Alternativer BAföG-Bericht - Studie - DGB-Jugend
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Studie Alternativer BAföG-Bericht Daten und Fakten für eine bessere Ausbildungsförderung jugend.dgb.de
Alternativer BAföG-Bericht Vorwort 5 1. Grundlagen und Einführung in die BAföG-Diskussion 6 1.1 Warum gibt es ein Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) 7 1.2 Die BAföG-Berichterstattung der Bundesregierung und ihre Funktion 7 1.3 Kürzungsgeschichte des BAföG seit 1971 8 1.4 Finanzwirtschaftliche Entwicklung und fiskalische Spielräume 9 1.5 Nichtökonomische Förderungsvoraussetzungen 9 1.6 Darlehensanteil oder Vollzuschuss? 10 1.7 Die Diskussion um die Gefördertenquoten 11 2. Aktuelle Entwicklungen in der Bundesausbildungsförderung 12 2.1 Die Aktualisierung des BAföG durch das Änderungsgesetz 2019 13 2.2 Die Entwicklung von Einkommensfreibeträgen und Geförderten 14 2.2.1 Entwicklung von Freibeträgen und Bruttoeinkommen 14 2.2.2 Entwicklung der Gefördertenzahlen 14 2.2.2.1 Entwicklung von Anzahl und Anteil geförderter Schüler_innen 15 2.2.2.2 Entwicklung von Anzahl und Anteil geförderter Studierender 17 2.2.3 Zusammensetzung der Geförderten nach dem Einkommen der Eltern 19 2.3 Finanzielle Situation der Geförderten 20 2.3.1 Entwicklung von Bedarfsätzen 20 2.3.2 Mietkostenentwicklung 21 2.4 Finanzwirtschaftliche Entwicklung und BaföG-Ausgaben 23 2.5 Sonstige Problemlagen von Geförderten 24 2.5.1 Vereinbarkeit von Ausbildungsförderung und Familienarbeit 24 2.5.2 Altersgrenzen im BAföG 24 2.5.3 Begrenzung der Förderung von Studierenden auf die Regelstudienzeit 25 2.5.4 Sich akkumulierende Problemlagen trotz BAföG 25 2.6 Besondere Problemlagen angesichts der Covid-19 Pandemie 27 3. Zusammenfassende Bewertung der aktuellen Entwicklungen 31 3.1 Entwicklung der Gefördertenzahlen 31 3.2 Bedarfssätze und Freibeträge 31 3.3 Finanzwirtschaftliche Entwicklung und BAföG-Ausgaben 31 3.4 Verschärfte Problemlagen in Zeiten der Pandemie 31 4. Schlussfolgerungen: Der Weg zu einem besseren BAföG 33 Anhang 34
4 Alternativer BAföG-Bericht
Vorwort Das BAföG feiert Jubiläum! Vor 50 Jahren wurde das Cre- Um aktuelle Entwicklungen und den notwendigen Reform- do der Teilhabe an Bildung in einen klaren Rechtsanspruch bedarf zu erkennen, ist eine regelmäßige und genaue Ana- auf individuelle Ausbildungsförderung verwandelt und er- lyse notwendig. Die DGB Jugend stellt mit dem vorliegen- möglichte zahlreichen Menschen aus finanzschwächeren den Bericht Daten und Einschätzungen für die Diskussi- Haushalten, neue Bildungswege einzuschlagen. Sie war on über die Bundesausbildungsförderung bereit. Er folgt schon damals ein wichtiges Signal für die Öffnung der dabei strukturell der im BAföG selbst verankerten, zwei- Hochschulen. jährigen Berichterstattung der Bundesregierung. Er baut auf diese auf, füllt Leerstellen mit eigenen Datenanalysen Die DGB-Jugend feiert das BAföG mit einem weinenden und illustriert so Problemlagen im Leben junger Menschen. und einem lachenden Auge. Die DGB-Jugend schließt mit dem Alternativen BAföG Be- Weinend, weil wir von einer Chancengerechtigkeit in der richt außerdem eine zeitliche Lücke, da der 22.BAföG-Be- Bildung immer noch weit entfernt sind. Lachend, weil Bil- richt der Bundesregierung auf das Jahr 2022 verschoben dungsgerechtigkeit nur mit einer starken Ausbildungsför- wurde. So soll auch im Jahr der Bundestagswahl die De- derung zu erreichen ist und das BAföG hier ein wichti- batte um Stand und Perspektiven der Ausbildungsförde- ger Baustein ist, den es auszubauen und weiterzuentwi- rung bereichert werden. ckeln gilt. Deutschland ist ein Land in dem zwar 79 von 100 Kindern aus einer Akademiker_innenfamilie ein Studium beginnen, aber nur 27 von 100, deren Eltern nicht akademisch aus- gebildet sind. In keinem anderen europäischen Land hängt der Bildungsweg stärker von der Herkunft ab. Manuela Conte DGB-Bundesjugendsekretärin Bildungswege entscheiden sich nicht erst an der Hoch- schultür. Deshalb setzt sich die Gewerkschaftsjugend für gebührenfreie Kita-Angebote ebenso wie für die Wieder- einführung des echten Schüler_innen-BAföG ein. Sie strei- tet gegen die soziale Auslese im gegliederten Schulsys- tem und gegen Schmalspurausbildungen, die jungen Men- schen Entwicklungsmöglichkeiten in den Betrieben und ihrem Beruf verwehren. Die Gewerkschaftsjugend macht sich gegen soziale Barrieren auf dem Weg zur Hochschu- le stark und setzen sich dafür ein, dass Bildung politische Priorität wird. Denn ein gut ausgestattetes Bildungssystems, kostenfreie Bildungsangebote und die entsprechende Förderstruktur sind Grundvoraussetzungen dafür, dass Bildung ihren zen- tralen Beitrag zu einer sozialen, demokratischen und inklu- siven Gesellschaft leisten kann. Vorwort 5
1. Grundlagen und Ein- führung in die BAföG-Diskussion Tobias Kaphegyi
1.1 1.2 Warum gibt es ein Bundesaus- Die BAföG-Berichterstattung der bildungsförderungsgesetz (BAföG) Bundesregierung und ihre Funktion Das deutsche Bildungssystem war und ist sozial sehr selek- Im BAföG ist in § 35 festgelegt, dass die Bundesregierung tiv. Dieses Ergebnis jahrzehntelanger Bildungsforschung alle zwei Jahre einen Bericht zur Entwicklung des BAföG ist bereits seit 1958 in Deutschland bekannt und nach wie vorzulegen hat. Seit 1971 hat es insgesamt 21 Berichte vor aktuell. gegeben. Dieser Bericht der Bundesregierung muss laut BAföG dazu dienen, die Bedarfssätze, Freibeträge, Höchst- Die Wahrscheinlichkeit, dass ein in Deutschland lebendes beträge und die prozentualen Abstufungen vom Höchst- Kind aus einer Arbeiter_innenfamilie oder mit Eltern mit betrag, die Studierende bekommen können, »zu über- »niedrigen« Bildungsabschlüssen bis an die Hochschule prüfen und durch Gesetz ggf. neu festzusetzen«.2 »Dabei gelangt, ist im internationalen Vergleich sehr gering. Das ist der Entwicklung der Einkommensverhältnisse und der Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) konnte Vermögensbildung, den Veränderungen der Lebenshal- sogar nachweisen, dass in Deutschland die Ausprägung tungskosten sowie der finanzwirtschaftlichen Entwick- der Körpergröße statistisch weniger stark von der Familie lung Rechnung zu tragen« (§ 35, BAföG). Da im Gesetz ex- »vererbt« wird als der Bildungsabschluss, der von jungen plizit Geldbeträge festgelegt sind, so z.B. die Bedarfssät- Erwachsenen erreicht wird (Schnitzlein, 2013). ze und Freibeträge, muss eine regelmäßige Überprüfung zwingend stattfinden, um den volkswirtschaftlichen Pro- Bei der Einführung des BAföG 1971 unter der Regierung zess der