KULTUREN DES AUSTAUSCHS - PERSPEKTIVEN DES DEUTSCH-RUSSISCHEN MUSEUMSDIALOGS - Das Magazin der Kulturstiftung der Länder - Kulturstiftung der ...

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KULTUREN DES AUSTAUSCHS - PERSPEKTIVEN DES DEUTSCH-RUSSISCHEN MUSEUMSDIALOGS - Das Magazin der Kulturstiftung der Länder - Kulturstiftung der ...
Das Magazin der
Kulturstiftung der Länder
2 2019

KULTUREN DES
AUSTAUSCHS
PERSPEKTIVEN DES
DEUTSCH-RUSSISCHEN
MUSEUMSDIALOGS

OTTO DIX IN
DÜSSELDORF
KULTURHAUPT-
STADT EUROPAS
2025
KULTUREN DES AUSTAUSCHS - PERSPEKTIVEN DES DEUTSCH-RUSSISCHEN MUSEUMSDIALOGS - Das Magazin der Kulturstiftung der Länder - Kulturstiftung der ...
EDITORIAL                                                  menschliches Leid geworden sind. Mit dem Schwer­
                                                                                                         punkt „Deutsch-Russischer Museumsdialog“ widmet
                                                                                                         sich diese Ausgabe von Arsprototo den Möglichkeiten,
                                              DAS MITEINANDER                                            die Kulturinstitutionen haben, um mit solchen sensib­
                                                                                                         len Erzählungen auf respektvolle und behutsame Weise
                                              STÄRKEN                                                    umzugehen und in vollem Wissen um das Vergangene
                                                                                                         einer gemeinsamen Zukunft durch Austausch und part­
                                                                                                         nerschaftlichen Dialog den Weg zu bereiten. Zu Wort
                                                                                                         kommen dabei Expertinnen und Experten aus Russland
                                                                                                         und Deutschland, die sich seit mehr als einem Jahr­
                                                                                                         zehnt für diese ‚Kulturen des Austauschs‘ einsetzen und
                                                                                                         damit einen wichtigen Beitrag zu den deutsch-russi­
                                                                                                         schen Kulturbeziehungen leisten.
                                                                                                              Das Miteinander steht auch im Mittelpunkt zweier
                                                                                                         Beiträge, die wichtigen Partnerinstitutionen der Kultur­
                                                                                                         stiftung der Länder gewidmet sind, der Hermann
                                                                                                         Reemtsma Stiftung sowie der Ernst von Siemens Kunst­
                                                                                                         stiftung. Ohne die enge, vertrauensvolle Partnerschaft
                                              Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär
                                              der Kulturstiftung der Länder                              mit diesen und weiteren Förderinstitutionen könnte die
                                                                                                         Kulturstiftung der Länder ihre zahlreichen Aufgaben
                                                                                                         nicht angemessen erfüllen.
                                              Liebe Leserinnen und Leser,                                     Miteinander im Wettstreit um den Titel „Kultur­
                                                                                                         hauptstadt Europas 2025“ stehen in Deutschland
                                              „Wir müssen uns immer neu verständigen auf die             derzeit mehrere Städte, die sich im Rahmen des von
                                              Werte, auf die Rahmenbedingungen und Grundlagen,           der Kulturstiftung der Länder organisierten deutschen
                                              in denen wir im gesellschaftlichen Miteinander agieren     Wettbewerbsverfahrens mit der Frage beschäftigen, wie
                                              wollen“, sagt der Hamburger Kultursenator Carsten          Europa und die Idee der europäischen Einheit die Kul­
                                              Brosda im Interview mit Arsprototo und beschreibt da­      tur einer Stadt maßgeblich prägen können und wie eine
                                              mit die Kernaufgabe einer Gesellschaft, die der Sozio­     Stadt ihren unverwechselbaren Platz in den vielfältigen
                                              loge Andreas Reckwitz unlängst als „Gesellschaft der       kulturellen Landschaften Europas finden und behaup­
                                              Singularitäten“ charakterisiert hat. Das stetige Aushan­   ten kann. Im Bericht „Kulturhauptstadt Europas 2025“
                                              deln von Werten, Rahmenbedingungen und Grund­              erhalten Sie einen spannenden Einblick in die Wettbe­
                                              lagen gesellschaftlichen Miteinanders ist dem Wesen        werbsvorbereitungen der deutschen Bewerberstädte.
                                              nach ein Prozess des Kulturellen, in dem durch Erzäh­           Virtuoses, Fesselndes und vormals Bedrohtes begeg­
                                              lungen Sinnangebote entstehen. Solche Erzählungen          net Ihnen schließlich in den Rubriken „Erwerbungen“,
   „NUR DURCH GEGENSEITIGES VERTRAUEN,        begegnen uns in ganz unterschiedlicher Form, sehr häu­     „Ausstellungen“ und „Restaurierungen“. Ebenso wie
                                              fig als Werke der Literatur, der Musik, der bildenden      in „Zahlen und Fakten zur Kulturstiftung der Länder
DEN UNGEHINDERTEN ZUGANG ZU DEN ARCHIVEN      und darstellenden Kunst. Einen besonderen Wert für         im ersten Halbjahr 2019“ finden Sie dort umfassende

  UND DURCH TRANSPARENZ KANN DIE ARBEIT       die Gesellschaft haben solche Erzählungen dann, wenn
                                              ihre Sinnangebote überzeugen, Menschen dauerhaft
                                                                                                         Informationen zur Fördertätigkeit der Kulturstiftung
                                                                                                         der Länder. Ohne die fortgesetzte großzügige Unter­
      AN DER GEMEINSAMEN GESCHICHTE           miteinander verbinden und so Gemeinsamkeit stiften,
                                              auch über räumliche und zeitliche Distanzen hinweg.
                                                                                                         stützung aller 16 Länder wäre diese Fördertätigkeit
                                                                                                         nicht möglich, für mich ein weiterer, sinnfälliger Beweis
  DER VERLORENEN SAMMLUNGEN GELINGEN.“             Es ist die Gründungsidee der Kulturstiftung der       für die Stärke des Miteinanders!
                                              Länder, diejenigen Vorhaben im Bereich Kunst und
                                              Kultur zu fördern, die von gesamtstaatlicher Bedeu­            Ihr
    Dr. Britta Kaiser-Schuster, Dezernentin
    der Kulturstiftung der Länder             tung in dem Sinne sind, dass in ihnen das Verbindende
                                              und Gemeinsame in unserer Gesellschaft sichtbar wird.
                                              Dabei kann es beispielsweise um die Erwerbung von
                                              Werken der bildenden Kunst und der Literatur ge­
                                              hen, die zu Referenzpunkten unserer Erzählungen über
                                              kulturelles und gesellschaftliches Zusammenleben in
                                              Deutschland geworden sind. Ebenso wichtig sind in
                                              diesem Kontext aber auch Projekte, die Dialog und
                                              Austausch in Situationen fördern, in denen Kultur­güter
                                              zum Gegenstand von Erzählungen über Verlust und

                                              ARSPROTOTO 2 2019                                                                                                 3
KULTUREN DES AUSTAUSCHS - PERSPEKTIVEN DES DEUTSCH-RUSSISCHEN MUSEUMSDIALOGS - Das Magazin der Kulturstiftung der Länder - Kulturstiftung der ...
INHALT
AUTOREN                                       HANS-GEORG MOEK                                Trinks’ Leidenschaft gehört jedoch der
                                                                                             Mediävistik. Für Arsprototo analysiert
                                                                                                                                                                             3    EDITORIAL
                                              Mehrere 1.000 Kilometer ist Hans-Georg         Trinks die sinistre Bildsprache des Renais­                                     4    AUTOREN
                                              Moek schon durch den Berliner Friedrichs­      sancemalers Baldung und berichtet über
                                              hain gejoggt, bei seinem Training für die      die sensationelle Entdeckung zweier
                                              Ironman-Distanz. Dennoch war er faszi­
                                              niert, als er erfuhr, was sich dort 1945 im
                                                                                             unbekannter Tafeln des Künstlers, die mit
                                                                                             Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung
                                                                                                                                                                         		 ERWERBUNGEN
                                              Flakbunker abgespielt hat. Es sind aber        jetzt nach Karlsruhe gelangten.
                                              nicht nur die Geschichten, die ihn faszinie­   ––– Seite 80                                                                    9     ECKELTERRINE
                                                                                                                                                                                  D
                                              ren, sondern auch die Vielfalt der mögli­                                                                                           für den Ruppiner Landrat Friedrich
                                              chen Erzähl­formate und Kommunikations­
                                                                                                                                                                         		       Wilhelm von Schenckendorff
                                              kanäle. Hans-Georg Moek hat nach dem
                                              Studium der Philosophie und der Theo­
                                              logie und einer Journalistenausbildung                                                                                     10       SCHLITTSCHUHLÄUFER
                                              beim RBB-Fernsehen und als Sprecher                                                                                                 IM TIERGARTEN
                                              im brandenburgischen Ministerium für                                                                                                von Adolph Menzel
                                              Wissenschaft, Forschung und Kultur
ANASTASSIA BOUTSKO                            gearbeitet. In der Kulturstiftung der Länder                                                                               12        WEI ALABASTERRELIEFS
                                                                                                                                                                                  Z
                                              ist er Leiter der Kommunikation und
1972 als Tochter einer Musikwissenschaft­     Chefredakteur. Hier produziert er Texte                                                                                             mit der Verkündigung an Maria
lerin und eines Komponisten in Moskau         und Videos, Interviews, Slideshows und
geboren, wuchs Anastassia Boutsko in einer    Fotos oder sonstigen Social Media-Con­                                                                                     14       OUVERTÜRE ZU DEN „SZENEN
weltoffenen Künstlerfamilie auf, die sich     tent. In den Podcasts können Sie seine                                                                                              AUS GOETHES ‚FAUST‘“
gegenüber der offiziellen politischen Linie   Stimme hören. ––– Seite 48
                                                                                                                                                                                  von Robert Schumann
in der Sowjetunion kritisch verhielt. Nach
ihrem Studium der Linguistik und Philolo­
                                                                                             ANNA SCHULTZ
gie zog es sie wie viele junge Menschen der
Perestroika-Generation mit Anfang zwanzig
                                                                                             Als Wissenschaftliche Mitarbeiterin der
                                                                                             Kunstsammlung der Berliner Akademie der
                                                                                                                                                                             15   BIBLIOTHEK
in den Westen, auf der Suche nach neuen                                                      Künste betreut Anna Schultz die Bestände                                             der Grafen zu Stolberg-Wernigerode
Herausforderungen und Chancen. Boutsko                                                       der Kunst des 19. Jahrhunderts, die
entschied sich für die Journalistik und                                                      Plakatsammlung und den künstlerischen                                       16        NABENKOPF (WILLI BLAB)
                                                                                                                                                                                  K
arbeitete fortan für öffentlich-rechtliche                                                   Nachlass von John Heartfield. Ihre Be­                                               von Gabriele Münter
Sender wie WDR, SWR, Deutschlandfunk                                                         geisterung für die deutsche Kunst des 19.

