Digital verbunden Formen politischer Partizipation von Jugendlichen in Niederösterreich - Momentum Quarterly
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ZEITSCHRIFT FÜR SOZIALEN FORTSCHRITT 2021 | Vol. 10, No. 2, p. 66-84 / Digital verbunden Formen politischer Partizipation von Jugendlichen in Niederösterreich Edma Ajanović*, Katharina Fritsch** und Florian Zahorka*** Zusammenfassung Dieser Artikel analysiert vor dem Hintergrund post-fordistischer Transformationen und der wenigen Studien zu Österreich das Verhältnis digitaler Formen politischer Beteiligung und traditioneller Formen politischer und medialer Repräsentationen von Jugendlichen. Unsere Fragestellung untersuchen wir aus frameanalytischer Perspektive und greifen auf Daten zurück, die wir im Zuge einer Medienanalyse und partizipativen Ethnografie rund um die Gemein- deratswahl 2020 in Niederösterreich erhoben haben. Wir erörtern (Selbst-)Repräsentationen und Formen der Partizi- pation von Jugendlichen entlang von drei Dimensionen: Jugend und Lokalpolitik, Jugend und Klima und Jugend als digitale Akteur*innen. Dabei zeigen wir, dass politische Praktiken von Jugendlichen vornehmlich von latenten Formen der Beteiligung – offline und online – geprägt sind und streichen die Rolle von Memes als digitale Praktik hervor. Unser Artikel leistet einen Beitrag zur Frage, wie Öffentlichkeit im Zeitalter digitaler Plattformen entsteht und wie junge Menschen dazu beitragen. Dabei verweisen unsere Ergebnisse vor allem auf die viel besprochene Tendenz einer Individualisierung politischer Beteiligung im Kontext von Digitalisierung. Schlagwörter: politische Partizipation, Jugendliche, politische Repräsentation, Digitalisierung, Medien Digitally connected. Forms of political participation by young people in Lower Austria Abstract Against the background of post-Fordist transformations and the few studies that provide information about the situa- tion in Austria, in this article we analyze the relationship between digital forms of political participation and traditio- nal forms of political and media representations of youth. We explore our question from a frame-analytic perspective, drawing on data we collected through a media analysis and participatory ethnography in the context of the municipal elections 2020 in Lower Austria. We discuss (self-)representations and youth political participation along three dimen- sions: Youth and local politics, youth and climate, and youth as digital actors. In this regard, we show that youth’s political practices are predominantly shaped by latent forms of participation – offline and online – highlighting the role of memes as digital practice. Our article contributes to the question of how public spheres are created in the age of digital platforms and how young people contribute to them. Based on our findings we emphasize the much-discussed tendency of an individualization of political participation in the context of digitalization. Keywords: political participation, youth, political representation, digitalization, media * Edma Ajanović, Donau-Universität Krems, Department für Europapolitik und Demokratieforschung, Dr.-Karl-Dorrek-Straße 30, 3500 Krems, T: + 43 2732 893-2766, E-Mail: edma.ajanovic@donau-uni.ac.at ** Katharina Fritsch, Donau-Universität Krems, Department für Europapolitik und Demokratieforschung Dr.-Karl-Dorrek-Straße 30, 3500 Krems, T: + 43 2732 893-2765, E-Mail: katharina.fritsch@donau-uni.ac.at *** Florian Zahorka, FH St. Pölten, Ilse Artl Institut für Soziale Inklusionsforschung, Herzogenburger Straße 68, 3100 St. Pölten, T: +43 676 847 228 552, E-Mail: florian.zahorka@fhstp.ac.at Die Autor*innen danken den Projektkolleg*innen Astrid Ebner-Zarl und Christoph Ebner, die bei der Aufarbeitung und Analyse der Daten der ethnografischen Studie im Rahmen des Projektes „Digitalizing Youth Politics“ mitgewirkt haben. Die Autor*innen bedanken sich weiters für die finanzielle Unterstützung der Gesellschaft für Forschungsförderung Niederösterreich m.b.H und der Landesregierung Niederösterreichs durch die Sience Calls (Forschungsprojekt Digitalizing Youth Politics, FTI18-001). 2021 | | Innsbruck Momentum Quarterly I ISSN 2226-5538 I momentum-quarterly.org momentum-quarterly.org Vol. 10, No 2 I DOI 10.15203/momentumquarterly.vol10.no2.p66-84 Beiträge in Momentum Quarterly stehen unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International.
Ajanović, Fritsch, Zahorka:Digitally connected. Forms of political participation by young people in Lower Austria 1. Problemaufriss: apolitische Jugend? politischer Beteiligung werden digitale Formen der Beteiligung auch als Hoffnung gesehen, die politische Im öffentlichen Diskurs wird die Partizipation von Interaktion zu revolutionieren bzw. die Möglichkeiten Jugendlichen an demokratischen Prozessen sehr oft der Bürger*innen-Beteiligung zu steigern (Gruber 2017; etwas pauschalisiert als nicht vorhanden oder mangel- Van Kesse/Castelein 2016). In diesem Zusammenhang haft betrachtet. Dabei wird ihnen Interessenslosigkeit, müssen wir schließlich davon ausgehen, dass sich die fehlende Reife und das Nicht-Einfügen in klassische Form der Beteiligung der Jugendlichen verändert, Rollenbilder zugeschrieben (Farin 2020: 131). Der etwas werden doch gerade sie als Digital Natives bezeichnet negative Eindruck entsteht, so argumentieren wir, nicht (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest zuletzt weil politisches Engagement häufig mit traditi- 2019). onellen Partizipationsformen wie der Tätigkeit in einer Vor dem Hintergrund dieser Transformationen Partei bzw. einer politischen Vorfeldorganisation, der der politischen Partizipation und der wenigen Studien, Teilnahme an Wahlen oder dem Engagement im Rahmen die Aufschluss über die Situation in Österreich geben, von Interessensvertretungen (Schulsprecher*in, stellen wir uns in diesem Beitrag die Frage nach dem Jahrgangsvertreter*in, Gewerkschafter*in) assoziiert Verhältnis digitaler Formen politischer Beteiligung wird. Diese formalisierte kollektive politische Teilhabe, und traditioneller Formen politischer und medialer wie beispielsweise die Parteimitgliedschaft, ist auch Repräsentationen. Wir gehen der Frage nach, inwiefern tatsächlich bei den Jugendlichen nicht beliebt. Nur 8 % Jugendliche als politische Akteur*innen in traditionel- der befragten Jugendlichen gab 2005 in einer in Öster- len Medien und formeller Politik wahrgenommen und reich durchgeführten Studie an, für eine Partei aktiv repräsentiert werden, wie sie sich selbst repräsentieren gewesen zu sein und nur 4 % waren Mitglieder eines und welche Rolle dabei digitale Praktiken spielen. Dafür Betriebsrates (SORA 2005: 46). Allerdings ist eben fokussieren wir auf eine Politikebene, die in Bezug auf diese formale Form der politischen Partizipation nicht politische Beteiligung von Jugendlichen unterreprä- nur unter Jugendlichen gering, sondern allgemein im sentiert ist, nämlich jene der Lokalpolitik. Am Beispiel post-fordistischen Österreich