Kleidung als Zeichen - Wie Kleidet sich Russland? - Referent: Wieland Helbing Matrnr.: 116889
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Gliederung 1. Kleidung als Zeichen 1.1. Kodierung und Dekodierung 1.2. Paradigma, Syntagma 1.3. Kleidungsrepertoire und dessen Varietäten; Kode 2. „Zeichen“, „Symbol“, „Signal“, „Emblem“ und ihre Relevanz für die Kleidung 3. Kleidung und Kommunikation 4. Vestimentäres Zeichen und ihre Kodiergemeinschaft 5. Kleidung und ihre Normierung 6. Pragmatik vestimentärer Zeichen 6.1. Selbstdarstellung 6.2. Informationsvermittlung 6.3. Identifizierung, Selektion, Orientierung 6.3.1. Kleidung und Gruppenidentifikation 6.3.2. Kleidung und Klassenidentifikation 6.4. Interaktionssteuerung 7. Das Ideal der Frau in der Sowjetunion - Die Forderung nach Attraktivität 8. Die Identität der Russischen Frau in der Post-Sowjetischen Ära 8. „Der Gute Geschmack“ in Russland 10. Fazit
1. Kleidung als Zeichen ● Kleidung = materialisiertes Zeichensystem → Mittel zur Kommunikation ● Visuelle, vestimentäre Zeichen → Teil der non-verbalen Kommunikation ● Darstellung der Relation von Ausdruck und Inhalt →I≈A (Schuber 1993: 37)
1.1. Kodierung und Dekodierung ● Vestimentäre Zeichen werden durch Konvention festgelegt ● Kodierungs- und Dekodierungsgemeinschaft ist erforderlich → Kleidungsrepertoire das mit Zeicheninventar dekodiert wird → Zeichen, die zu einem Kode gehören, müssen erlernt werden (Kulturwissen) (ebd.)
1.2. Paradigma, Syntagma ● Kleidungsstücke bilden Paradigmen (Bsp. Schuhsorten → Subklassifikationen) ● Kombination von Kleidungsstücken = Syntagma → Neben- und Übereinander von Füllstellen → durch menschliche Anatomie begrenzt → durch Wohlgeformtheit bestimmt (Schubert 1993: 38)
1.3. Kleidungsrepertoire und dessen Varietäten ● Alle möglichen Kombination einer Kultur = Kleidungsrepertoire (vielzählige Subkategorien) ● Zum Kode in der Sprache - semantische Äquivalenz zwischen Elementen eines Ausdrucks- und Inhaltssystems → Bsp.: Schwein + weiblich (I) ≈ Sau (A) ● Ähnlich im Zusamenhang mit Kleidung → Tod eines Angehörigen (I) ≈ Trauerkleidung (Eco 1977: 24)
2. Zeichen, Symbol, Signal, Emblem ● Alle weisen auf etw. ausser ihnen selbst hin ● Zeichen vs. Symbol: - alle Symbol sind Zeichen, aber nicht alle Zeichen sind Symbole - Symbole haben zusätzliche Dimension (Abstraktion, Transzendierung) - Symbole sind Zeichen in einem komplexeren Zusammenhang (Bsp.: Staatswappen der Schweiz) - Symbol = signum repraesentativum
Staatswappen der Schweiz
2. Zeichen, Symbol, Signal, Emblem ● Emblem: - Abzeichen einer Gruppe → gemeinsame Ziele und Gesinnung werden wahrnehmbar (Burckhardt-Seebass 1981: 213) ● Signal: - kündigen ihre Objekte an (Bsp.: Brautschleier) (Morris 1975: 89) → Übergange zwischen Zeichenqualitäten sind fließend
3. Kleidung und Kommunikation ● Vestimentäre Zeichen im Kommunikationsprozess: A≈I A≈I Q → S → E Anlässe ● Bsp.: Tod → Trauerkleidung → Kondolenz (Schuber 1993: 47)
