längeren Frist steigt allerdings die Un-   Defizite der öffentlichen Haushalte
      sicherheit im Hinblick auf die geldpolitische Aus-   bleiben vorerst sehr hoch
      richtung.
                                                           Die öffentlichen Haushalte sind weiterhin von
      Kredite für den Privatsektor sind unverändert        der Corona-Pandemie geprägt. Durch die Fort-
      günstig. Die Zinsen für nichtfinanzielle Unter-      dauer des epidemischen Geschehens haben
      nehmen zeigten laut Kreditkostenindikator der        viele Regierungen Maßnahmen, die im Jahr
      EZB im Juli unverändert ein Niveau von 1,5 Pro-      2020 zur sozialen Sicherung und zur Unterstüt-
      zent an, Wohnungsbaukredite blieben stabil bei       zung betroffener Unternehmen ergriffen wurden,
      1,3 Prozent (Abbildung 12b). Im Zuge der             in das Jahr 2021 verlängert. So waren für den
      Corona-Krise nahm die Kreditaufnahme der             Euroraum insgesamt auch im ersten Quartal die
      nichtfinanziellen Unternehmen zunächst sprung-       Ausgaben für monetäre Sozialleistungen und
      haft zu, wohl insbesondere zur Überbrückung          Subventionen ungewöhnlich hoch. Auf der Ein-
      von Einnahmeausfällen. Dieser Anstieg ist inzwi-     nahmeseite zeigen auch diverse Steuererleich-
      schen aus der Vorjahresrate herausgefallen, und      terungen ihre Wirkung. Insgesamt ist in den gro-
      die Darlehenssumme in diesem Segment lag zu-         ßen Volkswirtschaften nicht absehbar, dass sich
      letzt nur noch 1,7 Prozent über dem Wert im je-      die Budgetsituation bereits im laufenden Jahr
      weiligen Vorjahresmonat. Die Kredite an die pri-     bessert (Abbildung 13).
      vaten Haushalte verzeichneten dagegen etwas
      höhere Zuwachsraten von zuletzt 4,2 Prozent          Die Finanzpolitik ist im laufenden Jahr über-
      (Abbildung 12c). Das Geldmengenwachstum              wiegend expansiv ausgerichtet. Neben der
      hatte sich mit Ausbruch der Pandemie und den         Fortsetzung vieler Corona-Maßnahmen haben
      geldpolitischen Maßnahmen zur Stabilisierung         insbesondere Italien und Deutschland zusätzli-
      der Finanzmärkte stark beschleunigt. Auch zu-        che expansive Maßnahmen auf den Weg ge-
      letzt legten die Geldmengen M1 (mit knapp 11         bracht, während zugleich in anderen Ländern,
      Prozent im Vorjahresvergleich) und M3 (mit 7,5       wie z.B. Spanien, zurückhaltender agiert wird.
      Prozent) stark zu (Abbildung 12e).                   Alle Länder profitieren allerdings zusätzlich von
                                                           Zuschüssen der Europäischen Union im Rah-
      Die Zinsen auf Staatsanleihen haben sich             men des Next-Generation-EU-Programms.
      trotz steigender Inflationserwartungen bis-          Diese erhöhen zwar nicht das Defizit, erlauben
      lang kaum erhöht. Die Zinsen auf Staatsanlei-        aber trotzdem höhere Staatsausgaben (Stolzen-
      hen im Euroraum verzeichneten bis Ende ver-          burg 2021). Die entsprechende Schuldenauf-
      gangenen Jahres einen generellen Abwärts-            nahme der EU wird den einzelnen Ländern nicht
      trend. Auch die Zinsaufschläge gegenüber Bun-        zugerechnet.
      deswertpapieren nahmen merklich ab. Seit dem
      Jahresbeginn stiegen die Zinsen – im Einklang

                                                                                                               12
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

      Abbildung 13:
      Unterjährige Entwicklung der Finanzierungssalden in ausgewählten Ländern des Euroraums