am Abnehmen (Ulram der Gemeinderatswahlen 2020 (GRW) in Niederöster- 2006: 515). Bei Wahlen hingegen sind junge Menschen reich und auf der Basis einer partizipativ gestalteten und auch Erstwähler*innen in Österreich dennoch sehr Ethnografie sowie einer Medienanalyse analysieren engagiert. So lag ihre Beteiligung im Jahr 2008, als zum wir Repräsentationen und Formen der Partizipation ersten Mal auch 16-Jährige bei Nationalratswahlen teil- von Jugendlichen. Beides gibt uns Hinweise darauf, nehmen konnten, bei ca. 80 % und im Jahr 2017 sogar wie Öffentlichkeit im Zeitalter digitaler Plattformen bei 90 % (Kritzinger et al. 2018: 39). entsteht und wie junge Menschen dazu beitragen. Die Die Literatur argumentiert daher zunehmend, dass Jugendlichen in unserer Studie besuchten hauptsächlich junge Menschen durchaus an Politik teilhaben, doch Gymnasien dh. gehören mehrheitlich einer höheren dass sie mit neuen, oder sogenannten latenten Formen Bildungsschicht an, weswegen unsere Ergebnisse geben politischer Partizipation (Ekman/Amnå 2012: 292) und also nur einen selektiven Einblick geben. Dennoch auch digitalen Methoden eine Trendwende fortsetzen zeigen wir, dass die digitale Sphäre für Jugendliche (Soler-i-Martí 2015: 408). Neben der Beteiligung an eine wichtige Plattform ist, allerdings in erster Linie Wahlen spielen sogenannte „cause-oriented reper- als Raum für Informationsbeschaffung und Diskussion toires“ (Norris 2004) eine Rolle. Dies bedeutet, dass sich untereinander genutzt wird – weniger also, um nach politische Beteiligung stärker an spezifischen Anliegen außen zu treten. Dabei spielen Memes – verschiedene orientiert, wodurch sich Jugendliche über Konsum- Ausprägungen der Informationsübermittlung im Inter- Entscheidungen, Petitionen, Online-Aufrufe, Online- net als Bild, Bild mit Text, animiertes Bild oder Video Sharing oder Demonstrationen und weniger entlang (Denisova 2019: 9) – auch für politische Anliegen eine traditioneller Formen politischer Beteiligung politi- wichtige Rolle. Anhand unserer Ergebnisse zeigt sich sieren. Die unter letztere Kategorie fallende Parteimit- demnach die viel besprochene Tendenz einer Individu- gliedschaft oder Wahlbeteiligung ist gerade für unseren alisierung und Ökonomisierung politischer Beteiligung Kontext der Gemeinderatswahl von Bedeutung, denn es im Kontext von Digitalisierung, die nicht zuletzt auch stellt sich die Frage nach der Beteiligung von Jugend- als ein Resultat der Unterrepräsentation von Jugendli- 67 lichen an dieser und der Relevanz dieser Wahlen für chen als politische Akteur*innen verstanden werden ihre Lebenswelten. Neben den traditionellen Praktiken kann. momentum-quarterly.org
Ajanović, Fritsch, Zahorka: Digital verbunden. Formen politischer Partizipation von Jugendlichen in Niederösterreich Tabelle 1: Politische Partizipation Civil participation (latent political participation) Manifest political participation Activism (extra-parliamentary participation) Involvement (attention) Civic engagement (action) Formal political participation Legal Illegal Individual forms Extra-parliamentary forms of participation: to Personal interest in politics and Activities based on personal make once voice heard Politically motivated societal issues Electoral participation and interest in and attention to or to make a difference unlawful acts on an Attentiveness to political contact activities politics and societal issues by individual means (e.g. individual basis issues signing petitions, political consumption) Collective forms A sense of belonging to a Voluntary work to improve Organized political participa- Loosely organized Illegal and violent group or a collective with a conditions in the local tion: membership in conven- forms or network-based activities and protests: distinct political profile agenda community, for charity, or to tional political parties, trade political participation: riots, squatting buildings, Lifestyle related politics (e.g. help others (outside the own unions and organisations new social movements, damaging property, con- identity, clothes, music, food, family and circle of friends) demonstrations, strikes, frontations with the police values) and protests or political opponents Quelle: Ekman/Amnå 2012: 292 2. Politische Partizipation im Wandel dern auch weniger oft wählen gehen (Franklin et al. 2004). Auch wenn es keine Langzeitstudien zur Wahl- Post-fordistische Gesellschaften erleben einen Wandel beteiligung von Jugendlichen in Österreich gibt, lässt in der politischen Partizipation ihrer Bürger*innen, sich zumindest sagen, dass diese in den vergangenen nämlich einen Rückgang von sogenannten formalen Jahren in Österreich durchaus hoch war/ist. So lag oder manifesten Formen der politischen Beteiligung die Wahlbeteiligung von Jugendlichen im Jahr 2008, zugunsten von informellen oder latenten Formen. Wir als zum ersten Mal auch 16-Jährige an Nationalrats- orientieren uns bei der Unterscheidung der Formen wahlen teilnehmen konnten, bei ca. 80 % und im Jahr an Joakim Ekmans und Erik Amnås Typologisierung 2017 sogar bei 90 % (Kritzinger et al. 2018: 39). Weiter (Tabelle 1), die sich grob in latente (unkonventionelle) schließen sich Jugendliche sozialen Bewegungen an und manifeste (konventionelle) Formen der politischen und beteiligen sich an gezielten „causes“ (Norris 2004: Partizipation unterteilen lässt. Manifeste politische 4), auch als „lifestyle related politics“, wie Kleidungsstil, Beteiligungsformen inkludieren formales politisches Ernährungspräferenzen etc. (Ekman/Amnå 2012: 292) Verhalten (z. B. Wahlen sowie Protest oder außerpar- oder „user and consumer participation“ (Loncle/Cuco- lamentarisches politisches Handeln), während latente nato 2012: 6) bezeichnet. Nicht zuletzt zeigt sich dies Formen weniger direkt sind und eher auf politische an der Resonanz, auf die die Fridays-for-Future-Bewe- Aufmerksamkeit, zivilgesellschaftliches Engagement gung (FFF) auch in Österreich gestoßen ist (Daniel et bzw. Anliegen-orientiertes Konsument*innenverhalten al. 2020: 372).1 abzielen (Ekman/Amnå 2012: 292). Dies entspricht Diese sogenannte anlassbezogene Beteiligung ist einem allgemeineren Trend, dass auch kollektive in einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel Formen der politischen Beteiligung (z. B. Parteimit- gliedschaften) in Österreich (Ulram 2006: 514) bzw. 1 Die FFF soll hier keinesfalls auf einen Trend redu- anderswo auch am Abnehmen sind (Siaroff 2009). ziert werden. Jedoch ist nicht zu leugnen, dass das große Zur besseren Veranschaulichung zeigt Tabelle 1 ver- Mobilisierungspotenzial derzeitiger sozialer Bewegungen schiedene Aspekte latenter und formeller manifester gerade bei jüngeren Generationen stark ein Effekt sozialer politischer Partizipation, die jeweils individuelle und Medien ist. Hier soll auch darauf hingewiesen werden, dass die FFF nicht alle Jugendlichen gleichermaßen mobilisiert, 68 kollektive Formen annehmen können. sondern tendenziell Personen aus der Mittelklasse und Mehr- Es zeigt sich, dass sich insbesondere Jugendliche heitsgesellschaft (Daniel et al. 2020: 372; Sommer et al. 2019: weniger oft Parteien anschließen oder in einigen Län- 13). Zeitschrift für Sozialen Fortschritt · Journal for Societal Progress ///// 2021 | Vol. 10 (2)