3. Kleidung und Kommunikation ● Vestimentäre Mitteilung steuert verbale Kommunikation ● Vestimentäre Zeichen bezeichnen komplexe Dinge, die sich aber nicht differenzieren können ● Keine Metakommunikation ● Sprache und Kleidung haben nicht das gleiche Sendemedium ● Verbale Mitteilung = linear, vestimentäre Mitteilung = mehrdimensional (Schuber 1993: 48)
4. Vestimentäres Zeichen und Kodiergemeinschaft ● Mensch ordnet Kleidungsverhalten nach Normen → Einfügung in soz. Ordnung → Versuch einem Vorbild zu entsprechen →Zugehörigkeit → Normkonformität ● Kollektive Zeichensysteme schaffen Machtverhältnisse ● Kleidung plaziert Individuum in Gesellschaft → personale / soziale Identität (Hoffmann 1985: 295)
● Gewählte Kleidung → Erwartung einer Reaktion → Anpassung an Erwartungshaltung, die mit Normen der Gemeinschaft korreliert → „erwartete Öffentlichkeit“ → unauffällige Kleidung ● Aussehenserwartungen (Fabrikdirektor) ● Kleidung als Abgrenzung und Klassendifferenzierung (königlicher Schmuck, Uniformen, lithurgische Gewänder) → „beabsichtigte Öffentlichkeit“ (Hoffmann 1985: 287)
● Kleidungsverhalten widerspricht der Etikette → bewusstes Verhalten gegen Erwartungen → „erhoffte Öffentlichkeit“ (Skinheads, Punks, Travestie) ● Kleidung kann sozialen Wandel anzeigen (Frauenhosen) ● Mangelkompensation durch Kleidung → äußere Erscheinung ≠ soziale Realität (Hoffmann 1985: 287)
Skinheads, Punks
5. Kleidung und ihre Normierung ● Kleidungsverhalten orientiert sich an Erwartungshaltung der Öffentlichkeit → Kodierung von Normen und Werten ● Manche Rollenhandlungen sind mit Erwartungen verknüpft, die einen Dresscode einfordern (Bsp.: Vorstellungsgespräch) ● Konformität erzeugt konforme Reaktionen (Bsp.: von einem Anzugträger wird gutes Verhalten erwartet.) (Schuber 1993: 56)
Dresscode
5. Kleidung und ihre Normierung ● Hohe Verbindlichkeit = starrer Code ● Geringe Verbindlichkeit = schwacher Code ● Konformitätsdruck auf dem Land größer ● Verbindlichkeitsgrade je nach Anlass unterschiedlich (Bsp.: Alltag vs. Rituale) ● Hoher Konformitätsdruck = Resistenz für Veränderung ● Veränderung von Kleidungsbedürfnissen ziehen Normänderungen nach sich (Schuber 1993: 57)
7. Pragmatik vestimentärer Zeichen ● Praktische Leistungsfähigkeit vestimentärer Zeichen ● Was bewirken sie? Wem dienen sie? Wozu? → Wie wirken sie sich auf das Sozialverhalten und die Interaktion innerhalb der Kommunikationsgemeinschaft aus? (Schuber 1993: 61)
7.1. Selbstdarstellung ● Kleidung ist/war primär naturmotiviert ● Heute - sekundäre Bedürfniss - Trend - Ausdruck des Wesens ● „der erste Eindruck“ ● Selbstdarstellung bezieht sich auf pers. / soz. Identität ● Rollenverständnis wird verdeutlicht (Alter, Geschlecht, Macht, Beruf, Mittelpunkt etc.) (Schuber 1993: 62)
Hipster
7.1. Selbstdarstellung → diese Rollen sind in Netz politische und sozialer Wertungen und Normierungen → Differenzierung zwischen Mann/Frau, Religion, Millitär → Kleidung = Antwort auf Erwartung der Gesellschaft (Schuber 1993: 63)
