AUSGABE 13 NEWS UPDATE - Sonderausgabe - Kulturbüro Sachsen eV
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VORWORT Ein Rückblick................................................ 4 RÜCKBLICK In der Mitte des Weges.................................... 8 20 Jahre Beständigkeit durch Wandlungsfähigkeit...................................... 10 AUS DER PRAXIS Ein Haus für nationale Jugendarbeit in Zittau?...... 14 Gespräch zwischen Generationen..................... 16 ÜBER DEN GROSSEN TEICH GESCHAUT Ein Interview mit Jeremy Seitz-Brown von FairVote................................................ 18 AUS DER PRAXIS „Es gab Zeiten, da haben die Themen Flucht und Asyl nur wenige interessiert"...................... 20 Mit Kontinuität menschenrechtsorientierte Jugendgruppen stärken................................. 21 Extrem demokratisch.................................... 23 Eine Geschichte der Fachstelle Bildungsangebote........................................ 24 PROJEKTE Erfolge: Besser spät als nie............................. 26 Feldforschung mit Hintergrund........................ 27 AUF EINEN BLICK Tagungen/Veranstaltungen.............................. 28 Publikationen.............................................. 28 Kontakte................................................... 30
4 5 VORWORT VORWORT Ein Rückblick auf 20 Jahre und die notwendigen Mitarbeiter*innen für die ersten drei ins Dunkel der Strukturen und Personen der rechten Sze- nur die sächsischen Behörden hatten uns auf dem Kie- Kulturbüro Sachsen e. V. Beratungsteams in den sächsischen Regierungsbezirken Pirna, Wurzen und Neukirchen (bei Chemnitz) eingestellt. ne. Viele Künstlerinnen und Künstler zeigten Gesicht u. a. auf dem jährlichen Courage-Konzert, der Bundestags- ker und beargwöhnten kritisch unsere Arbeit (Stichwort Extremismusklausel). Auch durch (Neo-)Nazis selbst Von Matthias Klemm, Mitglied des Vorstands* Die systemischen Beratungsansätze aus dem Community präsident Wolfgang Thierse reiste durch die Provinz und standen wir unter Beobachtung: durch Anfragen der NPD Organizing und der Soziokultur standen Pate. hörte den jungen Leuten zu, die teils massive Gewalt und und AfD im Landtag, durch Denunziationen im Internet Was war da los, damals vor 20 Jahren, reichlich zehn Jah- Einschüchterung erfahren hatten und an der zur Schau und Verleumdungen bei PEGIDA-Kundgebungen, und re nach der „Einheit“, als die ersten mobilen Berater*in- gestellten Nicht-Zuständigkeit der Behörden schier ver- tragischerweise auch durch Überfälle auf unsere Mitar- nen ausrückten, um in Sachsen den (Neo-)Nazis und Ras- 20 Jahre Kulturbüro heißt zuallererst: zweifelten – und obendrein als „Nestbeschmutzer“ galten. beiter*innen. Aber ihr, liebe Mitarbeiter*innen, habt euch sist*innen die Stirn zu bieten, den wenigen Aufrechten 20 Jahre „Mobile Beratungsteams“ (MBT) Aber sie gaben nicht auf. In vielen Orten Sachsens nicht einschüchtern lassen, ihr habt weitergemacht, weil den Rücken zu stärken und den (noch immer) ungeübten standen die Leute auf, zeigten Gesicht, nutzten das Ver- ihr euch auf euer Team verlassen konntet, weil ihr euch Demokratie-Verwaltern auf die Sprünge zu helfen? Die Mobilen Beratungsteams waren anfangs ein Projekt sammlungsrecht. Und mussten lernen, dass niemand auf die Solidarität eurer Partner*innen und Netzwerke Es war 2001, das erste Jahr im 21. Jahrhundert: der des Vereins Büro für Freie Kultur- und Jugendarbeit e. V. widersprach, wenn sie es nicht taten. Dass niemand in verlassen konntet. Ihr seid die wahren Verfassungsschüt- „Aufstand der Anständigen“ war in vollem Gange, „Natio- (Kulturbüro Dresden). Der damalige Träger beschreibt in Hör- und Sichtweite protestierte, wenn sie es nicht taten. zer*innen im besten Wortsinne (auch wenn eure finan- nal befreite Zone“ war das Unwort des Vorjahres, die UNO der Chronik auf seiner Webseite die wesentlichen Aufga- Und dass es manchmal nur mit zivilem Ungehorsam als zielle Eingruppierung etc. noch immer nicht so geregelt deklarierte das „Internationale Jahr der Mobilisierung ge- ben und Ziele der Mobilen Beratunsteams kurz und präg- letztes Mittel möglich war, die (Neo-)Nazis am Demonst- werden konnte, wie es eigentlich sein müsste). gen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeind- nant: „Sie beraten sachsenweit lokale Vereine, Jugendi- rieren zu hindern (Stichwort „Blockieren“). So entstanden Darum soll an dieser Stelle auf das allerherzlichste lichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz“ und nitiativen, Kirchgemeinden, Netzwerke, Firmen sowie neue Bündnisse und Initiativen. Und mittendrin die Bera- gedankt werden: allen Mitarbeiter*innen (ehemaligen der Begriff der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlich- Kommunalpolitik und -verwaltung mit dem Ziel, rechts- terinnen und Berater der Mobilen Beratungsteams mit ih- und aktiven), den Vereinsmitgliedern und Netzwerkpart- keit“ war noch nicht erfunden. extremistischen Strukturen eine aktive demokratische Zi- rem Know-how: als Impulsgeber*innen, Türöffner*innen, ner*innen, dem Beirat, allen Impuls- und Fördermittelge- Global betrachtet war es die Zeit von Putin und Bush, vilgesellschaft entgegenzusetzen. Die Projektleitung/Ge- Moderator*innen und Begleiter*innen. ber*innen sowie natürlich den Spender*innen. Und allen, Berlusconi und Blair, Schröder und Fischer bei uns schäftsführung hat seitdem Grit Hanneforth inne, damals Mittlerweile ist der Verein gewachsen, die Bürostand- die sich immer wieder für uns eingesetzt haben. Das ist und Schwarz-Blau in Österreich. Die frischgebackene noch zusammen mit Friedemann Bringt. Anfang 2004 orte haben sich geändert, Mitarbeiter*innen kamen-blie- wichtig, tut gut und verdient Respekt. CDU-Vorsitzende hieß Angela Merkel und Wowereit re- wurden die Mobilen Beratungsteams dann dem neu ge- ben-gingen, Projekte starteten und endeten. Da stellt sich Schon der alte Goethe hatte ja in seinem „Faust“ eine gierte Berlin („und