Ajanović, Fritsch, Zahorka:Digitally connected. Forms of political participation by young people in Lower Austria eingebettet, der kollektive Formen politischer Beteili- tische Prozesse. Die Frage der jugendlichen (Nicht-) gung (z. B. Gewerkschaften, Parteimitgliedschaften) Repräsentation und Partizipation kann sich schließlich zurückdrängt und die Ökonomisierung des Politi- auch langfristig auf demokratische Prozesse auswirken schen in den Vordergrund stellt (Brown 2017; Loncle/ (Ohme et al. 2020: 888). Loncle und Cuconato (2012: Cuconato 2012: 9). Nachdem besonders Jugendliche 3) weisen dabei auf eine Legitimationskrise demokrati- mit einer zunehmend unsicheren Lebensplanung und scher Staaten hin: „[It] represents a political challenge. Employability-Steigerung konfrontiert sind, befinden If young people do not behave as active citizens in these sie sich permanent in einem Prozess der Anpassung areas, it damages the political legitimacy of these insti- (May 2017: 45). Sie sind zudem öfter damit beschäftigt, tutions.“ Der mehrheitlich von Älteren durchgeführte sich für einen Job individuell zu qualifizieren und zu Leave-Vote bei der Brexit-Abstimmung in Großbritan- positionieren (Ohme et al. 2020: 888). Es kann also nien ist hier nur ein Beispiel für die Folgen. durchaus eine Veränderung konstatiert werden, die Studien zeigen weiters, dass sich junge gleichzeitig mehr Individualisierung mit sich bringt, Wähler*innen auch deswegen von der formalen Politik aber auch neue bzw. temporäre Formen des Kollekti- entfernen, weil sie sich nicht ernst genommen fühlen ven ermöglicht (Soler-i-Martí 2015: 398). Auch wenn und auch ihre Themen nicht repräsentiert sehen (Cam- sich also der Trend weg von formalen Mitgliedschaften maerts et al. 2014). Global gesehen, sind über 60-Jäh- in Parteien oder Gewerkschaften bewegt, lassen sich rige und ältere drei- bis fünfmal so viel durch ihre Jugendliche nicht als ‚apolitisch‘ bezeichnen. Jugendli- Altersklasse in den Parlamenten repräsentiert als Jün- che partizipieren vielmehr auf andere Weise. gere bzw. insbesondere 18- bis 35-Jährige (Stockemer/ Dennoch bringt dieser Trend auch Herausforde- Sundström 2018: 470). Untersuchungen aus GB und rungen für repräsentative Demokratien, insbesondere den USA zeigen, dass auch die Repräsentation oder in Gesellschaften, in denen die Älteren zahlenmäßig eher der Mangel derselben bzw. Misrepräsentationen die jüngere Generation überholen. Wenn sich nur in Medien und der Politik ihren Beitrag zur Abkapse- wenige der jungen Wähler*innen oder Bürger*innen lung der Jugendlichen von Politik leisten (Henderson an formalen politischen Prozessen beteiligen, so ist die 2014: 149; Levinsen/Wien 2011: 841). Insbesondere in Chance groß, dass sie überstimmt werden bei Fragen, den angeführten Länderkontexten werden Jugendliche die eigentlich ihre Zukunft bestimmen (Ohme et al. hauptsächlich als Kriminelle und Problemauslöser in 2020), wie dies z. B. beim Brexit-Referendum in Groß- den Medien dargestellt (Levinsen/Wien 2011: 838). Stu- britannien der Fall war. Nachdem nur ca. 64 % der dien über die Repräsentation von Jugendlichen in öster- 18- bis 24-Jährigen abstimmen gingen, war es möglich, reichischen Medien gibt es nicht. Allerdings ist darauf dass sich wegen dem geringen „turnout“ der Jüngeren hinzuweisen, dass die Corona-Pandemie langjährige die (über) 65-Jährigen durchsetzten. Die Mehrheit in stereotypisierende und rassistische Darstellungen eth- dieser Altersgruppe, 61 %, kreuzte nämlich „leave“ nisierter und rassisierter Jugendlicher im öffentlichen an, während die Mehrheit der Jüngeren für „remain“ Diskurs als ‚Problemfälle‘ verschärft hat und weiterhin stimmte (Finlay et al. 2019: 19). Dazu kommt, dass verschärft (SOS Mitmensch 2021: 64f., 76, 86f.). Vor die meisten Jugendlichen, also die unter 18-Jährigen, diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, gar nicht formal an Wahlen partizipieren können, dass problematische Darstellungen von Jugendlichen, z. B. eben nicht an der Brexit-Abstimmung teilnehmen vor allem marginalisierter, zur Disidentifikation dersel- konnten. Österreich stellt hier eine seltene Ausnahme ben mit dem öffentlichen Diskurs führen und infolge- in der EU und global dar, da hier 16-Jährige seit 2007 dessen auch zu verringertem Interesse, sich an diesem bei der Nationalratswahl wählen dürfen (Seleman (politisch) zu beteiligen. 2018). Negative oder fehlende Berichterstattung und Demnach stellt sich auch die Frage, ob die fehlende Repräsentation führt also nicht nur dazu, dass das Möglichkeit zur frühen Teilhabe den Trend zur Abkehr öffentliche Bild der apolitischen oder problematischen verstärkt. Der Trend zur Abkehr von formalen Formen Jugend reproduziert wird, sondern auch, dass die der politischen Partizipation ist also einerseits eine Motivation sich ‚nach den Regeln‘ der älteren Genera- Frage der Möglichkeit (z. B. Wahlrecht variiert je nach tion zu beteiligen klarerweise schwindet und sie eher Alter, aber auch Staatsbürger*innenschaft), andererseits neue Formen für sich suchen und gefunden haben. 69 auch eine Frage der Repräsentation von Jugendlichen Jugendliche greifen daher eher auf neuere Wege der durch Politik und Medien – mit Folgen für demokra- Beteiligung, die durchaus auch als individualisiert ver- momentum-quarterly.org
Ajanović, Fritsch, Zahorka: Digital verbunden. Formen politischer Partizipation von Jugendlichen in Niederösterreich standen werden können, zurück. Dabei steigt die Nut- 25f.). Handeln – oder Agency – im digitalen Raum ist zung digitaler Tools, die auch wiederum die Teilhabe hierbei vielfältig und reicht vom Konsumieren, Liken der Jugendlichen prägt und verändert, wie wir dies im und Sharen von Inhalten bis hin zur aktiven (Mit-) nächsten Abschnitt entlang des Forschungsstands zu Gestaltung (Mihailidis/Thevenin 2013). Der Übergang Digitalisierung und Partizipation von Jugendlichen von Konsument*in zu Produzent*in ist bei digitalen diskutieren. Praktiken oft fließend, einen Umstand, den Toffler (1990) schon in den Neunzigerjahren mit dem Begriff 2.1. Digitalisierung als Chance? „pro-sumer“ beschrieb. Die Rolle der Prosumer*innen verdeutlicht zum einen eine Abkehr von passiven Digitalisierungsprozesse prägen seit geraumer Zeit Konsument*innen in der digitalen Öffentlichkeit. Es gesellschaftliche Transformationsprozesse. Internet- geht darum, die digitale Sphäre auch als Artikulations- foren, (Video-)Blogs und soziale Netzwerke werden raum eigener Standpunkte zu nützen, vornehmlich im immer mehr als Möglichkeiten gesehen, die Diskussion Zuge sozialer Netzwerke, wie dies eine Studie der AK zu über und Beteiligung an Politik zu stärken (Dahlberg Wiener Jugendlichen verdeutlicht (Ikrath/Speckmayr 2011: 