KRISE ALS DAUERZUSTAND? - Ministerium für Verkehr ...
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ERGEBNISSE AUS BEOBACHTUNGEN PER REPRÄSENTATIVER BEFRAGUNG UND ERGÄNZENDEM MOBILITÄTSTRACKING IN BADEN-WÜRTTEMBERG BIS ENDE NOVEMBER AUSGABE 01.12.2020 02 KRISE ALS DAUERZUSTAND? Mobilität in Baden-Württemberg vor dem zweiten Lockdown In Kooperation mit Bundesweites Projekt gefördert durch WZB
Projekt: 7331 – MOBICOR beauftragt durch das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (VM) Berlin, Bonn, Dezember 2020 Text: Marc Schelewsky Layout und Grafik: Astrid Blome, Birgit Geisler und Sigrid Phiesel Folgende Zitierweisen werden empfohlen: Langform: Schelewsky, Marc (2020): Mobilitätsreport Baden-Württemberg. Krise als Dauerzustand? Mobilität in Baden-Württemberg vor dem zweiten Lockdown „light“ Kurzform: infas (2020): Mobilitätsreport Baden-Württemberg 02, Bonn
3 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 EINLEITUNG Als im Frühjahr 2020, während des ersten Lock- sentativerhebung „Mobilität in Deutschland“ downs aufgrund der Corona-Pandemie, das Pro- (MiD) von 2017 hilft an geeigneten Stellen die jekt MOBICOR konzipiert wurde, sollte entlang Befragungsergebnisse in ihrer Entwicklungs- von drei Erhebungswellen untersucht werden, richtung einzuordnen. Eine tiefgreifende Längs- mit welcher Geschwindigkeit sich die Mobili- schnittanalyse erfolgt nach Abschluss der drit- tät nach dem Stillstand erholt und zurück zum ten Erhebungswelle, ebenso wie der Vergleich Normalzustand entwickelt. Der Langtitel des der deutschlandweiten Repräsentativerhebung, Projekts „Mobilität vor, während und nach der die von infas gemeinsam mit den Partnern vom Corona-Pandemie“ drückt diese Erwartung aus. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung Inzwischen ist jedoch die Gewissheit gereift, dass (WZB), Motiontag, NutsOne und dem Nexus In- uns das Corona-Virus und dessen gesellschaftli- stitut im Auftrag des Bundesministeriums für che Konsequenzen weitaus länger beschäftigen Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführt werden als es zu Beginn der Pandemie erwartet wird, mit den regionalen Vertiefungsstudien der wurde. Ob im Frühjahr 2021, wenn die dritte Er- Länder Baden-Württemberg, Hessen und Bayern. hebungswelle starten soll, ein Ende der Krise in Sicht kommt, ist momentan ungewiss. Zu be- Der vorliegende Bericht basiert auf den Daten fürchten ist, dass – auch wenn das Infektionsge- der zweiten Erhebungswelle, die im Oktober schehen durch einen Impfstoff beherrschbar wird und Anfang November 2020 zwischen der Ka- –, die wirtschaftlichen Folgewirkungen noch län- lenderwoche 40 und 45 über computergestütz- ger spürbar sein werden und mit umfassenden te Telefoninterviews (CATI) mit insgesamt mit gesellschaftlichen Veränderungen einhergehen. 1.151 Teilnehmern auf Bundesebene sowie wei- teren 1.055 Befragten in Baden-Württemberg, Vor diesem Hintergrund sind auch die Fragestel- 1.034 Befragten in Hessen und 1.056 Befragten lungen des Projekts neu zu kalibrieren. Es geht in Bayern durchgeführt worden ist. Dabei wur- aktuell nicht um die Rückkehr zum Status quo den insgesamt über 11.000 Wege erfasst, die als ante, sondern wie sich unter dem dauerhaften Grundlage für die Analyse des Verkehrsverhaltens Eindruck der Pandemie und aller damit verbun- genutzt werden. Das Erhebungskonzept orien- denen Einschränkungen und Sorgen um die Ge- tiert sich dabei am MiD-Design, um eine direkte sundheit, um den Arbeitsplatz und die Zukunfts- Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten. Die aussichten Mobilität ausgestaltet. Der Vergleich zusätzlichen regionalen Erhebungen werden von mit der ersten Erhebungswelle und der Reprä- den jeweiligen Bundesländern finanziert.
4 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 EINORDNUNG DER ERHEBUNGSERGEBNISSE zu einer Abschwächung der Mobilität geführt. Die Feldzeit der zweiten Erhebungswelle fand Die in Abbildung 1 und Abbildung 2 dargestellten unmittelbar vor dem Inkrafttreten der Maßnah- Ergebnisse der Tracking-Studie von MOBICOR für men zur Bekämpfung der SARS-Cov2-Pandemie Deutschland zeigen die durchschnittliche Unter- statt, also vor dem zweiten Lockdown. Der Begriff wegszeit und die durchschnittlichen Tageskilo- dient zur Kennzeichnung des Zeitraums ab dem meter pro Person, die mit Hilfe der mobico-App 02.11.2020. Dabei bleibt eine Bewertung des Um- erfasst wurden (https://www.mobicoapp.de). fangs der getroffenen Maßnahmen unberücksich- Während sich die Unterwegszeit gegenüber den tigt und wird begrifflich nicht von den tiefgrei- Vormonaten August und September nur leicht fenden Maßnahmen im Frühjahr unterschieden. verringert hat (s. Abbildung unten), deutet der Bereits Anfang Oktober konnten der Tagespresse Rückgang der Tageskilometer auf eine zuneh- wieder vermehrt Berichte über steigende Infek- mende Nahraumorientierung hin (s. Abbildung S. tionszahlen entnommen werden. Der rapide An- 5). Es scheint, als wurde bereits Anfang Oktober stieg der Neuinfektionen führte schließlich zum zunehmend auf Reisen und Ausflüge verzichtet, Bund-Länder-Beschluss vom 28.10.2020, in dem in Antizipation der bevorstehenden Maßnahmen die Maßnahmen für den zweiten Lockdown dar- und zum persönlichen Schutz vor Infektionen. Im gelegt wurden, um einer weiteren Verbreitung Ergebnis hatte sich dadurch zu Beginn des Lock- von COVID-Erkrankungen entgegenzuwirken. Die- downs die Mobilität bereits so stark verringert, se Berichterstattungen und öffentlichen Debat- dass kein abrupter Einbruch zu verzeichnen ist. ten, so scheint es, haben bereits Anfang Oktober Zu Beginn des ersten Lockdowns zeigen die Da- Unterwegszeit pro Tag und Person Angaben in Stunden pro Person und Tag 04.05 deutliche Reduzierung Shutdown 2,5 11.04. Ostersamstag Fahrrad 16.03. Beginn Shutdown 02.11. Lockdown Light zu Fuß 2,0 ÖV MOBICOR 1 MOBICOR 2 Auto 1,5 MiD-Baseline 1,0 0,5 0,0 01.01. 0102. 01.03. 01.04. 01.05. 01.06. 01.07. 01.08. 01.09. 01.10. 01.11. Datenbasis: rund 2.000 Personen bundesweit im Tracking von MOTIONTAG (Partner im MOBICOR-Projekt)
