Kita-Ökonomik - eine Perspektive für Deutschland - De Gruyter
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Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2021; aop Wissenschaft im Überblick C. Katharina Spieß* Kita-Ökonomik – eine Perspektive für Deutschland https://doi.org/10.1515/pwp-2021-0034 zent aller Kinder im Alter von bis zu drei Jahren und nur 0,7 Prozent aller Drei- bis Sechsjährigen eine Kindertages- Zusammenfassung: Erst in den vergangenen Jahren finden pflege. Kitas hingegen werden von fast 30 Prozent aller sich zunehmend empirische Arbeiten mit einem ökonomi- Kinder im Alter von bis zu drei Jahren genutzt. Nahezu alle schen Blick auf die Kindertagesbetreuung in Deutschland. Kinder im Alter von drei Jahren und mehr besuchen zu- Darunter finden sich familien- und arbeitsmarktökonomi- mindest halbtags eine Kita (Statistisches Bundesamt sche Studien zur Bedeutung von Kitas für die Vereinbarkeit 2020). Kitas sind damit ein zentraler Bestandteil des Auf- von Familien- und Erwerbsarbeit. Es zeigt sich, dass der wachsens. Sie sind darüber hinaus elementar für die Ver- Kita-Ausbau die Erwerbstätigkeit von Müttern mit jungen einbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit. Sie bieten ins- Kindern erhöht hat. Bildungsökonomische Arbeiten zu den gesamt 752.220 ArbeitnehmerInnen Beschäftigung (Zahl Auswirkungen von Kitas auf die kindliche Entwicklung in von 2019, Statistisches Bundesamt 2020). Deutschland bestätigen internationale Befunde: Besonders Neben Kitas kommt auch informellen und non-forma- profitieren Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten len Bildungs- und Betreuungsangeboten, zum Beispiel El- Familien. Andere Arbeiten sind der Auswirkung auf Fertili- tern-Kind-Gruppen oder Ähnlichem,1 eine Bedeutung für tät und Wohlbefinden gewidmet. Studien zu Kita-Trägern das Aufwachsen von Kindern zu. Informelle Angebote um- finden sich indes nur sehr vereinzelt. Die Qualität von Kitas fassen die Bildung und Betreuung sowohl durch die Eltern wird in ökonomischen Analysen nicht sehr differenziert selbst als auch durch andere verwandte oder bekannte betrachtet. Weitere Analysen könnten wichtige Erkenntnis- Personen, beispielsweise die Großeltern. Immerhin wird in se für die künftige Kita-Politik liefern. Deutschland jedes zweite Kind von den Großeltern betreut; im Fall von sehr jungen Kindern zusätzlich zu den Eltern, JEL-Klassifikation: D1, D4, D61, D04, H31, H 41, H52, I2, I31, im Fall von Kindern im Kita-Alter zusätzlich zu Eltern und J1, J24, J22, J23, J24 Kita (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018). Schlüsselwörter: Kindertagesbetreuung, Vereinbarkeit Welche Wirkungen die elterliche Bildung und Betreu- von Familien- und Erwerbsarbeit, kindliche Entwicklung, ung auf die Entwicklung von Kindern haben, wird häufig Bildung, Erwerbsarbeit von Müttern, Fertilität, Wohlbefin- im Kontext von Elternzeit- und Elterngeldregelungen ana- den, Qualität, Covid-19 lysiert. Auch dazu gibt es Studien für Deutschland (vgl. Huebener et al. 2019 und Huber 2019).2 Wie sich spezi- fische Elternprogramme zur Verbesserung der familialen 1 Womit beschäftigt man sich in der Anregungsqualität auf Kinder auswirken, ist in nur weni- Kita-Ökonomik? gen deutschen Studien untersucht (vgl. aber Conti et al. 2021, Sandner et al. 2018, Sandner und Jungmann 2017, Die Kita-Ökonomik ist ein Teilbereich der „Ökonomie der Kim et al. 2018 sowie Camehl et al. 2020). frühen Kindheit“. Man beschäftigt sich darin aus einer Zu den Wirkungen anderer Bildungs- und Betreuungs- ökonomischen Perspektive mit Fragen rund um formale angebote – wie zum Beispiel der Betreuung durch die frühe Bildungs- und Betreuungsangebote. In Deutschland Großeltern – liegen bisher für Deutschland kaum öko- ist dies die Kindertagesbetreuung. Sie umfasst Kinder- nomische Studien vor (vgl. Barschkett et al. 2021). Um tageseinrichtungen (Kitas) und Kindertagespflege. Die Kindertagespflege hat allerdings eine geringe Bedeutung: Im gesamtdeutschen Durchschnitt besuchen nur 5,5 Pro- 1 Für entsprechende deskriptive Analysen vgl. zum Beispiel Mühler und Spieß 2008 sowie Schober und Spieß 2013. 2 Für Studien zur Evaluation von landesspezifischen Regelungen *Kontaktperson: C. Katharina Spieß, Deutsches Institut für und dem wieder abgeschafften „Betreuungsgeld“ vgl. Gathmann und Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Abteilung Bildung und Familie, Sass 2012 sowie Collischon et al. 2020. Beninger et al. (2010) sowie Mohrenstraße 58, 10117 Berlin, sowie Professur für Bildungs- und Müller und Wrohlich (2016) untersuchen die Wirkungen des Betreu- Familienökonomie an der FU Berlin, E-Mail: kspiess@diw.de ungsgeldes auf das Arbeitsangebot von Müttern.