      Im Jahr 2022 dürfte die Finanzpolitik restriktiv         Vorkrisenpfad anschließen kann und einige ex-
      ausgerichtet sein. Sofern sich die pandemische           pansive finanzpolitische Maßnahmen noch
      Situation deutlich bessert, wie in der Prognose          nachwirken, werden die Budgetsalden der Vor-
      angenommen, werden die noch verbliebenen                 krise auch im Jahr 2023 in den meisten Ländern
      Unterstützungsmaßnahmen auslaufen. Zudem                 noch nicht wieder erreicht werden. Teilweise
      dürfte der konjunkturelle Aufschwung die öffent-         dürften die Defizite noch erheblich sein, obwohl
      lichen Haushalte entlasten. Für den Euroraum             die Zuschüsse des „Next-Generation-EU“-Pro-
      insgesamt rechnen wir mit einem Budgetdefizit            gramms 2023 in etwa auf dem Vorjahresniveau
      von 3,9 Prozent in Relation zum Bruttoinlands-           liegen dürften und die Ausgaben der öffentlichen
      produkt. Im Euroraum ohne Deutschland liegt              Hand in den Mitgliedsländern entsprechend stüt-
      dieser Wert mit 4,7 Prozent höher (Tabelle 1).           zen. Für den Euroraum rechnen wir mit einem
                                                               Defizit von 3,0 Prozent in Relation zum Bruttoin-
      Die Defizite nehmen zwar weiter ab, bleiben
                                                               landsprodukt (3,9 Prozent in Relation zum Brut-
      aber auch im Jahr 2023 auf erhöhtem Niveau.
                                                               toinlandsprodukt für den Euroraum ohne
      Da die wirtschaftliche Erholung nicht an den
                                                               Deutschland).