7.2. Informationsvermittlung ● Informationsvermittlung auf Ebene der Interagierenden und deren soz. Bez. ● Verdeutlichen Person des Trägers (Alter, Geschlecht, Geschmack etc.) ● und dessen soziale Rolle (Sozialstand, finanz. Sit., Beschäftigung etc.) ● Aktuelle Situation (Anlass, Ereignis) (Schuber 1993: 64)
7.3. Identifizierung, Selektion, Orientierung ● Kombinatorik des Kleidungsrepertoires schafft persönliche und soziale Identität ● Interpret kann annhand des Kleidungscodes soziale Rolle feststellen → Orientierung (Schuber 1993: 65)
7.3.1. Kleidung und Gruppenidentifikation ● Kleidung für soz. Identifikation und Solidarität (z.B. Trachten) → Gruppenidentifikationsmittel ● Ziele der Gruppe sind entscheidend für Zeichenfindung → gemeinsame Erfahrungen → Symbol → „Wir-Gefühl“ wird in die Gruppe projeziert → Gruppensymbol → Sicherheit und Konformitätsdruck ● Kleidung als Gruppenidentität → Exklusion von Nichtmitgliedern → Separierung, Abschottung (Schuber 1993: 66)
Trachtenvereine
7.3.2. Kleidung und Klassenidentifikation ● Kleidung als Mittel zur Selektion / Klassenidentifikation → Berufe (Koch, Schaffner, Polizei, Zimmermann) (Schuber 1993: 67)
7.4. Interaktionssteuerung Wie wirkt sich Kleidung auf die Interaktion aus? ● Unterstützt / steuert verbale Kommunikation → Bsp. Karnevalskostüm löst andere Reaktionen und Kommunikationsketten aus als Trauerkleidung ● Verbale Mitteilung und vestimentäre Zeichen verhalten sich meist in Kongruenz ● Mitteilungsweise abhänig von Aufmachung und Anlass → Harmonie von verb./vest. Zeichen (Schuber 1993: 68)
7.4. Interaktionssteuerung ● Kleidung hat einen Mitteilungscharakter → Ablehnung / Zuwendung als Antwort ● Kleidung wird durch Aussehens- und Reaktionserwartungen bestimmt (Bsp.: verpflichtende Kopfbedeckung muslimischer Frauen in der Öffentlichkeit) (ebd.)
8. Das Ideal der Frau in der Sowjetunion – Die Forderung nach Attraktivität ● Die Frau soll selbstverständlich gefallen ● Es soll ihr Wunsch sein zu gefallen ● Ratschläge zur Optimierung und Erhaltung der Schönheit ● Nur Mütterlichkeit hat noch so starke Priorität → Familie + Kinder = natürl. Vorbestimmung →naturnah → attraktiv ● Mann in unsicherer Sit. während Frau nur schön sein muss → Geschlechterunterschiede (Tschor-Tschudnowskaja 2001: 69)
● Attraktives Äusseres sichert Zukunft und sozialen Status durch den Mann → Frau soll sich beruflich, sozial und politisch passiv verhalten ● Hauptaugenmerk der Frau auf eigener Erscheinung → nichts tun = atttraktiv ● Schönheit: - Deutungsmuster der Einfachheit → charakteristisch für homo soveticus → Einfachheit schafft Massenbild (Tschor-Tschudnowskaja 2001: 71)
● Sowj. Ideologie: - Fremde = kompliziert → Das Innere des Menschen als das Komplizierte → schöner, guter Mensch = einfach, klar →Gesellschaft, die homogene Identität durch homogene Einfachheit ihrer Mitglieder anstrebt ● Charakteristische psychologische Eigenschaften von Männern: - Frauen Komplimente zu machen (Tschor-Tschudnowskaja 2001: 75)
● Arbeit: -Frau = auffallender → Konzentration auf das Wesentliche - Frauen als Störfaktor, die aufgrund ihrer Schönheit diskrimminiert werden (ebd.)
