AUSGABE 13 NEWS UPDATE - Sonderausgabe - Kulturbüro Sachsen eV

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AUSGABE 13 NEWS UPDATE - Sonderausgabe - Kulturbüro Sachsen eV
NEWS AUSGABE 13
UPDATE
Sonder
   ausgabe

             Wir feiern!
AUSGABE 13 NEWS UPDATE - Sonderausgabe - Kulturbüro Sachsen eV
VORWORT
Ein Rückblick................................................ 4

RÜCKBLICK
In der Mitte des Weges.................................... 8

20 Jahre Beständigkeit durch
Wandlungsfähigkeit...................................... 10

AUS DER PRAXIS
Ein Haus für nationale Jugendarbeit in Zittau?...... 14

Gespräch zwischen Generationen..................... 16

ÜBER DEN GROSSEN
TEICH GESCHAUT
Ein Interview mit Jeremy Seitz-Brown
von FairVote................................................ 18

AUS DER PRAXIS
„Es gab Zeiten, da haben die Themen Flucht
und Asyl nur wenige interessiert"...................... 20

Mit Kontinuität menschenrechtsorientierte
Jugendgruppen stärken................................. 21

Extrem demokratisch.................................... 23

Eine Geschichte der Fachstelle
Bildungsangebote........................................ 24

PROJEKTE
Erfolge: Besser spät als nie............................. 26

Feldforschung mit Hintergrund........................ 27

AUF EINEN BLICK
Tagungen/Veranstaltungen.............................. 28

Publikationen.............................................. 28

Kontakte................................................... 30
AUSGABE 13 NEWS UPDATE - Sonderausgabe - Kulturbüro Sachsen eV
4                                                                                                                                                          5
                                                        VORWORT                                                                                                                                                    VORWORT

Ein Rückblick auf 20 Jahre                                         und die notwendigen Mitarbeiter*innen für die ersten drei      ins Dunkel der Strukturen und Personen der rechten Sze-                                        nur die sächsischen Behörden hatten uns auf dem Kie-

Kulturbüro Sachsen e. V.                                           Beratungsteams in den sächsischen Regierungsbezirken
                                                                   Pirna, Wurzen und Neukirchen (bei Chemnitz) eingestellt.
                                                                                                                                  ne. Viele Künstlerinnen und Künstler zeigten Gesicht u. a.
                                                                                                                                  auf dem jährlichen Courage-Konzert, der Bundestags-
                                                                                                                                                                                                                                 ker und beargwöhnten kritisch unsere Arbeit (Stichwort
                                                                                                                                                                                                                                 Extremismusklausel). Auch durch (Neo-)Nazis selbst
Von Matthias Klemm, Mitglied des Vorstands*                        Die systemischen Beratungsansätze aus dem Community            präsident Wolfgang Thierse reiste durch die Provinz und                                        standen wir unter Beobachtung: durch Anfragen der NPD
                                                                   Organizing und der Soziokultur standen Pate.                   hörte den jungen Leuten zu, die teils massive Gewalt und                                       und AfD im Landtag, durch Denunziationen im Internet
Was war da los, damals vor 20 Jahren, reichlich zehn Jah-                                                                         Einschüchterung erfahren hatten und an der zur Schau                                           und Verleumdungen bei PEGIDA-Kundgebungen, und
re nach der „Einheit“, als die ersten mobilen Berater*in-                                                                         gestellten Nicht-Zuständigkeit der Behörden schier ver-                                        tragischerweise auch durch Überfälle auf unsere Mitar-
nen ausrückten, um in Sachsen den (Neo-)Nazis und Ras-             20 Jahre Kulturbüro heißt zuallererst:                         zweifelten – und obendrein als „Nestbeschmutzer“ galten.                                       beiter*innen. Aber ihr, liebe Mitarbeiter*innen, habt euch
sist*innen die Stirn zu bieten, den wenigen Aufrechten             20 Jahre „Mobile Beratungsteams“ (MBT)                             Aber sie gaben nicht auf. In vielen Orten Sachsens                                         nicht einschüchtern lassen, ihr habt weitergemacht, weil
den Rücken zu stärken und den (noch immer) ungeübten                                                                              standen die Leute auf, zeigten Gesicht, nutzten das Ver-                                       ihr euch auf euer Team verlassen konntet, weil ihr euch
Demokratie-Verwaltern auf die Sprünge zu helfen?                   Die Mobilen Beratungsteams waren anfangs ein Projekt           sammlungsrecht. Und mussten lernen, dass niemand                                               auf die Solidarität eurer Partner*innen und Netzwerke
    Es war 2001, das erste Jahr im 21. Jahrhundert: der            des Vereins Büro für Freie Kultur- und Jugendarbeit e. V.      widersprach, wenn sie es nicht taten. Dass niemand in                                          verlassen konntet. Ihr seid die wahren Verfassungsschüt-
„Aufstand der Anständigen“ war in vollem Gange, „Natio-            (Kulturbüro Dresden). Der damalige Träger beschreibt in        Hör- und Sichtweite protestierte, wenn sie es nicht taten.                                     zer*innen im besten Wortsinne (auch wenn eure finan-
nal befreite Zone“ war das Unwort des Vorjahres, die UNO           der Chronik auf seiner Webseite die wesentlichen Aufga-        Und dass es manchmal nur mit zivilem Ungehorsam als                                            zielle Eingruppierung etc. noch immer nicht so geregelt
deklarierte das „Internationale Jahr der Mobilisierung ge-         ben und Ziele der Mobilen Beratunsteams kurz und präg-         letztes Mittel möglich war, die (Neo-)Nazis am Demonst-                                        werden konnte, wie es eigentlich sein müsste).
gen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeind-                nant: „Sie beraten sachsenweit lokale Vereine, Jugendi-        rieren zu hindern (Stichwort „Blockieren“). So entstanden                                          Darum soll an dieser Stelle auf das allerherzlichste
lichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz“ und                nitiativen, Kirchgemeinden, Netzwerke, Firmen sowie            neue Bündnisse und Initiativen. Und mittendrin die Bera-                                       gedankt werden: allen Mitarbeiter*innen (ehemaligen
der Begriff der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlich-               Kommunalpolitik und -verwaltung mit dem Ziel, rechts-          terinnen und Berater der Mobilen Beratungsteams mit ih-                                        und aktiven), den Vereinsmitgliedern und Netzwerkpart-
keit“ war noch nicht erfunden.                                     extremistischen Strukturen eine aktive demokratische Zi-       rem Know-how: als Impulsgeber*innen, Türöffner*innen,                                          ner*innen, dem Beirat, allen Impuls- und Fördermittelge-
    Global betrachtet war es die Zeit von Putin und Bush,          vilgesellschaft entgegenzusetzen. Die Projektleitung/Ge-       Moderator*innen und Begleiter*innen.                                                           ber*innen sowie natürlich den Spender*innen. Und allen,
Berlusconi und Blair, Schröder und Fischer bei uns                 schäftsführung hat seitdem Grit Hanneforth inne, damals            Mittlerweile ist der Verein gewachsen, die Bürostand-                                      die sich immer wieder für uns eingesetzt haben. Das ist
und Schwarz-Blau in Österreich. Die frischgebackene                noch zusammen mit Friedemann Bringt. Anfang 2004               orte haben sich geändert, Mitarbeiter*innen kamen-blie-                                        wichtig, tut gut und verdient Respekt.
CDU-Vorsitzende hieß Angela Merkel und Wowereit re-                wurden die Mobilen Beratungsteams dann dem neu ge-             ben-gingen, Projekte starteten und endeten. Da stellt sich                                         Schon der alte Goethe hatte ja in seinem „Faust“ eine
gierte Berlin („und das ist auch gut so“). In Genua fand der       gründeten Kulturbüro Sachsen e. V. übertragen. Seitdem         schon die Frage: Gab es auch so etwas wie Kontinuität?                                         wichtige Erkenntnis (und nannte sie sogar der „Weisheit
von Ausschreitungen überschattete G8-Gipfel statt und              kamen viele weitere Projekte in den Bereichen Demokra-         Was ist geblieben, über all die Jahre? Es ist der Mut zur                                      letzter Schluss“): „Nur der verdient sich Freiheit wie das
wir hatten bald keine D-Mark mehr, dafür Angst vor BSE             tiebildung, Gemeinwesenarbeit, Jugendhilfe, Empower-           Veränderung. Und die interessiert uns. Das ist unser Mot-                                      Leben, der täglich sie erobern muss“. Und mit der Demo-
und islamistischem Terror (Stichwort „Nine-Eleven“).               ment und soziokulturelle Animation hinzu. Die Herange-         to. Denn verändern heißt bewegen, heißt leben, heißt ei-                                       kratie verhält es sich ganz genauso!
    Und in Sachsen? Biedenkopf holte 1999 zum dritten              hensweise war immer davon geprägt, die Perspektive von         nen Plan haben, wohin es gehen könnte. Dazu müssen wir                                             Und wenn wir jetzt zurückblicken, auf die Kämpfe, Kri-
Mal in Folge mit der CDU die absolute Mehrheit. Den                marginalisierten Gruppen und Betroffenen im Gemeinwe-          wach bleiben, aufmerksam die gesellschaftlichen Verän-                                         sen und Erfolge der „letzten zwei entsicherten Jahrzehn-
Landtag mussten sie sich nur mit zwei Parteien, PDS und            sen sichtbar zu machen und ihnen ein Forum zu bieten.          derungen registrieren, ähnlich wie Seismologen die Er-                                         te“ (Heitmeyer), dann können wir feiern. Denn wir haben
SPD, teilen. Es gibt zwar die „Soko REX“ – im Übrigen              Aber stets braucht(e) es – als conditio sine qua non – eine    schütterungen durch Erdbeben beobachten. Wir müssen                                            überlebt und das Land ein kleines Stück verändert und
hält Biedenkopf die Sachsen aber für „immun“, was den              vitale und couragierte Bürgerschaft oder Vereinsführung        proaktiv auf die Politik zugehen und einwirken und mög-                                        besser gemacht. „Und im Vorgefühl von solchem hohen
Rechtsextremismus betrifft. Derweil verbreiten (Neo-)              oder Rathausspitze vor Ort, die den Willen und den Mut         liche fatale Entwicklungen aufzeigen und aufhalten. Das                                        Glück genieß’ ich jetzt den höchsten Augenblick“. Happy
Nazis und ihre Kameradschaften Angst und Schrecken                 hat, Rassismus beim Namen zu nennen (statt geziert von         bedeutet für uns ganz konkret: aktiv bleiben, vernetzen,                                       Birthday, Kulturbüro!
auf den Straßen und in den Clubs in den ländlichen Ge-             „Fremdenfeindlichkeit“ zu sprechen) und Zustände zu            handeln, nicht nur zuschauen und Chroniken schreiben.
bieten. Die NPD ist außerhalb ihrer Hochburgen noch re-            verändern.                                                         Doch diese Arbeit wurde uns nicht immer leicht ge-                                         Matthias Klemm
lativ schwach, der NSU mordet bereits unerkannt im Un-                 Natürlich waren wir damals nicht die Ersten – und          macht, oft wurden uns Steine in den Weg gelegt. Jedoch:
tergrund und das Hochwasser des nächsten Sommers ist               nicht die Einzigen. Das Netzwerk für Demokratie und            Wir haben überlebt. Trotz allem. Und mit der Hilfe von au-
noch nicht abzusehen.                                              Courage (NDC) zielte auf direkte Bildungsarbeit mit            ßen – vor allem.