das ist auch gut so“). In Genua fand der gründeten Kulturbüro Sachsen e. V. übertragen. Seitdem schon die Frage: Gab es auch so etwas wie Kontinuität? wichtige Erkenntnis (und nannte sie sogar der „Weisheit von Ausschreitungen überschattete G8-Gipfel statt und kamen viele weitere Projekte in den Bereichen Demokra- Was ist geblieben, über all die Jahre? Es ist der Mut zur letzter Schluss“): „Nur der verdient sich Freiheit wie das wir hatten bald keine D-Mark mehr, dafür Angst vor BSE tiebildung, Gemeinwesenarbeit, Jugendhilfe, Empower- Veränderung. Und die interessiert uns. Das ist unser Mot- Leben, der täglich sie erobern muss“. Und mit der Demo- und islamistischem Terror (Stichwort „Nine-Eleven“). ment und soziokulturelle Animation hinzu. Die Herange- to. Denn verändern heißt bewegen, heißt leben, heißt ei- kratie verhält es sich ganz genauso! Und in Sachsen? Biedenkopf holte 1999 zum dritten hensweise war immer davon geprägt, die Perspektive von nen Plan haben, wohin es gehen könnte. Dazu müssen wir Und wenn wir jetzt zurückblicken, auf die Kämpfe, Kri- Mal in Folge mit der CDU die absolute Mehrheit. Den marginalisierten Gruppen und Betroffenen im Gemeinwe- wach bleiben, aufmerksam die gesellschaftlichen Verän- sen und Erfolge der „letzten zwei entsicherten Jahrzehn- Landtag mussten sie sich nur mit zwei Parteien, PDS und sen sichtbar zu machen und ihnen ein Forum zu bieten. derungen registrieren, ähnlich wie Seismologen die Er- te“ (Heitmeyer), dann können wir feiern. Denn wir haben SPD, teilen. Es gibt zwar die „Soko REX“ – im Übrigen Aber stets braucht(e) es – als conditio sine qua non – eine schütterungen durch Erdbeben beobachten. Wir müssen überlebt und das Land ein kleines Stück verändert und hält Biedenkopf die Sachsen aber für „immun“, was den vitale und couragierte Bürgerschaft oder Vereinsführung proaktiv auf die Politik zugehen und einwirken und mög- besser gemacht. „Und im Vorgefühl von solchem hohen Rechtsextremismus betrifft. Derweil verbreiten (Neo-) oder Rathausspitze vor Ort, die den Willen und den Mut liche fatale Entwicklungen aufzeigen und aufhalten. Das Glück genieß’ ich jetzt den höchsten Augenblick“. Happy Nazis und ihre Kameradschaften Angst und Schrecken hat, Rassismus beim Namen zu nennen (statt geziert von bedeutet für uns ganz konkret: aktiv bleiben, vernetzen, Birthday, Kulturbüro! auf den Straßen und in den Clubs in den ländlichen Ge- „Fremdenfeindlichkeit“ zu sprechen) und Zustände zu handeln, nicht nur zuschauen und Chroniken schreiben. bieten. Die NPD ist außerhalb ihrer Hochburgen noch re- verändern. Doch diese Arbeit wurde uns nicht immer leicht ge- Matthias Klemm lativ schwach, der NSU mordet bereits unerkannt im Un- Natürlich waren wir damals nicht die Ersten – und macht, oft wurden uns Steine in den Weg gelegt. Jedoch: tergrund und das Hochwasser des nächsten Sommers ist nicht die Einzigen. Das Netzwerk für Demokratie und Wir haben überlebt. Trotz allem. Und mit der Hilfe von au- noch nicht abzusehen. Courage (NDC) zielte auf direkte Bildungsarbeit mit ßen – vor allem. Foto: Martin Jehnichen (Leipzig) Die Geschichte des Kulturbüros begann in einem klei- Schülerinnen und Schülern ab, die RAAs engagierten sich 2007 standen wir kurz vor der Insolvenz, da das (Un-) nen Hinterhaus in der Dresdner Neustadt. Hier wurden die vorbildlich in der Jugend- und Aussiedlerarbeit, Gewerk- Zuständigkeits-Hick-Hack der Bundes- und Landesbe- Konzepte entworfen, um dem meist hilf- und/oder kritiklo- schaften sensibilisierten für das Thema in Betrieben und hörden seinen traurigen Höhepunkt erreicht hatte. Hier sen Akzeptieren von rechter und rassistischer Gesinnung Verwaltungen, die Kirchen in ihren Gemeinden, Initiativen half vor allem, neben der Lobbyarbeit auf allen Ebenen, in der Gesellschaft etwas entgegenzusetzen. Hier wurden und Vereine in allen Teilen Sachsens kämpften gegen den Annetta Kahane mit der Amadeu-Antonio-Stiftung schnell Anträge beim neuen Bundesprogramm CIVITAS gestellt erstarkenden Rechtsextremismus an und brachten Licht und anstandslos durch das „Tal der Tränen“. Doch nicht * Matthias Klemm ist Gewerkschafter, stammt aus Sachsen und ist mit kurzer Unterbrechung seit 2004 im Vorstand des Kulturbüro Sachsen ehrenamtlich aktiv.
... Initiativen und Netzwerke gegründet oder bei der Gründung unterstützt ... Workshops organisiert und an Gründung der Landesarbeits- Workshops teilgenommen gemeinschaft Kirche für Workshop mit Beteiligung Demokratie gegen US-Generalkonsulat 2014 Rechtsextremismus 2010 ... Teamausflüge gemacht Teamausflug 2019 IN DEN LETZTEN 20 JAHREN HABEN WIR: ... Pressekonferenzen abgehalten und die Öffentlichkeit über unsere Themen informiert ... Tagungen (mit)organisiert und an Pressekonferenz zu den „Geh Denken“ Tagungen teilgenommen Aktionen um den 13. Februar 2009 in Tagung zum Thema Extremismus Dresden. V.l.n.r.: 2010, gemeinsam mit Grit Hanneforth (Kulturbüro Sachsen), Weiterdenken – Anetta Kahane (Amadeu Antonio Stiftung), Heinrich Böll Stiftung Sachsen, u.a. Martin Dulig (SPD), Ralf Hron (DGB), Cornelia Ernst (Die Linke) und Johannes Lichdi (Bündnis 90/Die Grünen) ... Unsere Arbeit mit kreativen Methoden evaluiert Projektabschluss_2012 ... Workshops organisiert und an Workshops teilgenommen Workshop im Jahr 2015
