Ökonomische Blasen: thematische Übersicht und gegenwärtige Lage in der Schweiz - Working Paper der EFV Nr. 14

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Ökonomische Blasen: thematische Übersicht und gegenwärtige Lage in der Schweiz - Working Paper der EFV Nr. 14
Juni 2010   |   www.efv.admin.ch

Working Paper der EFV Nr. 14

                    Ökonomische Blasen:
                    thematische Übersicht und
                    gegenwärtige Lage in der Schweiz
                    Alain Geier
Die Working papers der EFV spiegeln nicht notwendigerweise die offiziellen
            Positionen des Amtes, des Departements oder des Bundesrats wider. Für die
            in den Arbeiten vertretenen Thesen und allfällige Irrtümer sind in erster Linie
            die Autoren selbst verantwortlich.

            Impressum

Redaktion   Ökonomische Analyse und Beratung ÖAB
            Bundesgasse 3
            CH-3003 Bern, Schweiz

E-Mail      oekonomenteam@efv.admin.ch
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Layout      Webteam EFV, P+I
ISSN        1660-7937
Zusammenfassung

Zusammenfassung

      In diesem Papier werden theoretische Begründungen für die Bestimmungs-
      faktoren von ökonomischen Blasen dargelegt. Zu diesem Zweck wird auf
      verschiedene Erklärungsansätze der ökonomischen Theorie zurückgegriffen,
      welche entsprechende Anhaltspunkte liefern können. Es wird argumentiert,
      dass Blasen zwar jederzeit auf praktisch allen Finanzmärkten auftreten
      können, aber vor allem dann Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben,
      wenn makroökonomische Ungleichgewichte vorliegen. Bei letzteren handelt
      es sich vornehmlich um eine exzessive Kreditschöpfung mit einer Ausweitung
      der Liquidität, sowie Verzerrungen bei den Erwartungshaltungen der
      Wirtschaftssubjekte aber auch Zahlungsbilanzungleichgewichte, welche
      daraus entstehen. Ungleichgewichte können das Ausmass einer Blase
      erhöhen. Für den Fall der Schweiz lässt sich gegenwärtig keine klare Blasen-
      bildung erkennen, auch wenn auf den inländischen Immobilien- und
      Finanzmärkten Preissteigerungen ersichtlich sind und auf ein entsprechend
      erhöhtes Risiko hindeuten. Auch führt die derzeit immer noch hohe Verfüg-
      barkeit von Liquidität und der noch nicht abgeschlossene Entschuldungspro-
      zess der Weltwirtschaft (Deleveraging) zu einer Situation, in der Entwick-
      lungen an den Finanzmärkten realwirtschaftliche Konsequenzen haben
      dürften, auch für die Schweiz. In diesem Zusammenhang wichtig ist die stark
      ansteigende Verschuldung verschiedener Staaten, welche den privaten
      Entschuldungsprozess teilweise kompensiert.

      3
Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

        1. Einführung                                                7
        2. Die Entstehung von ökonomischen Blasen und Finanzkrisen   8
            2.1.   Übersicht                                          8
            2.2.   Historischer Abriss                                9
            2.3.   Theoretischer Überblick                           13
            2.4.   Blasen und experimentelle Ökonomik                15
        3. Die aktuelle Finanzkrise                                  17
            3.1. Makroökonomische Ungleichgewichte                   17
            3.1.1. Kreditschöpfung durch die Geschäftsbanken         17
            3.1.2. Zahlungsbilanzungleichgewichte                    19
            3.1.3. Reale Renditen und Erwartungen                    20
            3.2. Die Finanzkrise als Minsky’sches Phänomen           21
            3.3. Die «Verstaatlichung» der Krise                     21
            Box: Ausblick für die Verschuldung im OECD-Raum          22
        4. Perspektiven für die Schweiz                              25
            4.1. Geldpolitische Rahmenbedingungen und Kreditumfeld   25
            4.2. Die Lage auf dem Wohnungs- und Hypothekenmarkt      29
            4.3. Die Lage auf den Finanzmärkten                      37
        5. Fazit                                                     42
            Literatur                                                44

        5
Einführung

Einführung

       Die vorliegende Arbeit befasst sich       Verlauf, der sich oft entweder durch
       mit ökonomischen (spekulativen)           das Auftreten neuartiger Finanzinst-
       Blasen. Es wird neben einem               rumente oder die Verbreitung einer
       historischen und theoretischen Abriss     neuen Technologie äussert. Ersteres
       insbesondere die Frage erörtert, ob       reduziert die Transparenz und lässt
       sich in der Schweiz derzeit neue          die Blase nicht als solche erscheinen,
       Blasen bilden.                            letzteres steigert die Hoffnung auf
                                                 einen deutlichen Anstieg der
       Von spekulativen Blasen wird              Produktivität. Oftmals treten Blasen
       gesprochen, wenn innerhalb eines          zudem auf dem Immobilienmarkt
       Marktes die Nachfrage übermässig          auf.
       steigt. Die Nachfrage entsteht dabei
       nicht durch einen realen Bedarf,          Illusionen verschiedener Art machen
       sondern sie basiert auf der Erwar-        Gegenmassnahmen schwierig: Die
       tung überdurchschnittlicher Ren-          wirtschaftspolitischen Instanzen
       diten.                                    verfügen oft über einen geringen
                                                 oder keinen Informationsvorsprung
       Eine Blase zeichnet sich durch einen      oder verfolgten andere Ziele. Konkret
       starken, langfristig nicht haltbaren      stellt sich die Frage bei der Geldpo-
       Preisanstieg und das Auftreten von        litik, ob neben der Bekämpfung der
       Neulingen im Markt aus. Bisweilen         Inflation von Konsumentenpreisen
       wird die Blase von einzelnen              auch die Inflation von Finanzwerten
       Beobachtern als solche identifiziert.     eine Rolle spielen soll. Letzteres
       Die Marktteilnehmer nehmen als            würde voraussetzen, dass die
       Rechtfertigung der hohen Preisan-         Zentralbank über entsprechende
       stiege beispielsweise eine scheinbare     rechtliche Grundlagen und ökonomi-
       Erhöhung der Produktivität im             sche Informationen verfügt.
       betreffenden Bereich oder eine
       grundsätzliche Veränderung von            Das vorliegende Papier setzt sich
       Nachfragetrends an, welche in einer       nicht mit der Frage der adäquaten
       hypothetischen Zukunft eine starke        Geldpolitik auseinander, sondern
       Erhöhung der real erzielten Gewinne       behandelt in einem ersten Teil
       nach sich ziehen soll.                    Eigenschaften von Blasen, welche es
                                                 ermöglichen sollen, Blasen zu
       Im Fall der spekulativen Blase sind die   identifizieren. Dabei stehen makro-
       Gewinnerwartungen überrissen.             ökonomische Ungleichgewichte im
       Jede Blase hat einen spezifischen         Vordergrund.

       7
Ökonomische Blasen: thematische Übersicht und gegenwärtige Lage in der Schweiz

2. Die Entstehung von ökonomischen
   Blasen und Finanzkrisen
       2.1    Übersicht                                 Ökonomische Blasen sind kein neues
                                                        Phänomen, sondern treten wieder-
       Ökonomische Blasen und die darauf                holt auf vielen Finanzmärkten auf.
       folgenden Finanzkrisen sind ein                  Auch kreditfinanzierte «systemische»
       makroökonomisches Phänomen.                      Blasen treten in der Geschichte mit
       Blasen können zwar auf verschie-                 einer gewissen Regelmässigkeit auf.
       denen Einzelmärkten sichtbar                     Makroökonomische Theorien bieten
       werden, beispielsweise Immobilien-               verschiedene Ansatzpunkte, welche
       märkten. Die treibende Kraft hinter              ein systematisches Verständnis dieses
       globalen Blasen und Krisen scheint               Phänomens ermöglichen. Leider sind
       eine vorangehende Kreditexpansion                die meisten Ansätze nur in der Lage,
       zu sein, welche es erlaubt, dass die             über Teilaspekte Aufschluss zugeben.
       Preise auf den Finanzmärkten über                Deshalb ist es nützlich, die verschie-
       längere Zeit hinweg stark anwachsen              denen, teilweise widersprüchlichen
       können – Blasen können ein                       Erklärungsansätze in einer pluralisti-
       gefährlich hohes Ausmass erreichen.              schen Art zu verwenden. Die
       Auch in Abwesenheit einer Kreditex-              Literatur zum Thema Blasen erfährt
       pansion treten Blasen auf einzelnen              seit dem Börsencrash von 1987, aber
       Finanzmärkten regelmässig auf,                   vor allem seit den Ereignissen der
       dürften aber in diesem Fall weniger              globalen Finanzkrise von 2007 ein
       Risiken für die Stabilität des Finanz-           wachsendes Interesse, nachdem im
       systems bergen, weil der Preisanstieg            Zusammenhang mit den Hypothesen
       durch fehlende Verfügbarkeit von                 bezüglich effizienten Märkten von
       Liquidität begrenzt ist1. Während der            Fama (1970) dieses Thema etwas in
       Krise, welche ein Platzen der Blase              Vergessenheit geraten war. Die
       begleitet, nehmen die Preise auf den             vorliegende Notiz basiert teilweise
       Finanzmärkten generell ab und die                auf dieser Literatur. Darin stellen sich
       Kreditvergabe wird gekürzt. Letzteres            die Verfügbarkeit von Liquidität und
       kann auch zu negativen gesamtwirt-               die Erwartungshaltungen der
       schaftlichen Auswirkungen führen,                Wirtschaftssubjekte als besonders
       insbesondere wenn die Kreditver-                 wichtige Bestimmungsfaktoren
       gabe auch an Unternehmen                         heraus. Eine vertiefte Studie wäre
       ausserhalb des Finanzsektors gekürzt             allerdings nötig, um die Selektion
       wird.                                            und umfassende empirische