859). Es wird auch deutlich, dass das Internet 2016: 66f.). Zum anderen bleibt eine starke Konsumori- immer mehr an Bedeutung als ein öffentlicher Raum entierung auch im digitalen Verhalten bei Jugendlichen für Bürger*innen und ihre Repräsentant*innen gewinnt erhalten. Gegenwärtig ist ein Fokus von Internetplatt- (Ausserhofer/Maireder 2013; Rasmussen 2014). Auf formen für Konsum (Dahlberg 2011) und Unterhal- internationaler Ebene und EU-Ebene (Enli 2017; Lilleker tungszwecke anstatt zur Informationsbeschaffung und u. a. 2017; Larsson 2017; López-Meri et al. 2017) sowie demokratischen Partizipation zu beobachten. So macht für Österreich (Dolezal 2015; Liebhart/Bernhardt 2017; nur die Hälfte der über 16-Jährigen in Österreich von Klinger/Russmann 2017) wird ein allgemeiner Trend bei E-Government-Services Gebrauch (Statistik Austria politischen Parteien und individuellen Politiker*innen 2018), während die beliebtesten Blogs, Blogger*innen konstatiert, vermehrt auf soziale Medien in der Wahl- und Influencer*innen in Österreich jene sind, die auf mobilisierung zurückzugreifen. Durch diesen Fokus Lifestyle und Unterhaltung fokussieren (Gebesmair et auf Online-Kommunikation soll auch die jüngere al. 2017). Jugendliche gehören zu den Haupt-User*innen Wähler*innenschaft mobilisiert werden, da gerade digitaler Technologien. Erhebungen wie der JIM- Erstwähler*innen und Jungwähler*innen eher durch Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Onlinemedien als durch traditionelle Medien mobi- Südwest oder der OÖ. Jugend-Medien-Studie zufolge lisiert werden (Aldrich u. a. 2016; Moeller et al. 2018; sind das Internet oder das Smartphone bei fast allen Ohme et al. 2018). Jugendlichen täglich im Einsatz, auch werden digitale Die Digitalisierung des Politischen ist allerdings Medien in der Schule zunehmend wichtiger (Education nicht nur auf die Mobilisierung von Wähler*innen redu- Group 2019; Medienpädagogischer Forschungsverbund zierbar. Vielmehr stellen sich, wie weiter oben schon Südwest 2019) – nicht zuletzt hat sich das während des angedeutet, Fragen der Veränderung von Partizipati- Corona-Lockdowns gezeigt (Fuchs/Britta [Interviewte] onsmöglichkeiten. Von zentraler Bedeutung ist für die 2021; Kämpf/Winetzhammer 2020). Laut der OÖ. Literatur hierbei der Medienzugang (digital divide) und Jugend-Medien Studie 2019 nutzen junge Menschen die digitale Kompetenz (digital literacy). Die „first digital das Internet/Smartphone auch am häufigsten, um sich divide“ ist in Österreich mehr oder weniger überwun- über politische Ereignisse zu informieren. Interessant den, hatten doch bereits 89 % der Haushalte in Öster- ist zudem, dass Influencer*innen – also Individuen, die reich 2018 Zugang zum Internet (Statistik Austria 2018). in der digitalen Sphäre unterschiedliche Lebensbereiche Der Medienzugang ist nun von einer „second-level auf diversen Plattformen z. B. Instagram kommentieren digital divide“ (Büchi et al. 2016: 2703; vgl. Zillien/Har- – für Jugendliche an Bedeutung gewinnen (Education gittai 2009) geprägt, die auf gesellschaftlich strukturierte Group 2019). Insgesamt lässt sich also die Rolle des Digi- Unterschiede im Umgang mit digitalen Medien und talen bei Jugendlichen nicht leugnen, dennoch ist diese somit auf die digital literacy verweist. Gemeint ist damit digitale Welt aber nicht von der Offline-Welt, das heißt das Wissen, um sich in digitalen Welten zurechtzufin- den konkreten Lebensumständen entkoppelt zu sehen 70 den: die technischen und sozialen Skills im Umgang (Moeller et al. 2018; Ohme et al. 2018). mit digitaler Technologie sowie soziale und inhaltliche Partizipation in digitalen Welten spiegelt somit Kritikfähigkeit (Harris/Johns 2020: 8; Watkins 2018: gesamtgesellschaftliche Verhältnisse wider. So ist die Zeitschrift für Sozialen Fortschritt · Journal for Societal Progress ///// 2021 | Vol. 10 (2)
Ajanović, Fritsch, Zahorka:Digitally connected. Forms of political participation by young people in Lower Austria digital divide als auch die digital literacy von sozialen sehr wohl auf bestehenden Organisierungen und Netz- Kategorien wie Klasse, Geschlecht oder Ethnisierung werken auf (Wächter 2019: 219). und Rassisierung geprägt, von familiären Verhältnissen Allerdings sind soziale Medien trotz ihrer Demo- und dem schulischen Umfeld sowie Bildungschancen kratisierungspotenziale „not per se supportive, neutral, allgemein (Ikrath/Speckmayr 2016: 67; Van Deursen/ or preventive regarding democratic ideas and struc- Van Dijk, 2011; Watkins 2018: 25; Zillien/Hargittai 2009). tures; its relation to democracy depends on the actors, Nicht alle User*innen sind bzw. werden auf gleichwertige the content of communication, the goal of communi- Weise befähigt, Inhalt mitzugestalten. Dennoch wird als cation, and the social context“ (Waechter 2019: 223). Vorteil hervorgehoben, dass digitale Praktiken zugleich Anti-pluralistische Kräfte erhalten neben anderen nicht monolithisch, sondern vielmehr vielfältig und marginalisierten Diskursen genauso eine Plattform im hybrid sind, und sich vermehrt marginalisierte Jugendli- Internet (Bartlett 2014; Brodnig 2016; Ernst et al. 2017; che diese aneignen (Johns 2014; Watkins 2018). Dadurch Hameleers/Schmuck 2017; Kreis 2017; Kuhar/Ajanović wird auch Öffentlichkeit für marginalisierte Themen 2018; Montgomery 2017), wie dies zu Zeiten der Corona- geschaffen, die über soziale Medien und das Internet die Pandemie und dem Erstarken von Verschwörungstheo- Gatekeeper der Mainstream-Medien überwinden und rien und rechten bis hin zu rechtsextremen Diskursen Breite erreichen können. Digitale Medien ermöglichen und Akteur*innen auf sozialen Medien und auf der also auch Raum zur schnelleren oder unmitelbaren Straße deutlich wird (Nachtwey/Schäfer/Frei 2020: 21ff.). Gestaltung und dem Durchdringen der professionellen Weiter ist Partizipation in sozialen Medien von der ange- Kommunikation (Maier-Rabler et al. 2012). Jugendliche sprochenen Individualisierungstendenz geprägt, die ein eignen sich digitale Räume mehr und mehr an und brin- konsumorientiertes Politikverständnis befördert (Harris gen ihre Themen und gesellschaftlichen Vorstellungen et al. 2010: 12). Digitale Praktiken des „slacktivism“ bzw. in Debatten ein, die nicht primär von ihnen vorgeprägt „clicktivism“ (Morozov 2012) spiegeln solche Individu- wurden (Pathak-Shelat/Bhatia 2019). Aus diesem Grund alisierungsprozesse post-fordistischer Gesellschaften werden digitale Medien tendenziell mit partizipativen wider. Digitale Öffentlichkeiten stellen auf diese Weise und deliberativen Demokratiemodellen in Verbindung digitale Ökonomien dar, die auch von Algorithmen und gebracht, wodurch deren Rolle gerade für Partizipations- wirtschaftlichen und politischen Interessensgruppen möglichkeiten von Jugendlichen zum Tragen kommt. bestimmt werden (Harris/Johns 2020: 7; Poell 2015; Trot- Demokratisierungspotenziale sozialer Medien tier/Fuchs 2015). werden vor allem im Kontext sozialer Bewegungen dis- Insgesamt kann aber nicht