5 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 ten hingegen eine andere Dynamik. Änderungen auf methodische Unterschiede zurückführen und im Mobilitätsverhalten lassen sich dort erst kurz zudem durch die Nutzergruppe erklären, die sich vor dem Beginn der Maßnahmen erkennen. Der erfahrungsgemäß aus den 25- bis 50-Jährigen Übergang von Normalität zum Stillstand pas- rekrutiert und damit der Alterskohorte mit den sierte schnell und plötzlich, binnen weniger Tage, höchsten Mobilitätsniveaus zuzurechnen ist. und führte ab Mitte März zu einem Einbruch, der aufgrund der umfassenderen Maßnahmen Mit Blick auf die einzelnen Verkehrsmittel lassen auch deutlich sichtbarer in den Datenreihen ist. sich übergreifend Rückgänge vor allem in der Ver- Ebenfalls klar erkennbar ist der überproportiona- kehrsleistung erkennen, die sich beim ÖV etwas le Rückgang der Tageskilometer pro Person beim ausgeprägter zeigen als beim motorisierten In- ÖV gegenüber den anderen Verkehrsmitteln. Das dividualverkehr (MIV). Dieser Eindruck bestätigt Niveau vom Januar und Februar 2020 konnte im sich durch die google-Aufenthaltsmessungen (s. restlichen Jahr bislang nicht mehr erreicht wer- Abbildung S. 6). Dargestellt werden die Abwei- den. Einer leichten Erholung im Sommer folgt chungen von der Referenz als Nulllinie, die aus nun, im Herbst, ein erneuter Rückgang in den dem Medianwert der fünf Wochen vom 03. Ja- Nutzerzahlen. nuar bis zum 06. Februar 2020 gebildet wird. Für alle öffentlichen Orte zeigen sich Rückgänge bei Die in beiden Abbildungen dargestellte MiD- den Aufenthalten, die in den Bereichen „Einzel- Baseline dient zur Einordnung des Mobilitätsni- handel und Freizeit“ und „ÖV“ besonders deutlich veaus. Dass die Ergebnisse des Trackings teilwei- ausfallen. Die Häufigkeit, mit der Wohnquartiere se deutlich über denen der MiD liegen, lässt sich aufgesucht werden, steigt hingegen an. Auch hier Tageskilometer pro Person Angaben in Mittelwerten (Kilometer pro Person) 90 Fahrrad 16.03. Beginn Shutdown 02.11. Lockdown Light 80 zu Fuß 70 MOBICOR 1 MOBICOR 2 ÖV 60 Auto MiD-Baseline 50 40 30 20 10 0 01.01. 0102. 01.03. 01.04. 01.05. 01.06. 01.07. 01.08. 01.09. 01.10. 01.11. Datenbasis: rund 2.000 Personen bundesweit im Tracking von MOTIONTAG (Partner im MOBICOR-Projekt)
6 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 lassen sich die erwähnte Nahraumorientierung gen jeweils das Mobilitätsverhalten vor bzw. nach sowie die starken Rückgänge beim ÖV erkennen. den politisch verordneten Einschränkungen und damit eine spiegelbildliche Dynamik: Während Die Abbildungen auf den Seiten 4 bis 6 dienen die erste Welle direkt nach den Lockerungen erho- auch dazu, die nun folgenden Analysen der zwei- ben wurde und sich damit im Verlauf der Feldzeit ten Erhebungsphase besser in den Verlauf der das Mobilitätsgeschehen in Richtung „Normali- Pandemie einordnen zu können. Es handelt sich tät“ bewegte, steht die zweite Welle unter umge- um den Zeitraum zu Beginn der zweiten Infekti- kehrten Vorzeichen und zeigt ein langsames Zu- onswelle, der von steigenden Infektionszahlen bewegen auf den erneuten Lockdown. In beiden geprägt war, aber noch bevor die Maßnahmen Fällen liegen die Mobilitätskennziffern unter den wie Beherbergungsverbot und das Schließen von Referenzwerten der MiD für Oktober (s. Abbildung Bars, Restaurants und weiteren Einrichtungen S. 7). Die Auswirkungen der Einschränkungen auf umgesetzt wurden. Die erste Erhebungswelle die Mobilität sind in beiden Erhebungswellen klar wurde hingegen am Ende des Lockdowns gestar- zu erkennen. Deutlich wird dabei die bereits er- tet, als ein Versuch der Rückkehr zur Normalität wähnte Nahraumorientierung bei der Unterweg- gewagt wurde und das öffentliche Leben und die szeit, die sich um ein Viertel verringert hat, und Mobilität wieder Schwung aufnahmen. noch deutlicher bei den Tageskilometern, die nur noch etwa zwei Drittel der MiD-Vergleichswerte MOBILITÄTSKENNZIFFERN IM ÜBERBLICK betragen. Dabei hat sich die Anzahl der Wege le- diglich um zwölf Prozent verringert und gegen- Die beiden Erhebungswellen von MOBICOR zei- über der ersten Erhebungswelle sogar erhöht. Aufenthaltsmessungen von Google durchschnittliche Veränderungen gegenüber dem Referenzwert in Prozent nach Kalenderwochen bis 13. November 2020 in Baden-Württemberg Anfang Oktober Die Referenz (Nulllinie) ist der MOBICOR 1 MOBICOR 2 Medianwert der fünf Wochen vom 20 täglicher Bedarf Wohnquartiere 3. Januar bis 6. Februar 2020 10 0 -28 ÖV -10 -3 täglicher Bedarf -20 -25 Einzelhandel und Freizeit -30 ÖV -40 -22 Arbeitsorte Einzelhandel und Freizeit -50 7 Wohnquartiere Arbeitsorte -60 -70 -80 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 37 39 41 43 45 Kalenderwoche Google LLC „Google COVID-19 Community Mobility Reports“. https://www.google.com/covid19/mobility/ Accessed: 10.11.2020
7 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 Die Anlässe zur Mobilität bleiben also auf leicht dienst war es der sonnenscheinärmste Oktober verringertem Niveau bestehen, sie werden jedoch der letzten 20 Jahr und auch die Niederschlags- verstärkt im Wohnumfeld realisiert. Auffallend ist menge überstieg den Durchschnittswert der Vor- zudem, dass in der zweiten Erhebungswelle be- jahre. Trotzdem bleibt der Rückgang um etwa ein reits ein deutlicherer Rückgang der Mobilität zu Drittel gegenüber der MiD und MOBICOR 1 deut- beobachten ist. Es scheint, dass unabhängig von lich und stellt mit sieben Prozent einen Tiefstwert den verordneten Maßnahmen, die erst später in dar. Dabei haben sich die Wegelängen, die mit Kraft traten, viele Menschen aus Sorge vor einer dem Rad zurückgelegt werden, von 7,9 Kilometer Infektion ihr Verhalten anpassen und die Mobili- pro Weg in der ersten Welle auf 4,3 Kilometer ver- tät begrenzen. ringert. Dass der Radverkehr als Hoffnungsträger der Verkehrswende gestärkt aus der Krise hervor- Die