       1 vgl. z.B. Mishkin, Frederic, Not all bubbles present a risk to the economy, Financial
         Times vom 9.11.2009

       8
Die Entstehung von ökonomischen Blasen und Finanzkrisen

Aufarbeitung von relevanten Daten               Auswirkungen auf die Realwirtschaft
zu ermöglichen.                                 sind nicht bekannt.

2.2. Historischer Abriss                        1711–1720: South Sea Company

Die Subprime-Blase 2005–07 hatte                Die South Sea Company verfügte
Auswirkungen, mit welchen viele                 über ein Handelsmonopol zwischen
nicht gerechnet hatten. Das Platzen             den amerikanischen Kolonien
der Blase und die darauf folgende               Spaniens und Grossbritanniens (v.a.
Austrocknung des Interbanken-                   Sklaven). Die Kompanie versprach
marktes traf den Finanzsektor sehr              hohe Renditen durch die unbe-
hart und hatte auch realwirtschaft-             schränkten Wachstumsmöglich-
liche Folgen. Obschon während der               keiten in der neuen Welt. Tatsäch-
Krise gewisse Dinge einmalig waren              liche Gewinne wurden kaum erzielt.
und auf die spezifischen Eigen-                 Die Kompanie kaufte in grossem Stil
schaften dieser Blase zurückgeführt             britische Staatspapiere (bis 80% der
werden können (z.B. Special Purpose             gesamten ausstehenden Staatspa-
Vehicles [SPV], Credit Default Swaps            piere), was sie mit der Emission von
[CDS] und allgemein die Verbriefung             Aktien finanzierte. Dies ermöglichte
von Finanzwerten) stellt die Finanz-            der Krone eine stetige Schuldenfi-
krise als solche und die Blasenbil-             nanzierung zu günstigen Zinsen.
dung auf den Finanzmärkten kein
Einzelereignis dar. Nachfolgend                 1720 stieg der Kurs explosionsartig
werden einige historische Beispiele             an; viele Käufer finanzierten den
von Blasen und / oder Finanzkrisen              Kauf von Aktien durch Kreditauf-
aufgezählt.                                     nahme. Der Zusammenbruch des
                                                Kurses führte entsprechend zum
1637: Tulpenzwiebelspekulation in               Ruin vieler Anleger (darunter Isaac
den Niederlanden                                Newton, welcher zugestand, dass die
                                                Vorhersage der Bewegung der
Erste erwähnte (aber nicht als solche           Himmelskörper einfacher sei als
gesicherte) spekulative Blase,                  diejenige der Unvernunft der Leute).
ausgelöst durch die Einführung der              Den Verantwortlichen der Kompanie
Tulpenzwiebeln und der raschen                  konnte Betrug nachgewiesen
Entwicklung dieses Marktes. Verwen-             werden, was eine Inhaftierung im
dung von Termingeschäften. Die                  Londoner Tower zur Folge hatte.

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Ökonomische Blasen: thematische Übersicht und gegenwärtige Lage in der Schweiz

1717–1720: System von John Law                   positive Wachstumsimpulse – auf
                                                 Kosten der ehemaligen Kapitalgeber,
John Law erlangte 1717 die Kon-                  insbesondere im Ausland.
trolle über die Compagnie du
Mississippi bzw. Compagnie des                   1840er Jahre: Eisenbahnboom in
Indes und damit ein Handelsmo-                   Grossbritannien
nopol mit den amerikanischen
Kolonien Frankreichs. 1720 über-                 1825 wurde die Royal Exchange and
nahm die Kompanie die Banque                     London Assurance Corporation Act
Royale, welche vier Jahre zuvor von              von 1719 / 1720 (Bubble Act)
John Law selbst gegründet worden                 aufgehoben. Dies ermöglichte es
war. Diese Bank emittierte Papier-               – nach der konjunkturellen
geld, dessen Wert nicht durch Gold,              Schwäche der 1830er Jahre – in den
sondern durch (potentielles)                     1840er Jahren den aufstrebenden
Agrarland in den neuen Kolonien                  Eisenbahngesellschaften ihre Aktien
gesichert war. Wie bei der South Sea             an ein breites Publikum zu verkaufen.
Company kaufte die Kompanie                      Teilweise besassen die Eisenbahnge-
Staatspapiere auf (100% der                      sellschaften nicht einmal Eisenbahnli-
Staatsschuld), was sie mit der                   nien, sondern lediglich Pläne zum
Emission von Aktien finanzierte. Der             Bau derselben. Manche der vorge-
Staat trat dadurch seine gesamte                 schlagenen Linien waren technisch
Verschuldung an die Kompanie ab.                 nicht umsetzbar. Wie in anderen
Im Sommer 1720 schwand nach                      Blasen erlangten Spekulation und
einem vorangehenden explosionsar-                Renditeerwartungen eine Eigendy-
tigen Kursanstieg das Vertrauen in               namik. Der Höhepunkt war 1846
die Kompanie, welche einer Reorga-               erreicht. Eine Zinserhöhung im Jahr
nisation und Umschuldung unter-                  1845 und der Abfluss von Banken-
zogen wurde. Sowohl der Ruf von                  geldern brachten die Blase zum
Papiergeld («Fiat money») als auch               Platzen.
Vermögen in ganz Europa wurden
durch diesen Prozess ruiniert. Die               Als den Eisenbahngesellschaften
französische Wirtschaft erlebte durch            keine Finanzierungsmöglichkeiten
das Verschwinden der staatlichen                 mehr zur Verfügung standen,
und privaten Überschuldung (letztere             mussten viele Investoren verblei-
durch eine hohe Inflation) und die               bende aussichtsreiche Anlagen mit
dadurch neu entstehende Liquidität               hohen Abschlägen an die grossen

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Die Entstehung von ökonomischen Blasen und Finanzkrisen

Eisenbahngesellschaften verkaufen.              Börsenspekulationen. Für Ökonomen
Viele Familien des aufstrebenden                auf der Linie von Hayek war das
Mittelstandes verloren ihre Ver-                Investitionsniveau deshalb zu hoch,
mögen, während das Land seine                   sowohl in Realinvestitionen als auch
Bahninfrastruktur in dieser Zeit                in Finanzwerte. Die Investitionen
entscheidend ausbaute.                          waren primär von unrealistischen
                                                Gewinnerwartungen getrieben. Die
Der Eisenbahnboom der 1840er                    Weltwirtschaftskrise war denn auch
Jahre in Grossbritannien war der                von einem starken Rückgang des
bedeutendste, jedoch nicht der                  Vertrauens von Investoren und
einzige. Das 19. Jahrhundert                    Konsumenten geprägt, was auf ein
respektive die Industrielle Revolution          übermässiges Vertrauen in hohe
war in verschiedenen Ländern durch              Renditen und hohes Wachstum vor
«Booms und Busts» gekennzeichnet.               der Krise hindeutet. Verschiedene
                                                Ökonomen deuten auf zu hohe
1920er Jahre: USA                               Investitionen in falsche Bereiche wie
                                                die Schwerindustrie hin. Eine Blase in
Die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts             den 20er Jahren kann die nachfol-
könnten eine Blase dargestellt                  gende Rezession erklären, für das
haben, deren Platzen in die Weltwirt-           weitere Abgleiten in die schwere
schaftskrise gemündet hat. Verschie-            Depression scheinen jedoch andere
dene Ansätze zur Erklärung der                  Faktoren (Reaktion der Politik)
Weltwirtschaftskrise setzen jedoch              ebenfalls bedeutsam gewesen zu
nicht notwendigerweise eine Blase               sein.
voraus. Für Ökonomen wie Milton
Friedman war die Weltwirtschafts-               1980er Jahre: Schweiz
krise eine Konsequenz von falscher
(restriktiver) Geldpolitik sowie                Klassische Immobilienkrise zu Beginn
protektionistischen oder korporatisti-          der 1990er Jahre im Anschluss an
schen Eingriffen des Staates während            den spekulativen Preisanstieg in den
der Rezession. Gleichwohl weisen die            1980er Jahren. Viele Banken waren
vorangehenden Jahre Anzeichen                   bei der Belehnung von Hypotheken
eines Kreditbooms auf. Ein hohes                übermässige Risiken eingegangen.
Geldmengen- und Kreditwachstum                  Insbesondere Regionalbanken,
ermöglichte eine Ausweitung des                 welche stark vom Geschäft mit
Konsums und kreditfinanzierter                  Hypotheken abhingen gerieten rasch

