KULTUREN DES AUSTAUSCHS - PERSPEKTIVEN DES DEUTSCH-RUSSISCHEN MUSEUMSDIALOGS - Das Magazin der Kulturstiftung der Länder - Kulturstiftung der ...
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Das Magazin der Kulturstiftung der Länder 2 2019 KULTUREN DES AUSTAUSCHS PERSPEKTIVEN DES DEUTSCH-RUSSISCHEN MUSEUMSDIALOGS OTTO DIX IN DÜSSELDORF KULTURHAUPT- STADT EUROPAS 2025
EDITORIAL menschliches Leid geworden sind. Mit dem Schwer punkt „Deutsch-Russischer Museumsdialog“ widmet sich diese Ausgabe von Arsprototo den Möglichkeiten, DAS MITEINANDER die Kulturinstitutionen haben, um mit solchen sensib len Erzählungen auf respektvolle und behutsame Weise STÄRKEN umzugehen und in vollem Wissen um das Vergangene einer gemeinsamen Zukunft durch Austausch und part nerschaftlichen Dialog den Weg zu bereiten. Zu Wort kommen dabei Expertinnen und Experten aus Russland und Deutschland, die sich seit mehr als einem Jahr zehnt für diese ‚Kulturen des Austauschs‘ einsetzen und damit einen wichtigen Beitrag zu den deutsch-russi schen Kulturbeziehungen leisten. Das Miteinander steht auch im Mittelpunkt zweier Beiträge, die wichtigen Partnerinstitutionen der Kultur stiftung der Länder gewidmet sind, der Hermann Reemtsma Stiftung sowie der Ernst von Siemens Kunst stiftung. Ohne die enge, vertrauensvolle Partnerschaft Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder mit diesen und weiteren Förderinstitutionen könnte die Kulturstiftung der Länder ihre zahlreichen Aufgaben nicht angemessen erfüllen. Liebe Leserinnen und Leser, Miteinander im Wettstreit um den Titel „Kultur hauptstadt Europas 2025“ stehen in Deutschland „Wir müssen uns immer neu verständigen auf die derzeit mehrere Städte, die sich im Rahmen des von Werte, auf die Rahmenbedingungen und Grundlagen, der Kulturstiftung der Länder organisierten deutschen in denen wir im gesellschaftlichen Miteinander agieren Wettbewerbsverfahrens mit der Frage beschäftigen, wie wollen“, sagt der Hamburger Kultursenator Carsten Europa und die Idee der europäischen Einheit die Kul Brosda im Interview mit Arsprototo und beschreibt da tur einer Stadt maßgeblich prägen können und wie eine mit die Kernaufgabe einer Gesellschaft, die der Sozio Stadt ihren unverwechselbaren Platz in den vielfältigen loge Andreas Reckwitz unlängst als „Gesellschaft der kulturellen Landschaften Europas finden und behaup Singularitäten“ charakterisiert hat. Das stetige Aushan ten kann. Im Bericht „Kulturhauptstadt Europas 2025“ deln von Werten, Rahmenbedingungen und Grund erhalten Sie einen spannenden Einblick in die Wettbe lagen gesellschaftlichen Miteinanders ist dem Wesen werbsvorbereitungen der deutschen Bewerberstädte. nach ein Prozess des Kulturellen, in dem durch Erzäh Virtuoses, Fesselndes und vormals Bedrohtes begeg lungen Sinnangebote entstehen. Solche Erzählungen net Ihnen schließlich in den Rubriken „Erwerbungen“, „NUR DURCH GEGENSEITIGES VERTRAUEN, begegnen uns in ganz unterschiedlicher Form, sehr häu „Ausstellungen“ und „Restaurierungen“. Ebenso wie fig als Werke der Literatur, der Musik, der bildenden in „Zahlen und Fakten zur Kulturstiftung der Länder DEN UNGEHINDERTEN ZUGANG ZU DEN ARCHIVEN und darstellenden Kunst. Einen besonderen Wert für im ersten Halbjahr 2019“ finden Sie dort umfassende UND DURCH TRANSPARENZ KANN DIE ARBEIT die Gesellschaft haben solche Erzählungen dann, wenn ihre Sinnangebote überzeugen, Menschen dauerhaft Informationen zur Fördertätigkeit der Kulturstiftung der Länder. Ohne die fortgesetzte großzügige Unter AN DER GEMEINSAMEN GESCHICHTE miteinander verbinden und so Gemeinsamkeit stiften, auch über räumliche und zeitliche Distanzen hinweg. stützung aller 16 Länder wäre diese Fördertätigkeit nicht möglich, für mich ein weiterer, sinnfälliger Beweis DER VERLORENEN SAMMLUNGEN GELINGEN.“ Es ist die Gründungsidee der Kulturstiftung der für die Stärke des Miteinanders! Länder, diejenigen Vorhaben im Bereich Kunst und Kultur zu fördern, die von gesamtstaatlicher Bedeu Ihr Dr. Britta Kaiser-Schuster, Dezernentin der Kulturstiftung der Länder tung in dem Sinne sind, dass in ihnen das Verbindende und Gemeinsame in unserer Gesellschaft sichtbar wird. Dabei kann es beispielsweise um die Erwerbung von Werken der bildenden Kunst und der Literatur ge hen, die zu Referenzpunkten unserer Erzählungen über kulturelles und gesellschaftliches Zusammenleben in Deutschland geworden sind. Ebenso wichtig sind in diesem Kontext aber auch Projekte, die Dialog und Austausch in Situationen fördern, in denen Kulturgüter zum Gegenstand von Erzählungen über Verlust und ARSPROTOTO 2 2019 3
INHALT AUTOREN HANS-GEORG MOEK Trinks’ Leidenschaft gehört jedoch der Mediävistik. Für Arsprototo analysiert 3 EDITORIAL Mehrere 1.000 Kilometer ist Hans-Georg Trinks die sinistre Bildsprache des Renais 4 AUTOREN Moek schon durch den Berliner Friedrichs sancemalers Baldung und berichtet über hain gejoggt, bei seinem Training für die die sensationelle Entdeckung zweier Ironman-Distanz. Dennoch war er faszi niert, als er erfuhr, was sich dort 1945 im unbekannter Tafeln des Künstlers, die mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung ERWERBUNGEN Flakbunker abgespielt hat. Es sind aber jetzt nach Karlsruhe gelangten. nicht nur die Geschichten, die ihn faszinie ––– Seite 80 9 ECKELTERRINE D ren, sondern auch die Vielfalt der mögli für den Ruppiner Landrat Friedrich chen Erzählformate und Kommunikations Wilhelm von Schenckendorff kanäle. Hans-Georg Moek hat nach dem Studium der Philosophie und der Theo logie und einer Journalistenausbildung 10 SCHLITTSCHUHLÄUFER beim RBB-Fernsehen und als Sprecher IM TIERGARTEN im brandenburgischen Ministerium für von Adolph Menzel Wissenschaft, Forschung und Kultur ANASTASSIA BOUTSKO gearbeitet. In der Kulturstiftung der Länder 12 WEI ALABASTERRELIEFS Z ist er Leiter der Kommunikation und 1972 als Tochter einer Musikwissenschaft Chefredakteur. Hier produziert er Texte mit der Verkündigung an Maria lerin und eines Komponisten in Moskau und Videos, Interviews, Slideshows und geboren, wuchs Anastassia Boutsko in einer Fotos oder sonstigen Social Media-Con 14 OUVERTÜRE ZU DEN „SZENEN weltoffenen Künstlerfamilie auf, die sich tent. In den Podcasts können Sie seine AUS GOETHES ‚FAUST‘“ gegenüber der offiziellen politischen Linie Stimme hören. ––– Seite 48 von Robert Schumann in der Sowjetunion kritisch verhielt. Nach ihrem Studium der Linguistik und Philolo ANNA SCHULTZ gie zog es sie wie viele junge Menschen der Perestroika-Generation mit Anfang zwanzig Als Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kunstsammlung der Berliner Akademie der 15 BIBLIOTHEK in den Westen, auf der Suche nach neuen Künste betreut Anna Schultz die Bestände der Grafen zu Stolberg-Wernigerode Herausforderungen und Chancen. Boutsko der Kunst des 19. Jahrhunderts, die entschied sich für die Journalistik und Plakatsammlung und den künstlerischen 16 NABENKOPF (WILLI BLAB) K arbeitete fortan für öffentlich-rechtliche Nachlass von John Heartfield. Ihre Be von Gabriele Münter Sender wie WDR, SWR, Deutschlandfunk geisterung für die deutsche Kunst des 19. 