Orientierung auf das Wohnumfeld spiegelt geht, lässt sich aktuell nicht erkennen. sich weniger deutlich im Modal Split wider. Der Anteil der Fußwege ist zwar gegenüber der MiD Der Anteil des MIV hat sich dagegen vergrößert. um 20 Prozent gestiegen, hat sich aber im Ver- Zusammen mit dem MIV-Mitfahreranteil liegt er gleich zur ersten Erhebungsphase (MOBICOR 1) nun bei 62 Prozent und steigt damit auf einen um zwei Prozentpunkte verringert (s. Abbildung Höchstwert. Das Auto bietet einen Schutzraum, S. 8). Der Anteil liegt nun bei 24 Prozent. Der Rück- einen „Reizschutzpanzer“ (Stephan Rammler); gang des Fahrradverkehrs lässt sich mit Verweis von außen abgeschottet sichert es ein Stück Pri- auf das recht kühle und regnerische Wetter im vatsphäre im öffentlichen Raum und verspricht Oktober erklären. Nach dem deutschen Wetter- dadurch größere Sicherheit. Zwei von drei Wegen Mobilitätskennziffern für Baden-Württemberg – MOBICOR 1, MOBICOR 2 und MiD-Referenz (Oktober) Angaben in Prozent, alle Befragten Anzahl zurückgelegte Wege am Durchschnittliche Unterwegszeit in Minuten Berichtstag Tageskilometer 3,5 45 100 40 90 3 35 80 2,5 70 30 2 60 25 1,5 50 20 40 1 15 30 0,5 10 20 5 10 00 0 0 MOBICOR Welle 2 (Oktober 2017) MOBICOR Welle 1 (Juni 2017) MiD 2017 (Oktober 2017)) Datenbasis: MOBICOR Baden-Württemberg und MiD im Oktober 2020 für Personen ab 16 Jahren
8 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 werden wohl auch deshalb mit dem Auto zurück- zent. In absoluten Zahlen erbringt der MIV (nur gelegt, denn – umgekehrt – ein Hauptgrund den Fahrer) 165 Mio. Personenkilometer, der ÖV 43 ÖV zu meiden, wird mit der Angst von Ansteckung Mio. Personenkilometer. Das Verkehrsaufkommen begründet, das geben immerhin über 50 Prozent ist dagegen um 13 Prozent gestiegen. Es lässt sich der Befragten an. Schließlich ist der Anstieg des also auch hier eine Nahraumorientierung beob- ÖV-Anteils am Modal Split um einen Prozentpunkt achten, die durch etwa mehr Wege, aber deutlich zu erwähnen. Mit nun sieben Prozent liegt dieser kürzere Wege gekennzeichnet ist. Exemplarisch Wert zwar weiterhin deutlich unter der MiD-Refe- zeigt sich dies für die Wegelängen der MIV-Fahrer, renz von elf Prozent, aber dennoch ist ein Anstieg die sich von 18 auf 11,9 Kilometer pro Weg ver- des ÖV-Anteils als positive Entwicklung zu erwäh- ringert haben, aber um 25 Prozent mehr Wege nen. Dabei muss aber eine insgesamt deutlich ge- erbringen. Ähnliches gilt für den ÖV mit einem ringere Verkehrsleistung berücksichtigt werden. Anstieg von 32 Prozent des Verkehrsaufkommens. Mit hochgerechnet 281 Millionen Personenkilo- Ausnahme ist das Fahrrad, dessen Verkehrsleis- metern am Stichtag wurden 67 Millionen oder 20 tung um fast 60 Prozent gesunken ist und auch Prozent weniger Personenkilometer zurückgelegt das Verkehrsaufkommen mit 1,8 Mio. Wegen nur als in der ersten Erhebungswelle von MOBICOR. noch 70 Prozent des Niveaus der ersten Welle be- Die Verkehrsleistung ist dadurch nur bei den Fuß- trägt. Zu Einordnung der Ergebnisse ist zu beden- wegen leicht gestiegen, alle anderen Verkehrsmit- ken, dass die Erhebung zu einer Zeit abnehmender tel verzeichnen Rückgänge. Der MIV und der ÖV Mobilität, aber noch vor dem Lockdown erfolgte. verlieren jeweils 20 Prozent der Verkehrsleistung Es ist damit zu rechnen, dass im November weite- der ersten Erhebungswelle, das Fahrrad 60 Pro- re Rückgänge zu verzeichnen sein werden. Modal Split für Baden-Württemberg: MOBICOR 1, MOBICOR 2 und MiD-Referenz (Oktober) Wege, Angaben in Prozent ÖV 7 11 6 MIV-Fahrer MIV-Mitfahrer 53 49 49 Fahrrad zu Fuß 9 9 10 7 11 10 24 20 26 MiD Oktober MOBICOR Welle 2 (Oktober 2017) MOBICOR Welle 1 (Juni 2017) Datenbasis: MOBICOR Baden-Württemberg und Ausschnitt aus der regionalen MiD für Personen ab 16 Jahren im Oktober 2017
9 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 2,6 Wege werden deutschland- weit im Oktober an einem typischen Tag durchschnitt- lich zurückgelegt., in der MiD waren es noch 3,2.
10 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 Die Abbildung unten links zeigt, dass die leicht po- niedrigem Status den ÖV seltener substituieren sitive Entwicklung der relativen ÖV-Anteile vor al- (können) als die besser gestellten Haushalte, bei lem auf Haushalte mit geringem ökonomischem denen er häufiger durch Autofahrten ersetzt wird. Status zurückzuführen ist. In der Abbildung wer- den die Anteile für ÖV, MIV und Rad entlang der Wird der Modal Split nach Autobesitz differen- Statusgruppen und im Vergleich zur MiD darge- ziert, dann zeigt sich eine leichte Zunahme des stellt. Zur besseren Lesbarkeit wurden die Fußwe- MIV-Anteils gegenüber der MiD unter Autobesit- ge herausgerechnet und die Anteile von MIV-Fah- zern, dem Verluste des ÖV-Anteils entgegenste- rer und -Mitfahrer zusammengefasst. Während hen. Bei den autolosen Haushalten vergrößert sich der ÖV-Anteil der mittleren und oberen Sta- sich der MIV-Anteil gegenüber der MiD um mehr tusgruppen gegenüber der MiD deutlich redu- als das Doppelte. Dies ist auf einen hohen Anteil ziert hat, hat er sich für die Haushalte der unte- an MIV-Mitfahrern zurückzuführen, die 42 Pro- ren Statusgruppe sogar leicht erhöht. Umgekehrt zent aller Wege (ohne Fußwege) ausmachen. In verhält es sich mit den Radverkehrsanteilen, die der Folge sinken die ÖV- und Fahrrad-Anteile deut- einen leichten Rückgang bei den Haushalten mit lich auf 25 bzw. 27 Prozent (s. Abbildung unten hohem und mittlerem Status zeigen. Bei Haushal- rechts). Wer ein Auto besitzt, nutzt dies verstärkt. ten mit niedrigem Status hingegen verringert sich Wer hingegen kein Auto hat, für den steht als Al- der Anteil um 40 Prozent deutlich. Der MIV ist bei ternative nur das Fahrrad zur Verfügung oder er allen Statusgruppen gestiegen, wobei die Haus- verbleibt im ÖV. In Baden-Württemberg ist zudem halte mit mittlerem Status die größten Zuwächse das Mitnehmen von Personen im Auto als weitere verzeichnen. Es zeigt sich, dass die Haushalte mit Alternative zu erwähnen. Modal Split nach ökonomischem Haushaltsstatus für MIV, Modal Split nach Autobesitz für MIV, ÖV und Rad ÖV und Rad Wege, Angaben in Prozent Wege, Angaben in Prozent MOBICOR Welle 2 MiD 2017 MOBICOR Welle 2 MiD 2017 8 10 6 8 21 14 12 20 25 83 76 80 43 86 82 76 70 65 48 22 9 8 10 15 11 12 8 9 mittel niedrig 27 hoch Ja mittel hoch 35 Ja niedrig Nein Nein ÖV MIV Fahrrad Datenbasis: MOBICOR Baden-Württemberg und Ausschnitt aus der regionalen MiD für Personen ab 16 Jahren im Oktober 2017