11
Ökonomische Blasen: thematische Übersicht und gegenwärtige Lage in der Schweiz

in Schieflage als die Immobilienblase            Wachstumswunder. Neben Aktien-
platzte. Das Platzen der Blase fiel              und Realinvestitionen boomten auch
zeitlich mit einem Inflationsschub               Immobilienmärkte. Die 1990er Jahre
zusammen, welcher auch eine Ära                  brachten die Erwartungen für
restriktiver Geldpolitik einläutete. Am          Wachstum und Renditen auf
3. Oktober 1991 gingen Bilder von                niedrigere Werte zurück. Ein
verzweifelten Sparern vor den                    Grossteil der Investitionen stellte sich
geschlossenen Schaltern der Spar-                als fehlgeleitet heraus, bei der
und Leihkasse Thun um die Welt.                  Kreditvergabe standen ökonomische
Von 1990 bis 2000 reduzierte sich                Gesichtspunkte oft nicht im Vorder-
die Zahl der Regionalbanken von 204              grund. In den neunziger Jahren
auf 103 Institute2. Ein grosser Teil der         waren die Banken entsprechend mit
übrig gebliebenen Regionalbanken                 einer hohen Zahl von notleidenden
schlossen sich unter dem Dach der                Krediten beladen.
RBA-Holding zusammen. Die Krise
führte neben dieser Konsolidierung               1995–2000: Dot.com Blase
auch zu einem Ausbau der Regulie-
rung und einer konservativeren                   Die Verbreitung der Informations-
Politik der Banken bei der Vergabe               und Kommunikationstechnologien in
von Hypotheken. So wurden – im                   den neunziger Jahren schürte grosse
Interesse des Gläubigerschutzes – die            Erwartungen in die zukünftige
Vorschriften zur Rechnungslegung                 Bedeutung von Unternehmen, die
ausgebaut, die Eigenmittelvor-                   auf diesen Gebieten tätig waren. Ein
schriften verschärft sowie die                   explosionsartiger Anstieg der
Einflussmöglichkeiten der EBK auf                Börsenkurse um 1999 führte zu einer
die Revisionsstellen erhöht.                     Situation, in der die bezahlten Preise
                                                 in keinem Verhältnis mehr zu den
1980er Jahre: Japan                              tatsächlichen Gewinnen der
                                                 betroffenen Unternehmen standen.
Die 1980er Jahre waren in Japan                  Der Finanzsektor wies bereits einen
durch hohe Gewinnerwartungen                     hohen Fremdfinanzierungsgrad auf,
geprägt. Die Investitionsquote war               was die Liquidität auf dem Finanz-
sehr hoch und getrieben vom                      markt erhöhte. Von Bedeutung ist
Glauben an ein fernöstliches                     die Reaktion der Geldpolitik auf die

2 Gem. NZZ vom 4. Januar 2006: Schlussstrich unter Bankenpleite.

12
Die Entstehung von ökonomischen Blasen und Finanzkrisen

geplatzte Blase (anfangs 2000). Aus             2.3. Theoretischer Überblick
Angst vor einer Rezession – welche
ausblieb – wurde eine allgemein                 Die Ursachen für spekulative Blasen
expansive Geldpolitik betrieben.                können mannigfaltig sein. Beispiels-
Diese wurde weitergeführt, obwohl               weise können psychologische
sich keine konjunkturelle Schwäche              Faktoren identifiziert werden (animal
mehr abzeichnete. Die hohe                      spirits, Gier, etc.); es gibt auch
Liquidität und das stabile Wirt-                Erklärungsansätze, welche eine
schaftswachstum stellten womöglich              rationale Nutzenmaximierung
gute Bedingungen für die nächste                unterstellen, welches in gewissen
Blase dar.                                      Situationen zu Blasen führen kann.
                                                Diese Ebene betrifft das Verhalten
2005–2007: Subprime-Blase                       der Investoren auf Finanzmärkten.
                                                Daneben – und in diesem Papier soll
In einem Umfeld von niedriger                   ein besonderes Augenmerk darauf
Inflation, niedrigen Zinsen und                 gerichtet sein – gibt es eine makro-
niedrigen Risikoprämien wurden                  ökonomische Ebene von Ursachen:
Finanzpositionen in neuartigen                  Ungleichgewichte (z.B. Zahlungsbi-
derivativen Instrumenten aufgebaut,             lanzen) begünstigen Blasen und
welche bis 2007 ein beträchtliches              führen im schlimmsten Fall auch zu
Ausmass angenommen hatten. Diese                Krisen. Das Gegenstück zu den
Periode war auch geprägt von                    makroökonomischen Ursachen sind
boomenden Aktien- und Rohstoff-                 die Rezepte, welche aus volkswirt-
märkten und kulminierte vor allem in            schaftlicher Sicht zur Wiederherstel-
den USA in überschiessende                      lung der Gleichgewichte angeführt
Liegenschaftenmärkte. Die Risikoprä-            werden. Darunter fallen Geld- und
mien stiegen im Gefolge der Krise               Fiskalpolitik aber auch präventive
sehr stark an. Dies deutet darauf hin,          oder regulatorische Massnahmen.
dass nach dem Platzen der Blase die             Die Lehre ist sich jedoch keineswegs
erwarteten risikobereinigten                    einig, was Ursachen und mögliche
Kapitalrenditen auf niedrigere                  Gegenmittel betrifft. Die meisten
Niveaus zu liegen kamen. Die                    Ideen zur Blasenbildung und
Geld- und Fiskalpolitik reagierten auf          anschliessender Krise sind im
die Finanzkrise ausserordentlich                Gefolge der Weltwirtschaftskrise der
expansiv.                                       30er Jahre entstanden.

13
Ökonomische Blasen: thematische Übersicht und gegenwärtige Lage in der Schweiz

Die Klassische Ökonomie geht                     zu erhalten. Keynes Beitrag besteht
davon aus, dass in einer Krise                   aus der Relevanz der Erwartungshal-
sinkende Zinssätze zu einer ver-                 tungen der Marktteilnehmer und die
stärkten Investitionstätigkeit führen            Warnung vor möglicherweise
und somit eine Schwäche der                      katastrophalen Folgen einer Rezessi-
Konsumausgaben kompensieren.                     onsspirale, wenn dieser nicht
Eine allfällige Krise, welche aus einer          entgegen gewirkt wird, wie dies
spekulativen Blase entsteht, behebt              während der Weltwirtschaftskrise
sich damit von selbst. Notwendig                 der Fall war.
sind allfällige Massnahmen zur
sozialen Abfederung einer Rezession.             Monetaristische Ansätze, beispiels-
Keynes (1964) bestritt allerdings die            weise Friedman und Schwarz (1963)
Annahme, dass im Krisenfall die                  od. Friedman (1969) verweisen
tieferen Zinsen immer zu einem                   tendenziell auf die Rolle eines
Anziehen der Investitionsnachfrage               übermässigen Geldmengenwachs-
führt. Vielmehr hängt die Investiti-             tums bei der Entstehung von
onsnachfrage von Renditeerwar-                   Ungleichgewichten. Dieses Geld-
tungen der Unternehmer ab. Fehlt                 mengenwachstum muss gemäss der
das Vertrauen in die Erfolgsaus-                 monetaristischen Theorie notwendi-
sichten von Investitionsprojekten, so            gerweise in Inflation münden.
bleiben die Investitionen aus – die
Wirtschaft befindet sich in einer                Bei der Blasentheorie von Minsky
Liquiditätsfalle. Insbesondere bei               (1975, 1981, 1986) steht die
einem andauernden Konsumrück-                    inhärente Instabilität des Finanzsys-
gang dürften die Renditeerwar-                   tems im Vordergrund, welche aus
tungen gering sein. Aus diesem                   der prozyklischen Kreditvergabe des
Rezept kann entsprechend ge-                     Bankensystems resultiert. Dies führt
schlossen werden, dass die vorange-              zu einer Erhöhung des Systemrisikos,
hende Blase aus einem Übermass an                welches von den Marktteilnehmern
Optimismus beziehungsweise                       in ihren Entscheidungen nicht
überrissenen Renditeerwartungen                  genügend berücksichtigt wird. Der
entstanden ist. Damit verbunden ist              Zyklus endet gemäss Minsky in
auch die Forderung nach einer                    einem schmerzvollen Prozess der
antizyklischen Wirtschaftspolitik:               Schuldenreduktion. Minsky verbindet
restriktiv und mässigend im Auf-                 damit die beiden essentiellen
schwung und expansiv während der                 Elemente von ökonomischen Blasen
Rezession, um die Vollbeschäftigung              und anschliessenden Finanzkrisen,