                                                                                                                                                                                                                                                                                              Foto: Martin Jehnichen (Leipzig)
    Die Geschichte des Kulturbüros begann in einem klei-           Schülerinnen und Schülern ab, die RAAs engagierten sich            2007 standen wir kurz vor der Insolvenz, da das (Un-)
nen Hinterhaus in der Dresdner Neustadt. Hier wurden die           vorbildlich in der Jugend- und Aussiedlerarbeit, Gewerk-       Zuständigkeits-Hick-Hack der Bundes- und Landesbe-
Konzepte entworfen, um dem meist hilf- und/oder kritiklo-          schaften sensibilisierten für das Thema in Betrieben und       hörden seinen traurigen Höhepunkt erreicht hatte. Hier
sen Akzeptieren von rechter und rassistischer Gesinnung            Verwaltungen, die Kirchen in ihren Gemeinden, Initiativen      half vor allem, neben der Lobbyarbeit auf allen Ebenen,
in der Gesellschaft etwas entgegenzusetzen. Hier wurden            und Vereine in allen Teilen Sachsens kämpften gegen den        Annetta Kahane mit der Amadeu-Antonio-Stiftung schnell
Anträge beim neuen Bundesprogramm CIVITAS gestellt                 erstarkenden Rechtsextremismus an und brachten Licht           und anstandslos durch das „Tal der Tränen“. Doch nicht

                                                                                                                                 * Matthias Klemm ist Gewerkschafter, stammt aus Sachsen und ist mit kurzer Unterbrechung seit 2004 im Vorstand
                                                                                                                                 des Kulturbüro Sachsen ehrenamtlich aktiv.
AUSGABE 13 NEWS UPDATE - Sonderausgabe - Kulturbüro Sachsen eV
... Initiativen und Netzwerke gegründet
                                                                                                                                                                oder bei der Gründung unterstützt
                                                              ... Workshops organisiert und an
                                                                                                                                                                       Gründung der Landesarbeits-
                                                                     Workshops teilgenommen
                                                                                                                                                                            gemeinschaft Kirche für
                                                                      Workshop mit Beteiligung
                                                                                                                                                                                 Demokratie gegen
                                                                      US-Generalkonsulat 2014
                                                                                                                                                                           Rechtsextremismus 2010

                                                               ... Teamausflüge gemacht
                                                               Teamausflug 2019

                          IN DEN LETZTEN 20 JAHREN
                                 HABEN WIR:                                                      ... Pressekonferenzen abgehalten
                                                                                                 und die Öffentlichkeit über unsere
                                                                                                 Themen informiert
... Tagungen (mit)organisiert und an                                                             Pressekonferenz zu den „Geh Denken“
            Tagungen teilgenommen                                                                Aktionen um den 13. Februar 2009 in
     Tagung zum Thema Extremismus                                                                Dresden. V.l.n.r.:
                 2010, gemeinsam mit                                                             Grit Hanneforth (Kulturbüro Sachsen),
                        Weiterdenken –                                                           Anetta Kahane (Amadeu Antonio Stiftung),
   Heinrich Böll Stiftung Sachsen, u.a.                                                          Martin Dulig (SPD), Ralf Hron (DGB),
                                                                                                 Cornelia Ernst (Die Linke) und
                                                                                                 Johannes Lichdi (Bündnis 90/Die Grünen)

                                                                                                                             ... Unsere Arbeit mit kreativen
                                                                                                                                        Methoden evaluiert
                                                                                                                                      Projektabschluss_2012

                                          ... Workshops organisiert und an
                                          Workshops teilgenommen
                                          Workshop im Jahr 2015
AUSGABE 13 NEWS UPDATE - Sonderausgabe - Kulturbüro Sachsen eV
8                                                                                                                                    9
                                                      RÜCKBLICK                                                                                                                           RÜCKBLICK

                                                                  • eine sich zum Ende der DDR etablierende Melange              90er Jahre verfolgte auch die NPD einen „Aufbau Ost“: Der                sellschaftliche Rückhalt der Post-68er-Gesellschaft. Als
                                                                    aus rassistischen und antisemitischen Haltungen in           Parteiverlag Deutsche Stimme wurde ins sächsische Riesa                  lang nachwirkendes DDR-Erbe erwies sich, vor allem auf
                                                                    der Bevölkerung und einer gewalttätig rassistischen          verlegt, die Bundesgeschäftsstelle der Jugendorganisati-                 kommunaler Ebene, ein autoritärer Politikstil. Selbstbe-
                                                                    Skinheadsubkultur, die zum Teil von Staatseliten und         on Junge Nationaldemokraten (JN) nach
                                                                    Stasi als Gegenpool zu oppositionellen Gruppen und           Dresden. Dresden wurde als „Hauptstadt
                                                                    Jugendkulturen geduldet und zu ihrer Einschüchte-            der Bewegung“ deklariert und Logistik-
                                                                    rung genutzt wurden,2                                        punkte im Osten geschaffen, von denen
                                                                                                                                 aus organisiert und publiziert werden
                                                                  • staatliche Förderprogramme mit Täterfokussierung,            konnte.9 Während sich wache Demo-
                                                                    wie das AGAG-Programm Anfang der 90er Jahre,3                krat*innen in Sachsen gegen diese Ent-
                                                                    das – in Ostdeutschland mit schlecht ausgestatteten          wicklungen und den damit verbundenen
                                                                    Jugendhilfestrukturen und großer Scheu vor politi-           Rechtsdrift der Gesellschaft stemmten
                                                                    schen Auseinandersetzungen umgesetzt – rechte                und ab 1998 die in Chemnitz und später
                                                                    Subkulturen zusätzlich stärkte,4                             in Zwickau untergetauchten Rechtster-
                                                                                                                                 rorist*innen des NSU mindestens zehn
                                                                  • fehlende Sensibilität von Politik, Verwaltung,               Menschen ermordeten, vermochte der
                                                                    Strafverfolgungsbehörden und vielen meinungs-                damalige sächsische Ministerpräsident
                                                                    führenden Eliten hinsichtlich dieser Problemlage und         Biedenkopf keinen verstärkten Bedarf
                                                                    eine bis heute nachwirkende Entlastungsstrategie bis         an staatlichen und zivilgesellschaftlichen
                                                                    in höchste Regierungskreise hinein, rechte Gewalt mit        Aktivitäten zu erkennen. Sein Paradig-
                                                                    dem Verweis auf linke Strukturen oder Extremismus            ma, die Sachsen seien „völlig immun […]