15 SKIZZE ZU FIGURENBILD und Deutschlandradio Kultur, zudem Jahrhunderts wurde während ihres Studi schrieb sie für die Frankfurter Allgemeine ums in London geweckt. Zunächst speziali Zeitung, Monopol sowie viele andere sierte sie sich auf die Kunst auf Papier, hier (DER MALER) deutsche und russische Medien. Vor 20 insbesondere Druckgrafik. Nach langjähri von Willi Baumeister Jahren wechselte Boutsko zur Deutschen ger Tätigkeit in der grafischen Sammlung Welle, zunächst als freie Mitarbeiterin, des British Museum trat sie in Berlin eine ONSOLTISCH K dann als Redakteurin für Kultur und Leben. Zu ihren Kernthemen gehört seit STEFAN TRINKS Stelle am Kupferstichkabinett an und wechselte schließlich zur Berliner Akade von Franz Conrad Link 2001 auch der sogenannte Beutekunst Der Maler Hans Baldung, der in der mie der Künste. Seit einigen Jahren komplex. Bei ihren Recherchen und Künstlerinschrift auf dem Freiburger beschäftigt sie sich dort mit der Rolle der 17 T HRONENDE MADONNA MIT KIND Publikationen vermeidet sie stets den Hochaltar stolz „Grien“ als seinen Beina Akademie für die Berliner Kunstproduk eines Lucchesischen Meisters einseitigen Blick auf dieses hochkompli men angibt, fesselt den Kunsthistoriker tion seit dem späten 17. Jahrhundert. Ihr zierte und dramatische „Wimmelbuch der Stefan Trinks nicht erst seit seinem Vortrag Interesse gilt insbesondere der Rekon Geschichte“ und möchte damit einen zu Baldung auf dem Symposion des struktion der seit Kriegsende in weiten SCHWERPUNKT DEUTSCH-RUSSISCHER- Beitrag zum Dialog und dem gegenseitigen Mediävistenverbandes „Farbiges Mittel Teilen verschollenen bzw. zerstreuten Verständnis leisten. Für Arsprototo sprach alter“ im Jahr 2009. Der ausgebildete akademischen Lehrsammlung. Als sie 2013 Boutsko mit Barbara Schneider-Kempf und Vadim Duda über Durchbrüche und Mittelalterarchäologe buddelte auch schon in der Erde seiner Studienorte Bamberg erstmals das Depot der Kunstsammlung betrat, fiel ihr ein im Zweiten Weltkrieg MUSEUMSDIALOG Hindernisse des Deutsch-Russischen und Berlin nach mehr oder weniger schwer beschädigtes Gemälde von Oscar Bibliotheksdialogs. ––– Seite 29 farbigen Hinterlassenschaften. Trinks, der Begas gleich ins Auge. Für Arsprototo 20 VERTRAUEN UND TRANSPARENZ seit 2017 das Kunstressort der Frankfurter erzählt Schultz, wie dieses kapitale Werk Allgemeinen Zeitung leitet, promovierte wieder für die Öffentlichkeit zugänglich Der deutsch-russische Kulturdialog über die renaissancehaften Skulpturen des gemacht werden konnte. ––– Seite 114 — von Britta Kaiser-Schuster 11. Jahrhunderts entlang des spanischen Jakobswegs. Seine Habilitation untersucht eigenbewegte Stoffe vom frühen Mittelalter Titel: Clemente 24 RAUB UND RETTUNG bis in die zeitgenössische Kunst, also von Bandinelli, Bildnis Die Ergebnisse des Forschungsprojekts den schwebenden Grabtüchern im Sepul des Bacchio zur Geschichte russischer Museen crum Christi bis zu Jasper Johns’ „Flags“ Bandinelli, Florenz, 16. Jh., im Zweiten Weltkrieg liegen jetzt als und den Bildteppichen der Moderne. Als Privatdozent am Kunsthistorischen Institut 74 × 47 cm; Vor- Buch vor — von Bernhard Schulz der Humboldt Universität unterrichtet er kriegsabbildung 29 PIONIERARBEIT 24 die Kunstgeschichte in ihrer gesamten des Reliefs aus dem ehemaligen Breite, von den Elfenbeinschnitzereien der Kaiser-Friedrich- Barbara Schneider-Kempf und Beinzeit 42.000 v. Chr. bis hin zur Bild Vadim Duda über den Museum Berlin sprache aktueller Musikvideos. Stefan Deutsch-Russischen Bibliotheksdialog — von Anastassia Boutsko 4 ARSPROTOTO 2 2019 5
INHALT 80 IE ERNST VON SIEMENS KUNSTSTIFTUNG D Der Renaissancemaler Hans Baldung Grien — von Stefan Trinks AUSSTELLUNGEN 33 FALL 62: DIE WIEDERGEBURT 85 LEBENSMENSCHEN DES BACCIO BANDINELLI Das Lenbachhaus München präsentiert das Das Forschungsprojekt „Kriegsverluste deutscher Künstlerpaar Marianne von Werefkin und Museen“ klärt ungelöste Fälle auf Alexej von Jawlensky — von Naomi Rado — von Hans-Georg Moek mit Anastasia Yurchenko 89 AISER UND SULTAN K 38 NÄHE UND EINIGKEIT Das Badische Landesmuseum zeigt Orient und Ein Gespräch mit Zelfira Tregulova, der General- Okzident als Nachbarn in Europas Mitte 33 direktorin der Tretjakow-Galerie in Moskau im 17. Jahrhundert — von Jennifer Scheibel 43 GEMEINSAMES KULTURELLES EIGENTUM 92 I MPRESSIONISMUS IN LEIPZIG Ein Gespräch mit Karina Dmitrieva, der wissenschaft- Das Museum der bildenden Künste lichen Leiterin der Rudomino-Bibliothek in Moskau rekonstruiert Ausstellungen von Liebermann, Slevogt und Corinth — von Clara Vogel 46 VON TRAGENDER BEDEUTUNG Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg möchte einen frühitalischen Gefäßständer restaurieren 64 85 95 96 97 NACHRICHTEN NEUE BÜCHER FREUNDESKREIS / SERVICE 104 48 FÜR DAS GEFÜHL EINES MITEINANDERS Ein Gespräch mit Carsten Brosda über die 98 KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN gesellschaftspolitische Bedeutung von Kunst und Kultur — von Hans-Georg Moek ZAHLEN UND FAKTEN ZUR KULTURSTIFTUNG DER LÄNDER 2019 52 ULTURELLES ERBE K 104 KULTURHAUPTSTADT VERMITTELN EUROPAS 2025 Rede zum Auftakt des 9. Kinder zum Acht Visionen für eine europäische Zukunft Olymp-Kongresses in Weimar — von Markus Hilgert 58 DIE MUSE DER STUNDE Otto Dix’ Porträt der Kunsthändlerin Johanna Ey RESTAURIERUNGEN in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen 110 V ON KAOLIN ZU EPOXID — von Oliver Jungen Die „Elementvasen“ im Dresdner Residenzschloss — von Stephanie Tasch 64 AUS LICHT UND SCHATTEN 114 P OMPEJI GERETTET Die Kunstsammlungen Gera konnten 28 Fotografien Oscar Begas’ Gemälde „Der Untergang von Aenne Biermann erwerben — von Johannes Fellmann Pompejis“ in der Berliner Akademie 71 EIN LÖWE FÜR DEN LÖWEN der Künste — von Anna Schultz Der „Liegende Löwe“ von August Gaul in der 118 M ARIENKRÖNUNG James-Simon-Galerie auf der Berliner Museumsinsel Eine neapolitanische Altartafel im Lindenau- — von Natascha Königs Museum Altenburg — von Johannes Schaefer PARTNER DER KULTURSTIFTUNG 120 IMPRESSUM / SOCIAL MEDIA / BILDNACHWEIS DER LÄNDER 76 IE HERMANN REEMTSMA STIFTUNG D Die Kunstpioniere Aby Warburg und 89 121 FÖRDERER DER ERWERBUNGEN, AUSSTELLUNGEN UND RESTAURIERUNGEN IN DIESEM HEFT Hugo Simon — von Carolin Vogel 122 FREUNDESKREIS ARSPROTOTO 2 2019 7