                                                                                                                                                                        15
                                                                                                                                                                         		       SKIZZE ZU FIGURENBILD
und Deutschlandradio Kultur, zudem                                                           Jahrhunderts wurde während ihres Studi­
schrieb sie für die Frankfurter Allgemeine                                                   ums in London geweckt. Zunächst speziali­
Zeitung, Monopol sowie viele andere                                                          sierte sie sich auf die Kunst auf Papier, hier                                       (DER MALER)
deutsche und russische Medien. Vor 20                                                        insbesondere Druckgrafik. Nach langjähri­                                            von Willi Baumeister
Jahren wechselte Boutsko zur Deutschen                                                       ger Tätigkeit in der grafischen Sammlung
Welle, zunächst als freie Mitarbeiterin,                                                     des British Museum trat sie in Berlin eine                                  		        ONSOLTISCH
                                                                                                                                                                                  K
dann als Redakteurin für Kultur und
Leben. Zu ihren Kernthemen gehört seit
                                              STEFAN TRINKS                                  Stelle am Kupferstichkabinett an und
                                                                                             wechselte schließlich zur Berliner Akade­
                                                                                                                                                                                  von Franz Conrad Link
2001 auch der sogenannte Beutekunst­          Der Maler Hans Baldung, der in der             mie der Künste. Seit einigen Jahren
komplex. Bei ihren Recherchen und             Künstlerinschrift auf dem Freiburger           beschäftigt sie sich dort mit der Rolle der
                                                                                                                                                                         17       T HRONENDE MADONNA MIT KIND
Publikationen vermeidet sie stets den         Hochaltar stolz „Grien“ als seinen Beina­      Akademie für die Berliner Kunstproduk­                                                eines Lucchesischen Meisters
einseitigen Blick auf dieses hochkompli­      men angibt, fesselt den Kunsthistoriker        tion seit dem späten 17. Jahrhundert. Ihr
zierte und dramatische „Wimmelbuch der        Stefan Trinks nicht erst seit seinem Vortrag   Interesse gilt insbesondere der Rekon­
Geschichte“ und möchte damit einen            zu Baldung auf dem Symposion des               struktion der seit Kriegsende in weiten                                     		 SCHWERPUNKT
                                                                                                                                                                         		 DEUTSCH-RUSSISCHER-
Beitrag zum Dialog und dem gegenseitigen      Mediävistenverbandes „Farbiges Mittel­         Teilen verschollenen bzw. zerstreuten
Verständnis leisten. Für Arsprototo sprach    alter“ im Jahr 2009. Der ausgebildete          akademischen Lehrsammlung. Als sie 2013
Boutsko mit Barbara Schneider-Kempf
und Vadim Duda über Durchbrüche und
                                              Mittelalterarchäologe buddelte auch schon
                                              in der Erde seiner Studienorte Bamberg
                                                                                             erstmals das Depot der Kunstsammlung
                                                                                             betrat, fiel ihr ein im Zweiten Weltkrieg                                   		 MUSEUMSDIALOG
Hindernisse des Deutsch-Russischen            und Berlin nach mehr oder weniger              schwer beschädigtes Gemälde von Oscar
Bibliotheksdialogs. ––– Seite 29              farbigen Hinterlassenschaften. Trinks, der     Begas gleich ins Auge. Für Arsprototo                                       20	VERTRAUEN UND TRANSPARENZ
                                              seit 2017 das Kunstressort der Frankfurter     erzählt Schultz, wie dieses kapitale Werk
                                              Allgemeinen Zeitung leitet, promovierte        wieder für die Öffentlichkeit zugänglich
                                                                                                                                                                                  Der deutsch-russische Kulturdialog
                                              über die renaissancehaften Skulpturen des      gemacht werden konnte. ––– Seite 114                                                 — von Britta Kaiser-Schuster
                                              11. Jahrhunderts entlang des spanischen
                                              Jakobswegs. Seine Habilitation untersucht
                                              eigenbewegte Stoffe vom frühen Mittelalter                            Titel: Clemente
                                                                                                                                                                         24       RAUB UND RETTUNG
                                              bis in die zeitgenössische Kunst, also von                            Bandinelli, Bildnis                                           Die Ergebnisse des Forschungsprojekts
                                              den schwebenden Grabtüchern im Sepul­                                 des Bacchio
                                                                                                                                                                         		       zur Geschichte russischer Museen
                                              crum Christi bis zu Jasper Johns’ „Flags“                             Bandinelli,
                                                                                                                    Florenz, 16. Jh.,                                    		       im Zweiten Weltkrieg liegen jetzt als
                                              und den Bildteppichen der Moderne. Als
                                              Privatdozent am Kunsthistorischen Institut                            74 × 47 cm; Vor-                                     		       Buch vor — von Bernhard Schulz
                                              der Humboldt Universität unterrichtet er                              kriegsabbildung
                                                                                                                                                                         29	PIONIERARBEIT
                                                                                                                                               24
                                              die Kunstgeschichte in ihrer gesamten                                 des Reliefs aus
                                                                                                                    dem ehemaligen
                                              Breite, von den Elfenbeinschnitzereien der
                                                                                                                    Kaiser-Friedrich-                                             Barbara Schneider-Kempf und
                                              Beinzeit 42.000 v. Chr. bis hin zur Bild­                                                                                           Vadim Duda über den
                                                                                                                    Museum Berlin
                                              sprache aktueller Musikvideos. Stefan
                                                                                                                                                                                  Deutsch-Russischen Bibliotheksdialog
                                                                                                                                                                                  — von Anastassia Boutsko
4                                                                                                                                                   ARSPROTOTO 2 2019                                                     5
KULTUREN DES AUSTAUSCHS - PERSPEKTIVEN DES DEUTSCH-RUSSISCHEN MUSEUMSDIALOGS - Das Magazin der Kulturstiftung der Länder - Kulturstiftung der ...
INHALT
                                                                                                     80    IE ERNST VON SIEMENS KUNSTSTIFTUNG
                                                                                                          D
                                                                                                          Der Renaissancemaler Hans Baldung Grien
                                                                                                          — von Stefan Trinks

                                                                                                     		 AUSSTELLUNGEN
33	 FALL 62: DIE WIEDERGEBURT                                                                       85	 LEBENSMENSCHEN
     DES BACCIO BANDINELLI                                                                                Das Lenbachhaus München präsentiert das
     Das Forschungsprojekt „Kriegsverluste deutscher                                                      Künstlerpaar Marianne von Werefkin und
     Museen“ klärt ungelöste Fälle auf                                                                    Alexej von Jawlensky — von Naomi Rado
     — von Hans-Georg Moek mit Anastasia Yurchenko
                                                                                                     89    AISER UND SULTAN
                                                                                                          K
38	NÄHE UND EINIGKEIT                                                                                    Das Badische Landesmuseum zeigt Orient und
     Ein Gespräch mit Zelfira Tregulova, der General-                                                     Okzident als Nachbarn in Europas Mitte

                                                                  33
     direktorin der Tretjakow-Galerie in Moskau                                                           im 17. Jahrhundert — von Jennifer Scheibel

43	GEMEINSAMES KULTURELLES EIGENTUM                                                                 92   I MPRESSIONISMUS IN LEIPZIG
     Ein Gespräch mit Karina Dmitrieva, der wissenschaft­-                                                 Das Museum der bildenden Künste
     lichen Leiterin der Rudomino-Bibliothek in Moskau                                                     rekonstruiert Ausstellungen von Liebermann,
                                                                                                           Slevogt und Corinth — von Clara Vogel
46		VON TRAGENDER BEDEUTUNG
     Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
     möchte einen frühitalischen Gefäßständer restaurieren
                                                             64                                 85   95
                                                                                                     96
                                                                                                     97
                                                                                                          NACHRICHTEN
                                                                                                           NEUE BÜCHER
                                                                                                          FREUNDESKREIS / SERVICE
                                                                       104
48	
   FÜR DAS GEFÜHL EINES MITEINANDERS
     Ein Gespräch mit Carsten Brosda über die                                                        98   KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN
     gesellschaftspolitische Bedeutung von
     Kunst und Kultur — von Hans-Georg Moek
                                                                                                     		    ZAHLEN UND FAKTEN ZUR
                                                                                                     		    KULTURSTIFTUNG DER LÄNDER 2019
52    ULTURELLES ERBE
     K                                                                                               104	KULTURHAUPTSTADT
     VERMITTELN                                                                                           EUROPAS 2025
     Rede zum Auftakt des 9. Kinder zum                                                                   Acht Visionen für eine europäische Zukunft
     Olymp-Kongresses in Weimar — von Markus Hilgert

58	DIE MUSE DER STUNDE
     Otto Dix’ Porträt der Kunsthändlerin Johanna Ey
                                                                                                     		 RESTAURIERUNGEN
     in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen                                                        110 V
                                                                                                          ON KAOLIN ZU EPOXID
     — von Oliver Jungen                                                                                  Die „Elementvasen“ im Dresdner
                                                                                                          Residenzschloss — von Stephanie Tasch
64   AUS LICHT UND SCHATTEN                                                                         114 P OMPEJI GERETTET
     Die Kunstsammlungen Gera konnten 28 Fotografien
                                                                                                          Oscar Begas’ Gemälde „Der Untergang
     von Aenne Biermann erwerben — von Johannes Fellmann
                                                                                                          Pompejis“ in der Berliner Akademie
71	EIN LÖWE FÜR DEN LÖWEN                                                                                der Künste — von Anna Schultz
     Der „Liegende Löwe“ von August Gaul in der                                                      118 M
                                                                                                          ARIENKRÖNUNG
     James-Simon-Galerie auf der Berliner Museumsinsel
                                                                                                          Eine neapolitanische Altartafel im Lindenau-
     — von Natascha Königs
                                                                                                          Museum Altenburg — von Johannes Schaefer