11 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 WARUM SIND DIE BEFRAGTEN UNTERWEGS? gen und im Verhältnis zur ersten Erhebungswelle DIE WEGEZWECKE um 50 Prozent zugenommen haben. Zu beden- ken ist bei einem Vergleich mit der MiD jeweils Der zweite Lockdown wird häufig als „Lockdown das inzwischen deutlich niedrigere Verkehrsauf- light“ bezeichnet, da die Maßnahmen, die am kommen insgesamt, das um fast zehn Prozent 02.11.2020 in Kraft traten, weniger umfassend unter dem Niveau der MiD liegt. Der Anstieg bei sind als die vom Frühjahr. Betroffen von Schlie- den Einkaufswegen kompensiert die Verluste bei ßungen sind vor allem Freizeit- und Kulturein- Freizeit- und Erledigungswegen. Geschlossene richtungen, Tourismus und Gastronomie sowie Freizeiteinrichtungen und eher schlechtes Wetter bestimmte Dienstleistungen. Schulen, Kinderbe- lassen das Shoppen als alternative Freizeittätig- treuungseinrichtungen und die meisten Arbeits- keit erscheinen. Insgesamt nähern sich berufs- stätten bleiben hingegen offen. Verringerungen bedingte Wege sowie Begleitwege anteilsmäßig der Anteile an den Wegezwecken lassen sich des- dem MiD-Niveau an, dort sind die Maßnahmen halb vor allem bei Freizeit- und Erledigungswe- des zweiten Lockdowns weniger tiefgreifend. Nur gen beobachten, die sich gegenüber der ersten bei Einkaufs- und Erledigungswegen haben sich MOBICOR-Erhebungswelle um etwa 20 Prozent die Anteile weiter vom MiD-Niveau entfernt als es reduzieren (s. Abbildung unten). Umgekehrt bei in der ersten Welle der Fall war. Arbeitswegen, deren Anteile sich gegenüber der ersten Welle leicht erhöhen und die inzwischen Die Änderungen der jeweils relativen Anteile des das MiD-Niveau erreichen. Gleiches gilt für dienst- täglichen Verkehrsaufkommens sollten gemein- liche Wege, die das MiD-Niveau sogar überstei- sam mit den absoluten Werten betrachtet wer- Wegezwecke im Vergleich MOBICOR 1, MOBICOR 2 und MiD 2017 Angaben in Prozent 30 29 25 26 24 20 22 22 21 19 19 18 18 15 15 15 10 12 10 8 5 7 5 1 3 2 3 0 Arbeit dienstlich Ausbildung* Einkauf Erledigung Freizeit Begleitung MOBICOR Welle 2 MOBICOR Welle 1 MiD 2017 * geringe Fallzahl (
12 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 Verkehrsaufkommen im Vergleich MOBICOR 1 und MOBICOR 2 Angaben in Millionen Wegen, stichprobenbedingt größere Fehlerspielräume in MOBICOR (+/-15%) 8 7 7 6 6 6 5 5 5 4 4 4 4 3 3 2 2 1 1 1 0 Arbeit/ dienstlich Einkauf Erledigung Freizeit Begleitung Ausbildung MOBICOR Welle 2 MOBICOR Welle 1 Datenbasis: MOBICOR Baden-Württemberg Wegezwecke mit Modal Split im Vergleich MOBICOR 1, MOBICOR 2 und MiD 2017 Wege, Angaben in Prozent MOBICOR Welle 2 MOBICOR Welle 1 9 8 14 9 2 4 6 7 4 4 14 52 5 89 88 86 82 86 80 80 27 81 85 91 73 70 47 29 2 1 7 6 8 12 8 12 10 12 15 7 25 dienstlich Begleitung Erledigung 45 Arbeit Einkauf Freizeit MiD 2017 Ausbildung 8 8 9 5 12 24 49 84 85 83 84 60 73 40 17 9 11 8 8 15 12 Ausbildung* dienstlich Erledigung Einkauf Begleitung Freizeit Arbeit ÖV MIV Fahrrad *insgesamt geringe Fallzahlen für Ausbildungsverkehr Datenbasis: MOBICOR Baden-Württemberg im Oktober 2020 (W2) und Auschnitt aus der regionalen MiD 2017 für Personen ab 16 Jahren im Oktober 2017
13 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 den, um auch Veränderungen des Niveaus in den cke (s. Abbildung S. 12 unten). Gegenüber der MiD Blick zu bekommen. Die Anzahl der Wege hat sich ist eine deutliche Steigerung des MIV zu erken- gegenüber der Befragung im Frühjahr insgesamt nen, wodurch das Fahrrad und insbesondere der um 13 Prozent auf 26 Millionen Wege vergrößert. ÖV an Anteilen verlieren. Und auch gegenüber Während die Anzahl der Arbeitswege um 20 Pro- der ersten Erhebungswelle haben sich die MIV- zent sowie Dienst- und Einkaufswege jeweils um Anteile für die meisten Wegezwecke weiterhin sogar 50 Prozent zugenommen haben, lassen sich erhöht. Ausnahmen bilden lediglich Arbeits- und auf Erledigungs- und Begleitwegen keine Ände- Begleitwege, auf denen der MIV zugunsten des rungen gegenüber der ersten Erhebung von MO- ÖV Anteile verloren hat. Bei den übrigen Wegzwe- BICOR erkennen. Auf Freizeitwege lässt sich sogar cken hingegen haben sich die Modal Split-Anteile ein Rückgang um 14 Prozent auf sechs Millionen des ÖV gegenüber der ersten Welle abermals ver- Wege erkennen. Das ist der einzige Wegezweck ringert. Die Anteile des Fahrradverkehrs, die in der mit Rückgängen beim Verkehrsaufkommen (s. ersten Welle in großem Umfang gestiegen sind, Abbildung S. 12 oben). Die Verkehrsleistung sinkt haben sich bei fast allen Wegezwecken deutlich hingegen deutlich: Bei Einkaufwegen um etwa 50 reduziert. Hervorstechend ist dabei der Rückgang Prozent auf 35 Mio. Kilometer, bei Erledigungswe- auf Freizeitwegen mit einem Verlust von 13 Pro- ge um 35 Prozent auf 40 Mio. Kilometer, bei Frei- zentpunkten und einer Halbierung des Modal zeitwegen um 40 Prozent auf 58 Mio. Kilometer. Split-Anteils. Auch auf Einkaufswegen zeigt sich Arbeits- und Dienstwege bilden auch hier die Aus- dieser deutliche Rückgang, jedoch bei niedrige- nahme mit einem Anstieg von über 40 Prozent rem Ausgangsniveau. auf 94 bzw. 40 Mio. Kilometer. Wird die Blickrichtung um 90 Grad gedreht und Deutliche Änderungen zeigen sich bei der Dar- dadurch die Anteile der Wegezwecke über alle stellung des Modal Splits entlang der Wegezwe- Radwege hinweg betrachtet, dann zeigt sich, dass 40 % Prozent der Befragten weichen derzeit auf das Auto aus, an- statt den ÖV zu nutzen.