ignoriert werden, dass kutiert, die vermehrt von digitalen Medien Gebrauch die Bedeutung dieser neuen Medien insbesondere bei machen und vornehmlich junge Akteur*innen mobi- Jugendlichen groß ist und wir uns deshalb weiterhin mit lisieren (Wächter 2019: 232). Aktuelle Beispiele dafür dem Verhältnis von Digitalisierung und Demokratisie- in Österreich sind die Kampagnen #blacklivesmatter, rung auseinandersetzen müssen (Ausserhofer/Maireder #metoo, #metwo, #refugeeswelcome, #bodypositivity 2013; Dahlberg 2011: 859; Rasmussen 2014; Ranieri et al. und #fridaysforfuture. Die Bedeutung digitaler Medien 2016). Gerade für Jugendliche stellt der digitale Raum bei gegenwärtigen sozialen Bewegungen verdeutlicht einen zentralen sozialen Raum dar. Ito u. a. (2013) die Verwobenheit und das Sich-Bedingen von Online- beschreiben das digitale Verhalten von Jugendlichen und Offline-Organisierung: Soziale Medien fungieren in den USA als "friendship" und "interest-driven", was oft als Mittel z. B. von Protest auf der Straße (Kneuer/ neben der sozialen Bedeutung die vorher besprochene Richter 2015) und sie spielen eine zentrale Rolle in der "cause-orientation" im Partizipationsverhalten von Herstellung transnationaler Solidarität wie im Falle Jugendlichen widerspiegelt. Der sich stetig verändernde der Occupy-Bewegung (Campbell 2018: 152). Digitale digitale Raum und die Kurzlebigkeit digitaler Öffent- Medien können dabei politischen Protest erst auslösen, lichkeiten und die damit einhergehenden oft spontanen vor allem aber die Dynamik politischer Organisierung Mobilisierungen entsprechen dabei den prekären und und Mobilisierung verstärken, indem eine größere individualisierten Lebenswelten jüngerer Generationen Vielfalt an Partizipationsmöglichkeiten angeboten wird (Loncle/Cuconato 2012: 42). Doch führt die Kurzle- (Campbell 2018; Dolata 2018; Vromen 2017). So ereignete bigkeit nicht unbedingt zu weniger Mobilisierung und sich der Arabische Frühling – als ‚Facebook-Revolution‘ Partizipation. Vielmehr weisen digitale Praktiken jün- 71 bekannt – auch nicht im luftleeren Raum, sondern baute gerer Generationen auf neue und veränderte Formen der Kollektivität hin, die primär von Konnektivität, momentum-quarterly.org
Ajanović, Fritsch, Zahorka: Digital verbunden. Formen politischer Partizipation von Jugendlichen in Niederösterreich von dem Gefühl einer Verbundenheit, beispielsweise analytischer Perspektive. Frames stellen überindivi- als Teil sozialer Netzwerke, geprägt sind. In der Litera- duelle Bedeutungsschemata (Bacchi 2009; Entman tur werden diese neuen Formen als „networked young 1993; Goffman 1986) dar, die sich sowohl in breiteren citizens“ (Vromen et al. 2015) und „networked individu- medialen Diskursen als auch in individuellen Bedeu- alism“ (Rainie/Wellman 2014) oder im Kontext sozialer tungszuschreibungen und -praktiken widerspiegeln. Bewegungen als „connective action“ (Bennett/Segerberg Akteur*innen spielen dabei eine wichtige Rolle, da sie 2012) beschrieben. Es entstehen hybride Formen der als Diskursproduzent*innen – entweder als Handelnde politischen Partizipation, bei der Individualismus und oder als Adressat*innen eines Problems, einer Lösung, Kollektivität temporär nicht mehr in einem Spannungs- einer Aktion etc. – betrachtet werden (Verloo 2016). Vor verhältnis zu stehen scheinen. Konstatiert werden neue diesem Hintergrund gehen wir den folgenden Fragen Formen des Sich-in-Beziehung-Setzens, die politische nach: A) Wie werden Jugendliche und ihre Anliegen und gesellschaftliche Teilhabe abseits von traditionellen, in der medialen Öffentlichkeit in Massenmedien rund auf den Nationalstaat ausgerichteten ‚Rechte und Pflich- um die GRW 2020 geframed und wie nehmen sich ten‘ beinhaltet. Gesellschaftliche Teilhabe geschieht hier Jugendliche in Niederösterreich selbst als politische über „acts of citizenship“ (Johns 2014), d. h. Handlungen Akteur*innen wahr? B) Auf welche Weise beteiligen im Netz wie das Sharen eines Beitrags oder das Kreieren sich Jugendliche an der digitalen Öffentlichkeit? Welche einer Seite und das damit einhergehende Einschreiben Themen interessieren sie und wie bringen sie diese ein? eigener Standpunkte und Perspektiven in die digitale C) Welche Rückschlüsse auf Formen politischer Betei- Öffentlichkeit. Zentraler Bezugspunkt ist hier nicht der ligung von Jugendlichen lassen sich daraus schließen? Nationalstaat, sondern das Kreieren von Netzwerken Unsere Daten – Protokolle, digitale Artefakte bis hin zu Communitys abseits und jenseits des Nati- in Form von Social-Media-Content und Artikel aus onalstaats im Sinne eines „digital global citizenship“ Massenmedien – beruhen auf einer partizipativen Eth- (Harris/Johns 2020: 10): „We suggest that it is critical nografie sowie einer Medienanalyse im Zeitraum von to […] understand how young people’s current digital Jänner bis Februar 2020 im Umfeld des Wahlkampfes practices and online ‚communities of care‘ might already zur GRW 2020. Die partizipative Ethnografie umfasste cultivate productive civic cultures.“ Eine Citizenship- eine mehrstufige Workshopreihe. Ein erster Workshop Perspektive knüpft an den im vorherigen Abschnitt ein- wurde im Jänner 2020 vor der GRW durchgeführt, geführten breiten Partizipationsbegriff von Ekman und gefolgt von einem zweiten Workshop in den Wochen Amnå (2012) an, indem informellere, latente Formen nach dem Wahltermin und einer dritten Reihe an rein gesellschaftlicher und politischer Partizipation in den digitalen Workshops im Winter 2020/2021. Abgehal- Vordergrund rücken, die gerade in digitalen Öffentlich- ten wurden die Workshops in sechs Schulklassen und 2 keiten zum Tragen kommen. Schlussendlich – und so zwei Jugendzentren, insgesamt konnten dadurch 120 argumentieren wir – bleiben traditionelle Formen poli- Schüler*innen beziehungsweise Jugendliche erreicht tischer Partizipation weiterhin mächtig und dominieren werden. Der Fokus auf Schulen – konkret auf die 10. auch mediale Diskurse. Daher fokussieren wir auf das und 11. Schulstufe, da diese Schüler*innen zum Zeit- Verhältnis zwischen digitalen Praktiken der Partizipa- punkt der Wahl bereits wahlberechtigt waren oder kurz tion von Jugendlichen im Verhältnis zu traditionellen davorstanden – erschien uns geeignet, um eine große Formen politischer Partizipation, im Sinne von Wahlen, Bandbreite an Jugendlichen zu erreichen. Primäres und klassischen medialen Repräsentationen. Ziel war es, sowohl alle Viertel von Niederösterreich sowie verschiedene Schulformen abzudecken. Unsere 3. Jugendpartizipation aus frameanalytischer letztliche Fokussierung auf AHS-Oberstufen und eine Perspektive Berufsbildende Höhere Schule bildet die letztliche Bereitschaft jener Schulen ab, bei dem Projekt mitzu- Vor dem Hintergrund des Stands der Forschung machen, und geht mit Limitierungen hinsichtlich der verstehen wir die digitale Sphäre als einen Raum, in dem (Fremd- und Selbst-)Repräsentationen diskur- siv verhandelt werden sowie als einen Raum, in dem 2 In den Jugendzentren konnte nur der erste Work- shoptermin realisiert werden, da das Interesse der dort 72 politische Partizipation ermöglicht wird. Aus diesem anwesenden Jugendlichen an politischen Themen bzw. an Grund nähern wir uns der Frage der Partizipation organisierten Aktivitäten wie einem Workshop generell sehr von Jugendlichen in der digitalen Sphäre aus frame- gering war. Zeitschrift für Sozialen Fortschritt · Journal for Societal Progress ///// 2021 | Vol. 10 (2)