		 PARTNER DER KULTURSTIFTUNG                                                                        120 IMPRESSUM / SOCIAL MEDIA /
                                                                                                          BILDNACHWEIS
		 DER LÄNDER
76    IE HERMANN REEMTSMA STIFTUNG
     D
     Die Kunstpioniere Aby Warburg und
                                                                                           89        121 FÖRDERER DER ERWERBUNGEN,
                                                                                                          AUSSTELLUNGEN UND
                                                                                                          RESTAURIERUNGEN IN DIESEM HEFT
     Hugo Simon — von Carolin Vogel                                                                  122 FREUNDESKREIS
                                                                       ARSPROTOTO 2 2019                                                                 7
KULTUREN DES AUSTAUSCHS - PERSPEKTIVEN DES DEUTSCH-RUSSISCHEN MUSEUMSDIALOGS - Das Magazin der Kulturstiftung der Länder - Kulturstiftung der ...
ERWERBUNGEN

ERWERBUNGEN                                   SILBERNER
                                              ABSCHIED
                                              Neuruppin, 1860: Die Ruppi-
                                              ner Kreisstände machen dem
                                              scheidenden Landrat, Fried-
                                              rich Wilhelm von Schencken-
                                              dorff (1794–1861), ein Ge-
                                              schenk. Der auf Wulkow bei
                                              Neuruppin ansässige Gutsbe-
                                              sitzer war als Major Teil des
                                              preußischen Militärs, bevor er
                                              der Provinz Brandenburg als
                                              oberster Vertreter der Kom-
                                              munalverwaltung diente.
                                              Steht Schenckendorff selbst
                                              für eine Phase der preußi-
                                              schen Verwaltung durch adlige
                                              Ständevertreter, die im späte-
                                              ren 19. Jahrhundert zuneh-
                                              mend durch ausgebildete
                                              Verwaltungsjuristen abgelöst
                                              wurde, so vermittelt sein
                                              Abschiedsgeschenk aus heuti-
                                              ger Perspektive ebenfalls
                                              deutliche Signale des Um-
                                              bruchs. Angefertigt wurde die
                                              opulente, silbervergoldete
                                              Deckelterrine mit Präsenta-
                                              tionsplatte in einer be-
                                              kannten Berliner Silber-
                                              warenfabrik, die 1819 mit
                                              königlicher Unterstüt-
                                              zung gegründet, seit
                                              1859 von dem Hofgold-
                                              schmied Wagner und dem
                                              Kaufmann Sy geleitet
                                              wurde. Die Firma Sy &
                                              Wagner produzierte (auch
                                              seriell) anspruchsvolle Hand-
                                              werkskunst in traditionellen
                                              Formen, und in diesem Fall
                                              mit zeitgenössischen Motiven.
                                              Besonders auffallend ist die
                                              Darstellung des Neuruppiner
                                              Kreiskrankenhauses, für
„WAS AN DER WIRKLICHKEIT AUSDRUCKSVOLL IST,   dessen Bau sich Schencken-
                                              dorff eingesetzt hatte. Aus

   HOLE ICH HERAUS, STELLE ICH EINFACH DAR,   dem Kunsthandel mit Unter-
                                              stützung der Kulturstiftung
                                              der Länder für die Museen
  OHNE UMSCHWEIFE, OHNE DRUM UND DRAN.“       Alte Bischofsburg in Witt-
                                              stock a. d. Dosse erworben,
 Gabriele Münter (1877–1962)                  vermittelt das Ehrengeschenk
                                              des Landrats künftigen Besu-
                                              cherinnen und Besuchern die
                                              Identität einer Region im
                                              Wandel, am Beispiel eines
                                              Kunstwerks an der Schwelle
                                              zur industriellen Revolution.

                                              Deckelterrine auf Présentoir
                                              für den Ruppiner Landrat
                         SEITE 9–17, 58–75    Friedrich Wilhelm von Schen­
                                              ckendorff, 1860; Museen Alte
                                              Bischofsburg, Wittstock a. d.
                                              Dosse

                                                             ARSPROTOTO 2 2019   9
KULTUREN DES AUSTAUSCHS - PERSPEKTIVEN DES DEUTSCH-RUSSISCHEN MUSEUMSDIALOGS - Das Magazin der Kulturstiftung der Länder - Kulturstiftung der ...
ERWERBUNGEN

WINTER­
VERGNÜGEN
Wie kommt die Großstadt ins
Bild? Adolph Menzel (1815 –
1905) war ebenso Chronist
eines imaginierten historischen
Preußen wie Beobachter seiner
Gegenwart. In der kürzlich in
einer Privatsammlung (wieder)
entdeckten Darstellung von
Schlittschuhläufern im Ber­
liner Tiergarten bringt er das
Kunststück fertig, ein Medium
des 18. Jahrhunderts – das
Pastell – so zeitgenössisch
aussehen zu lassen wie das
neue Medium Fotografie.
Nicht zuletzt, indem er eine
traditionelle Technik einsetzt,
um das moderne Leben mit
seinen urbanen Vergnügungen
in Kunst zu verwandeln.
Entstanden zum Jahresbeginn
1856, nach seinem ersten
Paris-Besuch, skizziert Menzel,
was die Fotografie damals noch
nicht leisten kann: Vor unseren
Augen weitet sich der Blick in
den verschneiten Park, eine
Gruppe von Eisläufern kommt
frontal auf uns zu, um sich
kurz vor der Kollision (oder
der Grenze zwischen Bild und
Realität) zu teilen. Menzel
notiert Bewegung und Atmo-
sphäre, Individuen zwischen
Schwung und Sturz. Dabei
arrangiert er seine Menge wie
ein Choreograph; denn bei
aller scheinbaren Spontaneität,
die zur Technik der Pastell-
kreide gehört, sehen wir eine
Komposition, keinen sponta-
nen Eindruck vor dem Motiv,
wie eine Studie für die tänze-
risch bewegte Frauen­figur im
Vordergrund in einem der
Skizzenbücher Menzels (Kup-
ferstichkabinett – Staat­liche
Museen zu Berlin) zeigt. Mit
Unterstützung der Kultur­
stiftung der Länder in einer
Versteigerung erworben,
bereichern die „Schlittschuh-
läufer“ nun im Berliner
Kupferstichkabinett den
weltweit größten und bedeu-
tendsten Bestand an Werken
Menzels.

Adolph Menzel, Die Schlitt­
schuhläufer, 1855/1856,
36,8 × 52,8 cm; Staatliche
Museen zu Berlin, Kupfer­
stichkabinett

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KULTUREN DES AUSTAUSCHS - PERSPEKTIVEN DES DEUTSCH-RUSSISCHEN MUSEUMSDIALOGS - Das Magazin der Kulturstiftung der Länder - Kulturstiftung der ...
ERWERBUNGEN   Maria, durch den Erzengel Gabriel im        Erforschung des ursprünglichen Entste­    zugte man den besonders weißen Stein      Vorstellbar ist eine Einbindung in Reta­    niederländischen Skulptur im Museum
              Landeanflug aufgeschreckt, verharrt         hungszusammenhangs der Werke bisher       in hellgrauer Marmorierung, der von       bel oder Lettner, der architektonischen     Schnütgen.

IN FROHER
              schon mit andächtiger Händefaltung: Sie     nicht möglich. Jetzt will das Museum      kräftigen, dunkelgrauen Adern durch­      Schranke zwischen Laien und Mönchen
              hat die Verkündigung erhalten und wird      Schnütgen in Köln seine Neuerwerbung      zogen ist. Ganz ungewöhnlich ist auch,    bzw. Priestern in Kloster- und Stiftskir­   Alabasterreliefs mit der Verkündigung

ERWARTUNG
              den Wunsch Gottes erfüllen, seinen          aus der Blütezeit der Alabasterskulptur   dass die Schriftbänder erhaben aus dem    chen. Als national bedeutende Zeugnisse     an Maria, um 1410 –1420,
              Sohn auf die Welt zu bringen. Über 100      des sogenannten Schönen Stils genauer     Material geschält wurden. Eine spätere    aus der Blütezeit der vermutlich im         28,5 × 28,5 × 6 cm; Museum
              Jahre befanden sich die beiden erstrangi­   unter die Lupe nehmen. Über das Mate­     Zutat wird die farbige Fassung sein,      höfischen Auftrag entstandenen Kunst        Schnütgen, Köln
              gen Alabasterreliefs aus dem frühen 15.     rial glaubt Direktor Moritz Woelk dem     ergaben bereits Materialuntersuchungen.   der Internationalen Gotik schließen die
              Jahrhundert in deutschem Privatbesitz.      Ursprung der Reliefs näherzukommen.       Bei der ursprünglichen Aufstellung der    beiden Reliefs eine klaffende Lücke
              Deshalb war eine wissenschaftliche          In den südlichen Niederlanden bevor­      Reliefs gibt es noch Klärungsbedarf:      der Präsentation der rheinischen und

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ERWERBUNGEN

                                                                                                ÖFFENTLICHES
                                                                                                WISSEN
                                                                                                Eine von Graf Wolf Ernst zu Stolberg
                                                                                                (1546 –1606) begründete Bibliothek
                                                                                                zählte mit geschätzten 4.000 Bänden
                                                                                                im 16. Jahrhundert zu den größten in
                                                                                                den deutschen Landen. Nachfolgende
                                                                                                Generationen schenkten ihr kaum
                                                                                                Beachtung, erst unter Graf Christian
                                                                                                Ernst zu Stolberg-Wernigerode
                                                                                                (1691–1771) erlebte die Bibliothek
                                                                                                eine neue Blütezeit. Der Graf erklärte
                                                                                                die Bibliothek bereits 1746 zur
                                                                                                „Öffentlichen Bibliothek“, woraufhin
                                                                                                die mittlerweile 10.000 Bände nun
                                                                                                zweimal wöchentlich von wissen-
                                                                                                schaftlichen Interessenten eingesehen
                                                                                                werden konnten. Auf über 135.000
                                                                                                Bände war die Bibliothek in den
                                                                                                1920er-Jahren angewachsen, doch das
                                                                                                Fürstenhaus war aufgrund massiver
                                                                                                wirtschaftlicher Schwierigkeiten zum
                                                                                                Verkauf der wertvollsten Exemplare
                                                                                                gezwungen. Allein der renommierte
                                                                                                Berliner Buchantiquar Martin Bres-
                                                                                                lauer (1871–1940) verkaufte rund
                                                                                                35.000 Bände, bevor die Zusammen-
                                                                                                arbeit mit dem als Juden verfolgten
                                                                                                Experten 1933 beendet wurde. Mit
                                                                                                Beginn des Zweiten Weltkrieges
                                                                                                wurde die Bibliothek geschlossen.
                                                                                                Eine russische Trophäenkommission
                                                                                                transportierte nach Kriegsende
                                                                                                den größten Teil der Drucke in die
                                                                                                Sowjet­union ab, weitere Bände
                                                                                                gingen in den Besitz des Landes
                                                                                                Sachsen-Anhalt über. 2017 bot ein
                                                                                                Potsdamer Antiquariat 55 Bücher aus