14 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 Freizeitwege nur noch ein Viertel aller Radwege bei der Einordnung der Ergebnisse berücksichtigt ausmachen. Das ist ein Rückgang von 40 Prozent werden, der vor dem Inkrafttreten der Maßnah- gegenüber der ersten Welle. Einkaufswege haben men lag. Diese Entwicklungen sollten also nicht nur noch einen Anteil von 16 Prozent und damit als eine Normalisierung der Mobilität betrachtet vier Prozentpunkte weniger als gegenüber dem werden, da mit dem Beginn des „Lockdown light“ Frühjahr. Arbeitswege hingegen konnten ihren eher ein weiterer Rückgang in der Verkehrsleis- Anteil verdoppeln und umfassen jetzt 35 Prozent. tung zu erwarten ist. Die Abbildungen der Sei- Dabei beträgt jedoch die Verkehrsleistung des ten 4 bis 6 verdeutlichen diese Einschätzung. Radverkehrs mit 7,7 Mio. Kilometern gerade mal ein Drittel der ersten Erhebungswelle. In absolu- MOBILITÄT VOR DEM ZWEITEN LOCKDOWN ten Werten ausgedrückt verringert sich dadurch die Verkehrsleistung des Radverkehrs auf allen Die Bundesregierung wird nicht müde auf die Not- Wegezwecken mit Ausnahme von Begleitwegen. wendigkeit der Selbstbeschränkung zu verweisen und empfiehlt überflüssige Wege zu vermeiden. Zusammengefasst entsteht ein komplexes Bild, Damit sind vor allem private Anlässe gemeint, wie bei dem sich die Modal Split-Anteile entlang der Feiern oder auch Urlaubsreisen, die Mitte Oktober einzelnen Wegezwecke stärker dem MiD-Niveau noch weitestgehend möglich waren. Der Aufruf annähern. Das sollte aber aufgrund der deutli- hat Wirkung gezeigt. Bundesweit waren am Be- chen geringeren Verkehrsleistung nicht als Indiz richtstag nur 79 Prozent der Befragten mobil, der für eine Überwindung der Corona-Krise gewertet Referenzwert der MiD für den Oktober liegt bei werden. Auch der Zeitpunkt der Erhebung sollte 85 Prozent (s. Abbildung S. 14 links). Aber auch Am Berichtstag unterwegs Angaben in Prozent Am Berichtstag außer Haus? Gründe für Nicht-Mobilität? (Mehrfachnennungen) Peronen zu Hause betreut 6 im Homeoffice gearbeitet 6 aufgrund der Pandemie 11 79 21 auf Wege verzichtet krank 11 wetterbedingt 14 private Dinge zu 22 Hause erledigt ja nein kein Anlass 50 Datenbasis: MOBICOR bundesweit im Oktober 2020 für Personen ab 16 Jahren
15 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 der Umstand, dass Schulen und Betreuungsein- zu Hause aus und zeigt nur den Anteil der Immo- richtungen geöffnet sind und viele Unternehmen bilen unter den Heimarbeitern. Denn insgesamt kein Homeoffice anbieten möchten oder können geben 20 Prozent der Befragten an, ganz oder teil- spiegelt sich in der Zahl wider, denn gegenüber weise von zu Hause aus zu arbeiten, davon waren dem ersten Lockdown hat sich der Wert um vier 84 Prozent am Berichtstag unterwegs. Die Mobi- Prozentpunkte erhöht. Damals waren nur 75 Pro- litätsquote der Personen im Homeoffice liegt da- zent der Befragten am Berichtstag unterwegs. mit genau auf dem Niveau von Personen, die wei- Dass die Sorge um eine Infektion als Ursache für terhin unverändert zur Arbeit gehen und ist höher das Zuhause bleiben angegeben wird, ist eher als die von Personen in Kurzarbeit. die Ausnahme und betrifft nur elf Prozent der Nicht-Mobilen oder zwei Prozent aller Befragten. Deutliche Unterschiede zeigen sich bei der Fra- Die häufigste Ursache für den Tag in den eigenen ge, wer die Möglichkeit zum Homeoffice hat und vier Wänden war der fehlende Anlass. Das hat die diese auch nutzt. Das gilt nur für acht Prozent der Hälfte aller nicht-mobilen Befragten als Begrün- Personen aus ökonomisch schwächeren Haus- dung angegeben. halten. Bei Personen mit hohem ökonomischen Haushaltsstatus sind es 21 Prozent der Befragten Die Abbildung auf Seite 14 rechts zeigt die häu- (s. Abbildung unten links). Umgekehrt verhält es fig genannten Gründe für die Nicht-Mobilität am sich mit der Kurzarbeit, die etwa jeder Dritte mit Berichtstag für alle Befragten in Deutschland. Die geringem ökonomischen Haushaltsstatus in An- Arbeit im Homeoffice mit einem Anteil von sechs spruch nehmen muss, aber nur jeder Achte der Prozent unterschätzt den Umfang der Arbeit von oberen Statusgruppe. Homeoffice bietet für ei- Anteile Homeoffice und Kurzarbeit nach Alternativen zum ÖPNV ökonomischem Status Angaben in Prozent, Mehrfachnennungen Angaben in Prozent, nur Erwerbstätige* MOBICOR Baden- bundesweit Württemberg 8 niedrig 34 Es fahren ohnehin 26 22 nicht ÖPNV Es fahren ohnehin 19 27 14 unverändert mittel 14 Es nutzen stattdessen 21 das Auto 41 40 hoch 12 das Fahrrad 19 17 Es fahren zur Zeit Homeoffice Kurzarbeit 14 12 lieber gar nicht *einschließlich Selbständige und Beamte Personen ab 16 Jahren, MOBICOR 1. Welle 2020 Datenbasis: MOBICOR Baden-Württemberg und MOBICOR bundesweit Oktober 2020 für Personen ab 16 Jahren
16 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 nige Personen einen sicheren Schutz vor mögli- Befragung an Personen ab 16 Jahren richtet und chen Infektionen, da sie sich weder im Büro noch damit Schülerinnen und Schüler der Sekundarstu- auf dem Weg dorthin einem Risiko aussetzen. fe I in der Regel nicht erfasst werden. Diese um- Die Nutzung des öffentlichen Verkehrs wird mit fassen aber insbesondere in ländlichen Regionen einem erhöhten Infektionsrisiko in Verbindung einen großen Teil der täglichen ÖV-Nutzer. Berich- gebracht, da man dort mit vielen Menschen auf te an anderer Stelle beziehen diese Gruppe mit engem Raum zusammen kommt. Entsprechend ein und gehen von einer Erholung der Fahrgast- weichen viele ÖV-Nutzer auf alternative Verkehrs- zahlen aus, die sich insbesondere nach dem Ende mittel aus, jeder sechste auf das Fahrrad und vier der Schulferien zeigt. In dem vorliegenden Bericht von zehn Befragten auf das Auto. Zwölf Prozent wird hingegen verdeutlicht, dass Personen, die fahren derzeit lieber gar nicht als den ÖV zu nut- nicht auf den ÖV angewiesen sind, diesen auch zen (s. Abbildung S. 15 unten rechts). Nur jeder stärker meiden. Ein solches Verhalten kann sich vierte Befragte gibt an, weiterhin unverändert im verstetigen und der ÖV würde dauerhaft Kunden ÖV unterwegs zu sein. Aber wiederum jeder zwei- verlieren. Denn etwa die Hälfte der Befragten hält te davon würde gerne auf andere Verkehrsmittel es aktuell für unwahrscheinlich, nach der Corona- ausweichen, wenn Alternativen zur Verfügung Pandemie wieder den ÖV stärker zu nutzen; das stünden. Diese Zwangskunden, die sogenann- gilt auch für 25 Prozent der autolosen Haushalte. ten „Captives“, kaschieren damit die potenziellen Fahrgastverluste im ÖV. Wer also die Möglichkeit hat, weicht auf andere Verkehrsmittel aus, zumindest ein großer Teil der Bei diesen Zahlen muss allerdings berücksichtigt vormaligen ÖV-Nutzer. Die Angst vor Ansteckung werden, dass ein Großteil dieser Captives in der ist dabei der meistgenannte Grund für die Abkehr Erhebung nicht berücksichtigt wird, da sich die vom ÖV und wird von etwa jedem Zweiten ange- Gründe für die Abkehr vom OPNV Personen, die aktuell weniger ÖPNV fahren, Angaben in Prozent, Mehrfachnennungen Angst vor Ansteckung 53 Maskenpflicht 11 schlechte Taktung 34 schlechte Verbindungen 44 andere Gründe 33 Datenbasis: MOBICOR Baden-Württemberg im Oktober 2020