                                                                                                                   13
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

      Tabelle 1:                                                 Vergleich zum Vorkrisenstand – noch gedämpft
      Budgetsaldo des Staates im Euroraum                        bleiben wird und die konjunkturelle Erholung vo-
                                  2020    2021    2022   2023
                                                                 rübergehend an Fahrt verliert. Für den weiteren
      Deutschland                  -4,2    -4,9   -1,7   -0,7
                                                                 Prognosezeitraum nehmen wir an, dass die
      Frankreich                   -9,2    -8,3   -5,1   -4,5    Corona-Pandemie ab dem Frühjahr 2022 mehr
      Italien                      -9,5   -10,8   -6,0   -4,8    und mehr an Bedeutung verlieren wird, auch in
      Spanien                     -11,0    -7,3   -5,7   -5,0
      Niederlande                  -4,3    -4,3   -2,0   -1,3    der öffentlichen Wahrnehmung, und die wirt-
      Belgien                      -9,4    -7,0   -5,3   -4,6    schaftliche Aktivität ab der Jahresmitte 2022 gar
      Österreich                   -8,9    -7,4   -3,3   -2,7
      Irland                       -5,0    -1,1   -2,8   -1,5    nicht mehr direkt beeinträchtigt wird.
      Finnland                     -5,4    -4,3   -2,2   -1,4
      Portugal                     -5,7    -4,5   -3,3   -2,5    Frühindikatoren deuten auf einen erneut kräf-
      Griechenland                 -9,7    -7,7   -4,2   -3,1
      Slowakei                     -6,2    -6,7   -4,5   -4,9    tigen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts im
      Luxemburg                    -4,1     0,5   -0,7    0,0    dritten Quartal hin. Der Markit-Einkaufsmana-
      Slowenien                    -8,4    -7,6   -5,2   -4,4
      Litauen                      -7,4    -7,3   -6,2   -5,0    gerindex (PMI) hat im August zwar leicht nach-
      Lettland                     -4,5    -6,8   -2,8   -2,3    gegeben, lag mit 59 Punkten aber deutlich ober-
      Estland                      -4,9    -2,7   -3,6   -3,0    halb der Expansionsschwelle von 50 und auch
      Zypern                       -5,7    -4,5   -2,3   -1,8
      Malta                       -10,1   -10,8   -5,9   -4,7    deutlich höher als im Durchschnitt des Vorquar-
                                                                 tals. Der Economic Sentiment Indicator (ESI) der
      Euroraum                      -7,2     -6,9   -3,9  -3,0
      Euroraum ohne                                              Europäischen Kommission ist ausgehend vom
                                    -8,7     -7,7   -4,7  -3,9
      Deutschland                                                Rekordniveau aus dem Juli geringfügig auf 117,5
      Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt.              Punkte zurückgegangen und liegt damit noch im-
      Quelle: Eurostat, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen;
      Berechnungen des IfW Kiel; grau hinterlegt: Prognosen      mer fast zwei Standardabweichungen oberhalb
      des IfW Kiel.                                              des langfristigen Mittelwerts. Beim ESI ist die Un-
                                                                 ternehmenszuversicht in allen Teilbereichen
                                                                 deutlich über dem langfristigen Mittel, für Indust-
      Ausblick: Langsamere konjunktu-                            rieunternehmen noch mehr als für Dienstleister,
      relle Gangart über den Winter                              und auch die gemessene Zuversicht auf Ver-
                                                                 braucherseite ist derzeit höher als vor der Pan-
      Für die Prognose ist unterstellt, dass die                 demie. Die Industrieproduktion (ohne Bau) lag im
      Corona-Pandemie auch im bevorstehenden                     Juli in etwa auf dem Niveau des Jahres 2019 und
      Winterhalbjahr noch auf der wirtschaftlichen               vollzog über die vergangenen Monate nur einen
      Aktivität lastet und die weitere Erholung                  geringfügigen Anstieg (Abbildung 14). Die Auf-
      bremst. Konkret nehmen wir an, dass die Maß-               tragseingänge im Verarbeitenden Gewerbe ha-
      nahmen zum Infektionsschutz für Geimpfte zwar              ben im selben Zeitraum stark zugelegt und sich
      weitestgehend aufgehoben sein werden. Doch                 somit deutlich von den Produktionszahlen ent-
      angesichts der ansteckenderen Delta-Variante,              koppelt. Hintergrund dürften Lieferengpässe
      der Saisonalität des Virus‘ und der immer noch             sein, welche die Produktion offenbar behindern
      großen Zahl ungeimpfter Personen in vielen Mit-            und eine stärkere Dynamik der industriellen Pro-
      gliedsländern dürften die Fallzahlen im Herbst             duktion ausbremsen. Die Bauproduktion war in
      und Winter wieder steigen. Auch wenn den Ge-               etwa auf dem Vorkrisenstand; die Einzelhandel-
      sundheitssystemen angesichts hoher Impfquo-                sumsätze lagen weiter klar darüber, auch wenn
      ten bei den Risikogruppen – anders als während             sie im Vergleich zum Vormonat zuletzt nachge-
      zurückliegender Infektionswellen – wohl keine              geben haben. Insgesamt rechnen wir für das
      Überlastung mehr droht, dürften Teile der Bevöl-           dritte Quartal mit einem Anstieg der Wirtschafts-
      kerung gleichwohl ihr Konsumverhalten so ge-               leistung im Euroraum um 2,1 Prozent.
      stalten, dass Infektionsrisiken vermieden wer-
      den. Gleichzeitig dürfte der Zugang zu einigen             Die konsumbezogene Mobilität hat sich auf
      gesellschaftlichen Aktivitäten für Ungeimpfte              einem hohen Niveau eingependelt. Die Mobili-
      vielerorts mit zusätzlichen Hürden versehen                tät in den Bereichen Einzelhandel und Freizeit-
      sein. Beides führt dazu, dass die wirtschaftliche          einrichtungen hat sich seit dem Frühjahr merklich
      Aktivität gerade in den kontaktintensiven Wirt-            gesteigert und lag über die zurückliegenden
      schaftsbereichen über das Winterhalbjahr – im