Preisniveausteigerung und der Gehaltsentwick- Brandt bestand der Wille der Politik, Bildung unabhängig lung der Beschäftigten nachzuvollziehen. Wird nicht re- von den materiellen Verhältnissen der Herkunftsfamilie zu gelmäßig überprüft, inwieweit sich Preisniveau- und Ge- ermöglichen. Es sollte verhindern, dass junge Erwachsene haltssteigerungen entwickelt haben und werden dann die aus wirtschaftlich schwächeren Elternhäusern nicht studie- Bedarfssätze und Freibeträge nicht gesetzlich angepasst, ren können, weil sich ihre Familien die Lebenshaltungskos- passiert Folgendes: ten des oder der jungen Studierenden (Wohnen, Nahrung, Mobilität etc.) nicht leisten können. Das BAföG folgt dabei 1. Immer weniger junge Menschen können BAföG bezie- dem Subsidiaritätsprinzip. Das bedeutet, dass bisher nur hen, weil die Einkommen der Eltern durch die Entgelt- die- oder derjenige staatliche Ausbildungsförderung er- steigerungen über die Freibeträge hinauswachsen, ohne hält, deren oder dessen Familie es materiell nicht möglich dass die Eltern real »reicher« werden. ist, sie oder ihn ausreichend zu unterstützen.1 2. Mit den Geldbeträgen, mit denen das BAföG die förde- In seiner wechselvollen Geschichte hat das BAföG sehr rungsfähigen jungen Erwachsenen ausstattet, kann man viele »Reformen« und immer wieder Kürzungen und Ver- immer weniger seine Grundbedürfnisse (z.B. Wohnen, Er- schlechterungen erlebt. Gewerkschaften und Studieren- nährung) decken, da diese kontinuierlich teurer werden. denvertretungen monieren, dass das BAföG die oben for- Das BAföG kann so schleichend immer weniger seinen mulierte Funktion deshalb nur unzureichend erfüllt. Zweck erfüllen. Diesem Prozess soll durch die gesetzlich verankerte BAföG-Berichterstattung entgegengewirkt werden. »§ 35 wirkt damit zumindest wie eine einge- schränkte Selbstbindung des Gesetzgebers, Leistungen nach dem BAföG nicht durch Preisniveausteigerungen erodieren zu lassen« (Arens, 2009, S. 101). Wirksam kann eine Erosion der Ausbildungsförderung aber nur verhin- dert werden, wenn die Bedarfssätze und Freibeträge im BAföG tatsächlich Schritt halten mit der Entwicklung der Lebenshaltungskosten bzw. der Lohnentwicklung. 1. Grundlagen und Einführung in die BAföG-Diskussion 7
1.3 Kürzungsgeschichte des BAföG seit 19714 Im BAföG-Bericht der Bundesregierung finden sich vor al- Der stellvertretende Vorsitzende der GEW Andreas Keller lem Daten des Statistischen Bundesamtes. Diese Daten schreibt unter der Überschrift »Mit Feiern ist es nicht ge- umfassen z.B. die Anzahl der Geförderten3 und den finanzi- tan – jetzt BAföG-Reform anpacken« anlässlich des aktuel- ellen Aufwand. Sie werden hauptsächlich über die BAföG- len Jubiläums des BAföG: »50 Jahre Bundesausbildungsför- Ämter gemeldet. Aber auch Daten, die nur der Bundesre- derungsgesetz – zweifellos ein Grund zum Feiern, weil das gierung vorliegen, werden für den Bericht der Bundesre- Gesetz einen wichtigen Beitrag zur sozialen Öffnung der gierung aufgearbeitet. Dazu gehören die Daten aus dem Hochschulen geleistet hat. Andererseits wurde das BAföG Bundesverwaltungsamt (BVA) zur Verwaltung des zinslo- seit 1971 regelrecht heruntergewirtschaftet. Erhielten vor sen Darlehensanteils innerhalb des BAföG oder auch die 50 Jahren noch 45 Prozent der Studierenden BAföG-Leis- Daten der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zu den tungen und zwar als Vollzuschuss,… sind es heute gerade verzinsten Bankdarlehen innerhalb des BAföG-Bezugs. noch elf Prozent.« (Keller 2021). Von großem Interesse sind auch die Daten zur Entwicklung Die hier gefeierte Öffnung der Hochschulen erfolgte über der Anzahl der Schüler_innen und Studierenden. Sie liegen den Paradigmenwechsel weg von der Begabtenförderung bei den Statistischen Ämtern nur in Bezug auf Schuljahre als Gnadenakt hin zur Ausbildungsförderung als Rechtsan- oder das Wintersemester vor. Für den BAföG-Bericht der spruch. Dieser Rechtsanspruch in seiner anfänglichen Aus- Bundesregierung werden diese Zahlen umgerechnet auf gestaltung erzeugte 1972 nicht nur eine stattliche Geför- das Kalenderjahr. Die sogenannten Förderquoten werden dertenquote von fast 45 Prozent aller Studierenden (Iost, dann mit den Zahlen zum Kalenderjahr ermittelt, sodass 2015). Außerdem entsprach die Höhe der damaligen Be- die Berechnung der durch die Bundesregierung definier- darfssätze ungefähr dem vom Deutschen Studentenwerk ten Förderquoten bisher auch weitgehend dieser vorbe- ermittelten realen Bedarf der Studierenden (Iost, 2015). Die halten bleibt. Zahl der geförderten Schüler_innen erreichte 1980 mit fast 800.000 – und damit fast der doppelten Anzahl der damals Viele der wichtigen Daten zum BAföG – vor allem bezo- geförderten Studierenden – ihren Höchststand (Schmidt, gen auf Prognosen der Kostenentwicklung für den Bundes- 2009, S. 160). Diese Reichweite des BAföG wurde durch haushalt – lässt sich die Bundesregierung vom Fraunhofer- Gesetzesreformen nach und nach abgebaut. Heute sind wir Institut für Angewandte Informationstechnik über Mikrosi- wieder weit entfernt von einer wirklichen Chancengleich- mulationsmodelle errechnen. Leider wird diese auch über heit beim Hochschulzugang und im Studium. Steuergelder bezahlte Auftragsforschung mit ihren Ergeb- nissen nicht veröffentlicht. Die meisten BAföG-Änderungsgesetze (BAföGÄndG) gin- gen mit einer Einschränkung der Gruppe der als förde- rungsfähig geltenden Schüler_innen und Studierenden ein- her. Beispielsweise brachte das Haushaltsbegleitgesetz von 1983 eine massive Einschränkung der Schüler_innen- förderung mit sich, die die Zahl der Geförderten bis 1986 um 85 Prozent einbrechen ließ (Schmidt, 2009, S. 160). Ausbildungsförderung für Schüler_innen an allgemeinbil- denden Schulen gibt es seither nur noch bei »notwendig auswärtiger Unterbringung«. Das inzwischen abgeschaff- te Schüler_innen-BAföG war aus Gewerkschaftsperspekti- ve ein sinnvolles und früh ansetzendes Instrument, Eltern mit geringen Einkünften dabei zu unterstützen, ihre Kinder bis zum Abitur die Schule besuchen zu lassen. Der Sparwillen der meisten Bundesregierungen drückte sich außerdem regelmäßig in der Umstellung immer grö- ßerer Teile der Förderung auf Darlehen (z.B. Haushaltsbe- gleitgesetz 1983) und/oder in der mangelhaften oder feh- lenden Erhöhung von Bedarfssätzen und Freibeträgen aus (z.B. in den Zeiträumen 1982-1990, 2001-2008 und 2010- 2016). 8 Alternativer BAföG-Bericht
