KOSMOS - Alexander von Humboldt-Stiftung
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HUMBOLDT Nr. 113 / 2021 KOSMOS Forschung – Diplomatie – Internationalität LISH ENG ON: ZU DEN STERNEN SI VER SE Wie Blaualgen den Mars A PLE VER bewohnbar machen NO TUR AUF DEM BODEN Wie Psychologie gegen invasive Ameisenarten hilft Wissenschaft kommunizieren Zwischen Preprint und Shitstorm: Wege aus der Verständigungskrise
HUMBOLDTIANER*INNEN PERSÖNLICH KEINE SCHEU Beim Shape Note Singing ist musikalische Vorbildung nicht wichtig. Es zählen Spaß und Engagement. AUS VOLLEM HERZEN Das Bild zeigt mich bei einem Shape Note Singing-Treffen Irland gegangen bin, habe ich dort einen Kurs dazu an der in München – vor Corona, als gemeinsames Singen noch Uni angeboten – ein großer Erfolg. In Irland ist eine rich- selbstverständlich war. Shape Note Singing ist eine Tradi- tige Bewegung entstanden. Wir haben uns überall zum tion, die vor allem in den Südstaaten der USA verbreitet Singen versammelt, selbst in Pubs. Wir Shape Note Singers ist. Sie geht zurück auf das Liederbuch „The Sacred Harp“ treffen uns für ganze Tage oder Wochenenden zu Conven- von 1844. Die Notenköpfe darin sind als Dreiecke, Qua- tions, manchmal mit mehr als 100 Menschen. Das geht in drate, Kreise oder Rauten dargestellt. Das soll es einfa- der Coronapandemie natürlich nicht. Wo möglich singen cher machen, vom Blatt zu singen, auch ohne musikalische wir in kleineren Gruppen draußen. Gemeinsames Online- Vorbildung. Für mich ein sehr egalitärer Ansatz: Es geht singen probieren wir auch, das ist allerdings schwierig, da nicht darum, perfekte Konzerte zu geben, sondern um die es minimale Zeitverzögerungen gibt. Manchmal singt eine Freude am gemeinsamen Singen aus vollem Herzen. Da Person vor, die anderen schalten sich stumm und singen gehört es dazu, dass wir uns – statt zum Publikum – ein- mit. Das ist nicht optimal, aber besser als nichts! ander zugewandt im Quadrat nach den Stimmlagen So- In meiner Forschung beschäftige ich mich auch mit den pran, Alt, Tenor und Bass aufstellen. sozialen und kulturellen Faktoren, die Kreativität beein- Ich bin Ethnomusikologin. Musik hilft mir, Gesell- flussen. Beim Shape Note Singing beobachte ich immer schaften und menschliche Erfahrungen besser zu verste- wieder: Es ist wichtiger mit voller Stimme zu singen, als hen: Der Blick durch das musikalische Fenster gibt mir ein jeden Ton zu treffen. So verschwindet die Angst, es zählt tieferes Verständnis, wie die betroffenen Menschen globale die Freude am Singen und man wird freier, sich selbst aus- Phänomene wie etwa den Klimawandel, Migration oder zudrücken. Genau darin liegt für mich ein Schlüssel zur politische Unruhen erleben. Und ich bin überzeugt, dass Kreativität. Aufgezeichnet von TERESA HAVLICEK wir Musiktraditionen anderer Kulturen nur erfassen kön- nen, wenn wir sie selbst erfahren. Als ich 2017 als Professo- rin nach Würzburg gekommen bin, habe ich deshalb einen PROFESSORIN DR. JUNIPER LYNN HILL aus Studiengang mit Praxisteil entwickelt. Shape Note Singing den USA hat den Lehrstuhl für Ethnomusiko war der erste Kurs, den ich dafür organisiert habe. Es gibt logie der Universität Würzburg inne. 2007/2008 auch Kurse über afrikanische und arabische Musik, sogar war sie Humboldt-Forschungsstipendiatin in fränkische Volksmusik war schon dabei. Bamberg. Im Mai 2021 wurde sie als Scout für Foto: privat Ich selbst habe das Shape Note Singing in meiner Stu das Henriette Herz-Scouting-Programm der dienzeit in den USA kennengelernt. Als ich dann 2009 nach Humboldt-Stiftung ausgewählt. HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 3
EDITORIAL INHALT Foto: Henning Mack Liebe Leserinnen und Leser, bei der Wissenschaftskommunikation ist es ein Christiane Heinicke, Illustration: Martin Rümmele wenig wie bei einer Achterbahnfahrt: Freude Fotos: Humboldt-Stiftung / Julian Maehrlein, und Schrecken liegen dicht beieinander. Einerseits ist während der Pandemie die viel 06 12 28 beschworene Scientific Literacy, das allgemeine Grundverständnis für Wissenschaft, zweifelsfrei gestiegen. Machen Sie den Supermarkttest und sprechen Sie am Kühlregal eine beliebige Person auf Covid-19 an. Mit einiger Wahrscheinlichkeit werden Sie mit einem kundigen Fachreferat über Aerosole, mRNA-Impfstoffe und die Tücken der jüngsten Virusmutation belohnt. Anderseits könnten Sie bei diesem Versuch auch auf einen vehementen Gegner von Imp- SCHWERPUNKT fungen treffen, der über staatliche Bevormun- dung schimpft und Ihnen vielleicht sogar über 03 HUMBOLDTIANER*INNEN PERSÖNLICH 12 Das heiße Thema 24 DEUTSCHLAND IM BLICK ein Komplott erzählt, in dessen Hintergrund Aus vollem Herzen Warum gute Wissenschaftskommunikation schwierig ist Der Kommunikationsboom Bill Gates die Fäden zieht. Zwischen diesen Polen bewegt sich die Wis- 06 NACHGEFRAGT 21 Kurzatmige Wissenschaft 28 FORSCHUNG HAUTNAH senschaftskommunikation. Sie ist ungleich Was Forscher*innen antreibt und woran Gastkommentar: Was die Forschung jetzt ändern muss Der Marsianer schwieriger geworden, seit das Verbreiten von sie arbeiten Falschnachrichten in Teilen von Medien und 22 „Man kann es nicht kalkulieren“ 32 NACHRICHTEN Politik zugenommen hat und Filterblasen in Interview: Kommunikationswissenschaftler Hektor sozialen Medien Verschwörungstheorien und Haarkötter über Strategien gegen Shitstorms 34 GESICHTER AUS DER STIFTUNG Aggression auf ein neues Niveau gebracht Wer hinter den Kulissen dafür sorgt, haben. Hinzukommen die Krise traditioneller dass alles läuft Medien und hausgemachte Probleme der Wis- senschaft wie voreilige Veröffentlichungen von Studien. Mehr über diese Herausforderungen, wie Wissenschaftler*innen mit ihnen umgehen und TITELILLUSTRATION Martin Rümmele / Raufeld Medien IMPRESSUM HUMBOLDT KOSMOS 113 wie gute Wissenschaftskommunikation trotzdem HERAUSGEBERIN Alexander von Humboldt-Stiftung PRODUKTION & GRAFIK Raufeld Medien GmbH DRUCK Bonifatius GmbH, Paderborn gelingen kann, lesen Sie in dieser Ausgabe. CHEFREDAKTION Georg Scholl (verantwortlich), Nina Koch (Projektleitung), REDAKTIONSANSCHRIFT Teresa Havlicek Daniel Krüger (Kreativdirektion), Karo Rigaud Alexander von Humboldt-Stiftung REDAKTION Nina Hafeneger, Ulla Hecken, (Kreativdirektion), Carolin Kastner (Artdirektion) Redaktion Humboldt Kosmos GEORG SCHOLL Lisa Purzitza ERSCHEINUNGSWEISE 2 × jährlich Jean-Paul-Straße 12, 53173 Bonn, Deutschland Chefredakteur ÜBERSETZUNGEN INS ENGLISCHE AUFLAGE DIESER AUSGABE 44 000 presse@avh.de, www.humboldt-foundation.de Dr. Lynda Lich-Knight ISSN 0344-0354 4 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 5