Spannungsreiche Streicher
                                                                                                den von Breslauer verkauften Bestän-
                                                                                                den zum Verkauf an. Mit Hilfe der
                                                                                                Kulturstiftung der Länder erwarb
                                                                                                die Schloss Wernigerode GmbH den
Wohlbekannt ist Robert Schumanns (1810 –       Kulminationspunkt des Schumann’schen             Querschnitt durch die einstigen
                                                                                                Bestände, darunter Gesangbücher
1856) Begeisterung für das literarische        Komponierens nennen kann: Die expressi­          und Bibeln – auf Deutsch, Türkisch
Werk Goethes, die „Faust-Szenen“ nehmen        ven Schwünge der Crescendi vereinen sich         und Hebräisch –, technologische
im Œuvre des Komponisten einen exzepti­        auf dem Papier mit Akzentuierungen und           Fachbücher, zoologische, astrologi-
                                                                                                sche und philosophische Werke. Die
onellen Rang ein. Weit weniger bekannt ist     Anmerkungen des Komponisten. Zusam­              Bände stammen vor allem aus der
hingegen Schumanns Handschrift zu den          men evozieren sie das spannungsgeladene          ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
„Szenen aus Goethes Faust“. Ursprünglich       Schriftbild, das der Dramatik der zweistün­      und spiegeln eindrücklich die Inte­
der Sammlung Wiede entstammend, kam            digen musikalischen Aufführung bereits           ressen und Sammelleidenschaft des
                                                                                                Grafen Christian Ernst wider. Das
das Werk erst im vergangenen Jahr bei einer    vorauseilt. Inspiriert wurde die innovative      erworbene Konvolut ist nun in
Versteigerung in Paris wieder ans Licht. Mit   Komposition, an der Schumann in mehre­           historischen Schränken wieder im
Unterstützung u. a. der Kulturstiftung der     ren Schüben in der Zeit von 1844 bis 1853        Schloss Wernigerode der Öffentlich-
                                                                                                keit zugänglich.
Länder konnte das Freie Deutsche Hoch­         schrieb, vom Text des Faust II.
stift in Frankfurt am Main das Autograph
erwerben und damit nun erstmals in einer       Die Ouvertüre zu Schumanns „Szenen aus
öffentlichen Sammlung zugänglich ma­           Goethes ‚Faust‘“ in der Handschrift des
chen. Die Notationsskizzen fallen in keiner    Komponisten (2. Fassung), Klavierauszug,
Weise hinter das zurück, was man den           1853; Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter
                                               Goethe-Museum
14
KULTUREN DES AUSTAUSCHS - PERSPEKTIVEN DES DEUTSCH-RUSSISCHEN MUSEUMSDIALOGS - Das Magazin der Kulturstiftung der Länder - Kulturstiftung der ...
BELLA FIGURA
                                                                       1958 legte der Direktor Rudolf Bornschein mit dem Ankauf des
                                                                       Gemäldes „Peruanische Mauer“ von Willi Baumeister (1889 –1955)
                                                                       den Grundstein für den Sammlungsschwerpunkt des Saarland­
                                                                       museums. Mit „Skizze zu Figurenbild (Der Maler)“ erwirbt das
                                                                       Saar­brücker Museum jetzt ein Frühwerk des Bauhaus-Malers.
                                                                       Willi Baumeister, Skizze zu Figurenbild (Der Maler), 1923,
                                                                       65 × 46,5 cm; Saarlandmuseum, Saarbrücken

DER NACHBARSJUNGE
Nachdem Gabriele Münter (1877–1962) im Sommer 1908 mit
ihrem Partner Wassily Kandinsky und dem befreundeten Paar
Werefkin-Jawlensky in Murnau gemalt hatte, verbrachte sie den
Winter in München. Dort, in der Adalbertstraße 19, befanden sich
ihr Atelier und die Wohnung des Vergolders August Blab, dessen
siebenjährigen Sohn Willi Blab die Expressionistin verbildlichte. In
Köln zeigte Münter im gleichen Jahr erstmals ihr Schaffen in einer
Ausstellung. 1925 setzte sich – ebenfalls in Köln – der Leiter des
Kölner Kunstvereins, Josef Haubrich, für ihre erste Einzelaus­
stellung ein. Haubrichs Sammlung bildet heute den Grundstock
des Museum Ludwig, in dessen Dauerausstellung jetzt auch das
Porträt Blabs einen Platz einnimmt.
Gabriele Münter, Knabenkopf (Willi Blab), 1908, 39,7 × 33,1 cm;
Museum Ludwig, Köln

                                                                                                                 TRADITION DER
                                                                                                                  THRONENDEN
                                                                                                           Ein unbekannter Maler kombinierte
                                                                                                            im italienischen Lucca um 1260/70
                                                                                                                die damals typischen Motive der
                                                                                                        stehenden und der sitzenden Madonna
61 EINZELTEILE                                                                                             und beeinflusste damit nachfolgende
                                                                                                        Künstlergenerationen maßgeblich. Die
Dank des kunstsinnigen Kurfürsten Carl Theo-                                                            „Thronende Madonna mit Kind“ steht
dor von der Pfalz (1724 –1799) lief nicht nur die                                                       am Anfang der europäischen Tafelbild-
Residenzstadt Mannheim, sondern auch die                                                                  tradition. Franz von Lenbach brachte
benachbarte Frankenthaler Manufaktur zu                                                                        das Bild im 19. Jahrhundert nach
Höchstform auf. Aus vermutlich 61 Teilen wurde                                                           München. Seine Tochter Gabriele von
dort um 1770 das wohl weltweit größte aus                                                                   Neven DuMont übergab es 1968 als
Porzellan gefertigte Möbel geschaffen. Der mit                                                             Dauerleihgabe ins Wallraf-Richartz-
dem Monogramm des Kurfürsten geschmückte                                                                        Museum & Fondation Corboud.
Konsoltisch verschwand auf unbekannten Wegen                                                              Nachdem ein Abzug durch die Eigen-
und tauchte erst 1991 bei einer Auktion wieder                                                               tümer noch rechtzeitig abgewendet
auf. Nach über siebzehn Jahren in Privatbesitz ist                                                            werden konnte, wird das bis heute
dieses Zeugnis höfischer Repräsentation nun an                                                                älteste Gemälde des Museums nun
seinen historischen Standort im Mannheimer                                                                             dauerhaft in Köln gezeigt.
Schloss zurückgekehrt.
                                                                                                            Lucchesischer Meister, Thronende
Franz Conrad Link, Konsoltisch mit Franken­                                                                Madonna mit Kind, um 1260/70,
thaler Porzellanzarge, um 1770,                                                                               104 × 63 cm; Wallraf-Richartz-
84 × 99 × 52 cm; Schloss Mannheim                                                                        Museum & Fondation Corboud, Köln
KULTUREN DES AUSTAUSCHS - PERSPEKTIVEN DES DEUTSCH-RUSSISCHEN MUSEUMSDIALOGS - Das Magazin der Kulturstiftung der Länder - Kulturstiftung der ...
SCHWERPUNKT
                                                                Ruine des Zarenschlosses
                                                                Gattschina, um 1944

     DEUTSCH-RUSSISCHER
       MUSEUMSDIALOG

           „KULTUR WAR IMMER EINE PLATTFORM,
            AUF DER ÜBEREINSTIMMUNGEN UND
             KOMPROMISSE MÖGLICH WAREN.
        IN UNSERER ARBEIT WOLLEN WIR ERKLÄREN,
       ZEIGEN UND ERZÄHLEN, DASS UNS VERBINDET,
            WAS UNS EIGENTLICH VONEINANDER
                    TRENNEN SOLLTE."
       Ekaterina Genieva (1946 –2015), ehemalige
       ­Generaldirektorin der Allrussischen Staatlichen
        ­M.-I.-Rudomino-Bibliothek für ausländische Literatur
         in Moskau

                                      SEITE 20–45

18                                                                           ARSPROTOTO 2 2019   19
SCHWERPUNKT DEUTSCH-RUSSISCHER MUSEUMSDIALOG                                                                                     ein umfangreiches Buchkonvolut der          Gemälden an die Staatlichen Kunst­                 Konferenzen von Jalta
                                                                                                                                                                                                                                (Februar) und Potsdam
                                                                                                                                 Rossi-Bibliothek aus deutschem Privat­      sammlungen Dresden als Freundschafts­
                                                                                                                                                                                                                                (Juli/August).