1.4 1.5 Finanzwirtschaftliche Entwicklung Nichtökonomische Förderungs- und fiskalische Spielräume voraussetzungen Um beurteilen zu können, ob die Bedarfssätze und Freibeträ- Im Grundsatz steht am Anfang des BAföG das sogenannte ge des BAföG erhöht werden sollen, soll im BAföG-Bericht Subsidiaritätsprinzip. Sinngemäß ist dort formuliert, dass der Bundesregierung (neben der Preisniveau- und der Lohn- es ein Anrecht auf staatliche Ausbildungsförderung nur für entwicklung) auch auf die finanzielle Situation des Bundes diejenigen gibt, deren Familien den Lebensunterhalt und eingegangen werden. In der BAföG-Berichterstattung der die Versorgung einer Schüler_in oder Studierenden nicht Bundesregierung werden dabei in der Regel nur die Gesamt- selbst schultern können. Das sind die »ökonomischen För- ausgaben des Bundes in absoluten Zahlen, ergänzt um die dervoraussetzungen«, die über das System der Freibeträge prozentualen Veränderungen zum Vorjahr, dargestellt. Der ermittelt werden. Die aktuellen, »nichtökonomischen« Vo- Erkenntnisgewinn ist in Bezug auf die Frage nach den fiskali- raussetzungen für die Förderungsfähigkeit von Schüler_in- schen Möglichkeiten des Bundes sehr gering. Dass aufgrund nen und Studierenden sehen wie folgt aus: von Preisniveau- und Gehaltssteigerungen vom Bund jedes Jahr ein bisschen mehr ausgegeben wird, ist ein Allgemein- Nach § 7 fördert das BAföG grundsätzlich eine sogenannte platz und bietet keine Interpretationsgrundlage hinsichtlich Erstausbildung. § 7 regelt auch die Ausnahmen von dieser des Einflusses der »finanzwirtschaftlichen Entwicklung« auf Regel (z.B. den Masterstudiengang nach einem Bachelor- die BAföG-Förderung. Wenngleich dies für künftige Reform- abschluss). Ausbildungsförderung gibt es nur für den Be- debatten von erheblicher Bedeutung ist, hat es für die Ge- such von Schulen und Bildungseinrichtungen ab der zehn- förderten zunächst keine unmittelbaren Folgen. ten Klasse. Unter der Erstausbildung versteht das BAföG eine Kombination aus: Während Ausbildungsförderung in der Vergangenheit auch aus Länderetats bestritten wurde, ist mit dem 25. BAföGÄndG a) einem allgemeinbildenden Schulabschluss (Haupt- und die vollständige Finanzierung der BAföG-Leistungen auf Realschulabschluss, Fachhochschulreife, fachgebundene den Bund übergegangen. Die Frage, ob Deutschland sich und allgemeine Hochschulreife). Unter § 2 BAföG sind höhere Ausgaben beim BAföG »leisten« kann, hängt von die Bildungseinrichtungen aufgeführt, die förderungs- verschiedenen Faktoren ab. Es gibt nicht die finanzwirt- fähig sind. Einen allgemeinbildenden Schulabschluss schaftliche Entwicklung, die wie eine Wetterlage ent- ermöglichen Gymnasien, Fachoberschulen und Ausbil- scheidet, ob es »Geld regnen« kann oder nicht. Das Sozi- dungsstätten des zweiten Bildungswegs. Diese wären alstaatsgebot des Grundgesetzes und die historische Ent- Abendhauptschule, Abendrealschule, Abendgymnasium wicklung der Sozialgesetzgebung nehmen vor allem den und Kolleg. Seit dem Schuljahr 1983/84 wird eine Bund für die Erbringung staatlicher Sozialleistungen in die BAföG-Förderung für weiterführende, allgemeinbilden- Pflicht. So auch für das BAföG. de Schulen wie beispielsweise das Gymnasium nur noch bei notwendig auswärtiger Unterbringung bezahlt. Wenn die Wirtschaft preisbereinigt wächst, sind bei gleichbleibender Steuer- und Finanzpolitik Bedingungen b) und einer mindestens dreijährigen berufsqualifizie- gegeben, das relative Niveau der Leistungen trotz Preisni- renden Ausbildung5. Dazu gehören auch schon Ein- veau- und Einkommenssteigerungen mindestens zu halten. richtungen, die berufliche Grundbildung vermitteln. Rein rechnerisch wären sogar Schuldenabbau bei gleich- Förderungsfähige Einrichtungen nach § 2 BAföG sind bleibenden Sozialausgaben oder auch anwachsende So- Berufsfachschulen, Fachschulen, höhere Fachschulen, zialausgaben möglich. Die jeweiligen Bundesregierungen Akademien und Hochschulen. treffen finanz-, steuer-, und sozialpolitische Entscheidun- gen, die auf den jeweiligen Prioritäten beruhen. Bildungs- Weitere Einschränkungen aufgrund der BAföGÄndG der ausbau oder sozialstaatliche Kürzungen? Austeritätspolitik vergangenen Jahrzehnte sind: und Schuldenabbau trotz Niedrigzinsphase und Investiti- onsrückstand? Steuererhöhungen oder zusätzliche Schul- c) Förderungsfähig beim Studium sind nur Studierende in den für Investitionen in Bildung und Infrastruktur? Diese Regelstudienzeit. politischen Prioritäten der Bundesregierung schlagen sich in ihrer Einnahmen- und Ausgabenpolitik nieder. d) Für ein Bachelorstudium sollte eine Altersgrenze von 30 Jahren (zu Beginn des Studiums) nicht überschrit- Finanzwirtschaftliche Entwicklung ist immer eine Kombina- ten werden. tion aus wirtschaftlicher Entwicklung und politischer Prio- ritätensetzung. Diese spiegelt sich auch in der Ausgaben- e) Für direkt im Anschluss an den Bachelor angegangene prognose des Bundes wieder. Der ökonomische Rahmen, Masterstudiengänge gilt eine Altersgrenze von 35 Jah- indem Entscheidungen zum BAföG getroffen werden, sind ren (zu Beginn des Studiums). an den absoluten Ausgaben des Bundes und der Entwick- lung des BIP zu erkennen. 1. Grundlagen und Einführung in die BAföG-Diskussion 9
1.6 Darlehensanteil oder Vollzuschuss? f) »Mit dem 7. BAföGÄndG wurden die Möglichkeiten der »Die Bundesregierung hält es aus sozial- und bildungspo- Förderung von Zusatz- und Zweitstudien weitgehend litischen Erwägungen wie auch in Anbetracht des enor- eingeschränkt« (Bundesregierung 1985, S. 3). men Anwachsens der Leistungen nach dem BAföG für ge- boten, die bisher ausschließlich als Zuschuss gewährte g) Ausbildungsabbrüche und Fachrichtungswechsel sind Förderung der Studenten durch eine Förderung zu erset- nur unter bestimmten Bedingungen möglich und füh- zen, die auch einen Darlehensanteil enthält.