ERWERBUNGEN ERWERBUNGEN SILBERNER ABSCHIED Neuruppin, 1860: Die Ruppi- ner Kreisstände machen dem scheidenden Landrat, Fried- rich Wilhelm von Schencken- dorff (1794–1861), ein Ge- schenk. Der auf Wulkow bei Neuruppin ansässige Gutsbe- sitzer war als Major Teil des preußischen Militärs, bevor er der Provinz Brandenburg als oberster Vertreter der Kom- munalverwaltung diente. Steht Schenckendorff selbst für eine Phase der preußi- schen Verwaltung durch adlige Ständevertreter, die im späte- ren 19. Jahrhundert zuneh- mend durch ausgebildete Verwaltungsjuristen abgelöst wurde, so vermittelt sein Abschiedsgeschenk aus heuti- ger Perspektive ebenfalls deutliche Signale des Um- bruchs. Angefertigt wurde die opulente, silbervergoldete Deckelterrine mit Präsenta- tionsplatte in einer be- kannten Berliner Silber- warenfabrik, die 1819 mit königlicher Unterstüt- zung gegründet, seit 1859 von dem Hofgold- schmied Wagner und dem Kaufmann Sy geleitet wurde. Die Firma Sy & Wagner produzierte (auch seriell) anspruchsvolle Hand- werkskunst in traditionellen Formen, und in diesem Fall mit zeitgenössischen Motiven. Besonders auffallend ist die Darstellung des Neuruppiner Kreiskrankenhauses, für „WAS AN DER WIRKLICHKEIT AUSDRUCKSVOLL IST, dessen Bau sich Schencken- dorff eingesetzt hatte. Aus HOLE ICH HERAUS, STELLE ICH EINFACH DAR, dem Kunsthandel mit Unter- stützung der Kulturstiftung der Länder für die Museen OHNE UMSCHWEIFE, OHNE DRUM UND DRAN.“ Alte Bischofsburg in Witt- stock a. d. Dosse erworben, Gabriele Münter (1877–1962) vermittelt das Ehrengeschenk des Landrats künftigen Besu- cherinnen und Besuchern die Identität einer Region im Wandel, am Beispiel eines Kunstwerks an der Schwelle zur industriellen Revolution. Deckelterrine auf Présentoir für den Ruppiner Landrat SEITE 9–17, 58–75 Friedrich Wilhelm von Schen ckendorff, 1860; Museen Alte Bischofsburg, Wittstock a. d. Dosse ARSPROTOTO 2 2019 9
ERWERBUNGEN WINTER VERGNÜGEN Wie kommt die Großstadt ins Bild? Adolph Menzel (1815 – 1905) war ebenso Chronist eines imaginierten historischen Preußen wie Beobachter seiner Gegenwart. In der kürzlich in einer Privatsammlung (wieder) entdeckten Darstellung von Schlittschuhläufern im Ber liner Tiergarten bringt er das Kunststück fertig, ein Medium des 18. Jahrhunderts – das Pastell – so zeitgenössisch aussehen zu lassen wie das neue Medium Fotografie. Nicht zuletzt, indem er eine traditionelle Technik einsetzt, um das moderne Leben mit seinen urbanen Vergnügungen in Kunst zu verwandeln. Entstanden zum Jahresbeginn 1856, nach seinem ersten Paris-Besuch, skizziert Menzel, was die Fotografie damals noch nicht leisten kann: Vor unseren Augen weitet sich der Blick in den verschneiten Park, eine Gruppe von Eisläufern kommt frontal auf uns zu, um sich kurz vor der Kollision (oder der Grenze zwischen Bild und Realität) zu teilen. Menzel notiert Bewegung und Atmo- sphäre, Individuen zwischen Schwung und Sturz. Dabei arrangiert er seine Menge wie ein Choreograph; denn bei aller scheinbaren Spontaneität, die zur Technik der Pastell- kreide gehört, sehen wir eine Komposition, keinen sponta- nen Eindruck vor dem Motiv, wie eine Studie für die tänze- risch bewegte Frauenfigur im Vordergrund in einem der Skizzenbücher Menzels (Kup- ferstichkabinett – Staatliche Museen zu Berlin) zeigt. Mit Unterstützung der Kultur stiftung der Länder in einer Versteigerung erworben, bereichern die „Schlittschuh- läufer“ nun im Berliner Kupferstichkabinett den weltweit größten und bedeu- tendsten Bestand an Werken Menzels. Adolph Menzel, Die Schlitt schuhläufer, 1855/1856, 36,8 × 52,8 cm; Staatliche Museen zu Berlin, Kupfer stichkabinett 10 ARSPROTOTO 2 2019 11
ERWERBUNGEN Maria, durch den Erzengel Gabriel im Erforschung des ursprünglichen Entste zugte man den besonders weißen Stein Vorstellbar ist eine Einbindung in Reta niederländischen Skulptur im Museum Landeanflug aufgeschreckt, verharrt hungszusammenhangs der Werke bisher in hellgrauer Marmorierung, der von bel oder Lettner, der architektonischen Schnütgen. IN FROHER schon mit andächtiger Händefaltung: Sie nicht möglich. Jetzt will das Museum kräftigen, dunkelgrauen Adern durch Schranke zwischen Laien und Mönchen hat die Verkündigung erhalten und wird Schnütgen in Köln seine Neuerwerbung zogen ist. Ganz ungewöhnlich ist auch, bzw. Priestern in Kloster- und Stiftskir Alabasterreliefs mit der Verkündigung ERWARTUNG den Wunsch Gottes erfüllen, seinen aus der Blütezeit der Alabasterskulptur dass die Schriftbänder erhaben aus dem chen. Als national bedeutende Zeugnisse an Maria, um 1410 –1420, Sohn auf die Welt zu bringen. Über 100 des sogenannten Schönen Stils genauer Material geschält wurden. Eine spätere aus der Blütezeit der vermutlich im 28,5 × 28,5 × 6 cm; Museum Jahre befanden sich die beiden erstrangi unter die Lupe nehmen. Über das Mate Zutat wird die farbige Fassung sein, höfischen Auftrag entstandenen Kunst Schnütgen, Köln gen Alabasterreliefs aus dem frühen 15. rial glaubt Direktor Moritz Woelk dem ergaben bereits Materialuntersuchungen. der Internationalen Gotik schließen die Jahrhundert in deutschem Privatbesitz. Ursprung der Reliefs näherzukommen. Bei der ursprünglichen Aufstellung der beiden Reliefs eine klaffende Lücke Deshalb war eine wissenschaftliche In den südlichen Niederlanden bevor Reliefs gibt es noch Klärungsbedarf: der Präsentation der rheinischen und 12 ARSPROTOTO 2 2019 13
ERWERBUNGEN ÖFFENTLICHES WISSEN Eine von Graf Wolf Ernst zu Stolberg (1546 –1606) begründete Bibliothek zählte mit geschätzten 4.000 Bänden im 16. Jahrhundert zu den größten in den deutschen Landen. Nachfolgende Generationen schenkten ihr kaum Beachtung, erst unter Graf Christian Ernst zu Stolberg-Wernigerode (1691–1771) erlebte die Bibliothek eine neue Blütezeit. Der Graf erklärte die Bibliothek bereits 1746 zur „Öffentlichen Bibliothek“, woraufhin die mittlerweile 10.000 Bände nun zweimal wöchentlich von wissen- schaftlichen Interessenten eingesehen werden konnten. Auf über 135.000 Bände war die Bibliothek in den 1920er-Jahren angewachsen, doch das Fürstenhaus war aufgrund massiver wirtschaftlicher Schwierigkeiten zum Verkauf der wertvollsten Exemplare gezwungen. Allein der renommierte Berliner Buchantiquar Martin Bres- lauer (1871–1940) verkaufte rund 35.000 Bände, bevor die Zusammen- arbeit mit dem als Juden verfolgten Experten 1933 beendet wurde. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde die Bibliothek geschlossen. Eine russische Trophäenkommission transportierte nach Kriegsende den größten Teil der Drucke in die Sowjetunion ab, weitere Bände gingen in den Besitz des Landes Sachsen-Anhalt über. 2017 bot ein Potsdamer Antiquariat 55 Bücher aus Spannungsreiche Streicher den von Breslauer verkauften Bestän- den zum Verkauf an. Mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder erwarb die Schloss Wernigerode GmbH den Wohlbekannt ist Robert Schumanns (1810 – Kulminationspunkt des Schumann’schen Querschnitt durch die einstigen Bestände, darunter Gesangbücher 1856) Begeisterung für das literarische Komponierens nennen kann: Die expressi und Bibeln – auf Deutsch, Türkisch Werk Goethes, die „Faust-Szenen“ nehmen ven Schwünge der Crescendi vereinen sich und Hebräisch –, technologische im Œuvre des Komponisten einen exzepti auf dem Papier mit Akzentuierungen und Fachbücher, zoologische, astrologi- sche und philosophische Werke. Die onellen Rang ein. Weit weniger bekannt ist Anmerkungen des Komponisten. Zusam Bände stammen vor allem aus der hingegen Schumanns Handschrift zu den men evozieren sie das spannungsgeladene ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts „Szenen aus Goethes Faust“. Ursprünglich Schriftbild, das der Dramatik der zweistün und spiegeln eindrücklich die Inte der Sammlung Wiede entstammend, kam digen musikalischen Aufführung bereits ressen und Sammelleidenschaft des Grafen Christian Ernst wider. Das das Werk erst im vergangenen Jahr bei einer vorauseilt. Inspiriert wurde die innovative erworbene Konvolut ist nun in Versteigerung in Paris wieder ans Licht. Mit Komposition, an der Schumann in mehre historischen Schränken wieder im Unterstützung u. a. der Kulturstiftung der ren Schüben in der Zeit von 1844 bis 1853 Schloss Wernigerode der Öffentlich- keit zugänglich. Länder konnte das Freie Deutsche Hoch schrieb, vom Text des Faust II. stift in Frankfurt am Main das Autograph erwerben und damit nun erstmals in einer Die Ouvertüre zu Schumanns „Szenen aus öffentlichen Sammlung zugänglich ma Goethes ‚Faust‘“ in der Handschrift des chen. Die Notationsskizzen fallen in keiner Komponisten (2. Fassung), Klavierauszug, Weise hinter das zurück, was man den 1853; Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum 14
BELLA FIGURA 1958 legte der Direktor Rudolf Bornschein mit dem Ankauf des Gemäldes „Peruanische Mauer“ von Willi Baumeister (1889 –1955) den Grundstein für den Sammlungsschwerpunkt des Saarland museums. Mit „Skizze zu Figurenbild (Der Maler)“ erwirbt das Saarbrücker Museum jetzt ein Frühwerk des Bauhaus-Malers. Willi Baumeister, Skizze zu Figurenbild (Der Maler), 1923, 65 × 46,5 cm; Saarlandmuseum, Saarbrücken DER NACHBARSJUNGE Nachdem Gabriele Münter (1877–1962) im Sommer 1908 mit ihrem Partner Wassily Kandinsky und dem befreundeten Paar Werefkin-Jawlensky in Murnau gemalt hatte, verbrachte sie den Winter in München. Dort, in der Adalbertstraße 19, befanden sich ihr Atelier und die Wohnung des Vergolders August Blab, dessen siebenjährigen Sohn Willi Blab die Expressionistin verbildlichte. In Köln zeigte Münter im gleichen Jahr erstmals ihr Schaffen in einer Ausstellung. 1925 setzte sich – ebenfalls in Köln – der Leiter des Kölner Kunstvereins, Josef Haubrich, für ihre erste Einzelaus stellung ein. Haubrichs Sammlung bildet heute den Grundstock des Museum Ludwig, in dessen Dauerausstellung jetzt auch das Porträt Blabs einen Platz einnimmt. Gabriele Münter, Knabenkopf (Willi Blab), 1908, 39,7 × 33,1 cm; Museum Ludwig, Köln TRADITION DER THRONENDEN Ein unbekannter Maler kombinierte im italienischen Lucca um 1260/70 die damals typischen Motive der stehenden und der sitzenden Madonna 61 EINZELTEILE und beeinflusste damit nachfolgende Künstlergenerationen maßgeblich. Die Dank des kunstsinnigen Kurfürsten Carl Theo- „Thronende Madonna mit Kind“ steht dor von der Pfalz (1724 –1799) lief nicht nur die am Anfang der europäischen Tafelbild- Residenzstadt Mannheim, sondern auch die tradition. Franz von Lenbach brachte benachbarte Frankenthaler Manufaktur zu das Bild im 19. Jahrhundert nach Höchstform auf. Aus vermutlich 61 Teilen wurde München. Seine Tochter Gabriele von dort um 1770 das wohl weltweit größte aus Neven DuMont übergab es 1968 als Porzellan gefertigte Möbel geschaffen. Der mit Dauerleihgabe ins Wallraf-Richartz- dem Monogramm des Kurfürsten geschmückte Museum & Fondation Corboud. Konsoltisch verschwand auf unbekannten Wegen Nachdem ein Abzug durch die Eigen- und tauchte erst 1991 bei einer Auktion wieder tümer noch rechtzeitig abgewendet auf. Nach über siebzehn Jahren in Privatbesitz ist werden konnte, wird das bis heute dieses Zeugnis höfischer Repräsentation nun an älteste Gemälde des Museums nun seinen historischen Standort im Mannheimer dauerhaft in Köln gezeigt. Schloss zurückgekehrt. Lucchesischer Meister, Thronende Franz Conrad Link, Konsoltisch mit Franken Madonna mit Kind, um 1260/70, thaler Porzellanzarge, um 1770, 104 × 63 cm; Wallraf-Richartz- 84 × 99 × 52 cm; Schloss Mannheim Museum & Fondation Corboud, Köln
SCHWERPUNKT Ruine des Zarenschlosses Gattschina, um 1944 DEUTSCH-RUSSISCHER MUSEUMSDIALOG „KULTUR WAR IMMER EINE PLATTFORM, AUF DER ÜBEREINSTIMMUNGEN UND KOMPROMISSE MÖGLICH WAREN. IN UNSERER ARBEIT WOLLEN WIR ERKLÄREN, ZEIGEN UND ERZÄHLEN, DASS UNS VERBINDET, WAS UNS EIGENTLICH VONEINANDER TRENNEN SOLLTE." Ekaterina Genieva (1946 –2015), ehemalige Generaldirektorin der Allrussischen Staatlichen M.-I.-Rudomino-Bibliothek für ausländische Literatur in Moskau SEITE 20–45 18 ARSPROTOTO 2 2019 19
SCHWERPUNKT DEUTSCH-RUSSISCHER MUSEUMSDIALOG ein umfangreiches Buchkonvolut der Gemälden an die Staatlichen Kunst Konferenzen von Jalta (Februar) und Potsdam Rossi-Bibliothek aus deutschem Privat sammlungen Dresden als Freundschafts (Juli/August). VERTRAUEN UND besitz nach Schloss Pawlowsk zurückge geste für den Militärpartner DDR an Im Februar erfolgt die Grün- führt. Seit 2015 konnten aus Privatbesitz gekündigt. Die noch im gleichen Jahr dung einer Sonderkommission mehrere Rückgaben an ein Partnermu erfolgte erste Restitution von bedeuten 1945 mit dem Ziel, die Koordinie- rung des Abtransports von seum in Nowgorod erfolgen. 2017 den Werken Dürers, Jan van Eycks sowie Trophäengut, unter anderem TRANSPARENZ kehrte nach über 70 Jahren das Gemälde von Raffaels „Sixtinischer Madonna“ von musealer und generell „Waldweiher“ (1881) von Wassili D. bildete den Auftakt der umfangreichen kultureller Bedeutung, zu übernehmen. Mit der Erklä- Polenow aus der Kunsthalle Kiel zurück Aktion, durch die ab September 1958 rung der deutschen Gesamt ins südrussische Taganrog. Polenovs Bild wertvolle Kunstschätze aus Moskau und kapitulation am 8. Mai endet war eines von mehr als 4.500 Kunst dem damaligen Leningrad zurückkehr der Zweite Weltkrieg. Im Oktober erlässt die Sowjet- Der deutsch-russische Kulturdialog der werken, die Taganrog während der ten. Sie wirkte als Impuls für den Wie regierung ein Ausstellungs deutschen Okkupation verloren hatte. deraufbau der kriegszerstörten Museen Kulturstiftung der Länder Diese Rückgaben werden in Russland in Mittel- und Ostdeutschland: Anfang verbot von aus Nachkriegs- deutschland verlagerten mit großer Freude gefeiert und stehen Oktober 1959 wurden das Pergamon Kunstwerken. Dieses Verbot von Britta Kaiser-Schuster kann als erster Schritt einer für den hohen Stellenwert dieser einzel museum mit dem zurückgekehrten einzig Geheimhaltung von kriegs nen Gesten von Wiedergutmachung. artigen Altarfries sowie große Teile des bedingt verlagertem Kulturgut Mit dem Projekt „Verlust + Rück Bode-Museums wiedereröffnet. Ähnlich angesehen werden. Gründung der amerikanischen D gabe“ startete der