NACHGEFRAGT FRAU PINILLA, WIE ENTSTEHEN AUS STAUB PLANETEN? Um Sterne, Staub und Babyplaneten kreist die Arbeit der Astrophy sikerin Paola Pinilla. Mithilfe irdischer Hochleistungsteleskope ist sie regelmäßig im kosmischen Kreißsaal unterwegs. Pinilla beob achtet protoplanetare Scheiben, die um junge Sterne rotieren. In den Scheiben sammeln sich Gas und Staub, die bei der Sternen geburt übrig geblieben sind – und aus denen wiederum neue Plane ten entstehen. Die Staubpartikel in diesen Scheiben sind mikroskopisch klein und bestehen aus Mineralien. Sie sind an wasserstoffhaltiges Gas gekop- pelt, mit dessen Hilfe sie sich innerhalb der Scheiben bewegen. Dabei kommt es zu Kollisionen, die Partikel haften aneinander, sammeln weitere Staubteilchen ein, werden größer und durch die Zusammen- stöße kompakter. So entstehen schließlich kieselsteinähnliche Gebilde, die sogenannten Planetesimale, Vorläufer und Bausteine neuer Plane- ten. „Wir wollen vollständig erklären können, unter welchen physika- lischen Bedingungen neue Planeten geboren werden und welche Fak- toren ihre Diversität beeinflussen“, umschreibt Paola Pinilla ihre Forschung, in der sie ihre Beobachtungsdaten mit Modellrechnungen kombiniert. Da Gas meist unsichtbar ist, ist es schwer zu beobachten. Daher setzt sie numerische und dynamische Simulationen des Gases ein, um die Bedingungen und physikalischen Prozesse innerhalb einer pro- toplanetaren Scheibe zu untersuchen. Dabei spielen Faktoren wie der Drehimpuls im Scheibeninneren, magnetische Felder, die geringe Schwerkraft oder die Kollisionsgeschwindigkeit der Partikel eine Rolle. Paola Pinilla geht davon aus, dass die nächsten fünf bis zehn Jahre Foto: Humboldt-Stiftung / David Spaeth revolutionäre Beobachtungen neuer Planeten bringen werden, die sie auch ihrem persönlichen Ziel näher bringen werden: zu verstehen, wie einst aus Staub unser Sonnensystem entstanden ist, samt unserer Erde. Text ESTHER SAMBALE DOKTORIN PAOLA PINILLA leitet als Sofja Kovalevskaja-Preis trägerin am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg die Forschungsgruppe „The Genesis of Planets“. 6 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 7
NACHGEFRAGT HERR CZACZKES, WIE WOLLEN SIE INVASIVE AMEISEN ÜBERLISTEN? FRAU ACKERMANN, WIE MACHEN SIE Foto: Humboldt-Stiftung / Nikolaus Brade Foto: Humboldt-Stiftung / David Spaeth BERUFSMUSIKER*INNEN WIEDER FIT? Sie fahren auf Schiffen oder im LKW quer über den Globus mit, ver Die einzige Abhilfe gegen invasive Ameisen sei letztlich, sie wieder los- Plötzlich krampfen die Finger oder Gesichtsmuskeln beim Musizie An der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover arbei- steckt in der Erde eines Blumentopfes oder einer Kiste voll Obst. Die zuwerden, erklärt Czaczkes. Er stellte fest: Finden Ameisen Futter mit ren und machen nicht mehr das, wozu sie zuvor schon tausende Male tet sie gemeinsam mit dem Neurologen Eckart Altenmüller an einer Ausbreitung invasiver Ameisenarten lässt sich kaum verhindern. In geringerem Zuckergehalt vor als erwartet, hören sie auf zu fressen und in der Lage waren. Dystonie ist eine neurologische Störung, die sich Studie und behandelt zurzeit 40 Musiker*innen: Durch gezieltes Üben fremden Ökosystemen können sie aber großen Schaden anrichten, setzen weniger oder keine Pheromone ab, mit denen sie ihre Artgenos- meist in Muskelverkrampfungen äußert und zu unkontrollierbaren von Bewegungen sollen Abläufe im Gehirn neu programmiert werden, weil heimische Tierarten nicht gelernt haben, sich zu schützen. sen anlocken können. Finden sie aber Futter mit unerwartet hohem Bewegungen führt. Ein Phänomen, über das man wenig weiß, außer die dort gespeichert, aber blockiert sind. „Dafür zerlegen wir die Bewe- Der Verhaltensbiologe Tomer Czaczkes erforscht, wie Argentinische Zuckergehalt, setzen sie ihren Duftstoff besonders stark ab. „Ameisen dass es schon viele Karrieren beendet hat. gungsabläufe in ihre Einzelteile und lernen sie von Grund auf neu“, Ameisen Entscheidungen treffen. Er möchte herausfinden, ob und wie können offenbar ebenso wie Menschen Enthusiasmus und Frustration „Für Berufsmusiker*innen ist Dystonie absolut verheerend”, sagt erklärt Ackermann. Bisher dauert eine Dystonie-Behandlung oft man invasive Ameisen durch Erwartungsmanagement überlisten kann. empfinden“, sagt Czaczkes. „Ich will herausfinden, ob man solche psy- die australische Musikmedizinerin und Physiotherapeutin Bronwen mehrere Jahre. Mit Ackermanns Therapieansatz konnten einige Dazu bezieht er erstmals deren kognitive Fähigkeiten ein. „Beim Men- chologischen Effekte bei der Bekämpfung invasiver Arten nutzen Ackermann. „Oft am Höhepunkt der Karriere verweigert der Körper Musiker*innen schon nach sechs Monaten wieder spielen. schen gelingt es uns, ihn mit psychologischen Tricks dazu zu bringen, kann.“ Text MARLENE HALSER den Dienst und man kann plötzlich nicht mehr spielen.” Etwa drei Pro- Text MARLENE HALSER etwas zu kaufen, was er eigentlich nicht braucht”, sagt er. Ähnliche zent aller Musiker*innen erkranken laut Ackermann daran, besonders Mechanismen sucht er bei invasiven Ameisen, um sie beispielsweise dazu DOKTOR TOMER CZACZKES kam 2013 als Humboldt-Forschungssti häufig Violinist*innen oder Flötenspieler*innen, die extrem übungs- PROFESSORIN DR. BRONWEN JANE ACKERMANN von der Uni zu bringen, mit Gift präpariertes Futter in den Bau zur Königin zu tra- pendiat an die Universität Regensburg, wo er heute als Gewinner eines intensive Instrumente spielen, die ein hohes Maß an Schnelligkeit und versity of Sydney, Australien, ist Humboldt-Forschungsstipendiatin gen, statt es liegen zu lassen. ERC Starting Grants 2020 eine Nachwuchsforschungsgruppe leitet. Präzision erfordern. an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. 8 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 9
NACHGEFRAGT FRAU PAZ, WIE HÄLT ES DAS RECHT MIT DEM ANTI SEMITISMUS? FRAU MOLEFE, WARUM SOLLTEN Foto: Humboldt-Stiftung / Julian Maehrlein Foto: Humboldt-Stiftung / Nikolaus Brade WIR AUF FRAUEN HÖREN, UM DEN KLIMAWANDEL ZU BEKÄMPFEN? Extreme Trockenheit und Dürre; wenn es regnet, dann so heftig, stellen, dass Frauen Zugang zu Technologien, Wissen und Mikrofi- Jüdische Menschen müssen in Deutschland immer wieder Anfein von Antisemitismus, erklärt Paz. Sie verweist auf ein Urteil des Amts- dass es zu Überschwemmungen kommt – so äußert sich der Klima nanzierung erhalten. dungen oder Übergriffe erleben. Politiker*innen versprechen, mit gerichts Wuppertal, das den versuchten Brandanschlag auf die dortige wandel in Botswana. Mit den Folgen sind dort im Alltag insbeson Molefe schlägt beispielsweise vor, dass Stellen in Regierungsminis- allen Mitteln des Rechtsstaates gegen den Antisemitismus vorzuge Synagoge 2014 nicht als antisemitisch motivierte Straftat ahndete. Das dere Frauen konfrontiert, sagt die Umweltwissenschaftlerin und terien geschlechtersensibel zugeteilt werden und vor allem Frauen auf hen. Aber verfügt das Recht überhaupt über adäquate Mittel, um Gericht folgte der Erklärung der Täter, sie hätten die Aufmerksamkeit Humangeografin Chandapiwa Molefe. dem Land in die Formulierung einer künftigen Klimapolitik mit ein- Judenhass zu bekämpfen? Zu dieser Frage forscht die Rechtswissen auf den Gaza-Konflikt lenken wollen. Für Paz „ein Skandalurteil“. Sie In Botswana sind es zumeist Frauen, die als Kleinbäuerinnen Pflan- bezogen werden. „Mit meiner Arbeit will ich die Frauen in Botswana schaftlerin Reut Y. Paz. fordert: „Wir müssen die Gesetze und die Rechtswissenschaft einer zenbau betreiben. Obwohl der Klimawandel unmittelbar ihre Existen- stärken, denn sie sind entscheidend, wenn wir die Folgen des Klima- Sie vergleicht Fälle der Rechtsprechung aus Deutschland, Polen, kritischen Revision unterziehen und herausarbeiten, wie das Recht zen bedroht, stehen Frauen und ihre Perspektiven bislang kaum im wandels aufhalten wollen“, betont Molefe. Vorschläge für konkrete Maß- dem Vereinigten Königreich, Israel und Frankreich: Wie begegnet das sein Versprechen einlösen kann, den ‚ältesten Hass der Welt‘ wirkungs- Fokus der Politik. Das will Molefe ändern. „Frauen sind das Rückgrat nahmen wird sie nun erarbeiten, zunächst stehen jedoch die Analyse Recht Antisemitismus? Wo bekämpft es, wo ignoriert oder fördert es voll zu bekämpfen.