« (Bundesre- ren oft zum Abbruch der Förderung. gierung 1973, S. 7) h) Es werden nur vollzeitschulische und vollzeituniversi- In diesem sehr frühen Zitat zeigt sich deutlich, dass die täre Bildungsgänge gefördert, weshalb Teilzeitstudien- Kosten des BAföG den Bundesregierungen schon direkt gänge nicht und Fernstudiengänge nur im letzten Jahr nach seiner Einführung zu hoch waren. Die haushaltspoli- förderungsfähig sind, wenn sie nachweislich in Vollzeit tische Grundausrichtung der meisten Bundesregierungen betrieben werden. seit 1971 beinhaltete den Versuch, die mit dem BAföG ein- geführten Mehrausgaben wieder zurückzuführen. Anstatt Es wird deutlich, dass über die Jahrzehnte hinweg der Ge- nun das BAföG wieder ganz abzuschaffen, verlagerten sie fördertenkreis im BAföG immer mehr eingeschränkt wurde. einen Teil der finanziellen Verantwortung auf die Geförder- »Nichtökonomische Förderungsvoraussetzungen« wurden ten selbst und in die Zukunft. Dies wurde dadurch erreicht, zumeist normativ damit begründet, dass sonst Missbräu- dass schon mit dem zweiten BAföGÄndG 1974 Darlehens- che möglich würden. Gewerkschaften und andere hoch- anteile eingeführt und das Konzept des Vollzuschuss auf- schulpolitischen Akteure halten dem entgegen, dass die gegeben wurden. Mit der Wende hin zu einer christlich- »nichtökonomischen Förderungsvoraussetzungen« teil- liberalen Koalition 1982 wurde das BAföG komplett auf ein weise an der Lebensrealität der jungen Erwachsenen vor- (unverzinstes) Darlehen umgestellt. Dies wurde im Zuge beigehen. Ab 1996 wurden beispielsweise weitgehend der Wiedervereinigung in Teilen zurückgenommen. Auch einheitliche Förderungshöchstdauern eingeführt, die sich heute noch ist die Hälfte der BAföG-Zahlungen ein Zu- an Regelstudienzeiten ausrichteten. Damals wie heute ent- schuss und die andere Hälfte ein Darlehen. Die Rückzah- sprechen die Regelstudienzeiten bei weitem nicht den lung ist auf 10.010 Euro gedeckelt. durchschnittlichen Studienzeiten. Gewerkschaften und Studierendenvertretungen bemän- Schon 1979 wurde mit dem sechsten BAföGÄndG die Al- geln, dass gerade in wirtschaftlich schwächeren und bil- tersgrenze in der Förderung von 35 Jahren auf 30 Jahre dungsbenachteiligten Familien größere Ängste vor Ver- abgesenkt. Maßgebend ist das Alter bei Beginn der ge- schuldung bestehen und junge Erwachsene vom Studium förderten Ausbildung. Für Masterstudiengänge wurde die abhalten. Außerdem ist es häufig ein Problem für junge Er- Altersgrenze der Förderungsfähigkeit inzwischen wieder wachsene, nach dem Studium Schuldenberge wieder ab- auf 35 Jahre angehoben. Diese Altersgrenzen sind wieder- zutragen – ausgerechnet in der für die Familiengründung um schwer mit dem Konzept des »lebenslangen Lernens« typischen Lebensphase. Zur Herstellung sozialer Gerech- zu vereinbaren. Arens kommt in seiner Analyse der histo- tigkeit beim Hochschulzugang wäre es also wichtig, den rischen Entwicklung der Gefördertenzahlen seit 1971 zu Darlehensanteil zurückzufahren oder das BAföG wieder folgendem Schluss: »Insgesamt lässt sich festhalten, dass komplett auf Vollzuschuss umzustellen. der im Zeitverlauf tendenziell fallende Anteil der grund- sätzlich Anspruchsberechtigten auf eine zunehmende Be- deutung der nicht ökonomischen Förderungsvorausset- zungen hindeutet, wozu auch steigende Studiendauern ohne entsprechende BAföG-Anpassungen zählen.« (Arens, 2009, S. 108) 10 Alternativer BAföG-Bericht
1.7 Die Diskussion um die Gefördertenquoten BAföG-Berichterstattung und BAföG-Änderungsgeset- Wie eine Abgeordnetenanfrage vom Juli 2016 an die Bun- ze stehen in einem engen Zusammenhang. Ab 1982 – desregierung ergab, ist die Bundesregierung diese metho- nach der weitgehenden Abschaffung des Schüler_innen- dische Herausforderung seit 1985 folgendermaßen ange- BAföGs – wird auf die Ausweisung einer Gefördertenquote gangen: Die Regelstudienzeiten wurden für die Auswahl für Schüler_innen verzichtet. Die Gefördertenquote stell- der förderungsfähigen Studierenden zugrunde gelegt. Ak- te bis dahin die Relation zwischen der Gesamtzahl der tuell sind das für den Bachelor im Durchschnitt sechs und Schüler_innen und den geförderten Schüler_innen in den beim Master vier Semester. Studierende außerhalb der Re- Berichtsjahren dar. gelstudienzeiten fallen aus dieser Zählung heraus, da sie tendenziell auch aus dem BAföG-Bezug herausfallen. Als Ab 1986 ging man in der Berichterstattung außerdem zweites Kriterium werden Studierende an Bundeswehr- dazu über, die Gefördertenquote für die Studierenden zu und Fernuniversitäten sowie an Verwaltungshochschulen verändern. Zusätzlich zur eigentlichen Gefördertenquo- herausgerechnet, weil deren Einkommen als zu hoch für te (Geförderte in Relation zu allen Studierenden) wurde eine Förderungsfähigkeit eingestuft werden. eine Quote ausgewiesen, die die Geförderten in Relation zu den Studierenden in sogenannter »förderungsfähiger Ob es weitere Kriterien gibt, die in die Berechnung ein- Ausbildung«6 zeigen sollte. Die Bundesregierung sugge- fließen, wurde von der Bundesregierung bisher nicht öf- riert mit dieser Zahl der Studierenden in »förderungsfähi- fentlich dargelegt. Die berücksichtigten Kriterien können ger Ausbildung«, nur diejenigen Studierenden erfassen zu »förderungsfähige Auszubildende«7, deren Förderungsfä- können, die den komplizierten und umfangreichen »nicht- higkeit von den umfangreichen, gesetzlichen »nichtökono- ökonomischen Fördervoraussetzungen« gerecht werden mischen Fördervoraussetzungen« (vgl. Kapitel 1.5) sowie (siehe das Kapitel 1.5). vom komplizierten Prüfprozess der BAföG-Ämter abhän- gen, nicht angemessen abbilden. Der aktuellste 21. BAföG- Seit 1994 wird nur noch die zweite Quote ausgewiesen. Bericht der Bundesregierung wurde im Dezember 2017 Diese korrigierte Gefördertenquote bei den Studierenden veröffentlicht und basierte auf Daten für die Jahre 2015 zeigt ein positiveres Bild als die Relation zwischen der Ge- und 2016 (Bundesregierung, 2017). Mit dem vorliegenden samtzahl der Studierenden und den Geförderten. Dies war alternativen Bericht sollen Änderungen möglichst weit in gewollt, denn die Bundesregierung befand 1985, dass die die Gegenwart nachvollzogen und um fehlende Aspekte bisher errechnete allgemeine Förderquote zu »einer un- ergänzt werden. Die hierfür anwendbaren statistischen günstigeren Bewertung der Förderungssituation geführt Daten liegen bis zu den Jahren 2019 und zum Teil 2020 vor. hat, als sie tatsächlich gegeben« sei. (Bundesregierung 1985, S. 2) Diese korrigierte Gefördertenquote wirft methodisch einige Probleme auf. Denn die vielen »nichtökonomischen Förderungsvoraussetzungen« sind bisher nicht erfassbar. Es gibt keine Datenreihe, die die Studierenden nach den Kriterien einer vollständigen gesetzlichen Förderungsfä- higkeit vor Antragstellung ausweist, auch wenn man die individuelle Einkommens- und Vermögenssituation außen vor lässt. Zusätzlich ist diese Gefördertenquote anfällig für Missin- terpretationen. Sie kann sich, z.B. wenn die Studierenden im Durchschnitt älter werden, bei einer gleichbleiben- den absoluten Gefördertenzahl positiv entwickeln, weil die Anzahl der Studierenden in förderfähiger Ausbildung formal zurückgeht. Außerdem bleibt in dieser Darstellung vollkommen unberücksichtigt, dass auch unter den bis- her »nicht förderungsfähigen« Menschen sind, die auf eine Förderung nach BAföG dringend angewiesen wären. 1. Grundlagen und Einführung in die BAföG-Diskussion 11