Deutsch-Russische war es in Dresden, wohin 600.000 Central Collecting Points in ie Kulturstiftung der Länder land erzielt werden. Forschungen zur Museumsdialog 2008 seine Initiative. Kunstwerke zurückgegeben wurden, aber versteht sich seit ihrer Gründung Sammlungsgeschichte zu unterstützen 1907 Haager Landkriegsordnung, die Anlass war der 50. Jahrestag der zweiten auch in Dessau, Gotha, Leipzig oder in München und Wiesbaden im Jahr 1988 als Förderin und sowie die Wege der einzelnen Kunst jede vorsätzliche Entfernung, Zerstörung oder Beschädigung großen Rückgabeaktion von über 1,5 den Potsdamer Schlössern gab es spekta 1945— Abtransport von Kultur gütern aus deutschen Beraterin der Museen, Bibliothe werke während des Krieges und danach von Denkmälern und Kunst- werken untersagt Millionen Kunstwerken aus der Sowjet kuläre Wiedereröffnungen. Unter Beteili 1947 Museen, Bibliotheken und ken und Archive in Deutschland. für die deutschen und russischen Museen union an die Deutsche Demokratische gung von 28 deutschen Museen hat der Archiven in die Sowjetunion So ist es ihr auch ein Anliegen, wichtige kulturpolitische Themen aufzugreifen zu rekonstruieren, bilden einen besonde ren Schwerpunkt der Aktivitäten des Republik in den Jahren 1955 bis 1958. Insgesamt hatten die deutschen Museen DRMD 2008 an dieses Ereignis erinnert: 50 Jahre danach zeigten dazu neun der 1945— Rückgaben von Kultur gütern aus den Central und in Projekten mit Modellcharakter zu DRMD. Restitutionsfragen werden in über 2,5 Millionen Kulturgüter verloren. beteiligten Museen in Ausstellungen die 1948 Collecting Points an die Sowjetunion bearbeiten. diesem Zusammenhang ausgeklammert, Am 31. März 1955 hatte der Minister- Geschichte ihrer zunächst verlorenen und Als Einrichtung, die im Auftrag der sie sind auf Regierungsebene zu behan- rat der Sowjetunion die Rückgabe von dann wiedergewonnenen Kunstwerke. 1948 Alle Informationen über kriegsbedingt verlagerte 16 Länder Vorhaben und Initiativen von deln. Kunstbestände in sowjeti- gesamtstaatlicher Bedeutung im Bereich In den letzten Jahren hat sich der schen Museen werden in Kultur fördert, unterstützt die Kulturstif DRMD zu einem wichtigen Fundament der UdSSR als Staatsge- heimnis eingestuft. tung der Länder den Austausch zwischen deutsch-russischer Kulturbeziehungen kulturerhaltenden Institutionen in entwickelt. Er ist vertrauenswürdiger Russland und Deutschland aktiv und Ansprechpartner für Museen und Kul engagiert. tureinrichtungen in beiden Ländern und In diesem Kontext ist der Deutsch- übernimmt zunehmend Beratungsauf Russische Museumsdialog (DRMD) zu gaben, beispielsweise bei der Suche nach sehen, der 2005 in Berlin gegründet geeigneten Kooperationspartnern. So wurde, um den fachlichen Austausch startete 2019 auf Empfehlung der Kul und neue Kooperationen zwischen turstiftung der Länder die Staatliche deutschen und russischen Museen auf Tretjakow-Galerie in Moskau eine Zu den Weg zu bringen. In bilateralen sammenarbeit mit den Staatlichen Forschungsprojekten werden die Kriegs Kunstsammlungen Dresden. Das Inter verluste deutscher und russischer Museen view, das Arsprototo aus diesem Anlass bearbeitet. Der Dialog wurde initiiert mit Zelfira Tregulova, der Generaldirek Überfall der deutschen Wehr- von der Stiftung Preußischer Kulturbe torin der Tretjakow-Galerie, in Moskau macht auf die UdSSR; in der Folge werden russische, ukrai- Rückgabe von Kunstwerken sitz, der Kulturstiftung der Länder und geführt hat, finden Sie ab Seite 38 in nische, weißrussische Museen, aus Moskau und Kiew an über 80 deutschen Museen, um deutsch- diesem Heft. Auch bei der Erforschung Bibliotheken und Archive von die Dresdner Gemälde verheerenden Zerstörungen galerie, darunter die russische wissenschaftliche Vorhaben zu und Organisation von Restitutionen von verstärken und auch kleinere Häuser in Kulturgütern, die aus Deutschland an 1941 und Verlusten betroffen. Rückgabe von Teilen der Rossi-Bibliothek 1955 „Sixtinische Madonna“ beiden Ländern einzubeziehen. Damit die russischen Herkunftsmuseen zurück Auf Beschluss des Staatlichen in Leipzig: Alexej Beitritt der UdSSR zur Verteidigungskomitees der Gusanow vom Schloss- Haager Konvention zum soll nicht nur Aufklärung über die gegeben werden können, übernahm der kriegsbedingt verbrachten Kunst- und DRMD die Federführung. So wurde 1943 UdSSR (GKO) werden im Februar sogenannte Trophäen- museum Pawlowsk (r.) und Stephan Graf von Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten Kulturgüter in Deutschland und Russ 2013 auf Basis bisheriger Forschungen brigaden ins Leben gerufen. der Schulenburg (l.) 1957 (BRD seit 1967) 20 ARSPROTOTO 2 2019
Wassili D. Polenow: Wald- 1958 Insgesamt werden über 1,5 Millionen Kunstwerke 1950er-Jahre. Nachgezeichnet wurden diesem Heft. Nach den Katalogen zu den weniger die Geschichte der einzelnen Sammlungen Friedrich-Werner Graf von weiher, 1881, von der UdSSR an die 134,5 × 90,5 cm; DDR zurückgegeben. Kunstwerke, sondern der einzelnen der Schulenburg (2009) und Peter Graf Kunstmuseum Sammlungen, die Wege zurück in ihr Yorck zu Wartenburg (2012) erschien Taganrog Herkunftsmuseum, ihre Weitertrans 2019 die Publikation des Katalogs der porte innerhalb der Sowjetunion oder „Bücher der Bibliothek der Grafen ihre Verlagerung durch die Deutsche Hardenberg in russischen Sammlungen“. Wehrmacht. Das deutsch-russische Der Katalog verzeichnet circa 600 Bü Forschungsprojekt wurde unterstützt cher in sechs russischen Bibliotheken. durch die Volkswagen-Stiftung. Gemeinsam recherchierten diese die 1994 Weitere Ausstellungen von kriegsbedingt verlagertem Mit der Publikation „Russische Herkunft ihrer Bestände und erschlossen Kulturgut in St. Petersburg Museen im Krieg“ starteten die Kultur so ein weiteres Kapitel der Geschichte und Moskau stiftung der Länder und die Stiftung deutsch-russischer Kulturgutverlagerun Preußischer Kulturbesitz dieses Jahr ihre gen. Sämtliche der 15.000 Bände, welche neue Schriftenreihe „Studien zu kriegs die Bibliothek des preußischen Staats bedingt verlagerten Kulturgütern“ und kanzlers und Reformers von Hardenberg setzten damit ein Zeichen für die bilate bei seinem Tod zählte, wurden im Zuge rale wissenschaftliche Kooperation. Jenseits der Initiativen im Museums der Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone in Staatseigentum über 1999 Das von der russischen Duma 1995 vorbereitete bereich verbindet die Kulturstiftung der führt. Während eine Hälfte in Deutsch Gesetz, das deutsches kriegs- bedingt verlagertes Kulturgut Länder mit der Allrussischen Staatlichen land verblieb und sich heute in der zu russischem Eigentum M.-I.-Rudomino-Bibliothek für auslän Zentral- und Landesbibliothek Berlin erklärt, tritt endgültig in dische Literatur in Moskau bereits seit befindet, transportierte die Rote Armee Kraft. 