17 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 führt, der derzeit Alternativen nutzt. Die Masken- unter 30-Jährigen, von denen fast 60 Prozent eine pflicht, die ja dem Schutz vor Infektionen dient, stärkere ÖV-Nutzung für wahrscheinlich halten. ist andererseits selbst Ursache für die Nicht-Nut- 54 Prozent der Personen im Homeoffice geben an, zung des ÖV, das gibt zumindest jeder zehnte Be- den ÖV wieder stärker zu nutzen, wenn die Coro- fragte an. Die weiteren, häufig genannten Gründe na-Pandemie vorbei ist, aber nur 38 Prozent der für die Abkehr vom ÖV stehen nicht in direktem Befragten mit hohem ökonomischem Haushalts- Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und status. Bei den Personen mit geringem Haushalts- scheinen eher generelle Mängel in der Verbin- status sind hingegen 60 Prozent. Unterschiede dungsqualität zu benennen, wie schlechte Tak- zwischen den Geschlechtern sind in dieser Frage tung oder schlechte Verbindungen (s. Abbildung kaum ausgeprägt, wobei Frauen mit 53 Prozent S. 16). etwas häufiger beabsichtigen zum ÖV zurückzu- kehren als dies Männer mit 47 Prozent angeben Wie bereits erwähnt, hält nur jeder zweite Be- (s. Abbildung unten). fragte eine Rückkehr zum ÖV nach dem Ende der Pandemie für wahrscheinlich. Dabei besteht Ein hoher Zuspruch den ÖV wieder verstärkt zu ein leichtes Stadt-Land-Gefälle. Etwa 60 Prozent nutzen kommt von den Personen, die corona-be- der Menschen in ländlichen Regionen halten dingt das Fahrrad als Alternative zum ÖV gewählt die Rückkehr für eher unwahrscheinlich. Eben- haben. Etwa 60 Prozent halten dies für mindes- so gibt es ein Altersgefälle: Mit zunehmendem tens wahrscheinlich. Ebenso von denjenigen, die Alter sinkt die Bereitschaft, den ÖV wie zuvor in lieber gar nicht fahren, anstatt den ÖV zu nutzen. Anspruch zu nehmen. Nur bei den über 65-Jäh- Unter denen, die das Auto als Alternative gewählt rigen steigt die Bereitschaft wieder an und liegt haben, ist es weniger als jeder zweite Befragte. mit 53 Prozent nur leicht unter dem Niveau der 62 Prozent hingegen halten eine Rückkehr in den Wahrscheinlichkeit einer stärkeren Nutzung des ÖPNV nach Corona Angaben in Prozent, alle Personen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 Gesamt Stadt Land männlich weiblich unter 30 Jahren 30-49 Jahre 50-64 Jahre 65 Jahre und älter Umstieg auf Auto Umstieg auf Fahrrad Fahre eher gar nicht Fahre wie bisher Fahre ohnehin nicht ÖV Datenbasis: MOBICOR Baden-Württemberg im Oktober 2020
18 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 ÖV für unwahrscheinlich. Für diese Personen gilt Rückkehr zu einer reibungslos funktionierenden demnach, wer einmal im Auto sitzt, ist nur schwer Gesellschaft. für den ÖV zurückzugewinnen. Den Befragten wurde deshalb eine Liste von Maß- ZURÜCK ZUR NORMALITÄT – WAS KANN DEM nahmen vorgelegt, die geeignet scheinen, das ÖV HELFEN? Vertrauen in eine risikofreie Nutzung des ÖV zu- rückzugewinnen. Dazu gehören: Die Angst vor Infektionen ist der Hauptgrund für die Suche nach Alternativen zum ÖV. Diese kön- - Durchsetzung der Maskenpflicht nen andere Verkehrsmittel wie Auto oder Fahrrad - Mehr Platz in den Fahrzeugen sein oder aber es wird versucht gänzlich auf Wege - Häufigere Fahrzeugreinigung/Oberflächendes außer Haus zu verzichten. Mobilität ist das Rück- infektion grat unserer Gesellschaft, der öffentliche Verkehr - Einsatz keimreduzierter Materialien in Fahr- ist dabei elementar für Partizipation und Integra- zeugen tion. Ohne einen frei zugänglichen, akzeptierten - Transparente Kommunikation zum Ansteckungs- und angstfrei nutzbaren ÖV wird eine Rückkehr risiko zur Normalität nicht möglich sein. Dafür sind zu viele Arbeitsplätze, soziale Beziehungen und Zudem gab es die Möglichkeit, bei keiner der be- Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen nannten Maßnahmen den ÖPNV häufiger zu Leben abhängig von ihm. Die Frage nach den nutzen. Jede und jeder Befragte konnte eine oder Möglichkeiten, den ÖV so zu gestalten, dass er mehrere Maßnahmen angeben. Ob die Kombina- ohne Vorbehalte in Anspruch genommen werden tion mehrerer Maßnahmen stärker zur ÖV-Nut- kann, ist für die nächste Zeit also zentral für die zung motivieren würde, scheint wahrscheinlich, Häufigere Nutzung von ÖPNV bei der Umsetzung bestimmter Maßnahmen Angaben in Prozent; Mehrfachnennungen 70 60 50 40 30 20 10 0 Gesamt Stadt Land männlich weiblich unter 30 30-49 Jahre 30-49 Jahre 65 Jahre Jahre und älter RegioStar2 Geschlecht Altersgruppen Durchsetzung der Maskenpflicht mehr Platz in den Fahrzeugen häufigere Reinigung/ Oberflächendesinfektion Einsatz keimreduzierter Materialien transparente Kommunikation zum keine der genannten Maßnahmen in Fahrzeugen Ansteckungsrisiko Datenbasis: MOBICOR Baden-Württemberg
19 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 kann aber aus den vorliegenden Daten nicht ab- häufiger den ÖV nutzen würde, sind es bei diesen gelesen werden. Maßnahmen nur 28 bzw. 29 Prozent der männli- chen Befragten. Diese würden aber bei der Durch- Die Maßnahmen erhalten über alle Befragten hin- setzung der Maskenpflicht (32 Prozent) und einer weg nur geringen Zuspruch. Nur zwischen 25 und transparenten Kommunikation über das Anste- 33 Prozent der Befragten sehen die Maßnahmen ckungsrisiko eher in den ÖPNV zurückkehren als als ausreichend an, um sie zur Rückkehr zum ÖV es Frauen bei diesen Maßnahmen tun würden. zu motivieren (s. Abbildung S. 18). Dabei scheinen die Durchsetzung der Maskenpflicht, häufigere Entlang der Altersgruppen wiederholt sich das Fahrzeugreinigung sowie ein größeres Platzange- Muster, das sich auch für die Wahrscheinlichkeit bot in den Fahrzeugen als die wirksamsten Mit- einer Rückkehr zum ÖPNV nach Corona abge- tel, den Sorgen der Fahrgäste zu begegnen. Eine zeichnet hat. Die jüngeren Jahrgänge sind gene- transparente Kommunikation wird dagegen als rell offener für die Rückkehr zum ÖPNV und wür- eine weniger wirksame Maßnahme angesehen den sich auch durch die benannten Maßnahmen und erhält nur 27 Prozent Zustimmung. Mehr als stärker motivieren lassen. Die Zustimmung zu den die Hälfte der Befragten gibt jedoch an, dass sie Maßnahmen liegt zwischen 33 und 50 Prozent. bei keiner der benannten Maßnahmen den ÖPNV Mit höherem Alter lässt auch das Vertrauen in die häufiger nutzen würden. Wirksamkeit der Maßnahmen nach. Die geringste Zustimmung findet sich in der Altersgruppe der Männern und Frauen unterscheiden sich bei der 50- bis 64-Jährigen, von denen jeder vierte bei ei- Bewertung der Maßnahmen. Während mehr als ner Durchsetzung der Maskenpflicht und mehr jede dritte Frau unter den Befragten bei mehr Platzangebot in den ÖPNV zurückkehren würde. Platz in den Fahrzeugen oder einer häufigeren Die Zustimmung zu den anderen Maßnahmen Fahrzeugreinigung bzw. Oberflächendesinfektion liegt zwischen 15 und 20 Prozent. Die 65-Jährigen 13 % Die Anzahl der Wege insge- samt hat sich zwischen der ersten und zweiten Erhe- bungswelle um 13 Prozent erhöht.