“ Text MAREIKE ILSEMANN unseres Landes“, sagt sie und zitiert ein afrikanisches Sprichwort: der Situation vor Ort sowie Interviews mit Stakeholder*innen in Bots- ihn sogar? Gesetzeswerke werden durch die Diskurse der Zeit und die „Mosadi ke thari ya Sechaba.“ Sie entwickelt Handlungsempfehlun- wana an. Text ESTHER SAMBALE Haltung der beteiligten Personen bestimmt, betont Paz. Dabei reagiert DOKTORIN REUT Y. PAZ leitet an der Justus-Liebig-Universität gen, die den politischen Entscheider*innen in Botswana künftig als das Recht mit Zeitverzögerung auf historischen Wandel. Bis dahin Gießen das Projekt „Antisemitismus aus der Perspektive des Rechts: Leitfaden dienen sollen, um Geschlechterperspektiven in die Klima- CHANDAPIWA MOLEFE ist als Internationale Klimaschutzstipendiatin sind die Gerichte gefragt, das Recht entsprechend zu interpretieren. Verheißungen oder Unschärfen?“. 2010 bis 2012 war sie Humboldt- anpassungsstrategien des Landes einzubeziehen. So will sie auch sicher- zu Gast bei der internationalen Organisation PlanAdapt in Berlin. Deutschland fehle bis heute eine für die Justiz verbindliche Definition Forschungsstipendiatin an der Humboldt-Universität zu Berlin. 10 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 11
SCHWERPUNKT Stammzellen lassen sich mit Zitronensäure umprogrammieren LABORUNFALL Heilung in russischem von Atomzentrum war Absicht! Krebs Soziologe veröffentlicht vorläufige Studie in Sicht? DAS HEISSE Pleite-Alarm wegen Corona ++ Erste Hotels müssen schließen THEMA Forscher verbieten URLAUBSREISEN Die Erde wird wärmer, das Virus grassiert und Wissenschaft soll mehr denn je erklären und Lösungen anbieten. Wenn Zusammenhänge komplex, Antworten unsicher und die Sorgen groß sind, ist gute Wissenschaftskommunikation gefragt – und doch so schwierig. Woran das liegt und was helfen kann. Text KILIAN KIRCHGESSNER D NICHTS ALS FAKE NEWS! ie Drohung kam in einem wattierten Umschlag. fasste er lapidar in einem Satz zusammen, der legendär Aids Malariamittel Das gilt für die ausgedachten Zeitungs- headlines, Chatverläufe und Studientitel, Ein kleines Plastikfläschchen steckte darin, geworden ist: ,,Ich war das Stinktier beim Picknick.“ die diesen Beitrag illustrieren. Inspiriert dazu die maschinengeschriebene Botschaft Für viele Wissenschaftler*innen ist es eine neue Erfah- wurden sie überwiegend von echten Bei- „trink das – dann wirst du immun“. Adressat rung, dass ihnen Ablehnung so offen und aggressiv entge- heilt spielen. Wie gut Sie darin sind, zwischen der Botschaft war Christian Drosten, jener Virologe von der genschlägt. Mit Gegenargumenten umzugehen, vielleicht ausgedacht und real zu unterscheiden, können sie bei unserem Fake News-Quiz Berliner Charité, der in Deutschland während der Corona- auch mit Skepsis, das gehört zu ihrem Handwerkszeug. Illustrationen: Raufeld Medien / Karo Rigaud auf unserer Website testen. pandemie Politik und Öffentlichkeit berät und mit sei- Aber pauschale Ablehnung, gar Morddrohungen? ,,Tech- nen Mahnungen zum Symbol für einen vorsichtigen Kurs nik und Wissenschaft greifen immer stärker in Bereiche geworden ist. Drohungen und Hassbotschaften, so berich- ein, die sehr lebensnah sind“, sagt Martin Carrier, Wis- tete er, bekam er schon früh. Der amerikanische Immuno- senschaftsphilosoph von der Universität Bielefeld: „Das loge Anthony Fauci, der seit den 1980er Jahren Berater der Higgs-Boson hat von der öffentlichen Meinung nicht viel US-Präsidenten ist, stieß ebenfalls auf ablehnende Reak- zu fürchten. Aber wenn es um das Klima geht, um Ernäh- tionen. Seine Zusammenarbeit mit dem früheren US-Prä- rung und Gesundheit, dann tritt die Wissenschaft vielen www.humboldt-foundation.de/ sidenten Donald Trump, der seine Warnungen und Rat- Leuten auf die Füße.“ Und je aufgeheizter eine gesellschaft- das-heisse-thema schläge zumeist ignorierte und ihn öffentlich anfeindete, liche Diskussion ist, desto mehr Reaktionen bekommen › 12 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 13
„ SCHWERPUNKT GRAFIK 1 9 128 Kommentare Wie beurteilen Sie die Rolle von Wissenschaftskommunikation in Wissenschaft und Forschung? Wissenschaftskommunikation … Gefällt mir Kommentieren Teilen … ist Bestandteil des Jobs eines*r Wissenschaftler*in. Meuterin IN DEN STAATEN Achtung ! 4 21 49 24 2 Covid-Impstoff soll DNA manipulieren. IST DER TON … hat einen positiven Einfluss auf eine Karriere in der Wissenschaft. Ziel: neue Rezeptoren für Psychophar- ENTSPANNTER stimme über maka der vierten Generation. Merkel haupt nicht zu plant, dass Impfkommission Impfe für 9 28 38 14 12 Kinder ab 5 Jahren anordnet. ALS BEI UNS.“ … bringt Wissenschaft und Forschung inhaltlich weiter. stimme eher nicht zu stimme 8 36 37 14 4 eher zu QuerKopf … dient vor allem der Werbung für wissenschaftliche Einrichtungen. Klar und dann Gehirnwäsche unter stimme voll und ganz zu Pillen. Unterrichte mein Kind ab so- fort nur noch zuhause. Ungeimpft, nen unter Wissenschaftler*innen mitbekämen, das Hin- 7 38 39 12 4 aber schlau . Passt auf euch terfragen und Überprüfen, dann schimpften viele gern, die kann ich nicht … stellt Forschungsergebnisse häufig unzutreffend dar. beurteilen und eure Kinder auf! Forschenden hätten ja selbst keine Ahnung. „Dabei gibt es nichts Schlimmeres als Konsens unter Bedingungen der Angaben in Prozent. Unsicherheit“, sagt Carrier, der der Humboldt-Stiftung als 8 47 30 8 7 Abweichungen in der wissenschaftlicher Gastgeber, Gutachter und einstiger Teil- … geht auf Kosten der Qualität von Wissenschaft und Forschung. Summe sind rundungs bedingt. (n ≥ 5 659) Freedom Spirit nehmer des TransCoop-Programms verbunden ist. Masernimpfung wirkt nur für Quelle aller Grafiken 30 47 15 3 4 siehe Seite 20. Rezeptoren bei Ritalin. Deshalb NATIONALHELD*INNEN ODER HASSFIGUREN jetzt Covid und mRNA-Technik. Das Geld kommt von der Industrie. Tatsache ist: Fragen, zu denen Wissenschaft etwas beitra- Hoffe, Drosten und Merkel halten gen kann, werden auch künftig immer näher heranrücken wenigstens ordentlich die Hand an „lebensnahe Bereiche“, so Carrier – beim Klimawandel auf! etwa, bei sozialen Fragen oder eben bei Pandemien. Wie gehen Forschende mit diesem gewachsenen Interesse um, cherorts wurden Virolog*innen während der Pandemie zu urteilt Pistor. Dank Twitter werde sie auf Kolleg*innen welche Strategie wählen sie für ihre Kommunikation? Im Nationalheld*innen, in anderen Ländern zu Hassfiguren. aus anderen Weltregionen aufmerksam, auf Forschende Netzwerk der Humboldt-Stiftung lassen sich dazu viele aus anderen Disziplinen, auf lohnende Bücher. Und sie Ideen und Ansätze finden – immer abhängig von der For- TWITTERN LOHNT SICH gibt ihre eigenen Gedanken weiter: ,,Wenn man den Luxus schungsrichtung und der jeweiligen