Ajanović, Fritsch, Zahorka:Digitally connected. Forms of political participation by young people in Lower Austria Aussagekraft einher. Unsere Ergebnisse bilden somit Die dritte Workshopreihe wurde – Covid-19 das Verhältnis einer höheren Bildungsschicht zu Politik bedingt – digital durchgeführt und die Jugendlichen und die Möglichkeiten ihrer politischen Partizipation wurden dabei in die Möglichkeiten digitaler politischer ab. Die regionale Diversität konnte jedoch großteils Praktiken eingeführt. Vor dem Hintergrund der Zen- erreicht werden, da bei der Endauswahl Schüler*innen tralität von Memes in der digitalen Kommunikation und Jugendliche aus unterschiedlichen Bezirken – von Jugendlichen legten wir in der dritten Workshop- Horn, Tulln, Baden, Bruck/Leitha und Amstetten – reihe den Fokus auf die selbstständige Kreation von einbezogen wurden. Memes, die nicht nur als politische Intervention von Die drei Workshops unterschieden sich in ihrer Jugendlichen weiterverbreitet wurden, sondern uns als Fokussierung, zentral war jedoch immer die Frage der Quelle über ihre Themen und Frames dieser dienten. Möglichkeit, sich über soziale Medien als Jugendliche*r Bei Memes, also verschiedenen Ausprägungen von einzubringen. Der erste Workshoptermin war den Bild/Text oder Animation zur Informationsübermitt- Themen und Anliegen der Jugendlichen gewidmet. lung, steht nicht zuletzt Humor, Sarkasmus oder Satire Unterstützt durch interaktive Methoden, wie das Her- an erster Stelle. Als Träger von kulturellen Informa- anziehen eines Online-Quiz (Kahoot) oder digitaler tionen über die Zeit erzählen Memes nicht nur eine Dashboards in Form von Padlets, wurden politische „Geschichte“, sondern sind jeweils mit einer individu- Anliegen zunächst gesammelt, diskutiert und als ellen Prägung versehen (Denisova 2019: 8). Daher ver- Anliegen zur weiterführenden Diskussion definiert. stehen wir Memes als eine Form von Framing im Sinne Im zweiten Workshop ging es zunächst darum, wel- gesellschaftlicher sowie individueller Bedeutungsprak- chen Social-Media-Kanälen oder Influencer*innen die tiken, die auch mit politischer Teilhabe in Verbindung Jugendlichen folgen, ob diese auch Politisches posten, stehen (Wiggins 2019). Es geht uns um die Frage, was an den Posts aus Sicht der Jugendlichen politisch welche Themen durch Memes dargestellt werden, wie ist und wie sie selbst mit solchen Posts üblicherweise Jugendliche diese deuten und wen sie damit erreichen umgehen (z. B. liken, verbreiten, kommentieren, Dis- wollen. Im Rahmen der Workshops wurden insgesamt kurs führen). Basierend darauf erarbeiteten die Klein- 42 Reflexionsartikel von Schüler*innen, zwölf Proto- gruppen, mit welchen Online- und Offlinekanälen sie kolle und fünf Padlets der Offline-Workshops, sechs ihr Anliegen aus dem ersten Workshoptermin verfolgen Protokolle und neun Padlets der Online-Workshops, würden, wie sie also v. a. das Internet, aber auch andere 122 Social-Media-Screenshots und ca. 25 selbst erarbei- Kanäle einsetzen würden, um auf das Thema aufmerk- tete Memes erstellt. sam zu machen, an Entscheidungsträger*innen heran- Um die Repräsentation der Jugendlichen und ihr zutreten, sich zu vernetzen, Aktionen zu planen usw. Framing in Massenmedien zu untersuchen, haben wir Der hohen Bedeutung des Smartphones bei Jugendli- parallel dazu digitale Printversionen von Massenme- chen entsprechend, war dieses auch in den Workshops dien (insgesamt 140 Ausgaben, davon 1247 Artikel) auf das für alle Aktivitäten (z. B. Recherche, Befüllen von überregionaler (Standard, Krone), regionaler (Nieder- Padlets) zentrale Gerät. Das Geschehen in den Klassen österreichische Nachrichten, NÖN) und lokaler Ebene wurde von den Forschenden mithilfe von Beobach- (Bezirksblätter Mein Bezirk und Tips) mit einem Zeit- tungsprotokollen unmittelbar dokumentiert. Zudem raum von sieben Kalenderwochen rund um die GRW wurden die Schüler*innen gebeten, den Forschenden analysiert. Abgestimmt mit der Ethnografie lag der auch nach bzw. zwischen den Workshops via Mes- regionale Fokus bei der NÖN und den Bezirksblättern senger politische Posts weiterzuleiten, die sie in ihren auf den Bezirken Amstetten, Baden und Horn, wobei jeweiligen Social-Media-Feeds gefunden hatten bzw. bei den Bezirksblättern noch Bruck an der Leitha und die sie als wichtig empfanden. Damit sollten Rück- Gmünd hinzukamen. Im Falle der Krone fokussierten schlüsse darauf gezogen werden, inwieweit politische wir auf die NÖ-Ausgaben, da diese neben den allgemei- Themen von Jugendlichen im digitalen Raum wahrge- nen Rubriken auch NÖ-spezifische Berichterstattung nommen werden. Die gesammelten und vorgestellten enthalten. Stellen Krone und Standard Tageszeitungen Beiträge der Schüler*innen dienten als Grundlage für dar, werden NÖN, Mein Bezirk und Tips im Wochentakt Diskussionen mit ihnen und sollten Reflexionsprozesse veröffentlicht. In der Erhebung der Daten fokussierten über politische Inhalte und Themen bei den Jugendli- wir auf für uns relevante Rubriken: Titelseite (bei allen 73 chen anregen. Ausgaben), politikrelevante Rubriken in Bezug auf Inland und Ausland (Standard + Krone) und regional- momentum-quarterly.org
Ajanović, Fritsch, Zahorka: Digital verbunden. Formen politischer Partizipation von Jugendlichen in Niederösterreich und lokalpolitische (Bezirk, Stadt, Gemeinde) Rubri- Die GRW steht vornehmlich in Lokal- und Regional- ken bei Regional- und Lokalmedien. Aufgrund unseres medien an zweiter Stelle, und auch die Ethnografie Interesses an Jugendlichen inkludierten wir auch die zeigt, dass die Jugendlichen sich für die Wahl interessie- Rubrik „Schulen“ der Bezirksblätter sowie eigene Rub- ren. Allerdings verdeutlicht die Analyse des Diskurses riken bzw. Sonderausgaben die GRW betreffend. Ziel in den Medien sowie der Workshops mit den Jugendli- war es herauszufinden, inwiefern Jugendliche bzw. chen, dass die GRW bei beiden weniger durch Inhalt als Jugend vorkommen und wie diese dargestellt werden. durch formelle Angaben und formelles Wissen gekenn- In der Frame-Analyse der Massenmedien fokus- zeichnet ist. So häuft sich in den Medien die formelle sierten wir auf die Titel, da diese als eine Zusammenfas- Aufzählung von Kandidat*innen, Ergebnissen oder sung des zentralen Inhalts verstanden werden können, der Zusammensetzung der Stadt-/Gemeinderegierung von Lesenden meist als Erstes gelesen werden und und bei den Jugendlichen herrscht sehr gutes Wissen tendenziell Aufschluss über die ideologische und poli- über die Rahmenbedingungen (Wahltag, Persönlich- tische