                                                                                                                       14
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

      Abbildung 14:                                                         Sommermonate hinweg erkennbar höher als
      Konjunkturindikatoren                                                 zum selben Zeitraum im Vorjahr und ungefähr so
             2019 = 100                Industrieproduktion                  hoch wie im Vergleichszeitraum vor Ausbruch
                                       Neue Aufträge (Verarb. Gew.)
      120                                                                   der Pandemie (Abbildung 15). Der Anstieg der
                                       Bauproduktion
                                       Einzelhandelsumsatz
                                                                            konsumbezogenen Mobilität im Vergleich zum
      110                                                                   Vorquartal lässt einen erneut kräftigen Anstieg
                                                                            des privaten Verbrauchs erwarten. Er dürfte im
      100
                                                                            Winter allerdings zunächst nur noch moderat zu-
                                                                            legen, da die Infektionsgefahr in Innenräumen
                                                                            dann eine stärkere Rolle spielt und eine vollstän-
       90
                                                                            dige Normalisierung des Konsumverhaltens er-
                                                                            schwert wird; kräftige Zuwachsraten sind wieder
       80                                                                   im kommenden Frühjahr und Sommer zu erwar-
                                                                            ten (Tabelle 2). Dabei dürfte die Konsumentwick-
       70                                                                   lung auch durch aufgestaute Kaufkraft unter-
                                                                            stützt werden, die sich im Verlauf der Krise in er-
                                                                            heblichem Umfang angesammelt hat (Abbildung
       60
             7 8 9 101112 1 2 3 4 5 6 7 8 9 101112 1 2 3 4 5 6 7 8          5 auf Seite 6).
                 2019                2020                  2021

       Monatsdaten, saisonbereinigt. Industrieproduktion: ohne Bau.
       Einzelhandelsumsatz: deflationiert

       Quelle: Eurostat, Konjunkturstatistik; Berechnungen des IfW
       Kiel.

      Abbildung 15:
      Konsumbezogene Mobilität in ausgewählten Ländern

              Prozent                                     DEU             FRA               ITA              ESP               NLD

        0

       -20

       -40

       -60

       -80

      -100
        1.1.2020          1.4.2020           1.7.2020         1.10.2020       1.1.2021            1.4.2021         1.7.2021      1.10.2021

      Tagesdaten, Einzelhandel und Freizeiteinrichtungen, Abweichung ggü. gleichem Wochentag im Zeitraum Januar bis Februar.

      Quelle: Google Covid-19 Mobility Report.

                                                                                                                                             15
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

      Tabelle 2:
      Eckdaten zur Konjunktur im Euroraum
                                             2021                  2022                       2023                          Jahresraten
                                         I     II   III  IV    I     II    III   IV    I   II  III IV 2020 2021 2022 2023
      Bruttoinlandsprodukt             -0,3 2,2 2,1 0,5 0,7 1,2 1,1 0,6 0,5 0,4 0,4 0,4 -6,5                   5,1   4,4     2,4
        Inländische Verwendung         -0,4 2,3 2,3 0,6 0,6 1,3 1,2 0,6 0,5 0,4 0,4 0,4 -6,3                   3,9   4,5     2,5
           Privater Verbrauch          -2,1 3,7 3,6 0,6 0,6 1,7 1,5 0,5 0,4 0,4 0,3 0,3 -8,0                   3,4   6,0     2,5
           Staatsverbrauch             -0,5 1,2 0,3 0,1 0,0 0,1 0,3 0,3 0,3 0,3 0,3 0,3 1,4                    3,2   0,8     1,1
           Anlageinvestitionen         -0,2 1,1 1,3 1,0 1,2 1,4 1,3 1,1 0,8 0,7 0,7 0,7 -7,5                   4,4   5,0     3,7
           Vorratsänderungen            0,8 -0,2 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 -0,5                  0,3   0,0     0,0
        Außenbeitrag                    0,1 0,0 -0,1 0,0 0,1 0,0 -0,1 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 -0,3                 1,2   0,0     0,0
           Exporte                      0,7 2,2 2,1 1,0 1,3 1,4 1,1 1,1 1,0 1,0 1,0 1,0 -9,3                   9,2   5,7     4,2
           Importe                      0,4 2,3 2,5 1,2 1,2 1,5 1,4 1,1 1,0 1,1 1,0 1,0 -9,2                   7,0   6,1     4,6
      Bruttoinlandsprodukt: kalender-, preis- und saisonbereinigt; Quartalswerte: Veränderung gegenüber dem Vorquartal (Pro-
      zent); Jahreswerte: preis- und kalenderbereinigt, Veränderung gegenüber dem Vorjahr (Prozent). — Vorratsveränderung,
      Außenbeitrag: Beitrag zur Veränderungsrate des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts in Prozentpunkten, saisonbereinigt.
      Quelle: Eurostat, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen; eigene Berechnungen; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel.