In der Mitte des Weges
                                                                                                                                                                              Friedemann Bringt (r) im Gespräch mit Martin Dulig (Vorsitzender der SPD Sachsen) bei der Extremismustagung im Jahr 2010
                                                                    von links und rechts zu bagatellisieren,5                    gegenüber rechtsradikalen Versuchun-
                                                                                                                                 gen“,10 prägte die Handlungslogik weiter Teile der säch-                 stimmte Beteiligung von Bürger*innen wurde häufig eher
                                                                  • eine in Ostdeutschland besonders verbreitete                 sischen (Kommunal-)Politik und Verwaltung auf Jahre.                     als Behinderung der (Verwaltungs-)Arbeit, nicht als Be-
Standortbestimmung zur Verankerung des
                                                                    Perspektivlosigkeit als Folge von Transformations-                In Ostdeutschland entstanden im Herbst 1989 zahl-                   reicherung betrachtet. Politische Bildung, öffentliche De-
Kulturbüro Sachsen e. V. in herausfordern-
                                                                    prozessen und sozialer Deklassierung und damit               lose Runde Tische, die versuchten, ihren Anspruch auf                    batten über demokratische Mitbestimmung, den Umgang
dem Terrain
                                                                    verbundene Abwendung weiter Teile von der ohnehin            Mitbestimmung unter den neuen Bedingungen der par-                       mit rechter Gewalt oder die Integration geflüchteter oder
                                                                    nur schwach ausgebildeten demokratischen Zivil-              lamentarischen Demokratie umzusetzen. Von dieser Po-                     asylsuchender Menschen in den Lebensalltag werden vor
In den 90er Jahren war das politische Klima in vielen säch-
                                                                    gesellschaft.6                                               litisierung breiter gesellschaftlicher Gruppen profitierten              dem Hintergrund solcher autoritäreren Grundierungen im
sischen Orten und Regionen geprägt von der Dominanz
                                                                                                                                 in der zweiten Hälfte der 90er Jahre auch Initiativen und                kommunalen Alltag bisweilen vorschnell als ideologisch
von Neonazistrukturen, Kameradschaften und Übergrif-
                                                                  Neonazistrukturen aus den alten Bundesländern erkann-          Bündnisse, die sich nicht mit dem immer stärker organi-                  überfrachtend diffamiert. Akteur*innen der demokra-
fen bis hin zur Entwicklung von Angstzonen, in denen sich
                                                                  ten die Anschlussfähigkeit an Diskurse und die strukturelle    sierten Neonazismus im Osten abfinden wollten. Auch in                   tischen Zivilgesellschaft fanden sich in den Dörfern und
nicht-rechte Personen und Migrant*innen nicht zutrauten,
                                                                  Schwäche einer menschenrechtsorientierten Zivilgesell-         Sachsen versuchten solche zivilgesellschaftlichen Akteu-                 Kleinstädten in kleinen, oft marginalisierten Gruppen zu-
sich zu bestimmten Tageszeiten frei zu bewegen.1 Solche
                                                                  schaft in Ostdeutschland und investierten in ihr Projekt       re, ihre neue demokratische Freiheit zu nutzen und den
Strukturen reichten bis hin zu rechten Terrorgruppen, wie                                                                                                                                                                                              ↓
                                                                  einer aggressiv eigenwohlorientierten völkischen Zivilge-      neonazistischen Erscheinungen sowie der Untätigkeit der
dem später selbstenttarnten NSU oder den 2001 vom säch-                                                                                                                                                   1 | Vgl.: Feustel (2014): S. 10 ff.
                                                                  sellschaft.7 Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche      politischen Eliten und der Strafverfolgungsbehörden ihr
sischen Innenministerium verbotenen „Skinheads Sächsi-                                                                                                                                                    2 | Vgl.: Bringt (2021): 140 ff.
                                                                  – nicht gefestigter demokratischen Strukturen einerseits       Engagement entgegenzusetzen. Dabei mussten in der
sche Schweiz“, die aber bis über die Mitte der 2000er Jahre                                                                                                                                               3 | Vgl.: Feustel (2014): S. 67 ff.
                                                                  und Einstellungen der Bevölkerung anderseits – entstan-        Post-DDR zivilgesellschaftliche Strukturen vielfach erst
in Sachsen weiter aktiv und gefährlich blieb. Es gab eine                                                                                                                                                 4 | Vgl.: Bringt/Hanneforth/Starosta (2009): 140 ff.
                                                                  den Leerstellen, in denen extrem rechte Akteur*innen gut       aufgebaut und selbstbestimmtes politisches Handeln er-
Vielzahl von Gründen dafür, dass sich solche Strukturen                                                                                                                                                   5 | Vgl.: KBS (2020): S. 23 ff.
                                                                  an die aus der DDR überkommenen autoritären, nationa-          lernt werden. So hatten zivilgesellschaftliche Bündnisse,
nicht nur, aber insbesondere auch in Sachsen ausbreiten                                                                                                                                                   6 | Vgl.: Hanneforth/Nattke (2012): 10.
                                                                  listischen und teilweise rassistischen Grundhaltungen an-      die in dieser Zeit in Ostdeutschland entstanden, notwen-
konnten. Wir nennen hier nur die uns am wichtigsten er-                                                                                                                                                   7 | Vgl.: Bringt (2021): 140 ff.
                                                                  knüpfen konnten.8 Schon kurz nach dem Mauerfall trafen         digerweise einen anderen Bezugsrahmen als thematisch
scheinenden und verweisen dabei auf weiterführende Li-                                                                                                                                                    8 | Vgl.: Bringt/Hanneforth/Starosta (2009): 143.
                                                                  sich Führungsfiguren des westdeutschen Neonazismus mit         ähnlich gelagerte Bündnisse in den alten Bundesländern.
teratur aus zwanzig Jahren Publikationstätigkeit des Kul-                                                                                                                                                 9 | Hanneforth/Nattke (2012): S. 8 f.
                                                                  Vertretern ostdeutscher extrem rechter Gruppen, die sich       Die langjährige Erfahrung mit Lobbyarbeit und demokra-
turbüro Sachsen:                                                                                                                                                                                          10 | SäZ (28.9.2000): Interview mit Kurt Biedenkopf; zitiert
                                                                  Mitte der 80er Jahre etablierten, in Ostberlin. Ab Mitte der   tischen Aushandlungsformaten fehlte ebenso wie der ge-                        In: Bringt/Hanneforth/Starosta (2009): 145.
AUSGABE 13 NEWS UPDATE - Sonderausgabe - Kulturbüro Sachsen eV
10                                                                                                                         11
                                                     RÜCKBLICK                                                                                                                 RÜCKBLICK