14
Die Entstehung von ökonomischen Blasen und Finanzkrisen

nämlich einerseits die Rolle der                heraus, folgt eine Phase von
Kreditvergabe und andererseits die              fehlender Liquidität, weil durch das
Rolle der Erwartungen bezüglich                 Platzen der Blase Vermögen ver-
zukünftiger Renditen. Letzteres                 nichtet werden und es deshalb nur
wurde bereits von Keynes (1936)                 noch ein geringeres Angebot von
ausführlich diskutiert.                         investierbaren Mitteln gibt. Die
                                                Ursachen der Blasen sind deshalb in
Die österreichische Schule dagegen              den Ursachen für zu hohe Renditeer-
interessiert sich für die Ursachen von          wartungen der Unternehmer oder
Fehlallokationen, welche in einer               Anleger, beispielsweise aufgrund
Rezession wieder korrigiert werden.             einer zu expansiven Wirtschaftspo-
Ihre Rezepte sind dadurch aber vor              litik zu suchen.
allem präventiver Art. Diese insbe-
sondere von Hayek oder in neuerer               Bei der Betrachtung der verschie-
Zeit z.B. Garrison (2001) vertretene            denen Ansätze stellen sich zwei
Schule galt bis zum Siegeszug des               makroökonomische Grössen als
Keynesianismus als dessen haupt-                besonders wichtig heraus: die
sächlicher Widersacher. Paradoxer-              Verfügbarkeit von Liquidität,
weise stehen aber für diesen Ansatz             insbesondere durch eine erhöhte
– wie auch für Keynes – die Erwar-              Kreditvergabe und Erwartungshal-
tungshaltungen der Unternehmer im               tungen der Wirtschaftssubjekte.
Vordergrund. Fehlgeleitete Erwar-
tungen führen im Vorfeld einer Krise,           2.4. Blasen und experimentelle
also während der Blase, entweder zu                  Ökonomik
falschen oder zu übermässigen
Investitionen. Die Fehlinvestitionen            Blasen entstehen bemerkenswerter-
entstehen aber nicht unbedingt aus              weise nicht nur in realen Finanz-
irrationalem Optimismus sondern                 märkten, sondern können auch
vorab aus einer falschen – zu                   unter experimentellen Bedingungen
expansiven Zinspolitik – welche ein             «im Labor» produziert werden. Dies
falsches Preissignal an Investoren              gilt auch wenn die Testbevölkerung
vermittelt. Stellen sich die getätigten         aus Wirtschaftsstudenten, Managern
Investitionen am Ende als fehlgeleitet          oder Börsenhändlern besteht3.

3 Vgl. zum Beispiel King et al. (1993).

15
Ökonomische Blasen: thematische Übersicht und gegenwärtige Lage in der Schweiz

Allgemein ist dabei irrationales                 einstufte: Solange die Aussicht
Verhalten nicht unbedingt ausschlag-             besteht, einen überbewerteten
gebend, vielmehr muss gefragt                    Finanztitel zu einem noch höheren
werden, welche Zielfunktionen durch              Preis wieder zu verkaufen, sind
das Verhalten maximiert werden,                  Investoren bereit, diesen überhöhten
also welches die von den Teilneh-                Preis zu zahlen. Dazu kommt, dass
mern verfolgten Ziele sind. Die                  Investoren an einem Benchmark
Erreichung dieser Ziele kann                     gemessen werden, welcher in etwa
einerseits bedeuten, dass nicht                  dem durchschnittlichen Verhalten
lediglich das eigene Einkommen                   der anderen Investoren entspricht.
maximiert wird (was auf den ersten               Wer den Benchmark kurzfristig
Blick als irrational erscheinen mag)             unterschreitet (also z.B. an einer
oder andererseits, dass die Maximie-             Blase nicht teilnimmt), hat eine
rung des Einkommens zu unerwar-                  unterdurchschnittliche Performance
teten Zwischenergebnissen führt:                 und dürfte tendenziell vom Markt
Noussair et al. (2001) haben in einem            verschwinden. Ein Investor, der beim
Experiment eine simulierte «Aktie»               Platzen einer Blase Verluste erzielt,
unter eine Testbevölkerung gebracht.             teilt dieses Los immerhin mit einer
Diese Aktie hatte einen bekannten                grossen Anzahl von Leidensge-
Rückzahlungswert von 360 und                     nossen.
generierte zufällige Einkommens-
ströme mit einem Erwartungswert                  Die Blasenbildung auf Finanzmärkten
von null und einer bekannten                     scheint darauf zurückgeführt werden
Standardabweichung. Im Verlauf des               zu können, dass sich Angebot und
Tests entstand eine Blase und diese              Nachfrage einerseits aus Erwartungs-
«Aktie» wurde bis zu einem                       haltungen über zukünftige Renditen
Höchstwert von 427 gehandelt,                    bilden und andererseits primär die
obschon der Erwartungswert nur                   Erwartungshaltungen der anderen
einen ökonomisch begründbaren                    Marktteilnehmer für die Preisbildung
Preis von 360 erlaubt hätte. Solche              relevant sind. Gleichzeitig fehlen
Ergebnisse sind gem. King et al.                 zuverlässige Prognosen für finanzielle
(1993) robust und die Beweggründe                Renditen. Daraus entstehen auf den
der Investoren wurden bereits von                Finanzmärkten grosse Preisschwan-
Keynes im Jahr 1936 treffend                     kungen, welche keinen realwirt-
beschrieben, als er entsprechend                 schaftlichen Hintergrund aufweisen.
agierende Investoren als rational

16
Die aktuelle Finanzkrise

3. Die aktuelle Finanzkrise

        3.1. Makroökonomische                   Diese Ungleichgewichte ermög-
             Ungleichgewichte                   lichten Exzesse auf verschiedenen
                                                Märkten. Hätten auf dem US-Immo-
        Das Platzen der Subprime Blase im       bilienmarkt andere Entwicklungen
        Jahr 2007 war der Ausgangspunkt         stattgefunden, wäre der Druck zu
        für eine globale Finanzkrise und hat    Blasenbildungen auf anderen
        weltweit zu einem Rückgang der          Märkten entsprechend gestiegen. Im
        wirtschaftlichen Aktivität geführt.     folgenden werden mittels ausge-
        Um die Folgen der Rezession zu          wählter Indikatoren diese Ungleich-
        mildern und ein Abgleiten in eine       gewichte dargestellt. Diese Indika-
        schwerere Rezession zu verhindern,      toren haben nur illustrativen
        haben viele Staaten tief in die         Charakter. Um eine systematische
        fiskalische und geldpolitische          Früherkennung von Finanzkrisen zu
        Instrumentenkiste gegriffen.            ermöglichen, wäre eine systemati-
        Darunter fallen finanzpolitische        sche Analyse verschiedener Indika-
        Programme zur Stimulierung der          toren in globalen Finanzkrisen
        Konjunktur, die Übernahme von           notwendig, welche sich beispiels-
        Risiken des Finanzsektors, die          weise an die Arbeiten von Kaminsky
        Versorgung des Finanzsektors mit        und Reinhart (1999) anschliessen.
        Liquidität und Kapital sowie eine       Letztere legten ihr Augenmerk
        expansive Geldpolitik. Diese            allerdings vor allem auf lokale
        Massnahmen haben Schlimmeres            Zahlungsbilanz- und Bankenkrisen.
        verhindert, bergen aber die Gefahr,     Alessi und Detken (2009) haben
        nur Symptome der Blase bekämpft         genau dies auf einer empirischen
        und einen Teil der Probleme in die      Basis unternommen und kommen
        Zukunft verschoben zu haben             zum Schluss, dass Indikatoren für die
        (Zunahme der Staatsschulden).           weltweite Liquidität das beste Mass
                                                für die Bewertung von Risiken und
        Kristallisationspunkt für die Finanz-   die Prognose von zunehmenden
        krise war die Subprime-Blase in den     finanziellen Ungleichgewichten
        USA. Für die Finanzkrise waren die      darstellen.
        Entwicklungen auf dem US-amerika-
        nischen Immobilienmarkt jedoch          3.1.1. Kreditschöpfung durch die
        vermutlich nur ein Auslöser. Bedeut-          Geschäftsbanken
        samer waren makroökonomische
        Ungleichgewichte, welche sich über      Der Subprime-Blase ging eine stetige
        viele Jahre hinweg aufgebaut hatten.    Erhöhung der Fremdfinanzierung des