Herkunftsregion. Wie unterschiedlich das Kommunikationsverhalten ist, hat, in Ruhe über Dinge nachzudenken, sollte man seine Ganz frische Erfahrungen mit der Kommunikation hat erfährt Katharina Pistor immer wieder: Die deutsche Juris- Gedanken auch mit einer breiteren Öffentlichkeit teilen“, beispielsweise Rafael Radi. Der Biochemiker und Hum- tin ist Professorin an der renommierten Columbia Law sagt sie. Gehässige Kommentare seien die Ausnahme. Das Wissenschaftler*innen, die sich zu ihren Forschungsthe- boldt-Forschungspreisträger war der leitende Kopf eines School in New York und begeisterte Twitter-Nutzerin. „Der liegt sicherlich auch am Thema, schließlich haben juris- › men öffentlich äußern. multidisziplinär besetzten Wissenschaftsbeirats (Honorary Ton auf Twitter ist in den USA entspannter“, beobachtet Ein neues Phänomen seien Anfeindungen gegen For- Scientific Advisory Group) in Uruguay, der in der Pandemie sie, „die Reaktionen sind weniger brüsk und besserwisse- schende indes nicht, sagt Carrier und geht zur Illustra- gegründet wurde, um die Regierung zu beraten. „Natürlich risch als beispielsweise in Deutschland.“ In Pistors Beiträ- tion weit zurück: „Als Darwin 1859 sein Hauptwerk ‚On gab es negative Reaktionen, aber eher marginal“, berich- gen geht es um aktuelle Gerichtsentscheidungen in ihren the Origin of Species‘ veröffentlichte, riss das die Leute tet Radi. Er wählte genau aus, wo er auftrat: ,,Wir hielten Fachgebieten Wirtschafts-, Kapitalmarkt- und Gesell- ++GRIPPEVAKZIN++ regelrecht aus den Stühlen.“ Die Evolutionstheorie warf uns von Diskussionen fern, in denen Feindseligkeit Vor- schaftsrecht ebenso wie um die Feier des Abschlussjahr- die religiös geprägten Vorstellungen von der Entwick- schub geleistet wird.“ Außerdem hatte sein Team „sorgfäl- gangs an ihrer Universität und auch mal um den Nach- lung des Lebens über den Haufen. Darwin wurde zur tig ausgearbeitete öffentliche Stellungnahmen“ verfasst, die barshund Cucchi. „Anfangs war ich skeptisch und dachte, 10 Impfschäden um Zielscheibe, nicht nur von Fanatiker*innen. ,,Seitdem sind exakt belegt und dadurch nur schwer anfechtbar waren. Twittern fresse nur meine Zeit“, sagt die Max-Planck-For- 20 30 40 weltanschauliche Fragen beim Umgang mit wissenschaft- „Wenn wir öffentlich auftraten, bezogen wir uns auf diese schungspreisträgerin. Trotzdem ließ sie sich darauf ein. 50 60 lichen Ergebnissen immer weniger wichtig geworden“, Stellungnahmen. Wir versuchten, persönliche Meinungen Drei Jahre ist das her, sie schrieb damals ihr populärwis- bis zu 100% 70 80 sagt Carrier. Stattdessen mündeten Forschungserkennt- rauszuhalten“, sagt Rafael Radi. Die Öffentlichkeit habe senschaftliches Buch „Der Code des Kapitals“. ,,Das wollte 90 100 nisse heute oftmals in konkrete Handlungsempfehlungen, auch in kritischen Pandemie-Phasen den Wissenschaftsbei- ich auf Social Media bewerben und nahm mir vor, bis zum wahrscheinlicher von der Gesundheits- bis zur Klimaforschung – und da rat unterstützt – und sogar die Regierung dafür kritisiert, Erscheinen bei 1 000 Follower*innen zu sein“, sagt sie. Das würden sie vielen Menschen unbequem. Verändert hät- wenn sie weniger Maßnahmen umsetzte als vorgeschlagen. Ziel erreichte sie spielend – und wurde zur begeisterten ten sich also vor allem die Motive für die Anfeindungen. Von solcher Rückendeckung aus der Öffentlichkeit können Nutzerin. ,,Man kriegt eine ganze Menge mehr mit; auch Und wenn Teile der Öffentlichkeit dann noch Diskussio- Mediziner*innen in anderen Ländern nur träumen: Man- von Leuten, mit denen man sonst weniger zu tun hat“, 14 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 15
SCHWERPUNKT GRAFIK 3 Rechenfehler in internationaler Klimastudie Inwieweit treffen die folgenden Umstände auf Sie persönlich und Ihr Engagement Arktis schmilzt in der Wissenschaftskommunikation zu? Ich habe nicht ausreichend Zeit. nur langsam! 3 14 41 42 Es gibt für mich nicht genug Anlässe. 9 27 45 18 In meinen Projekten fehlt es an Ressourcen. 13 30 36 20 Ich habe das Gefühl, mein Forschungsthema ist ungeeignet. trifft überhaupt nicht zu tische Fragestellungen nur selten das Zeug zum Polarisie- und oft auch unübersichtlich ist. „Zu politischen Fragen 33 36 24 8 trifft eher nicht zu ren – aber bei manchen Posts schlagen selbst auf ihrem äußere ich mich grundsätzlich nicht, weder in Interviews Ich habe nicht ausreichend Wissen oder Fähigkeiten. trifft eher zu Kanal die Emotionen höher: „Wenn ich mich etwa über noch in sozialen Medien“, sagt Karen Radner. Eine kri- Bitcoins äußere, merke ich, dass dieses Thema eine aggres- tische Bemerkung, selbst eine missverständliche Äuße- trifft voll und ganz zu sivere Zielgruppe anzieht“, berichtet Pistor. rung könnten eine Kaskade von Folgen haben: Für ihre 25 46 24 5 Für andere Wissenschaftler*innen würde eine zu offene Grabungen und Feldforschungen ist sie auf die Geneh- Ich habe in der Vergangenheit negative Reaktionen erhalten. Angaben in Prozent. Kommunikation in sozialen Medien indes zum Risiko für migungen der zuständigen Regierungen angewiesen, und Abweichungen in der ihre Forschung. Ein Beispiel dafür ist Karen Radner, Hum- die durchleuchten die Antragsteller*innen üblicherweise. Summe sind rundungs 59 32 7 1 bedingt. (n ≥ 5 611) boldt-Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität Hinzu kommt die Gefahr, ins Visier von Fanatiker*innen München. Sie ist eine der renommiertesten Expertinnen zu geraten – problematisch könnte das für sie persönlich für Alte Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens – werden, aber auch für das Team vor Ort. „Ich sage mei- eine Region, in der die politische Situation angespannt nen Studierenden und meinen Mitarbeiter*innen immer: Wenn ihr unbedingt posten wollt, dann achtet darauf, dass tert und bloggt. Gerade erst nahm er am Communication eure Äußerungen keine negativen Folgen für euch und euer Lab for Exchange between Research and Media teil, das Team haben“, erzählt Karen Radner. Dass Öffentlichkeit die Humboldt-Stiftung gemeinsam mit der Organisation GRAFIK 2 zur Wissenschaft gehört, weiß sie indes auch; sie schreibt Internationale Journalisten-Programme e. V. (IJP) ausrich- Wie hat sich aus Ihrer Sicht das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit seit populärwissenschaftliche Bücher, sie publiziert auf fach- tet: Forscher*innen wie Queiroz Alves tauschen sich mit Beginn der Coronapandemie verändert? spezifischen Internetseiten und leitet einen Online-Kurs Journalist*innen über die Vermittlung von Wissenschaft „ für die interessierte Öffentlichkeit. „Ich konzentriere mich aus und erarbeiten gemeinsam journalistische Produkte. › Die Erwartung an Wissenschaft, schnelle Problemlösungen zu liefern, hat sich erhöht. ganz darauf, nur über meine Arbeit zu reden“, sagt sie. Mit Gesprächen über ihre Arbeit rennen Klima stimme über haupt nicht zu forscher*innen derzeit offene Türen ein. Ihr Thema ist 2 16 51 31 hochaktuell, ihre Ergebnisse beeinflussen überall auf Die Rolle der Wissenschaft in der Politikberatung wurde gestärkt. stimme eher der Welt die Politik. Nicht allen gefällt das; immer wie- nicht zu der berichten Klimaexpert*innen von Anfeindungen und 4 19 61 16 stimme Drohungen. Eduardo