sammen, die häufig eigene Betroffenenbiographien auf-        20 Jahre Beständigkeit                                       die Zurückdrängung von Ideologien der Ungleichwertigkeit      einandersetzung mit dem Nationalsozialismus hält die
grund zahlloser rechter Übergriffe und Gewaltattacken
bewältigen mussten und dabei politisch aktiv sein wollten.
                                                             durch Wandlungsfähigkeit                                     ist. Stattdessen orientiert sich die Arbeit des Kulturbüro
                                                                                                                          Sachsen e. V. fachlich am sozialprofessionellen Dreifach-
                                                                                                                                                                                        solidarische Netzwerkarbeit mit den vielfältigen Koopera-
                                                                                                                                                                                        tionspartnern bis heute in Sachsen an. Ohne diese bunte
Die Situation in Mittel- oder Großstädten war zumeist auf-                                                                mandat und der darin verankerten Menschenrechtsorien-         Initiativenlandschaft in Sachsen und deren partnerschaft-
                                                             Wandlungs- und Adaptionsfähigkeit sowie Fehlerfreund-
grund der zahlenmäßig größeren Gruppen etwas besser.                                                                      tierung.
                                                                                                                                 13
                                                                                                                                      Die Ursprünge dieser Fachverortung liegen in      lichen Unterstützung strukturschwächerer Akteur*innen
                                                             lichkeit11 waren die Grundprinzipien, die das Kulturbüro
Dennoch bestand der aktive Kern, der sich sichtbar Neo-                                                                   den Erfahrungen und Fachdebatten sozialer Menschen-           hätte Sachsen heute ein anderes Gesicht. Strukturbildung
                                                             Sachsen e. V. und seine Mitarbeiter*innen in Reaktion auf
naziaktivitäten entgegenstellte, bis Mitte der 2000er Jah-                                                                rechtsbewegungen, wie der Frauenrechtsbewegung, der           in den Regionen erforderte aber immer auch ein vernetz-
                                                             diese unterschiedlichen gesellschaftlichen Diskurse und
re beinahe ausschließlich aus jungen Antifaschist*innen,                                                                  amerikanischen Bürger*innenrechtsbewegung und den             tes Arbeiten in bundesweiten und europäischen Kontexten.
                                                             ihre Nutzung und Aufladung durch rassistisch-reaktionäre
die in die Leerstelle der Gesellschaft eintraten und dafür                                                                antikolonialen Befreiungsbewegungen. Diese Verortung          Ohne den Blick über den sächsischen Tellerrand und die
                                                             Akteure entwickeln mussten. Für die Organisationstruktur
diskreditiert und kriminalisiert wurden.                                                                                  liegt den mit Beratung und Bildung verbundenen Arbeits-       Unterstützung durch starke Partner, wie der Amadeu An-
                                                             bedeutete dies, sich diesen gesellschaftlichen Problemla-
    Dies ist der gesellschaftliche Erfahrungshintergrund                                                                  feldern des Kulturbüro Sachsen e. V. näher, als die Bezug-    tonio Stiftung, dem europäischen Netzwerk UNITED for
                                                             gen anzupassen, und für die Mitarbeiter*innen fortlaufend
vor dem das Kulturbüro Sachsen e. V. seine Arbeitsfelder                                                                  nahme auf statische Prinzipien einer freiheitlich-demokra-    Intercultural Action, dem Deutschen Gewerkschaftsbund
                                                             neue Antworten und Angebote zu entwickeln. Die Mobilen
mit Mobiler Beratung in Sachsen ab Juli 2001, mit der                                                                     tischen Grundordnung.  14
                                                                                                                                                                                        und der Einzelgewerkschaften, der Stiftung Mitmensch
                                                             Beratungsteams erwiesen sich dabei nicht nur als aufsu-
Fachstelle Jugendhilfe ab 2005, mit dem Arbeitsfeld Em-                                                                   Im Zuge dieser Haltungs- und Selbstverortungsdiskur-          und schließlich dem Bundesverband Mobile Beratung e. V.
                                                             chendes Allzwecktool in der Beratung und Begleitung de-
powerment und Gemeinwesenarbeit ab 2005 und schließ-                                                                      se kommt das Kulturbüro Sachsen e. V., ebenso wie viele       hätte es manche Konferenz, manches Arbeitsfeld im Kul-
                                                             mokratisch engagierter Gruppen oder als Unterstützung
lich dem Arbeitsfeld Bildungsangebote ab 2011 entwi-                                                                      andere zivilgesellschaftliche Initiativen und Verbände bun-   turbüro Sachsen e. V., manches Netzwerk in Sachsen und
                                                             für kommunale Verwaltungen und Politik. Sie waren und
ckelte und in dem diese Arbeit seit nunmehr zwanzig                                                                       desweit immer wieder mit staatlich verordneten Extremis-      schließlich die Aufmerksamkeit, die die sächsische Politik
                                                             sind auch Seismograph für gesellschaftliche Entwicklun-
Jahren weiterentwickelt und professionalisiert wird. Zu                                                                   musklauseln und Neutralitätsgeboten in Konflikt. Aus der      diesem Themenfeld heute widmet, nicht geben können.
                                                             gen und Themenfelder, die im Kulturbüro Sachsen e.V.
Beginn der Arbeit stellte noch die eingangs beschriebene                                                                  Perspektive einer nichtstaatlichen Organisation kann die      Besonders in der Frühphase der Arbeit nach dem Sommer
                                                             konzeptionell untersetzt und in Angebotsformen übersetzt
soziokulturelle Verankerung neonazistischer Strukturen                                                                    Arbeit für demokratische Kultur und gegen Ideologien der      2001 wäre ohne die Unterstützung von außen die Arbeit
                                                             werden. Die Adaptionsfähigkeit und Kreativität der Mitar-
und rechter Gewalt das Hauptthemenfeld der Arbeit dar.                                                                    Ungleichwertigkeit, wie sie Mobile Beratung, Jugendhilfe-     des Kulturbüro Sachsen e. V. – damals ausschließlich aus
                                                             beiter*innen von den Beratungsteams bis hin zu Verwal-
Anschlussfähig an eine in Teilen reaktionär-rassistische                                                                  beratung, Gemeinwesenarbeit und politische Bildungsar-        dem Bundesprogramm CIVITAS finanziert – nicht möglich
                                                             tung und Öffentlichkeitsarbeit war die Voraussetzung für
Bürger*innenschaft wurden diese Akteure auch durch                                                                        beit als Arbeitsfelder des Kulturbüro Sachsen e.V. darstel-   gewesen.
                                                             tragfähige Reaktionen auf und Angebotsformate für neue
ihre Aufmärsche anlässlich des Gedenktages an die Bom-                                                                    len, nie „neutral“ oder „politisch indifferent“ gegenüber
                                                                                                                                                                       15
                                                                                                                                                                                        Nicht zuletzt soll im Zusammenhang mit Kooperations-
                                                             gesellschaftliche Entwicklungen. Drei wesentliche Punkte
bardierung Dresden im Zweiten Weltkrieg, dem 13. Feb-                                                                     Ideologien der Ungleichwertigkeit sein.                       und Netzwerkarbeit auch auf das besonders bedeutsame
                                                             ermöglichten es dem Kulturbüro Sachsen e. V., trotz im-
ruar, die auf ihrem Höhepunkt 2008–2011 die europaweit                                                                                                                                  Feld des Wissenschaft-Praxis-Transfers und die Koopera-
                                                             mer wiederkehrender finanzieller Unsicherheiten, bis heu-
größten Neonaziaufmärsche darstellten. Die damit ver-                                                                                                                                   tion des Kulturbüro Sachsen e. V. mit Hochschulen und For-
                                                             te einen Beitrag für eine offene, demokratische und men-
bundene Normalisierung menschenfeindlicher Haltun-                                                                        2. Vernetztes Arbeiten sowohl in den Regio-                   schungsinstituten eingegangen werden: So arbeiten Ver-
                                                             schenrechtsorientierte Gesellschaftsvision12 zu leisten:
gen war die Grundlage des Erstarkens der Pegida-Bewe-                                                                     nen Sachsens als auch landes-, bundes- und                    treter*innen der Evangelischen Hochschule Dresden und
gung im Herbst 2014, die von Dresden aus ihre rassistisch                                                                 europaweit ermöglicht Nachhaltigkeit:                         der Hochschule Mittweida intensiv im Beirat des Kulturbüro
motivierte Aggressivität in die bundesdeutsche Gesell-                                                                                                                                  Sachsen e. V. mit. Besonders die soziologische Einstel-
                                                             1. Klarer Arbeitsgegenstand und fachliche
schaft trug. Mit der Einwanderung geflüchteter Menschen                                                                   Allein zu stehen war und ist keine Option für das Kultur-     lungsforschung zur Gruppenbezogenen Menschenfeind-
                                                             Haltung aller Arbeitsbereiche des Kulturbüro
schossen auf dem von Neonazis, Pegida und reaktionären                                                                    büro Sachsen e. V. Eine entscheidende Strategie in der        lichkeit und Ideologien der Ungleichwertigkeit des Instituts
                                                             Sachsen e. V. bilden den Kompass unserer
Bürger*innen vorbereiteten Nährboden überall in Sach-                                                                     nachhaltigen Verankerung der Auseinandersetzung mit           für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der
                                                             Arbeit:
sen asyl- und flüchtlingsfeindliche Initiativen wie Pilze                                                                 Ideologien der Ungleichwertigkeit und Alltagsrassismus        Universität Bielefeld lieferte dem Kulturbüro Sachsen e. V.
aus dem Boden. Auch die aktuellen rechtsoffenen Protes-                                                                   in der sächsischen Politik, Verwaltung und Zivilgesell-       bis hin in die gemeinwesenorientierte Praxis der Arbeits-
                                                             Ideologien der Ungleichwertigkeit, wie Rassismus und
te gegen die Coronapolitik in Sachsen gedeihen auf dieser                                                                 schaft stellte die solidarische Stärkung von Akteur*innen     felder wichtige Impulse und argumentative Referenz-
                                                             Antisemitismus, stellen den Arbeitsgegenstand der un-
Grundlage.                                                                                                                der demokratischen Zivilgesellschaft in Sachsen dar, die      punkte. Der Arbeitsbereich Mobile Beratung hatte dabei
                                                             terschiedlichen Bereiche im Kulturbüro Sachsen dar.
                                                                                                                          durch das Kulturbüro Sachsen e. V. in der Zusammenar-
                                                             Damit verbunden ist eine klare Absage an die ordnungs-                                                                                                                 ↓
Grit Hanneforth, Geschäftsführerin und                                                                                    beit mit landes- und bundesweiten Partnerorganisationen
                                                             politische Perspektive der Extremismusbekämpfung. Sie                                                                      11 | Vgl.: KBS-Leitbild; Im Internet:
Friedemann Bringt, Bundesverband Mobile Beratung                                                                          vernetzt und strukturbildend unterstützt wurden. Begin-            https://kulturbuero-sachsen.de/ueber-uns/leitbild/ (letzter Zugriff: 9.3.2021).
                                                             stellt keine sozialwissenschaftliche Analysekategorie und
                                                                                                                          nend mit dem Landesnetzwerk „Tolerantes Sachsen“ ab           12 | Ebd.
                                                             somit auch keine fachliche Gegenstandsbeschreibung für
                                                                                                                          2002, über die Organisation landesweiter Konferenzen          13 | BMB (2017): 11, vgl. auch: Staub-Bernasconi (2003): 17 ff.
                                                             Arbeitsfelder dar, deren gesellschaftlicher Arbeitsauftrag
                                                                                                                          von Asylinitiativen, die Beteiligung am Aufbau eines säch-    14 | Vgl.: Nattke/Göpner (2012): S. 21 f.
                                                             die Förderung von Demokratie und Menschenrechten und
                                                                                                                          sischen Bündnisses gegen Rassismus oder der AG Aus-           15 | Hufen (2018): S. 217.
AUSGABE 13 NEWS UPDATE - Sonderausgabe - Kulturbüro Sachsen eV
12                                                                                                                                                                                        13
                                                                            RÜCKBLICK                                                                                                                                                                                   RÜCKBLICK