Positionierung von Akteur*innen bzw. auch der keiten, die zur Wahl standen, polarisierende Themen). jeweiligen Zeitung geben (Van Dijk 1991: 50ff.). Weiter Polarisierungen zeigen sich vor allem im Bereich der geben Titel Deutungsangebote für Lesende, wodurch Mobilitätspolitik: Zwar wird dieses Themenfeld in den ihre Bedeutung für die Rekonstruktion dahinterlie- Lokalmedien sowie bei den Jugendlichen thematisiert, gender Frames deutlich wird: „Headline information doch fällt auf, dass öffentlicher Verkehr (insbesondere signals the reader how to ‚define‘ the situation or the zwischen Wohnort und Schule) bei den Jugendlichen event“ (Van Dijk 1991: 51). In der Medienanalyse fokus- das zentrale Unterthema ist. Während sich die Bedeu- sierten wir auf Artikel, die einen klaren Jugend-Bezug, tung von öffentlichem Verkehr auch im allgemeinen im Sinne der Benennung von Jugend als Akteur*in, in medialen Diskurs in Lokalmedien widerspiegelt, ist ihren Titeln oder in den Teasern aufweisen. Diese Aus- dies bei GRW-bezogenen Artikeln selten der Fall. Auch wahl umfasst 66 Artikel. wenn sich die Themen zwischen Massenmedien und Jugendlichen oft überschneiden, wird deutlich, dass 4. Repräsentationen und Partizipation von Jugendliche als Akteur*innen in Massenmedien eine Jugendlichen in der digitalen Öffentlichkeit unterrepräsentierte Gruppe darstellen. In unserer Analyse zeigen wir, dass in den media- 4.1. Jugend und Lokalpolitik len Repräsentationen sowie Selbstdarstellungen von Jugendlichen als politische Akteur*innen traditionelle Neben der Tatsache, dass Jugendliche kaum in Mas- Bilder politischer Beteiligung vorherrschen. Wir zeigen senmedien präsent sind, zeigt sich in unserer Analyse, aber auch, dass die aktive Teilhabe über digitale Medien dass Jugendliche in erster Line in klassischen Formen neue und andere Formen der politischen Beteiligung der politischen Teilhabe und als Rezipient*innen von mit sich bringt, die weniger partei-, sondern themenbe- (Lokal-)Politik dargestellt werden. Dies spiegelt sich zogen verläuft, was auf die Bedeutung latenter Formen auch teilweise in ihrer Selbstwahrnehmung wider. der Partizipation und Individualisierungs- und Ökono- Selbstwahrnehmungen von Jugendlichen sind somit misierungsprozesse im Kontext digitaler Öffentlichkeit in Verbindung zu setzen mit der fehlenden bzw. teil- hinweist. Wir diskutieren dieses Spannungsverhältnis weisen Misrepräsentation von Jugendlichen als politi- zwischen medialen Repräsentationen und Selbstre- sche Akteur*innen in Massenmedien (Lepianka 2015; präsentationen sowie die Rolle digitaler Praktiken für Levinsen/Wien 2011). Jugendliche entlang von drei Strängen: Jugend und In den Workshops mit Jugendlichen zeigte sich, Lokalpolitik, Jugend und Klima und Jugend als digitale dass es ihnen in erster Linie schwerfällt, politische Akteur*innen. Dabei zeigt sich die zentrale Rolle von Inhalte zu benennen und in ihren Social-Media-Feeds Memes als digitale Partizipationsform. zu finden. So wurde mehrfach erwähnt, dass sie „nichts Die Titelanalyse von Massenmedien (1247 Artikel) richtig Politisches“ (Protokoll_H 17.02.2020) gefunden sowie eine Analyse von Themen der Jugendlichen weist hätten. Erst nach einer thematischen Auseinanderset- darauf hin, dass sich Umwelt- und Klimapolitik, Mobi- zung in den Workshops und auf unsere Bitte hin such- 74 litätspolitik und globale bzw. internationale Themen ten sie konkret danach und konnten diese Inhalte als wie beispielsweise der USA-Iran-Konflikt oder Corona solche erkennen. Zudem zeigte sich in den Workshops, jeweils unter den zentralsten Themenfelder befinden. dass sich Jugendliche am ehesten auf lokaler Ebene Zeitschrift für Sozialen Fortschritt · Journal for Societal Progress ///// 2021 | Vol. 10 (2)
Ajanović, Fritsch, Zahorka:Digitally connected. Forms of political participation by young people in Lower Austria als politische Akteur*innen wahrnehmen. In diesem zum einen als „aktiv“ und mit klaren Ambitionen Kontext sehen sie sich als Akteur*innen, die durch dargestellt: „Den Ton angeben“ im Kontext wohnpoli- bewusste Handlungen und Maßnahmen eine Ver- tischer Ziele der ÖVP Zeillern (NÖN Amstetten Nr. 2: änderung herbeiführen können. So ergibt die eigene 20) oder „Es gibt noch viel zu tun“ der ÖVP Aschbach Einflusssphäre Familie, Schule, Freund*innen einen (NÖN Amstetten Nr. 2: 28). Zum anderen wird der möglichen Bereich, von dem aus politische Forderun- parteipolitische Nachwuchs als eine Art ‚natürliche gen und persönliche Konsequenzen formuliert werden. Ordnung‘ dargestellt – „Nachwuchs rückt vor“ (NÖN Ein Beispiel hierfür ist der Kauf und Konsum regiona- Horn Nr. 4: 33), „Zum Geburtstag ein Mandat“ (Kronen ler, nachhaltig produzierter Lebensmittel sowie der Zeitung NÖ Ausgabe Nr. 21.477: 30) oder „Mandats- Verzicht auf Fleischprodukte. Im Gegensatz zur lokalen verzicht bringt Junge vor“ (NÖN Baden Nr. 6: 23). Die Ebene zeigt sich, dass die subjektiv empfundene Wirk- jeweiligen Darstellungen spiegeln ein konservatives mächtigkeit mit zunehmender überregionaler bzw. Framing von Politik als ‚gegebene Ordnung‘ wider, globaler Dimension stark abnimmt und in Lethargie, eine Art natürliche lineare Abfolge von Akteur*innen Sarkasmus und Zynismus mündet. In einem Workshop und Praktiken, in der Jungkandidat*innen primär im kam z. B. die Frage auf, warum große Firmen gegen Sinne der bestehenden Ordnung wahrgenommen und Kinderarbeit nichts unternehmen würden, worauf repräsentiert werden. einige Jugendliche anmerkten, dass sie als einzelne Für Jugendliche waren und sind Zukunftsthemen Person gegenüber dem als übermächtig angesehenen sehr bedeutsam. Dabei wird der Bezug zu verschiedenen (Wirtschafts)-System nur wenig bewirken können Themenfeldern, die in den Medien diskutiert werden, (Protokoll_H17.02.2020). Jugendliche, die sich engagie- deutlich, vor allem Beschäftigungspolitik, Sozialpoli- ren, würden von der Politik übersehen. Das zeigt sich tik und Bildungspolitik. Zwar werden Jugendliche in auch in Studien aus anderen Ländern, die aufzeigen, Bezug auf Zukunft diskutiert, doch stehen die jeweili- dass Jugendliche eher in „non-serious matters“ (Lepi- gen Probleme von Jugendlichen weniger im Fokus, mit anka 2015: 279) vorkommen. Ausnahme eines Artikels der NÖN Baden beispiels- Wenn Jugendliche als politische Akteur*innen in weise, betitelt als „Zukunftsangst einer Generation“ den Regional- und Lokalmedien dargestellt werden, (NÖN Baden Nr. 7: 36f.). Rund ein Drittel der Artikel so passiert dies im Zuge der GRW vornehmlich im im Fokus framen Jugendliche als Rezipient*innen von Kontext von Parteipolitik. So beziehen sich 23 Artikel politischen Maßnahmen, vornehmlich im Bereich der auf die Nominierung junger Kandidat*innen vor den Bildungs-, Sozial- und Beschäftigungspolitik. Jugend Wahlen (16 Titel) und weit weniger auf deren Präsenz wird hier als eine Bevölkerungsgruppe repräsentiert, nach der Wahl, beispielsweise im Gemeinderat (vier in die investiert wird: „Mehr Raum für die Jugend als