2. Aktuelle Entwick- lungen in der Bundesausbildungs- förderung Marc Schwenzer
2.1 Die Aktualisierung des BAföG durch das Änderungsgesetz 2019 Die letzte Änderung des BAföG erfolgte am 17. Juli 2019 Die Gesetzesänderungen hatten außerdem das erklärte mit dem 26. BAföGÄndG. Ziel, die bessere Vereinbarkeit von Familie und Studium zu ermöglichen: Neben anderen situativen Faktoren entscheiden vor allem zwei gesetzliche Regelung über eine mögliche Förderung: → Seither werden Kinder bis zum 14. Lebensjahr (statt vorher bis zum 10. Lebensjahr) berücksichtigt, wenn → Einkommensfreibeträge regeln bis zu welchem Fami- Ausnahmen bezüglich der Überschreitung des Höchst- lieneinkommen (in der Regel der Eltern) Förderung alters (z.B. 30 Jahre im Bachelor, 35 Jahre Master) oder nach dem BAföG in Anspruch genommen werden kann das Überschreiten der maximalen Förderungsdau- und ob diese Förderung vollumfänglich oder antei- er beantragt werden. Der Kinderbetreuungszuschlag lig erfolgt. Die 26. Novelle sah eine Erhöhung der Ein- wurde für alle Kinder einheitlich von 130 Euro auf kommensfreibeträge in drei Schritten vor: Jeweils zum 150 Euro angehoben. Wintersemester 2019 und 2020 wurden die Freibe- träge um 7 bzw. 3 Prozent erhöht. Die letzte Erhöhung → Geförderte, die Familienangehörige pflegen, werden um 6 Prozent steht im Herbst 2021 an. Nach dieser seit 2019 mit Eltern zudem gleichgestellt, wenn die letzten Erhöhung wird das anrechnungsfreie Einkom- Gepflegten mindestens in Plegegrad 3 eingestuft wur- men für Verheiratete bei 2.000 Euro liegen. den. → Der Vermögensfreibetrag bestimmt über die Grenze Zu dem wurde versucht, besondere Härten für Studie- ab der Schüler_innen und Studierende vor Inanspruch- rende über 30 Jahren abzumildern. Da diese in der Regel nahme der Förderung eigenes Vermögen aufbrauchen nicht mehr in der studentischen Krankenversicherung ver- müssen. Diese wurden ab 2020 von 7.500 Euro auf sichert sein können, zahlen sie höhere Beiträge. Auf Basis 8.200 Euro angehoben. Der zusätzliche Vermögensfrei- der durchschnittlichen kassenindividuellen Zusatzbeiträge betrag von Geförderten mit Unterhaltspflichten wur- erhalten Geförderte Beiträge zur Krankenversicherung in de (für jedes Kind oder Ehegatten) von 2.100 Euro auf Höhe von maximal 155 Euro und einen Zuschlag zur Pfle- 2.300 Euro angehoben. geversicherung in Höhe von maximal 34 Euro. Wie hoch die jeweilige Förderung tatsächlich ausfällt be- Ausführlichere Informationen über alle aktuellen Verände- stimmt sich an Hand der Bedarfssätze und situativer Zu- rungen bei Höchstsätzen, Freibeträgen und Zuschlägen satzleistungen: geben z.B. die Internetauftritte des Deutschen Studen- tenwerk, der DGB Jugend und des BMBF8. → Die Bedarfssätze wurden 2019 und 2020 in zwei Schritten um insgesamt 7 Prozent angehoben. → Infolge der massiv gestiegenen Wohnkosten an Hoch- schulstandorten wurde der Wohnzuschlag für nicht bei den Eltern wohnenden BAföG-Geförderten um 30 Prozent von 250 Euro auf 325 Euro angehoben. → Der BAföG-Zuschlag zur Krankenversicherung wurde von 71 auf 84 Euro, der Pflegeversicherungszuschlag von 15 auf 25 Euro erhöht. → Insgesamt wurde dadurch der Förderungshöchstsatz von 735 Euro im Jahr 2014 um über 17 Prozent auf ins- gesamt 861 Euro erhöht. 2. Aktuelle Entwicklungen in der Bundesausbildungsförderung 13
2.2 Die Entwicklung von Einkommens- freibeträgen und Geförderten 2.2.1 Wie bereits im letzten Alternativen-BAföG-Bericht gezeigt, Entwicklung von Freibeträgen und Bruttoeinkommen wurden Einkommensfreibeträge immer wieder nicht oder Wer Förderung erhalten kann, hängt entscheidend von verspätet angepasst. Dadurch wurden nicht nur weniger den Freibeträgen für Einkommen der Familie und Vermö- Schüler_innen und Studierende gefördert, sondern auch gen der Geförderten ab. Für die Mehrzahl der Schüler_in- mehr Eltern mit geringerem Einkommen dazu verpflichtet, nen und Studierenden ohne bedarfsdeckendes eigenes ihre Kinder zu unterstützen (Bundesregierung, 2017, S. 52). Einkommen bedeutet das, dass sie die jeweilige Vollför- derung erhalten, wenn das anrechenbare Einkommen9 Durch die vergleichsweise geringen Erhöhungen des Ein- ihrer Eltern den Einkommensfreibetrag unterschreitet und kommensfreibetrags fiel die Entwicklung hinter die (eben- sie selbst nicht mehr Vermögen haben als der Vermögens- falls indexiert dargestellte) Einkommensentwicklung und freibetrag vorsieht. insbesondere die Entwicklung des durchschnittlichen Bruttomonatseinkommens zurück. Erst die Anhebung der Um die Entwicklung der Einkommensfreibeträge zu be- Freibeträge ab Ende der 1990er Jahre hat diese Entwick- urteilen, müssen diese zur Preis- und Lohentwicklung ins lung phasenweise korrigiert. Die relativ schwachen Erhö- Verhältnis gesetzt werden. Das BMBF zieht hier ausschließ- hungen der Einkommensfreibeträge ab 2010 blieben er- lich die Entwicklung des bundesdurchschnittlichen Netto- neut hinter der Entwicklung des durchschnittlichen Brut- einkommens heran. Aussagekräftiger ist der Vergleich mit toeinkommens zurück und haben den Abstand sukzessive der Entwicklung der indexierten Bruttolöhne10. wieder vergrößert. Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der indexierten Einkom- Trotz des bei der Ausarbeitung des Gesetzes unvorher- mensfreibeträge für verheiratete Eltern seit 1971. Da ge- sehbaren Rückgangs des durchschnittlichen Bruttomo- setzliche Erhöhungen in den letzten Jahren oft gestaffelt natseinkommens infolge der Covid-19-Pandemie unter- zu bestimmten Stichtagen wirksam wurden sind hier jah- schreiten die Freibeträge des 26. BAföGÄndG weiterhin resdurchschnittliche Werte berechnet. die Bruttoeinkommen. Diese Lücke wäre deutlich größer ausgefallen, wenn sich die Einkommen krisenunabhängig entwickelt hätten. Abb. 1: Entwicklung der Einkommensfreibeträge, durchschnittliches Brutto- und Nettoeinkommen 2.2.2 (1971 – 2020) Entwicklung der Gefördertenzahlen Abbildung 2 zeigt die jährliche Zahl der Voll- oder Teilge- Index förderten11 im Kontext von jahresdurchschnittlichen Ein- kommensfreibeträgen und Bruttolöhnen. 500 471 454 Insgesamt sind die BAföG-Förderungen im letzten Jahr- 413 zehnt deutlich zurückgegangen. Dieser rückläufige Trend, 400 der im Jahr 2013 begann, setzt sich auch nach der ersten Phase der im 26. BAföGÄndG beschlossenen Erhöhungen der Einkommensfreibeträge ab Juli 2019 fort. 300 Seit dem bisherigen Höchststand von 2013 haben bis zum Jahr 2019 rund 278.600 Schüler_innen und Studierende we- 200 niger Förderung nach BAföG erhalten. Dieser drastische Rückgang der BAföG-Förderung droht 100 nicht nur nur partizipatorische und egalitäre Ziele zu un- 1970 1980 1990 2000 2010 2020 terminieren, sondern verringert auch Lenkungsanreize zu weiterführender Bildung und Kompetenzentwicklung bei ■ Einkommensfreibetrag ■ Bruttomonatseinkommen ■ Nettomonatsverdienst Beschäftigten. Ein Teil der Menschen, der an weiterfüh- Quelle: Arens (2009); BAföGÄndG (2007, 2010, 2014, 2019); Statistisches Bundesamt (2016b, 2021f); render schulischer oder hochschulischer Bildung interes- eigene Berechnungen siert und dafür geeignet ist, wird auf Grund der ökonomi- schen Situation andere biographische Pfade einschlagen. 14 Alternativer BAföG-Bericht
