KULTURERBE IN GEFAHR: DER KONFLIKT IM TIGRAY (ÄTHIOPIEN)
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Abb. 1: Blick über die moderne Siedlung von Yeha mit dem Kirchenareal und dem Großen Tempel (©DAI Orientabteilung, Klaus Mechelke) KULTURERBE IN GEFAHR: DER KONFLIKT IM TIGRAY (ÄTHIOPIEN) DER KONFLIKT in Addis Abeba erklärte am 28. November 2020 Susann Harder ihren Sieg. Zu diesem Zeitpunkt sollen bereits mehrere Relativ unbeobachtet von der Weltöffentlichkeit Tausend Menschen gestorben sein, etwa ein entwickelte sich seit November 2020 eine Drittel der Bevölkerung von Tigray ist nach humanitäre Katastrophe in Äthiopien. In Einschätzung der International Crisis Group auf den ersten Novembertagen entsandte der der Flucht. Viele der Geflüchteten, etwa 60.000 äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed nach Angaben des UNHCR, suchten bisher Streitkräfte in die Region Tigray, die im Schutz im östlichen Sudan. In Tigray waren Norden des Landes liegt und bis dahin von Infrastruktur und Versorgung weitestgehend der »Volksbefreiungsfront von Tigray« (TPLF) zusammengebrochen, Wohnhäuser, Kranken- regiert wurde. Mit dem Einmarsch eskalierte häuser und Schulen durch Bombardements der Machtkonflikt zwischen der von Abiy Ahmed zerstört. Nach Berichten des UNHCR ist die angeführten Zentralregierung in Addis Abeba Telekommunikation zumindest in Mekelle und der TPLF, die bis 2018 der Zentralregierung teilweise wiederhergestellt, ebenso Teile der angehörte. Nach beinahe vier Wochen des Grundversorgung. Die Mehrheit der Bevöl- aktiven Konflikts marschierten die nationalen kerung hat jedoch weiterhin keinen oder Streitkräfte, unterstützt durch Streitkräfte aus unzureichenden Zugang zur Versorgung mit Eritrea, in der regionalen Hauptstadt Mekelle ein Lebensmitteln, so dass Millionen von Menschen (New York Times, 19. März 2021). Die Regierung in der Region akut von Hunger bedroht sind.
Kulturerbe in Gefahr: Der Konflikt im Tigray (Äthiopien) Obwohl die offizielle militärische Kampagne im Tigray im letzten Jahr abgeschlossen wurde, kommt es immer wieder zu aktiven Kampf- handlungen zwischen den nationalen Streit- kräften und den verbliebenen Truppen der TPLF, mittlerweile sogar im Grenzgebiet zum Sudan. Seit Februar 2021 mehren sich zudem Berichte internationaler Menschenrechtsorganisationen, Abb. 2: Der Große Tempel von Yeha, 7. Jh. v. Chr. (©DAI Orientabteilung, Irmgard Wagner) u.a. von Amnesty International, über Massaker an der Bevölkerung, die von den beteiligten Konfliktparteien verübt worden sein sollen. DAS 3000 JAHRE ALTE KULTURERBE Ebenso häufen sich Hinweise auf Schäden an DES TIGRAY kulturell bedeutsamen Stätten, wie zum Beispiel Iris Gerlach an der al-Nejashi Moschee nahe der Stadt Wuqro (BBC News online, 05.01.2021), und Der Krieg im Norden Äthiopiens in der Plünderungen von Manuskripten aus Kirchen. Provinz Tigray hat nicht nur eine der größten Als Reaktion veröffentlichte das Hiob Ludolf humanitären Katastrophen in der ost- Centre for Ethiopian and Eritrean Studies an afrikanischen Region zur Folge, sondern bedroht der Universität Hamburg am 13.01.2021 einen auch das einzigartige kulturelle Erbe des Landes. Appell, das bedrohte Kulturgut zu schützen. Neben den Felskirchen und dem Weltkulturerbe Ebenso rief ICOMOS, der Internationale Aksum mit seinen Palastbauten, Grabanlagen Denkmalrat, die beteiligten Konfliktparteien in und den berühmten Stelen, gibt es eine Reihe einem