Krugmans New Economic Geography und Migration: Zu Motiven und regionalen Wirkungen von Migration im Zentrum-Peripherie-Modell
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Krugmans New Economic Geography und Migration: Zu Motiven und regionalen Wirkungen von Migration im Zentrum-Peripherie-Modell Name: Marianna Knorr Studiengang: FüBa Geographie, Mathematik Fachsemester: 6 Matrikelnr.: 2569200 E-Mail: MariannaKnorr@aol.com Modul: Bachelorarbeit (A5, 10 CP) Erstprüfer: Prof. Dr. Javier Revilla Diez Zweitprüferin: Prof. Dr. Christiane Meyer Semester: SoSe 2010
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ................................................................................................................................ 3 2 Krugmans New Economic Geography .................................................................................... 4 2.1 Die New Economic Geography – eine Einführung .......................................................... 4 2.2 Das Zentrum-Peripherie-Modell ...................................................................................... 5 2.2.1 Die Annahmen des Zentrum-Peripherie-Modells ..................................................... 5 2.2.2 Zentrale Prozesse und Aussagen des Zentrum-Peripherie-Modells .......................... 7 3 Migration im Zentrum-Peripherie-Modell ............................................................................ 11 3.1 Zu Motiven der Migration im Zentrum-Peripherie-Modell ........................................... 11 3.2 Zu regionalen Wirkungen von Migration im Zentrum-Peripherie-Modell .................... 17 4 Beispiel zur Umsetzung der migrationstheoretischen Erkenntnisse des Zentrum-Peripherie- Modells im Weltentwicklungsbericht 2009.......................................................................... 22 5 Kritische Würdigung und alternative Ansätze ...................................................................... 24 5.1 Die Grenzen des Modells ............................................................................................... 24 5.2 Alternative migrationstheoretische Ansätze................................................................... 26 6 Fazit ....................................................................................................................................... 28 Literaturverzeichnis .................................................................................................................. 29 Internetquellenverzeichnis ....................................................................................................... 30 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Transportkosten und räumliche Gleichgewichte im Z-P-Modell, Quelle: LITZENBERGER, T. 2006: Cluster und die New Economic Geography. Theoretische Konzepte, empirische Tests und Konsequenzen für Regionalpolitik in Deutschland. In: Europäische Hochschulschriften, Reihe V Volks- und Betriebswirtschaft, 3228, S. 91. Abbildung 2: Bifurkationsdiagramm des Z-P-Modells. Quelle: ebd., S. 39. Abbildung 3: Die kumulativen Prozesse im Z-P-Modell. Quelle: STERNBERG, R. 2001: New Economic Geography und Neue regionale Wachstumstheorie aus wirtschaftsgeographischer Sicht. In: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie, 45(3-4), S. 163. 2
1 Einleitung In den vergangenen Jahren hat die Migration von Menschen auf der ganzen Welt stetig zugenommen (vgl. HAN 2005: 1). Kleinräumliche Land-Stadt-Wanderungen oder auch die Migration von wirtschaftlich schwachen Regionen in die ökonomisch attraktivsten Räume sind häufige Phänomene, deren Ursachen und Wirkungen jedoch oft umstritten sind. Die starke Zunahme der Migration nach dem Zweiten Weltkrieg (vgl. CASTLES/MILLER 1998: 4) hat „in der Wissenschaft dazu geführt, dass die Migration Gegenstand interdisziplinärer Forschung“ (HAN 2006: 3) geworden ist. Ziel dieser Forschung ist es unter anderem, die komplexen Prozesse der Migration und ihre Folgen in Theorien zu erläutern, um so auch eine Grundlage für eine persistente und effektive Migrationspolitik liefern zu können. Auch der Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman hat mit seiner „New Economic Geography“1 und insbesondere mit dem in ihr enthaltenen Zentrum-Peripherie-Modell2 einen Ansatz geliefert, in dem indirekt Migrationsströme beschrieben und ihre Wirkungen auf die Herkunfts- und Zielregion erklärt werden. Doch das Modell von Krugman, das in erster Linie die Herausbildung und Dauerhaftigkeit von Zentrum-Peripherie-Strukturen, also regionalen Ungleichverteilungen von wirtschaftlichen Aktivitäten, erklären will, hat bislang kaum Aufmerksamkeit von Migrationstheoretikern bekommen. Das Ziel dieser Arbeit ist es daher, zu untersuchen, welchen Beitrag das Z-P-Modell von Krugman zur Erklärung von Migrationsströmen bzw. den Motiven von Migration und ihren regionalen Wirkungen leisten kann. Welche Schlüsse lassen sich aus seinen modellhaften Darstellungen für die realen Motive und regionalen Wirkungen von Migration ziehen? Allerdings sollen auch die Grenzen des Modells von Krugman aufgezeigt werden und alternative theoretische Erklärungsansätze zur Migration vorgestellt werden. Dabei wird wie folgt vorgegangen: Zunächst wird sich die Arbeit der NEG widmen, wobei insbesondere das Z-P-Modell ausführlich erläutert wird (Kap. 2). Dabei werden sowohl die Prämissen, als auch zentrale Mechanismen des Modells dargestellt. Dies bildet die Grundlage für das dritte Kapitel, in dem die Bedeutung von Krugmans Modell für die Migration herausgearbeitet werden soll. Dabei wird es in erster Linie darum gehen herauszufinden, womit Krugman die Wanderung von Arbeitskräften begründet. In einem weiteren Schritt wird sein Modell in Bezug zu den regionalen Wirkungen von Migration gedeutet. Im vierten Kapitel wird auf Grundlage des Weltentwicklungsberichts von 2009 hinterfragt, inwieweit die herausgearbeiteten Aussagen des Z-P-Modells zu Migration auch in der Realität anzuwenden 1 Im Folgenden wird für den Begriff der New Economic Geography die Abkürzung NEG verwendet. 2 Im Folgenden wird für den Begriff des Zentrum-Peripherie-Modells die Abkürzung Z-P-Modell verwendet. 3