Queiroz Alves schreckt das nicht ab. eher zu Der Geochemiker untersucht als Humboldt-Forschungs- Das Ansehen der Wissenschaft in der Gesellschaft ist ingesamt gestiegen. stipendiat am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven stimme voll und ganz zu die Auswirkungen der Permafrost-Schmelze auf das Erd- ZU POLITISCHEN FRAGEN 4 31 58 7 klima. ,,Viele sehen die Forschung zur Klimakrise als eine Wissenschaftskommunikation ist schwieriger geworden. Angaben in Prozent. Art Blackbox. Sie hören Prognosen und Empfehlungen der ÄUSSERE ICH MICH GRUND (n ≥ 5 536) Wissenschaft, können sich aber einfach nicht vorstellen, 7 44 36 13 wie sie zustande kommen“, sagt der Brasilianer. Er will die SÄTZLICH NICHT, WEDER Arbeit von Klimawissenschaftler*innen deshalb „entmysti- Das Verständnis der Bürger*innen von Wissenschaft und Forschung hat zugenommen. fizieren“, wie er es nennt, und Interessierte virtuell in sein IN INTERVIEWS NOCH AUF Labor mitnehmen. Dafür legt er sich richtig ins Zeug: Er 8 43 44 5 hält Vorträge vor Studierenden und Schüler*innen, er twit- SOZIALEN MEDIEN.“ 16 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 17
SCHWERPUNKT GRAFIK 4 GRAFIK 5 Worüber kommunizieren Sie öffentlich?* DNA-Wahnsinn Was müsste geschehen, damit Wissen KLON- schaftler*innen sich in Zukunft verstärkt in der über meine eigene Forschung *D iese Frage wurde nur den Wissenschaftskommunikation engagieren? Befragten mit Erfahrung in 90 der Wissenschaftskommuni kation gestellt. (n = 4 557) Es müsste mehr Unterstützung innerhalb SCHAF Mehrfachauswahl möglich. über die Forschung anderer in meinem Feld wissenschaftlicher Einrichtungen geben. 52 2 14 51 33 über die Methoden, Prozesse und Werte von Wissenschaft und Forschung wird 41 Es müsste Unterstützung im Krisenfall geben, z. B. bei negativer Berichterstattung, Shitstorms, Drohungen oder Belästigungen. über die gesellschaftlichen Auswirkungen meiner Forschung 37 100 3 15 49 33 über die generelle Bedeutung von Wissenschaft und Forschung in der Gesellschaft Es müsste mehr finanzielle Ressourcen für 33 Wissenschaftskommunikation geben. Jahre 3 18 49 30 ,,Ich habe bis dahin vor allem für Kolleg*innen geschrieben Das ist eine Reaktion, die sich viele Forschende wünschen, Wissenschaftler*innen müssten mehr Ein und finde es sehr schwer, eine Sprache zu finden, mit der ich wenn sie kommunizieren: Sie wollen zeigen, wie es hinter ladungen zu Aktivitäten für Wissenschafts alt! die Öffentlichkeit ansprechen kann“, sagt er. Dann muss er den Labortüren zugeht und vermitteln, wie die Wissen- kommunikation erhalten. schmunzeln: ,,Eine Journalistin bat mich während des Pro- schaft eigentlich arbeitet – und warum sie nicht immer auf gramms, eine kurze Zusammenfassung meiner Arbeit zu alles eine Antwort kennt. 3 21 51 25 schreiben. Sie las die paar Zeilen und sagte: ‚Mir wird das überhaupt nicht klar.‘ Also schrieb ich noch mal und noch ERKENNTNISPROZESSE IN ECHTZEIT Es müsste stärker evaluiert werden, was mal, bis ich den Bogen raus hatte.“ Für seine Posts gewöhnte Die Covid-19-Pandemie hat zu Lerneffekten geführt, Wissenschaftskommunikation bringt. er sich einen anderen Duktus an, er drehte YouTube-Videos meint der Präsident der Humboldt-Stiftung Hans-Chris- mit einer Wissenschaftsjournalistin, und bald darauf mel- tian Pape: „Die Öffentlichkeit wurde Zeugin eines wis- 7 22 46 24 dete sich seine Schwester aus Brasilien: „Wow, endlich habe senschaftlichen Erkenntnisprozesses in Echtzeit mit sei- ich es verstanden“, schrieb sie ihm. „Ich wusste bis jetzt gar nen Vorläufigkeiten und Hypothesen, die vielfach geprüft, Es müsste mehr Möglichkeiten zur Fort- und nicht so genau, woran du eigentlich arbeitest!“ bestätigt oder eben auch widerlegt werden.“ Dass sich wis- Weiterbildung geben. senschaftliche Empfehlungen änderten, etwa zur Verträg- 5 25 47 23 lichkeit von Impfstoffen für bestimmte Altersgruppen, führte teilweise zu Unmut in Bevölkerung und Politik. Wissenschaftskommunikation müsste eine Pape plädiert für einen nüchternen und offenen Umgang größere Bedeutung für die individuelle mit veränderten Faktenlagen: „Wissenschaft ist in unse- Karriere haben. rer arbeitsteiligen Gesellschaft für die Bereitstellung des jeweils besten verfügbaren Wissens verantwortlich. Sie 12 35 34 19 darf dabei nicht so tun, als hätte sie endgültige Lösungen parat, sondern muss sich offen auch zu Ungewissheiten Wissenschaftskommunikation müsste eine bekennen. Sie muss sich hüten vor jeder Art Heilsverspre- größere Rolle bei der Vergabe von Förder chung gegenüber der Gesellschaft – denn das verleitet zu geldern spielen. Selbstüberforderung auf der einen und Hoffnungsüber- forderung auf der anderen Seite.“ 17 34 32 16 SEHNSUCHT NACH LÖSUNGEN stimme überhaupt nicht zu stimme eher zu Doch auch wenn Wissenschaftler*innen bescheiden und stimme eher nicht zu stimme voll und ganz zu realistisch auftreten, treffen sie oft auf große Hoffnungen, die historisch gewachsen sind. „Wissenschaft und Tech- nik waren in den vergangenen Jahrzehnten sehr erfolg- Angaben in Prozent. Abweichungen in der Summe sind reich, das hat die Gesellschaft verwöhnt“, sagt Martin › rundungsbedingt. (n ≥ 5 594) 18 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 19
SCHWERPUNKT Carrier, der Wissenschaftsphilosoph von der Universität MEINUNG Bielefeld: „Für viele Probleme gab es dank der Forschung Forscher sehr schnell auch Lösungen. Da ist es schwierig, mit seinen Erwartungen realistisch zu bleiben, was die Wissenschaft leisten kann.“ Das gelte etwa dann, wenn die versammelte KURZATMIGE WISSENSCHAFT entwickeln Welt plötzlich ratlos vor einem neuartigen Virus steht und auch die Wissenschaft nicht schlagartig Patentrezepte lie- Als Zukunftsdeuterin ist die Wissenschaft gefragt wie nie. Doch halbgare fern kann. Martin Carrier geht in seinen Gedanken zurück Veröffentlichungen untergraben ihren Ruf. Sie selbst muss etwas ändern. NACHHALTIGEN in die Vergangenheit und muss schmunzeln. „Kennen Sie S die Anekdote von Woodrow Wilson?“, fragt er: Der US- Präsident berief während des Ersten Weltkriegs einen Phy- chauplatz ist die größte akute Gesundheits- das sich vielleicht am besten mit dem Kanzlerinnenwort siker in ein Gremium und begründete das mit den legen- krise seit den Weltkriegen: Auf dem Gipfel ihres vom „Neuland“ beschreiben lässt. Die Selbstsicherheit der dären Worten, ,,falls wir mal was rechnen müssen“. Wie viel Geringschätzung gegenüber der Wissenschaft drücke dieser historische Satz aus, sagt Carrier – und wie anders Satelliten Schaffens, bekommen die harten Wissenschaf- Institution jedenfalls ist dahin. Was auch in der Außen- ten plötzlich weiche Knie. Auf einem Berg von wahrnehmung tiefe Spuren hinterlässt. Beispielhaft ist mehr als einer halben Million Publikationen, geschaffen die andauernde Debatte um den Ursprung des Pandemie sei die Situation heute, trotz aller gelegentlich aufflackern- den Wissenschaftsskepsis. „Ich halte es für ein positives Zeichen, dass Wissenschaft in der Öffentlichkeit auf Reak- aus Holz in wenig mehr als einem Jahr, vor sich die Täler einer ent- virus. Seit Beginn der Krise bläst den Forscher*innen bei fesselten Aufmerksamkeitsindustrie, die ihre Held*innen der Frage, ob es ein natürlicher Übergang auf den Men- anscheinend am liebsten stürzen sieht. Die Coronafor- schen oder ein Laborunfall war, der scharfe Wind der Des- tionen stößt.