2 C. Katharina Spieß Bildungs- und Betreuungsprozesse in Kitas näher zu be- der Basis skandinavischer Daten (vgl. stellvertretend Datta leuchten, sind solche Analysen aber auch von Interesse, Gupta und Simonsen 2010 sowie Havnes und Mogstad da unterschiedliche Bildungs- und Betreuungsangebote 2011, 2015)3. kombiniert werden und damit je nach Altersgruppe der Für die Mehrheit dieser Studien gilt, dass sich ihre Kinder komplementäre oder substitutive Güter zur Kita- Verfasser mit der Nachfrageseite der Kindertagesbetreu- Betreuung darstellen. Sie bilden häufig die kontrafak- ung befassen. Mit der Angebotsseite dieser Bildungs- und tischen Bildungs- und Betreuungsangebote. Betreuungsangebote beschäftigen sich nur wenige Auto- ren. Einige Ausnahmen, die sich beispielsweise mit dem Arbeitsmarkt für Kita-Beschäftigte oder unterschiedlichen 2 Von den Anfängen im anglo- Anbietergruppen beschäftigen, sind Blau (1992), Blau und Mocan (2002), Hotz und Xiao (2011) sowie Mocan und amerikanischen Forschungsraum Tekin (2003). bis zur Ankunft in Deutschland Im deutschen Forschungsraum sind Studien zur Kita- Ökonomik deutlich später entstanden.4 Die Gründe hierfür Die Kita-Ökonomik hat ihre Ursprünge im anglo-amerika- mögen vielfältig sein. Unter anderem fehlten lange mit nischen Forschungsraum, wo sich seit vielen Jahrzehnten dem anglo-amerikanischen Forschungsraum vergleich- renommierte ÖkonomInnen empirisch und auch theo- bare Mikrodaten, auf deren Basis entsprechende Fragen retisch mit dem Thema der außerfamiliären Kinderbetreu- hätten bearbeitet werden können. Seit den achtziger Jah- ung befassen. Bereits in den siebziger Jahren hat James ren existiert das Sozio-oekonomische Panel (SOEP, Goebel Heckman (1974) die Wirkung der Aufwendungen für eine et al. 2019), ein erster repräsentativer Paneldatensatz, der außerfamiliäre Kinderbetreuung auf das Arbeitsangebot es ermöglicht, Fragen der Kita-Ökonomik für Deutschland von Müttern untersucht. Es folgten weitere empirische zu beantworten. Entsprechend hat sich das Forschungs- Arbeiten zum Zusammenhang zwischen außerfamiliärer feld weiterentwickelt. Inzwischen liegen vielfältige Arbei- Kinderbetreuung und dem Arbeitsangebot von Müttern ten zu Kitas auf der Basis unterschiedlicher deutscher (zum Beispiel Robins und Spiegelman 1978, Blau und Ro- Datensätze vor. bins 1988, 1991 sowie Gustafsson und Stafford 1992). Sie In diesem Beitrag gebe ich einen Überblick über dieses deuten alle darauf hin, dass damals das Arbeitsangebot Forschungsfeld, das Analysen mit Daten versammelt, wel- von Müttern mit sinkenden Kosten der Kindertagesbetreu- che in der Regel für Deutschland repräsentativ sind. Dabei ung deutlich zunahm – ein Befund, der sich heute so nicht erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit in dem mehr feststellen lässt, denn die errechneten Elastizitäten Sinn, dass alle bisher vorhandenen Analysen zu diesem des Arbeitsangebots von Müttern sind heute viel geringer Thema aufgeführt sind. Vielmehr möchte ich anhand von (vgl. zum Beispiel Lundin et al. 2008, Havnes und Mogstad unterschiedlichen Studien zeigen, dass die Kita-Ökonomik 2011, 2015 sowie der Überblick in Morrissey 2017). Darüber in Deutschland deutlich an Dynamik gewonnen hat und hinaus befassten sich einige ÖkonomInnen aus den Ver- inzwischen ein Bestandteil der deutschen Ökonomie ist – einigten Staaten schon sehr früh auch mit anderen Aspek- wenn auch nach wie vor ein kleiner Bereich.5 ten wie der Qualität von außerfamiliären Betreuungsange- boten (vgl. stellvertretend Blau und Robins 1989, Hofferth und Wissoker 1992, Blau 1991, 1993, 2001 sowie Blau und Currie 2006). Hierbei standen primär arbeitsmarkt- und 3 Besonderheiten des deutschen familienökonomische Aspekte im Mittelpunkt. Kita-Systems Bildungsökonomische Überlegungen spielten in den Anfängen der Kita-Ökonomik eine geringere Rolle. Sie ha- Eine Betrachtung von Studien zur Kita-Ökonomik, die auf ben international erst im Laufe dieses Jahrhunderts an deutschen Daten basieren, ist aus mehreren Gründen in- Bedeutung gewonnen. Dies geht unter anderem auf die Arbeiten des Ökonomie-Nobelpreisträgers James Heck- man, seiner KoautorInnen und anderer US-amerikanischer 3 Vgl., europäische Studien zusammenfassend, Spieß 2017a. ÖkonomInnen zurück (vgl. stellvertretend Blau 1999, Cun- 4 Für erste Zusammenstellungen von Analysen im Bereich der früh- kindlichen Bildung und Betreuung vgl. Apolte und Funcke 2008 ha et al. 2006, Cunha und Heckman 2007, 2008, Currie sowie Spieß 2010a. 2001 sowie Ruhm und Waldfogel 2012). Der Ökonomie 5 Siehe dazu auch den Beitrag von Spieß (2018), der die Grundlage der Kindertagesbetreuung zuzuordnende Analysen finden des vorliegenden, aber weit darüber hinaus gehenden und aktuali- sich seit einigen Jahren auch für Europa, insbesondere auf sierten Surveys bildet.