     VERTRAUEN UND
                                                                                                                                 besitz nach Schloss Pawlowsk zurückge­      geste für den Militärpartner DDR an­               Im Februar erfolgt die Grün-
                                                                                                                                 führt. Seit 2015 konnten aus Privatbesitz   gekündigt. Die noch im gleichen Jahr               dung einer Sonderkommission
                                                                                                                                 mehrere Rückgaben an ein Partnermu­         erfolgte erste Restitution von bedeuten­   1945    mit dem Ziel, die Koordinie-
                                                                                                                                                                                                                                rung des Abtransports von
                                                                                                                                 seum in Nowgorod erfolgen. 2017             den Werken Dürers, Jan van Eycks sowie             Trophäengut, unter anderem

      TRANSPARENZ
                                                                                                                                 kehrte nach über 70 Jahren das Gemälde      von Raffaels „Sixtinischer Madonna“                von musealer und generell
                                                                                                                                 „Waldweiher“ (1881) von Wassili D.          bildete den Auftakt der umfangreichen              kultureller Bedeutung, zu
                                                                                                                                                                                                                                übernehmen. Mit der Erklä-
                                                                                                                                 Polenow aus der Kunsthalle Kiel zurück      Aktion, durch die ab September 1958                rung der deutschen Gesamt­
                                                                                                                                 ins südrussische Taganrog. Polenovs Bild    wertvolle Kunstschätze aus Moskau und              kapitulation am 8. Mai endet
                                                                                                                                 war eines von mehr als 4.500 Kunst­         dem damaligen Leningrad zurückkehr­                der Zweite Weltkrieg.
                                                                                                                                                                                                                                Im Oktober erlässt die Sowjet-
             Der deutsch-russische Kulturdialog der                                                                              werken, die Taganrog während der            ten. Sie wirkte als Impuls für den Wie­
                                                                                                                                                                                                                                regierung ein Ausstellungs­
                                                                                                                                 deutschen Okkupation verloren hatte.        deraufbau der kriegszerstörten Museen
                   Kulturstiftung der Länder                                                                                     Diese Rückgaben werden in Russland          in Mittel- und Ostdeutschland: Anfang
                                                                                                                                                                                                                                verbot von aus Nachkriegs-
                                                                                                                                                                                                                                deutschland verlagerten
                                                                                                                                 mit großer Freude gefeiert und stehen       Oktober 1959 wurden das Pergamon­                  Kunstwerken. Dieses Verbot
                               von Britta Kaiser-Schuster                                                                                                                                                                       kann als erster Schritt einer
                                                                                                                                 für den hohen Stellen­wert dieser einzel­   museum mit dem zurückgekehrten einzig­             Geheimhaltung von kriegs­
                                                                                                                                 nen Gesten von Wiedergutmachung.            artigen Altarfries sowie große Teile des           bedingt verlagertem Kulturgut
                                                                                                                                      Mit dem Projekt „Verlust + Rück­       Bode-Museums wiedereröffnet. Ähnlich               angesehen werden.
                                                                                                                                                                                                                                Gründung der amerikanischen

D
                                                                                                                                 gabe“ startete der Deutsch-Russische        war es in Dresden, wohin 600.000                   Central Collecting Points in
         ie Kulturstiftung der Länder         land erzielt werden. Forschungen zur                                               Museumsdialog 2008 seine Initiative.        Kunstwerke zurückgegeben wurden, aber
         versteht sich seit ihrer Gründung    Sammlungsgeschichte zu unterstützen        1907   Haager Landkriegsordnung, die
                                                                                                                                 Anlass war der 50. Jahrestag der zweiten    auch in Dessau, Gotha, Leipzig oder in
                                                                                                                                                                                                                                München und Wiesbaden

         im Jahr 1988 als Förderin und        sowie die Wege der einzelnen Kunst­
                                                                                                jede vorsätzliche Entfernung,
                                                                                                Zerstörung oder Beschädigung     großen Rückgabeaktion von über 1,5          den Potsdamer Schlössern gab es spekta­    1945—   Abtransport von Kultur­
                                                                                                                                                                                                                                gütern aus deutschen
         Beraterin der Museen, Bibliothe­     werke während des Krieges und danach              von Denkmälern und Kunst-
                                                                                                werken untersagt
                                                                                                                                 Millionen Kunstwerken aus der Sowjet­       kuläre Wiedereröffnungen. Unter Beteili­   1947    Museen, Bibliotheken und
         ken und Archive in Deutschland.      für die deutschen und russischen Museen                                            union an die Deutsche Demokratische         gung von 28 deutschen Museen hat der               Archiven in die Sowjetunion
So ist es ihr auch ein Anliegen, wichtige
kulturpolitische Themen aufzugreifen
                                              zu rekonstruieren, bilden einen besonde­
                                              ren Schwerpunkt der Aktivitäten des
                                                                                                                                 Republik in den Jahren 1955 bis 1958.
                                                                                                                                 Insgesamt hatten die deutschen Museen
                                                                                                                                                                             DRMD 2008 an dieses Ereignis erinnert:
                                                                                                                                                                             50 Jahre danach zeigten dazu neun der
                                                                                                                                                                                                                        1945—   Rückgaben von Kultur­
                                                                                                                                                                                                                                gütern aus den Central
und in Projekten mit Modellcharakter zu       DRMD. Restitutionsfragen werden in                                                 über 2,5 Millionen Kulturgüter verloren.    beteiligten Museen in Ausstellungen die
                                                                                                                                                                                                                        1948    Collecting Points an die
                                                                                                                                                                                                                                Sowjetunion
bearbeiten.                                   diesem Zusammenhang ausgeklammert,                                                 Am 31. März 1955 hatte der Minister-        Geschichte ihrer zunächst verlorenen und
     Als Einrichtung, die im Auftrag der      sie sind auf Regierungsebene zu behan-                                             rat der Sowjetunion die Rückgabe von        dann wiedergewonnenen Kunstwerke.          1948    Alle Informationen über
                                                                                                                                                                                                                                kriegsbedingt verlagerte
16 Länder Vorhaben und Initiativen von        deln.                                                                                                                                                                             Kunstbestände in sowjeti-
gesamtstaatlicher Bedeutung im Bereich             In den letzten Jahren hat sich der                                                                                                                                           schen Museen werden in
Kultur fördert, unterstützt die Kulturstif­   DRMD zu einem wichtigen Fundament                                                                                                                                                 der UdSSR als Staatsge-
                                                                                                                                                                                                                                heimnis eingestuft.
tung der Länder den Austausch zwischen        deutsch-russischer Kulturbeziehungen
kulturerhaltenden Institutionen in            entwickelt. Er ist vertrauenswürdiger
Russland und Deutschland aktiv und            Ansprechpartner für Museen und Kul­
engagiert.                                    tur­einrichtungen in beiden Ländern und
     In diesem Kontext ist der Deutsch-       übernimmt zunehmend Beratungsauf­
Russische Museumsdialog (DRMD) zu             gaben, beispielsweise bei der Suche nach
sehen, der 2005 in Berlin gegründet           geeigneten Kooperationspartnern. So
wurde, um den fachlichen Austausch            startete 2019 auf Empfehlung der Kul­
und neue Kooperationen zwischen               turstiftung der Länder die Staatliche
deutschen und russischen Museen auf           Tretjakow-Galerie in Moskau eine Zu­
den Weg zu bringen. In bilateralen            sammenarbeit mit den Staatlichen
Forschungsprojekten werden die Kriegs­        Kunstsammlungen Dresden. Das Inter­
verluste deutscher und russischer Museen      view, das Arsprototo aus diesem Anlass
bearbeitet. Der Dialog wurde initiiert        mit Zelfira Tregulova, der Generaldirek­          Überfall der deutschen Wehr-
von der Stiftung Preußischer Kulturbe­        torin der Tretjakow-Galerie, in Moskau            macht auf die UdSSR; in der
                                                                                                Folge werden russische, ukrai-                                                                                                  Rückgabe von Kunstwerken
sitz, der Kulturstiftung der Länder und       geführt hat, finden Sie ab Seite 38 in            nische, weißrussische Museen,                                                                                                   aus Moskau und Kiew an
über 80 deutschen Museen, um deutsch-         diesem Heft. Auch bei der Erforschung             Bibliotheken und Archive von                                                                                                    die Dresdner Gemälde­
                                                                                                verheerenden Zerstörungen                                                                                                       galerie, darunter die
russische wissenschaftliche Vorhaben zu       und Organisation von Restitutionen von
verstärken und auch kleinere Häuser in        Kulturgütern, die aus Deutschland an       1941   und Verlusten betroffen.                                                                  Rückgabe von Teilen
                                                                                                                                                                                          der Rossi-Bibliothek
                                                                                                                                                                                                                        1955    „Sixtinische Madonna“

beiden Ländern einzubeziehen. Damit           die russischen Herkunftsmuseen zurück­            Auf Beschluss des Staatlichen                                                             in Leipzig: Alexej                    Beitritt der UdSSR zur
                                                                                                Verteidigungskomitees der                                                                 Gusanow vom Schloss-                  Haager Konvention zum
soll nicht nur Aufklärung über die            gegeben werden können, übernahm der
kriegsbedingt verbrachten Kunst- und          DRMD die Federführung. So wurde            1943   UdSSR (GKO) werden im
                                                                                                Februar sogenannte Trophäen-
                                                                                                                                                                                          museum Pawlowsk (r.)
                                                                                                                                                                                          und Stephan Graf von
                                                                                                                                                                                                                                Schutz von Kulturgut bei
                                                                                                                                                                                                                                bewaffneten Konflikten
Kulturgüter in Deutschland und Russ­          2013 auf Basis bisheriger Forschungen             brigaden ins Leben gerufen.                                                               der Schulenburg (l.)          1957    (BRD seit 1967)