2006 eine erfolgreiche Kooperation im vermutlich 600 Bände ab. Der Verbleib Kontext der Publikationsreihe über die „Bibliotheken des deutschen Wider der restlichen Bestände ist bis heute ungeklärt. 2002 Die mittelalterlichen Glas- fenster der Marienkirche stands“, deren Erstellung die Kultur Damit ist ein für die Forschung und kehren nach Frankfurt/Oder zurück. stiftung der Länder unterstützt. Ein in die interessierte Öffentlichkeit wichtiger Moskau geführtes Interview mit Karina Schritt in Richtung Aufklärung unter Dmitrieva, wissenschaftliche Leiterin in nommen worden. Diese Form der ge der Bibliothek, finden Sie ab Seite 43 in meinsamen Erforschung deutscher Mit der Erforschung der Verluste deut Forschungsprojektes. Auch die Unter wie russischer Kriegsverluste steht im scher Museen in Kriegs- und Nachkriegs suchungen zu den vermissten Kunst- Zentrum der Kooperation zwischen zeit hinsichtlich kriegsbedingt verbrach werken des Museums Schloss Frieden der Kulturstiftung der Länder und der ter Kulturgüter in die Sowjetunion, sehr stein in Gotha mündeten in eine Zusam Rudomino-Bibliothek wie auch der konkret der Rekonstruktion der Ge menarbeit mit dem Puschkin-Museum Arbeit des Deutsch-Russischen Biblio schichte der einzelnen Objekte, unter in Moskau, das 2016 nicht nur die erste theksdialogs. Deutsche und russische 2008 Veranstaltung im Pergamon- museum „Verlust + Rückgabe“ stützt der DRMD seit 2008 die Museen große Cranach-Ausstellung in Russland, Bibliotheken haben sich – auf Initiative des DRMD aus Anlass des darin, größere Klarheit über Art und sondern auch erstmals wieder nach Im Zuge der politischen und der Rudomino-Bibliothek und der 50. Jahrestages der großen Umfang ihrer verlorenen Kunst zu dem Zweiten Weltkrieg die komplette gesellschaftlichen Umbrüche in Kulturstiftung der Länder analog zum Rückgabeaktion in den der Sowjetunion beginnt eine 1950er-Jahren gewinnen. Auf dieser Basis können die Gothaer Cranach-Sammlung zeigte. Deutsch-Russischen Museumsdialog – Diskussion über bis dahin mehr Wege der Kunstwerke von deutschen 2017 war das Puschkin-Museum dann oder weniger geheimgehaltene 2009 zu einem Bibliotheksdialog und russischen Kolleginnen und Kolle zu Gast in Gotha mit Meisterwerken Bestände von kriegsbedingt zusammengeschlossen. gen gemeinsam untersucht sowie in der französischen Kunst. 1989/ verlagertem Kulturgut. Nur durch gegenseitiges Vertrauen, Publikationen und Ausstellungen der Jenseits der Verlustgeschichte deut 1990 In der Eremitage werden den ungehinderten Zugang zu den Öffentlichkeit wieder zugänglich ge scher Museen wurde die Aufarbeitung Exponate aus einem Konvolut Archiven und durch Transparenz kann macht werden. Gelungene Beispiele auf der Geschichte der russischen Verluste der Bremer Kunsthalle aus die Arbeit an der gemeinsamen Ge Basis der detaillierten Objektrecherchen befördert. Mehr als 170 russische Mu gestellt („Baldin-Sammlung“). schichte der verlorenen Sammlungen Die Kunstschätze wurden des DRMD sind die Kooperationen seen waren von Kriegsverlusten betrof nach dem Zweiten Weltkrieg gelingen und auf dieser Basis ein neues zwischen den Berliner Gemälde- und fen. Untersucht wurden deshalb exem in die UdSSR gebracht. Kapitel deutsch-russischer Kulturko Skulpturensammlungen der Staatlichen plarisch die bedeutendsten Sammlungen Abkommen über kulturelle operationen eröffnet werden. Museen zu Berlin und dem Puschkin- in Nowgorod und Pskow sowie der vier Zusammenarbeit zwischen Dr. Britta Kaiser-Schuster ist Dezernentin Museum in Moskau im Rahmen des Zarenschlösser um Sankt Petersburg, Deutschland und Russland. und Projektleiterin „Deutsch-Russischer Die Vereinbarung sieht u. a. Zurückgegeben an die Akademie der Künste Berlin: Ausstellungsprojektes „Das verschwun Zarskoje Selo, Peterhof, Gattschina und die Restitution verschollener das von Anton Graff gemalte Porträt von Johann Museumsdialog“ bei der Kulturstiftung der dene Museum“ und des Donatello- Pawlowsk von 1941 bis in die frühen oder unrechtmäßig ver- Friedrich Reinecke aus der Städtischen Galerie Länder. brachter Kulturgüter an Dresden 1992 deren Eigentümer vor. 22 ARSPROTOTO 2 2019 23
SCHWERPUNKT DEUTSCH-RUSSISCHER MUSEUMSDIALOG RAUB UND RETTUNG. RUSSISCHE MUSEEN IM ZWEITEN WELTKRIEG Die Ergebnisse des großen Forschungsprojekts zur Geschichte russischer Museen im Zweiten Weltkrieg liegen jetzt in Buchform vor von Bernhard Schulz D ie Frage der Rückgabe kriegsbe sowjetischen Sieg über Hitlerdeutschland Eingestürzte Decke des Thron- dingt verlagerter Kulturgüter brandmarkten. Mit dem 1996 von der saals im Katharinenpalast in menhang mit der sowjetischen Ge Russische Museumsdialog“ – heißt es fand in den ersten Jahren nach Staatsduma der Russischen Föderation Puschkin, September 1941. schichte gegeben. Wie sich im Rückblick zusammenfassend in der Verlautbarung Fotografie der Propaganda der deutschen Wiedervereini verabschiedeten und 1999 nach einem kompanien der Wehrmacht zeigt, mangelte es an Kenntnis insbeson zum zehnjährigen Bestehen – „wurde gung in der Öffentlichkeit gro entsprechenden Verfassungsgerichtsurteil dere der Ereignisse des Zweiten Weltkrie 2005 von der Stiftung Preußischer ßen Widerhall. Man erwartete die Rück endgültig in Kraft getretenen Gesetz ges, die überhaupt erst zum Phänomen Kulturbesitz, der Kulturstiftung der kehr zahlreicher, im und nach dem Krieg zur Verstaatlichung der Beutekunst der Beutekunst geführt hatten. Die Länder und über 80 deutschen Museen verloren gegangener Kunstwerke aus der verschwand das Thema aus der aktuellen Kriegserfahrung der Sowjetunion, die in Berlin gegründet, um Aktivitäten und Sowjetunion und ihren Nachfolgestaa Politik und wird seither allenfalls noch nach deren Auflösung 1991 zur Vorge Kontakte zwischen deutschen und rus ten. Doch die Hoffnungen erfüllten sich kursorisch erwähnt, als Merkposten für schichte der neubegründeten Russischen sischen Museen auf der Fachebene zu nicht. Im Gegenteil wurden diejenigen Unerledigtes. Föderation, aber ebenso Weißrusslands, ermöglichen oder zu intensivieren.“ russischen Stimmen immer lauter, die Es hat in den frühen 1990er-Jahren der Ukraine sowie aller weiteren im Ausdrücklich wurde im Jahr 2015 hinzu die Herausgabe von „Trophäenkunst“ in Deutschland wenig Verständnis für Westen der Sowjetunion gelegenen gesetzt: „Die Frage von Rückgabeforde rundweg ablehnten und als Verrat am die russische Position und ihren Zusam Nachfolgestaaten wurde, blieb in der rungen wird in diesem rein fachlichen Bundesrepublik und dann im vereinten Kontext ausgeklammert, sie ist auf Deutschland unbeachtet. Erst mit dem Regierungsebene zu klären.