      Anlageinvestitionen und Dienstleistungshan-                     Produktionsentwicklung. Ab dem Frühjahr 2022
      del legen im Prognosezeitraum überproporti-                     rechnen wir mit wieder kräftigeren Zuwächsen.
      onal zu, der Staatskonsum dagegen unter-                        Die unterjährigen Produktionszuwächse im Jahr
      durchschnittlich. Die Investitionstätigkeit dürfte              2023 liegen dann schließlich kaum noch über der
      sich angesichts gleichbleibend günstiger Finan-                 Potenzialrate. Das Vorkrisenniveau der Wirt-
      zierungsbedingungen und aufgrund von unter-                     schaftsleistung im Euroraum wird nach dieser
      bliebenen Investitionen während der Krisenzeit –                Prognose im ersten Quartal 2022 überschritten,
      Stichwort Nachholeffekte – weiter steigern. Im                  in einzelnen Mitgliedsländern etwas später (Ta-
      Verlauf des kommenden Jahres wird wohl auch                     belle 3).
      der Dienstleistungshandel die Krise mit kräftigen
      Zuwächsen hinter sich lassen, während der Wa-
                                                                      Abbildung 16:
      renhandel weiterhin von der moderaten Auswei-
                                                                      Bruttoinlandsprodukt: Euroraum ohne Deutschland
      tung des Welthandels profitieren dürfte. Vom
                                                                               Index (2015 = 100)                                Prozent
      Staatskonsum sind dagegen nur wenig zusätzli-
                                                                       115                                                                   15
      che Impulse zu erwarten, da dieser im Vorjahr                                                         Veränderung
                                                                                                            Niveau
      schon merklich ausgeweitet wurde.
                                                                       110                                                                   10

      Im Jahr 2021 wird der Produktionsanstieg
      wohl bei 5,1 Prozent liegen, im den Jahren                       105                                                                   5

      2022 und 2023 erwarten wir Zuwächse um 4,4
      Prozent und 2,4 Prozent (Abbildung 1 auf Seite                   100                                                                   0
      3). Der Anstieg der Wirtschaftsleistung im laufen-
      den Jahr wird dabei im übrigen Euroraum etwas                       95                                                                 -5
      größer sein als in Deutschland, da der vorange-
      gangene Einbruch der Wirtschaftsleistung auch                       90                                                                 -10
      stärker war (Abbildung 16). Damit haben wir un-
      sere Einschätzung aus der Sommerprognose                                    1,7        -7,0         6,0         4,1         2,3
                                                                          85                                                                 -15
      (Gern et al. 2021) für den Anstieg des Bruttoin-                         I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV
      landsprodukts im Jahr 2022 unverändert gelas-                              2019        2020        2021        2022         2023
      sen und im laufenden Jahr um zwei Zehntel re-
                                                                       Quartalsdaten,  preis-,   kalender-  und   saisonbereinigt,
      duziert. Die Abwärtsrevision liegt zum einen da-                 Veränderung gegenüber dem Vorquartal (rechte Skala).
      ran, dass die Corona-Pandemie entgegen der                       Gerahmt: Jahresdaten, Veränderung gegenüber dem Vorjahr in
                                                                       Prozent.
      vorherigen Annahmen wohl auch im kommen-
                                                                       Quelle: Eurostat, Volkswirtschaftliche Gesamtrechungen. grau
      den Winter noch eine Rolle spielen wird. Zum an-                 hinterlegt: Prognose des IfW Kiel.
      deren bremsen Lieferengpässe derzeit die