20                                                                                                                                             ARSPROTOTO 2 2019
Wassili D.
                                                                  Polenow: Wald-
                                                                                        1958    Insgesamt werden über
                                                                                                1,5 Millionen Kunstwerke
                                                                                                                                         1950er-Jahre. Nachgezeichnet wurden         diesem Heft. Nach den Katalogen zu den
                                                                                                                                         weniger die Geschichte der einzelnen        Sammlungen Friedrich-Werner Graf von
                                                                  weiher, 1881,                 von der UdSSR an die
                                                                  134,5 × 90,5 cm;              DDR zurückgegeben.                       Kunstwerke, sondern der einzelnen           der Schulenburg (2009) und Peter Graf
                                                                  Kunstmuseum                                                            Sammlungen, die Wege zurück in ihr          Yorck zu Wartenburg (2012) erschien
                                                                  Taganrog                                                               Herkunftsmuseum, ihre Weitertrans­          2019 die Publikation des Katalogs der
                                                                                                                                         porte innerhalb der Sowjetunion oder        „Bücher der Bibliothek der Grafen
                                                                                                                                         ihre Verlagerung durch die Deutsche         Hardenberg in russischen Sammlungen“.
                                                                                                                                         Wehrmacht. Das deutsch-russische            Der Katalog verzeichnet circa 600 Bü­
                                                                                                                                         Forschungsprojekt wurde unterstützt         cher in sechs russischen Bibliotheken.
                                                                                                                                         durch die Volkswagen-Stiftung.              Gemeinsam recherchierten diese die            1994   Weitere Ausstellungen von
                                                                                                                                                                                                                                          kriegsbedingt verlagertem
                                                                                                                                              Mit der Publikation „Russische         Herkunft ihrer Bestände und erschlossen              Kulturgut in St. Petersburg
                                                                                                                                         Museen im Krieg“ starteten die Kultur­      so ein weiteres Kapitel der Geschichte               und Moskau
                                                                                                                                         stiftung der Länder und die Stiftung        deutsch-russischer Kulturgutverlagerun­
                                                                                                                                         Preußischer Kulturbesitz dieses Jahr ihre   gen. Sämtliche der 15.000 Bände, welche
                                                                                                                                         neue Schriftenreihe „Studien zu kriegs­     die Bibliothek des preußischen Staats­
                                                                                                                                         bedingt verlagerten Kulturgütern“ und       kanzlers und Reformers von Hardenberg
                                                                                                                                         setzten damit ein Zeichen für die bilate­   bei seinem Tod zählte, wurden im Zuge
                                                                                                                                         rale wissenschaftliche Kooperation.
                                                                                                                                              Jenseits der Initiativen im Museums­
                                                                                                                                                                                     der Bodenreform in der sowjetischen
                                                                                                                                                                                     Besatzungszone in Staatseigentum über­
                                                                                                                                                                                                                                   1999   Das von der russischen
                                                                                                                                                                                                                                          Duma 1995 vorbereitete
                                                                                                                                         bereich verbindet die Kulturstiftung der    führt. Während eine Hälfte in Deutsch­               Gesetz, das deutsches kriegs-
                                                                                                                                                                                                                                          bedingt verlagertes Kulturgut
                                                                                                                                         Länder mit der Allrussischen Staatlichen    land verblieb und sich heute in der                  zu russischem Eigentum
                                                                                                                                         M.-I.-Rudomino-Bibliothek für auslän­       Zentral- und Landesbibliothek Berlin                 erklärt, tritt endgültig in
                                                                                                                                         dische Literatur in Moskau bereits seit     befindet, transportierte die Rote Armee              Kraft.
                                                                                                                                         2006 eine erfolgreiche Kooperation im       vermutlich 600 Bände ab. Der Verbleib
                                                                                                                                         Kontext der Publikationsreihe über
                                                                                                                                         die „Bibliotheken des deutschen Wider­
                                                                                                                                                                                     der restlichen Bestände ist bis heute
                                                                                                                                                                                     ungeklärt.
                                                                                                                                                                                                                                   2002   Die mittelalterlichen Glas-
                                                                                                                                                                                                                                          fenster der Marienkirche
                                                                                                                                         stands“, deren Erstellung die Kultur­            Damit ist ein für die Forschung und             kehren nach Frankfurt/Oder
                                                                                                                                                                                                                                          zurück.
                                                                                                                                         stiftung der Länder unterstützt. Ein in     die interessierte Öffentlichkeit wichtiger
                                                                                                                                         Moskau geführtes Interview mit Karina       Schritt in Richtung Aufklärung unter­
                                                                                                                                         Dmitrieva, wissenschaftliche Leiterin in    nommen worden. Diese Form der ge­
                                                                                                                                         der Bibliothek, finden Sie ab Seite 43 in   meinsamen Erforschung deutscher
Mit der Erforschung der Verluste deut­      Forschungs­projektes. Auch die Unter­                                                                                                    wie russischer Kriegsverluste steht im
scher Museen in Kriegs- und Nachkriegs­     suchungen zu den vermissten Kunst­-                                                                                                      Zentrum der Kooperation zwischen
zeit hinsichtlich kriegsbedingt verbrach­   werken des Museums Schloss Frieden­                                                                                                      der Kulturstiftung der Länder und der
ter Kulturgüter in die Sowjetunion, sehr    stein in Gotha mündeten in eine Zusam­                                                                                                   Rudomino-Bibliothek wie auch der
konkret der Rekonstruktion der Ge­          menarbeit mit dem Puschkin-Museum                                                                                                        Arbeit des Deutsch-Russischen Biblio­
schichte der einzelnen Objekte, unter­      in Moskau, das 2016 nicht nur die erste                                                                                                  theksdialogs. Deutsche und russische          2008   Veranstaltung im Pergamon-
                                                                                                                                                                                                                                          museum „Verlust + Rückgabe“
stützt der DRMD seit 2008 die Museen        große Cranach-Ausstellung in Russland,                                                                                                   Bibliotheken haben sich – auf Initiative             des DRMD aus Anlass des
darin, größere Klarheit über Art und        sondern auch erstmals wieder nach                   Im Zuge der politischen und                                                          der Rudomino-Bibliothek und der                      50. Jahrestages der großen
Umfang ihrer verlorenen Kunst zu            dem Zweiten Weltkrieg die komplette                 gesellschaftlichen Umbrüche in                                                       Kulturstiftung der Länder analog zum                 Rückgabeaktion in den
                                                                                                der Sowjetunion beginnt eine                                                                                                              1950er-Jahren
gewinnen. Auf dieser Basis können die       Gothaer Cranach-Sammlung zeigte.                                                                                                         Deutsch-Russischen Museumsdialog –
                                                                                                Diskussion über bis dahin mehr
Wege der Kunstwerke von deutschen           2017 war das Puschkin-Museum dann                   oder weniger geheimgehaltene                                                         2009 zu einem Bibliotheksdialog
und russischen Kolleginnen und Kolle­       zu Gast in Gotha mit Meister­werken                 Bestände von kriegsbedingt                                                           zusammengeschlossen.
gen gemeinsam untersucht sowie in           der französischen Kunst.                    1989/   verlagertem Kulturgut.                                                                    Nur durch gegenseitiges Vertrauen,
Publikationen und Ausstellungen der              Jenseits der Verlustgeschichte deut­   1990    In der Eremitage werden
                                                                                                                                                                                     den ungehinderten Zugang zu den
Öffentlichkeit wieder zugänglich ge­        scher Museen wurde die Aufarbeitung                 Exponate aus einem Konvolut                                                          Archiven und durch Transparenz kann
macht werden. Gelungene Beispiele auf       der Geschichte der russischen Verluste              der Bremer Kunsthalle aus­                                                           die Arbeit an der gemeinsamen Ge­
Basis der detaillierten Objektrecherchen    befördert. Mehr als 170 russische Mu­               gestellt („Baldin-Sammlung“).                                                        schichte der verlorenen Sammlungen
                                                                                                Die Kunstschätze wurden
des DRMD sind die Kooperationen             seen waren von Kriegsverlusten betrof­              nach dem Zweiten Weltkrieg                                                           gelingen und auf dieser Basis ein neues
zwischen den Berliner Gemälde- und          fen. Untersucht wurden deshalb exem­                in die UdSSR gebracht.                                                               Kapitel deutsch-russischer Kultur­ko­
Skulpturensammlungen der Staatlichen        plarisch die bedeutendsten Sammlungen               Abkommen über kulturelle                                                             operationen eröffnet werden.
Museen zu Berlin und dem Puschkin-          in Nowgorod und Pskow sowie der vier                Zusammenarbeit zwischen                                                              Dr. Britta Kaiser-Schuster ist Dezer­nentin
Museum in Moskau im Rahmen des              Zarenschlösser um Sankt Petersburg,                 Deutschland und Russland.                                                            und Projektleiterin „Deutsch-Russischer
                                                                                                Die Vereinbarung sieht u. a.     Zurückgegeben an die Akademie der Künste Berlin:
Ausstellungsprojektes „Das verschwun­       Zarskoje Selo, Peterhof, Gattschina und             die Restitution verschollener    das von Anton Graff gemalte Porträt von Johann      Museumsdialog“ bei der Kulturstiftung der
dene Museum“ und des Donatello-             Pawlowsk von 1941 bis in die frühen                 oder unrechtmäßig ver-           Friedrich Reinecke aus der Städtischen Galerie      Länder.
                                                                                                brachter Kulturgüter an          Dresden
                                                                                        1992    deren Eigen­tümer vor.

22                                                                                                                                                      ARSPROTOTO 2 2019                                                                                           23
SCHWERPUNKT DEUTSCH-RUSSISCHER MUSEUMSDIALOG

 RAUB UND RETTUNG.
RUSSISCHE MUSEEN IM
 ZWEITEN WELTKRIEG
       Die Ergebnisse des großen Forschungsprojekts
           zur Geschichte russischer Museen im
       Zweiten Weltkrieg liegen jetzt in Buchform vor
                                  von Bernhard Schulz

