Klimawandel, Flucht und COVID-19 - Teil 1: Ein Zusammenspiel verschiedener Krisen - Forum.lu

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Klimawandel, Flucht und COVID-19 - Teil 1: Ein Zusammenspiel verschiedener Krisen - Forum.lu
Politik     Dezember 2020    21

                                           Klimawandel, Flucht
                                               und COVID-19
                              Teil 1: Ein Zusammenspiel verschiedener Krisen

Ioane Teitiota aus Kiribati beantragte 2013 Flücht-                      an dem ihr Leben aufgrund der negativen Auswir-           Carole Reckinger
lingsstatus in Neuseeland mit der Begründung, dass                       kungen des Klimawandels gefährdet wäre, das Recht
der Klimawandel ihn gezwungen habe, sein Land zu                         auf Leben, gemäß Art. 6 des Internationalen Pakts
verlassen. Er argumentierte, dass der steigende Mee-                     über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR),
resspiegel und das rasche Bevölkerungswachstum in                        verletzt. Obwohl der Schutzanspruch von Herrn
Kiribati die Trinkwasserversorgung in einem Maße                         Teitiota abgelehnt wurde, da er nicht unmittelbar
beeinträchtigt hätten, dass 60 % der Bevölkerung                         gefährdet sei, stellte der Ausschuss dennoch fest, dass
Frischwasser ausschließlich aus rationierten Vorräten                    Menschen, die vor den Auswirkungen des Klima-
beziehen können. Darüber hinaus hängt der Lebens-                        wandels und Naturkatastrophen fliehen, nicht in
unterhalt vieler Einwohner von der Subsistenzland-                       ihr Herkunftsland zurückgeführt werden sollten,
wirtschaft ab, die aufgrund der durch den steigenden                     wenn wesentliche Menschenrechte bei der Rückkehr
Meeresspiegel verursachten Versalzung erheblich                          gefährdet sind.2
schwieriger geworden ist.1
                                                                         Was ist ein Klimaflüchtling?
2015 wurde Ioane Teitiotas Asylantrag in Neusee-
land abgelehnt und er wurde mit seiner Frau und                          Wie können Klimaflüchtlinge nachweisen, dass sie
seinen Kindern in sein Heimatland Kiribati abge-                         vor dem Klima fliehen? Wenn ihre Heimat dem stei-
schoben. Er reichte eine Beschwerde beim UN-                             genden Meeresspiegel zum Opfer fällt, mag es noch
Menschenrechtsausschuss ein und argumentierte,                           einfach sein. Doch wenn Ernten immer knapper
dass Neuseeland mit seiner Abschiebung sein Recht                        werden, wie beweist man, dass dies unmittelbar mit
auf Leben verletzt habe. Im Januar 2020 erließ das                       dem Klimawandel zu tun hat? Migration entsteht
UN-Menschenrechtskomitee (HRC) ein wegwei-                               durch ein Zusammenspiel von wirtschaftlichen,
sendes Urteil: Es erkannte erstmals an, dass die                         politischen, sozialen, kulturellen und eben auch
gewaltsame Rückkehr einer Person an einen Ort,                           ökologischen Faktoren. Entscheidend ist, wie ver-
                                                                         wundbar und schutzbedürftig die Menschen durch
Carole Reckinger arbeitet als Referentin für Sozialpolitik bei Caritas   bzw. gegen Klimaveränderungen sind und wie gut
Luxemburg.                                                               sie sich an sie anpassen können.
Klimawandel, Flucht und COVID-19 - Teil 1: Ein Zusammenspiel verschiedener Krisen - Forum.lu
© Carole Reckinger
Ein Boot mit Flüchtlingen kommt vor Lesbos (bei Mithymna) an, 2015.