Titel). Parteipolitisch ist ein Fokus auf die ÖVP zu Ziel“ (NÖN Baden Nr. 4: 11), „Millionen für die Jüngs- beobachten, wodurch sich politische Mehrheitsver- ten“ (NÖN Amstetten Nr. 3: 21) oder „Dachgleiche für 3 hältnisse in Niederösterreich widerspiegeln. Es ist ‚Junges Wohnen‘“ (NÖN Baden Nr. 4: 22). Fragen von somit vor allem die ÖVP, die als eine „junge Partei“ Ausbildung und Beschäftigung werden vornehmlich in dargestellt wird, wie dies zum Beispiel beim Titel „ÖVP Bezug auf Lehre und die Förderung von MINT-Fächern setzt stark auf Junge“ der NÖN Horn (Nr. 2: 32f.) deut- in Schulen thematisiert. Migration und Bildung werden lich wird. Der lokalpolitische Diskurs reflektiert und in sehr geringem Ausmaß diskutiert (zwei Titel), was reproduziert dabei den bundesweiten ÖVP-Diskurs, auf die Vernachlässigung von migrationspolitischen der eine ‚Verjüngung‘ der ÖVP propagiert. Auf Bun- Fragen in lokalpolitischen Debatten rund um Bildung desebene zeigt sich dabei weiter eine Verschränkung hinweist. mit Diskursen zu ‚Frauen in der Politik‘, erkennbar an Die mediale Repräsentation und Selbstrepräsenta- der Betitelung der türkis-grünen Regierung in einem tion weist auf ein Spannungsverhältnis hin. Während Kommentar in der Krone NÖ mit „jung & weiblich“ sich Jugendliche als Akteur*innen bei Zukunftsthemen (Ausgabe Nr. 21.448: 3). Jungkandidat*innen werden sehr wohl sehen und mitgestalten möchten, werden sie in den Massenmedien auf die Rolle der Rezipient*innen reduziert. Weiter wird Jugend in Medien hauptsächlich 3 Die ÖVP + Listen erhielt 52,69 %, die SPÖ + Listen 27,76 %, FPÖ + Listen 5,81 %, Grüne + Listen 5,9 % NEOS in traditionellen, parteizentrierten Formen politischer 75 + Listen 1,26 % und sonstige Listen 6,57 % (http://www.noe. Partizipation wahrgenommen. Ihre eigenen Repräsen- gv.at/wahlen/G20201/Index.html?area=l, 10.09.2020). tationen hingegen weisen doch insbesonders latente momentum-quarterly.org
Ajanović, Fritsch, Zahorka: Digital verbunden. Formen politischer Partizipation von Jugendlichen in Niederösterreich Formen auf. Dieser parteipolitische Schwerpunkt der Interessant ist, dass Jugendliche dabei scheinbar über Medien scheint nur in einem Punkt, den wir im Fol- das oben besprochene Bild als politischer Nachwuchs genden besprechen, etwas zu bröckeln. im Kontext von Umwelt- und Klimapolitik ‚anders‘ dargestellt werden. 15 Artikel beziehen sich auf das 4.2. Jugend und Klima Thema Jugend und Klima, mit einem Fokus auf Pro- teste (acht Titel) sowie Bildung und Schule (vier Als im August 2018 die 15-jährige Greta Thunberg Titel). Klimaschutz erscheint hier als das zentrale beschlossen hatte, einen Schulstreik für das Klima zu Problem, das von politischen Bewegungen, aber auch machen, hätte wohl keiner gedacht, dass Jugendliche von Schulen thematisiert wird. Die Berichterstattung die zentrale Bewegung sein würden, um den Klima- zu Protesten bezieht sich mehrheitlich auf Aktionen wandel auf das Tapet der Politik und der Medien zu lokaler Fridays-for-Future-Gruppen, vornehmlich in bringen. Ein Jahr später entwickelte sich aus diesem Amstetten, und verläuft hier mehrheitlich über die Protest die Fridays-for-Future-Bewegung. Sie ist eine Protestform, nämlich die Demonstration: „Fridays for der gegenwärtig wichtigsten Klimabewegungen und Future Demo für Australien“ (NÖN Amstetten Nr. 4: verdeutlicht, dass jüngere Menschen erfolgreich auf 14) oder „Schüler-Demo zieht durch die Innenstadt“ andere Formen manifester politischer Beteiligung (Mein Bezirk Amstetten Ausgabe 4: 4). Dabei fällt setzen und sich diesen mehr verbunden fühlen als positiv auf, dass junge Frauen auch als Akteur*innen beispielsweise Organisationen in Parteien. Die FFF- porträtiert werden, was nicht zuletzt daran liegt, dass es Bewegung etablierte sich ab 2019 und spätestens seit eine Vielzahl junger Frauen unter den Aktivist*innen dem Earth Strike im September desselben Jahres gibt (Daniel et al. 2020: 371). Während Proteste ein auch in Österreich. Während der Klimaschutz bei wichtiges umweltpolitisches Thema in Lokalmedien den Nationalratswahlen 2017 kaum eine Rolle spielte, darstellen, kommen lokale umweltpolitische Jugendbe- wurde daraus eines der wichtigsten Wahlmotive für wegungen in umweltpolitischen Debatten rund um die Menschen in Österreich bei der Wahl 2019 (SORA & GRW nicht vor. Anstelle davon wird Klimaschutz als ISA 2017, 2019) und auch Parteien setzten verstärkt parteipolitisches Thema präsentiert, wie etwa: „Junge auf das Thema (Egyed 2019). Die Fridays-for-Future- Volkspartei setzt auf mehr Grün im Bezirk“ (Mein Bewegung motivierte auch eine Vielzahl der von uns Bezirk Bruck/Leitha Ausgabe 2: 7). befragten Jugendlichen, sich aktiv für klimapolitische Die Klimadebatte und der Aktivismus der Anliegen einzubringen, wenngleich die Teilnahme an Schüler*innen ist also nicht nur ein Paradebeispiel für den Demonstrationen nicht von allen Schulen unter- den sogenannten Trend der „cause-oriented“ (Norris stützt wurde. Schüler*innen wiesen in den Workshops 2004) Partizipation, die nicht nur in manifesten Formen z. B. darauf hin, dass es manchen Pädagog*innen ein der Beteiligung wie Demonstrationen mündet, sondern persönliches Anliegen war, politische Themen in ihren sich auch – wie Jugendliche aus ihren Praktiken berich- Unterricht einzubinden, indem sie beispielsweise ten – in Verhalten bezüglich Konsum oder Mülltrennung Demonstrationen, Aufrufe und Aktivitäten unterstütz- widerspiegelt. Weiters haben die Klimadebatte bzw. die ten. Die uns zugesandten Memes zum Klimaaktivis- Fridays-for-Future-Bewegung das Bild von Jugendlichen mus zeigen allerdings auch eine Polarisierung im Sinne in den Medien verändert: Sie werden insbesondere bei von pro und contra Greta Thunberg (Memes 62, 75), diesem Thema auch über die Partei-bezogene Repräsen- infolgedessen sich keine Kohärenz der Meinungen zum tation hinaus diskutiert und als Klima-Aktivist*innen Klimaaktivismus ableiten lässt. Außerdem wurde in geframed. Dennoch wird auch deutlich, dass lokale einem der Workshops angemerkt, dass ein Protest zum umweltpolitische junge Akteur*innen in Bezug auf Thema Klimaschutz von den Jugendlichen als peinlich die GRW vom medialen Diskurs nicht aufgenommen und unwirksam wahrgenommen wurde (Protokoll_H werden, wodurch diese in Bezug auf lokalpolitische Aus- 21.02.2020). Dies ist ein Hinweis darauf, dass klassi- einandersetzungen rund um Umwelt- und Klimapolitik sche Formen der Partizipation, wie Demonstrationen, unsichtbar gemacht werden. bei manchen Jugendlichen einen anderen Stellenwert haben. 4.3. Jugendliche als digitale Akteur*innen 76 Im Zuge des globalen und österreichweiten Trends zeigt sich in der Medienanalyse auch eine verstärkte Digitalisierung ist seit geraumer Zeit in der EU – Repräsentation von Klimathemen (Boykoff et al. 2020). und verstärkt vor dem Hintergrund der derzeitigen Zeitschrift für Sozialen Fortschritt · Journal for Societal Progress ///// 2021 | Vol. 10 (2)
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