“ Scheitern der auf – völkerrechtlich Das sind nüchterne Sätze; aber durchaus wohlbegründete – Rückgabe hinter ihnen verbirgt sich eine tiefere ansprüche pochenden, offiziellen deut Einsicht. Der Historiker Wolfgang schen Politik gewann die Einsicht Eichwede, Gründer und langjähriger breiteren Raum, dass der Weg zu einer Direktor der Forschungsstelle Osteuropa befriedigenden Lösung nur über die an der Universität Bremen, hatte die wechselseitige Annäherung und die Bemühungen um Rückgabe von Beute Vertiefung der historischen Kenntnisse kunst schon vor dem Fall des Eisernen erfolgen könne, und dies nicht auf Vorhangs begleitet, angeregt durch das staatlich-diplomatischer Ebene, sondern besondere Schicksal der Sammlung der auf der der unmittelbaren Akteure, Kunsthalle Bremen. Die Kulturstiftung nämlich der betroffenen Museen, Ar der Länder übertrug Eichwede die chive und kulturellen Einrichtungen. wissenschaftliche Leitung des 2009 Aus dieser Einsicht heraus und dem an-gestoßenen Forschungsprojekts zur Willen, neue Wege der Verständigung zu Geschichte der russischen Museen im Mariä-Schutz-Ikone, um die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert; Dreifaltigkeits suchen, entstand 2005 der Deutsch-Rus Zweiten Weltkrieg. Die Projektleitung Der Katharinenpalast in Puschkin bei St. Petersburg heute kathedrale, Pskow sische Museumsdialog. „Der Deutsch- als solche lag in den Händen von Britta 24 ARSPROTOTO 2 2019 25
Kaiser-Schuster. Die Ergebnisse des das „Verhalten der Truppe im Ostraum“ nötigen Genauigkeit erfasst. Darüber Forschungsprojekts sind nunmehr in vom 3. November 1941 zitiert. Darin aber fand jahrzehntelang kein Austausch Buchform veröffentlicht in dem umfang heißt es: „Im Übrigen liegt das Ver auf der Museumsebene statt. Wenn die reichen Band „Raub und Rettung. Rus schwinden der Symbole einstiger Bol Museen in der Sowjetunion so etwas wie sische Museen im Zweiten Weltkrieg“. schewistenherrschaft, auch in Gestalt Inseln halbwegs freier Geistigkeit gebil Darin macht Wolfgang Eichwede die von Gebäuden, im Rahmen des Vernich det hatten, so waren sie in vielen Fällen Intention des Forschungsprojekts noch tungskampfes. Weder geschichtliche auch Inseln selbstgenügsamer Abge- mals deutlich. „Kunstraub ist nicht nur noch künstlerische Rücksichten spielen schlossenheit. und nicht einmal primär eine Sache der hierbei im Ostraum eine Rolle.“ Diese Das hat sich gründlich gewandelt. Statistiken und Zahlen – so erschütternd Vorschrift gilt es im Gedächtnis zu Seit 1999 gibt das russische Kulturminis ihre Größenordnungen sein mögen“, behalten, betrachtet man die im Buch terium eine fortlaufende Dokumentation schreibt Eichwede: „Um ein realitäts publizierten Fotografien, die die – teils der Kriegsverluste nach Orten und nahes Bild des Kunstraubs zu bekom mutwilligen und erst nach den Kampf Sachgebieten heraus, die inzwischen auf men, müssen seine unmittelbaren Opfer handlungen erfolgten – Zerstörungen an 18 Bände in 50 Büchern angewachsen – die Museen und ihre Sammlungen – in den Schlössern zeigen. ist. Zugleich konnten die in der unmit den Mittelpunkt treten. Erst die Rekons Das Forschungsprojekt formt aus telbaren Nachkriegszeit angegebenen, truktion ihrer Geschichte erlaubt es, die zahllosen Einzelereignissen, eben der von stets bis zum letzten Objekt addierten tatsächlichen Dimensionen dessen, was Eichwede angewendeten Methode der Verlustzahlen der Schlösser deutlich nach zerstört und verschleppt worden ist, zu Historische Aufnahme des Bernsteinzimmers im Mikrogeschichte, ein Bild des deutschen unten korrigiert werden. Denn nach ermessen. Zielte der Krieg darauf, den Katharinenpalast in Zarskoje Selo (Puschkin), Umgangs mit den eroberten Städten, Objekten, die einmal als Verlust katalogi Museen ihre Identität zu nehmen, ist der ca. 1938 Gebäuden und Sammlungen, das das siert waren, wurde nicht weiter gesucht. hier konzipierte Forschungsansatz von Ausmaß an Zerstörung, Plünderung und Sie fanden sich indessen oftmals an der vorsichtigen Hoffnung getragen, nicht zuletzt ordinärem Diebstahl durch anderen als ihren Vorkriegsstandorten ihnen diese – auch für die Epoche des Wehrmachtsangehörige vor Augen führt. wieder, ohne näher auf ihre Herkunft Krieges – wenigstens in Bruchstücken Die Fotografien der Zarenschlösser hin untersucht worden zu sein. Da hat zurückzugeben.“ machen den heutigen Betrachter fas der fachliche Austausch im Rahmen des Das Forschungsprojekt – Eichwede sungslos. Nur gestreift wird im Buch die Museumsdialogs viel zur Klärung bei spricht hier von „Mikrogeschichte“ – Problematik, dass die Zarenschlösser tragen können. nahm sich die Museen der Städte Pskow auch vor Kriegsbeginn bereits erhebliche Über all das berichtet das vorlie und Nowgorod sowie die vier Zaren Verluste zu verzeichnen hatten. So heißt gende Buch auf der Grundlage der schlösser und Ensembles von Peterhof, es an einer Stelle eher beiläufig: „In der Forschungen des Museumsprojekts Zarskoje Selo, Pawlowsk und Gattschina Zwischenkriegszeit erlitt Schloss Gatt ausführlich, und erst die Lektüre der zum Gegenstand. Diese Orte „lagen alle schina enorme Verluste durch die Kunst ortsbezogenen Kapitel macht verständ Die vom Sicherheitsdienst im Katharinenpalast in im Nordwesten Russlands und damit beschädigten Schloss Gattschina –, die Zarskoje Selo noch geborgenen Kunstschätze des verkäufe, angeblich über 100.000 Ob lich, was Eichwede in seinen eingangs im Befehlsbereich der Heeresgruppe vorgefundenen Kulturgüter zu sichten Palastes, 1942 jekte...“ Die unbeirrte Pflege und zitierten Bemerkungen gemeint hat: Nord“. Die gemeinsame militärstrategi und gegebenenfalls fortzuschaffen, wie Bewahrung der Schlössersammlungen dass es um die konkrete Darstellung der sche Situation machte eine gemeinsame es dem berühmtesten Beutestück, dem durch die wissenschaftlichen Mitarbei handelnden Personen geht, um das Untersuchung sinnvoll und zugleich Bernsteinzimmer aus dem Katha terinnen und Mitarbeiter, die in dem Ausmaß der Kriegsereignisse deutlich zu einfacher, weil sich das Vorgehen der rinenpalast in Zarskoje Selo, widerfuhr. zitierten Kapitel herausgestellt wird, steht machen wie zugleich die Tiefe der Ver Wehrmacht in diesem Frontbereich in Das Argument der „deutschen Her durchaus im Gegensatz zur rigiden letzungen, die der vom NS-Regime einander ähnlichen, örtlichen Hand kunft“, mit dem der Abtransport des Kulturpolitik der Stalinzeit vor 1941. aufgezwungene Krieg verursacht hat. lungen abbildet. Während die Städte im Bernsteinzimmers nach Königsberg – wo Umso tragischer, ja empörender sind die So ist das Buch mit seinen vielfach auf rückwärtigen Frontgebiet lagen, gerieten sich seine Spur bis heute verliert – ge anschließenden Verluste durch die deut Augenzeugenberichten, Tagebüchern die Zarenschlösser unmittelbar in den rechtfertigt wurde, konnte für die zahl sche Besatzung. und Memoirenliteratur beruhenden Frontbereich des Ringes um die Millio losen weiteren Beutestücke nicht in Diese Verluste galt es zunächst Schilderungen das eindrucksvolle Zeug nenstadt Leningrad, deren Eroberung Anspruch genommen werden; so wird einmal exakt zu bestimmen. Die Museen nis gemeinschaftlicher Anstrengung, die