Kita-Ökonomik – eine Perspektive für Deutschland 3 teressant. Zum einen liefert sie wichtige Ergebnisse für rakteristisch für das deutsche Kita-System – auch wenn eine evidenzbasierte deutsche Kita-Politik auf unter- Anbieter nur mit einer Betriebserlaubnis in den Markt ein- schiedlichen Ebenen: des Bundes, der Länder und der treten dürfen. Lediglich die Kind-Fachkraft-Relation ist in Kommunen. Zum anderen ist auch aus einer internationa- allen Bundesländern geregelt, allerdings divergiert sie len Perspektive eine Betrachtung des deutschen Kita-Sys- stark. Hinzu kommt, dass es keine einheitlichen Qualitäts- tems von Interesse, da sich dieses in vielerlei Hinsicht von standards gibt, die allgemein anerkannt sind, wie zum Bei- anderen Systemen unterscheidet, beispielsweise den ang- spiel die NAEYC-Standards6 in den Vereinigten Staaten lo-amerikanischen, skandinavischen oder anderen euro- (vgl. Stahl et al. 2018). päischen. Ohne hier im Detail auf die Unterschiede ein- Historisch gewachsen sind größere Unterschiede in der zugehen, seien doch ein paar grundlegende Merkmale Versorgung mit Kita-Plätzen in Ost- und Westdeutschland, hervorgehoben. So wird das deutsche System häufig als wobei in Ostdeutschland sehr viel mehr Kinder unter drei ein „Universal public child care system with high quality“ Jahren Kitas besuchen. In den vergangenen Jahren erfolgte bezeichnet. Tatsächlich hat inzwischen jedes Kind ab dem im ganzen Land ein massiver Ausbau sowohl der Kinder- zweiten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Platz tagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren als auch der in einer Kindertagesbetreuung. Es gibt keine spezifischen ganztägigen Betreuung für ältere Kita-Kinder. Mit einem Programme für bildungsbenachteiligte Kinder oder ähn- Bundesqualitätsgesetz hat die Regierung im Jahr 2019 erst- liches (wie zum Beispiel in den Vereinigten Staaten das mals versucht, die Qualität der Betreuung in den Bundes- Head-Start-Programm) – insofern ist die Bezeichnung ländern und Regionen einheitlicher zu machen. Es bleibt „universal“ zutreffend. eine empirische Frage, ob und inwiefern das gewählte Ver- Kindertageseinrichtungen in Deutschland werden öf- fahren tatsächlich zu einer einheitlicheren Kita-Qualität fentlich gefördert; bei weitem nicht alle von ihnen sind geführt hat (vgl. zum Beispiel Spieß und Koebe 2019 sowie allerdings öffentliche Einrichtungen. Insofern ist der Be- Spieß et al. 2020). griff „public child care“ für Deutschland irreführend. Viel- mehr machen insbesondere in Westdeutschland die so- genannten freien Träger die Mehrheit der Anbieter aus. Im Jahr 2019 befanden sich aufgrund des gesetzlich veranker- 4 Auswirkungen von Kitas auf das ten Subsidiaritätsprinzips rund 65 Prozent und damit die Arbeitsangebot von Müttern überwiegende Zahl der Einrichtungen in freigemeinnützi- ger Trägerschaft. Diese lassen sich grob in konfessionelle Im deutschen Forschungsraum liegen inzwischen zahlrei- (34 Prozent) und nichtkonfessionelle Träger (17 Prozent) che Arbeiten zum Zusammenhang von Kitas und dem Ar- der freien Wohlfahrtspflege sowie in sonstige Trägergrup- beitsangebot von Müttern vor. Empirisch lässt sich zeigen, pen (15 Prozent) unterteilen. dass das Arbeitsangebot von Vätern nicht auf Kita-Ange- Knapp ein Drittel, also ein deutlich kleinerer Anteil der bote reagiert und mithin diesbezüglich unelastisch ist.7 Kindertageseinrichtungen befindet sich in kommunaler, Als eine der ersten Arbeiten in diesem Kontext ist die also öffentlicher Trägerschaft, und lediglich 3 Prozent der Studie von Merkle (1994) zu nennen (vgl. auch Merkle und Einrichtungen werden von privatgewerblichen Trägern be- Zimmermann 1993), die erstmalig Daten des SOEP zu die- trieben (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020) – sem Thema auswertete. Es folgten zahlreiche weitere Ar- ein wichtiger Unterschied zu den Vereinigten Staaten oder beiten, deren Autoren sich mit spezifischen Aspekten wie Großbritannien (vgl. zum Beispiel auch Huebener et al. dem regionalen Kita-Angebot (zum Beispiel Spieß und 2020). Die Kita-Gebühren sind in Deutschland im Vergleich Büchel 2003 sowie van Ham und Büchel 2004), dem täg- zu anderen westlichen Industrienationen gering – obwohl lichen Betreuungsumfang (zum Beispiel Coneus et al. sie lange gestiegen sind, bis sie vielfach ganz oder für einige 2009) und der Tagesbetreuung von Kindern alleinerzie- Kita-Jahre abgeschafft wurden (vgl. Schmitz et al. 2017). hender Mütter und deren Arbeitsangebot befassen (zum Hinzu kommt, dass für einkommensstärkere Haushalte die Beispiel Haan und Wrohlich 2010). Dazu zählen auch Stu- relative Belastung mit Kita-Gebühren sehr viel geringer ist dien im Rahmen der Gesamtevaluation ehe- und familien- als für einkommensschwächere (Schröder et al. 2015) – ihre bezogener Leistungen, welche die Bundesregierung im „Reservationsgebühren“, die sie zu zahlen bereit wären, liegen außerdem über den bisherigen Gebühren (Camehl et al. 2015). 6 Vgl. National Association for the Education of Young Children Des Weiteren sind große Qualitätsunterschiede zwi- (NAEYC) 2014. schen den Bundesländern und einzelnen Regionen cha- 7 Vgl. zusammenfassend Prognos 2014.