D
        ie Frage der Rückgabe kriegsbe­       sowjetischen Sieg über Hitlerdeutschland              Eingestürzte Decke des Thron-
        dingt verlagerter Kulturgüter         brandmarkten. Mit dem 1996 von der                    saals im Katharinen­palast in    menhang mit der sowjetischen Ge­            Russische Museumsdialog“ – heißt es
        fand in den ersten Jahren nach        Staatsduma der Russischen Föderation                  Puschkin, September 1941.        schichte gegeben. Wie sich im Rückblick     zusammenfassend in der Verlautbarung
                                                                                                    Fotografie der Propaganda­
        der deutschen Wiedervereini­          verabschiedeten und 1999 nach einem                   kompanien der Wehrmacht
                                                                                                                                     zeigt, mangelte es an Kenntnis insbeson­    zum zehnjährigen Bestehen – „wurde
        gung in der Öffentlichkeit gro­       entsprechenden Verfassungsgerichtsurteil                                               dere der Ereignisse des Zweiten Weltkrie­   2005 von der Stiftung Preußischer
ßen Widerhall. Man erwartete die Rück­        endgültig in Kraft getretenen Gesetz                                                   ges, die überhaupt erst zum Phänomen        Kulturbesitz, der Kulturstiftung der
kehr zahlreicher, im und nach dem Krieg       zur Verstaat­lichung der Beutekunst                                                    der Beutekunst geführt hatten. Die          Länder und über 80 deutschen Museen
verloren gegangener Kunstwerke aus der        verschwand das Thema aus der aktuellen                                                 Kriegserfahrung der Sowjetunion, die        in Berlin gegründet, um Aktivitäten und
Sowjetunion und ihren Nachfolgestaa­          Politik und wird seither allenfalls noch                                               nach deren Auflösung 1991 zur Vorge­        Kontakte zwischen deutschen und rus­
ten. Doch die Hoffnungen erfüllten sich       kursorisch erwähnt, als Merkposten für                                                 schichte der neubegründeten Russischen      sischen Museen auf der Fachebene zu
nicht. Im Gegenteil wurden diejenigen         Unerledigtes.                                                                          Föderation, aber ebenso Weißrusslands,      ermöglichen oder zu intensivieren.“
russischen Stimmen immer lauter, die               Es hat in den frühen 1990er-Jahren                                                der Ukraine sowie aller weiteren im         Ausdrücklich wurde im Jahr 2015 hinzu­
die Herausgabe von „Trophäenkunst“            in Deutschland wenig Verständnis für                                                   Westen der Sowjetunion gelegenen            gesetzt: „Die Frage von Rückgabeforde­
rundweg ablehnten und als Verrat am           die russische Position und ihren Zusam­                                                Nachfolgestaaten wurde, blieb in der        rungen wird in diesem rein fachlichen
                                                                                                                                     Bundesrepublik und dann im vereinten        Kontext ausgeklammert, sie ist auf
                                                                                                                                     Deutschland unbeachtet. Erst mit dem        Regierungsebene zu klären.“
                                                                                                                                     Scheitern der auf – völkerrechtlich                Das sind nüchterne Sätze; aber
                                                                                                                                     durchaus wohlbegründete – Rückgabe­         hinter ihnen verbirgt sich eine tiefere
                                                                                                                                     ansprüche pochenden, offiziellen deut­      Einsicht. Der Historiker Wolfgang
                                                                                                                                     schen Politik gewann die Einsicht           Eichwede, Gründer und langjähriger
                                                                                                                                     ­brei­teren Raum, dass der Weg zu einer     Direktor der Forschungsstelle Osteuropa
                                                                                                                                      befriedigenden Lösung nur über die         an der Universität Bremen, hatte die
                                                                                                                                      wechselseitige Annäherung und die          Bemühungen um Rückgabe von Beute­
                                                                                                                                      Vertiefung der historischen Kenntnisse     kunst schon vor dem Fall des Eisernen
                                                                                                                                      erfolgen könne, und dies nicht auf         Vorhangs begleitet, angeregt durch das
                                                                                                                                      staatlich-diplomatischer Ebene, sondern    besondere Schicksal der Sammlung der
                                                                                                                                      auf der der unmittelbaren Akteure,         Kunsthalle Bremen. Die Kulturstiftung
                                                                                                                                      nämlich der betroffenen Museen, Ar­        der Länder übertrug Eichwede die
                                                                                                                                      chive und kulturellen Einrichtungen.       ­wissenschaftliche Leitung des 2009
                                                                                                                                           Aus dieser Einsicht heraus und dem     an­-ge­stoßenen Forschungsprojekts zur
                                                                                                                                      Willen, neue Wege der Verständigung zu      ­Geschichte der russischen Museen im
                                                                                         Mariä-Schutz-Ikone, um die Wende des
                                                                                         16. zum 17. Jahrhundert; Dreifaltigkeits­    suchen, entstand 2005 der Deutsch-Rus­       Zweiten Weltkrieg. Die Projektleitung
Der Katharinenpalast in Puschkin bei St. Petersburg heute                                kathedrale, Pskow                            sische Museumsdialog. „Der Deutsch-          als solche lag in den Händen von Britta

24                                                                                                      ARSPROTOTO 2 2019                                                                                              25
Kaiser-Schuster. Die Ergebnisse des                                                                                                                                                       das „Verhalten der Truppe im Ostraum“          nötigen Genauigkeit erfasst. Darüber
Forschungsprojekts sind nunmehr in                                                                                                                                                        vom 3. November 1941 zitiert. Darin            aber fand jahrzehntelang kein Austausch
Buchform veröffentlicht in dem umfang­                                                                                                                                                    heißt es: „Im Übrigen liegt das Ver­           auf der Museumsebene statt. Wenn die
reichen Band „Raub und Rettung. Rus­                                                                                                                                                      schwinden der Symbole einstiger Bol­           Museen in der Sowjetunion so etwas wie
sische Museen im Zweiten Weltkrieg“.                                                                                                                                                      schewistenherrschaft, auch in Gestalt          Inseln halbwegs freier Geistigkeit gebil­
     Darin macht Wolfgang Eichwede die                                                                                                                                                    von Gebäuden, im Rahmen des Vernich­           det hatten, so waren sie in vielen Fällen
Intention des Forschungsprojekts noch­                                                                                                                                                    tungskampfes. Weder geschichtliche             auch Inseln selbstgenügsamer Abge­-
mals deutlich. „Kunstraub ist nicht nur                                                                                                                                                   noch künstlerische Rücksichten spielen         schlossenheit.
und nicht einmal primär eine Sache der                                                                                                                                                    hierbei im Ostraum eine Rolle.“ Diese               Das hat sich gründlich gewandelt.
Statistiken und Zahlen – so erschütternd                                                                                                                                                  Vorschrift gilt es im Gedächtnis zu            Seit 1999 gibt das russische Kulturminis­
ihre Größenordnungen sein mögen“,                                                                                                                                                         behalten, betrachtet man die im Buch           terium eine fortlaufende Dokumentation
schreibt Eichwede: „Um ein realitäts­                                                                                                                                                     publizierten Fotografien, die die – teils      der Kriegsverluste nach Orten und
nahes Bild des Kunstraubs zu bekom­                                                                                                                                                       mutwilligen und erst nach den Kampf­           Sachgebieten heraus, die inzwischen auf
men, müssen seine unmittelbaren Opfer                                                                                                                                                     handlungen erfolgten – Zerstörungen an         18 Bände in 50 Büchern angewachsen
– die Museen und ihre Sammlungen – in                                                                                                                                                     den Schlössern zeigen.                         ist. Zugleich konnten die in der unmit­
den Mittelpunkt treten. Erst die Rekons­                                                                                                                                                       Das Forschungsprojekt formt aus           telbaren Nachkriegszeit angegebenen,
truktion ihrer Geschichte erlaubt es, die                                                                                                                                                 zahllosen Einzelereignissen, eben der von      stets bis zum letzten Objekt addierten
tatsächlichen Dimensionen dessen, was                                                                                                                                                     Eichwede angewendeten Methode der              Verlustzahlen der Schlösser deutlich nach
zerstört und verschleppt worden ist, zu                                                                                                   Historische Aufnahme des Bernstein­zimmers im   Mikrogeschichte, ein Bild des deutschen        unten korrigiert werden. Denn nach
ermessen. Zielte der Krieg darauf, den                                                                                                    Katharinenpalast in Zarskoje Selo (Puschkin),   Umgangs mit den eroberten Städten,             Objekten, die einmal als Verlust katalogi­
Museen ihre Identität zu nehmen, ist der                                                                                                  ca. 1938                                        Gebäuden und Sammlungen, das das               siert waren, wurde nicht weiter gesucht.
hier konzipierte Forschungsansatz von                                                                                                                                                     Ausmaß an Zerstörung, Plünderung und           Sie fanden sich indessen oftmals an
der vorsichtigen Hoffnung getragen,                                                                                                                                                       nicht zuletzt ordinärem Diebstahl durch        anderen als ihren Vorkriegsstandorten
ihnen diese – auch für die Epoche des                                                                                                                                                     Wehrmachtsangehörige vor Augen führt.          wieder, ohne näher auf ihre Herkunft
Krieges – wenigstens in Bruchstücken                                                                                                                                                      Die Fotografien der Zarenschlösser             hin untersucht worden zu sein. Da hat
zurückzugeben.“                                                                                                                                                                           machen den heutigen Betrachter fas­            der fachliche Austausch im Rahmen des
     Das Forschungsprojekt – Eichwede                                                                                                                                                     sungslos. Nur gestreift wird im Buch die       Museumsdialogs viel zur Klärung bei­
spricht hier von „Mikrogeschichte“ –                                                                                                                                                      Problematik, dass die Zarenschlösser           tragen können.
nahm sich die Museen der Städte Pskow                                                                                                                                                     auch vor Kriegsbeginn bereits erhebliche            Über all das berichtet das vorlie­
und Nowgorod sowie die vier Zaren­                                                                                                                                                        Verluste zu verzeichnen hatten. So heißt       gende Buch auf der Grundlage der
schlösser und Ensembles von Peterhof,                                                                                                                                                     es an einer Stelle eher beiläufig: „In der     Forschungen des Museumsprojekts
Zarskoje Selo, Pawlowsk und Gattschina                                                                                                                                                    Zwischenkriegszeit erlitt Schloss Gatt­        ausführlich, und erst die Lektüre der
zum Gegenstand. Diese Orte „lagen alle                                                                                                                                                    schina enorme Verluste durch die Kunst­        ortsbezogenen Kapitel macht verständ­
                                                                                       Die vom Sicherheitsdienst im Katharinenpalast in
im Nordwesten Russlands und damit           beschädigten Schloss Gattschina –, die     Zarskoje Selo noch geborgenen Kunstschätze des                                                     verkäufe, angeblich über 100.000 Ob­           lich, was Eichwede in seinen eingangs
im Befehlsbereich der Heeresgruppe          vorgefundenen Kulturgüter zu sichten       Palastes, 1942                                                                                     jekte...“ Die unbeirrte Pflege und             zitierten Bemerkungen gemeint hat:
Nord“. Die gemeinsame militärstrategi­      und gegebenenfalls fortzuschaffen, wie                                                                                                        Bewahrung der Schlössersammlungen              dass es um die konkrete Darstellung der
sche Situation machte eine gemeinsame       es dem berühmtesten Beutestück, dem                                                                                                           durch die wissenschaftlichen Mitarbei­         handelnden Personen geht, um das
Untersuchung sinnvoll und zugleich          Bernsteinzimmer aus dem Katha­                                                                                                                terinnen und Mitarbeiter, die in dem           Ausmaß der Kriegsereignisse deutlich zu
einfacher, weil sich das Vorgehen der       rinenpalast in Zarskoje Selo, widerfuhr.                                                                                                      zitierten Kapitel herausgestellt wird, steht   machen wie zugleich die Tiefe der Ver­
Wehrmacht in diesem Frontbereich in         Das Argument der „deutschen Her­                                                                                                              durchaus im Gegensatz zur rigiden              letzungen, die der vom NS-Regime
einander ähnlichen, örtlichen Hand­         kunft“, mit dem der Abtransport des                                                                                                           Kulturpolitik der Stalinzeit vor 1941.         aufgezwungene Krieg verursacht hat.
lungen abbildet. Während die Städte im      Bernsteinzimmers nach Königsberg – wo                                                                                                         Umso tragischer, ja empörender sind die        So ist das Buch mit seinen vielfach auf
rückwärtigen Frontgebiet lagen, gerieten    sich seine Spur bis heute verliert – ge­                                                                                                      anschließenden Verluste durch die deut­        Augenzeugenberichten, Tagebüchern
die Zarenschlösser unmittelbar in den       rechtfertigt wurde, konnte für die zahl­                                                                                                      sche Besatzung.                                und Memoirenliteratur beruhenden
Frontbereich des Ringes um die Millio­      losen weiteren Beutestücke nicht in                                                                                                                Diese Verluste galt es zunächst           Schilderungen das eindrucksvolle Zeug­
nenstadt Leningrad, deren Eroberung         Anspruch genommen werden; so wird                                                                                                             einmal exakt zu bestimmen. Die Museen          nis gemeinschaftlicher Anstrengung, die
bereits im Herbst 1941 zugunsten der        auch die Rolle der deutschen Kunst­                                                                                                           und musealen Einrichtungen der Sowjet­         tatsächlichen Verluste zu benennen und
Belagerung bis zur erhofften Übergabe       schutzoffiziere, die in gemessenem Ab­                                                                                                        union kannten zwar mehr oder weniger           Spuren zu sichern, die im einen oder
aufgegeben wurde, so dass der Vormarsch     stand zur kämpfenden Truppe in die                                                                                                            ihre jeweiligen Verluste. Die großflächi­      anderen Fall doch noch zur Auffindung
zum Halten kam.                             eroberten Standorte einrückten, durch                                                                                                         gen Verschiebungen aber, die sich durch        und Rückgabe führen können und
     Der militärische Stillstand nach den   die Forschungen des Projekts kritisch                                                                                                         die in kurzer Zeit und meist ohne den          schon geführt haben. So rühmt das
Zerstörungen während des Vorstoßes der      beleuchtet. Was den Umgang mit der                                                                                                            nötigen Fachbeistand durchgeführten            vorliegende Buch die Rückgabe der bei
Wehrmacht erlaubte es den verschiedenen     Bausubstanz angeht, so wird im vorlie­                                                                                                        Rückführungen aus dem besiegten                Gläubigen als wundertätig geltenden
                                                                                                                                                  Soldat beim Betrachten der Ikonen-
Dienststellen, die sich nunmehr einrich­    genden Buch an einer Stelle die für die                                                               ausstellung im Pogankin-Palast in       Deutschen Reich ergaben, waren kaum            Mariä-Schutz-Ikone aus Pskow, die sich
teten – insbesondere   auch im kaum         ganze Ostfront erlassene Vorschrift über                                                              Pskow, Oktober 1942                     bis gar nicht oder jedenfalls nicht mit der    bis 2002 in deutschem Privatbesitz