        17
Ökonomische Blasen: thematische Übersicht und gegenwärtige Lage in der Schweiz

                        Bankensektors voraus. Gemäss den                            sektor4 (Bank Credit) als auch die
                        vorgängig diskutierten Theorien ist                         Verbindlichkeiten der Banken (Bank
                        dies ein zentraler Indikator für die                        liabilities, d.h. Einlagen, Anleihen,
                        Bildung von Blasen, einer nicht-nach-                       etc.) gegenüber dem Nicht-Banken-
                        haltigen Entwicklung an den                                 sektor laufend zu. Diese Entwicklung
                        Finanzmärkten und einer fehlgelei-                          deutet a priori auf eine wenig
                        teten Investitionstätigkeit.                                nachhaltige Entwicklung hin. Das
                                                                                    Verhältnis zwischen Geldmenge (M1)
                        Aus Abbildung 1 wird dieser Anstieg                         und Kreditvolumen zeigt deutlich,
                        im Verlauf der letzten zwanzig Jahre                        dass die Kreditexpansion nicht die
                        sehr deutlich. Sowohl in Bezug auf                          Folge einer (gewollten oder unge-
                        die Wirtschaftskraft (BIP) als auch in                      wollten) Ausweitung der Geldmenge
                        Bezug auf die Geldmenge (M1)                                war. Vielmehr stiegen unabhängig
                        nehmen sowohl die Kreditvergabe                             von der Geldpolitik die Kredite des
                        der Banken an den Nicht-Banken-                             privaten Bankensektors überpropor-
                                                                                    tional zur Geldmenge an.

                        Abbildung 1: Bankkredite und -verbindlichkeiten im Verhältnis zu BIP und
                        Geldmenge (USA)

0.8                                                              7

0.7                                                              6

0.6
                                                                 5
0.5
                                                                 4
0.4
                                                                 3
0.3
                                                                 2
0.2

0.1                                                              1

0.0                                                              0
   73

   75

   77

   79

   81

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   91

   93

   95

   97

   99

   01

   03

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   07

                                                                     73

                                                                          75

                                                                               77

                                                                                    79

                                                                                         81

                                                                                              83

                                                                                                   85

                                                                                                        87

                                                                                                             89

                                                                                                                  91

                                                                                                                       93

                                                                                                                            95

                                                                                                                                 97

                                                                                                                                      99

                                                                                                                                           01

                                                                                                                                                03

                                                                                                                                                     05

                                                                                                                                                          07
 19

 19

 19

 19

 19

 19

 19

 19

 19

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 19

 20

 20

 20

 20

                                                                 19

                                                                      19

                                                                           19

                                                                                19

                                                                                     19

                                                                                          19

                                                                                               19

                                                                                                    19

                                                                                                         19

                                                                                                              19

                                                                                                                   19

                                                                                                                        19

                                                                                                                             19

                                                                                                                                  19

                                                                                                                                       20

                                                                                                                                            20

                                                                                                                                                 20

                                                                                                                                                      20

      Ratio Bank Liabilities / GDP     Ratio Bank Credit / GDP                 Ratio Liabilities / M1                             Ratio Bank Credit / M1

                        Quelle: Federal Reserve Bank of St. Louis Database (FRED).

                        4 Darunter fallen auch Unternehmen, welche bankähnliche Geschäfte unternehmen,
                          wie Kreditversicherungen oder Hedge-Fonds, teilweise mit hohem Fremdverschul-
                          dungsgrad.

                        18
Die aktuelle Finanzkrise

Die Erhöhung der Fremdfinanzierung       3.1.2.Zahlungsbilanzungleich-
ermöglichte eine Zunahme der                   gewichte
Kreditschöpfung durch die Ge-
schäftsbanken. Die anschliessende        Zu einer Verzerrung von Angebot
Austrocknung der Liquidität im           und Nachfrage auf den Finanz-
Bankensektor und die Schrumpfung         märkten dürfte auch der stetige
von Bankbilanzen während der Krise       Kapitalimport der industrialisierten
wurde durch die Aufblähung der           Welt geführt haben. Dieser ergibt
Bilanzen der Zentralbanken und eine      sich insbesondere aus dem Export-
geldpolitische Lockerung (teilweise)     überschuss wichtiger Schwellen-
kompensiert. Inflationäre Tendenzen      länder und der Erdöl exportierenden
wurden durch diese zwei gegenläu-        Länder. Die Schwierigkeit, die
figen Faktoren zwar nicht unbedingt      erwirtschafteten Erträge für die
neu geschaffen, wurden aber auch         Finanzierung von Importen oder
nicht beseitigt. Es stellt sich sodann   Investitionen im Inland zu ver-
die Frage, ob die Aufblähung der         wenden, führten dazu, dass
Liquidität zu einer Teuerung auf den     Liquiditätsströme in solche Länder
Güter-, Dienstleistungs- und             flossen, die über entwickelte
Faktormärkten führen wird oder zu        Finanzmärkte und Börsen verfügten.
erneuten Aufblähungen von                Zu dieser Entwicklung trug beispiels-
Vermögenspreisen. Im Vorfeld der         weise die von Caballero (2009)
Krise waren die Inflationserwar-         beschriebene Nachfrage nach
tungen stabil und von manchen            Finanzanlagen mit niedrigem Risiko
Güterklassen gingen deflationäre         bei sowie die gleichzeitige Verfüg-
Tendenzen aus (Importgüter). Für die     barkeit von neuartigen Finanzpro-
weitere Entwicklung der Konsumen-        dukten aus dem US-Immobilien-
tenpreise werden auch diese              markt, welche ein hervorragendes
Faktoren zu berücksichtigen sein.        Risiko / Renditeverhältnis verspra-
                                         chen.
Den Krediten als makroökonomische
Bestimmungsgrösse wurde in               Abbildung 2 zeigt das kumulierte
neuerer Zeit insbesondere seit           Defizit der Leistungsbilanzen (current
Kiyotaki und Moore (1995) auf der        account) der Länder des OECD-
Ebene der makroökonomischen              Raums. Dieses Defizit entstand vor
Theorie wieder vermehrt Bedeutung        allem im Gefolge der Asienkrise
geschenkt.                               (1998 / 9) und wies 2009 noch einen
                                         Stand von fast einem Prozent des BIP
                                         auf.
19
Ökonomische Blasen: thematische Übersicht und gegenwärtige Lage in der Schweiz

Abbildung 2: Leistungsbilanzdefizit des OECD-Raums

 0,4
 0,2
 0,0
-0,2
-0,4
-0,6
-0,8
-1,0
-1,2
-1,4
-1,6
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                                                                             08

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                                                                                         10

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 19

          19

                19

                      19

                            20

                                  20

                                        20

                                              20

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                                                                20

                                                                      20

                                                                            20

                                                                                  20

                                                                                        20

                                                                                              20
           Leistungsbilanz in % des BIP (Total OECD)
Quelle: OECD Economic Outlook (mit Prognosen bis 2011)

3.1.3.Reale Renditen und Erwar-                           Gleichzeitig kann gemäss der
      tungen                                              Finanztheorie die Summe aller auf
                                                          dem Finanzmarkt erzielbaren
Aus der ökonomischen Theorie lässt                        Renditen die Marktrendite nicht
sich eine enge Beziehung zwischen                         übertreffen. Letztere aber entspricht
realen Renditen und realem Wirt-                          dem aggregierten Ertrag des
schaftswachstum ableiten, insbeson-                       gesamten vorenthaltenen Konsums,
dere Solow (1956), sowie Ramsey                           also der Ersparnis. Versprechen die
(1928), Cass (1965) und Koopmans                          Finanzmärkte eine Rendite, welche
(1965). Zwischen den beiden                               über der erzielbaren Rendite des
Grössen besteht eine optimale                             Kapitals liegt, so ist dies langfristig
Gleichgewichtsbeziehung. Im                               nicht erfüllbar. Daraus kann eine
Ramsey(-Cass-Koopmans) Modell                             Fehlallokation von Investitionen
führen Abweichungen vom Gleich-                           resultieren.
gewicht zu Anpassungsdynamiken.