4 C. Katharina Spieß Jahr 2009 initiierte (vgl. zusammenfassend Prognos 2014). richtung für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr auf den Entsprechende Analysen belegen, dass Kitas das Arbeits- Weg brachte. angebot von Müttern mit Kindern unter drei Jahren signifi- Allerdings finden in nahezu allen diesen Studien al- kant beeinflussen, während es im Fall von Müttern mit lein quantitative Dimensionen des Kita-Angebots Berück- Kindern im sogenannten Kindergartenalter (3 Jahre bis sichtigung, wie auch in zahlreichen internationalen Studi- Schuleintritt) weitgehend unelastisch ist (zum Beispiel en. Ob und inwiefern für das Arbeitsangebot von Müttern Müller et al. 2013, 2014). Darüber hinaus hängt das Arbeits- auch Qualitätsaspekte eine Bedeutung haben, wurde bis- angebot von Müttern mit jüngeren Kindern auch von den her (im deutschen Kontext) kaum untersucht.9 Eine der Kita-Gebühren ab, wobei sich die Effekte als viel geringer wenigen Ausnahmen bilden zum Beispiel die Arbeiten von erweisen als in vergleichbaren internationalen Studien Schober und Spieß (2015) sowie Stahl und Schober (2020). (zum Beispiel Rainer et al. 2013 und Huebener et al. 2020). Letztere zeigen in einer sozialwissenschaftlichen Studie, Einige Analysen basieren auf strukturellen Verhal- welche Merkmale der Kita-Qualität für das Erwerbsvolu- tensmodellen. Anderen liegen quasi-experimentelle An- men von Müttern oder auch für deren Löhne von Bedeu- sätze zur Identifikation kausaler Effekte der Kita-Betreu- tung sein können. ung auf das Arbeitsangebot von Müttern zugrunde. Dabei Effizienzanalysen, in denen der Anstieg des Erwerbs- wird entweder die im Jahr 1996 erfolgte Einführung des volumens von Müttern monetär bewertet und den Kosten Rechtsanspruchs auf einen Platz in einer Kindertagesein- eines Kita-Ausbaus gegenüberstellt wird, existieren für richtung ab dem vierten Lebensjahr eines Kindes als Qua- Deutschland nur vereinzelt. Eine Berechnung der Brutto- siexperiment verwandt oder der jüngste Ausbau im Jahr einnahmeneffekte eines Ausbaus der Kindertagesbetreu- 2013, der mit der Einführung des Rechtsanspruchs ab dem ung aufgrund eines erhöhten Erwerbsvolumens von Müt- zweiten Lebensjahr verbunden war (vgl. Bauernschuster tern liefern Spieß et al. (2002). Rainer et al. (2013) stellen und Schlotter 2015 sowie Müller und Wrohlich 2020). Beide die Kosten des Ausbaus von Kindertageseinrichtungen Studien zeigen positive Effekte. Andere Analysen zur Wir- staatlichen Mehreinnahmen gegenüber und kommen zu kung der Abschaffung von Kita-Gebühren belegen, dass dem Ergebnis, dass sich der Ausbau der Kindertages- allenfalls sehr geringe Auswirkungen auf das Erwerbs- betreuung in Teilen selbst finanziert: Mit dem Anstieg im volumen von Müttern zu beobachten sind (vgl. Huebener Erwerbsvolumen sind Mehreinnahmen in Form eines er- et al. 2020 sowie Busse und Gathmann 2020). höhten Steuer- und Beitragsaufkommens der Sozialver- Eine andere Gruppe von empirischen Arbeiten berührt sicherungen verbunden. Die Selbstfinanzierungsquoten Fragen der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit liegen laut Rainer et al. (2013) zwischen 40 und 50 Prozent nur indirekt, indem dort die Determinanten der Nutzung im Fall von Krippen und Kindergärten. formaler Kinderbetreuungsangebote analysiert werden8. So untersucht Spieß (1998), ob und inwiefern die öffent- liche Subventionierung von Kindertageseinrichtungen 5 Auswirkungen von Kitas auf oder auch bestimmte Merkmale der Strukturqualität die Nachfrage nach Kinderbetreuungsangeboten beeinflus- kindliche Entwicklung und sen. Fragen der Rationierung der Nachfrage behandelt Bildung Wrohlich (2007, 2008). Spieß und Wrohlich (2005) zeigen, dass Anfang dieses Jahrtausends in Deutschland rund Bildungsökonomische Arbeiten zu Auswirkungen von Ki- 230.000 Kita-Plätze für Kinder unter drei Jahren fehlten, tas auf kindliche Entwicklung und Fähigkeiten sowohl im wenn berücksichtigt wird, dass Kinder von erwerbstätigen kognitiven als auch im nicht-kognitiven, sozio-emotiona- Müttern und Müttern mit Erwerbswunsch einen Kita-Platz len Bereich sind für Deutschland erst in den zurückliegen- benötigen. Solche Analysen waren wichtige Begleiter des den Jahren entstanden. In einer frühen Arbeit untersuchen Ausbaus der Kindertagesbetreuung in Deutschland, den Spieß et al. (2003) den Zusammenhang zwischen der Kita- die Bundesregierung durch das Tagesbetreuungsausbau- Nutzung und dem Übergang ins Gymnasium und zeigen, gesetz (TAG), das Kinderförderungsgesetz (KiföG) und den dass dieser nur für Kinder mit Migrationshintergrund exis- Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kindertagesein- tierte (vgl. auch Landvoigt et al. 2007 und Schlotter 2011a). Auf der Basis von internationalen Schülervergleichsdaten 8 Für sehr frühe Arbeiten vgl. zum Beispiel Binder und Wagner 1996, Spieß und Wagner 1996, 1997, Kreyenfeld und Wagner 1998, Hank et 9 Für eine Zusammenstellung sozialwissenschaftlicher Studien zu al. 2001 sowie Kreyenfeld et al. 2001, 2002 und 2003. diesem Thema vgl. Stahl et al. 2016.