sind bzw. ob sie der Realität Stand halten. Eine ausführliche kritische Diskussion der Aussagekraft und Erklärungsleistung des Modells in Bezug auf Migrationsprozesse erfolgt anschließend in Kapitel 5.1. Da es zudem in der wissenschaftlichen Debatte viele sehr unterschiedliche Ansätze zur Erklärung von Migrationsmotiven und den regionalen Wirkungen der Migration gibt, sollen in einem weiteren Unterkapitel kurz weitere Ansätze aufgezeigt werden. Abschließend wird überprüft, ob die Fragestellung und Zielsetzung der Arbeit beantwortet wurde und wie die gewonnenen Erkenntnisse bewertet werden können. 2 Krugmans New Economic Geography 2.1 Die New Economic Geography – eine Einführung Das vom heutigen Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman entwickelte Z-P-Modell bildet den Ursprung der NEG3, die oft als die „Wiederentdeckung des Raumes in den Wirtschaftswissenschaften“ (SCHÄTZL 2003: 201 und vgl. dazu KRUGMAN 2000: 59) bezeichnet wird. Ziel dieses Modells ist es räumliche Agglomerationsprozesse zu erklären. Wie der Wirtschaftswissenschaftler Litzenberger schreibt, ermöglicht es das Z-P-Modell „erstmals, zirkuläre, sich selbst verstärkende räumliche Entwicklungen wirtschaftlicher Aktivitäten mathematisch formalisiert und mikroökonomisch vollständig fundiert abzubilden“ (LITZENBERGER 2006: 1). Durch diese Formalisierung konnten bereits bestehende Erkenntnisse beispielsweise aus der Polarisationstheorie von HIRSCHMAN (1967) (vgl. STERNBERG 2001: 160) den Mainstream in der Ökonomie erreichen (vgl. OSMANOVIC 2000: 241f. und DYMSKI 1996: 445f.), wodurch die NEG zu ihrem großen Bekanntheitsgrad kommen konnte. Das grundlegende Z-P-Modell von Krugman war dann auch Ausgangspunkt zahlreicher Erweiterungen.4 Diese sind trotz teils großer Unterschiede alle der Auffassung, dass die regionale oder lokale Ballung ökonomischer Aktivitäten nur durch steigende Skalenerträge, positive Externalitäten (Lokalisations-, Urbanisations- und Verflechtungsvorteile) und 3 In der Forschungsliteratur ist der Begriff der NEG jedoch auch umstritten. So kritisieren vor allen Dingen renommierte Wirtschaftsgeographen, wie R. Martin (vgl. dazu ausführlich MARTIN 1999: 65-91) oder auch die deutschen Wirtschaftsgeographen H. Bathelt oder E. Kulke (vgl. dazu BATHELT 2001 und KULKE 2004: 1- 16), dass die von Krugman begründete neue Schule keinesfalls eine „neue“ Wirtschaftsgeographie ist, da sie „im wesentlichen bekannte Ideengebäude der Regional Science und der Raumwirtschaftslehre“ (BATHELT 2001: 108) aufgreift. Bathelt und Martin schlagen als alternative Bezeichnung der NEG, die ihrer Meinung nach sehr viel mehr Ökonomie, und weniger Geographie ist, den Begriff „geographical economics“ vor. Im Folgenden wird aber der im Allgemeinen anerkannte Begriff der NEG für Krugmans Schule verwendet. 4 Beispiele hierfür sind die Theorie zur Lokalisation, bzw. der kleinräumigen Industriespezialisierung, von Krugman, die Mehrregionen-Modelle von Fujita, Venables und Krugman, oder Modelle, in denen alternative Zentripetal- oder Zentrifugalkräfte eingeführt wurden, beispielsweise durch Puga oder Helpman. Eine Überblicksdarstellung der verschiedenen Ansätze bietet LITZENBERGER 2006: 62-79. 4
unvollständigen Wettbewerb als entscheidende Determinanten zu erklären sei (vgl. STERNBERG 2001: 160). Die Fokussierung auf diese Determinanten und die gleichzeitige mathematisch exakte Formalisierung durch sogenannte „modelling tricks“ (vgl. KRUGMAN 1998: 164f. und KRUGMAN 2008: 198ff) sind grundlegende Kennzeichen der NEG, die sie von anderen Disziplinen der Wirtschaftswissenschaft und der Wirtschaftsgeographie abgrenzen. 2.2 Das Zentrum-Peripherie-Modell Das Z-P-Modell wurde von Paul Krugman in der formalisierten Version des „Core-Periphery- Model“ erstmals im Jahr 1991 eingeführt.5 Es zeigt, wie das Zusammenwirken von steigenden Skalenerträgen (auf Firmenlevel), Transportkosten und Faktormobilität (oder Nachfrage) eine räumliche Wirtschaftsstruktur heraus formen und verändern kann (vgl. FUJITA/KRUGMAN/VENABLES 1999: 61). Im Folgenden werden zuerst die Annahmen und Prämissen und anschließend die Prozesse im Modell erläutert. 2.2.1 Die Annahmen des Zentrum-Peripherie-Modells Dem Z-P-Modell von Krugman liegen vereinfachende Annahmen zu Grunde, die es ermöglichen sollen ein in sich schlüssiges Gleichgewichtsmodell zu formulieren. Die wichtigsten Prämissen sind dabei Folgende: (1) Es wird eine Wirtschaft betrachtet, in der es nur zwei Regionen, R1 und R2, gibt. Dabei handelt es sich um sogenannte Ein-Punkt-Ökonomien, also ohne intraregionale Differenzierung. Außerdem existieren lediglich zwei Sektoren, Landwirtschaft und Industrie.6 Jeder dieser Sektoren setzt nur eine einzige Ressource ein, Bauern und Arbeiter7, die insgesamt in der Wirtschaft in einem unveränderlichen Angebot zur Verfügung stehen (vgl. FUJITA/KRUGMAN/VENABLES: 61f.). Die Bauern und Arbeiter, also die Arbeitnehmer, sind zugleich auch die Konsumenten und die gesamte Bevölkerung. Sie konsumieren nur an dem Ort, an dem sie arbeiten und wohnen. Ein Staat existiert nicht (vgl. LITZENBERGER 2006: 25). 5 Erstmals stellte Krugman sein Modell in seinem Beitrag „Increasing Returns and Economic Geography“ in der Zeitschrift „The Journal of Political Economy“ vor (vgl. dazu ausführlich KRUGMAN 1991b). In seinem Buch „Geography and Trade“, das noch im selben Jahr erschien, gibt er sein Z-P-Modell sowohl argumentativ wieder (vgl. KRUGMAN 1991a: 14-25), als auch in der formalisierten Version des vollständigen mathematischen Gleichgewichtsmodells (vgl. KRUGMAN 1991a: 101-113). 6 Natürlich muss der Begriff „Landwirtschaft“ nicht immer wörtlich genommen werden; die den Sektor definierende Charakteristik ist, dass es der „residuale“, durch vollständigen Wettbewerb geprägte Sektor ist, der den Gegenpart zum verarbeitenden Sektor darstellt, in dem steigende Skalenerträge und unvollständiger Wettbewerb stattfinden (vgl. FUJITA/KRUGMAN/VENABLES 1999: 45). 7 Es besteht keine intersektorale Mobilität, d.h. Bauern können nur in der Landwirtschaft eingesetzt werden, Arbeiter nur in dem industriellen Sektor. 5