20
Die aktuelle Finanzkrise

3.2. Die Finanzkrise als                  bilden. Ein Streitpunkt ist nun, ob
     Minsky’sches Phänomen                eine solche Entwicklung – das
                                          Minsky Momentum – ein inhärenter
Die aktuelle Krise lässt sich recht gut   Bestandteil der Finanzmärkte ist oder
durch den theoretischen Rahmen            ob sich solche Entwicklungen in
von Minsky erklären. Dieser Ansatz        Zukunft vermeiden oder zumindest
legt ein grosses Gewicht auf die          erkennen lassen können.
Kreditvergabe durch Banken als
Konsequenz einer sinkenden                3.3. Die «Verstaatlichung»
Risikoaversion. Dieser Mechanismus             der Krise
hat sich in den letzten Jahrzehnten
zwar stark verändert, indem die           Während der Krise wurden verschie-
Finanzmärkte eine viel grössere Rolle     dene Risiken des Privatsektors dem
spielen als Banken. Die ökonomische       Staat übertragen. Dies geschah
Grundlage ist aber dieselbe ge-           einerseits durch direkte Rekapitalisie-
blieben, indem höhere Renditeerwar-       rungen und Verstaatlichungen,
tungen zu höheren Finanzmarkt-            insbesondere in den USA und in
kursen führten, was wiederum die          Grossbritannien. Andererseits führte
Fähigkeit von Unternehmen für die         die massive Reduktion von Ver-
Emission von Fremdkapital verbessert      mögen – und von einer erwarteten
hat. Letzteres geschah insbesondere       Vermögenszunahme – zu einer
zwischen Bankensektor und                 Verlangsamung der wirtschaftlichen
bankenähnlichen Unternehmen. Für          Aktivität. Damit ist eine Erosion der
das Bankensystem war im aktuellen         staatlichen Steuerbasen verbunden,
Kontext primär nicht mehr dessen          während das Niveau der staatlichen
Risikoaversion von Bedeutung,             Ausgaben zunächst etwa stabil
sondern die Möglichkeit aufgrund          bleibt. All dies schlägt sich in fast
der Expansion der Vermögenspreise         allen Ländern in einer Erhöhung der
die Eigenkapital- und Liquiditätsbasis    Staatsschulden, einer Reduktion von
zu schmälern.                             staatlichen Vermögenswerten und
                                          einer Erhöhung des Risikos und
Die Ungleichgewichte der Zahlungs-        Verlängerung der Bilanzen der
bilanzen und die Kreditexpansion,         Zentralbanken nieder – letzteres
welche auf Liberalisierungen folgten,     auch in der Schweiz. Die Belastung
führten zu den Exzessen in einzelnen      der öffentlichen Haushalte durch den
Märkten. Diese Exzesse mussten sich       Schuldendienst (oder sinkende
über kurz oder lang wieder zurück-        Vermögenserträge) nimmt entspre-

21
Ökonomische Blasen: thematische Übersicht und gegenwärtige Lage in der Schweiz

                            chend zu; die dafür aufgewendeten                                     senken oder die Steuern zu erhöhen.
                            Mittel stehen für die Erbringung                                      Beides dürfte mehr oder weniger
                            anderer staatlicher Aufgaben nicht                                    starke Wachstumseinbussen nach
                            mehr zur Verfügung. Verschiedene                                      sich ziehen. In Box 1 wird das
                            Staaten stehen somit vor der Alterna-                                 Ausmass der Aufblähung der
                            tive entweder die Primärausgaben zu                                   Staatsschulden näher illustriert.

Box: Ausblick für die Verschuldung im OECD-Raum

                                                                                                      Hochrechnung
 250                                                                                                  Risikoprämie +2%

 200                                                                                                  Hochrechnung konstantes
                                                                                                      Primärdefizit; Zinsen = lfr.
 150                                                                                                  Durchschnitt von 3,9%
                                                                                                      (Fiscal gap = 4,5% des BIP)

 100
                                                                                                      Hochrechnung
                                                                                                      Risikoprämie +2%
  50                                                                                                  Sparmassnahmen 6%
                                                                                                      des BIP
   0
       1993
         19941996
               19971999
                     20002002
                           20032005
                                 20062008
                                       20092011
                                             20122014
                                                   20152017
                                                         20182020
     9922

               9955

                         9988

                                   0011

                                             0044

                                                       0077

                                                                 1100

                                                                           1133

                                                                                     1166

                                                                                               1199

                                                                                                      Schulden bis 2011 (OECD)
  1199

            1199

                      1199

                                2200

                                          2200

                                                    2200

                                                              2200

                                                                        2200

                                                                                  2200

                                                                                            2200

Quelle: OECD, eigene Berechnungen.

                            Die Abbildung zeigt die Entwicklung                                   dazu kommen Zinsen in der Höhe
                            der Staatsverschuldung im OECD-                                       von etwa 4% des BIP (bei einem
                            Raum bis 2011 (gemäss Schätzungen                                     Zinssatz von ebenfalls knapp 4%),
                            und Prognosen der OECD). Die                                          woraus sich ein strukturelles Defizit
                            Schuldenquote beträgt 2011 104%                                       von etwa 4,5 BIP-Prozenten ergibt.
                            des BIP. Das strukturelle Primärdefizit                               Werden die strukturellen Defizite
                            beträgt 2011 rund 0,5% des BIP,                                       zehn Jahre in die Zukunft extrapo-

                            22
Die aktuelle Finanzkrise

liert, ergibt sich – bei konstanten    In den USA beträgt das Haushaltsde-
Ausgaben- und Einnahmenquoten          fizit im Jahr 2009 rund 10% des BIP.
– eine drastische Erhöhung der         Gleichzeitig ist dort in verschiedenen
Schuldenquote. Es wird also die        Bereichen eine Ausweitung der staat-
Annahme getroffen, dass die            lichen Aufgaben geplant, insbeson-
Schulden nicht automatisch durch       dere im Gesundheits- und im
Wirtschaftswachstum und dadurch        Verteidigungsbereich. Die meisten
sinkende Ausgabenquoten kompen-        anderen Länder weisen eher weniger
siert werden. Soll der Schuldenan-     dramatische Zahlen aus, tendenziell
stieg verhindert werden, wären         ist aber weltweit mit einer deutlichen
Massnahmen zur Reduktion der           Ausweitung der Schuldenquoten zu
Defizite in erheblichem Ausmass        rechnen. Eine Erhöhung der
notwendig. Die Extrapolation ergibt    Schuldenquote um beispielsweise 50
bei konstanten Zinssätzen und          Prozentpunkte bei einem gleichzei-
konstanten strukturellen Defiziten     tigen Zinssatz von 5% (nominal)
eine Verschuldungsquote von rund       würde bedeuten, dass der Schulden-
150% im Jahre 2021. Um die             dienst pro Jahr 2,5 BIP-Prozente
Schuldenquote auf dem Niveau von       höher wäre als zuvor. Auf Schweizer
2011 zu stabilisieren, wären           Verhältnisse bezogen, würde dies
Sparmassnahmen in der Höhe von         einem Betrag von 13,6 Milliarden
4,5% des BIP notwendig (fiscal gap).   beziehungsweise mehr als 20% der
Bei einer um 2 Prozentpunkte           gesamten Ausgaben des Bundes
erhöhten Risikoprämie würde die        oder mehr als die kumulierten
Schuldenquote auf rund 220%            Ausgaben des Bundes in den
ansteigen. Um diesen zusätzlichen      Bereichen Verkehr (7,5 Mrd) und
Anstieg von 150% auf 220% zu           Bildung und Forschung (5 Mrd)
verhindern, wären Sparmassnahmen       entsprechen.
in der Höhe von rund 6 BIP-Pro-
zenten nötig.

23
Ökonomische Blasen: thematische Übersicht und gegenwärtige Lage in der Schweiz