Kita-Ökonomik – eine Perspektive für Deutschland 5 wie TIMMS und PISA analysieren Schütz et al. (2008), wie Schleswig-Holstein, ob und inwiefern eine ganztägige im die Kita-Besuchsdauer mit schulischen Leistungen zusam- Gegensatz zu einer halbtägigen Kita-Nutzung die Entwick- menhängt. Es findet sich auf der Basis der TIMMS-Daten lung von Kindern beeinflusst. Sie finden einen negativen ein U-förmiger Verlauf. Wößmann et al. (2009) stellen Effekt einer ganztägigen Kita-Nutzung auf das sozio-emo- fest, dass Kinder, die länger als ein Jahr eine Kita besucht tionale Verhalten. Aber eine ganztägige Kita-Nutzung er- haben, bessere PISA-Ergebnisse erzielen als andere. höht die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder mit Migrations- Schütz (2009a, b) untersucht darüber hinaus, ob und in- hintergrund die Schulreife erreichen. wiefern strukturelle Merkmale der Kita-Qualität die PISA- Eine der wenigen bildungsökonomischen Arbeiten zur Leistungen von Kindern beeinflussen. Tagespflege stammt von Zierow (2017). Sie betrachtet Da- Dank der zunehmenden Erweiterung von Survey-Da- ten der Schuleingangsuntersuchung des Landes Nord- ten um Maße zur kindlichen Entwicklung (vgl. zum Bei- rhein-Westfalen und zeigt, dass sich ein höherer Anteil an spiel die Erweiterungen im SOEP, siehe Schupp et al. 2008, Tagespflegestellen nicht negativ in Maßen zur kindlichen Spieß 2011 sowie Schröder et al. 2013) vergrößerten sich Entwicklung niederschlägt. Nur wenige Arbeiten sind der über die Jahre die Möglichkeiten für bildungsökonomische Frage gewidmet, ob und inwiefern sich ein Kita-Besuch auf Analysen. Inzwischen liegen einige Studien vor, deren die kindliche Gesundheit auswirkt. Lauber (2015) bei- Autoren die kausalen Effekte des Besuchs einer Kinder- spielsweise zeigt auf der Basis von Daten aus der vom tagesbetreuung auf Maße zur kindlichen Entwicklung un- Robert-Koch-Institut geleiteten (Langzeit-)Studie zur Ge- tersuchen (vgl. zum Beispiel Cornelissen et al. 2018, Felfe sundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland und Lalive 2018, Kuehnle und Oberfichtner 2020, Schlotter (KiGGS)11, dass eine höhere Versorgungsquote insbesonde- 2011b sowie Bach et al. 2019).10 Kuehnle und Oberfichtner re die körperliche Fitness von Kindern im Alter von drei (2020) sowie Bach et al. (2018) verwenden Daten des Na- Jahren signifikant erhöht. tionalen Bildungspanels (NEPS), um die Auswirkungen Allen diesen Studien ist gemein, dass die Autoren des Ausbaus von Kita-Plätzen auf kognitive und nicht- mehrheitlich nicht oder nur sehr rudimentär für die Kita- kognitive Fähigkeiten von Kindern zu untersuchen. Qualität kontrollieren (können).12 Dies ist insofern bemer- Andere Arbeiten basieren auf Schuleingangsdaten. So kenswert, als andere sozialwissenschaftliche Studien bele- betrachten Cornelissen et al. (2018) Daten der Schulein- gen, dass nur qualitativ gute Angebote die kindliche Ent- gangsuntersuchungen einer Region in Niedersachsen, Fel- wicklung signifikant positiv beeinflussen und dass diese fe und Lalive (2018) untersuchen Daten aus Schleswig- Effekte umso größer ausfallen, je höher die Qualität ist Holstein. Diese Studien belegen, dass insbesondere Kin- (vgl. dazu zum Beispiel Barnett 2011). der aus sozioökonomisch schlechter gestellten Familien Neben all diesen Effektivitätsstudien, welche die Aus- und Kinder mit Migrationshintergrund von einem frühen wirkungen von Kitas auf Kinder bewerten, finden sich für Kita-Besuch profitieren: Sie sind dadurch vor der Einschu- den deutschen Forschungsraum kaum13 beziehungsweise lung sozio-emotional stabiler und schneiden auch in ande- keine so fundierten Effizienzanalysen wie in den Vereinig- ren Merkmalen, die in Schuleingangsuntersuchungen er- ten Staaten14. In den dortigen Studien werden die mittel- hoben werden, besser ab als andere Kinder. Cornelissen et bis langfristigen Effekte von hochwertigen Interventions- al. (2018) untersuchen zum Beispiel Schulreife, motorische programmen für benachteiligte Kinder bewertet und den Fähigkeiten und Übergewicht. Bach et al. (2019) zeigen Kosten gegenübergestellt (für eine deutsche Zusammen- längerfristige Auswirkungen auf die Persönlichkeit im Ju- fassung siehe Spieß 2013). gendalter. Busse und Gathmann (2020) prüfen, ob und inwiefern sich die Abschaffung von Kita-Gebühren auf Fähigkeiten der Kinder auswirkt. Es zeigen sich im Durchschnitt keine 11 https://www.kiggs-studie.de/deutsch/home.html. Effekte, allenfalls finden sich positive Effekte bei sozioöko- 12 International wurden viele Jahre nur die Auswirkungen nicht uni- nomisch benachteiligten Kindern. Felfe und Zierow (2018) verseller, qualitativ hochwertiger Programme auf Kinder untersucht, untersuchen mit Daten der Schuleingangsuntersuchung in vgl. zum Beispiel Heckman und Mosso 2014. Allerdings gibt es inzwi- schen einige neuere Studien, deren Autoren die Effekte unterschiedli- cher Qualitäten universeller Kita-Angebote explizit untersuchen (vgl. 10 Darüber hinaus finden sich zunehmend auch Studien, die regio- zum Beispiel Caridad Araujo et al. 2016). nal begrenzte frühkindliche Interventionen in Kindertageseinrichtun- 13 Für eine Zusammenstellung bisheriger deutscher Studien zur Effi- gen evaluieren, vgl. dazu zum Beispiel Makles und Schneider 2017. zienz von Kita-Angeboten vgl. Schmitz und Kröger 2017. Für eine frühere Zusammenstellung und eigene Analyse vgl. auch 14 Vgl. dazu die wohl bekannteste Effizienzanalyse für das Perry- Müller et al. 2013. Preschool-Projekt, Belfield et al. 2005 sowie Heckman et al. 2010.