(2) Die landwirtschaftliche Produktion findet unter vollständigem Wettbewerb und konstanten Skalenerträgen statt, d.h. der Output steigt proportional zum Input. Die in der Landwirtschaft Tätigen sind immobil und exogen zu gleichen Teilen auf die beiden Regionen verteilt (vgl. KRUGMAN 1991: 15). Es wird ein einziges homogenes Gut produziert. Für Agrargüter fallen keine Transportkosten an und die Löhne der Bauern sind in R1 und R2 gleich (vgl. FUJITA/KRUGMAN/VENABLES: 63). (3) Die Industrieunternehmen stellen heterogene Produkte her. Ihre Produktion erfolgt unter monopolistischer Konkurrenz8 (vgl. SCHÄTZL 2003: 207). Sie ist geprägt durch steigende Skalenerträge auf Firmenebene.9 Diese resultieren aus einem mengenunabhängigen Fixkostenblock bei linearen variablen Kosten (Fixkostendegression) (vgl. SCHÄTZL 2003: 207). Die industriellen Arbeitskräfte sowie die Unternehmen sind räumlich mobil. Die Arbeitskräfte wandern in Richtung der höheren Reallöhne. Es wird den Arbeitern Rationalität und Nutzenmaximierung unterstellt, den Unternehmen Gewinnmaximierung (wobei jedoch das gesamte erwirtschaftete Einkommen an die Bauern und Arbeiter weitergegeben wird). Als Ausgangssituation wird die Gleichverteilung der Arbeitskräfte und Unternehmen auf die beiden Regionen angenommen. Die Anzahl der industriellen Arbeitskräfte ist proportional zu der Anzahl der Unternehmen am Standort (vgl. KRUGMAN 1991: 16). (4) Im Industriesektor herrscht Produktvielfalt, d.h. jedes Unternehmen produziert genau eine Produktvariante, die auch nur von diesem einen Unternehmen produziert wird. Jedes Unternehmen hat zudem die gleiche Kosten- und Produktionsfunktion (vgl. LITZENBERGER 2006: 28). (5) Für den interregionalen Transport werden Transportkosten angenommen. Wird ein Industriegut nur an einem Standort produziert, müssen diese zur Belieferung der jeweils anderen Region eingerechnet werden. Findet ein Standortsplitting statt, müssen hingegen die Fixkosten zweimal angerechnet werden. (vgl. BATHELT/GLÜCKLER 2002: 80) (6) Die Nachfrage für jedes Industriegut ist streng proportional zur Bevölkerungszahl (vgl. KRUGMAN 1991: 16). Den Konsumenten werden identische Konsumpräferenzen der 8 Die mathematische Formalisierung der monopolistischen Konkurrenz und der steigenden Skalenerträge erfolgt auf Grundlage des Dixit-Stiglitz-Modells der monopolistischen Konkurrenz. Vgl. dazu ausführlich FUJITA/KRUGMAN/VENABLES 1999: 45-59 sowie DIXIT/STIGLITZ 1977. 9 Einen guten Überblick zu monopolistischer Konkurrenz und steigenden Skalenerträgen bieten KRUGMAN/OBSTFELD (2006: 160-173). 6
Produktvarianten unterstellt (vgl. SCHÄTZL 2003: 207). Die Produktvarianten haben eine konstante Substitutionselastizität10 (größer als eins). Aus diesen grundlegenden Annahmen ergeben sich die im folgenden Kapitel beschriebenen Prozesse des Z-P-Modells. 2.2.2 Zentrale Prozesse und Aussagen des Zentrum-Peripherie-Modells Die zentrale Fragestellung des Zwei-Regionen-Modells von Krugman ist, ob und unter welchen Umständen es in einer wie oben konstruierten Wirtschaft zu einem asymmetrischen Gleichgewicht mit Divergenz, also zu räumlicher Agglomeration, kommt und wann zu einem symmetrischen Gleichgewicht mit Konvergenz, also Dispersion der wirtschaftlichen Aktivitäten (vgl. STERNBERG 2001: 163). Nach Krugman hängt dies von der Ausprägung der zentripetalen, also der Agglomeration stärkenden Kräfte, und der zentrifugalen, die Peripherie stärkenden Kräfte, ab (KRUGMAN 1991a: 105).11 Überwiegen die zentrifugalen Kräfte, wird es zu einer Gleichverteilung der Industrie auf die beiden Regionen kommen bzw. wird diese beibehalten. Überwiegen aber die zentripetalen Kräfte, „wird ein zirkulär verursachter kumulativer Entwicklungsprozess in Gang gesetzt, der zum Entstehen und der sukzessiven Verstärkung interregionaler Ungleichgewichte bis hin zur regionalen Polarisation führt“ (STERNBERG 2001: 163). In welcher der beiden Regionen und zu welchem Zeitpunkt ein solcher kumulativer Prozess einsetzt, hängt bei Krugman von sogenannten historischen Zufällen ab (vgl. KRUGMAN 1991: 9ff). Wenn solch ein Zufall den Reallohn in einer Region auch nur minimal ansteigen lässt, wird es zu der Wanderung mindestens eines Arbeiters dorthin kommen, wodurch bereits der selbstverstärkende Prozess der industriellen Ballung eingeleitet wird. Denn es genügt ein „infinitesimaler Anfangsvorteil“, um zu bestimmen, „welche Region sich zum industriellen Zentrum und welche sich zur Peripherie entwickelt. Das langfristige Gleichgewicht ist damit pfadabhängig“ (LITZENBERGER 2006: 15). Der kumulative, zirkuläre Wirkungsmechanismus, der durch die Wanderung eines Arbeiters ausgelöst wird, führt dann in der Zielregion zu einer größeren Anzahl an Industrieunternehmen, einem Wachstum der Lohnhöhe, der Zuwanderung von weiteren Arbeitskräften und der Erhöhung der Zahl der Konsumenten (vgl. STERNBERG 2001: 163f.). Es entwickelt sich also eine räumliche Z-P-Struktur. In Krugmans Modell kommt es jedoch nur dann zu einem langfristigen Gleichgewicht mit Z- P-Struktur, wenn der Reallohn in der Region größer ist, in der auch mehr Arbeiter und 10 Die Substitutionselastizität gibt an, um wie viel Prozent die Nachfrage nach einer Produktvariante zu Gunsten der anderen Varianten sinkt, wenn der Preis dieser Produktvariante um ein Prozent steigt. 11 Dabei bezieht sich Krugman bei der Betrachtung von Agglomerationsvorteilen auf Aussagen von Alfred Marshall aus dem Jahr 1920. Vgl. dazu FUJITA/KRUGMAN/VENABLES 1999: 4ff. 7
Unternehmen vorhanden sind (vgl. STERNBERG 2001: 163). Die Reallohnhöhe wiederum hängt von mehreren Wirkungszusammenhängen ab, die die grundlegenden Effekte des Z-P- Modells darstellen. Dies sind der Heimmarkteffekt12 (Nominallöhne sind umso höher, je größer der lokale Markt ist), der Preisindexeffekt13 (Reallöhne steigen mit der Größe des lokalen Marktes, weil der Anteil der preiswerteren lokal produzierten Güter größer ist) sowie der Wettbewerbseffekt, der aber zentrifugal wirkt, da wegen geringerer Wettbewerbsintensität in der Peripherie höhere Preise gefordert und höhere Löhne gezahlt werden können (vgl. STERNBERG 2001: 163).14 Der Heimmarkt- und Preisindexeffekt wirken hingegen zentripetal, da sie dazu führen, dass mit zunehmender Größe des lokalen Marktes die Reallöhne steigen und es so zu den kumulativen Prozessen kommt, die die Konzentration der industriellen Arbeitskräfte und Unternehmen in einer Region zur Folge haben. Das Ausmaß der drei genannten Effekte hängt proportional von den Transportkosten ab. Ob die zentripetalen oder die zentrifugalen Kräfte überwiegen, wird ebenfalls durch die Höhe der Transportkosten bestimmt, aber auch durch die Substituierbarkeit der Gütervarianten, den Anteil der Industriegüter am Preisindex und durch die Mobilität der Arbeitskräfte (vgl. STERNBERG 2001: 164). Die Ausprägung dieser exogenen Modellvariablen entscheidet demnach darüber, ob es zur Herausbildung einer Z-P-Struktur oder zur Gleichverteilung der industriellen Produktion im Raum kommt. So nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Z-P-Struktur entwickelt, mit der räumlichen Mobilität der Arbeitskräfte und dem Anteil der Industriegüter am Preisindex zu und sinkt mit einer höheren Substituierbarkeit der Produktvarianten und mit der Höhe der Transportkosten.15 Eine genauere Betrachtung des Einflusses der Transportkosten auf die Modellprozesse zeigt, dass es weitere entscheidende Implikationen gibt und die Transportkosten im Modell eine zentrale Position einnehmen (vgl. MAIER/TÖDTLING 2002: 119f.). Ihr Niveau entscheidet nämlich über die verschiedenen Möglichkeiten von kurz- und langfristigen Gleichgewichten, die wiederum die Herausbildung einer Z-P-Struktur oder einer dispersen Verteilung bestimmen. Unter kurzfristigen Gleichgewichten versteht Krugman die Situationen, in denen der regionale Arbeits- und Gütermarkt geräumt ist, d.h. dass Nachfrage und Angebot gleich sind. Nur bei kurzfristigen 12 Dies wird von Krugman auch als backward linkage (Rückwärtskopplungsverknüpfung) bezeichnet (vgl. FUJITA/KRUGMAN/VENABLES 1999: 64). 