bereits im Herbst 1941 zugunsten der auch die Rolle der deutschen Kunst und musealen Einrichtungen der Sowjet tatsächlichen Verluste zu benennen und Belagerung bis zur erhofften Übergabe schutzoffiziere, die in gemessenem Ab union kannten zwar mehr oder weniger Spuren zu sichern, die im einen oder aufgegeben wurde, so dass der Vormarsch stand zur kämpfenden Truppe in die ihre jeweiligen Verluste. Die großflächi anderen Fall doch noch zur Auffindung zum Halten kam. eroberten Standorte einrückten, durch gen Verschiebungen aber, die sich durch und Rückgabe führen können und Der militärische Stillstand nach den die Forschungen des Projekts kritisch die in kurzer Zeit und meist ohne den schon geführt haben. So rühmt das Zerstörungen während des Vorstoßes der beleuchtet. Was den Umgang mit der nötigen Fachbeistand durchgeführten vorliegende Buch die Rückgabe der bei Wehrmacht erlaubte es den verschiedenen Bausubstanz angeht, so wird im vorlie Rückführungen aus dem besiegten Gläubigen als wundertätig geltenden Soldat beim Betrachten der Ikonen- Dienststellen, die sich nunmehr einrich genden Buch an einer Stelle die für die ausstellung im Pogankin-Palast in Deutschen Reich ergaben, waren kaum Mariä-Schutz-Ikone aus Pskow, die sich teten – insbesondere auch im kaum ganze Ostfront erlassene Vorschrift über Pskow, Oktober 1942 bis gar nicht oder jedenfalls nicht mit der bis 2002 in deutschem Privatbesitz 26 ARSPROTOTO 2 2019 27
befand (Abb. S. 25), vermerkt aber scher Länder, die beiden russischen SCHWERPUNKT DEUTSCH-RUSSISCHER MUSEUMSDIALOG beiläufig, dass „das russische Kulturmi Städte zur mittelalterlichen Hanse, die „WIR LEISTEN nisterium erst 1998 Interesse an dem Paläste über dynastische Verbindungen Verbleib“ der immerhin seit 1970 als zu deutschen Fürstenhäusern“, heißt existent bekannten Ikone zeigte. Auch es in dem jetzt vorgelegten Buch. Und das ist ein sprechendes Detail. Wolfgang Eichwede urteilt: „Selten PIONIERARBEIT“ Die Arbeit des Forschungsprojekts haben sich zwei Völker und Kulturen so zur Geschichte beispielhaft ausgewählter nah zueinander definiert wie Russen und russischer Museen im Zweiten Weltkrieg Deutsche. Selten haben sie sich dann in wäre nicht vollständig beschrieben, zwei Weltkriegen so bitter bekämpft und würde nicht auch das vorangehende verletzt. Die Verbindung von Nähe und Projekt „Kriegsverluste deutscher Mu Tod frappiert bis heute.“ Das vorliegende seen“ erwähnt. Beide Projekte greifen Buch ist eine Mahnung, ein Aufruf, sich Sowjetische und deutsche Fachleute begutachten Barbara Schneider-Kempf und Vadim Duda ineinander, insofern sie die beiden Seiten der langen und intensiven Verbindungen den Zustand der Gemälde bei einem Zwischenauf- enthalt in Berlin – hier vor Rembrandts „Selbst- im Gespräch mit Anastassia Boutsko ein- und derselben Geschichte beleuch zwischen beiden Seiten zu erinnern und bildnis mit Saskia im Gleichnis vom verlorenen Sohn“, Oktober 1955 über die Errungenschaften und Perspektiven des ten, eben der des Umgangs mit Kultur gemeinsam die Wunden des Zweiten gütern während des Krieges und danach. Weltkriegs, so gut es mehr als siebzig Deutsch-Russischen Bibliotheksdialogs Die Bearbeitung der kriegs- und nach Jahre danach geht, zu schließen. kriegszeitlichen Bestands- und Verlust Bernhard Schulz ist Kulturredakteur des listen sowie der als Beutekunst ab April Berliner Tagesspiegels. K 1945 empfangenen Objekte aus deut schem Besitz und der Vergleich dieser aum ein Bereich der Kultur hat direktorin der Staatsbibliothek zu Berlin Daten mit aktuellen Bestands- und im Zweiten Weltkrieg so gelitten und Vadim Duda ist Generaldirektor der Verlustdokumentationen präzisiert die wie der der Bibliotheken und Russischen Staatbibliothek Moskau. bis dahin oftmals nur vage Kenntnis über Archive. Die russische Seite tatsächliche Verluste, während zugleich spricht von 200 Millionen auf Frau Schneider-Kempf, Herr Duda, die Geschichte verlagerter Objekte von dem Territorium der Sowjetunion ver vor zehn Jahren ist der Deutsch-Rus der Nachkriegszeit bis heute nachge nichteten oder verloren gegangenen sische Bibliotheksdialog gegründet zeichnet werden kann. Bestandseinheiten, wobei in Russland worden – eine Plattform zum Aus- Die sechs für das Museumsprojekt jedes aufbewahrte Dokument, etwa eine tausch der Kolleginnen und Kollegen ausgewählten Städte und Schlosskom Zeitung, als Bestandseinheit galt – nicht aus den beiden Ländern. Wie waren plexe stehen „auf sehr unterschiedliche etwa gebundene Kompendien, wie es in die damals gesetzten Ziele und wie ist Weise über viele Jahrhunderte für beson Westeuropa üblich war. Über 10 Millio die bisherige Erfahrung? dere Beziehungen zur Geschichte deut nen Kriegsverluste sind auf der deut Duda: Man muss sich vor Augen führen, schen Seite zu verzeichnen, darunter wer den Deutsch-Russischen Biblio 750.000 Bücher allein aus der Staats theksdialog initiiert hat. Von russischer bibliothek zu Berlin. Als „kriegsbedingt Seite wurde der Dialog von der M.I. verbrachte Kulturgüter“ wurden einzelne Rudomino-Bibliothek für ausländische Bände, aber auch ganze Büchersammlun Literatur unter der Leitung von Ekate gen und Archive, Handschriften, Inku rina Genijewa ins Leben gerufen. Die nabeln und frühe Buchdrucke auf zahl „Inostranka“ (M.I. Rudomino-Biblio reiche russische Bibliotheken in Moskau, thek für ausländische Literatur) hatte Petersburg, Rostow, Novosibirsk, Woro schon immer eine besondere historische nesch, Tomsk und andere Städte verteilt. Mission. Die Bibliothek war schon Jahrzehntelang blieb der Verbleib der immer Plattform für den Dialog, Anlauf „Trophäen-Fonds“ und deren genaue stelle und Vermittler zwischen Ost und Corinna Kuhr-Korolev, Ulrike Schmie- Zusammensetzung russischen wie deut West im weitesten Sinne des Worts. Das gelt-Rietig, Elena Zubkova in Zusammen- schen Fachleuten ein Geheimnis. Seit 10 Ziel dieser Gründung lag auf der Hand arbeit mit Wolfgang Eichwede, Raub und Jahren versucht der „Deutsch-Russische – man wollte Lösungen für komplexe, Rettung. Russische Museen im Zweiten Weltkrieg. Band 1 der Schriftenreihe Bibliotheksdialog“ Licht ins Dunkel zu oft heikle Probleme finden, die nicht „Studien zu kriegsbedingt verlagerten bringen. durch diplomatische Noten oder Ver Kulturgütern“ der Kulturstiftung der Für Arsprototo sprach die Kultur handlungen auf hoher, staatlicher Ebene Länder und der Stiftung Preußischer journalistin Anastassia Boutsko mit den gelöst werden können. Es ist erforder Kulturbesitz. Böhlau Verlag, Wien/Köln/ Weimar 2019. 383 Seiten mit 125 Abbil- Mitarbeiterinnen bei der Bestandsaufnahme in den beiden Vorsitzenden der Initiative: lich, jene Parteien mit einzubeziehen, die dungen, 45 Euro Ruinen des Schlosses Gattschina Barbara Schneider-Kempf ist General an bestimmten Angelegenheiten und 28 ARSPROTOTO 2 2019 29
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