Im Gefolge einer restriktiveren                  gesunken sind. Damit verbunden
Geld- und Fiskalpolitik dürfte das               wäre tendenziell wohl auch ein
Wirtschaftswachstum tendenziell                  niedrigeres Investitionsvolumen als
niedriger ausfallen. Angesichts der              während der Blase.
vorgängig erheblich lockeren
Geldpolitik und der hohen Finanzie-              Ein geringeres Wirtschaftswachstum
rungsdefizite ist auf absehbare Zeit             hätte (ceteris paribus) ein geringeres
mit einem negativen fiskalischen und             Lohnwachstum und / oder tiefere
geldpolitischen Impuls zu rechnen.               Realzinsen zur Folge. Bei konstanter
Dabei ist auch zu bemerken, dass die             Inflation würden damit auch die
gegenwärtige Erhöhung der                        Nominalzinsen sinken. Würde jedoch
Staatsschulden nicht auf einen                   eine höhere Inflation zugelassen als
Ausbau von (produktiver) staatlicher             bisher, hätte dies konstante oder stei-
Infrastruktur zurückzuführen ist. Von            gende Nominalzinsen zur Folge.
einer Vergrösserung der Infrastruktur
hätten positive Wachstums- oder                  Eine allfällige Arbeitslosigkeit würde
Wohlfahrtseffekte in der Zukunft                 sich langsamer zurückbilden, wenn
erwartet werden können. Statt-                   das Wirtschaftswachstum niedrig
dessen werden derzeitige Defizite                ausfällt. Arbeitslosigkeit dürfte
mehrheitlich für die Finanzierung von            insbesondere in den Sektoren zu
laufenden Ausgaben und Transfers                 erwarten sein, in denen die Gewin-
verwendet, von denen vor allem eine              nerwartungen vergleichsweise stark
kurzfristige konjunkturelle Stüt-                gesunken sind und somit Überkapa-
zungswirkung zu erwarten ist.                    zitäten zutage treten. Aus gesamt-
                                                 wirtschaftlicher Sicht kann die
Ein zukünftiges, über Jahre anhal-               krisenbedingte Arbeitslosigkeit erst
tend niedrigeres Wirtschafts-                    dann vollständig abgebaut werden,
wachstum wäre insbesondere auch                  wenn die Überkapazitäten in
mit der Annahme vereinbar, dass im               einzelnen Bereichen durch anteilsmä-
Gefolge einer geplatzten ökonomi-                ssig stärker wachsende Bereiche
schen Blase die Gewinn- und                      kompensiert werden, also durch
Renditeerwartungen deutlich                      einen Strukturwandel.

24
Perspektiven für die Schweiz

4. Perspektiven für die Schweiz

        4.1. Geldpolitische Rahmenbe-                                     fung sehr günstig. Die Inflationspro-
             dingungen und Kreditum-                                      gnose der Nationalbank vom
             feld                                                         Frühling 2010 zeigt im übrigen, dass
                                                                          diese expansive Geldpolitik nicht
        Die Nationalbank fährt seit Herbst                                während der drei nächsten Jahre
        2008 einen sehr expansiven geldpoli-                              weitergeführt werden kann, ohne
        tischen Kurs mit einem gegenwär-                                  die Preisstabilität zu gefährden. Der
        tigen Zielband für den Dreimonats-                                Tiefpunkt der Jahresteuerung wurde
        Libor im unteren Bereich eines                                    im dritten Quartal 2009 erreicht.
        Bandes von 0%–0,75% (vgl. Abb. 3).                                Seither ziehen die Konsumenten-
        Damit bleiben die Konditionen für                                 preise tendenziell wieder an.
        die Kreditgewährung und –schöp-

        Abbildung 3: Kurzfristzinsen (Dreimonats-Libor)

          %
          3.5

          3.0

          2.5

          2.0

          1.5

          1.0

          0.5

          0.0
                08

                         08

                                   08

                                             08

                                                       08

                                                                 09

                                                                           09

                                                                                     09

                                                                                               09

                                                                                                         09

                                                                                                                   09

                                                                                                                             10
                 0

                           0

                                     0

                                               0

                                                         0

                                                                   0

                                                                             0

                                                                                       0

                                                                                                 0

                                                                                                           0

                                                                                                                     0

                                                                                                                               0
              .2

                        .2

                                  .2

                                            .2

                                                      .2

                                                                .2

                                                                          .2

                                                                                    .2

                                                                                              .2

                                                                                                        .2

                                                                                                                  .2

                                                                                                                            .2
           03

                     05

                               07

                                         09

                                                   11

                                                             01

                                                                       03

                                                                                 05

                                                                                           07

                                                                                                     09

                                                                                                               11

                                                                                                                         01
           .

                    .

                              .

                                        .

                                                  .

                                                            .

                                                                     .

                                                                                .

                                                                                          .

                                                                                                    .

                                                                                                              .

                                                                                                                        .
        03

                 02

                           03

                                     03

                                               03

                                                         02

                                                                  03

                                                                             04

                                                                                       03

                                                                                                 03

                                                                                                           03

                                                                                                                     03

                               Libor                    Mitte Zielband                               Repo 1 Woche

        Quelle: SNB

        25
Ökonomische Blasen: thematische Übersicht und gegenwärtige Lage in der Schweiz

Die Entwicklung der Geldmenge der                                 Terminanlagen in liquide Anlagen
letzten Monate spiegelt den                                       umgeschichtet werden.
Expansionsgrad der Geldpolitik
wider. Die eng definierten Geldag-                                Das Geldaggregat M3, welches auch
gregate M1 und M2 wachsen seit                                    die Termineinlagen umfasst und
dem vierten Quartal 2009 zwar                                     somit die oben erwähnten Substituti-
langsamer als in den vorangehenden                                onseffekte enthält, wuchs bis Mitte
Quartalen aber immer noch mehr als                                2009 in gemässigtem Tempo, d.h.
in der Vergangenheit (vgl. Abb. 4).                               mit Wachstumsraten die mit
Diese beiden Geldaggregate                                        Preisstabilität vereinbar sind. Indes
widerspiegeln die Entwicklung der                                 wuchs die Geldmenge M3 im
liquidesten Anlageformen, welche in                               zweiten Halbjahr 2009 mit Wachs-
Phasen von Unsicherheit oder                                      tumsraten, die längerfristig nicht mit
rückläufiger Zinsen besonderes                                    Preisstabilität vereinbar sind.
nachgefragt sind, wenn insb.

Abbildung 4: Geldmengen (Abweichung in % ggü. Vorjahr)

  60

  50

  40

  30

  20

  10

   0

 -10
     01 1999

               01 2000

                          01 2001

                                    01 2002

                                              01 2003

                                                        01 2004

                                                                   01 2005

                                                                              01 2006

                                                                                        01 2007

                                                                                                  01 2008

                                                                                                            01 2009

                                                                                                                      01 2010

                         M1                   M2                             M3

Quelle: SNB

26
Perspektiven für die Schweiz

Die Geldpolitik wurde im Verlauf der      dies auch um weiteren, zukünftigen
Finanzkrise stark gelockert. Die          Blasen nicht Vorschub zu leisten.
Ausweitung der Geldmenge erlaubte         Gleichzeitig möchte sie die Liquidi-
es, eine Kreditkontraktion im Zuge        täts- und Eigenkapitalvorschriften so
der Finanzkrise zu vermeiden. Die         ausgestalten, dass eine kreditfinan-
SNB strebt aber einen nachhaltigen        zierte Aufblähung der Bankbilanzen
Expansionsgrad der Geldpolitik an,        in Zukunft vermieden werden kann.
sobald die Umstände dies erlauben,

Abbildung 5: Kredite inkl. Hypothekarforderungen der Banken in % des BIP5
7.0

6.5

6.0

5.5

5.0

4.5

4.0
19 5
19 6
19 7
19 8
19 9
19 0
19 1
19 2
19 3
19 4
19 5
19 6
19 7
19 8
20 9
20 0
20 1
20 2
20 3
20 4
20 5
20 6
20 7
20 8
  09
  8
  8
  8
  8
  8
  9
  9
  9
  9
  9
  9
  9
  9
  9
  9
  0
  0
  0
  0
  0
  0
  0
  0
  0
19

Quelle: SNB, eigene Berechnungen

5 Inländische Kredite und Hypothekarforderungen: Ab September 2006 umfassen die
  publizierten Zahlen die Werte sämtlicher Raiffeisenbanken. Zuvor flossen nur die
  Werte der grösseren Raiffeisenbanken ein. Dieser Umstand wurde in den für die
  Grafik verwendeten Werten berücksichtigt; die Daten wurden entsprechend
  bereinigt.

27
Ökonomische Blasen: thematische Übersicht und gegenwärtige Lage in der Schweiz

Abbildung 5 zeigt, dass die Kredit-              historisch tiefe Zinsniveau mittel-
vergabe im Inland in Prozent des BIP             fristig auch Risiken für die Finanzsta-
in der Schweiz seit den neunziger                bilität. Verschiedene Beispiele aus der
Jahren recht stabil geblieben ist.               Vergangenheit zeigen, dass Phasen
                                                 tiefer Zinsen den Nährboden für
Gemäss der Schweizerischen                       Übertreibungen auf den Hypothekar-
Nationalbank (SNB) beinhaltet das                und Immobilienmärkten bilden6.