8 9 RÜCKBLICK RÜCKBLICK • eine sich zum Ende der DDR etablierende Melange 90er Jahre verfolgte auch die NPD einen „Aufbau Ost“: Der sellschaftliche Rückhalt der Post-68er-Gesellschaft. Als aus rassistischen und antisemitischen Haltungen in Parteiverlag Deutsche Stimme wurde ins sächsische Riesa lang nachwirkendes DDR-Erbe erwies sich, vor allem auf der Bevölkerung und einer gewalttätig rassistischen verlegt, die Bundesgeschäftsstelle der Jugendorganisati- kommunaler Ebene, ein autoritärer Politikstil. Selbstbe- Skinheadsubkultur, die zum Teil von Staatseliten und on Junge Nationaldemokraten (JN) nach Stasi als Gegenpool zu oppositionellen Gruppen und Dresden. Dresden wurde als „Hauptstadt Jugendkulturen geduldet und zu ihrer Einschüchte- der Bewegung“ deklariert und Logistik- rung genutzt wurden,2 punkte im Osten geschaffen, von denen aus organisiert und publiziert werden • staatliche Förderprogramme mit Täterfokussierung, konnte.9 Während sich wache Demo- wie das AGAG-Programm Anfang der 90er Jahre,3 krat*innen in Sachsen gegen diese Ent- das – in Ostdeutschland mit schlecht ausgestatteten wicklungen und den damit verbundenen Jugendhilfestrukturen und großer Scheu vor politi- Rechtsdrift der Gesellschaft stemmten schen Auseinandersetzungen umgesetzt – rechte und ab 1998 die in Chemnitz und später Subkulturen zusätzlich stärkte,4 in Zwickau untergetauchten Rechtster- rorist*innen des NSU mindestens zehn • fehlende Sensibilität von Politik, Verwaltung, Menschen ermordeten, vermochte der Strafverfolgungsbehörden und vielen meinungs- damalige sächsische Ministerpräsident führenden Eliten hinsichtlich dieser Problemlage und Biedenkopf keinen verstärkten Bedarf eine bis heute nachwirkende Entlastungsstrategie bis an staatlichen und zivilgesellschaftlichen in höchste Regierungskreise hinein, rechte Gewalt mit Aktivitäten zu erkennen. Sein Paradig- dem Verweis auf linke Strukturen oder Extremismus ma, die Sachsen seien „völlig immun […] In der Mitte des Weges Friedemann Bringt (r) im Gespräch mit Martin Dulig (Vorsitzender der SPD Sachsen) bei der Extremismustagung im Jahr 2010 von links und rechts zu bagatellisieren,5 gegenüber rechtsradikalen Versuchun- gen“,10 prägte die Handlungslogik weiter Teile der säch- stimmte Beteiligung von Bürger*innen wurde häufig eher • eine in Ostdeutschland besonders verbreitete sischen (Kommunal-)Politik und Verwaltung auf Jahre. als Behinderung der (Verwaltungs-)Arbeit, nicht als Be- Standortbestimmung zur Verankerung des Perspektivlosigkeit als Folge von Transformations- In Ostdeutschland entstanden im Herbst 1989 zahl- reicherung betrachtet. Politische Bildung, öffentliche De- Kulturbüro Sachsen e. V. in herausfordern- prozessen und sozialer Deklassierung und damit lose Runde Tische, die versuchten, ihren Anspruch auf batten über demokratische Mitbestimmung, den Umgang dem Terrain verbundene Abwendung weiter Teile von der ohnehin Mitbestimmung unter den neuen Bedingungen der par- mit rechter Gewalt oder die Integration geflüchteter oder nur schwach ausgebildeten demokratischen Zivil- lamentarischen Demokratie umzusetzen. Von dieser Po- asylsuchender Menschen in den Lebensalltag werden vor In den 90er Jahren war das politische Klima in vielen säch- gesellschaft.6 litisierung breiter gesellschaftlicher Gruppen profitierten dem Hintergrund solcher autoritäreren Grundierungen im sischen Orten und Regionen geprägt von der Dominanz in der zweiten Hälfte der 90er Jahre auch Initiativen und kommunalen Alltag bisweilen vorschnell als ideologisch von Neonazistrukturen, Kameradschaften und Übergrif- Neonazistrukturen aus den alten Bundesländern erkann- Bündnisse, die sich nicht mit dem immer stärker organi- überfrachtend diffamiert. Akteur*innen der demokra- fen bis hin zur Entwicklung von Angstzonen, in denen sich ten die Anschlussfähigkeit an Diskurse und die strukturelle sierten Neonazismus im Osten abfinden wollten. Auch in tischen Zivilgesellschaft fanden sich in den Dörfern und nicht-rechte Personen und Migrant*innen nicht zutrauten, Schwäche einer menschenrechtsorientierten Zivilgesell- Sachsen versuchten solche zivilgesellschaftlichen Akteu- Kleinstädten in kleinen, oft marginalisierten Gruppen zu- sich zu bestimmten Tageszeiten frei zu bewegen.1 Solche schaft in Ostdeutschland und investierten in ihr Projekt re, ihre neue demokratische Freiheit zu nutzen und den Strukturen reichten bis hin zu rechten Terrorgruppen, wie ↓ einer aggressiv eigenwohlorientierten völkischen Zivilge- neonazistischen Erscheinungen sowie der Untätigkeit der dem später selbstenttarnten NSU oder den 2001 vom säch- 1 | Vgl.: Feustel (2014): S. 10 ff. sellschaft.7 Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche politischen Eliten und der Strafverfolgungsbehörden ihr sischen Innenministerium verbotenen „Skinheads Sächsi- 2 | Vgl.: Bringt (2021): 140 ff. – nicht gefestigter demokratischen Strukturen einerseits Engagement entgegenzusetzen. Dabei mussten in der sche Schweiz“, die aber bis über die Mitte der 2000er Jahre 3 | Vgl.: Feustel (2014): S. 67 ff. und Einstellungen der Bevölkerung anderseits – entstan- Post-DDR zivilgesellschaftliche Strukturen vielfach erst in Sachsen weiter aktiv und gefährlich blieb. Es gab eine 4 | Vgl.: Bringt/Hanneforth/Starosta (2009): 140 ff. den Leerstellen, in denen extrem rechte Akteur*innen gut aufgebaut und selbstbestimmtes politisches Handeln er- Vielzahl von Gründen dafür, dass sich solche Strukturen 5 | Vgl.: KBS (2020): S. 23 ff. an die aus der DDR überkommenen autoritären, nationa- lernt werden. So hatten zivilgesellschaftliche Bündnisse, nicht nur, aber insbesondere auch in Sachsen ausbreiten 6 | Vgl.: Hanneforth/Nattke (2012): 10. listischen und teilweise rassistischen Grundhaltungen an- die in dieser Zeit in Ostdeutschland entstanden, notwen- konnten. Wir nennen hier nur die uns am wichtigsten er- 7 | Vgl.: Bringt (2021): 140 ff. knüpfen konnten.8 Schon kurz nach dem Mauerfall trafen digerweise einen anderen Bezugsrahmen als thematisch scheinenden und verweisen dabei auf weiterführende Li- 8 | Vgl.: Bringt/Hanneforth/Starosta (2009): 143. sich Führungsfiguren des westdeutschen Neonazismus mit ähnlich gelagerte Bündnisse in den alten Bundesländern. teratur aus zwanzig Jahren Publikationstätigkeit des Kul- 9 | Hanneforth/Nattke (2012): S. 8 f. Vertretern ostdeutscher extrem rechter Gruppen, die sich Die langjährige Erfahrung mit Lobbyarbeit und demokra- turbüro Sachsen: 10 | SäZ (28.9.2000): Interview mit Kurt Biedenkopf; zitiert Mitte der 80er Jahre etablierten, in Ostberlin. Ab Mitte der tischen Aushandlungsformaten fehlte ebenso wie der ge- In: Bringt/Hanneforth/Starosta (2009): 145.