13 Dies wird auch als forward linkage (Vorwärtskopplungsverknüpfung) bezeichnet (vgl. FUJITA/KRUGMAN/VENABLES 1999: 63). 14 Die Prozesse, die zur Herausbildung des Heimmarkt-, Preisindex- und Wettbewerbseffekts führen, werden in Kap. 3 ausführlich erläutert. 15 Weitere Aspekte, die Agglomerationsprozesse verstärken, sind z.B. eine große Bedeutung von steigenden Skalenerträgen oder ein größerer Anteil an footloose industries, also Industrien ohne Bindung an Rohstofforte (vgl. dazu BATHELT/GLÜCKLER 2002: 80f.). 8
Gleichgewichten entscheiden Haushalte bzw. Unternehmen ad hoc, welche Region ihnen den größeren Nutzen bzw. die höheren Gewinne bietet (vgl. LITZENBERGER 2006: 26). Hier entscheidet sich also, ob und in welche Richtung eine Wanderung stattfindet. „Ist die Wanderungsrichtung einmal eingeschlagen, kommt die Bewegung erst im langfristigen Gleichgewicht zum Erliegen, in dem sich die Industrie entweder symmetrisch auf beide Regionen verteilt oder in einer der beiden Regionen konzentriert“ (LITZENBERGER 2006: 26). Sobald die Wanderung dauerhaft zum Erliegen kommt, wird von einem langfristigen stabilen Gleichgewicht gesprochen. Die Abbildung 1 zeigt drei Graphen, die jeweils für hohe, mittlere und niedrige Transportkosten T die Reallohndifferenzen ωR1 – ωR2 als Funktion von λ, dem Anteil der Industrie(-Arbeiter) in R1, darstellen.16 In allen drei Fällen ist das Reallohndifferential für λ = 0.5 Null.17 Ein Vergleich der drei Graphen zeigt, dass sich für verschiedene Werte der Transportkosten die Kurvenverläufe der kurzfristigen Gleichgewichte verändern und drei Arten langfristiger Gleichgewichte entstehen (in der Abb. repräsentiert jeder Punkt der Kurven eine Situation, in der ein kurzfristiges Gleichgewicht herrscht und λ kurzfristig konstant ist; aber nur so lange bis der erste Arbeiter zu wandern beginnt (vgl. LITZENBERGER 2006: 90)). Das Abb. 1: Transportkosten und räumliche Gleichgewicht GP1 tritt ein, wenn die Gleichgewichte im Z-P-Modell. Reallöhne in beiden Regionen gleich sind und Quelle: LITZENBERGER 2006: 91. eine Zunahme (Abnahme) der Anzahl der Wirtschaftssubjekte in R1 den Lohn dort sinken (steigen) lässt. Die räumliche Implikation ist eine disperse Gleichverteilung der Industrie. GP2 ist ein asymmetrisches Gleichgewicht mit der gesamten Konzentration von Industrie in R2, also λ = 0. Der Reallohn ist in R1 geringer als in R2. Genau das Gegenteil davon bildet dann das dritte langfristige Gleichgewicht GP3 (vgl. LITZENBERGER 2006: 92). 16 Analog könnte dies auch ausgehend von R2 erfolgen. 17 Dies lässt sich dadurch erklären, dass bei „unterstellter Identität der beiden Regionen […] bei gleichverteilten Firmen identische Reallöhne resultieren“ (PFLÜGER 2007: 3) müssen. 9
Wird nun noch einmal der Einfluss der Transportkosten auf die Stabilität der Gleichgewichte untersucht, ergeben sich folgende Schlüsse: Bei hohen Transportkosten ist nur eine Dispersion der wirtschaftlichen Aktivität ein stabiles Gleichgewicht, denn würde ausgehend von λ = 0.5 als Anfangssituation eine Arbeitskraft nach R1 wandern, würde das Reallohndifferential negativ werden (Transportkosten der nach R2 zu transportierenden Güter überwiegen die Vorteile der größeren Nachfrage in R1), und die Arbeitskraft würde in R1 einen geringeren Reallohn erhalten als in R2, was ein sofortiger Anreiz für Rückwanderung wäre (vgl. PFLÜGER 2007: 3f.). Somit ist in diesem Fall die Gleichverteilung im Raum stabil. Bei niedrigen Transportkosten „verläuft das Differential in λ = 0,5 steigend, das Gleichgewicht bei Dispersion ist hier instabil, allerdings sind die Randgleichgewichte nun stabil: bei λ =1 ist das Nutzendifferential positiv, eine Abwanderung ins Ausland also nicht nutzensteigernd, eine weitere Zuwanderung andererseits aber nicht möglich; bei λ = 0 ergibt sich genau die gegenteilige Situation“ (PFLÜGER 2007: 4). Ein komplexeres Bild ergibt sich bei den mittleren Transportkosten, da der Graph sowohl steigend als auch fallend verläuft und sich drei stabile Gleichgewichte GP1, GP2 und GP3 ergeben. Die Argumentation verläuft analog zu den eben beschriebenen Fällen. Die Zusammenfassung der Aussagen der drei Graphen bildet das Bifurkationsdiagramm, das in Abbildung 2 dargestellt ist und die räumlichen Implikationen des Modells abbildet. Auf der Abzisse sind die Transportkostenniveaus T abgetragen und auf der Ordinate die räumlichen Gleichgewichte, ausgedrückt durch den Anteil der industriellen Arbeitskräfte λ. Abb. 2: Bifurkationsdiagramm des Z-P-Modells. Durchgezogene Linien Quelle: LITZENBERGER 2006: 39. symbolisieren stabile Gleichgewichte, gestrichelte repräsentieren instabile. Das Bifurkationsdiagramm zeigt, dass bei genügend hohen Transportkosten das einzige stabile Gleichgewicht ein symmetrisches, disperses Gleichgewicht ist, in dem die Industrie gleichmäßig auf beide Regionen verteilt ist (FUJITA/KRUGMAN/VENABLES 1999: 68). Wenn die Transportkosten unter ein bestimmtes kritisches Niveau, den sogenannten sustain point S (Erhalte-Punkt), sinken, kommen zwei stabile Gleichgewichte hinzu, und zwar jeweils die Konzentration der gesamten Industrie in einer der beiden Regionen. T(S) ist also die Höhe 10