das Privileg, seit seiner Einführung mit der Gründung des                                   Die Finanzierung eines freien Trägers wie des Kulturbüro                                                                                                                          vielfältigen Initiativenlandschaft sind heute in Bundes-
Kulturbüro Sachsen e. V. ununterbrochen forschend be-                                       Sachsen e. V. durch öffentliche Mittel, birgt viele Heraus-                                                                                                                       und sächsischer Landespolitik angekommen. Das ist
gleitet und evaluiert zu werden. Für einige wenige Projekte                                 forderungen. Neben einer ordnungsgemäßen Beantra-                                                                                                                                 nicht zuletzt ein Verdienst der in diesem Text dargestell-
im Arbeitsbereich Empowerment und Gemeinwesen konn-                                         gung und Abrechnung der Mittel muss insbesondere die                                                                                                                              ten langjährigen Arbeit des Kulturbüro Sachsen e. V. so-
te das Kulturbüro Sachsen e. V. eigens eine wissenschaft-                                   Finanzierung der Förderung für demokratische Kultur                                                                                                                               wie der sächsischen und bundesweiten Initiativenland-
liche Evaluation durch die Evangelische Hochschule Dres-                                    gegen Rechtsextremismus jährlich beantragt und abge-                                                                                                                              schaft insgesamt.
den und das Institut für Demokratische Entwicklung und                                      rechnet werden. Dieses häufig als „Projektitis“ kritisierte                                                                                                                           Der Erfolg gehört den Menschen vor Ort, die täglich
Soziale Integration in Berlin organisieren und finanzieren.                                 Förderverfahren bindet eine Unmenge von Energie und                                                                                                                               unter sehr herausfordernden und zum Teil emotional un-
Die Ausrichtung der Arbeitsbereiche und Themen entlang                                      erwies sich in der zwanzigjährigen Geschichte des Kultur-                                                                                                                         vorstellbaren Bedingungen eine unverzichtbare zivilge-
wissenschaftlicher Befunde und empirischer Forschung                                        büro Sachsen e. V. mehr als einmal als äußerst instabil.                                                                                                                          sellschaftliche Arbeit für demokratische Alltagskultur in
bleibt für das Kulturbüro Sachsen e. V. ein wichtiges An-                                   Es brauchte viel Kreativität und organisatorische Voraus-                                                                                                                         ihren Städten und Gemeinden leisten. Sie, ihre Vernetzun-
liegen, gerade auch in einer Zeit, die durch virtuelle Echo-                                schau, einen Träger so zu etablieren, das Wachstum und                                                                                                                            gen und Anliegen unterstützen und begleiten zu können
kammern sozialer Medien und esoterische Wissenschafts-                                      Schrumpfung gleichermaßen möglich sind. Flexibilität und                                                                                                                          ist ein Privileg, das unsere Arbeit interessant, bereichernd
feindlichkeit zunehmend von Faktensresistenz geprägt ist.                                   geistige Mobilität sind im Kulturbüro Sachsen e. V. nicht                                                                                                                         und auch persönlich wertvoll werden lässt.
So hat der Arbeitsbereich Mobile Beratung im Kulturbüro                                     nur für die inhaltlichen Arbeitsfelder Einstellungskriteri-                                                                                                                           Deshalb soll am Ende dieses Fluges durch zwanzig
Sachsen e. V. im Jahr 2020 den Zertifizierungsprozess                                       um, sondern auch in der Geschäftsstelle und der Finanz-                                                                                                                           Jahre Geschichte des Kulturbüro Sachsen e. V. auch ein
nach KQB (Kundenorientierte Qualitätstestierung für Be-                                     verwaltung, ohne die der Status Quo nicht erreicht worden                                                                                                                         großes Dankeschön stehen: Als Kulturbüro Sachsen e. V.
ratungsorganisationen) mit externer Prüfung erfolgreich                                     wäre. Mehr als einmal mussten unsere Mitarbeiter*innen                                                                                                                            sind wir stolz, dass wir diesen langen Weg mit Partneror-
abgeschlossen. Mit dem Institut für angewandte Demo-                                        gekürzte Lohnabschläge und Arbeitszeiten aufgrund aus-                                                                                                                            ganisationen und Weggefährt*innen gehen konnten. Un-
kratie- und Sozialforschung e. V. entwickelt das Kulturbüro                                 bleibender Fördermittel in Kauf nehmen. Nicht jeder Ar-                                                                                                                           ser besonderer Dank gilt aber den Sächs*innen, die ihr
Sachsen mit universitären Partnern ein neues Forschungs-                                    beitsbereich, der in den vergangenen zwanzig Jahren ent-                                                                                                                          gesellschaftliches Umfeld nicht für „immun […] gegen-
institut, das die Gestaltung demokratischer Gemeinwesen                                     wickelt wurde, ließ sich auf Dauer finanzieren. So musste                                                                                                                         über rechtsradikalen Versuchungen“ hielten und halten,
mit neuen Formaten politischer Bildung und angewandter                                      der Arbeitsbereich grenzüberschreitende Zusammen-                                                                                                                                 die sich täglich neu auf den Weg machen, die Gesellschaft
Praxisforschung verbindet.                                                                  arbeit, der dem Kulturbüro Sachsen e. V. unter anderem                                                                                                                            weltoffen, menschenwürdig, antirassistisch und demo-
                                                                                            vielbeachtete internationale Kolloquien zur sächsischen                                                                                                                           kratisch zu gestalten. In diesem Sinne bleiben wir auch
                                                                                            Erinnerungskultur und eine Publikation zur Zusammen-                                                                                                                              künftig „interessiert an Veränderungen, die eine emanzi-
3. Langfristige gesellschaftliche Unter-                                                    arbeit von Neonazis in Deutschland und Tschechien ein-                                                                                                                            patorische Gesellschaft“16 gestalten.
stützung und verlässliche öffentliche                                                       brachte, aufgrund fehlender Finanzierungsmöglichkeiten
Finanzierung sind eine unerlässliche Grund-                                                 geschlossen werden. Der jahrzehntelange Kampf um eine                                                                                                                             Grit Hanneforth, Geschäftsführerin und
lage zivilgesellschaftlicher Arbeit:                                                        Ausweitung der Mobilen Beratung und den Aufbau weite-                                                                                                                             Friedemann Bringt*, Bundesverband Mobile Beratung
                                                                                            rer Regionalbüros in Zwickau und Görlitz hat sich dagegen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         ↓
Nach den Anfangsjahren, in denen ausschließlich der Bund                                    im vergangenen Jahr 2020 durch eine Förderaufstockung
                                                                                                                                                                                                                                                                              16 | KBS-Leitbild; Im Internet: https://kulturbuero-sachsen.de/ueber-uns/leitbild/
und wenige freie Quellen die Arbeit des Kulturbüro Sach-                                    durch das Staatsministerium für Soziales und Gesundheit                                                                                                                                (letzter Zugriff: 9.3.2021).

sen e. V. finanzierten, entstanden bereits 2004 die ersten                                  ausgezahlt. Seit ca. fünf Jahren steht das Kulturbüro Sach-
Konturen für das bis heute wirkende Förderprogramm                                          sen e. V. finanziell und strukturell auf solider Basis.
Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz. Dieses
Förderprogramm stellte mit der damit verbundenen staat-                                     Es ist jedoch aber das Anliegen des Vereins, wie vieler an-
lichen Wertschätzung der Auseinandersetzung mit Ideo-                                       derer zivilgesellschaftlicher Initiativen und Projekte in der
logien der Ungleichwertigkeit eine wichtige Zäsur in der                                    Bundesrepublik, durch ein Demokratiefördergesetz des
Landespolitik dar und fördert bis heute eine Vielzahl zivil-                                Bundes eine längerfristige Finanzierungsperspektive über
gesellschaftlicher Projekte und Akteur*innen. Die Grundla-                                  mehrere Jahre hinweg, mehr aber noch eine öffentliche
ge für dieses durch die sächsische SPD in die Landespolitik                                 Anerkennung für diese gesellschaftlich bedeutsame Arbeit
eingebrachte Förderprogramm legten auch die sächsi-                                         zu erhalten.
schen Initiativen und Projekte, die im Netzwerk Tolerantes                                      Die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit Ideo-
Sachsen dafür langjährig in der Lobbyarbeit aktiv waren.                                    logien der Ungleichwertigkeit und der Förderung einer
                                                                                                                                                                                    Grit Hanneforth bei der Feier des zehnjährigen Bestehens des Kulturbüro Sachsen e. V.
                                                                                                                                                                                    im Jahr 2011