10 11 RÜCKBLICK RÜCKBLICK sammen, die häufig eigene Betroffenenbiographien auf- 20 Jahre Beständigkeit die Zurückdrängung von Ideologien der Ungleichwertigkeit einandersetzung mit dem Nationalsozialismus hält die grund zahlloser rechter Übergriffe und Gewaltattacken bewältigen mussten und dabei politisch aktiv sein wollten. durch Wandlungsfähigkeit ist. Stattdessen orientiert sich die Arbeit des Kulturbüro Sachsen e. V. fachlich am sozialprofessionellen Dreifach- solidarische Netzwerkarbeit mit den vielfältigen Koopera- tionspartnern bis heute in Sachsen an. Ohne diese bunte Die Situation in Mittel- oder Großstädten war zumeist auf- mandat und der darin verankerten Menschenrechtsorien- Initiativenlandschaft in Sachsen und deren partnerschaft- Wandlungs- und Adaptionsfähigkeit sowie Fehlerfreund- grund der zahlenmäßig größeren Gruppen etwas besser. tierung. 13 Die Ursprünge dieser Fachverortung liegen in lichen Unterstützung strukturschwächerer Akteur*innen lichkeit11 waren die Grundprinzipien, die das Kulturbüro Dennoch bestand der aktive Kern, der sich sichtbar Neo- den Erfahrungen und Fachdebatten sozialer Menschen- hätte Sachsen heute ein anderes Gesicht. Strukturbildung Sachsen e. V. und seine Mitarbeiter*innen in Reaktion auf naziaktivitäten entgegenstellte, bis Mitte der 2000er Jah- rechtsbewegungen, wie der Frauenrechtsbewegung, der in den Regionen erforderte aber immer auch ein vernetz- diese unterschiedlichen gesellschaftlichen Diskurse und re beinahe ausschließlich aus jungen Antifaschist*innen, amerikanischen Bürger*innenrechtsbewegung und den tes Arbeiten in bundesweiten und europäischen Kontexten. ihre Nutzung und Aufladung durch rassistisch-reaktionäre die in die Leerstelle der Gesellschaft eintraten und dafür antikolonialen Befreiungsbewegungen. Diese Verortung Ohne den Blick über den sächsischen Tellerrand und die Akteure entwickeln mussten. Für die Organisationstruktur diskreditiert und kriminalisiert wurden. liegt den mit Beratung und Bildung verbundenen Arbeits- Unterstützung durch starke Partner, wie der Amadeu An- bedeutete dies, sich diesen gesellschaftlichen Problemla- Dies ist der gesellschaftliche Erfahrungshintergrund feldern des Kulturbüro Sachsen e. V. näher, als die Bezug- tonio Stiftung, dem europäischen Netzwerk UNITED for gen anzupassen, und für die Mitarbeiter*innen fortlaufend vor dem das Kulturbüro Sachsen e. V. seine Arbeitsfelder nahme auf statische Prinzipien einer freiheitlich-demokra- Intercultural Action, dem Deutschen Gewerkschaftsbund neue Antworten und Angebote zu entwickeln. Die Mobilen mit Mobiler Beratung in Sachsen ab Juli 2001, mit der tischen Grundordnung. 14 und der Einzelgewerkschaften, der Stiftung Mitmensch Beratungsteams erwiesen sich dabei nicht nur als aufsu- Fachstelle Jugendhilfe ab 2005, mit dem Arbeitsfeld Em- Im Zuge dieser Haltungs- und Selbstverortungsdiskur- und schließlich dem Bundesverband Mobile Beratung e. V. chendes Allzwecktool in der Beratung und Begleitung de- powerment und Gemeinwesenarbeit ab 2005 und schließ- se kommt das Kulturbüro Sachsen e. V., ebenso wie viele hätte es manche Konferenz, manches Arbeitsfeld im Kul- mokratisch engagierter Gruppen oder als Unterstützung lich dem Arbeitsfeld Bildungsangebote ab 2011 entwi- andere zivilgesellschaftliche Initiativen und Verbände bun- turbüro Sachsen e. V., manches Netzwerk in Sachsen und für kommunale Verwaltungen und Politik. Sie waren und ckelte und in dem diese Arbeit seit nunmehr zwanzig desweit immer wieder mit staatlich verordneten Extremis- schließlich die Aufmerksamkeit, die die sächsische Politik sind auch Seismograph für gesellschaftliche Entwicklun- Jahren weiterentwickelt und professionalisiert wird. Zu musklauseln und Neutralitätsgeboten in Konflikt. Aus der diesem Themenfeld heute widmet, nicht geben können. gen und Themenfelder, die im Kulturbüro Sachsen e.V. Beginn der Arbeit stellte noch die eingangs beschriebene Perspektive einer nichtstaatlichen Organisation kann die Besonders in der Frühphase der Arbeit nach dem Sommer konzeptionell untersetzt und in Angebotsformen übersetzt soziokulturelle Verankerung neonazistischer Strukturen Arbeit für demokratische Kultur und gegen Ideologien der 2001 wäre ohne die Unterstützung von außen die Arbeit werden. Die Adaptionsfähigkeit und Kreativität der Mitar- und rechter Gewalt das Hauptthemenfeld der Arbeit dar. Ungleichwertigkeit, wie sie Mobile Beratung, Jugendhilfe- des Kulturbüro Sachsen e. V. – damals ausschließlich aus beiter*innen von den Beratungsteams bis hin zu Verwal- Anschlussfähig an eine in Teilen reaktionär-rassistische beratung, Gemeinwesenarbeit und politische Bildungsar- dem Bundesprogramm CIVITAS finanziert – nicht möglich tung und Öffentlichkeitsarbeit war die Voraussetzung für Bürger*innenschaft wurden diese Akteure auch durch beit als Arbeitsfelder des Kulturbüro Sachsen e.V. darstel- gewesen. tragfähige Reaktionen auf und Angebotsformate für neue ihre Aufmärsche anlässlich des Gedenktages an die Bom- len, nie „neutral“ oder „politisch indifferent“ gegenüber 15 Nicht zuletzt soll im Zusammenhang mit Kooperations- gesellschaftliche Entwicklungen. Drei wesentliche Punkte bardierung Dresden im Zweiten Weltkrieg, dem 13. Feb- Ideologien der Ungleichwertigkeit sein. und Netzwerkarbeit auch auf das besonders bedeutsame ermöglichten es dem Kulturbüro Sachsen e. V., trotz im- ruar, die auf ihrem Höhepunkt 2008–2011 die europaweit Feld des Wissenschaft-Praxis-Transfers und die Koopera- mer wiederkehrender finanzieller Unsicherheiten, bis heu- größten Neonaziaufmärsche darstellten. Die damit ver- tion des Kulturbüro Sachsen e. V. mit Hochschulen und For- te einen Beitrag für eine offene, demokratische und men- bundene Normalisierung menschenfeindlicher Haltun- 2. Vernetztes Arbeiten sowohl in den Regio- schungsinstituten eingegangen werden: So arbeiten Ver- schenrechtsorientierte Gesellschaftsvision12 zu leisten: gen war die Grundlage des Erstarkens der Pegida-Bewe- nen Sachsens als auch landes-, bundes- und treter*innen der Evangelischen Hochschule Dresden und gung im Herbst 2014, die von Dresden aus ihre rassistisch europaweit ermöglicht Nachhaltigkeit: der Hochschule Mittweida intensiv im Beirat des Kulturbüro motivierte Aggressivität in die bundesdeutsche Gesell- Sachsen e. V. mit. Besonders die soziologische Einstel- 1. Klarer Arbeitsgegenstand und fachliche schaft trug. Mit der Einwanderung geflüchteter Menschen Allein zu stehen war und ist keine Option für das Kultur- lungsforschung zur Gruppenbezogenen Menschenfeind- Haltung aller Arbeitsbereiche des Kulturbüro schossen auf dem von Neonazis, Pegida und reaktionären büro Sachsen e. V. Eine entscheidende Strategie in der lichkeit und Ideologien der Ungleichwertigkeit des Instituts Sachsen e. V. bilden den Kompass unserer Bürger*innen vorbereiteten Nährboden überall in Sach- nachhaltigen Verankerung der Auseinandersetzung mit für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Arbeit: sen asyl- und flüchtlingsfeindliche Initiativen wie Pilze Ideologien der Ungleichwertigkeit und Alltagsrassismus Universität Bielefeld lieferte dem Kulturbüro Sachsen e. V. aus dem Boden. Auch die aktuellen rechtsoffenen Protes- in der sächsischen Politik, Verwaltung und Zivilgesell- bis hin in die gemeinwesenorientierte Praxis der Arbeits- Ideologien der Ungleichwertigkeit, wie Rassismus und te gegen die Coronapolitik in Sachsen gedeihen auf dieser schaft stellte die solidarische Stärkung von Akteur*innen felder wichtige Impulse und argumentative Referenz- Antisemitismus, stellen den Arbeitsgegenstand der un- Grundlage. der demokratischen Zivilgesellschaft in Sachsen dar, die punkte. Der Arbeitsbereich Mobile Beratung hatte dabei terschiedlichen Bereiche im Kulturbüro Sachsen dar. durch das Kulturbüro Sachsen e. V. in der Zusammenar- Damit verbunden ist eine klare Absage an die ordnungs- ↓ Grit Hanneforth, Geschäftsführerin und beit mit landes- und bundesweiten Partnerorganisationen politische Perspektive der Extremismusbekämpfung. Sie 11 | Vgl.: KBS-Leitbild; Im Internet: Friedemann Bringt, Bundesverband Mobile Beratung vernetzt und strukturbildend unterstützt wurden. Begin- https://kulturbuero-sachsen.de/ueber-uns/leitbild/ (letzter Zugriff: 9.3.2021). stellt keine sozialwissenschaftliche Analysekategorie und nend mit dem Landesnetzwerk „Tolerantes Sachsen“ ab 12 | Ebd. somit auch keine fachliche Gegenstandsbeschreibung für 2002, über die Organisation landesweiter Konferenzen 13 | BMB (2017): 11, vgl. auch: Staub-Bernasconi (2003): 17 ff. Arbeitsfelder dar, deren gesellschaftlicher Arbeitsauftrag von Asylinitiativen, die Beteiligung am Aufbau eines säch- 14 | Vgl.: Nattke/Göpner (2012): S. 21 f. die Förderung von Demokratie und Menschenrechten und sischen Bündnisses gegen Rassismus oder der AG Aus- 15 | Hufen (2018): S. 217.