26                                                                                                                                                               ARSPROTOTO 2 2019                                                                                              27
befand (Abb. S. 25), vermerkt aber           scher Länder, die beiden russischen                                                                                 SCHWERPUNKT DEUTSCH-RUSSISCHER MUSEUMSDIALOG
beiläufig, dass „das russische Kulturmi­     Städte zur mittelalterlichen Hanse, die

                                                                                                                                                                          „WIR LEISTEN
nisterium erst 1998 Interesse an dem         Paläste über dynastische Verbindungen
Verbleib“ der immerhin seit 1970 als         zu deutschen Fürstenhäusern“, heißt
existent bekannten Ikone zeigte. Auch        es in dem jetzt vorgelegten Buch. Und
das ist ein sprechendes Detail.              Wolfgang Eichwede urteilt: „Selten

                                                                                                                                                                         PIONIERARBEIT“
     Die Arbeit des Forschungsprojekts       haben sich zwei Völker und Kulturen so
zur Geschichte beispielhaft ausgewählter     nah zueinander definiert wie Russen und
russischer Museen im Zweiten Weltkrieg       Deutsche. Selten haben sie sich dann in
wäre nicht vollständig beschrieben,          zwei Weltkriegen so bitter bekämpft und
würde nicht auch das vorangehende            verletzt. Die Verbindung von Nähe und
Projekt „Kriegsverluste deutscher Mu­        Tod frappiert bis heute.“ Das vorliegende
seen“ erwähnt. Beide Projekte greifen        Buch ist eine Mahnung, ein Aufruf, sich     Sowjetische und deutsche Fachleute begutachten                                 Barbara Schneider-Kempf und Vadim Duda
ineinander, insofern sie die beiden Seiten   der langen und intensiven Verbindungen
                                                                                         den Zustand der Gemälde bei einem Zwischenauf-
                                                                                         enthalt in Berlin – hier vor Rem­brandts „Selbst-
                                                                                                                                                                           im Gespräch mit Anastassia Boutsko
ein- und derselben Geschichte beleuch­       zwischen beiden Seiten zu erinnern und      bildnis mit Saskia im Gleichnis vom verlorenen
                                                                                         Sohn“, Oktober 1955
                                                                                                                                                                      über die Errungenschaften und Perspektiven des
ten, eben der des Umgangs mit Kultur­        gemeinsam die Wunden des Zweiten
gütern während des Krieges und danach.       Weltkriegs, so gut es mehr als siebzig                                                                                       Deutsch-Russischen Bibliotheksdialogs
Die Bearbeitung der kriegs- und nach­        Jahre danach geht, zu schließen.
kriegszeitlichen Bestands- und Verlust­      Bernhard Schulz ist Kulturredakteur des
listen sowie der als Beutekunst ab April     Berliner Tagesspiegels.

                                                                                                                                                                 K
1945 empfangenen Objekte aus deut­
schem Besitz und der Vergleich dieser                                                                                                                                    aum ein Bereich der Kultur hat      direktorin der Staatsbibliothek zu Berlin
Daten mit aktuellen Bestands- und                                                                                                                                        im Zweiten Weltkrieg so gelitten    und Vadim Duda ist Generaldirektor der
Verlustdokumentationen präzisiert die                                                                                                                                    wie der der Bibliotheken und        Russischen Staatbibliothek Moskau.
bis dahin oftmals nur vage Kenntnis über                                                                                                                                 Archive. Die russische Seite
tatsächliche Verluste, während zugleich                                                                                                                                  spricht von 200 Millionen auf       Frau Schneider-Kempf, Herr Duda,
die Geschichte verlagerter Objekte von                                                                                                                           dem Territorium der Sowjetunion ver­        vor zehn Jahren ist der Deutsch-Rus­
der Nachkriegszeit bis heute nachge­                                                                                                                             nichteten oder verloren gegangenen          sische Bibliotheksdialog gegründet
zeichnet werden kann.                                                                                                                                            Bestandseinheiten, wobei in Russland        worden – eine Plattform zum Aus-
     Die sechs für das Museumsprojekt                                                                                                                            jedes aufbewahrte Dokument, etwa eine       tausch der Kolleginnen und Kollegen
ausgewählten Städte und Schlosskom­                                                                                                                              Zeitung, als Bestandseinheit galt – nicht   aus den beiden Ländern. Wie waren
plexe stehen „auf sehr unterschiedliche                                                                                                                          etwa gebundene Kompendien, wie es in        die damals gesetzten Ziele und wie ist
Weise über viele Jahrhunderte für beson­                                                                                                                         Westeuropa üblich war. Über 10 Millio­      die bisherige Erfahrung?
dere Beziehungen zur Geschichte deut­                                                                                                                            nen Kriegsverluste sind auf der deut­       Duda: Man muss sich vor Augen führen,
                                                                                                                                                                 schen Seite zu verzeichnen, darunter        wer den Deutsch-Russischen Biblio­
                                                                                                                                                                 750.000 Bücher allein aus der Staats­       theksdialog initiiert hat. Von russischer
                                                                                                                                                                 bibliothek zu Berlin. Als „kriegsbedingt    Seite wurde der Dialog von der M.I.
                                                                                                                                                                 verbrachte Kulturgüter“ wurden einzelne     Rudomino-Bibliothek für ausländische
                                                                                                                                                                 Bände, aber auch ganze Büchersammlun­       Literatur unter der Leitung von Ekate­
                                                                                                                                                                 gen und Archive, Handschriften, Inku­       rina Genijewa ins Leben gerufen. Die
                                                                                                                                                                 nabeln und frühe Buchdrucke auf zahl­       „Inostranka“ (M.I. Rudomino-Biblio­
                                                                                                                                                                 reiche russische Bibliotheken in Moskau,    thek für ausländische Literatur) hatte
                                                                                                                                                                 Petersburg, Rostow, Novosibirsk, Woro­      schon immer eine besondere historische
                                                                                                                                                                 nesch, Tomsk und andere Städte verteilt.    Mission. Die Bibliothek war schon
                                                                                                                                                                 Jahrzehntelang blieb der Verbleib der       immer Plattform für den Dialog, Anlauf­
                                                                                                                                                                 „Trophäen-Fonds“ und deren genaue           stelle und Vermittler zwischen Ost und
Corinna Kuhr-Korolev, Ulrike Schmie-                                                                                                                             Zusammensetzung russischen wie deut­        West im weitesten Sinne des Worts. Das
gelt-Rietig, Elena Zubkova in Zusammen-                                                                                                                          schen Fachleuten ein Geheimnis. Seit 10     Ziel dieser Gründung lag auf der Hand
arbeit mit Wolfgang Eichwede, Raub und                                                                                                                           Jahren versucht der „Deutsch-Russische      – man wollte Lösungen für komplexe,
Rettung. Russische Museen im Zweiten
Weltkrieg. Band 1 der Schriftenreihe
                                                                                                                                                                 Bibliotheksdialog“ Licht ins Dunkel zu      oft heikle Probleme finden, die nicht
„Studien zu kriegsbedingt verlagerten                                                                                                                            bringen.                                    durch diplomatische Noten oder Ver­
Kulturgütern“ der Kulturstiftung der                                                                                                                                 Für Arsprototo sprach die Kultur­       handlungen auf hoher, staatlicher Ebene
Länder und der Stiftung Preußischer                                                                                                                              journalistin Anastassia Boutsko mit den     gelöst werden können. Es ist erforder­
Kulturbesitz. Böhlau Verlag, Wien/Köln/
Weimar 2019. 383 Seiten mit 125 Abbil-                  Mitarbeiterinnen bei der Bestandsaufnahme in den                                                         beiden Vorsitzenden der Initiative:         lich, jene Parteien mit einzubeziehen, die
dungen, 45 Euro                                         Ruinen des Schlosses Gattschina                                                                          Barbara Schneider-Kempf ist General­        an bestimmten Angelegenheiten und

28                                                                                                                                           ARSPROTOTO 2 2019                                                                                      29
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