der Transportkosten, unterhalb der eine Z-P-Struktur erhalten bleiben kann, wenn sie einmal entstanden ist. Solange die Transportkosten noch über dem sogenannten break point B (Bruch-Punkt) liegen, gibt es drei stabile Gleichgewichte, ein symmetrisches und zwei asymmetrische. Zudem gibt es multiple instabile Gleichgewichte (durch die gestrichelten Linien zwischen T(S) und T(B) symbolisiert). Bei T(B) > T > T(S) können „temporäre Schocks eine dauerhafte Veränderung bewirken“ (EHRENFELD 2004: 13). Wird der Bruch- Punkt erreicht, wird die Symmetrie endgültig gebrochen, d.h. das symmetrische Gleichgewicht wird abrupt destabilisiert (vgl. PFLÜGER 2007: 4). Bei Transportkosten niedriger als T(B) ist Dispersion also nur noch ein instabiles Gleichgewicht und es entsteht „auf 'katastrophische Weise' […] vollständige Agglomeration in einer Region“ (PFLÜGER 2007: 4). Das Bifurkationsdiagramm beantwortet demzufolge die anfangs des Kapitels aufgeworfene zentrale Fragestellung, wann es zu symmetrischen und wann es zu asymmetrischen räumlichen Gleichgewichten kommt. 3 Migration im Zentrum-Peripherie-Modell Zentrales Ziel der vorliegenden Arbeit ist es herauszufinden, welcher Nutzen sich aus dem Z- P-Modell für die Migrationsforschung ziehen lässt. Dabei wird in Anlehnung an die von SCHÄTZL (2003: 104) formulierte Aufgabe einer Theorie interregionaler Arbeitskräftemobilität untersucht, welche Ansätze für die Erklärung von Migrationsmotiven und der Intensität, Richtung und Reichweite von Mobilitätsvorgängen, sowie von regionalen Wirkungen von Migration dem Modell Krugmans zu entnehmen sind. Migration kann im Folgenden nach SCHÄTZL (2003: 104) als „jede Veränderung des Produktionsfaktors Arbeit von einem Raumpunkt (Region) zu einem anderen Raumpunkt (Region) verstanden werden“. Die durch äußere Zwänge hervorgerufene Migration, also z.B. die Wanderung von Flüchtlingen, findet in Krugmans Modell keine Berücksichtigung. 3.1 Zu Motiven der Migration im Zentrum-Peripherie-Modell Schon in seinen Annahmen (vgl. Kap. 2.2.1) führt Krugman das in seinem Modell zentrale Motiv für eine Wanderungsentscheidung von industriellen Arbeitskräften ein: Er nimmt an, dass Arbeiter in Richtung der höheren Reallöhne wandern, und zwar umso schneller je größer die derzeitige Reallohndifferenz ist (vgl. SCHMUTZLER 1999: 361). Die Reallohndifferenz zwischen Herkunfts- und Zielregion ist also für Krugman das entscheidende Motiv zur Migration und gibt gleichzeitig die Richtung der Mobilitätsvorgänge an. 11
Zunächst ist festzustellen, dass das Modell von Krugman lediglich Aussagen zu den Motiven von industriellen Arbeitskräften zulässt, da von vornherein eine Migration von landwirtschaftlich Tätigen ausgeschlossen wird. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Bauern an die Ressource Boden gebunden und daher immobil sind. Ebenfalls ausgeklammert werden Arbeitskräfte im Dienstleistungssektor, da dieser im Modell nicht existiert (vgl. STERNBERG 2001: 175). Außerdem wird der potenzielle Migrant als homo oeconomicus angesehen, der den möglichen Nutzen in der Zielregion mit dem derzeitigen Nutzen in der Herkunftsregion ad hoc rational abwägt und darauf basierend eine Migrationsentscheidung trifft. Die Abwägung einer möglichen Wanderung wird im Modell nur unter bestimmten Voraussetzungen getroffen. Die Entscheidung, ob eine Migration pekuniäre Vorteile, bzw. größeren Nutzen als der Verbleib in der derzeitigen Region, bringt oder nicht, also die Entscheidung darüber ob eine Wanderung erfolgt oder nicht, wird nämlich nur dann überhaupt getroffen, wenn zuvor der Arbeits- und Gütermarkt geräumt ist, wenn also ein kurzfristiges Gleichgewicht herrscht. Nur dann treffen Arbeiter ad hoc, aus der momentanen Situation heraus und demnach ausschließlich mit dem Wissen über die derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnisse, eine Wanderungsentscheidung.18 Nach diesen Vorbemerkungen kann das Wanderungsmotiv der Reallohndifferenz im Detail beleuchtet werden. Dabei stellt sich die Frage, welche Faktoren die Reallöhne und damit auch die Wanderungsentscheidung der Arbeiter beeinflussen und welche Faktoren also indirekt ebenfalls ein Motiv bzw. ein Anreiz zur Migration sind. Der Reallohn resultiert im Modell aus den Nominallöhnen, die um die Lebenshaltungskosten bereinigt werden. Er wird üblicherweise als die Kaufkraft eines Stundenlohns, bzw. als der Nominallohn dividiert durch die Lebenshaltungskosten definiert (vgl. SAMUELSON 2007: 351). Die Nominallöhne wiederum ergeben sich, vereinfacht gesagt, aus den Gewinnen, die die Unternehmen in der jeweiligen Region erzielen können, da diese direkt und vollständig an die Arbeiter weitergegeben werden (vgl. Annahme (4) in Kap. 2.2.1). Sie sind umso höher, je höher die Einkommen an den Märkten der Unternehmen sind, je besser der Zugang des Unternehmens zu den Märkten ist und je weniger Wettbewerb am Markt herrscht (FUJITA/KRUGMAN/VENABLES 1999: 52f.). Der Preisindex, der die Lebenshaltungskosten darstellt, sinkt mit zunehmender Anzahl an lokal produzierten Gütern, sodass insgesamt die Reallöhne zunehmen, wenn die Anzahl der in einer Region vorhandenen 18 Die ad-hoc-Dynamik, die viele Schwächen hat, ist der mathematischen Formalisierung, bzw. Modellierung geschuldet (vgl. LITZENBERGER 1999: 28). 12
Unternehmen zunimmt, bzw. je größer der lokale Markt ist. Dies wird als Preisindexeffekt bezeichnet. Wegen dieses Effektes wird die Region mit einem größeren Industrieanteil attraktiver und zieht somit Arbeiter an (vgl. FUJITA/KRUGMAN/VENABLES 1999: 63). Im Zusammenhang mit dem Heimmarkteffekt (Nominallöhne steigen mit der Größe des lokalen Marktes) stellt dies einen Pull-Faktor dar, der Arbeiter dazu bewegt, in diese Region zu immigrieren. Jedoch kann eine große Anzahl von Unternehmen in einer Region auch zu höherer Konkurrenz, steigenden Preisen und negativen externen Effekten führen (Wettbewerbseffekt), die wiederum als Push-Faktoren in Richtung der Peripherie wirken, da der Nutzen bzw. der Reallohn durch diese negativen Effekte unter bestimmten Umständen in der peripheren Region höher ist und somit ebenfalls ein Motiv zur Migration darstellen kann. Anhand von Krugmans mathematischer Formulierung lassen sich die Einflussfaktoren auf die Bildung der Reallöhne, also indirekte Migrationsmotive, genauer erkennen. Dazu müssen zunächst die grundlegenden mathematischen Modellannahmen eingeführt werden (zu den folgenden Ausführungen zur mathematischen Formulierung und den aufgeführten Formeln vgl. FUJITA/KRUGMAN/VENABLES 1999: 61-68): Im Modell wird der verarbeitende Sektor mit M bezeichnet, der Landwirtschaftssektor mit A. Zur Konstruktion der allgemeinen Lohngleichungen wird zunächst davon ausgegangen, dass es R Regionen gibt (dies wird später auf R = 2 reduziert). Die gesamte Wirtschaft zusammen hat LA Bauern und jede Region ist mit einem exogen gegebenen Teil dieser landwirtschaftlichen Arbeitskräfte, bezeichnet mit ϕ, ausgestattet. Die industriellen Arbeitskräfte hingegen sind mobil. Der Anteil der Region r an dem gesamten Angebot an industriellen Arbeitern LM zu jedem beliebigen Zeitpunkt wird mit λr bezeichnet. Laut FUJITA/KRUGMAN/VENABLES (1999: 62) ist es zweckmäßig Einheiten zu wählen, sodass LM = µ und LA = 1 – µ (Symmetrie-Annahme). Die Transportkosten für Industriegüter werden gemäß der „iceberg“-Transportkosten nach SAMUELSON (1952) modelliert: Wenn eine Einheit von Gütern von Region r nach Region s transportiert wird, kommen nur 1/Trs Einheiten an, wobei Trs die Menge der versandten Güter pro angekommene Güter angibt (vgl. FUJITA/KRUGMAN/VENABLES 1999: 49).19 Beim Transport von Agrargütern fallen keine Kosten an.20 Der Nominallohn der industriellen 19 Ein Zahlenbeispiel soll dies verdeutlichen: Angenommen, es werden 5 Einheiten eines Guts X in Region r abgesendet und nur 4 Einheiten kommen in der Zielregion s an. Dann ist Trs = 5/4. Damit ist aber 1/Trs = 1/(5/4) = 4/5. Es kommen also nur vier Fünftel der ursprünglich abgesendeten Menge an. Dadurch entstehen natürlich Kosten, weil weniger Produkte verkauft werden können als produziert wurden. Diese Kosten sollen die Transportkosten im Modell darstellen. 