öffentlichen Statement vom 05.03.2021 von archäologischen Fundplätzen, deren dazu auf, ihre Verpflichtungen nach dem Haager Wurzeln weit in die Zeit vor der Christianisierung Übereinkommen zum Schutz von Kulturgütern des Landes bis ins 2. Jahrtausend v. Chr. in bewaffneten Konflikten (1954) zu beachten. zurückreichen. Auch diese Fundplätze und ihre archäologischen Museen sind in Gefahr, geplündert und durch Kampfhandlungen zerstört zu werden. Im folgenden Beitrag stellt Dr. Iris Gerlach, die am Das Gebiet des Tigray stand bereits vor 3000 Deutschen Archäologischen Institut die Außenstelle Jahren in engen wirtschaftlichen Kontakten Sanaa der Orient-Abteilung leitet und dessen zu weit entfernt liegenden Gebieten. Die archäologische Forschungen in Äthiopien koordiniert, Handelsbeziehungen reichten über Nubien einen Teil des archäologischen Kulturerbes der (Sudan) bis nach Ägypten. Aber auch zum Region Tigray vor. Ihre Darstellung soll als Schlaglicht Herrschaftsgebiet von Saba in Südarabien auf das reiche Kulturerbe des Tigray und des (Jemen) bestanden enge Verbindungen. Landes Äthiopien dienen, zu dem nicht zuletzt die Besondere Bedeutung hatten der Tausch und Welterbestätte Aksum mit ihren berühmten Stelen Handel von Luxusgütern wie Weihrauch, Gold, gehört. Sie macht deutlich, wie schwer der Verlust des Elfenbein, exotischen Tieren und Obsidian Kulturgutes wiegen würde. (Vulkanglas). Ab dem frühen 1. Jahrtausend v. Chr. siedelten sich Menschen aus Südarabien (Sabäer) im Tigray an. Gemeinsam mit der einheimischen Bevölkerung erschlossen und nutzten sie die Seite 2
Kulturerbe in Gefahr: Der Konflikt im Tigray (Äthiopien) sowie mehrere Nekropolen angelegt. Wahr-zeichen von Yeha ist der im 7. Jahrhundert v. Chr. nach südarabischen Bautraditionen errichtete, 14 m hoch erhaltene Große Tempel (Abb. 2). Dieser ist dem sabäischen Hauptgott Almaqah geweiht. Das Bauwerk erhebt sich auf dem Kirchenhügel und wurde im 6. Jahrhundert in eine Kirche umgewandelt. Bis heute ist es Abb. 3: Der ursprünglich mehrstöckige Palast von Yeha, um 800 v. Chr. ein heiliger Ort der äthiopisch- (©DAI Orientabteilung, Johannes Kramer) orthodoxen Christen. Zwei weitere Tempel sowie ein vorhandenen Rohstoffvorkommen. Der dadurch repräsentativer Monumental-bau befanden bedingte wirtschaftliche Aufschwung führte sich ebenfalls in diesem Sakralbezirk. Westlich zu großen kulturellen und gesellschaftlichen davon erhebt sich der mehrstöckige, um 800 v. Veränderungen: Erstmals wurde die Schrift in Chr. errichtete Palast (Abb. 3). Sein Mauerwerk dieser Region eingeführt und Techniken für bestand aus Holzbalken und Bruchsteinen. die Metallverarbeitung entwickelt. Auch Herr- Mit einer Grundfläche von 60 x 65 m ist es der schaftssystem und Religion wandelten sich bislang größte Holz-Stein-Bau in Ostafrika. Die unter dem südarabischen Einfluss. In der Kunst- Nekropolen von Yeha bestehen aus Schacht- produktion verwendete man neue Gestaltungs- gräbern, die einen senkrecht in den Felsen formen. geschlagenen Schacht mit anschließenden Das kulturelle und politische Zentrum dieser Grabkammern aufweisen. In ihnen wurden frühen Hochkultur ist der nur 35 km von Aksum mehrere Verstorbene, möglicherweise im entfernte Fundplatz Yeha. Weitere Orte dieser Familienverband, mit einer Vielzahl von Beigaben Zeit bilden Wuqro mit seinem archäologischen bestattet. Museum nördlich der Provinzhauptstadt Mekelle, sowie Hawelti und Melazo unweit von