  * Friedemann Bringt arbeitete ab 2001 als Fachreferent im Kulturbüro Sachsen, hat das erste Konzept für mobile Beratung geschrieben und mit Grit Hanneforth zusammen dem Träger
  auf den Weg geholfen. Heute ist Friedemann Bringt Fachreferent für Berufsfeld- und Qualitätsentwicklung im Bundesverband Mobile Beratung und wurde in diesem Jahr mit dem Thema
  „Umkämpfte Zivilgesellschaft“ promoviert. (s. dazu Publikationen)
AUSGABE 13 NEWS UPDATE - Sonderausgabe - Kulturbüro Sachsen eV
14                                                                                                                        15
                                                  AUS DER PRAXIS                                                                                                            AUS DER PRAXIS

                                                              zum 30. Juni 2001. Der Neonaziverein reagiert mit Ge-         lud uns für den 14. Februar 2002 zu einem Expert*innen-
                                                              waltdrohungen. Der Stadtrat beauftragt den Oberbürger-        gespräch ein, um sich „fachlich weiter am Thema zu quali-
                                                              meister, eine Vorlage zur Übertragung des Hauses an den       fizieren“. Das Gremium beauftragte uns, ein Positionspa-
                                                              NJB mittels Erbbaupachtvertrag zu erarbeiten. Darüber         pier zu schreiben, welches an den Stadtrat weitergeleitet
                                                              wird heftig unter Sozialarbeiter*innen (ein Sozialarbeiter    wurde. Wenige Wochen später erklärte Oberbürgermeis-
                                                              der AWO war für die Jugendarbeit in der Südstraße 8 zu-       ter Voigt, dass es mit ihm keinen Erbbaupachtvertrag
                                                              ständig), Stadtratsfraktionen und Teilen des Gemeinwe-        gebe.21 Damit war aus unserer Sicht ein Neuanfang mar-
                                                              sens gestritten. Der Stadtfrieden ist gestört. Viele – auch   kiert und die Notwendigkeit gegeben, genau diesen als
                                                              überregionale Medien – berichten über Zittau. Genau in        Mobiles Beratungsteam verstärkt zu unterstützen.
                                                              dieser aufgeregten Zeit beginnt im September 2001 die             Dennoch stimmte der Zittauer Stadtrat im Juni 2002
                                                              Mobile Beratung des Kulturbüros Sachsen e. V. mit ihrer       dem Antrag der CDU-Fraktion zu, mit dem NJB einen
                                                              Arbeit. Zunächst benötigten wir möglichst schnell eine ei-    Pachtvertrag über die Immobilie Südstraße 8 mit 12-jäh-
                                                              gene Analyse und Bewertung: Welche Aktivitäten entfaltet      riger Laufzeit abzuschließen – ein Tiefpunkt unserer Ge-
                                                              der NJB? Wie vernetzt ist er in der Region? Wie wird der      schichte. Aber das sollte noch nicht das Ende sein: Nach
                                                              NJB von Verwaltung, Kommunalpolitik, Vereinen, Kirchen        einem umfangreichen Polizeieinsatz am 27. Juli 2002 mit
                                                              und Behörden bewertet? Haben alle Akteur*innen einen
                                                              vergleichbaren Kenntnisstand? Welche Handlungsoptio-
                                                                                                                                                                                        Markus Kemper im Jahr 2006
                                                              nen gibt es für Sozialarbeiter*innen, Stadträt*innen so-
                                                              wie Stadt- und Landkreisverwaltung? Und: wir mussten                                                                      und Kreisverwaltung, Polizei über Jugendsozialarbeit,
                                                              uns bekannt machen und Vertrauen gewinnen.                                                                                Kirche bis hin zu Initiativen wie „Augen auf“ –, ihren unter-
                                                                 Unsere Recherchen in der Presse, die Durchsicht                                                                        schiedlichen Perspektiven und Herangehensweisen, den

Ein Haus für nationale                                        der Landtagsanfragen und zahlreiche Gespräche vor Ort
                                                              machten deutlich, dass es sich beim NJB um eine gut
                                                                                                                                                                                        verschiedenen Themen und dem nicht selten in unserem
                                                                                                                                                                                        Arbeitsfeld vorhandenen medialen/öffentlichen Druck
Jugendarbeit in Zittau?                                       in der Region vernetzte, aktive neonazistische Struktur                                                                   konfrontiert.
                                                              handelt, die u. a. Konzerte mit bis zu 400 Neonazis ver-                                                                     An den Themen und Beratungsanfragen, die an die
Der erste Fall des Mobilen Beratungsteams                     anstaltete18 und den jährlichen Holger-Müller-Gedenk-                                                                     Mobilen Beratungsteams herangetragen werden, sowie
in der Oberlausitz im Rückblick                               marsch19 mitorganisierte. Bereits am 08. November 2001                                                                    an den Zielgruppen der Beratung hat sich bis heute nichts
                                                              – knapp acht Wochen nach Beginn unserer Tätigkeit im                                                                      geändert. Nach wie vor haben wir es in der Oberlausitz
Die Geschichte begann weit vor der Gründung des Kultur-       Kulturbüro Sachsen e. V. – hatten wir einen Beratungs-                                                                    mit neonazistischen Aktivitäten zu tun. Neben dem NJB
büros Sachsen e. V., knapp 10 Jahre früher – vielleicht ist   termin beim Zittauer Oberbürgermeister Herrn Voigt und                                                                    können die „Schlesischen Jungs“ auf eine ähnlich lange
sie sogar bundesweit einzigartig – und hat noch nichts an     Jugendamtsleiter Herrn Kaus, um uns vorzustellen, die                                                                     Geschichte verweisen. Darüber hinaus entstanden neo-
Aktualität verloren. Lassen Sie sich in die ostsächsische     Perspektive der Verwaltung auf die Problematik zu hören,                                                                  nazistische Gruppen in wechselnden Konstellationen und
Stadt Zittau mitnehmen, im Dreiländereck gelegen, die         unsere Sicht deutlich zu machen und über Handlungs-                                                                       mehrfach wurde die Oberlausitz zum Austragungsort
                                                                                                                            Petra Schickert
im Verlauf unserer Geschichte knapp 30% ihrer Einwoh-         möglichkeiten zu sprechen. In der Folge versuchten wir                                                                    überregionaler Neonaziveranstaltungen, wie die Disko-
ner*innen – heute sind es nur noch ca. 25.000 – verlor.       im Austausch mit staatlichen Akteuren und politisch Ver-      dem Fund von Baseballschlägern, Schlagstöcken, Äxten,       thek „Wodan“ in Mücka, die Gaststätte „Zur Deutschen
Nicht verloren gegangen ist der Stadt der neonazistische      antwortlichen, eine vertragliche Verbindlichkeit zwischen     einem Totschläger sowie einem Schlagring mit aufge-
                                                                                                                                                                                                                                    ↓
„Nationale Jugendblock Zittau e.V.“, der 2017 sein 25-jäh-    der Stadt Zittau und dem NJB über die Nutzung einer           setzten Spitzen, Munition und Gasmasken und einer Viel-
                                                                                                                                                                                        17 | Drs. 6/11264 Veranstaltungen im Vereinsobjekt des Nationalen Jugendblock
riges Bestehen feierte.17 Aber da sind wir schon mitten in    Immobilie zu verhindern. Auch unter Sozialarbeiter*in-        zahl zum Teil verbotener CDs, hob der Stadtrat von Zittau        Zittau e.V. (Valentin Lippmann), Im Internet: https://kleineanfragen.de/sachsen/
                                                                                                                                                                                             6/11264-veranstaltungen-im-vereinsobjekt-des-nationalen-jugendblock-zittau-e-v.
der Geschichte …                                              nen gingen die Positionen zur Frage der sozialen Arbeit       bereits zwei Monate später seinen Beschluss auf. Am 26.
                                                                                                                                                                                        18 | Am 28. Juli 2001 kamen ca. 400 Neonazis zu einer „Abschlussparty“ ins Objekt des
    Von Anfang des Jahres 1992 bis Mitte 2001 überlässt       mit fest in rechten Strukturen verankerten jungen Men-        März 2004 verkündet Zittaus Oberbürgermeister Voigt,             NJB; siehe Drs. 3/5624 vom 5. Juni 2002 (Uwe Adamczyk).