12 13 RÜCKBLICK RÜCKBLICK das Privileg, seit seiner Einführung mit der Gründung des Die Finanzierung eines freien Trägers wie des Kulturbüro vielfältigen Initiativenlandschaft sind heute in Bundes- Kulturbüro Sachsen e. V. ununterbrochen forschend be- Sachsen e. V. durch öffentliche Mittel, birgt viele Heraus- und sächsischer Landespolitik angekommen. Das ist gleitet und evaluiert zu werden. Für einige wenige Projekte forderungen. Neben einer ordnungsgemäßen Beantra- nicht zuletzt ein Verdienst der in diesem Text dargestell- im Arbeitsbereich Empowerment und Gemeinwesen konn- gung und Abrechnung der Mittel muss insbesondere die ten langjährigen Arbeit des Kulturbüro Sachsen e. V. so- te das Kulturbüro Sachsen e. V. eigens eine wissenschaft- Finanzierung der Förderung für demokratische Kultur wie der sächsischen und bundesweiten Initiativenland- liche Evaluation durch die Evangelische Hochschule Dres- gegen Rechtsextremismus jährlich beantragt und abge- schaft insgesamt. den und das Institut für Demokratische Entwicklung und rechnet werden. Dieses häufig als „Projektitis“ kritisierte Der Erfolg gehört den Menschen vor Ort, die täglich Soziale Integration in Berlin organisieren und finanzieren. Förderverfahren bindet eine Unmenge von Energie und unter sehr herausfordernden und zum Teil emotional un- Die Ausrichtung der Arbeitsbereiche und Themen entlang erwies sich in der zwanzigjährigen Geschichte des Kultur- vorstellbaren Bedingungen eine unverzichtbare zivilge- wissenschaftlicher Befunde und empirischer Forschung büro Sachsen e. V. mehr als einmal als äußerst instabil. sellschaftliche Arbeit für demokratische Alltagskultur in bleibt für das Kulturbüro Sachsen e. V. ein wichtiges An- Es brauchte viel Kreativität und organisatorische Voraus- ihren Städten und Gemeinden leisten. Sie, ihre Vernetzun- liegen, gerade auch in einer Zeit, die durch virtuelle Echo- schau, einen Träger so zu etablieren, das Wachstum und gen und Anliegen unterstützen und begleiten zu können kammern sozialer Medien und esoterische Wissenschafts- Schrumpfung gleichermaßen möglich sind. Flexibilität und ist ein Privileg, das unsere Arbeit interessant, bereichernd feindlichkeit zunehmend von Faktensresistenz geprägt ist. geistige Mobilität sind im Kulturbüro Sachsen e. V. nicht und auch persönlich wertvoll werden lässt. So hat der Arbeitsbereich Mobile Beratung im Kulturbüro nur für die inhaltlichen Arbeitsfelder Einstellungskriteri- Deshalb soll am Ende dieses Fluges durch zwanzig Sachsen e. V. im Jahr 2020 den Zertifizierungsprozess um, sondern auch in der Geschäftsstelle und der Finanz- Jahre Geschichte des Kulturbüro Sachsen e. V. auch ein nach KQB (Kundenorientierte Qualitätstestierung für Be- verwaltung, ohne die der Status Quo nicht erreicht worden großes Dankeschön stehen: Als Kulturbüro Sachsen e. V. ratungsorganisationen) mit externer Prüfung erfolgreich wäre. Mehr als einmal mussten unsere Mitarbeiter*innen sind wir stolz, dass wir diesen langen Weg mit Partneror- abgeschlossen. Mit dem Institut für angewandte Demo- gekürzte Lohnabschläge und Arbeitszeiten aufgrund aus- ganisationen und Weggefährt*innen gehen konnten. Un- kratie- und Sozialforschung e. V. entwickelt das Kulturbüro bleibender Fördermittel in Kauf nehmen. Nicht jeder Ar- ser besonderer Dank gilt aber den Sächs*innen, die ihr Sachsen mit universitären Partnern ein neues Forschungs- beitsbereich, der in den vergangenen zwanzig Jahren ent- gesellschaftliches Umfeld nicht für „immun […] gegen- institut, das die Gestaltung demokratischer Gemeinwesen wickelt wurde, ließ sich auf Dauer finanzieren. So musste über rechtsradikalen Versuchungen“ hielten und halten, mit neuen Formaten politischer Bildung und angewandter der Arbeitsbereich grenzüberschreitende Zusammen- die sich täglich neu auf den Weg machen, die Gesellschaft Praxisforschung verbindet. arbeit, der dem Kulturbüro Sachsen e. V. unter anderem weltoffen, menschenwürdig, antirassistisch und demo- vielbeachtete internationale Kolloquien zur sächsischen kratisch zu gestalten. In diesem Sinne bleiben wir auch Erinnerungskultur und eine Publikation zur Zusammen- künftig „interessiert an Veränderungen, die eine emanzi- 3. Langfristige gesellschaftliche Unter- arbeit von Neonazis in Deutschland und Tschechien ein- patorische Gesellschaft“16 gestalten. stützung und verlässliche öffentliche brachte, aufgrund fehlender Finanzierungsmöglichkeiten Finanzierung sind eine unerlässliche Grund- geschlossen werden. Der jahrzehntelange Kampf um eine Grit Hanneforth, Geschäftsführerin und lage zivilgesellschaftlicher Arbeit: Ausweitung der Mobilen Beratung und den Aufbau weite- Friedemann Bringt*, Bundesverband Mobile Beratung rer Regionalbüros in Zwickau und Görlitz hat sich dagegen ↓ Nach den Anfangsjahren, in denen ausschließlich der Bund im vergangenen Jahr 2020 durch eine Förderaufstockung 16 | KBS-Leitbild; Im Internet: https://kulturbuero-sachsen.de/ueber-uns/leitbild/ und wenige freie Quellen die Arbeit des Kulturbüro Sach- durch das Staatsministerium für Soziales und Gesundheit (letzter Zugriff: 9.3.2021). sen e. V. finanzierten, entstanden bereits 2004 die ersten ausgezahlt. Seit ca. fünf Jahren steht das Kulturbüro Sach- Konturen für das bis heute wirkende Förderprogramm sen e. V. finanziell und strukturell auf solider Basis. Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz. Dieses Förderprogramm stellte mit der damit verbundenen staat- Es ist jedoch aber das Anliegen des Vereins, wie vieler an- lichen Wertschätzung der Auseinandersetzung mit Ideo- derer zivilgesellschaftlicher Initiativen und Projekte in der logien der Ungleichwertigkeit eine wichtige Zäsur in der Bundesrepublik, durch ein Demokratiefördergesetz des Landespolitik dar und fördert bis heute eine Vielzahl zivil- Bundes eine längerfristige Finanzierungsperspektive über gesellschaftlicher Projekte und Akteur*innen. Die Grundla- mehrere Jahre hinweg, mehr aber noch eine öffentliche ge für dieses durch die sächsische SPD in die Landespolitik Anerkennung für diese gesellschaftlich bedeutsame Arbeit eingebrachte Förderprogramm legten auch die sächsi- zu erhalten. schen Initiativen und Projekte, die im Netzwerk Tolerantes Die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit Ideo- Sachsen dafür langjährig in der Lobbyarbeit aktiv waren. logien der Ungleichwertigkeit und der Förderung einer Grit Hanneforth bei der Feier des zehnjährigen Bestehens des Kulturbüro Sachsen e. V. im Jahr 2011 * Friedemann Bringt arbeitete ab 2001 als Fachreferent im Kulturbüro Sachsen, hat das erste Konzept für mobile Beratung geschrieben und mit Grit Hanneforth zusammen dem Träger auf den Weg geholfen. Heute ist Friedemann Bringt Fachreferent für Berufsfeld- und Qualitätsentwicklung im Bundesverband Mobile Beratung und wurde in diesem Jahr mit dem Thema „Umkämpfte Zivilgesellschaft“ promoviert. (s. dazu Publikationen)