Abb. 2: Entwicklung von Gefördertenzahlen, indexierten Abbildung 3 zeigt dass es in den letzten Jahren u.a. auf Freibeträgen und Bruttolöhnen (1991 – 2019) Grund demographischer Entwicklungen immer weniger Berufsfachschüler_innen in Vollzeitausbildung gibt. Bei Index Geförderte Personen den Vollzeitschüler_innen hat dagegen eine Entwicklung »gegen den Trend« (Bundesregierung, 2014, S. 37) statt- 500 gefunden, der den demographischen Rückgang nahezu 472 kompensiert hat. 1.250.000 400 Die Zahl an Schüler_innen dieser beiden Ausbildungsarten (in Vollzeit) ist insgesamt von 550.893 im Jahr 2011 um rund 1.000.000 873.167 10 Prozent auf 495.630 im Jahr 2019 gesunken. 300 750.000 Angesichts der auf zwei Schultypen beschränkten Darstel- 252 680.157 lung der Entwicklung der Schüler_innenzahlen wurde im 200 letzten alternativen BAföG-Bericht eine neue Schätzung 198 500.000 vorgeschlagen, die die Entwicklung der förderungsfähigen 103 Schüler_innen besser beschreibt (Kaphegyi, 2016). Dabei 100 werden die Schüler_innenzahlen aller Schularten12 berück- 1990 2000 2010 2020 sichtigt, an denen Schüler_innen BAföG beziehen.13 Auf Grund von Problemen der Abgrenzung wurden allgemein- ■ Einkommensfreibetrag ■ Anzahl der Personen mit BAföG-Förderung bildende Gymnasien14 und Berufsaufbauschulen15 ausge- ■ Bruttomonatsverdienst schlossen. Nur 2 Prozent der geförderten Schüler_innen Quelle: Arens (2009); BAföGÄndG (2007, 2010, 2014, 2019); Statistisches Bundesamt (2016b, 2021e+f); kommt aus diesen ausgeschlossenen Schultypen. eigene Berechnungen Wagt man hier doch eine Schätzung für die allgemein- bildenden Schulen, zeigt sich, dass Schüler_innen der 2.2.2.1 Sekundarstufe II an allgemeinbildenden Schulen im ers- Entwicklung von Anzahl und Anteil geförderter ten Bildungsweg 2019 nur zu etwa einem Prozent BAföG Schüler_innen gefördert wurden.16 Neben politischen und rechtlichen Entscheidungen hängt die Entwicklung der BAföG-Förderung entscheidend da- von ab, wie viele potenziell Anspruchsberechtigte es über- Abb. 3: Vollzeitschüler_innen an ausgewählten haupt gibt. Da voraussetzungsreich ist, welche Gruppen beruflichen Schulen nach Schuljahren berücksichtigt werden (sollen), wird die Entwicklung der Schüler_innen und Studierenden in diesem Kapitel aus- 431.781 führlich dargestellt. 400.000 Seit der Abschaffung des allgemeinen Schüler_innen 382.005 BAföGs 1982 erhält nur noch ein kleiner Anteil Schüler_in- 300.000 nen BAföG. So betrug dieser Anteil an allen Schüler_innen im Jahr 2019 lediglich 1,8 Prozent. Mit der weitgehenden Abschaffung des Schüler_innen-BAföG wurde auch die Be- 200.000 richterstattung der Gefördertenquote bei Schüler_innen abgeschafft. In den Berichten der Bundesregierug erfolgt 119.112 113.625 die Schätzung anspruchsberechtigter Schüler_innen seit- 100.000 her nur noch exemplarisch anhand der Zahlen der Berufs- 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 fachschüler_innen und Fachschüler_innen in Vollzeitbil- dungsgängen (Bundesregierung, 2017). ■ Vollzeitberufsfachschüler_innen ■ Vollzeitfachschüler_innen Quelle: Statistisches Bundesamt (2012a, 2014a+b, 2015a, 2017a, 2018b, 2019a+b, 2020a, 2021a); eigene Berechnungen 2. Aktuelle Entwicklungen in der Bundesausbildungsförderung 15
Abb. 4: Schüler_innen an förderungsfähigen Abb. 5: Entwicklung des Anteils geförderter Schulen (2011 – 2019) Schüler_innen (2011 – 2019) 19.052 20.480 18.360 18.107 19.555 18.033 17.277 19.423 17.393 16.203 19.157 16.575 15.162 18.703 15.892 13.929 17.542 15.077 12.846 16.777 14.140 11.853 16.326 13.155 10.971 15.699 12.312 1.000.000 1.000.000 976.343 139.579 139.630 139.180 137.447 136.658 134.151 136.144 128.424 122.370 909.522 800.000 800.000 168.359 194.716 172.879 180.712 189.967 193.208 188.187 179.883 173.193 600.000 600.000 180.612 185.202 191.039 190.965 193.418 187.859 182.882 179.835 178.140 550.893 495.630 400.000 400.000 200.000 200.000 196.774 455.212 436.948 431.200 425.991 431.689 424.740 421.398 416.358 412.788 117.677 0 0 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 ■ Berufsfachschulen ■ Fachschulen ■ Fachgymnasien ■ Fachoberschulen ■ Fachschüler und Berufsfachschüler in Vollzeit ■ Geförderte Schüler_innen ■ Abendgymnasien ■ Abendrealschulen ■ Kollegs ■ Schüler_innen an förderungsfähigen Schulen Quelle: Statistisches Bundesamt (2012a+b, 2013, 2014a+b, 2015 a, 2017a, 2018b, 2019a+b, 2020a, Quelle: Statistisches Bundesamt (2011, 2012a+b, 2013, 2014a-c, 2015a+b, 2016a, 2017a+b, 2018b+d, 2021a); eigene Berechnungen 2019a-c, 2020a+c, 2021a); eigene Berechnungen Abbildung 4 zeigt die Entwicklung der Schüler_innenzahl Abb. 6: Entwicklung des Anteils geförderter in Voll- und Teilzeitbildungsgängen an Bildungseinrich- Schüler_innen tungen mit Schüler_innen die BAföG-Förderung erhielten. Auch mit diesem Indikator, der im Vergleich zu dem vom 0,36 BMBF verwendeten Indikator auch Teilzeitausbildungen 0,35 und weitere Schultypen berücksichtigt, ist ein deutlicher Rückgang der Schüler_innenzahlen erkennbar. Zwar stie- gen die Zahlen zwischenzeitlich bis 2015, seither gibt es 0,30 aber einen klar rückläufigen Trend. 0,25 Der Blick auf die Zusammensetzung zeigt einerseits eine Verschiebung hin zu höherqualifizierenden beruflichen 0,24 Ausbildungswegen (z.B. zur Hoch- oder Fachhochschul- 0,20 reife). Andererseits sinken die Schüler_innenzahlen an Bil- 0,20 dungseinrichtungen des zweiten Bildungswegs weiter- 0,15 hin besonders stark. 0,13 0,10 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 ■ Gefördertenquote A (Basis: Fachschüler und Berufsfachschüler in Vollzeit) ■ Gefördertenquote B (Basis: Schülerinnen an förderungsfähigen Schulen Quelle: Statistisches Bundesamt (2011, 2012a+b; 2013, 2014a-c, 2015a+b, 2016a, 2017a+b, 2018b+d, 2019a-c, 2020a+c, 2021a); eigene Berechnungen 16 Alternativer BAföG-Bericht