9. Die Identität der Russischen Frau ● Frau sucht Halt beim Mann ● Frau unterwirft sich dem Mann, da das Glücksideal von ihm abhängt ● UNO-Konvention: - Gleichstellung der Geschlechter (1993) ● ABER: - Die Realität sieht anders aus → Männer setzen Rechtsnorm, Frauen setzen sie um. (Chinajewa 1999: 63)
● Frauenbewegung gewinnt an Kraft in Russland um Anpassung an neue Verhältnisse zu ermöglichen → Frauenorganisation ● Organisationen treffen auf harten Widerstand (Familientraditionen) ● Arbeitsteilung (schlechter Ruf von Karrierefrauen) → starre öffentliche Meinung + veränderte wirtschaftliche Verhältnisse = ambivalente Rolle der Frau (Chinajewa 1999: 65)
● Soziologische Untersuchung der Staatlichen Universität Samara: - 77% der Frauen glaubt, dass Männer leichter erfolgreich sein können → Mehrheit empfindet dies als gerechtfertigt - 85% akzeptieren das Patriarchat → Hälfte würde es ändern wenn es ginge - 30% zeigen Verständnis für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz (Chinajewa 1999: 66)
- 6% sind zufrieden mit der familiären Sit. (häusliche Gewalt) → häusliche Gewalt ist kein Thema der Rechtsordnung in Russland → - Frauen sind keine einheitliche Gruppe mehr (Bildung, Finanzen, Visionen etc.) - Gleichstellung der Geschlechter wird nicht als wichtiges Entwicklungselement betrachtet (Chinajewa 1999: 67)
10. Der „Gute Geschmack“ in Russland ● Wiederkehrender Topos ● Guter Geschmack = „Angemessenheit“ („как поло́жено“) ● Verbindet Ethik und Ästethik ● Hohe Wirksamkeit (starre Codes) ● Sehr leichte Tendenz guten Geschmack nicht mehr an finanziellen Mitteln zu messen ● Stark an Geschlechterverhältnissen orientiert (Klingseis: 03.12.2014, 21:25)
● Frauen sind aktiver im Kleidungsverhalten ● Der „gute Geschmack“ hinkt dem des Westens hinterher (Klingseis: 03.12.2014, 21:25)
11. Fazit ● Kleidung als paralinguistisches Phänomen wichtig für Kommunikationsprozess ● Von Kulturgemeinschaft gesteuert ● Beeinflusst persönliche / soziale Identität ● Kleidungsverhalten geschichtlich beeinflusst ● Wiederspiegelung des Rollenverständnis der Geschlechter ● Kleidung besitzt mehr Prestige als in Westeuropa
11. Fazit ● Es können höchstens Tendenzen aufgezeigt werden ● Vorherrschende Stereotypen unserer Gemeinschaft sollten reflektiert und ggf. in Frage gestellt werden
Quellen Amstutz, Johannes. „Was ist ein Symbol?“ In: Gesellschaft für Symbolforschung (Hrsg.): Akten des 1. Symposiums der Gesellschaft für Symbolforschung. Bern: Gesellschaft für Symbolforschung, 9-27. Bergius, Rudolf. Sozialpsychologie. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1976. Burckhardt-Seebass, Christine. „Trachten als Embleme: Materialien zum Umgang mit Zeichen.“ In: Zeitschrift für Volkskunde 77. Stuttgart, 1981, S. 209-226. Chinajewa, Jelena. „Die Identität der Russischen Frau“. In: Utopie Kreativ. 106, 1999, S. 62- 65. Eco, Umberto. Zeichen: Einführung in einen Begriff und seine Geschichte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1977. Enninger, Werner. „Kodewandel in der Kleidung: Sechsundzwanzig Hypothesenpaare.“ In: Zeitschrift für Semiotik 5. Tübingen, 1983, S. 23-48. Helle, Hans-Joachim. Soziologie und Sybol: Verstehende Theorie der Werte in Kultur und Gesellschaft. Sozialwissenschaftliche Abhandlungen der Görres-Gesellschaft 5: Berlin, 1980. Hoffmann, Hans-Joachim. „Der Gebrauch von Kleidung: Beabsichtigte, erwartete und erhoffte Öffentlichkeit.“ In: Zeitschrift für Semiotik 7. Tübingen, 1985, S. 289-302.
Klingseis, Katharina. Der Mythos des 'guten Geschmacks': Fragmente einer Analyse des aktuellen Kleidungsdiskurses in zwei russischen Städten. Bereitgestellt von Thulb. Heruntergeladen am: 03.12.2014, 21.25 Uhr. Mead, George-Herbert. The Philosophy of the Act. University of Chicago Press: Chicago, 1972. Morris, Charles William. Zeichen, Sprache und Verhalten: Mit einer Einführung von K. O. Apel. Frankfurt: Ullstein, 1975. Schor-Tschudnowskaja, Anna. „Das Ideal der Frau: Eine qualitative Analyse sowjetischer Benimmbücher. Zivilgesellschaft und Gender-politik in Russland. Hg. Martina Ritter. Frankfurt a. M.: Campus, 2001. Schuber, Gabriella. Kleidung als Zeichen: Kopfbedeckungen im Donau-Balkan- Raum. Berlin: Harrassowitz, 1993.
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