20 „Weil Agrargüter frei transportiert werden können und weil diese Güter mit konstanten Skalenerträgen produziert werden, haben die in der Landwirtschaft Tätigen überall die gleichen Löhne“ (eigene Übersetzung, vgl. im Original FUJITA/KRUGMAN/VENABLES 1999: 62). Daher nutzen FUJITA et al. (1999) diese Löhne als Bezugsgröße und setzen den mit wrA bezeichneten Lohnsatz der Bauern in Region r gleich Eins. 13
Arbeiter in Region r wird mit wr bezeichnet, die Reallöhne analog dazu mit ωr. Weiterhin wird der Mittelwert der Reallöhne als ῶ = Σr (λr · ωr) (3.1.1) definiert und es wird angenommen, dass die Wanderung der Arbeiter λr` (Veränderung des Anteils industrieller Arbeiter in Region r mit der Zeit) durch die folgende ad-hoc-Dynamik bestimmt wird: λr` = γ · (ωr – ῶ) · λr. (3.1.2) Die Wanderung der Arbeiter in die Region r hängt demzufolge direkt von der Differenz zwischen dem durchschnittlichen Reallohn in allen Regionen und dem Reallohn in der betrachteten Region ab und ist umso stärker, je deutlicher der dortige Reallohn über dem Mittelwert der Reallöhne liegt. Im Zwei-Regionen-Modell wird an Stelle der Differenz zum Mittelwert die Differenz zwischen den Reallöhnen der beiden Regionen gebildet. Die regionalen Reallöhne wiederum hängen von der Verteilung der Industrie ab. In seinem mathematischen Modell stellt Krugman ein kurzfristiges Gleichgewicht (welches die Voraussetzung für das Treffen einer Wanderungsentscheidung ist) durch die gleichzeitige Lösung von je vier regionalen Gleichungen, die das Einkommen, den Preisindex der Industriegüter, die Nominallöhne und die Reallöhne der industriellen Arbeiter von jeder Region angeben, dar (vgl. FUJITA/KRUGMAN/VENABLES 1999: 63). Die Einkommensgleichung für eine Region r sieht wie folgt aus: Yr = µ · λr · wr + (1 – µ) · ϕr mit (3.1.3) µ = Anzahl Industriearbeiter insgesamt λr = Anteil der Industriearbeiter, die in der Region r arbeiten wr = Nominallohn der Industriearbeiter in Region r (1 – µ) = Anzahl der Bauern insgesamt ϕ = Anteil der Bauern, die in der Region r arbeiten Im speziellen Fall des Zwei-Regionen-Modells wird das Einkommen der beiden Regionen mit einigen Vereinfachungen21 folgendermaßen definiert: Y1 = µ · λ · w1 + (1 – µ)/2 (3.1.4) und Y2 = µ · (1 – λ) · w2 + (1 – µ)/2 (3.1.5) Das Einkommen steigt also mit zunehmendem Anteil an Industriearbeitern und mit höheren Löhnen sowie mit einer größeren Anzahl an Industriearbeitern insgesamt in der Wirtschaft. 21 Da die Landwirtschaft gleich verteilt ist (exogen gegeben), muss der Anteil der Landwirtschaft nicht explizit angegeben werden, da beide Anteile ½ sind. Es gilt folgende Schreibweise: T = Transportkosten zwischen den Regionen; λ = Anteil der Region 1 an den industriellen Arbeitern insgesamt; (1 – λ) = Anteil der Region 2 an den industriellen Arbeitern insgesamt; µ = Anzahl der industriellen Arbeiter insgesamt; (1 – µ)/2 = Anzahl der landwirtschaftlichen Arbeiter in Region 1 oder Region 2. 14
Der Preisindex für Industrieerzeugnisse an jedem Standort, den FUJITA/KRUGMAN/VENABLES (1999: 46-55) in zahlreichen Schritten herleiten, sieht in der vereinfachten Form wie folgt aus: Gr = [ Σs (λs · (ws · Tsr)1-σ](1/1-σ) mit (3.1.6) λs = Anteil der Industriearbeiter, die in Region s arbeiten ws = Nominallohn der industriellen Arbeiter in Region s Tsr = Transportkosten zwischen Region s und r σ = Elastizität der Substitution zwischen den Produktvarianten22 Für den Zwei-Regionen-Fall ergibt sich folgende Gleichung: G1 = [λ · w11-σ + (1 – λ) · (w2· T)1-σ]1/1-σ (3.1.7) 1-σ 1-σ 1/1-σ und G2 = [λ · (w1 · T) + (1 – λ) · w2 ] (3.1.8) Anhand der Formel (3.1.6) ist zu erkennen, dass der Preisindex in r dazu neigt, niedriger zu sein, je höher der Anteil an Industrie in Regionen mit geringen Transportkosten zu r ist. Wird dies auf das Zwei-Regionen-Modell bezogen (vgl. Gleichungen (3.1.7) und (3.1.8)), ergibt sich folgende Beobachtung: „…gäbe es nur zwei Regionen, würde eine Verlagerung von Industrie in einer der beiden Regionen dazu neigen, vorausgesetzt alle anderen Bedingungen bleiben gleich, den Preisindex in dieser Region zu senken – und folglich würde dies die Region zu einem attraktiveren Ort für Industriearbeiter machen“ (eigene Übersetzung, im Original vgl. FUJITA/KRUGMAN/VENABLES 1999: 63). Die Gleichung der Nominallöhne wird nun gegeben durch wr = [ Σs (Ys · Trs)1-σ · Gsσ-1](1/σ) (3.1.9) mit den schon bekannten Variablen und Indizes. Auch hier kann die Formel für den Fall der zwei Regionen umgeschrieben werden: w1 = [Y1 · G1σ-1 + Y2 · G2σ-1 · T1-σ] 1/σ (3.1.10) und w2 = [Y1 · G1σ-1 · T1-σ + Y2 · G2σ-1] 1/σ (3.1.11) Die Gleichung (3.1.9) sagt aus, dass die Nominallöhne in Region r umso höher sind, je höher die Einkommen in anderen Regionen mit niedrigen Transportkosten zu r sind. In diesem Fall können Unternehmen es sich leisten, höhere Löhne zu zahlen, da sie guten Zugang zu einem großen Absatzmarkt haben. Auf den Zwei-Regionen-Fall bezogen sind die Nominallöhne in einer Region umso höher, je höher das Einkommen der Region ist, also je größer der lokale Absatzmarkt ist. Nominallöhne und Einkommen bedingen sich demnach gegenseitig. 22 Je niedriger σ ist, also je schlechter die Produktvarianten untereinander austauschbar sind, desto größer ist die Reduktion des Preisindexes bei einem Anstieg der lokal produzierten Arten. Denn, wenn die Arten leichter substituierbar sind, ist die Konkurrenz (also der Wettbewerbseffekt) stärker ausgeprägt, da eine steigende Anzahl von Produktvarianten dann die Nachfragekurve deutlicher nach unten verschiebt und der Verkauf jeder einzelnen Art sinkt. Vgl. zum Einfluss und der Modellierung der Substitution ausführlich: FUJITA/KRUGMAN/VENABLES 1999: 46-49. 15