                                                                                                                                                   16
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

      Die Verbraucherpreisinflation dürfte im kom-                          Jahresdurchschnitt 2021 wohl um 2,2 Prozent,
      menden Jahr wieder auf unter zwei Prozent                             im kommenden Jahr um 1,9 Prozent und im Jahr
      zurückgehen. Basiseffekte vonseiten der Ener-                         2023 um 1,7 Prozent steigen. Dabei nehmen wir
      giepreise und weitere temporäre Sondereffekte                         für den Ölpreis der Sorte Brent an, dass dieser
      begünstigen bis zum Jahresende eine Inflations-                       im Prognosezeitraum ausgehend vom derzeiti-
      rate von über 3 Prozent im Vorjahresvergleich.                        gen Niveau im Verlauf des kommenden Jahres
      Im Verlauf der ersten Jahreshälfte laufen diese                       auf 65 US-Dollar zurückgeht, anschließend wie-
      Sonder- und Basiseffekte aus, was einen merkli-                       der langsam steigt und im Jahresdurchschnitt
      chen Rückgang der Inflationsrate auf etwa ein-                        2023 bei rund 66 US-Dollar liegen wird. Zudem
      einhalb Prozent zur Folge haben wird. Im Gegen-                       unterstellen wir eine Konstanz der Wechsel-
      zug dürften jedoch allmählich die zuletzt stark                       kurse.
      gestiegenen Produzentenpreise, etwa für Zwi-
                                                                            Die Arbeitslosigkeit dürfte im Prognosezeit-
      schenprodukte und diverse Rohstoffe, zum Teil
                                                                            raum auf neue Tiefststände sinken. Die Er-
      an die Konsumenten weitergereicht werden (Ab-
                                                                            werbslosenquote im Euroraum wird im Durch-
      bildung 17). Dabei besteht allerdings erhebliche
                                                                            schnitt des Jahres 2021 wohl bei 7,6 Prozent lie-
      Unsicherheit hinsichtlich der Verzögerungszeit
                                                                            gen und in den Folgejahren auf 6,8 Prozent
      und der tatsächlichen Weitergabe dieser Kosten
                                                                            (2022) und 6,4 Prozent (2023) fallen. Damit sinkt
      („pass-through“). Letzteres hängt von zahlrei-
                                                                            sie im Prognosezeitraum voraussichtlich auf den
      chen Parametern ab, etwa der jeweiligen Kapa-
                                                                            niedrigsten Stand seit Bestehen der Währungs-
      zitätsauslastung, den Lagerbeständen, dem
                                                                            union. Im Euroraum ohne Deutschland fällt die
      Wettbewerbsumfeld, und wohl auch der Dauer-
                                                                            Erwerbslosenquote von 9,0 Prozent im laufen-
      haftigkeit des Preisanstiegs auf Produzenten-
                                                                            den Jahr auf 8,1 Prozent im Jahr 2022 und 7,6
      seite (Koester et al., 2021). Zudem werden die
                                                                            Prozent im Jahr 2023.
      Löhne im Euroraum dann wohl etwas stärker zu-
      legen, was sich insbesondere bei den Preisen
      von Dienstleistungen bemerkbar machen wird.
      Insgesamt werden die Verbraucherpreise im

       Abbildung 17:
       Produzentenpreise
                                       Alle Industriegüter (ohne Energie)
              Prozent                  Kapitalgüter
                                       Gebrauchsgüter
                                       Verbrauchsgüter
                                       Zwischenprodukte
        15

        10

         5

         0

         -5

        -10
           2006         2009   2012         2015       2018       2021

       Monatsdaten, saisonbereinigt.

       Quelle: EZB, Monatsbericht; Berechnungen des IfW Kiel.

                                                                                                                                17
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

      Tabelle 3:
      Bruttoinlandsprodukt, Verbraucherpreise und Arbeitslosenquote in den Ländern des Euroraums