14 15 AUS DER PRAXIS AUS DER PRAXIS zum 30. Juni 2001. Der Neonaziverein reagiert mit Ge- lud uns für den 14. Februar 2002 zu einem Expert*innen- waltdrohungen. Der Stadtrat beauftragt den Oberbürger- gespräch ein, um sich „fachlich weiter am Thema zu quali- meister, eine Vorlage zur Übertragung des Hauses an den fizieren“. Das Gremium beauftragte uns, ein Positionspa- NJB mittels Erbbaupachtvertrag zu erarbeiten. Darüber pier zu schreiben, welches an den Stadtrat weitergeleitet wird heftig unter Sozialarbeiter*innen (ein Sozialarbeiter wurde. Wenige Wochen später erklärte Oberbürgermeis- der AWO war für die Jugendarbeit in der Südstraße 8 zu- ter Voigt, dass es mit ihm keinen Erbbaupachtvertrag ständig), Stadtratsfraktionen und Teilen des Gemeinwe- gebe.21 Damit war aus unserer Sicht ein Neuanfang mar- sens gestritten. Der Stadtfrieden ist gestört. Viele – auch kiert und die Notwendigkeit gegeben, genau diesen als überregionale Medien – berichten über Zittau. Genau in Mobiles Beratungsteam verstärkt zu unterstützen. dieser aufgeregten Zeit beginnt im September 2001 die Dennoch stimmte der Zittauer Stadtrat im Juni 2002 Mobile Beratung des Kulturbüros Sachsen e. V. mit ihrer dem Antrag der CDU-Fraktion zu, mit dem NJB einen Arbeit. Zunächst benötigten wir möglichst schnell eine ei- Pachtvertrag über die Immobilie Südstraße 8 mit 12-jäh- gene Analyse und Bewertung: Welche Aktivitäten entfaltet riger Laufzeit abzuschließen – ein Tiefpunkt unserer Ge- der NJB? Wie vernetzt ist er in der Region? Wie wird der schichte. Aber das sollte noch nicht das Ende sein: Nach NJB von Verwaltung, Kommunalpolitik, Vereinen, Kirchen einem umfangreichen Polizeieinsatz am 27. Juli 2002 mit und Behörden bewertet? Haben alle Akteur*innen einen vergleichbaren Kenntnisstand? Welche Handlungsoptio- Markus Kemper im Jahr 2006 nen gibt es für Sozialarbeiter*innen, Stadträt*innen so- wie Stadt- und Landkreisverwaltung? Und: wir mussten und Kreisverwaltung, Polizei über Jugendsozialarbeit, uns bekannt machen und Vertrauen gewinnen. Kirche bis hin zu Initiativen wie „Augen auf“ –, ihren unter- Unsere Recherchen in der Presse, die Durchsicht schiedlichen Perspektiven und Herangehensweisen, den Ein Haus für nationale der Landtagsanfragen und zahlreiche Gespräche vor Ort machten deutlich, dass es sich beim NJB um eine gut verschiedenen Themen und dem nicht selten in unserem Arbeitsfeld vorhandenen medialen/öffentlichen Druck Jugendarbeit in Zittau? in der Region vernetzte, aktive neonazistische Struktur konfrontiert. handelt, die u. a. Konzerte mit bis zu 400 Neonazis ver- An den Themen und Beratungsanfragen, die an die Der erste Fall des Mobilen Beratungsteams anstaltete18 und den jährlichen Holger-Müller-Gedenk- Mobilen Beratungsteams herangetragen werden, sowie in der Oberlausitz im Rückblick marsch19 mitorganisierte. Bereits am 08. November 2001 an den Zielgruppen der Beratung hat sich bis heute nichts – knapp acht Wochen nach Beginn unserer Tätigkeit im geändert. Nach wie vor haben wir es in der Oberlausitz Die Geschichte begann weit vor der Gründung des Kultur- Kulturbüro Sachsen e. V. – hatten wir einen Beratungs- mit neonazistischen Aktivitäten zu tun. Neben dem NJB büros Sachsen e. V., knapp 10 Jahre früher – vielleicht ist termin beim Zittauer Oberbürgermeister Herrn Voigt und können die „Schlesischen Jungs“ auf eine ähnlich lange sie sogar bundesweit einzigartig – und hat noch nichts an Jugendamtsleiter Herrn Kaus, um uns vorzustellen, die Geschichte verweisen. Darüber hinaus entstanden neo- Aktualität verloren. Lassen Sie sich in die ostsächsische Perspektive der Verwaltung auf die Problematik zu hören, nazistische Gruppen in wechselnden Konstellationen und Stadt Zittau mitnehmen, im Dreiländereck gelegen, die unsere Sicht deutlich zu machen und über Handlungs- mehrfach wurde die Oberlausitz zum Austragungsort Petra Schickert im Verlauf unserer Geschichte knapp 30% ihrer Einwoh- möglichkeiten zu sprechen. In der Folge versuchten wir überregionaler Neonaziveranstaltungen, wie die Disko- ner*innen – heute sind es nur noch ca. 25.000 – verlor. im Austausch mit staatlichen Akteuren und politisch Ver- dem Fund von Baseballschlägern, Schlagstöcken, Äxten, thek „Wodan“ in Mücka, die Gaststätte „Zur Deutschen Nicht verloren gegangen ist der Stadt der neonazistische antwortlichen, eine vertragliche Verbindlichkeit zwischen einem Totschläger sowie einem Schlagring mit aufge- ↓ „Nationale Jugendblock Zittau e.V.“, der 2017 sein 25-jäh- der Stadt Zittau und dem NJB über die Nutzung einer setzten Spitzen, Munition und Gasmasken und einer Viel- 17 | Drs. 6/11264 Veranstaltungen im Vereinsobjekt des Nationalen Jugendblock riges Bestehen feierte.17 Aber da sind wir schon mitten in Immobilie zu verhindern. Auch unter Sozialarbeiter*in- zahl zum Teil verbotener CDs, hob der Stadtrat von Zittau Zittau e.V. (Valentin Lippmann), Im Internet: https://kleineanfragen.de/sachsen/ 6/11264-veranstaltungen-im-vereinsobjekt-des-nationalen-jugendblock-zittau-e-v. der Geschichte … nen gingen die Positionen zur Frage der sozialen Arbeit bereits zwei Monate später seinen Beschluss auf. Am 26. 18 | Am 28. Juli 2001 kamen ca. 400 Neonazis zu einer „Abschlussparty“ ins Objekt des Von Anfang des Jahres 1992 bis Mitte 2001 überlässt mit fest in rechten Strukturen verankerten jungen Men- März 2004 verkündet Zittaus Oberbürgermeister Voigt, NJB; siehe Drs. 3/5624 vom 5. Juni 2002 (Uwe Adamczyk). die Stadt Zittau dem „Nationalen Jugendblock Zittau“ schen weit auseinander. Die Themen „Möglichkeiten und „das ehemalige Vereinshaus des rechtsextremen Natio- 19 | Am 5. Juli 1992 verstarb Holger Müller, nachdem er aus Notwehr (wie das Gericht bestätigte) von einem Geflüchteten schwer verletzt worden war. Freunde Müllers (NJB) ein Haus in der Südstraße 8 für eine Monatsmiete Grenzen von Jugendsozialarbeit im Umgang mit rechten nalen Jugendblocks Zittau (NJB) existiert nicht mehr“. wurden wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt. In den Folgejahren veran- stalteten NPD und NJB jährlich einen sog. Holger-Müller-Gedenkmarsch. von 80 DM. Im Mai 2001 stellt die Stadt fest, dass aufgrund Jugendlichen“ und „Bedeutung von Immobilienbesitz“ In diesen beschriebenen ersten Wochen unserer Ar- 20 | Diese bestand zu dem Zeitpunkt u.a. aus Vertreter*innen von Café 22, MUK, der Baufälligkeit keine weitere Nutzung mehr möglich waren mehrfach Gegenstand kontroverser Diskussionen. beit vor Ort waren wir mit der Breite der uns in den fol- Oberlausitzer Familienhilfswerk, Frauen helfen Frauen und der AWO. und die Sanierung zu teuer sei. Die Stadt kündigt dem NJB Die „Arbeitsgruppe Regional Jugendsozialarbeit Zittau“20 genden 20 Jahren begleitenden Zielgruppen – von Stadt- 21 | Sächsische Zeitung vom 3. März 2002.