In Abbildung 5 + 6 ist die Entwicklung des Anteils geför- Abb. 7: Studierende an allen Hochschulen derter Schüler_innen dargestellt. Sowohl auf Basis der ge- (Wintersemester 2000 – 2019) förderter Fach- und Berufsfachschüler_innen (Geförder- tenquote A17) als auch auf Basis der Schüler_innen an för- derungsfähigen Schulen (Gefördertenquote B18) hat der 3.000.000 geschätzte Anteil geförderter Schüler_innen deutlich ab- genommen. Dieser rückläufige Trend der Förderungsquo- 2.945.659 ten ergibt sich in einem Zeitraum in dem zunehmend weni- ger Schüler förderungsfähig waren. Beide Entwicklungen haben zur Folge, dass tendenziell weniger Ressourcen in 2.529.344 2.500.000 die Förderung von Schüler_innen fließen. Die Förderung von Schüler_innen ist – anders als die För- derung von Studierenden – ein Zuschuss ohne Darlehens- anteil. Die relativ hohen durchschnittlichen Förderbeträ- 2.000.000 ge bei Schüler_innen (siehe z.B. Hauptschüler_innen und Berufsaufbauschüler_innen) können in Teilen durch die ho- 1.799.338 hen Unterbringungskosten auswärts wohnender Jugend- licher erklärt werden. 1.612.311 1.500.000 Über alle Schularten hinweg ist der Anteil der Vollförde- 2000 2005 2010 2015 2020 rung in den letzten 15 Jahren trotz rückläufiger Phasen19 insgesamt deutlich angestiegen. Während dieser Anteil im ■ Studierende insgesamt ■ Studierende mit deutscher Staatsangehörigkeit Jahr 2005 noch 62,2 Prozent betrug, erhielten im Jahr 2019 70,4 Prozent der geförderten Schüler_innen Vollförderung. Quelle: Statistisches Bundesamt (2018c, 2021b+c); eigene Berechnungen 2.2.2.2 Entwicklung von Anzahl und Anteil geförderter Abb. 8: Entwicklung der Schulabsolvent_innen Studierender mit Studienberechtigung (2000 – 2019) Die Zahl der Studierenden im Wintersemester20 hat in den letzten zwei Jahrzehnten fast kontinuierlich zugenommen (Abbildung 7). Gleiches gilt für die Entwicklung der Schul- 600.000 absolvent_innen mit Studienberechtigung (Abbildung 8). Allerdings wird hier die Interpretation durch die doppelten Abgangsjahrgänge erschwert. Diese resultieren aus dem in vielen Bundesländern vollzogenen Wechsel vom neunjäh- rigen zum achtjährigen Gymnasium und führte dazu, dass 500.000 aus diesen doppelten Jahrgängen mehr Schüler_innen stu- dienberechtigt waren und auch mehr Jugendliche ein Stu- dium aufnehmen. So erhöhte sich die Anzahl der Studie- renden zwischen Wintersemester 2011/12 und Winter- 419.235 semester 2016/17 um rund 425.000 Studierende. Diese 400.000 erhöhten Studierendenzahlen haben sich in den Folge- jahren bis zum Studienabschluss der Absolvent_innen aus den doppelten Jahrgängen fortgeschrieben. 347.616 300.000 2000 2005 2010 2015 2020 ■ Schulabsolvent_innen mit Studienberechtigung Quelle: Statistisches Bundesamt (2020b); eigene Berechnungen 2. Aktuelle Entwicklungen in der Bundesausbildungsförderung 17
Entsprechende Schulreformen begannen 2007 in den klei- Da nicht alle zur Berechnung notwendigen Zahlen, trotz nen Bundesländern. Der höhere Anstieg der Studienbe- der steuerfinanzierten Forschung, frei zugänglich sind, rechtigtenzahlen in den Jahren 2011 bis 2013 ist vor allem kann diese Quote hier nicht reproduziert werden. auf die doppelten Abiturjahrgänge der bevölkerungsrei- chen Bundesländer (z.B. Bayern, Baden-Württemberg und Stattdessen wird der Anteil der Geförderten auf Basis der Nordrhein-Westfalen) und den Doppeljahrgang in Hessen Studierendenzahlen berechnet. Prinzipiell anspruchsbe- 2014 zurückzuführen. Der Doppeljahrgang in Schleswig- rechtigt sind aber nicht nur deutsche Studierende, son- Holstein wirkt sich dagegen auf Grund weniger Abschlüs- dern auch Bildungsinländer_innen und (bei Vorliegen be- se an den achtjährigen Gymnasien geringer aus. Seit 2016 stimmter Voraussetzungen) Geflüchtete ohne deutsche sind die Zahlen studienberechtigter Schüler_innen rück- Staatsangehörigkeit.22 2016 waren z.B. 26 Prozent der Stu- läufig. dierenden ohne deutschen Pass Bildungsinländer_innen und somit mehrheitlich anspruchsberechtigt. Auch wenn der starke Wachstumstrend mit dem Höhe- punkt von 7 Prozent vom Jahr 2011 auf 2012 eine Folge dieser Schulreformen ist, lag die jährliche Zunahme auch Abb. 9: Entwicklung von Studierenden und nach 2017 über einem Prozent. Der sinkende demographi- geförderten Studierenden (2002 – 2019) sche Trend bei den Schulabsolvent_innen mit Studienbe- rechtigung (Bundesregierung, 2014, S. 38) wurde offen- sichtlich durch höhere Studienneigung überkompensiert. 3.000.000 Während die Zahl der Studierenden an Hochschulen in 2.820.737 den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen ist, ist die 2.500.000 Zahl der im Jahresdurchschnitt BAföG geförderten Studie- renden dagegen zwischen 2012 und 2019 um 38,9 Pro- zent gesunken. 3.000.000 Abbildung 9 zeigt diesen Rückgang der Geförderten zu- 1.839.591 sammen mit der Schätzung21 der Studierenden. Diese ge- 1.500.000 genläufigen Entwicklungen haben dazu geführt, dass der Anteil der geförderten Studierenden an der Gesamtstu- dierendenzahl deutlich rückläufig ist. 1.000.000 Seit 1986 erfolgt die Berechnung der Gefördertenquote durch die Bundesregierung (in Relation zu den Anspruchs- 500.000 berechtigten) auf Grundlage einer normativen Berech- nungsmethode (vgl. Bundestagsdrucksache 10/4617, 316.862 303.576 S. 7). Bei dieser wird mithilfe typisierender Annahmen als 0 Bezugsgröße nicht die Gesamtzahl aller Studierenden ver- 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 wendet, sondern die Zahl der Studierenden, die abgese- hen von den Einkommensverhältnissen überhaupt dem ■ Geförderte Studierende ■ Jahresdurchschnittlich Studierende (Schätzung) Grunde nach die wesentlichen Anspruchsvoraussetzun- gen nach BAföG erfüllen würden. Die Berechnung die- Quelle: Statistisches Bundesamt (2003, 2004, 2006a+b, 2008, 2009, 2010, 2011, 2012b, 2013, 2014c, 2015b, 2016a, 2017b, 2018d ,2019c, 2020c); eigene Berechnungen auf Basis des durchschnittlichen ser nicht direkt prüfbaren Größe ist problematisch und Monatsbestands der Geförderten die Annahmen zum Teil bildungspolitisch zweifelhaft (vgl. Kapitel 1.7). 18 Alternativer BAföG-Bericht