Fast 80 Millionen Menschen – ein Prozent der Welt-                    es bis 2050 rund 140 Millionen Klimaflüchtlinge
bevölkerung – waren Ende 2019 auf der Flucht.3                        geben.7 Das war vor COVID-19. Während 135
Davon flohen fast 46 Millionen innerhalb ihres eige-                  Millionen Menschen bereits vor der Pandemie mit
nen Landes, und 40 % der Vertriebenen sind Kinder                     akuter Ernährungsunsicherheit konfrontiert waren,
unter 18 Jahren.4 Das International Displacement                      wird sich diese Zahl 2020 auf voraussichtlich 270
Monitoring Center (IDMC) in Genf schätzt, dass                        Millionen Menschen fast verdoppeln. Die Weltbank
2018 weitere 19 Millionen Menschen wegen Wet-                         geht davon aus, dass die Zahl der Menschen, die in
terextremen, Stürmen und Überflutungen flüchten                       extremer Armut leben, zum ersten Mal seit 1990
mussten. Wohingegen etwa 12 Millionen Menschen                        wieder steigen wird.8
durch Konflikte vertrieben wurden.5
                                                                      Die menschlichen Erfahrungen der durch Naturka-
Die COVID-19-Pandemie verstärkt die Aus-                              tastrophen oder durch Konflikte Vertriebenen sind
wirkungen auf Vertriebene zusätzlich und trifft                       sehr ähnlich. Beide haben oft Familienmitglieder
bestimmte Gruppen überproportional. Sie erhöht                        und ihren Besitz verloren und erleiden Traumata
die Vulnerabilität jener Bevölkerungsgruppen, die                     und Depressionen. Sie haben ähnliche Schutz- und
in Regionen leben, die besonders von den negati-                      Unterstützungsbedürfnisse. Sowohl bei Konflikten
ven Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind.                     als auch bei Naturkatastrophen leiden gefährdete
Laut UNHCR stammten 2018 bereits 80 % aller                           Gruppen stärker. Armut verschlimmert die Situa-
Vertriebenen weltweit aus Ländern und Gebieten,                       tion. Naturkatastrophen in ärmeren Ländern haben
die von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen                       höhere Verluste zur Folge als Katastrophen ähnli-
sind.6 Klimawandel und Ernährungsunsicherheit                         chen Ausmaßes in reicheren Ländern. Die Chancen,
sind eng miteinander verknüpft. Der Weltklimarat                      Schutz zu erhalten und als Flüchtling anerkannt zu
betonte schon vor der COVID-19-Pandemie, dass                         werden, sind für die davon betroffenen Personen
die Migrations- und Flüchtlingsbewegungen im 21.                      bislang allerdings gering. Es existiert weder eine
Jahrhundert aufgrund des Klimawandels zunehmen                        allgemein akzeptierte noch eine rechtliche Defini-
werden. Schätzungen der Weltbank zufolge könnte                       tion für Menschen, die infolge von schleichenden
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Umweltveränderungen oder plötzlich auftretenden         Entwicklung (SDGs) für 2030, welche sich sowohl
Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen müssen.         mit Migration als auch mit Klimawandel befassen,         Die bevorstehenden
                                                        sind ein weiterer freiwilliger Vertrag, mit dem die      Herausforderungen
Welche Schutzinstrumente gibt es?                       Rechte von Klimamigranten gestärkt werden könn-          lassen sich weder
                                                        ten. Solche Abkommen sind jedoch weder rechtsver-        mit höheren
Weltweit wird die Mehrheit aller Asylanträge auf        bindlich noch ausreichend entwickelt, um Klimami-
                                                                                                                 Zäunen noch mit
Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention ent-         granten tatsächlich zu schützen.
schieden, in der es ausschließlich um politische                                                                 Patrouillenbooten
Verfolgung geht. Diese beruht auf fünf Kriterien:       Klimagerechtigkeit                                       lösen.
Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer
sozialen Gruppe oder politische Meinung. Es ist         Die Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel
historisch bedingt, dass die Genfer Flüchtlingskon-     erfolgen viel zu langsam. Fakt ist, dass die industri-
vention keinen Flüchtlingsstatus für Menschen vor-      alisierten Länder mit ihren hohen CO2-­Emissionen
sieht, die vor extremen Klimabedingungen oder vor       die Folgen der globalen Erwärmung bislang verhält-
Naturkatastrophen fliehen. 1951 war Klimawandel         nismäßig wenig spüren. Die größte Last fällt auf die
als Fluchtursache kein Thema. Völkerrechtlich gel-      Länder, die am wenigsten zum Klimawandel beitra-
ten Menschen, die wegen Verlust der Lebensgrund-        gen. Um die negativen Folgen des Klimawandels zu
lage durch den Klimawandel auf der Flucht sind, als     bremsen, muss an erster Stelle die globale Erwär-
Wirtschaftsmigranten ohne Anspruch auf internati-       mung auf unter zwei Grad Celsius begrenzt werden.
onalen Schutz oder Unterstützung.                       Als historische Mitverursacher des Klimawandels
                                                        müssen wir Europäer Verantwortung für die Fol-
Sie können die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus        gen des Klimawandels übernehmen. Dies erfordert,
durch die Genfer Konvention nur dann erhalten,          neben der drastischen Minderung der Treibhausgas-
wenn staatliche oder private Akteure die Umwelt         emissionen, die Finanzierung von Anpassungsmaß-
zerstören, um gezielt gegen bestimmte Personen-         nahmen in stark betroffenen Ländern, sowie deren
gruppen vorzugehen, oder wenn dieselben Akteure         Unterstützung beim Umgang mit Schäden und
bestimmten Personengruppen, die durch Umwelt-           Verlusten durch die Folgen des Klimawandels. Ein
veränderungen in Notlage geraten sind, Hilfeleis-       Umdenken im Verbrauch von ökologischen Res-
tungen vorenthalten oder verwehren.                     sourcen und in unserem Konsumverhalten ist drin-
                                                        gend nötig.
Im Abschlussdokument der UN-Klimakonferenz in
Mexiko (2010) erkannten die Unterzeichner klima-        Die Auswirkungen des Klimawandels werden unsere
bedingte Migration als Folge des Klimawandels an.       Umwelt nachhaltig verändern. Dies wird zur Folge
Die Schweiz und Norwegen setzen sich seitdem für        haben, dass Menschen oftmals fluchtartig ihre
einen besseren rechtlichen Schutz jener Menschen        Heimat verlassen müssen. Eine der ältesten Über-
ein, die wegen einer Naturkatastrophe ins Ausland       lebensstrategien der Menschheit ist das Verlassen
flüchten mussten. Sie legten 2015 ihre Schutzagenda     von unwirtlichen Orten. Darauf müssen Politik
für Flüchtlinge von Naturkatastrophen vor – die         und Gesellschaft vorbereitet sein. Die in der Euro-
Nansen-Initiative, die von 109 Regierungen (dar-        päischen Union vorherrschenden Abwehrreflexe,
unter auch Luxemburg) weltweit unterstützt wurde.       nach denen Migration vor allem zu begrenzen und
Die Idee basierte auf dem Nansen-Pass. Nach dem         einzudämmen ist, sind nicht mehr an die realen
Ersten Weltkrieg gab es Millionen Vertriebene und       Herausforderungen angepasst. Die bevorstehenden
viele hatten keine gültigen Ausweispapiere. Der         Herausforderungen lassen sich weder mit höheren
damalige Hochkommissar für Flüchtlingsfragen des        Zäunen noch mit Patrouillenbooten lösen. Wir
Völkerbundes, Fridtjof Nansen, erfand 1922 für jene     benötigen Lösungen, die die Rechte und Bedürf-
Vertriebenen den Pass für Staatenlose, für den er       nisse der Betroffenen in den Mittelpunkt rücken
den Friedensnobelpreis erhielt. Bis 1942 erkannten      und an deren Ausarbeitung sie selbst beteiligt wer-
ihn 52 Nationen grundsätzlich an, allerdings wurde      den. Die oben zitierte Entscheidung des UN-Men-
europäischen Juden die Aufnahme vielerorts verwei-      schenrechtsausschusses ist wegweisend und ein erster
gert.9 Im Juli 2016 nahm die Platform on Disas-         Schritt mit potenziell weitreichenden Auswirkungen
ter Displacement zur Umsetzung der Schutzagenda         auf den internationalen Schutz von Vertriebenen
ihre Arbeit als Nachfolgemechanismus auf. Auch          im Zusammenhang mit Klimawandel und Katas-
der 2018 verabschiedete Globale Pakt für Flücht-        trophen. Sie unterstreicht, wie wichtig es ist, dass
linge schlägt Maßnahmen vor, die in Situationen         Länder Maßnahmen ergreifen, um Umweltschäden
von Vertreibung im Zusammenhang mit Naturka-            zu verhindern, welche in Zukunft die Menschen
tastrophen oder Auswirkungen des Klimawandels           zum Verlassen ihrer Heimat zwingen könnten. Die
umgesetzt werden können. Die Ziele für nachhaltige      Aufgabe, das internationale Recht sowie politische
© Carole Reckinger
Das kleine Fischerdorf Kolasi auf der philippinischen Insel Panay, zwei
Wochen nach dem Taifun Yolanda, 2013