“ schung steht auf schwindeligen Höhen information ins Gesicht. Angefacht von Das zeige schließlich vor allem, dass sie als relevant und steckt zugleich tief in der Klemme. Rechtspopulist*innen in Gesellschaft wahrgenommen wird. Aber nicht nur sie. Die Tragödie ist grö- und Politik, ja, auch von Regierungen ßer. Denn in die Lage, in der sich die mit eiskaltem Kalkül. Eine grundsätz- Wissenschaften auf einmal wieder- lich wissenschaftliche Frage, die hoch- finden, sind sie nicht nur von außen politisch aufgeladen wurde, die sich hineingedrängt worden. Der pas- aber ohne sorgfältige, zeitraubende GRAFIK 6 sende Begriff dafür lautet Sloppy Sci- Untersuchungen nicht beantworten Wie ist Ihre persönliche Sicht auf das Verhältnis von Wissenschaft und Medien? ence. Damit ist hier nicht die schlam- lassen wird. Statt dies anzuerkennen pige, schlechte Forschung gemeint, die und zu vermitteln, lassen sich rund um Medienauftritte von Wissenschaftler*innen stärken die Wissenschaft sie schon immer im Rucksack mit sich den Globus Wissenschaftler*innen in im Ganzen. getragen hat. Vielmehr geht es um die JOACHIM MÜLLER-JUNG Scharen vor den einen oder anderen stimme über Schwächen einer Wissenschaftskultur, leitet das Ressort „Natur Karren spannen. Ein anderes Beispiel: 5 23 53 12 7 haupt nicht zu die in der Großkrise besonders zum und Wissenschaft“ der Fallzahl-Prognosen. In der Öffentlich- Tragen gekommen sind. Um eine Flut Frankfurter Allgemeinen keit ist die Rolle der Expert*innen als Regelmäßig als öffentliche*r Expert*in aufzutreten, bedeutet stimme eher nicht zu von Veröffentlichungen – genauer: Pre- Zeitung. Zukunftsdeuter*innen gefragt wie nie. oft auch, kaum noch selbst zu forschen. prints und Vor-Vorveröffentlichungen Die Wissenschaft hingegen – eine Par- stimme – geht es, die eigentlich noch gar nicht allelwelt voller Skepsis. Evidenz-Ikone 3 19 41 19 18 eher zu öffentlich sein sollten, weil sie oft Unausgegorenes enthal- und Datenspezialist John Ioannidis etwa hat sich früh fest- Der mediale Fokus auf einzelne Wissenschaftler*innen stimme voll ten oder Unbelegtes behaupten. Auch um kurzatmige Dis- gelegt, dass die auf Computermodellen basierenden Vor- schadet dem Zusammenhalt der Wissenschaft insgesamt. und ganz zu kurse geht es, die den experimentellen und damit vorläufi- hersagen des Infektionsgeschehens Müll sind, während gen Charakter jeder Forschung zwar erkennen lassen, aber er selbst das mühsame Geschäft mit lückenhafter Empi- kann ich nicht 10 43 26 11 10 beurteilen nicht über ihre inhärenten Unsicherheiten aufklären, son- rie öffentlichkeitswirksam betreibt. Gleichzeitig lassen dern Verunsicherung schaffen. Und um die schiere Gel- Forscher*innen in hochrangigen Journalen nicht davon ab, Ich fühle mich mit meinem Fachgebiet in den Medien gut vertreten. tungssucht. Kurz: Es geht um Halbgares und Prahlerei, die Prognosemodelle zu verbessern. Dabei ist klar: Schei- Angaben in Prozent. Abweichungen in der die viele inzwischen nach der wahren Krisenkompetenz tern gehört zum Geschäft. Im Moment der globalen Krise Summe sind rundungs 17 45 30 5 4 bedingt. (n ≥ 4 983) der Wissenschaften fragen lassen. Um allzu Menschliches allerdings bekommt diese Selbstverständlichkeit, je länger also, könnte man sagen. sie dauert, den Außenanstrich von Inkompetenz. Vertrauen Wissenschaftler*innen orientieren sich zu stark an medialen Erwartungen. Tatsächlich exponiert sich die Wissenschaft so mitt- erodiert, genau wie das Selbstvertrauen. Vielleicht ist des- lerweile breit über die sogenannten sozialen Medien, die halb den Wissenschaften, allen Wissenschaften zusammen, längst selbst Zweifel an ihrer Sozialverträglichkeit erken- am besten gedient, wenn sie ähnlich wie in der Klimafor- 13 46 21 5 14 nen lassen. Für das nüchterne Selbstverständnis und das schung den wirklich großen Krisen mit einer großen, einer Funktionieren des Wissenschaftsbetriebs ist die Selbst- leicht digital zu vernetzenden Kompetenzagentur entgegen- überschätzung durch Sloppy Science allerdings etwas, treten. Aber das müssten sie schon selbst organisieren. Foto: Frank Röth Quelle aller Grafiken: Wissenschaftskommunikation in Deutschland: Ergebnisse einer Befragung von 5 688 Wissenschaftler*innen an deutschen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen durchgeführt von der Impact Unit von Wissenschaft im Dialog, dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung und dem Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation. 20 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 21
SCHWERPUNKT „MAN KANN ES NICHT KALKULIEREN“ Kommunikationswissenschaftler Hektor Haarkötter im Gespräch über die Regeln der Online-Kommunikation – und darüber, wie man am besten auf einen Shitstorm reagiert. „ PROF. DR. HEKTOR HAARKÖTTER lehrt Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt politische Kommunikation an der Hoch KOSMOS: Herr Haarkötter, gab es so etwas einmal eine Definition gibt, ab wann wir von Welche Lehren ziehen Sie daraus für die Wis schule Bonn-Rhein-Sieg. Der Und wenn man dann doch in einen Shit wie Shitstorms auch schon vor der Erfindung einem Shitstorm reden – sind es 50 sehr nega- senschaft – lieber gar nicht in den sozialen frühere Journalist und storm gerät: stillhalten und warten, dass der Sozialen Medien? tive Kommentare oder müssen es eher 500 000 Medien kommunizieren? H umboldt-Gastgeber ist das Gewitter vorüberzieht? HEKTOR HAARKÖTTER: Sie scheinen mir tat- sein? Was sich meiner persönlichen Meinung Ganz im Gegenteil: Wissenschaftsvermitt- Herausgeber und Autor Nein, genau das auf keinen Fall! Ein Shitstorm sächlich eine Erscheinung der digitalen Welt DIE DIGITALEN nach verändert hat, ist, dass Shitstorms heute lung ist heute wichtiger denn je. Und dazu sind mehrerer wissenschaftlicher kann fatale Konsequenzen juristischer, beruf- zu sein. Sie kamen aber schon vor Facebook, immer öfter von professionellen Akteur*innen natürlich diese digitalen Kanäle ganz hervor- Bücher, etwa „Shitstorms licher und privater Natur haben. Man sollte Twitter und Co. auf, beispielsweise bei Mai- KANÄLE SIND kalkuliert werden – Akteur*innen, die es von ragend geeignet. und andere Nettigkeiten. die Sache auf jeden Fall wieder einfangen: mit linglisten, in denen es bereits rabiate Formen vornherein darauf anlegen, die Kommunika- Über die Grenzen der Kom einer Entschuldigung, wenn man etwas gesagt der Auseinandersetzung gab, die kaskadenhaft ZUR WISSEN tion zu vergiften. Trolle, Boulevardzeitungen, Illustration: Raufeld Medien, Foto: Frank Sonnenberg Können Sie Forschenden ein Rezept an die munikation in Social Media“ hat, mit dem man jemandem zu nahe getre- stattfanden. Genau dieses Kaskadenhafte ist aber auch etwa populistische Parteien versu- Hand geben, mit dessen Hilfe sich Shit (2016) oder jüngst erschie ten ist. Und in allen anderen Fällen mit einer ein wichtiges Kennzeichen von Shitstorms – SCHAFTS chen dadurch, größtmögliche Aufmerksam- storms vermeiden lassen? nen: „Notizzettel. Denken öffentlichen Erklärung – warum also hat man ein Wort