20 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 und älteren Befragten zeigen eine leicht höhere PERSÖNLICHER UMGANG MIT DER CORONA- Bereitschaft bei Durchsetzung der Maßnahmen PANDEMIE in den ÖV zurückzukehren. Die Dauer der Pandemie wird für viele Menschen Unterschiede bei den Befragten, die auf Alterna- zur Belastung. Existentielle Unsicherheiten, wie tiven zum ÖPNV zurückgreifen, bestehen nur bei es in Zukunft weitergehen soll, werden von der den Hygienemaßnahmen in größerer Spannbrei- Sorge vor einer Infektion begleitet, die sie selber te. Diese werden von denen, die eher gar nicht oder auch Freunde, Verwandte oder Bekannte be- fahren, mit nur 25 Prozent als wirksam angese- treffen könnte. Etwa jeder Vierte hat Angst, sich hen, bei den Befragten, die wie bisher den ÖV nut- selber mit dem Virus anzustecken, jeder Fünfte zen, liegt die Zustimmung hingegen zwischen 35 teilt die Sorge, schwer am Corona-Virus zu er- und 41 Prozent. Ob sie dadurch allerdings häufi- kranken. Dabei sind die Ängste bei den älteren ger Fahren würden, wie in der Fragestellung for- Befragten nicht ausgeprägter als bei den jünge- muliert, ist insofern offen, da es ja vorab keine Ver- ren Menschen, teilweise liegen sie sogar darunter. haltensanpassung gab und sie weiterhin den ÖV Mehr als die Hälfte der über 64-Jährigen gibt an, „wie gewohnt“ nutzen. Vielmehr scheinen diese keine Angst vor einer Infektion zu haben, 61 Pro- Antworten ein generelles Bedürfnis ausdrücken, zent haben keine Angst schwer am Corona-Virus bei der regelmäßigen ÖV-Nutzung vor möglichen zu erkranken (s. Abbildung S. 21). Ansteckungsgefahren geschützt zu werden. Auch wenn ein großer Teil der älteren Befragten keine Angst vor einer Infektion hat, sorgen sich die jüngeren stärker um das Wohlergehen der Eltern und Großeltern als um die eigene Gesundheit.
21 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 Vier von fünf Befragten unter 30 Jahren stimmen ßert diese Befürchtung. Bei den Altersgruppen im dieser Aussage zu. Bei den Altersgruppen zwi- berufsfähigen Alter sinkt dieser Wert auf sechs schen 30 und 64 Jahren sind es noch etwa 60 Pro- bzw. zwölf Prozent. Jeder fünfte Befragte gibt an, zent der Befragten. dass die Corona-Krise persönlich sogar positive Folgen haben wird. Sorgen machen sich die Menschen nicht nur um die Gesundheit, sondern auch um den Gemütszu- Diese Befunde decken sich mit aktuellen Ergebnis- stand. Die Einschränkungen in der Mobilität ver- se aus der psychologisch-klinischen Forschung, in hindern häufig auch Besuche bei den Eltern oder denen zum einen auf eine altersbedingte Stress- Großeltern. Dennoch nimmt das Gefühl sich ein- Resilienz verwiesen wird, die den Umgang mit sam zu fühlen mit höherem Alter nicht zu. Bei den Krisen im Alter erleichtert, da man auf viele Erfah- unter 30-Jährigen sind es nur 13 Prozent, die sich rungen mit überwundenen Schicksalsschlägen einsam fühlen, bei den älteren Befragten ist es mit zurückblicken kann. Zum anderen kann auch die 21 Prozent etwa jeder fünfte Befragte, weniger als Aussage, man könne der Krise etwas Positives ab- in der Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen mit 29 gewinnen, im Kontext von Strategien zur Stress- Prozent. Ähnlich ausgeprägt ist dieses Gefühl bei bewältigung gesehen werden. Wer es schafft, die Personen im Homeoffice, die zu 26 Prozent ange- aktuelle Situation mit den zahlreichen Beschrän- ben, sich einsam zu fühlen. Allerdings sind dabei kungen für sich selber positiv zu bewerten, indem die geringen Fallzahlen zu beachten. sich Hobbies und Tätigkeiten wie Jogging, Brotba- cken oder der Malerei verstärkt zugewandt wird, Befürchtungen um einen Verlust des Arbeits- oder der empfindet auch die Kontaktbeschränkungen Ausbildungsplatzes sind bei den jüngeren Befrag- weniger belastend. ten deutlich ausgeprägt. Jeder vierte Befragte äu- Angst, sich mit dem Corona-Virus anzustecken Angaben in Prozent, alle Befragten 60 trifft zu 50 teils, teils 40 trifft nicht zu 30 20 10 0 unter 30 30 bis 49 50 bis 64 65 Jahre Jahre Jahre Jahre und älter Datenbasis: MOBICOR Baden-Württemberg
22 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 WAS KOMMT, WAS BLEIBT: ERWARTUNGEN FÜR Ernsthafte Geldprobleme werden nicht mehr auf DIE KOMMENDEN 6 MONATE einem so geringen Niveau erwartet, wie in der ersten Erhebungswelle. Die Sorge um ernsthaf- Die erste Erhebungswelle begann mit der Frage te Geldprobleme hat sich verdoppelt und betrifft nach dem Befinden. Das war nicht nur ein Warm- inzwischen etwa jeden siebten Befragten. Zuvor up für die anschließende Mobilitätsbefragung, waren es acht Prozent (s. Abbildung unten). Ähn- sondern es sollte ein spontaner und allgemeiner lich sieht die Entwicklung bei den Erwartungen Eindruck der persönlichen Wahrnehmung ermit- im Hinblick auf gesundheitliche Einschränkungen telt werden, schließlich handelte es sich um eine aus. Inzwischen gibt jeder Vierte an, diese Erwar- zuvor nie dagewesene Situation. Wie es den Men- tung zu teilen und damit mehr als doppelt so viele schen mit solchen Einschränkungen konfrontiert wie in der ersten Welle. gehen würde, war unbekannt und ohne Vergleich. Bemerkenswerterweise ging es der großen Mehr- Die Erwartung einer Einschränkung der Grund- heit sehr gut. Anschließend wurde ein Ausblick rechte teilt inzwischen fast jeder zweite Befrag- auf die Erwartungen an die nächsten sechs Mo- te und damit knapp 20 Prozentpunkte mehr als nate erhoben, damals wohl überwiegend in der in der ersten Erhebungswelle. Besonders ausge- Erwartung, dass bis dahin die Krise überwunden prägt ist diese Erwartung in den Altersgruppen sei. In der zweiten Erhebungswelle, etwas we- der unter 30-Jähringen mit 68 Prozent und der niger als ein halbes Jahr später, wurde die Frage zwischen 30- bis 49-Jährigen mit 55 Prozent. nach den Erwartungen erneut gestellt. Die Ver- Auch von den Personen in Kurzarbeit und denen änderungen im Vergleich zur ersten Welle geben mit niedrigem ökonomischem Haushaltsstatus einen Eindruck, wie sich die Dauer der Corona- gibt deutlich mehr als die Hälfte der Befragten Pandemie auf diese Einschätzungen auswirkt. an, eine weitere Einschränkung der Grundrechte zu erwarten. Dass die bestehenden Maßnahmen Erwartungen für die kommenden sechs Monate Angaben in Prozent, alle Befragten 60 MOBICOR W2 50 MOBICOR W1 40 30 20 10 0 Ernsthafte Gesundheitliche Einschränkungen Geldprobleme Einschränkungen Grundrechte Datenbasis: MOBICOR Baden-Württemberg