Strategien mit den bestehenden und zukünftigen                            1   https://www.refworld.org/cases,HRC,5e26f7134.html (alle
                                                                              Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden
Realitäten in Einklang zu bringen, ist eine der größ-                         zuletzt am 13. November 2020 aufgerufen).
ten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.
                                                                          2   Ebd.
                                                                          3   https://www.unhcr.org/dach/de/services/statistiken
Pauschale Lösungen wird es kaum geben, denn
                                                                          4   Ebd.
wie alle Anpassungsstrategien wird auch Migration
infolge des Klimawandels unter sehr unterschied-                          5   https://www.internal-displacement.org

lichen Rahmenbedingungen erfolgen und entspre-                            6   https://www.unhcr.org/dach/de/services/statistiken
chend angepasste Antworten brauchen. Es ist klar,                         7   https://tinyurl.com/y6qvwzwo
dass das Zusammenspiel der sanitären und der Kli-                         8   https://news.un.org/en/story/2020/09/1072712
makrise weiter Menschen zur Flucht treiben wird.                          9   https://tinyurl.com/yysxwqzf
Beide sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und
stellen die internationale Gemeinschaft vor große
Herausforderungen, die nur gemeinsam bewältigt
werden können.

Der zweite Teil dieses Artikels wird in der nächsten Ausgabe
erscheinen. Er wird sich mit dem Konzept Loss and Damage
befassen und Lösungsansätze präsentieren.
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