gibt das nächste und die Stimmung keit für ihr Thema zu generieren. Aber das Wenn mein ganzes Bestreben darauf hinaus- und S chreiben im 21. Jahr zum Beispiel so gewertet, wie man gewertet heizt sich in unfassbarem Tempo auf. VERMITTLUNG Erstaunliche ist: Man kann es nicht kalkulie- läuft, keinen Shitstorm hervorzurufen, dann hundert“. hat? Im Falle der Wissenschaftskommuni- ren. Manchmal postet man etwas, das man sollte ich mich in den sozialen Medien nur kation erklärt man am besten seine wissen- Ihr Buch über Shitstorms ist 2016 erschie GANZ HERVOR selbst für kontrovers formuliert hält, und es auf Lateinisch oder Altgriechisch äußern. schaftliche Analyse noch einmal, und in der nen. Hat sich das Phänomen seither verän kommt keine einzige Reaktion. Und ein ander- Aber ganz im Ernst: Ich würde raten, so neu- Öffentlichkeit erreicht man damit im Regel- dert – sind Shitstorms häufiger geworden RAGEND mal schreibt man etwas scheinbar Harmlo- tral und so wenig polarisierend wie möglich fall auch diejenigen Adressat*innen, die einen oder radikaler? ses, aber ausgerechnet das bekommt jemand zu kommunizieren – so wie es ohnehin ein nicht absichtlich falsch verstehen wollen. Das lässt sich schwer sagen, weil es ja nicht GEEIGNET. in den falschen Hals. Gebot des guten Benehmens ist. Interview KILIAN KIRCHGESSNER 22 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 23
DEUTSCHLAND IM BLICK SCHWER ERREICHBARE ZIELGRUPPEN Von wegen Aluhut! Kopfbe- DER deckung eines Teilhnehmers einer Querdenker*innendemo in Berlin im Mai 2020 KOMMUNIKATIONS BOOM Politik, Wissenschaft und Medien wollen die Wissenschaftskommunikation verbessern. Neue Ideen und Initiativen haben Konjunktur. Text GEORG SCHOLL W as man als Wissenschaftler*in tun muss, damit die Leute zuhören und einen ver- stehen? Das Rezept hierfür klingt ein- fach. „Tu so, als wärst du mit einem guten Freund zu Besuch in einem Pub, ihr steht am Tre- sen und du erzählst ihm eine Geschichte.“ Das sagt Alok Jha vom Magazin The Economist, einem Aushängeschild des britischen Journalismus. Jha ist Gastjuror beim Humboldt Communication Lab, einer Veranstaltungsreihe, bei der Wissenschaftler*innen und Journalist*innen aus den Netzwerken der Humboldt- Stiftung und des Internationalen Journalisten-Programms „ zusammenkommen, um voneinander zu lernen. Dabei ent- stehen in mehrtägiger Tandemarbeit journalistische Stücke über die eigene Forschung. Am letzten Tag wird es ernst und die Teams stellen ihre Projekte vor. Alok gibt Feed- back. Vieles gefällt ihm schon richtig gut. Manches begeis- tert ihn. Doch immer hat er auch Nachfragen, versteht etwas nicht, gibt Tipps, wie sich etwas verbessern ließe. SO REDET MAN EIGENTLICH NICHT ALS FORSCHER*IN gute Wissenschaftskommunikation aus? Gegenseitiges noch hapert es auch in Deutschland an einer breiten Kom- Gerade das Bild vom Pubbesuch ist für viele Wissen TU SO, ALS WÄRST DU Lernen steht im Zentrum des Communication Lab for munikationsqualifikation im Wissenschaftsbetrieb und schaftler*innen ein Augenöffner. Sich auf wenige Aussa- Exchange between Research and Media, das die Hum- schlüssigen Antworten auf die Herausforderungen der gen oder sogar nur eine einzige konzentrieren, alles andere MIT EINEM GUTEN boldt-Stiftung 2020 mit Mitteln des Auswärtigen Amts ins sozialen Medien und den Medienwandel, der Redaktionen weglassen, die eigene Forschung als Geschichte erzählen, Leben gerufen hat. Solche Angebote sind Teil eines aktu- ausgedünnt und den Wissenschaftsjournalismus massiv am besten noch mit sich selbst als Person im Mittelpunkt. FREUND ZU BESUCH ellen Booms rund um das Thema Wissenschaftskommu- geschwächt hat. So arbeitet man als Wissenschaftler*in eigentlich nicht. nikation in Deutschland. Die Vorgeschichte begann frei- Es wurde also Zeit für neue Konzepte und Initiativen. IN EINEM PUB, IHR Foto: Getty Images / Sean Gallup Und umgekehrt wird auch den meisten Journalist*innen, lich schon vor 25 Jahren. Damals fanden sich Akteur*innen Dazu zählen neben einer Vielzahl von K onferenzen und von denen die wenigsten auf Wissenschaft spezialisiert aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zu einer ersten Aufsätzen ein 10-Punkte-Plan der Allianz der Wissen sind, klar, wie speziell Forschende ticken und wie schwierig STEHT AM TRESEN Initiative zusammen und verabschiedeten das Memoran- schaftsorganisationen Deutschlands, zu der auch die es oft ist, Texte über ihre komplexe Arbeit so zu verdichten, dum „Public Understanding of Sciences and Humani- Humboldt-Stiftung gehört, sowie die #FactoryWisskomm, dass sie für Lai*innen interessant und verständlich sind. UND DU ERZÄHLST ties“, das für mehr, professionellere und vor allem stärker eine Denkwerkstatt des Bundesfors chungsm inister i Welche Erwartungen gibt es aneinander? Wie gelingt auf einen Dialog setzende Wissenschaftskommunikation ums. Die brachte 2021 wohl alle Akteur*innen, die in eine vertrauensvolle Zusammenarbeit? Und was macht IHM EINE GESCHICHTE.“ sorgen sollte. Vieles wurde seither erreicht. Doch immer Deutschland zum Thema etwas z u sagen haben, zur › 24 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 25
DEUTSCHLAND IM BLICK iskussion und Erarbeitung von Empfehlungen an D Drostens Credo ist Transparenz. Das gilt gerade auch bei zu heißen und gesellschaftlich kontroversen Themen ein- WISSENSCHAFT UND MEDIEN einen Tisch, von Wissenschaftsjournalist*innen über unklaren Lagen, in denen man sich im Zweifel auf die lässt, braucht neben Kompetenz vor allem Zeit, die nicht IM DIALOG Vertreter*innen von Stiftungen und Förderorganisatio- eigene oder die in Gremien versammelte Berufserfahrung jede*r investieren will oder kann. Auch haben nicht alle Das Humboldt Communication nen wie der Humboldt-Stiftung bis hin zu Universitäten verlassen müsse. „Dann müssen wir sagen, auch wenn wir das nötige Talent. So ist in der Wissenschaft immer wie- Lab for Exchange between und Kommunikationsforscher*innen. im Moment keine Evidenz haben, schätzen wir die Lage der die Sorge vor einem Zwang zur Kommunikation laut Research and Media Natürlich standen die Diskussionen unter dem Ein- so und so ein.“ geworden. Lieber sollte man gezielt diejenigen stärken und www.humboldt-foundation.de/ druck der aktuellen Pandemie, die dem Thema eine zusätz- sprechen lassen, die gut darin sind und sich für die Auf- comlab liche Brisanz gegeben hat. So erhielt etwa der Berliner VERSTÄNDNISLOSE POLITIK gabe begeistern. Virologe Christian Drosten, gewissermaßen der wissen- Solche Vorläufigkeiten sorgten während der Pandemie wie- Viele Ideen zur Stärkung der Wissenschaftskommuni 10-PUNKTE-PLAN schaftliche Cheferklärer der Pandemie und zurzeit wohl derholt für Verständnislosigkeit – auch bei Politiker*innen, kation sind nun im Gespräch, allen voran Schulungsange Empfehlungen der Allianz der „ der bekannteste Forscher in Deutschland, Morddrohun- die sich teilweise öffentlich über das Hin und Her der bote, um die Kommunikationskompetenz von Wissen Wissenschaftsorganisation für gen. Auf das Robert Koch-Institut – ebenfalls seit Beginn Wissenschaft beklagten. Wenig hilfreich waren in diesem schaftler*innen zu stärken. Die Anerkennungskultur für eine bessere Wissenschafts Zusammenhang