6 C. Katharina Spieß 6 Unterschiede in der Kita-Nutzung Ursache dafür sind, dass bildungsfernere Gruppen Kitas mit geringerer Wahrscheinlichkeit nutzen. Da internationale wie nationale Studien belegen, dass ins- Darüber hinaus besteht Heterogenität im Hinblick auf besondere Kinder aus sozioökonomisch schlechter gestell- die finanzielle Belastung mit Kita-Gebühren. Trotz einkom- ten Familien von einer qualitativ guten Kita-Betreuung mensabhängiger Kita-Beiträge in vielen Bundesländern profitieren, stellt sich die Frage, ob und wie stark diese und Regionen sind Haushalte im unteren Einkommens- Familien Kita-Angebote nutzen. Anders formuliert kann bereich durch Kita-Gebühren relativ stärker belastet als gefragt werden, welche Ungleichheiten bei der Nutzung Haushalte im oberen Einkommensbereich (vgl. z. B. Schrö- früher Bildungs- und Betreuungsangebote bestehen. Tat- der et al. 2015 und Schmitz et al. 2013). Huebener et al. sächlich zeigen sich für Deutschland große sozioökonomi- (2020) belegen allerdings, dass eine Abschaffung von Ge- sche Unterschiede in der Kita-Nutzung, gemessen an Ein- bühren im letzten Kita-Jahr nur marginal die Kita-Nutzung trittsalter und täglicher Betreuungszeit (vgl. für frühe in diesen Altersgruppen erhöht. Allenfalls nimmt die täg- Arbeiten zum Beispiel Binder und Wagner 1996, Ondrich liche Betreuungszeit in den Kitas zu, wenn auch nur in und Spieß 1998, Büchner und Spieß 2009 sowie Seyda sehr geringem Umfang. Jessen et al. (2020a) zeigen in ihren 2009). Kinder mit Migrationshintergrund sind dann in Ki- Analysen am Beispiel Hamburgs, dass eine Senkung der tas unterrepräsentiert, wenn beide Eltern einen Migrati- Gebühren für alle Kita-Kinder sozioökonomische Nut- onshintergrund haben oder zu Hause vorwiegend kein zungsunterschiede reduzieren kann. Allerdings wird in Deutsch gesprochen wird. Darüber hinaus sind Kinder er- diesen Analysen nicht die Höhe der Mitnahmeeffekte be- werbstätiger Eltern und Kinder aus bildungsnahen Eltern- rechnet (vgl. dazu Spieß 2017b). häusern überrepräsentiert (vgl. auch Schober und Spieß Heterogenität in Hinblick auf die Qualität der genutz- 2013 sowie Peter und Spieß 2015). ten Kitas ist aus ökonomischer Perspektive kaum er- Über die Zeit haben diese Nutzungsunterschiede trotz forscht, weder für Deutschland noch international. Sie ist des Kita-Ausbaus zugenommen (Jessen et al. 2018, 2020a, jedoch erwartbar, da Eltern die Qualität der Kindertages- b); dieser kam in den zurückliegenden Jahren vor allem betreuung nicht umfassend beurteilen können und weil Kindern bildungsnaher und einkommensstärkerer Eltern dabei auch Unterschiede entlang sozioökonomischer zugute. Damit kann man ceteris paribus davon ausgehen, Merkmale bestehen: Es liegen „asymmetrische Informati- dass dieser Ausbau eher zu einer Verringerung als zu einer onsverhältnisse“ vor, die nach unterschiedlichen Merkma- Zunahme von Bildungsmobilität beigetragen hat, da ein len der Kitas und Familien variieren.16 Camehl et al. (2018) früher Kita-Besuch insbesondere für Kinder aus sozioöko- zeigen, dass solche Informationsasymmetrien auch für nomisch benachteiligten Familien wichtig ist. Deutschland zu finden sind und nach elterlichen Merkma- Insgesamt liegen nur wenige fundierte Analysen zu len variieren. Unabhängig davon stellen Stahl et al. (2018) den Gründen dieser Nutzungsunterschiede vor. Ob und fest, dass es einen Zusammenhang zwischen sozioöko- inwiefern diese mit den Präferenzen für eine Kinderta- nomischen Merkmalen der Eltern und der Struktur- und gesbetreuung zusammenhängen, untersuchen Borck und Orientierungsqualität von Kitas gibt. So zeigen sie, dass Wrohlich (2011).15 Felfe et al. (2020) nutzen Veränderungen Kinder mit Migrationshintergrund und weniger gebildeten bei der Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft für Eltern in Kitas schlechterer Qualität anzutreffen sind. Al- Kinder mit Migrationshintergrund, um Kita-Nutzungs- lerdings gibt es nach ihrer Studie keinen Zusammenhang unterschiede in Abhängigkeit vom Migrationshintergrund zwischen Haushaltseinkommen und der Kita-Qualität.17 zu erklären. Jessen et al. (2020a, b) zeigen, dass vielfach Plätze nachgefragt werden, aber in Kitas unterrepräsentier- te Familien keinen Platz erhalten, diese also rationiert sind. Rationierung ist insbesondere im Fall von Kita-Angeboten für Kinder unter drei Jahren ein maßgeblicher Grund für Nutzungsunterschiede. In einem Feldexperiment zeigen Hermes et al. (2021), dass auch Informationsdefizite eine 16 Entsprechende Aspekte wurden in einigen wenigen amerika- 15 Bjeree et al. (2011a, b) untersuchen den Zusammenhang zwischen nischen Studien empirisch untersucht, zum Beispiel von Mocan der Nutzung einer Kindertageseinrichtung und den Persönlichkeits- (2007). merkmalen von Müttern, die oft auch im Sinne von Präferenzstruktu- 17 Für eine Zusammenstellung der Studien zu den sozioökonomi- ren interpretiert werden. schen Unterschieden in der Kita-Qualität vgl. Stahl 2015.