Aksum. All diese Stätten werden seit über 10 Jahren vom Deutschen Archäologischen Institut in Kooperation mit der äthiopischen Antiken- behörde erforscht, restauriert und für den Tourismus erschlossen. Eine Besiedlung des Fundplatzes Yeha kann bereits für das späte 2. Jahrtausend v. Chr. nachgewiesen werden (Abb. 1). Zu einem überregionalen Zentrum wird es allerdings erst ab dem 1. Jahrtausend v. Chr. Zu dieser Zeit Abb. 4: Altar im Heiligtum von Meqaber Ga‘ewa / ‘Addi ‘Akaweḥ bei Wuqro, 8./7. Jh. v. Chr. entstehen ausgedehnte Wohngebiete, zudem (©DAI Orient-Abteilung, Pawel Wolf) werden Verwaltungs- und Sakralbauten errichtet Seite 3
Kulturerbe in Gefahr: Der Konflikt im Tigray (Äthiopien) Auch in dem Fundort Wuqro wurde ein dem sabäischen Hauptgott Almaqah geweihter Tempel aus dem 8./7. Jahrhundert v. Chr. freigelegt (Abb. 4). In seinem Inneren erhebt sich ein Altar, der gemeinsam mit dem archäologischen Museum Wuqro zu den touristischen Highlights des Tigray zählt. Der Altar wurde von einem aus Südarabien stammenden Steinmetz aus lokalem Kalkstein gefertigt. An ihm nahmen die Priester wichtige Opferhandlungen vor. So opferte man den Göttern auf den Altären das Blut von Opfertieren aber auch Flüssigkeiten wie Wein oder andere Getränke. Der Altar imitiert einen kleinen Tempel: Er erhebt sich auf einem Sockel, darüber erscheint eine Fassade mit Scheinfenstern. Neben Yeha und Wuqro zeugen auch die 10 km südöstlich von Aksum gelegenen Fundplätze Hawelti und Melazo von dem im frühen 1. Jahr- tausend v. Chr. einsetzenden Kulturwandel, der durch die Migration südarabischer Bevöl- Abb. 5: Weibliche Statue aus Ḥawelti nahe Aksum, National Museum Addis Abeba (JE1657) kerungsgruppen in diese Region ausgelöst (©DAI, Orient-Abteilung, Irmgard Wagner) wurde. Auf einem der Hügel erstreckt sich ein Stelenfeld, welches dem Platz auch seinen Namen gibt: Hawelti bedeutet Stelen. Bei den sind zwei sitzende Frauenstatuen und ein 21 bekannten rechteckigen Stelenfragmenten mit Reliefs verzierter Thron, die sich heute im han-delt es sich nicht um Pfeiler eines Bauwerks, Nationalmuseum in Addis Abeba befinden sondern um Kultmale, die unterschiedliche Maße (Abb. 5). und Bearbeitungsspuren zeigen. Sie stehen in Aufgrund der politischen Situation führt das keinem architektonischen Bezug zueinander, Deutsche Archäologische Institut im Tigray auch wenn die meisten der heute sichtbaren momentan keine Feldforschungen durch. Wir Monumente mehr oder weniger regelmäßig hoffen, dass dieses einzigartige, 3000 Jahre alte um eine Vertiefung gruppiert sind. Ursprünglich Kulturerbe des Tigray den Bedrohungen des waren sie bis zu 10 m hoch und bis zu 30 t schwer. Krieges standhält und in Zukunft für Besucher Im Gegensatz zu den bekannten Stelen von aus Äthiopien und aller Welt wieder offensteht. Aksum markierten die Stelen von Hawelti keine Gräber. Eine kultisch-rituelle Nutzung ist jedoch anzunehmen, die vermutlich im Zusammenhang Impressum mit den damals herrschenden Königen stand. Deutsches Nationalkomitee Blue Shield e.V. In unmittelbarer Nähe erhoben sich zwei heute (Brüderstraße 13, 10178 Berlin) nicht mehr erhaltene Gebäude, die von den Autoren: Susann Harder, Dr. Iris Gerlach damaligen Ausgräbern als Tempel gedeutet Erscheinungsdatum: 11. April 2021 wurden und in deren Umfeld sich zahlreiche Kontakt: info@blue-shield.de Objekte fanden. Besonders bemerkenswert Seite 4
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