Medien, die in einer falschen Ausgewo- Kommunikationsleistungen im deutschen Wissenschafts- kommunikation genheit unterschiedliche Stimmen aus der Wissenschaft system soll verbessert werden. Eine öffentliche Stiftung www.humboldt-foundation.de/ wie gleichberechtigt nebeneinander stellten, ohne zwi- könnte qualifizierten Wissenschaftsjournalismus vor allianz-wisskomm-10-punkte- schen breitem wissenschaftlichem Konsens auf der einen allem auf regionaler Ebene fördern. Defence Units an deut- plan und einer Mindermeinung auf der anderen Seite zu unter- schen Universitäten und Forschungseinrichtungen könn- scheiden. Der Eindruck bei den Rezipient*innen: Die Wis- ten Wissenschaftler*innen unterstützen, wenn sie Ziel von WISSENSCHAFTS senschaft ist zerstritten. In den Medien müsse dringend Anfeindungen werden. Die Wirksamkeit von Kommuni- KOMMUNIKATION KOMPAKT eine Nachbetrachtung und Selbstreflektion zur Kommu- kationsmaßnahmen bei verschiedenen Zielgruppen soll Die Internationale Summer DIE CORONAZEIT nikation während der Pandemie stattfinden, mahnt des- besser erforscht werden, auch um Ressourcen besser ein- School „Communicating halb Drosten. zusetzen. Denn zusätzliche und neue Maßnahmen wer- Science“ KANN BISHER ABER Unterm Strich kann die Coronazeit bisher aber auch als den Geld kosten, das womöglich anderswo eingespart www.humboldt-foundation.de/ eine Erfolgsgeschichte gelesen werden, die durchaus Mut werden muss. communicating-science AUCH ALS EINE macht. So dürfte die Scientific Literacy der Bevölkerung einen gewaltigen Sprung gemacht haben. Es scheint, die IM GESPINST DER VERSCHWÖRUNGS ERFOLGSGESCHICHTE Deutschen sind zu einem Volk von Expert*innen für Infek- MYTHEN tionsforschung geworden. Begriffe wie R-Wert und Inzi- Die Wirkungsforschung ist auch deshalb wichtig, weil es GELESEN WERDEN.“ denz, Vektor- und mRNA-Impfstoffe sind in aller Munde. nach vielen Jahren Wissenschaftskommunikation Zweifel Man kennt sich aus mit den Schwierigkeiten, das Infek- gibt, ob und wie man an diejenigen herankommt, die auf tionsgeschehen zu modellieren und kann souverän die wissenschaftliche Fakten pfeifen. Wie also beispielsweise Namen der unterschiedlichen gerade kursierenden Virus- in die Echokammern von Klimawandelleugner*innen hin- varianten unterscheiden. Der erwähnte Podcast Christian eindringen? Auf Leute, die es genauer wissen wollen, treffen Wissen der Coronazeit in deutschen Medien sehr präsent durch die Drostens, der inzwischen im wöchentlichen Wechsel mit Die Wunderwaffe der Wissenschaftskommunikation, schaftler*innen, die mehr und besser erklären wollen. beinahe tägliche Kommunikation der Infektionszahlen – der Frankfurter Virologin Sandra Ciesek aufgenommen die auch die erreicht, die sich ganz tief ins Gespinst der Hierauf deuten die Ergebnisse einer kürzlich durchgeführ- gab es einen Brandanschlag. Auch die wichtigste deutsche wird, wurde bislang über 100 Millionen Mal abgerufen. Die Verschwörungsmythen zurückgezogen haben, wurde noch ten Online-Umfrage des Deutschen Zentrums für Hoch- Wissenschaftsakademie, die Leopoldina in Halle, wurde Hörer*innen nehmen sich für jede Folge rund eine Stunde nicht gefunden. Doch aufgeben gilt nicht, meint die mit schul- und Wissenschaftsforschung, des Nationalen Ins- bedroht und von Hacker*innen attackiert. Zeit, um wissenschaftliche Details erklärt zu bekommen ihrem YouTube-Kanal maiLab in Deutschland erfolgreiche tituts für Wissenschaftskommunikation und der Impact In dieser Situation überlegt man es sich als Wissen und zu erfahren, wie wissenschaftliche Erkenntnispro- Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim. Wissen- Unit von Wissenschaft im Dialog hin. 80 Prozent der rund schaftler*in dann doch, wem man im Pub eine Geschichte zesse ablaufen. schaft müsse sich einmischen, sagt die promovierte Chemi- 5 700 befragten Wissenschaftler*innen an deutschen Uni- erzählt. Wer weiß, ob nicht am Ende eine wüste Kneipen- Doch die Coronapandemie hat auch die Skeptiker*innen kerin zum Abschluss der #FactoryWisskomm. Sonst über- versitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtun- schlägerei daraus entsteht. sichtbarer gemacht. Die Leugner*innen des Klimawan- lasse sie denen das Feld, die Wissenschaft verdrehen und gen stimmten der Aussage zu, dass ihnen die Kommunika- Christian Drosten, der unter anderem in einem viel- dels sind nicht verschwunden. Sie wurden nur über- für politische und ideologische Zwecke instrumentalisie- tion Spaß mache und eine Arbeitsbereicherung darstelle. gehörten Podcast regelmäßig neueste Forschungser- tönt von jenen, die gegen das Maskentragen und Imp- ren. Mit ihrem Kanal, den auf YouTube mehr als 1,3 Mil- Und 91 Prozent der Befragten meinen, Wissenschaftskom- kenntnisse zum Coronavirus und zu Entwicklungen der fen Protest schlagen. Die Gruppe solcher selbsternannten lionen Personen abonniert haben, hat sie ein Rezept ent- munikation solle zum Ziel haben, die wissenschaftsbasierte Coronapandemie erklärt, lässt sich nicht einschüchtern „Querdenker*innen“ wittert großangelegte Verschwörun- wickelt, das auch bei Wissenschaftsskeptiker*innen Erfolg Entscheidungsfindung in der Gesellschaft zu stärken. und begreift Wissenschaftskommunikation als Teil seiner gen des „Systems“, zu dem aus ihrer Sicht nicht nur der haben könnte. „Verschwörungstheorien, die Wissenschaft Nach eineinhalb Jahren Pandemie lassen sich positive Aufgaben. Doch er hat Verständnis für eine gewisse Kon- Staat, sondern auch Medien und eben weite Teile der Wis- verdrehen, gehen oft erstaunlich tief ins Detail, auch wenn Trends für die Wissenschaftskommunikation erkennen – taktscheu mancher Kolleg*innen im Umgang mit Wissen- senschaft gehören. die Details falsch sind“, hat sie beobachtet. „Der Eindruck trotz aller strukturellen und individuellen Herausforde- schaftsthemen, die öffentlich kontrovers sind oder wer- Wissenschaftliche Expertise und Wissenschaftskom- bei Laien ist positiv: Hier nimmt sich jemand Zeit und geht rungen. Schließlich haben alle Beteiligten viel gelernt: den könnten. „Mit öffentlichen Reflexen umzugehen, sind munikation spielen vor diesem Hintergrund auch eine in die Tiefe, während anderswo immer mehr verkürzt wird. Die Öffentlichkeit darüber, wie Wissenschaft arbeitet, die meisten Wissenschaftler*innen nicht gewohnt. Das ist Rolle für den sozialen Zusammenhalt und den Umgang Unsere Erfahrung ist: Wenn wir hineingehen in Metho- die Wissenschaft, worauf sie bei der Kommunikation mit nicht Teil ihrer Ausbildung, auch nicht Teil ihrer Alltags mit politischen Extremen. Das ist viel zusätzliche Verant- den, in Statistik, in Konfidenzintervalle einsteigen, wird der Öffentlichkeit achten muss und schließlich die Politik erfahrung“, sagt er bei der Abschlussveranstaltung der wortung für die Wissenschaft, von der sich manche*r über- das gut aufgenommen. Die Leute wollen es genau wissen. und die Medien, wie sie mit Unsicherheiten und Minder- #FactoryWisskomm. fordert fühlt. Wer sich auf die Kommunikation, besonders Und nur so hat man am Ende die besseren Argumente.“ meinungen in der Forschung besser umgehen können. 26 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 27
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