Schließlich werden die Reallöhne, die das entscheidende Wanderungsmotiv für die industriellen Arbeiter darstellen, durch die Gleichung ωr = wr · Gr-µ 23 (3.1.12) definiert. Analog ergibt sich für den Zwei-Regionen-Fall ω1 = w1 · G1-µ (3.1.13) und ω2 = w2 · G2-µ . (3.1.14) Die Reallöhne entstehen also dadurch, dass die Nominallöhne durch den Lebenshaltungskosten-Index (bzw. Preisindex) gebremst werden. Die oben angeführten Gleichungen zeigen, dass die Reallöhne sich direkt aus dem Einkommen der Region, den daraus folgenden Nominallöhnen und dem Preisindex ergeben. Es ist anhand der Gleichungen (3.1.3)-(3.1.5) zu erkennen, dass indirekt auch der bereits in der Region vorhandene Teil an Industriearbeitern und Unternehmen ein Wanderungsmotiv darstellen kann, da dieser das regionale Einkommen erhöht, sowie den Preisindex reduziert (vgl. Gleichung (3.1.7) und (3.1.8)) (Preisindexeffekt). Zudem lässt dieser Anteil die Nominallöhne (vgl. Gleichungen (3.1.9)-(3.1.11)) und schließlich die Reallöhne (vgl. Gleichungen (3.1.12)-(3.1.13)) steigen. Ein zusätzliches Migrationsmotiv ergibt sich durch den Eintritt weiterer Industrieunternehmen in die betrachtete Region. Dies erhöht dort die Nachfrage nach Arbeitskräften, was die Löhne ansteigen lässt (Heimmarkteffekt) und damit Arbeitskräfte aus der anderen Region anzieht (vgl. NEARY 2001: 542). Preisindex- und Heimmarkteffekt sind also weitere indirekte Migrationsmotive, da sie auf das Hauptmotiv der Reallohndifferenz einwirken. Nach Krugman kann die Reallohndifferenz auch ein Motiv für Rückwanderung sein, wenn die Wanderung in einer Situation erfolgt, in der die Raumstruktur durch ein stabiles Gleichgewicht (Z-P-Struktur oder Gleichverteilung) geprägt ist (vgl. Kap. 2.2.2). In diesem Fall führt die Wanderung eines Arbeiters dazu, dass die Reallöhne in der Zielregion sinken bzw. in der Ursprungsregion steigen und sich dadurch ein Motiv zur Rückwanderung ergibt (vgl. PFLÜGER 2007: 4). Somit wandern ebenso viele Arbeiter in eine Region ein wie aus und die Raumstruktur bleibt im Gleichgewicht. Zudem hat die Gleichgewichtssituation Einfluss auf die Intensität von Wanderungen.24 Wenn ein instabiles Gleichgewicht gegeben ist, ist die Intensität durch die kumulativen Prozesse nach der Wanderung bereits eines einzigen Arbeiters besonders stark (vgl. Kap. 2.2.2). Liegt aber ein stabiles Gleichgewicht vor, wird es nicht zu einem kumulativen Prozess kommen, sodass nur vereinzelt (durch historische Zufälle) Arbeiter migrieren, die dann jedoch sofort 23 Wobei sich dies zum besseren Verständnis auch umschreiben lässt als: ωr = wr · 1/Grµ. 24 Indirekt werden dadurch auch die Transportkosten zu einem wichtigen Faktor für Migration (insbes. Intensität), da sie die Gleichgewichtssituationen maßgeblich bestimmen (siehe Abb. 1 und 2). 16
wieder remigrieren (siehe oben). In diesem Fall ist die Intensität des Migrationsstroms sehr gering, andernfalls sehr hoch, bis dieser im langfristigen Gleichgewicht vollständig (bis auf die Arbeiter, die durch Zufälle vereinzelt wandern) zum Erliegen kommt. Auch über die Richtung der Migration trifft Krugman indirekt Aussagen. Denn die Richtung der Migration ist durch das Reallohndifferential bestimmt, erfolgt also in Richtung der höheren Reallöhne. Ob die Wanderung in Richtung des Zentrums oder der Peripherie erfolgt, hängt wiederum von der Gleichgewichtssituation und den gegebenen exogenen Variablen ab. Je nach dem ob die zentripetalen oder die zentrifugalen Kräfte überwiegen, wird die Wanderung in Richtung des Zentrums oder der Peripherie erfolgen. Die Richtung wird außerdem durch den ersten Standortwechsel bestimmt, der durch einen historischen Zufall bedingt ist. Wegen der Pfadabhängigkeit werden die nachfolgenden Arbeiter dieselbe Richtung einschlagen, vorausgesetzt die Raumstruktur befindet sich nicht im langfristigen Gleichgewicht (vgl. LITZENBERGER 2006: 82). Zusammenfassend lässt sich über die Motive der Migration sowie über die Intensität und Richtung von Mobilitätsvorgängen, folgendes festhalten: Nach Krugman treffen industrielle Arbeiter die Entscheidung in eine andere Region zu migrieren danach, ob sie in der Zielregion höhere Reallöhne realisieren können als in der Ursprungsregion. Sie entscheiden dabei aus der momentanen Situation heraus, ohne dass Erwartungen über die weiteren wirtschaftlichen Prozesse mit in die Entscheidung einfließen. Die Wanderung erfolgt in die Richtung des höheren Reallohns und die Intensität hängt von der Gleichgewichtssituation zu Beginn der Wanderung und der Höhe des Reallohndifferentials ab. 3.2 Zu regionalen Wirkungen von Migration im Zentrum-Peripherie-Modell Die interregionale Arbeitskräftewanderung ist in Krugmans Modell eine zentrale Kraft für die kumulativen Prozesse und die sich daraus ergebenen räumlichen Strukturen. Diese regionalen Wirkungen von Migration sollen im Folgenden herausgearbeitet werden. Die Migration spielt im Z-P-Modell eine große Rolle, weil die industriellen Arbeitskräfte, also die potenziellen Migranten zwei wichtige Funktionen einnehmen. Zum Einen sind sie als Arbeitnehmer die Produktionsfaktoren und bilden dementsprechend die Grundlage der Produktion von Industriegütern. Zum Anderen nehmen sie die Funktion der Konsumenten in der Zwei-Regionen-Wirtschaft ein. Aus dieser doppelten Funktion der Migranten leitet sich auch die große regionale Wirkung ihrer Wanderungsbewegungen im Modell ab. Wie in Kapitel 2.2.2 angesprochen, sind Preisindex-, Heimmarkt- und Wettbewerbseffekt die entscheidenden Prozesse, deren Ausprägung über die regionalen Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur und -entwicklung entscheiden. Sie beeinflussen, wie sich das Einkommen 17
einer Region verändert, wie viele Unternehmen am Standort tätig sind und wie attraktiv die Region für weitere Unternehmen und Arbeiter ist, also darüber wie erfolgreich eine Region langfristig sein wird. Die drei genannten Effekte wiederum hängen direkt von der Wanderung industrieller Arbeitskräfte zwischen den Regionen ab (vgl. LITZENBERGER 2006: 34). Jede Wanderung eines Arbeiters beeinflusst die Ausprägung und Wirkung der Effekte, die darüber entscheiden, ob sich eine Region zu einem Zentrum oder zur Peripherie entwickelt. Im Folgenden sollen diese regionalen Wirkungen der Wanderung von Arbeitskräften im Detail aus dem Modell Krugmans herausgearbeitet werden. Abb. 3: Die kumulativen Prozesse im Z-P-Modell. Quelle: STERNBERG 2001: 163, erarbeitet auf der Grundlage von KRUGMAN 1991a und FUJITA 1996. In Abbildung 3, die der Wirtschaftsgeograph R. STERNBERG (2001: 163) erarbeitet hat, ist zunächst die Ausgangssituation dargestellt, von der Krugman in seinem Modell ausgeht. Es herrscht Gleichverteilung der Industrie- und Landarbeiter und durch einen historischen Zufall kommt es nun in R1 zu einem höheren Reallohn ω1, der einen Arbeiter aus R2 dazu veranlasst, nach R1 zu wandern.25 Durch diese Wanderung ist in R1, die in der nachfolgenden Betrachtung die Zielregion der Wanderung ist, ein Arbeiter mehr vorhanden, der als Produktionsfaktor eingesetzt werden kann. Zudem erhöht er dort die Nachfrage nach Industriegütern, da er auch als Konsument agiert. Zusätzlich wird ein beliebiges Unternehmen betrachtet, das in den Markt eintreten will. Es ist offensichtlich, dass auf Grund der Existenz von steigenden Skalenerträgen jeder industrielle Produzent es bevorzugen wird, seine Produktion an einem einzigen Standort durchzuführen, also in R1 oder in R2. Da für die 25 Diese Argumentation kann für die umgekehrte Richtung analog erfolgen. 18