                                     Gewicht      Bruttoinlandsprodukt         Verbraucherpreise          Arbeitslosenquote
                                                2020 2021 2022 2023 2020 2021 2022 2023 2020 2021 2022 2023
      Deutschland*                        29,6 -4,9    2,6    5,2    2,5     0,4   2,9   2,5    1,9    3,8    3,6    3,1      3,0
      Frankreich                          20,2 -8,0    6,1    3,7    2,3     0,5   2,0   1,7    1,5    8,0    7,9    7,5      7,2
      Italien                             14,5 -8,9    6,2    4,2    2,1    -0,1   1,6   1,3    1,3    9,3    9,6    8,9      8,5
      Spanien                              9,8 -10,8   6,4    6,0    3,0    -0,3   2,4   1,8    1,8   15,5   14,7   12,9      11,8
      Niederlande                          7,0 -3,8    3,8    2,9    1,8     1,1   1,9   1,8    1,7    3,8    3,2    2,8      2,7
      Belgien                              4,0 -6,3    5,7    3,2    1,9     0,4   1,9   1,8    1,8    5,6    6,0    5,1      4,8
      Österreich                           3,3 -6,3    3,6    3,3    1,8     1,4   2,6   1,7    1,7    6,0    6,3    4,9      4,4
      Irland                               3,3 5,8     13,9   3,9    3,2    -0,5   1,5   1,6    1,5    5,9    6,7    5,0      4,4
      Finnland                             2,1 -2,9    3,6    2,7    1,8     0,4   1,8   1,7    1,8    7,7    7,7    6,7      6,4
      Portugal                             1,8 -7,6    4,4    5,6    2,8    -0,1   1,0   2,0    1,7    7,1    6,7    6,2      5,9
      Griechenland                         1,5 -7,8    8,9    3,9    3,0    -1,3   0,0   2,3    1,9   16,4   15,1   13,0      12,0
      Slowakei                             0,8 -4,8    4,1    4,0    3,0     2,0   2,3   1,7    1,8    6,7    6,6    5,7      5,3
      Luxemburg                            0,6 -1,3    6,2    1,8    2,1     0,0   2,8   2,3    2,0    6,7    5,9    5,4      5,3
      Slowenien                            0,4 -4,8    7,0    3,6    2,8    -0,3   1,5   1,8    1,9    5,0    4,3    3,6      3,4
      Litauen                              0,4 -0,8    4,8    3,1    3,1     1,1   3,0   2,4    2,4    8,5    7,3    6,3      6,0
      Lettland                             0,3 -3,6    4,8    4,1    3,1     1,1   3,0   2,4    2,4    8,1    7,4    6,3      6,0
      Estland                              0,2 -2,7    9,8    3,9    3,1     0,1   2,0   2,1    2,1    6,8    6,4    5,0      4,5
      Zypern                               0,2 -5,1    4,2    3,6    2,8    -0,6   2,8   2,4    2,3    7,6    7,5    6,0      5,0
      Malta                                0,1 -8,2    6,7    4,8    3,2    -1,1   1,8   2,1    1,7    4,4    3,5    3,0      2,9

      Euroraum                          100,0        -6,4 5,1  4,4    2,4   0,3    2,2    1,9   1,7    7,8    7,6    6,8   6,4
      Euroraum ohne Deutschland          70,4        -7,0 6,0  4,1    2,3   0,2    1,9    1,7   1,6    9,2    9,0    8,1   7,6
      Gewicht: auf der Grundlage des Bruttoinlandsprodukts zu Preisen und Wechselkursen von 2020 (Prozent). — Bruttoinlands-
      produkt: preis- und kalenderbereinigt, Veränderung gegenüber dem Vorjahr (Prozent). — Verbraucherpreise: Veränderung
      gegenüber dem Vorjahr (Prozent), harmonisierter Verbraucherpreisindex (HVPI). — Arbeitslosenquote: standardisiert nach
      dem ILO-Konzept (Prozent), Ländergruppen gewichtet auf der Grundlage der Erwerbspersonenzahl von 2020. * Die Zahlen
      weichen von denen im Deutschland-Konjunkturbericht ab, da dort die BIP-Zuwachsraten als Ursprungswerte berichtet werden
      (statt kalenderbereinigten Werten), Verbraucherpreise nach CPI-Abgrenzung (statt HVPI) sowie Arbeitslosenquoten nach De-
      finition der Bundesagentur für Arbeit (statt ILO).

      Quelle: Eurostat, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen; eigene Berechnungen; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel.

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KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 82 (2021|Q3)

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