16 17 AUS DER PRAXIS AUS DER PRAXIS Eiche“ in Geheege oder das Hotel „Neißeblick“ in Ostritz. Gespräch zwischen Es gab landauf, landab verunsicherte Kolleg*innen in den Was war dein erster Eindruck von der Arbeit der Fach- Anders als vor 20 Jahren besteht heute zivilgesellschaft- liches Engagement nicht nur im Wirken der Initiative „Au- Generationen Jugendclubs/treffs/-zentren. Ich versuchte einerseits, mir einen Überblick über die Neonazis zu verschaffen: Mit wem stelle Jugendhilfe bzw. dem Kulturbüro Sachsen? gen auf e. V.“, sondern aus einem Netzwerk zivilgesell- habe ich es zu tun? Wie gelingt es der Szene, attraktiv für Danilo Starosta: schaftlicher Akteure, der „Demokratie AG Ostsachsen“, Jugendliche zu sein? Andererseits wollte ich in den länd- Im Spätsommer 2005 hatte ich den ersten Kontakt als Während das Kulturbüro 20 Jahre alt wird, mit dem wir eng kooperieren. Auch die Sichtweise poli- lichen Regionen mit Nazihegemonie arbeiten. In Ostsach- „Kollege Danilo“. Meine zukünftigen Kolleg*innen saßen feiert die Fachstelle Jugendhilfe ihren tisch Verantwortlicher auf die Thematik hat sich verän- sen, in Rothenburg bei Niesky fand 2006 „Hier geht was“ 23 im Weinkeller der sächsischen Prinzessin Alexandra Ger- 16. Geburtstag, befindet sich also im besten dert: Wie wäre es sonst anders zu erklären, dass sich mit statt. 2006 konnte ich die wesentlichen Nazi-Netzwerke lach Prinzessin zur Lippe. Meinen Wortbeitrag beendete Jugendalter. Die Mitarbeiter*innen lassen in Beginn der neonazistischen Aktivitäten auf dem Gelände und Kameradschaften zuordnen. Naja, das wesentliche ich mit Hölderlins „Geh unter, schöne Sonne“. Die weinse- diesem teaminternen Selbst-Interview des Hotels „Neißeblick“ im April 2018 über 40 Bürger- Nazi-Netzwerk, den NSU nicht. ligen Kolleg*innen lächelten milde und ich fand sie süß. ihre individuellen und gemeinsamen meister*innen der Region mit der Ostritzer Bürgermeis- Erfahrungen Revue passieren. terin solidarisierten und öffentlich erklärten: „Wir wollen Lisa Bendiek: Sok Kierng Elisa Ly: und wir brauchen in der Oberlausitz kein rechtsextremes Ich habe im Februar 2019 angefangen und mindestens ein Mein erster Eindruck von der Arbeit in der Fachstelle Ju- Festival! Nicht in Ostritz, nicht anderswo!“6 Jahr gebraucht, um zu verstehen, welche innere Logik die gendhilfe war, dass es eine vielseitige und intersektionale Wann hast du angefangen, in der Fachstelle Jugendhil- Die vielen in den Jahren entstandenen belastbaren verschiedenen Schwerpunkte der Fachstelle Jugendhilfe Arbeit ist. Die Fachstelle setzt sich aus einem kompetenten fe zu arbeiten, und was war damals dein inhaltlicher Kontakte und das Vertrauen der Beratungsnehmer*innen verbindet: Feldforschung zu den Bedarfen migrantisierter24 Team zusammen, das an der Schnittstelle von zivilgesell- Schwerpunkt? haben nach Eröffnung unseres neuen Bürostandortes im junger Menschen gegenüber der Jugendhilfe, Weiterbil- schaftlicher Politikgestaltung, sozialer Arbeit und Organi- Sommer 2020 in Görlitz die Erschließung des Beratungs- dungen und Beratungen für Pädagog*innen zum Umgang sationsentwicklung tätig ist. Ich habe mich von Anfang an Danilo Starosta: gebietes durch das neue Team bedeutend erleichtert. mit Rassismus und Rechtsextremismus, partizipative Pro- sehr willkommen gefühlt und bin dankbar für die Erfahrun- Im Herbst 2005 fing ich als Jugendhilfecoach an. Es war ein jekte zur Aufarbeitung des NSU-Komplexes und nebenbei gen, die ich gesammelt habe. Jahr mit so vielen Ereignissen. Merkel wurde Kanzlerin, Markus Kemper, Mobiles Beratungsteam Mitte-Ost und das Monitoring rechter Jugendszenen. Ratzinger Papst. Menschen aus Afrika stürmten die sechs Petra Schickert, Fachreferentin Zusammengefügt haben sich diese Puzzleteile für Was war aus deiner Sicht das größte Highlight während Meter hohen Zäune in den spanischen Enklaven Ceuta und mich erst im Frühlings-Lockdown 2020. Da habe ich deiner Arbeit in der Fachstelle Jugendhilfe? ↓ Mellila. In Sachsen machte die Kameradschaftsszene mit mich intensiv mit den Recherchen der Chemnitzer Ge- 22 | Sächsische.de vom 06. April 2018: Bürgermeister gegen Neonazi-Festival. der NPD gemeinsame Sache. Die NPD saß im Landtag. Im Internet: https://www.saechsische.de/buergermeister-gegen-neonazi- schichtenwerkstatt „Jugendarbeit in der Transforma- Danilo Starosta: festival-3912135.html. tionsgesellschaft“ befasst, die Danilo jahrelang in der Überlebt! 2009 überlebte ich einen Angriff von sechs Nazis! ← lokalen Aufarbeitung des NSU-Komplexes begleitet hat. Anhörung als Experte zu Blood and Honour Sachsen! Werk- 23 | „Hier geht was“ war eine 2006 in Rothenburg bei Niesky stattfindende gemeinsame Veranstaltung des Kulturbüro Sachsen e. V. und dem Deutschen Roten Kreuz. Aus dieser Analyse hervorgegangen sind u. a. unser On- statt Junge Demokratie wird von Aktion Mensch gefördert! Thema war die soziokulturelle Animation und die Schaffung jugendspezifischer Angebote im ländlichen Raum. line-Workshop „Keine Schlussstriche – Jugendarbeit Theaterpremiere „Wie Hexen eben sind“! Zuckerfest! Tri- 24 | Mit dem Begriff "migrantisiert" beschreiben wir Menschen, denen eine (familiäre) nach dem NSU“ und unser Beitrag zum Forschungspro- bunal „NSU Komplex auflösen“ in Chemnitz/Zwickau! Migrationserfahrung zugeschrieben wird - unabhängig davon, ob sie nach den Kriterien des Statistischen Bundesamtes einen "Migrationshintergrund" haben. jekt „Regional und Mobil für Demokratie“ (ReMoDe) des Landesarbeitskreis Mobile Jugendarbeit Sachsen e. V. Lisa Bendiek: Ein Highlight war die Mitorganisation des säkularisierten Sok Kierng Elisa Ly: Zuckerfestes in Chemnitz 2019, in enger Zusammenarbeit Ich habe im Juni 2020 angefangen, mit 20 Stunden pro Wo- mit den Aktiven des Arabischen Vereins für Integration und che. Mein Schwerpunkt lag auf dem Forschungsprojekt Kultur. Die rechtsextreme Bürgerinitiative Pro Chemnitz zu Bedarfen junger Menschen mit Migrationsvordergrund wollte aus Protest gegen die vermeintliche Islamisierung in der sächsischen Jugendhilfe. Das Ziel des Projekts ist, direkt neben dem Zuckerfest öffentlich Ferkel grillen. Durf- einen Überblick über die verschiedenen Angebote zu er- te sie aber nicht, denn direkt neben dem Zuckerfest stand halten und zu prüfen, ob junge Menschen mit Migrations- – unabhängig davon monatelang geplant – eine Demo von vordergrund als Zielgruppe mitgedacht werden und welche Animal Rights Watch unter dem Motto „Für die Schließung spezifischen Bedarfe sie an die sächsische Jugendhilfe- aller Schlachthäuser“. Unser solidarisches Bündnis aus landschaft haben. progressiven Minderheiten – hier: Tierrechtsaktivist*innen, Mitgliedern des Arabischen Vereins und uns selbst – hat Zuckerfest in Chemnitz 2019 also den Nazis effektiv die Show vermasselt.