Abb. 10: Entwicklung des Anteils geförderter 2.2.3 Studierender (2011 – 2019) Zusammensetzung der Geförderten nach dem Einkommen der Eltern BAföG-Empfänger_innen kommen aus Herkunftsfami- lien mit sehr unterschiedlichen Einkommenssituationen. 20 Abbildung 11 zeigt die Entwicklung der Zusammenset- zung der Geförderten nach der ökonomischen Situation 19 % ihrer Herkunftsfamilie. Für alle Geförderten der Jahre 2013 bis 2019 ist hier der prozentuale Anteil der Einkommens- 17 % gruppen der Eltern dargestellt. Grundlage ist das unge- 15 wichtete Bruttoeinkommen (beider) Eltern. 13 % Auch ohne Inflationsbereinigung sind zwei gegenläufige Entwicklungen erkennbar. Einerseits haben Geförderte aus 11 % Familien mit weniger als 5000 Euro oder ohne Einkommen 10 zugenommen24. Andererseits haben tendenziell mehr Kin- 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 der Förderung erhalten, deren Eltern ein höheres Gesamt- einkommen aufweisen. Je nach Familiensituation dürfte es ■ Gefördertenquote (Basis: Studierende insgesamt) sich hierbei vor allem um Teilförderungen handeln. ■ Gefördertenquote (Basis: Studierende mit deutscher Staatsangehörigkeit) Quelle: Statistisches Bundesamt (2003, 2004, 2006a+b, 2008, 2009, 2010, 2011, 2012b, 2013, 2104c, 2015b, 2016a, 2017b, 2018c+d, 2019c, 2020c, 2021b+c); eigene Berechnungen Abb. 11: Geförderte in Prozent nach dem Jahreseinkommen der Eltern Abbildung 10 zeigt beide Quoten im Zeitverlauf. Der tat- sächliche Anteil geförderter Studierender liegt je nach Ent- 25 wicklung des Anteils der Bildungsinländer_innen zwischen den dargestellten Werten für Studierende mit deutscher Staatsangehörigkeit und allen Studierenden. Insgesamt ist 20 der Anteil Geförderter seit 2011 rückläufig. 15 Damit setzt sich der rückläufige Trend der Geförderten- quote fort, den Arens (2009, S. 107ff.) bereits für den Zeit- raum vor 2005 festgestellt hat.23 Insgesamt kann nur noch 10 ein immer kleiner werdender Teil der Studierenden von BAföG profitieren. An diesem Trend hat sich auch im Win- 5 tersemester 2019/2020, welches bereits Änderungen der letzten BAföG-Novellierung abbildet, nichts geändert. 0 55,3 Prozent der nach BAföG geförderten Studierenden ohne Einkommen/ ohne Angabe Unter 10.000 10000-20.000 20000-30.000 30.000-40.000 40.000-50.000 50.000-60.000 60.000-70.000 70.000-80.000 80.000- und mehr an Universitäten, Kunst- und Fachhochschulen waren im Jahr 2019 Frauen (Statistisches Bundesamt, 2020c, Tabel- le 6). Der weibliche Gefördertenanteil übersteigt damit deutlich den Anteil weiblicher Studierender im Winterse- ■ 2013 ■ 2016 ■ 2019 mester 2019/2020 von 49,3 Prozent (Statistisches Bundes- amt, 2021c, Tab ZUS-01). Zwei Erklärungen sind möglich. Quelle: Statistisches Bundesamt (2014c, 2015b, 2016a, 2017b, 2018d, 2019c, 2020c); eigene Berechnungen Zum einen, dass verstärkt junge Frauen aus wirtschaftlich schwächeren Elternhäusern die Möglichkeit der Förderung durch BAföG nutzen. Zum anderen, dass Frauen häufig eine längere Förderungsdauer aufgrund von Pflege- und Betreuungsaufgaben haben (vgl. Kapitel 2.5.1). 2. Aktuelle Entwicklungen in der Bundesausbildungsförderung 19
2.3 Finanzielle Situation der Geförderten Der Anteil einkommensarmer Geförderter kann aus den 2.3.1 vorliegenden Daten grob geschätzt werden. Hierzu wird Entwicklung von Bedarfsätzen als Vergleichswert das durchschnittlichen Haushaltsbrut- Mit den so genannten Bedarfssätzen wird geregelt, wel- toeinkommen herangezogen. Dieses betrug 2019 (2016, che Lebensbedingungen für Geförderte als angemessen 2013) jährlich 56.844 Euro (56.808 €, 48.540 €)25. Definiert oder zumutbar angesehen werden. Um unterschiedlichen man einkommensschwache Haushalte analog zu den gän- Lebenssituationen Rechnung zu tragen, werden gesetz- gigen Armutsdefinitionen für die Nettoäquivalenzeinkom- lich unterschiedliche Bedarfssätze berechnet. men ab 60 Prozent dieses Wertes, verliefe die Grenze zu den einkommensschwachen Haushalten bei einem Jahres- Zum einen wird, je nachdem ob Geförderte selbst Wohn- einkommen von 34.106 Euro (34.085 €, 29.124 €). raum mieten müssen oder zu Hause leben, eine unter- schiedliche Wohnpauschale erstattet. Zum anderen wer- Nach diesem Kriterium waren im Jahr 2019 64,9 Prozent den unterschiedliche Grundbedarfe für Studierende und der geförderten Familien arm, wenn die Kategorie ohne Schüler_innen zu Grunde gelegt.26 Einkommen keine fehlenden Angaben enthielt oder 29,9 Prozent wenn es sich in dieser Kategorie nur um feh- Seit dem Jahr 2008 betrug die Grundförderung für nicht lende Angaben handeln würde. Analog waren im Jahr 2016 bei den Eltern lebende Schüler_innen je nach Schultyp zwischen 66,5 und 33,1 Prozent arm, im Jahr 2013 zwi- konstant zwischen 78 und 96 Prozent der Förderungssum- schen 60,2 und 20,4 Prozent. me von Studierenden. Diese Ungleichbehandlung von Stu- dierenden und Schüler_innen wurde historisch nicht mit Insgesamt sind in den Jahren 2013 bis 2019 zwei Trends zu dem unterschiedlichen Ressourcenbedarf im Rahmen der erkennen. Einerseits scheint der Anteil der armen geför- Ausbildungssituation begründet, sondern mit dem un- derten Familien etwas abzunehmen, andererseits ist eine terschiedlichen durchschnittlichen Alter beider Gruppen zunehmende Polarisierung der Förderung zu beobachten. (Arens, 2009, S. 100). Unabhängig davon, ob sich die Be- Es wurden mehr Menschen aus besonders armen Familien darfe mit unterschiedlichem Alter unterscheiden, wäre gefördert und gleichzeitig mehr Menschen, die besser mit denkbar, dass das Alter direkt in die Berechnung von Be- finanziellen Ressourcen ausgestattet sind. darfssätzen eingeht. Die anhaltende Besserstellung von Studierenden kann mithin als blinder Fleck der Debatten um Gerechtigkeit und Angemessenheit von BAföG-Be- darfssätzen angesehen werden. Die gesetzlichen Anpassungen der Bedarfssätze sind seit Beginn der 1980er Jahre häufig hinter der durchschnitt- lichen Steigerung der Lebenshaltungskosten zurück ge- blieben. Die jeweiligen Bundesregierungen haben die In- flation von Fördersätzen auch nicht nachträglich in Zeiten besserer Konjunktur kompensiert.27 Das bedeutet, dass BAföG-berechtigte Auszubildende im Zeitverlauf real we- niger gefördert wurden und die ausgezahlten Sätze nicht bedarfsdeckend waren. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Studie von Dohmen et al. (2019) auf Basis der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks für das Jahr 2016 (Middendorff et al., 2017, S. 47). Studierenden, welche nicht bei den Eltern wohn- ten, hatten in der Regel höhere Ausgaben als durch die BAföG-Förderung abgedeckt waren.28 Während im Rah- men derselben Befragung 83 Prozent der nicht BAföG-ge- förderten Studierenden angeben, dass die Finanzierung ihres Lebensunterhalts sichergestellt ist, stimmen dieser Aussage nur 73 bis 74 Prozent der elternabhängig und nur zwischen 45 und 50 Prozent der elternunabhängig BAföG-Geförderten zu. 20 Alternativer BAföG-Bericht
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