Industriegüter Transportkosten anfallen, wird der Standort zudem so gewählt werden, dass damit eine besonders große Nachfrage lokal abgedeckt werden kann (vgl. BATHELT/GLÜCKLER 2002: 79). Durch die vom Migranten ausgelöste größere Nachfrage in R1 ist es für das Unternehmen nun attraktiver in dieser Region in den Markt einzutreten, da es dort einen größeren lokalen Absatzmarkt vorfindet als in R2, also der Ursprungsregion des Migranten, und somit besser steigende Skalenerträge erzielen kann (wegen Symmetrieannahmen tritt gleichzeitig ein anderes Unternehmen in R2 aus dem Markt aus). Denn durch die größere Nachfrage sind überproportional steigende Produktionsmengen möglich, wodurch höhere Gewinne erzielt werden können. Bei unvollständiger Elastizität des Arbeitsangebots, wie es im Modell der Fall ist, da die Arbeitskräfte zwar vollkommen mobil zwischen den Regionen sind, aber ihre Gesamtanzahl exogen begrenzt ist, führt dieser Effekt dazu, dass die größere Produktion und die steigenden Gewinne nicht nur in größeren Export münden, sondern inbesondere die Nominallöhne w1 (vgl. Gleichung (3.1.10)) und damit auch die regionalen Einkommen insgesamt (vgl. Gleichung (3.1.4)) ansteigen lassen. Dies ist der oben erwähnte Heimmarkteffekt, der direkt durch die Wanderung von Arbeitskräften zu Stande kommt. Er wirkt als starke zentripetale Kraft, wie auch in Abbildung 3 zu erkennen ist. Durch den Markteintritt des Unternehmens in R1 steigen die Nominallöhne und es kommt zu einer größeren Nachfrage nach Arbeitskräften, sodass weitere Arbeiter aus R2 nach R1 wandern. Diese zusätzlichen Arbeiter, die gleichzeitig Konsumenten sind, erhöhen wiederum die Nachfrage nach Gütern in R1 und es folgen weitere Unternehmen und Arbeiter in diese Region. Es können folglich durch das vergrößerte Arbeitskräfteangebot, das anfangs schon durch die Wanderung eines Arbeiters entstanden ist, mehr Produkte lokal hergestellt werden. Somit müssen zur Deckung der lokalen Nachfrage weniger Produkte teuer importiert werden. Durch diese erhöhte Anzahl lokal produzierter Güter wird die Summe der Preise für Konsum- und Zwischenprodukte (also der Preisindex) reduziert, was ein Sinken der Lebenshaltungskosten in R1 bedeutet (vgl. FUJITA/KRUGMAN/VENABLES 1999: 56). Somit steigen die Reallöhne. Dies ist der Preisindexeffekt, der demzufolge auch eine regionale Wirkung von Arbeitskräftemigration ist und ebenfalls zentripetal, also agglomerationsfördernd wirkt. Die höheren Reallöhne lösen dann die weitere Wanderung von Arbeitskräften aus. Dieser kumulative, zirkuläre Prozess, der als regionale Wirkung der Migration zu verstehen ist, da er direkt durch diese ausgelöst wird, kann dazu führen, dass es zur Ausprägung einer Z- P-Struktur kommt, sofern nicht der Wettbewerbseffekt die beiden zuvor beschriebenen 19
positiven regionalen Wirkungen in der Zielregion überwiegt. Denn bei zunehmender Anzahl an Unternehmen in R1, die durch die Wanderung von Arbeitskräften veranlasst wird, kommt es dort zu steigender Konkurrenz und der Absatz jedes einzelnen Unternehmens sinkt. Außerdem wird die Belieferung der Region R2 mit Gütern wegen der Transportkosten teurer (immer mehr Produkte werden nur in R1 produziert und müssen daher teuer nach R2 geliefert werden, da die dortige Bevölkerung diese ebenfalls nachfragt). Hierbei führt also eine steigende Anzahl an lokal produzierenden Unternehmen zu einem niedrigeren Preisindex, der die Nachfrage an jede einzelne Firma verringert (vgl. NEARY 2001: 542). Zudem steigen die Preise der regional vorhandenen Produktionsfaktoren. Beides führt zu niedrigeren Gewinnen, damit zu sinkenden Nominallöhnen und insgesamt steigenden Preisen der Güter in der Zielregion. Zusätzlich können noch „negative externe Effekte, wie zum Beispiel Stauungskosten“ entstehen, die „ebenfalls die Profite der Unternehmen […] oder den Nutzen der Haushalte […] mindern“ (LITZENBERGER 2006: 34). Die Folge ist, dass Unternehmen den Markt verlassen, wodurch wiederum die Arbeitsnachfrage verringert wird und die Löhne sinken, sodass es zu einer Wanderungsbewegung kommt, die der Agglomeration entgegen wirkt (vgl. EHRENFELD 2004: 11f.). Der Wettbewerbseffekt wirkt demnach als zentrifugale Kraft. Er ist besonders bei leichter Substituierbarkeit der Gütervarianten stärker ausgeprägt (vgl. Abb. 3). Denn dann ist die Konkurrenz am lokalen Markt des Zentrums größer, sodass es attraktiver wird, den Markteintritt in der peripheren Region durchzuführen. Dies fördert eine ausgeglichene Raumstruktur. Auch hohe Transportkosten führen zu einem stärkeren Wettbewerbseffekt, da es für die Unternehmen dadurch umso teurer wird, die andere Region mit ihren Gütern zu beliefern. Wie anhand von Abbildung 1 und 2 erläutert, kommt es bei hohen Transportkosten eher zu einem symmetrischen Gleichgewicht mit Konvergenz als bei niedrigen Transportkosten (vgl. Kap. 2.2.2). Der Wettbewerbseffekt wirkt der regionalen Entwicklung der vorigen Zielregion der Migration zum Zentrum der wirtschaftlichen Aktivitäten entgegen, indem es zu Push-Faktoren im Zentrum und damit zur Wanderung in die Peripherie kommt. Dadurch wird eine symmetrische Raumstruktur mit Gleichverteilung der Industrie gefördert. Es kommt also nicht nur zu regionalen Wirkungen in der Zielregion der Migration, sondern ebenso im Herkunftsgebiet. Der eben erläuterte Mechanismus führt dazu, dass die Migration ins Zentrum bei bestimmten Ausprägungen der exogenen Variablen auch zu einer Attraktivitätssteigerung der Peripherie führen kann, bzw. zu einem Abwanderungsanreiz in der Zielregion, sodass die ursprüngliche Herkunftsregion dann wieder Ziel von Rückwanderung sein kann und es zu einer Konvergenz der wirtschaftlichen Entwicklung 20
Sie können auch lesen