Abbildung 6: Entwicklung der Realzinsen in der Schweiz (Rendite in %)

 6

 5

 4

 3

 2

 1

 0

 -1

 -2
  90
  91
  92
  93
  94
  95
  96
  97
  98
  99
  00
  01
  02
  03
  04
  05
  06
  07
  08
  09
   10
19
19
19
19
19
19
19
19
19
19
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20

              KOF: Rendite eidg. oblig. real 10 Jahre (Monatsende)
              KOF: Euro-Franken-Satz, real: 3 Monate (Monatsmittel)

Quelle: SNB

6 Referat von Thomas Jordan, Referat für IAZI, Schweizer Immobilienkongress vom
  10. November 2009.

28
Perspektiven für die Schweiz

Angesichts der nach wie vor               auch wenn die Preisanstiege rein spe-
bestehenden makroökonomischen             kulativer Art sind. Das Platzen einer
Ungleichgewichte besteht gegen-           Immobilienblase hat dann entspre-
wärtig ein gewisses Risiko für            chend gesamtwirtschaftliche
Blasenbildungen auf den Finanz-           Auswirkungen zur Folge. Der
märkten. Dies gilt insbesondere,          Immobilienmarkt verdient deshalb
wenn sich der Aufschwung der              eine besondere Aufmerksamkeit.
Weltwirtschaft fortsetzt und keine
deflationären Tendenzen mehr von          Die Lage auf den Immobilienmärkten
einer negativen Output-Lücke              deutet zwar im Moment nicht auf
ausgehen. Die weitere Entwicklung         eine Immobilienblase hin, doch
der Lage in der Schweiz wird neben        dürfte das Risiko derzeit eher im
den weltwirtschaftlichen Rahmenbe-        Steigen begriffen sein, insbesondere
dingungen auch von der Fähigkeit          aufgrund der expansiven Geldpolitik
abhängen, eine effektive Exit-Stra-       und der grossen Liquidität. Die
tegie aus der gegenwärtig expan-          Nationalbank hat Banken und
siven Geldpolitik im Inland umzu-         Kreditnehmer zu grösster Vorsicht
setzen (vgl. auch die derzeit             angesichts des Wachstums der
negativen Realzinsen in Abb. 6). Im       Hypothekarkredite und des anhal-
gegenteiligen Fall würde das Risiko       tenden Anstiegs der Wohnimmobili-
für spekulative Blasen zunehmen.          enpreise gemahnt. Sie führt gegen-
                                          wärtig bei den Banken diesbezüglich
4.2. Die Lage auf dem Woh-                eine Umfrage durch, welche im Juni
     nungs- und Hypotheken-               2010 veröffentlicht werden7.
     markt
                                          Gesamtschweizerische Entwicklung
Der Immobilienmarkt ist erfahrungs-
gemäss besonders anfällig für             Die Entwicklung der Häuserpreise in
spekulative Blasen, welche auch die       der Schweiz verlief – verglichen mit
gesamtwirtschaftliche Nachfrage           anderen Ländern, in denen Immobili-
beeinflussen. Eine erhöhte Preisdy-       enblasen zwischen 2006 und 2008
namik kann rasch zu Investitionen         geplatzt sind – bislang verhalten (vgl.
und einem Ausbau der Produktions-         Abb. 7).
kapazitäten im Bausektor führen,

7 vgl. Geldpolitische Lagebeurteilung vom 11. März 2010.

29
Ökonomische Blasen: thematische Übersicht und gegenwärtige Lage in der Schweiz

Abbildung 7: Entwicklung der Häuserpreise in ausgewählten Ländern

240

220

200

180

160

140

120

100

  80
    2000     2001     2002     2003     2004        2005   2006     2007    2008     2009

                Schweiz                                USA                         Spanien
                Grossbritannien                        Frankreich

Quelle: SNB Finanzmarktanalysen, Datastream, IAZI

Die Abbildung 8 zeigt die Entwick-                  Monaten um 7%. Eine Blasenbil-
lung der realen Immobilienpreise.                   dung lässt sich aus diesem Preisan-
Nach der Immobilienblase zu Beginn                  stieg jedoch kaum ableiten, insbe-
der neunziger Jahre nahmen die                      sondere im Vergleich zum Anstieg
Immobilienpreise wieder kontinuier-                 bei den Mietwohnungen im Vorfeld
lich zu. Gemäss Wüest und Partner8                  der Immobilienkrise in den neunziger
stiegen in der Schweiz die Preise von               Jahren.
Wohneigentum in den letzten 12

8 Immo-Monitoring 2010, zitiert in Le Temps vom 21.4.2010.

30
Perspektiven für die Schweiz

Abbildung 8: Reale Immobilienpreise (Index, Jan. 1970 = 100)

250

200

150

100

  50

     0
         70

               73

                     76

                           97

                                 82

                                       85

                                             88

                                                   91

                                                         94

                                                               97

                                                                     00

                                                                           03

                                                                                 06

                                                                                       09
   n.

              n.

                    n.

                          n.

                                n.

                                      n.

                                            n.

                                                  n.

                                                        n.

                                                              n.

                                                                    n.

                                                                          n.

                                                                                n.

                                                                                      n.
 Ja

          Ja

                   Ja

                         Ja

                               Ja

                                     Ja

                                           Ja

                                                 Ja

                                                       Ja

                                                             Ja

                                                                   Ja

                                                                         Ja

                                                                               Ja

                                                                                     Ja
                    Mietwohnungen (Total)                           Einfamilienhäuser
                    Eigentumswohnungen                              Büroflächen
Quelle: SNB

Der Preisanstieg der letzten Jahre                seit etwa der Mitte der neunziger
scheint nicht mit einer deutlichen                Jahre etwa konstant blieben (vgl.
Ausweitung der Kreditfinanzierung                 Abb. 9). In der jüngsten Vergangen-
für die Anschaffung von Immobilien                heit – seit etwa 2008 – nehmen diese
verbunden zu sein, da die Hypothe-                Hypothekarforderungen in % des BIP
karforderungen in Prozent des BIP                 allerdings wieder zu.

31
Ökonomische Blasen: thematische Übersicht und gegenwärtige Lage in der Schweiz

Abbildung 9: Hypothekarforderungen der Banken in Prozent des BIP 9
5.5

5.0

4.5

4.0

3.5

3.0
 19 5
 19 6
 19 7
 19 8
 19 9
 19 0
 19 1
 19 2
 19 3
 19 4
 19 5
 19 6
 19 7
 19 8
 20 9
 20 0
 20 1
 20 2
 20 3
 20 4
 20 5
 20 6
 20 7
 20 8
   09
   8
   8
   8
   8
   8
   9
   9
   9
   9
   9
   9
   9
   9
   9
   9
   0
   0
   0
   0
   0
   0
   0
   0
   0
19

Quelle: SNB, seco.

In der Abbildung 10 ist der Anstieg              stiegen die Wachstumsraten rasch an
der Hypothekarforderungen der                    und erreichten im zweiten und
Banken deutlich ersichtlich (Wachs-              dritten Quartal 2009 Werte von über
tumsraten der Hypothekarforde-                   6%, was seit dem dritten Quartal
rungen gegenüber dem Vorquartal).                1989 nicht mehr der Fall war.
Seit dem dritten Quartal 2008

9 Vgl. Fussnote 5.

32
Perspektiven für die Schweiz

Abbildung 10: Hypothekarforderungen der Banken in % des BIP 10:
Wachstumsrate
10%

 8%

 6%

 4%

 2%

 0%

-2%

-4%

-6%
   07 985
   07 986
   07 987
   07 988
   07 989
   07 990
   07 991
   07 992
   07 993
   07 994
   07 995
   07 996
   07 997
   07 998
   07 999
   07 000
   07 001
   07 002
   07 003
   07 004
   07 005
   07 006
   07 007
   07 008

           9
        00
     .1
     .1
     .1
     .1
     .1
     .1
     .1
     .1
     .1
     .1
     .1
     .1
     .1
     .1
     .1
     .2
     .2
     .2
     .2
     .2
     .2
     .2
     .2
     .2
     .2
 07

                Beanspruchte Hypothekarkredite in % des BIP
                (Veränderungsrate ggü. Vorjahresquartal)
Quelle: SNB, seco, BFS.

Die Immobilienpreisindizes von           lung ist ebenfalls für die
Wüest & Partner11 zeigen ein             Hypothekenvergabe der Banken für
ähnliches Bild, nämlich dass die         das Jahr 2009 zu beobachten. Der
Preise insbesondere von Eigentums-       beschleunigte Preisanstieg für
wohnungen und von Einfamilienhäu-        Eigentumswohnungen und Einfamili-
sern im Jahr 2008 schneller als im       enhäuser sowie die verstärkte
Jahr 2007 wuchsen. Im Jahr 2009          Ausdehnung der Hypothekarkredite
beschleunigte sich nochmals das          sind Anzeichen für ein erhöhtes
Wachstum der Preise für Eigentums-       Risiko von Übertreibungen auf dem
wohnungen und von Einfamilienhäu-        Immobilienmarkt. Dieses Bild wird im
sern. Eine gleichgerichtete Entwick-     übrigen auch durch Zahlen des

10 Vgl. Fussnote 5.
11 vgl. Wüest und Partner, Immo-Monitoring 2010, Herbstausgabe vom
   27. Oktober 2009.

33
Sie können auch lesen