die Stadt Zittau dem „Nationalen Jugendblock Zittau“          schen weit auseinander. Die Themen „Möglichkeiten und         „das ehemalige Vereinshaus des rechtsextremen Natio-        19 | Am 5. Juli 1992 verstarb Holger Müller, nachdem er aus Notwehr (wie das Gericht
                                                                                                                                                                                             bestätigte) von einem Geflüchteten schwer verletzt worden war. Freunde Müllers
(NJB) ein Haus in der Südstraße 8 für eine Monatsmiete        Grenzen von Jugendsozialarbeit im Umgang mit rechten          nalen Jugendblocks Zittau (NJB) existiert nicht mehr“.           wurden wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt. In den Folgejahren veran-
                                                                                                                                                                                             stalteten NPD und NJB jährlich einen sog. Holger-Müller-Gedenkmarsch.
von 80 DM. Im Mai 2001 stellt die Stadt fest, dass aufgrund   Jugendlichen“ und „Bedeutung von Immobilienbesitz“               In diesen beschriebenen ersten Wochen unserer Ar-
                                                                                                                                                                                        20 | Diese bestand zu dem Zeitpunkt u.a. aus Vertreter*innen von Café 22, MUK,
der Baufälligkeit keine weitere Nutzung mehr möglich          waren mehrfach Gegenstand kontroverser Diskussionen.          beit vor Ort waren wir mit der Breite der uns in den fol-        Oberlausitzer Familienhilfswerk, Frauen helfen Frauen und der AWO.

und die Sanierung zu teuer sei. Die Stadt kündigt dem NJB     Die „Arbeitsgruppe Regional Jugendsozialarbeit Zittau“20      genden 20 Jahren begleitenden Zielgruppen – von Stadt-      21 | Sächsische Zeitung vom 3. März 2002.
AUSGABE 13 NEWS UPDATE - Sonderausgabe - Kulturbüro Sachsen eV
16                                                                                                                                                     17
                                                                          AUS DER PRAXIS                                                                                                                                               AUS DER PRAXIS

Eiche“ in Geheege oder das Hotel „Neißeblick“ in Ostritz.                                Gespräch zwischen                                                                           Es gab landauf, landab verunsicherte Kolleg*innen in den       Was war dein erster Eindruck von der Arbeit der Fach-
Anders als vor 20 Jahren besteht heute zivilgesellschaft-
liches Engagement nicht nur im Wirken der Initiative „Au-                                Generationen                                                                                Jugendclubs/treffs/-zentren. Ich versuchte einerseits, mir
                                                                                                                                                                                     einen Überblick über die Neonazis zu verschaffen: Mit wem
                                                                                                                                                                                                                                                    stelle Jugendhilfe bzw. dem Kulturbüro Sachsen?

gen auf e. V.“, sondern aus einem Netzwerk zivilgesell-                                                                                                                              habe ich es zu tun? Wie gelingt es der Szene, attraktiv für    Danilo Starosta:
schaftlicher Akteure, der „Demokratie AG Ostsachsen“,                                                                                                                                Jugendliche zu sein? Andererseits wollte ich in den länd-      Im Spätsommer 2005 hatte ich den ersten Kontakt als
                                                                                         Während das Kulturbüro 20 Jahre alt wird,
mit dem wir eng kooperieren. Auch die Sichtweise poli-                                                                                                                               lichen Regionen mit Nazihegemonie arbeiten. In Ostsach-        „Kollege Danilo“. Meine zukünftigen Kolleg*innen saßen
                                                                                         feiert die Fachstelle Jugendhilfe ihren
tisch Verantwortlicher auf die Thematik hat sich verän-                                                                                                                              sen, in Rothenburg bei Niesky fand 2006 „Hier geht was“   23
                                                                                                                                                                                                                                                    im Weinkeller der sächsischen Prinzessin Alexandra Ger-
                                                                                         16. Geburtstag, befindet sich also im besten
dert: Wie wäre es sonst anders zu erklären, dass sich mit                                                                                                                            statt. 2006 konnte ich die wesentlichen Nazi-Netzwerke         lach Prinzessin zur Lippe. Meinen Wortbeitrag beendete
                                                                                         Jugendalter. Die Mitarbeiter*innen lassen in
Beginn der neonazistischen Aktivitäten auf dem Gelände                                                                                                                               und Kameradschaften zuordnen. Naja, das wesentliche            ich mit Hölderlins „Geh unter, schöne Sonne“. Die weinse-
                                                                                         diesem teaminternen Selbst-Interview
des Hotels „Neißeblick“ im April 2018 über 40 Bürger-                                                                                                                                Nazi-Netzwerk, den NSU nicht.                                  ligen Kolleg*innen lächelten milde und ich fand sie süß.
                                                                                         ihre individuellen und gemeinsamen
meister*innen der Region mit der Ostritzer Bürgermeis-
                                                                                         Erfahrungen Revue passieren.
terin solidarisierten und öffentlich erklärten: „Wir wollen                                                                                                                          Lisa Bendiek:                                                  Sok Kierng Elisa Ly:
und wir brauchen in der Oberlausitz kein rechtsextremes                                                                                                                              Ich habe im Februar 2019 angefangen und mindestens ein         Mein erster Eindruck von der Arbeit in der Fachstelle Ju-
Festival! Nicht in Ostritz, nicht anderswo!“6                                                                                                                                        Jahr gebraucht, um zu verstehen, welche innere Logik die       gendhilfe war, dass es eine vielseitige und intersektionale
                                                                                         Wann hast du angefangen, in der Fachstelle Jugendhil-
    Die vielen in den Jahren entstandenen belastbaren                                                                                                                                verschiedenen Schwerpunkte der Fachstelle Jugendhilfe          Arbeit ist. Die Fachstelle setzt sich aus einem kompetenten
                                                                                         fe zu arbeiten, und was war damals dein inhaltlicher
Kontakte und das Vertrauen der Beratungsnehmer*innen                                                                                                                                 verbindet: Feldforschung zu den Bedarfen migrantisierter24     Team zusammen, das an der Schnittstelle von zivilgesell-
                                                                                         Schwerpunkt?
haben nach Eröffnung unseres neuen Bürostandortes im                                                                                                                                 junger Menschen gegenüber der Jugendhilfe, Weiterbil-          schaftlicher Politikgestaltung, sozialer Arbeit und Organi-
Sommer 2020 in Görlitz die Erschließung des Beratungs-                                                                                                                               dungen und Beratungen für Pädagog*innen zum Umgang             sationsentwicklung tätig ist. Ich habe mich von Anfang an
                                                                                         Danilo Starosta:
gebietes durch das neue Team bedeutend erleichtert.                                                                                                                                  mit Rassismus und Rechtsextremismus, partizipative Pro-        sehr willkommen gefühlt und bin dankbar für die Erfahrun-
                                                                                         Im Herbst 2005 fing ich als Jugendhilfecoach an. Es war ein
                                                                                                                                                                                     jekte zur Aufarbeitung des NSU-Komplexes und nebenbei          gen, die ich gesammelt habe.
                                                                                         Jahr mit so vielen Ereignissen. Merkel wurde Kanzlerin,
Markus Kemper, Mobiles Beratungsteam Mitte-Ost und                                                                                                                                   das Monitoring rechter Jugendszenen.
                                                                                         Ratzinger Papst. Menschen aus Afrika stürmten die sechs
Petra Schickert, Fachreferentin                                                                                                                                                          Zusammengefügt haben sich diese Puzzleteile für            Was war aus deiner Sicht das größte Highlight während
                                                                                         Meter hohen Zäune in den spanischen Enklaven Ceuta und
                                                                                                                                                                                     mich erst im Frühlings-Lockdown 2020. Da habe ich              deiner Arbeit in der Fachstelle Jugendhilfe?
                                          ↓                                              Mellila. In Sachsen machte die Kameradschaftsszene mit
                                                                                                                                                                                     mich intensiv mit den Recherchen der Chemnitzer Ge-
22 | Sächsische.de vom 06. April 2018: Bürgermeister gegen Neonazi-Festival.             der NPD gemeinsame Sache. Die NPD saß im Landtag.
     Im Internet: https://www.saechsische.de/buergermeister-gegen-neonazi-                                                                                                           schichtenwerkstatt „Jugendarbeit in der Transforma-            Danilo Starosta:
     festival-3912135.html.
                                                                                                                                                                                     tionsgesellschaft“ befasst, die Danilo jahrelang in der        Überlebt! 2009 überlebte ich einen Angriff von sechs Nazis!
                                          ←
                                                                                                                                                                                     lokalen Aufarbeitung des NSU-Komplexes begleitet hat.          Anhörung als Experte zu Blood and Honour Sachsen! Werk-
23 | „Hier geht was“ war eine 2006 in Rothenburg bei Niesky stattfindende gemeinsame
     Veranstaltung des Kulturbüro Sachsen e. V. und dem Deutschen Roten Kreuz.                                                                                                       Aus dieser Analyse hervorgegangen sind u. a. unser On-         statt Junge Demokratie wird von Aktion Mensch gefördert!
     Thema war die soziokulturelle Animation und die Schaffung jugendspezifischer
     Angebote im ländlichen Raum.                                                                                                                                                    line-Workshop „Keine Schlussstriche – Jugendarbeit             Theaterpremiere „Wie Hexen eben sind“! Zuckerfest! Tri-
24 | Mit dem Begriff "migrantisiert" beschreiben wir Menschen, denen eine (familiäre)                                                                                                nach dem NSU“ und unser Beitrag zum Forschungspro-             bunal „NSU Komplex auflösen“ in Chemnitz/Zwickau!
     Migrationserfahrung zugeschrieben wird - unabhängig davon, ob sie nach den
     Kriterien des Statistischen Bundesamtes einen "Migrationshintergrund" haben.                                                                                                    jekt „Regional und Mobil für Demokratie“ (ReMoDe) des
                                                                                                                                                                                     Landesarbeitskreis Mobile Jugendarbeit Sachsen e. V.           Lisa Bendiek:
                                                                                                                                                                                                                                                    Ein Highlight war die Mitorganisation des säkularisierten
                                                                                                                                                                                     Sok Kierng Elisa Ly:                                           Zuckerfestes in Chemnitz 2019, in enger Zusammenarbeit
                                                                                                                                                                                     Ich habe im Juni 2020 angefangen, mit 20 Stunden pro Wo-       mit den Aktiven des Arabischen Vereins für Integration und
                                                                                                                                                                                     che. Mein Schwerpunkt lag auf dem Forschungsprojekt            Kultur. Die rechtsextreme Bürgerinitiative Pro Chemnitz
                                                                                                                                                                                     zu Bedarfen junger Menschen mit Migrationsvordergrund          wollte aus Protest gegen die vermeintliche Islamisierung
                                                                                                                                                                                     in der sächsischen Jugendhilfe. Das Ziel des Projekts ist,     direkt neben dem Zuckerfest öffentlich Ferkel grillen. Durf-
                                                                                                                                                                                     einen Überblick über die verschiedenen Angebote zu er-         te sie aber nicht, denn direkt neben dem Zuckerfest stand
                                                                                                                                                                                     halten und zu prüfen, ob junge Menschen mit Migrations-        – unabhängig davon monatelang geplant – eine Demo von
                                                                                                                                                                                     vordergrund als Zielgruppe mitgedacht werden und welche        Animal Rights Watch unter dem Motto „Für die Schließung
                                                                                                                                                                                     spezifischen Bedarfe sie an die sächsische Jugendhilfe-        aller Schlachthäuser“. Unser solidarisches Bündnis aus
                                                                                                                                                                                     landschaft haben.                                              progressiven Minderheiten – hier: Tierrechtsaktivist*innen,
                                                                                                                                                                                                                                                    Mitgliedern des Arabischen Vereins und uns selbst – hat
                                                                                                                                                       Zuckerfest in Chemnitz 2019