Kita-Ökonomik – eine Perspektive für Deutschland 7 7 Sonstige Auswirkungen auf Bildung. Wenn ihre Kinder eine Kita besuchen, verwenden diese Eltern mehr Zeit mit bildungsrelevanten Aktivitäten Wohlbefinden, Fertilität, (zum Beispiel Vorlesen).21 Dies lässt sich mit Survey-Da- Familienstruktur, Familienqualität ten bestätigen und ist auch eine Erklärung dafür, warum insbesondere Kinder aus sozioökonomisch schlechter ge- und Integration stellten Familien von einem Kita-Besuch profitieren. Zunehmend wird auch in der ökonomischen Forschung Wie sich der Ausbau der Kita-Plätze für Kinder unter die Frage nach den Auswirkungen von Kitas auf das Wohl- drei Jahren auf die Zahl an Kindesmisshandlungen aus- befinden und damit auf den Nutzen von Eltern gestellt. gewirkt hat, prüfen Sandner und Thomsen (2020). Es zeigt Schmitz (2020) zeigt unter Verwendung eines quasi-expe- sich, dass diese tatsächlich abgenommen hat und dass die rimentellen Designs, dass der Ausbau des Kita-Angebots Kita-Nutzung folglich auch insofern die „Familienquali- in Deutschland für Kinder unter drei Jahren insbesondere tät“ verbessert. das Wohlbefinden von erwerbstätigen Müttern erhöht hat. Eine der wenigen Arbeiten zu den Auswirkungen des Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass dieser Ausbau Kita-Besuchs auf die Integration von Familien mit Flucht- die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit verbes- hintergrund stammt von Gambaro et al. (2019). Auf der sert hat. Das Wohlbefinden der Väter verändert sich durch Basis einer Befragung von nach Deutschland Geflüchteten den Kita-Ausbau nicht signifikant. Kröll und Borck (2013) durch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigen, dass dieser Ausbau mit einer besseren mentalen, (IAB), das Forschungszentrum Migration, Integration und aber schlechteren physischen Gesundheit von Müttern ein- Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hergegangen ist.18 (BAMF-FZ) sowie das Sozio-oekonomische Panel (BAMF- Zumindest international vielfach untersucht ist der IAB-SOEP-Stichprobe)22 zeigen sie, dass die Integration Zusammenhang zwischen Kita-Angeboten und Fertilität. von Müttern signifikant verbessert wird, wenn ihr Kind ei- Haan und Wrohlich (2011) sowie Rainer et al. (2015) finden ne Kita besucht – allerdings nicht die Integration der Väter. signifikant positive Auswirkungen von Kitas auf die Ferti- lität – dieser Zusammenhang ist stärker als der zwischen anderen familienpolitischen Leistungen und Fertilität. Das Kindergeld hat so zum Beispiel geringere Auswirkungen 8 Kita-Träger und weitere Aspekte auf die Fertilität.19 Auch Rainer et al. (2015) finden positive auf der Angebotsseite Fertilitätseffekte, die zudem nicht durch eine zeitliche Ver- schiebung von Geburten zu erklären sind.20 Ökonomisch differenzierte, systematische und empirische Die Kindertagesbetreuung berührt auch sonstige Analysen der Angebotsseite der Kindertagesbetreuung lie- Familien- und Haushaltsstrukturen. Bauernschuster und gen für Deutschland kaum vor. Dies ist auch dem Befund Borck (2016) zum Beispiel belegen, dass mit einem Ausbau zuzuschreiben, dass bisher wenig Mikrodatensätze vorhan- der Kinderbetreuung der Anteil alleinerziehender und ge- den sind, die solche Untersuchungen ermöglichen. Einer schiedener Frauen zunimmt. der wenigen verfügbaren ökonomischen Arbeiten liegen Jessen et al. (2020c) zeigen mit repräsentativen Zeit- Daten der amtlichen Kinder- und Jugendhilfe zur Analyse verwendungsdaten, dass die Kita-Nutzung für eine besse- von Qualitätsunterschieden der Anbieter zugrunde: Mühler re Anregungsqualität in der Familie sorgt, und zwar ins- (2008) zeigt, dass nicht-konfessionelle und gewinnorien- besondere im Fall von Kindern aus Familien mit geringer tierte Anbieter mehr Personal mit akademischer Ausbil- dung beschäftigen als öffentliche und kirchliche Träger. 18 Sozialwissenschaftliche Analysen von Schober und Schmitt (2016) sowie Schober und Stahl (2016) zeigen für Deutschland, dass der Ausbau ganztägiger Betreuungsangebote zu einer Steigerung der Zufriedenheit von Müttern beigetragen hat. 21 Auf der Basis der Studie des National Institute of Child Health and 19 Für theoretische Arbeiten zu diesem Thema, welche Kita-Refor- Human Development (NICHD) aus den Vereinigten Staaten zeigen men in Deutschland untersuchen, vgl. zum Beispiel Bick 2010. Kuger et al. (2019), dass eine bessere Kita-Qualität die familiale An- 20 Auch sozialwissenschaftliche Studien von Hank und Kreyenfeld regungsqualität erhöht, allerdings insbesondere in sozioökonomisch (2003) sowie Hank et al. (2004) zeigen, dass ganztägige Kita-Angebo- besser gestellten Familien, was Bildungsungleichheiten eher erhöht. te einen Effekt auf den Übergang zum ersten Kind haben, allerdings Für eine deutsche Beschreibung der NICHD-Daten siehe https:// nicht das bloße Angebot von Kindertageseinrichtungen. Dies spricht www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/qualitaet-und-qualitae dafür, dass der tägliche Bildungs- und Betreuungsumfang eine Be- tssicherung/qualitaet-standards-forderungen-studien/1602. deutung für die Entscheidung für Kinder hat. 22 Siehe Kühne et al. 2019.