23 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 und auch im Ausblick auf den weiteren Verlauf Zunahme des Radverkehrs während und nach des Pandemiegeschehens als eine Einschränkung dem ersten Lockdown zumindest aus umweltpo- der Bürgerrechte wahrgenommen werden, muss litischer Perspektive keinen Schaden auf dem Weg nicht als Ausdruck einer Ablehnung dieser Maß- zur Verkehrswende erzeugt. Klimaforscher haben nahmen verstanden werden. Zunächst bleiben vielmehr bestätigt, dass es zu einer weltweiten die Aussagen in der Interpretation offen. Dennoch Abnahme der CO2-Emissionen kam. Im Sommer sollte der Frage nach einer schwindenden Akzep- schien auch das Virus weitestgehend auf dem tanz gegenüber den getroffenen Maßnahmen an Rückzug, die Zahlen der Neuinfektionen gingen anderer Stelle nachgegangen werden. Eine Wahr- deutlich zurück und auch die Zahl der schweren nehmung der Maßnahmen als unverhältnismä- Erkrankungen und Todesfälle. Die Bedrohung er- ßige Einschränkung der Bürgerrechte, kann zu schien für manche schon überwunden. deren Missachtung führen, wodurch die Ausbrei- tung des Corona-Virus SARS-CoV-2 noch weniger Mit dem Ende des Sommers stiegen die Infekti- kontrolliert werden könnte. onszahlen langsam wieder an und beschleunig- ten sich am Ende der Urlaubszeit und der warmen FAZIT UND AUSBLICK Tage so stark, dass ein neuer Lockdown, zumin- dest ein partieller, erforderlich wurde. Damit sind Bereits in der ersten Erhebungswelle hat sich eine auch die Hoffnungen auf ein schnelles Ende der Bewährungsprobe für den ÖV angedeutet, die Pandemie dahin. Für den ÖV hat sich die Situation Rückgänge der Fahrgäste waren enorm. Der erste nicht entspannt, das zeigen die aktuellen Zahlen Lockdown wurde aber eher als außerordentliche in diesem Bericht. Und eine Änderung zum Guten Ausnahme wahrgenommen, als eine Situation, ist nicht in Sicht, da auch ein größeres Platzange- die sich nicht so schnell wiederholen kann und bot in den Fahrzeugen, verbesserte Hygiene und darf. Zudem hat die Corona-Pandemie durch eine verstärkte Reinigungen oder die Durchsetzung 35 % Etwa jeder dritte Befragte gibt an, den ÖV häufiger zu nutzen, wenn mehr Platz in den Fahr- zeugen zur Verfügung stünde
24 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 der Maskenpflicht nur einen Teil der ehemaligen An diesem Punkt sollten Denkverbote beiseitege- Fahrgäste zurück in die Fahrzeuge bringen würde. schoben und Erkenntnischancen genutzt werden. Und je länger die Pandemie andauert, desto grö- Es muss zur Kenntnis genommen werden, dass ßer wird der Schaden für den ÖV. Denn wer kann, es eine Rückkehr zur Normalität, wie man sie vor weicht auf das Auto aus, fährt Fahrrad oder un- Corona kannte, nicht ohne Anstrengung geben terlässt Wege lieber ganz, als diese mit Bus und wird. Einige Fahrgäste bleiben dauerhaft verloren, Bahn zu bestreiten. Es besteht durchaus die Ge- wenn sich die Ergebnisse der Studie bestätigen. fahr, dass der ÖV als Transporteur lediglich von Dabei wäre ein in vielen Belangen verbesserter Zwangskunden wahrgenommen wird und ein ÖPNV schon vor dem Corona-Einschnitt ein Ge- schlechtes Image erhält, das potenzielle Neukun- bot der Stunde gewesen. Nun kommen weitere den oder auch Rückkehrer abschreckt. Herausforderungen dazu. Mögliche dauerhaft höhere Homeoffice-Anteile, um einen Aspekt zu Aber immerhin: Zwei Drittel der Befragten, die Bus nennen, entschärfen möglicherweise den Ge- und Bahn weiternutzen tun dies aus Zufrieden- samtverkehr, bedeuten aber für den öffentlichen heit mit dem ÖV, etwa jeweils ein Drittel nennt Verkehr zunächst Einnahmeverluste. Wachsende Reisezeitgewinn bzw. Bequemlichkeit sowie Kli- Ansprüche an die Transport- und Aufenthaltsqua- maaspekte als Gründe für die Weiternutzung. lität, ein weiterer Aspekt, verlangen jedoch Mo- Und nach der Corona-Pandemie, wenn keine In- dernisierungen und damit mehr Mittel als bisher. fektionsgefahr mehr besteht, wird die Situation eine andere sein. So schnell sich an bestimmte Ein moderner und leistungsfähiger ÖV bleibt zen- neue soziale Praktiken gewöhnt wurde, zum Bei- tral für die Verkehrswende und die Erreichung der spiel die Begrüßung per Ellenbogen und das Un- Klimaziele, zu denen sich Deutschland verpflich- terlassen des Händeschüttelns, so schnell werden tet hat. Die Herausforderungen, mehr Menschen auch alte Gewohnheiten und Routinen wieder von der Nutzung des ÖV zu überzeugen, sind zurückkehren. Und es ist anzunehmen, dass auch mit der Corona-Pandemie gewachsen. Hier kann ein Teil derjenigen, die jetzt davon überzeugt sind, das positive Image eines klimaverträglichen Ver- den ÖV in Zukunft weniger oder gar nicht mehr zu kehrsmittels sicher positives leisten. Doch die An- nutzen, ihre Einstellung revidieren und in den ÖV strengungen einer Stärkung des ÖV insgesamt, zurückkehren werden. Dennoch, und das ist an mit denen bereits vor der Krise begonnen wurde, dieser Stelle zu betonen, die derzeitige Situation müssen fortgesetzt und intensiviert werden. Das stellt eine Herausforderung dar, die aktiv ange- gilt für den Fernverkehr gleichermaßen wie für gangen werden muss. Denn Änderungen der Ar- ÖPNV in der ländlichen Peripherie. beitsorganisation durch Homeoffice werden nicht mehr vollständig verschwinden.
25 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 02 AUSGABE 01.12.2020 EXKURS: WIE SOLL AUF DEN NIEDRIGEN ÖLPREIS REAGIERT WERDEN? Die Ölpreissenkungen der letzten Monate haben ländlichen Regionen mit sechs Prozent gerade auch zu einer Verringerung der Kraftstoffpreise mal einer von 16 Befragten befürwortet. Es beste- geführt. Diesel und Benzin sind deutlich billiger hen zudem größere Unterschiede zwischen den geworden. Die Teilnehmer der MOBICOR-Studie Geschlechtern. Etwas weniger als die Hälfte der aus Baden-Württemberg wurden deshalb ge- weiblichen Befragten befürwortet eine Verringe- fragt, wie der Staat darauf reagieren sollte, z.B. rung der Kraftstoffkosten, jede vierte Befragte ist bezüglich der Energiesteuer und einer Anpassung der Meinung, die Preise für Kraftstoffe sollen sich der Kraftstoffpreise. nicht anpassen und so bleiben wie bisher. Nur neun Prozent der Frauen sind für eine deutliche Über die Hälfte der Befragten möchte, dass sich Erhöhung der Kraftstoffpreise. Bei den Männern der günstige Ölpreis auch auf die Kraftstoffkosten gibt es mit 59 Prozent deutlich mehr Befürworter auswirkt. Etwa jeder fünfte Befragte spricht sich einer Senkung der Kraftstoffkosten, aber mit 18 dafür aus, die Kosten für Benzin und Diesel auf Prozent auch eine, im Vergleich zu den weiblichen gleicher Höhe zu belassen und nur 13 Prozent der Befragten, größere Gruppe, die sich für eine Erhö- Befragten sehen in dem niedrigen Ölpreis keinen hung der Kosten ausspricht. Anlass die Kraftstoffpreise zu senken und würden sogar deren Erhöhung befürworten. Fast jeder Auch die jüngeren Altersgruppen bis 49-Jahre achte Befragte hat keine Meinung dazu, wie der sind mehrheitlich für eine Reduzierung der Kraft- Staat reagieren sollte (s. Abbildung unten). stoffkosten, doch die Zustimmung zu einer Kos- tensenkung ist bei den 50- bis 64-Jährigen mit In Stadtregionen ist etwa jeder Fünfte für eine 60 Prozent am größten. Bei den über 65-Jährigen Erhöhung der Kraftstoffkosten, während es in sinkt diese Zustimmung dann deutlich auf 46 Pro- Antwort auf Frage nach Reaktion des Staats auf den gesunkenen Ölpreis in Baden-Württemberg alle Befragten, Angaben in Prozent gar nicht. Kraftstoff wird günstiger 13 1 deutliche Erhöhung Kraftstoff Erhöhung. Gleiche Kosten für Kraftstoff 13 54 verweigert weiß nicht 19 Datenbasis: MOBICOR Baden-Württemberg
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