18 19 ÜBER DEN GROSSEN TEICH GESCHAUT ÜBER DEN GROSSEN TEICH GESCHAUT wir die treibende Kraft hinter der Förderung der Verhält- teilose schaffen. Wir müssen die Wahlprozedur öffnen, um niswahl und der fairen Vertretung in Legislativbezirken unsere volle Vielfalt widerzuspiegeln. Der Representation mit mehreren Gewinnern, die unsere Wahlen für bessere Act ist die stärkste Verpflichtung und umfassendste Lö- Wahlmöglichkeiten, eine gerechtere Vertretung und mehr sung zur Gleichstellung der Wähler*innen, Wahlgleich- Bürgerkampagnen öffnen werden. heit und einer größeren Pluralität. So sorgen wir dafür, dass unsere Demokratie wieder funktioniert – für alle. KBS: Was ist in Ihren Augen das größte Problem im ame- rikanischen Wahlsystem und was sind Ihre Lösungsan- KBS: Bitte beschreiben Sie unseren Leser*innen Ihre sätze? Methoden und Ansätze, mit denen Sie arbeiten. J. S-B.: Parteiisches Gerrymandering (Fachbegriff für das J. S-B.: FairVotes Betätigungsfeld ist die Unterstützung strategische Zuschneiden der Wahldistrikte, Anm. KBS) von Organisationen, die auf lokaler oder bundesstaatlicher hat sich in Zeiten hoch entwickelter Technologie und po- Ebene für die Einführung von Verhältniswahlen arbeiten. larisierter Abstimmungsmuster nur noch verschlimmert. Wir priorisieren Strategien, die Veränderungen innerhalb Die Umwandlung der Wahldistrikte ist zu einem leidigen des bestehenden Systems fördern, wie zum Beispiel Poli- Unterfangen geworden, das voller Korruption, Kontrover- tikentwicklung und angewandte Forschung. Wir engagie- sen und jahrelanger teurer Rechtsstreitigkeiten steckt. ren politische und mediale Influencer*innen und Vorden- Unsere Probleme gehen jedoch über das Gerrymande- ker*innen und nutzen die Netzwerke und Erfahrungen, ring hinaus: Distrikte, die an nur eine Partei gehen, er- die wir aus unserer Schlüsselrolle als Führungskraft und füllen ihre Funktion für die amerikanische Demokratie Ressource für erfolgreiche Rangfolgenwahl oder ähnliche nicht mehr. Sie schließen die meisten Wähler*innen in Wahlreformkampagnen haben. Über den großen Teich Kongressbezirke ein, die zunehmend auf eine Partei aus- gerichtet sind. Zu viele Wähler*innen sind unterreprä- KBS: Was sind die größten Erfolge Ihrer Arbeit und was geschaut sentiert und machtlos, die Ergebnisse zu beeinflussen. sind die größten Probleme, mit denen Sie konfrontiert Millionen von Amerikaner*innen – ob städtische Republi- sind? In unserer Kolumne „Über den großen Teich geschaut“ kaner*innen, Demokrat*innen in republikanisch gepräg- porträtieren und interviewen wir Nichtregierungsorgani- ten Staaten, Parteilose, Frauen oder Communities of Co- J. S-B.: In Partnerschaft mit staatlichen und lokalen Man- sationen (NGOs) aus den USA. Damit wollen wir uns und lor – sind dramatisch unterrepräsentiert, und es besteht datsträger*innen trug FairVote maßgeblich dazu bei, in unsere Leser*innen zu gesellschaftspolitischen The- kaum eine Chance, dies durch Wahlen zu korrigieren. vier Staaten bei den Vorwahlen des demokratischen Prä- men weiterbilden, unseren Horizont erweitern und neue Hier setzt der Fair Representation Act (Gesetz über faire sidentschaftskandidaten 2020, in zwei Staaten für allge- Impulse für unsere Arbeit gewinnen. Die Kolumne wird Vertretung) an. Die Wähler*innen würden Vertreter*in- meine Wahlen und in über zwanzig Städten eine Verhält- unterstützt durch das Generalkonsulat der Vereinigten nen durch Verhältniswahlrecht in größeren Distrikten niswahl einzuführen. Die größte Herausforderung besteht Staaten in Leipzig. Für diese Ausgabe konnten wir Jeremy mit mehreren Gewinner*innen wählen. Sichere „rote“ darin, die Verwendung von Ranglisten-Abstimmungen so Seitz-Brown gewinnen, der sich bei FairVote engagiert. und „blaue“ Distrikte würden der Vergangenheit ange- zu normalisieren, dass der Kongress die Verabschiedung hören, da jeder Distrikt sowohl Republikaner*innen als des Representation Acts in Betracht ziehen wird. KBS: Was ist die Mission von FairVote? auch Demokrat*innen im Verhältnis zu ihrer Unterstüt- zung wählen würde. Mit Verhältniswahlen würde es kein Das Interview führte und übersetzte: J.S-B.: FairVote ist ein unparteiischer Verfechter von Gerrymandering geben, jede Wahl wäre umkämpft und Susann Walter-Immonen Wahlreformen, die den Wählern eine größere Auswahl, unsere Stimmen wären weitaus gewichtiger als heute. Öffentlichkeitsarbeit/Fundraising eine stärkere Stimme und eine repräsentative Demokratie Senator*innen würden auch durch eine Ranglistenwahl bieten, die sich an alle Amerikaner*innen richtet. FairVo- gewählt. Mit proportionalen Ergebnissen und einer grö- te hat sich seit 1992 als unparteiischer Vorreiter bewährt, ßeren Vielfalt von Kandidat*innen, die sich für die allge- der durch strategische Forschung, Kommunikation und meinen Wahlen qualifizieren, wird der Representation Diese Kolumne wird gefördert durch: Zusammenarbeit Wahlreformen auf lokaler, staatlicher Act gerechtere Chancen für Frauen, P. o. C., städtische und nationaler Ebene erfolgreich vorantreibt. Heute sind Republikaner*innen, ländliche Demokrat*innen und Par-
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