8 C. Katharina Spieß Ökonomische Untersuchungen zu den Beschäftigten Abhängigkeit von der Zahl belegter Plätze fördert. Zwei in Kindertageseinrichtungen und deren Lohnunterschiede Stadtstaaten sind darüber hinaus zu einer reinen Subjekt- finden sich für Deutschland kaum, anders als internatio- finanzierung in Form von zweckgebundenen Transfers an nal23. Deskriptive Analysen unterschiedlicher Aspekte der die Eltern übergegangen (vgl. dazu Falck 2004 sowie Eg- Arbeitsmotivation von ErzieherInnen im Vergleich zu an- bert und Hildenbrand 2012). Allerdings liegen meines Wis- deren Berufsgruppen stammen beispielsweise von Spieß sens keine differenzierten empirischen Analysen über die und Storck (2016), Spieß und Westermaier (2016) sowie Auswirkung unterschiedlicher Finanzierungsmodelle auf Gambaro et al. (2021). Hier zeigt sich, dass ErzieherInnen Familien beziehungsweise Kinder vor.25 Ein Grund da- zwar sehr viel unzufriedener mit ihrer Entlohnung sind als für könnte sein, dass solche Studien mit sehr hohen Da- Angehörige anderer Berufsgruppen, aber trotzdem ins- tenanforderungen verbunden sind, da Daten zu Steue- gesamt sehr zufrieden mit ihrer Arbeit sind. rungs- und Finanzierungsmodalitäten mit Survey-Daten verknüpft werden müssten. Eng verknüpft mit der Steuerung sind auch das Markt- design und die Allokation von Kita-Plätzen (vgl. dazu Fug- 9 Steuerungs- und ger et al. 2017).26 Hierbei geht es darum, auf Grundlage der Finanzierungsfragen Analyse bisheriger Kita-Platz-Allokationsmechanismen neue Verfahren zu entwickeln, welche die Vergabe von Aus einer ökonomischen Perspektive stellt sich auch die Kita-Plätzen effektiver machen und dabei die Wünsche der Frage der effektiven Steuerung und Finanzierung des Kita- Eltern, Anbieter und Jugendämter berücksichtigen. Angebots. Dafür gilt es sich mit Unvollkommenheiten auf Wenig Beachtung finden in der ökonomischen Litera- den Märkten für Kindertagesbetreuung und mit der Frage tur bisher die steuerliche Absetzbarkeit der Kita-Gebühren zu beschäftigen, ob staatliche Eingriffe diese korrigieren und deren Wirkung. Obwohl die bisherige steuerliche Re- oder zumindest reduzieren können. Anders formuliert geht gelung zu einer geringen Erhöhung der Erwerbstätigkeit es darum, welche regulativen und fiskalischen Maßnah- von Müttern beiträgt, sind die Auswirkungen doch gering men hier aus ökonomischer Perspektive notwendig sind. (Müller et al. 2013 sowie Bonin et al. 2013). Entsprechende Überlegungen basieren international auf empirischen Analysen.24 Für Deutschland gibt es zu diesem Themenkomplex 10 Pandemiebezogene Analysen bisher vorrangig konzeptionelle Analysen, deren Autoren in ihrer Argumentation gleichwohl auf empirische Be- Welche Bedeutung die Kindertagesbetreuung für unter- funde zurückgreifen. Darunter finden sich einige frühe schiedliche Lebensbereiche hat, hat die Covid-19-Pan- Forschungsarbeiten, die der Wirkung einer Objekt- bzw. demie sehr deutlich gezeigt. Die (Teil-)Schließung von Subjektfinanzierung der Betreuung in Kindertageseinrich- Kindertageseinrichtungen und die Notbetreuung trafen so- tungen gewidmet sind (vgl. dazu zum Beispiel Kreyenfeld wohl Eltern als auch Kinder – ebenso wie Arbeitgeber und et al. 2001, Kreyenfeld und Wagner 2000 sowie Apolte und die Volkswirtschaft als Ganzes. Die Auswirkungen auf die Funcke 2008). In diesen Arbeiten werden die Vor- und Eltern untersuchten zum Beispiel Huebener et al. (2021). Nachteile zweckgebundener Transfers an Kita-Träger oder Sie stellen fest, dass die Kita-Teilschließungen die Zufrie- -Nachfrager untersucht. denheit vor allem von Müttern mit dem Familienleben, der Diskussionen über die Auswirkung von Finanzie- Kinderbetreuung und dem Leben im Allgemeinen signifi- rungsmodellen waren um die Jahrhundertwende von Ver- kant geschmälert haben. Schüller und Steinberg (2021) änderungen in der deutschen Praxis der Finanzierung und analysieren die Wirkung von Notbetreuungsregelungen in Steuerung des Kita-Angebots begleitet. Nachdem viele Kitas auf das Wohlbefinden der Eltern und auf deren Erzie- Jahre eine reine Objektfinanzierung üblich war, ist inzwi- hungsstil. Danzer et al. (2021) geben Hinweise darauf, dass schen eine subjektbezogene Objektfinanzierung der Regel- sich durch die Kita-(Teil-)Schließungen der Anteil von Vä- fall, welche die Träger von Kindertageseinrichtungen in tern mit einem egalitären Rollenbild reduziert hat, aller- dings nur in West- und nicht Ostdeutschland. Nach Jessen 23 Für die amerikanische Literatur vgl. zum Beispiel Hotz und Xiao 2011 sowie Mocan und Tekin 2003. 25 Zur Diskussion der Vor- und Nachtteile von Kinderbetreuungsgut- 24 So liegen beispielsweise Wirkungsstudien zu unterschiedlichen scheinen siehe auch Diekmann et al. 2008 und Spieß 2010. Finanzierungsinstrumenten für die USA und Finnland vor (vgl. dazu 26 In einer weiteren Studie erörtern Carlsson und Thomsen (2014) Parker 1989, Levin und Schwartz 2007 sowie Viitanen 2011). alternative Verfahren zur Vergabe knapper Kita-Plätze.
Kita-Ökonomik – eine Perspektive für Deutschland 9 et al. (2021) und Boll et al. (2021) und vielen anderen Literaturverzeichnis sozialwissenschaftlichen Studien haben es die Kita-Teil- schließungen mit sich gebracht, dass die Familienarbeit Apolte, T. und A. Funcke (2008), Reformen des Systems frühkindlicher zwischen Vätern und Müttern wieder ungleicher verteilt Bildung und Betreuung aus ökonomischer Sicht, in: T. Apolte und A. Funcke (Hrsg.), Frühkindliche Bildung und Betreuung ist. Weitere ökonomische Analysen zu den Effekten der Reformen aus ökonomischer, pädagogischer und psychologi- Kita-Schließungen auch mittel- bis langfristig sind zu er- scher Perspektive, Baden-Baden, Nomos, S. 177–292. warten, sobald zusätzliche Daten vorliegen. Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2018), Bildung in Deutschland 2018, Bielefeld, WBV. Bach, M., J. Koebe und F. H. 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Habich (Hrsg.), Lebenslagen im Wandel - Sozial- berichterstattung im Längsschnitt, Frankfurt/New York, Campus, sprechende Daten voraussetzt. Auch die Angebotsseite des S. 66–79. deutschen Kita-Markts ist bisher kaum von ÖkonomInnen Blau, D. M. (1991), The quality of child care: An economic perspective, erforscht, auch hier wären weitere Studien hilfreich. Zu- in: D. M. Blau (Hrsg.), The Economics of Child Care, New York, sammenfassend sei betont, dass eine empirisch basierte Russel Sage Foundation, S. 145–76. Kita-Politik27 unabdingbar ist und dass diese guter empiri- Blau, D. M. (1992), The child care labor market, The Journal of Human Resources 27, S. 9–39. scher Wirkungsanalysen bedarf. Blau, D. M. (1993), The Economics of Child Care, New York, Russel Sage Foundation. Danksagung: Ich danke Louisanne Knierim für die Unter- Blau, D. M. 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