                                                                                                                                                                                                                                                    also den Nazis effektiv die Show vermasselt.
AUSGABE 13 NEWS UPDATE - Sonderausgabe - Kulturbüro Sachsen eV
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                                   ÜBER DEN GROSSEN TEICH GESCHAUT                                                                                             ÜBER DEN GROSSEN TEICH GESCHAUT

                                                              wir die treibende Kraft hinter der Förderung der Verhält-    teilose schaffen. Wir müssen die Wahlprozedur öffnen, um
                                                              niswahl und der fairen Vertretung in Legislativbezirken      unsere volle Vielfalt widerzuspiegeln. Der Representation
                                                              mit mehreren Gewinnern, die unsere Wahlen für bessere        Act ist die stärkste Verpflichtung und umfassendste Lö-
                                                              Wahlmöglichkeiten, eine gerechtere Vertretung und mehr       sung zur Gleichstellung der Wähler*innen, Wahlgleich-
                                                              Bürgerkampagnen öffnen werden.                               heit und einer größeren Pluralität. So sorgen wir dafür,
                                                                                                                           dass unsere Demokratie wieder funktioniert – für alle.
                                                              KBS: Was ist in Ihren Augen das größte Problem im ame-
                                                              rikanischen Wahlsystem und was sind Ihre Lösungsan-          KBS: Bitte beschreiben Sie unseren Leser*innen Ihre
                                                              sätze?                                                       Methoden und Ansätze, mit denen Sie arbeiten.

                                                              J. S-B.: Parteiisches Gerrymandering (Fachbegriff für das    J. S-B.: FairVotes Betätigungsfeld ist die Unterstützung
                                                              strategische Zuschneiden der Wahldistrikte, Anm. KBS)        von Organisationen, die auf lokaler oder bundesstaatlicher
                                                              hat sich in Zeiten hoch entwickelter Technologie und po-     Ebene für die Einführung von Verhältniswahlen arbeiten.
                                                              larisierter Abstimmungsmuster nur noch verschlimmert.        Wir priorisieren Strategien, die Veränderungen innerhalb
                                                              Die Umwandlung der Wahldistrikte ist zu einem leidigen       des bestehenden Systems fördern, wie zum Beispiel Poli-
                                                              Unterfangen geworden, das voller Korruption, Kontrover-      tikentwicklung und angewandte Forschung. Wir engagie-
                                                              sen und jahrelanger teurer Rechtsstreitigkeiten steckt.      ren politische und mediale Influencer*innen und Vorden-
                                                              Unsere Probleme gehen jedoch über das Gerrymande-            ker*innen und nutzen die Netzwerke und Erfahrungen,
                                                              ring hinaus: Distrikte, die an nur eine Partei gehen, er-    die wir aus unserer Schlüsselrolle als Führungskraft und
                                                              füllen ihre Funktion für die amerikanische Demokratie        Ressource für erfolgreiche Rangfolgenwahl oder ähnliche
                                                              nicht mehr. Sie schließen die meisten Wähler*innen in        Wahlreformkampagnen haben.

Über den großen Teich                                         Kongressbezirke ein, die zunehmend auf eine Partei aus-
                                                              gerichtet sind. Zu viele Wähler*innen sind unterreprä-       KBS: Was sind die größten Erfolge Ihrer Arbeit und was
geschaut                                                      sentiert und machtlos, die Ergebnisse zu beeinflussen.       sind die größten Probleme, mit denen Sie konfrontiert
                                                              Millionen von Amerikaner*innen – ob städtische Republi-      sind?
In unserer Kolumne „Über den großen Teich geschaut“           kaner*innen, Demokrat*innen in republikanisch gepräg-
porträtieren und interviewen wir Nichtregierungsorgani-       ten Staaten, Parteilose, Frauen oder Communities of Co-      J. S-B.: In Partnerschaft mit staatlichen und lokalen Man-
sationen (NGOs) aus den USA. Damit wollen wir uns und         lor – sind dramatisch unterrepräsentiert, und es besteht     datsträger*innen trug FairVote maßgeblich dazu bei, in
unsere Leser*innen zu gesellschaftspolitischen The-           kaum eine Chance, dies durch Wahlen zu korrigieren.          vier Staaten bei den Vorwahlen des demokratischen Prä-
men weiterbilden, unseren Horizont erweitern und neue         Hier setzt der Fair Representation Act (Gesetz über faire    sidentschaftskandidaten 2020, in zwei Staaten für allge-
Impulse für unsere Arbeit gewinnen. Die Kolumne wird          Vertretung) an. Die Wähler*innen würden Vertreter*in-        meine Wahlen und in über zwanzig Städten eine Verhält-
unterstützt durch das Generalkonsulat der Vereinigten         nen durch Verhältniswahlrecht in größeren Distrikten         niswahl einzuführen. Die größte Herausforderung besteht
Staaten in Leipzig. Für diese Ausgabe konnten wir Jeremy      mit mehreren Gewinner*innen wählen. Sichere „rote“           darin, die Verwendung von Ranglisten-Abstimmungen so
Seitz-Brown gewinnen, der sich bei FairVote engagiert.        und „blaue“ Distrikte würden der Vergangenheit ange-         zu normalisieren, dass der Kongress die Verabschiedung
                                                              hören, da jeder Distrikt sowohl Republikaner*innen als       des Representation Acts in Betracht ziehen wird.
KBS: Was ist die Mission von FairVote?                        auch Demokrat*innen im Verhältnis zu ihrer Unterstüt-
                                                              zung wählen würde. Mit Verhältniswahlen würde es kein        Das Interview führte und übersetzte:
J.S-B.: FairVote ist ein unparteiischer Verfechter von        Gerrymandering geben, jede Wahl wäre umkämpft und            Susann Walter-Immonen
Wahlreformen, die den Wählern eine größere Auswahl,           unsere Stimmen wären weitaus gewichtiger als heute.          Öffentlichkeitsarbeit/Fundraising
eine stärkere Stimme und eine repräsentative Demokratie       Senator*innen würden auch durch eine Ranglistenwahl
bieten, die sich an alle Amerikaner*innen richtet. FairVo-    gewählt. Mit proportionalen Ergebnissen und einer grö-
te hat sich seit 1992 als unparteiischer Vorreiter bewährt,   ßeren Vielfalt von Kandidat*innen, die sich für die allge-
der durch strategische Forschung, Kommunikation und           meinen Wahlen qualifizieren, wird der Representation         Diese Kolumne wird gefördert durch:
Zusammenarbeit Wahlreformen auf lokaler, staatlicher          Act gerechtere Chancen für Frauen, P. o. C., städtische
und nationaler Ebene erfolgreich vorantreibt. Heute sind      Republikaner*innen, ländliche Demokrat*innen und Par-
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