Lateinamerika im Krisenmodus - Soziale und politische Unruhen lähmen Regierungshandeln
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Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik Nr. 3 Februar 2020 POLICY BRIEF Lateinamerika im Krisenmodus Soziale und politische Unruhen lähmen Regierungshandeln Detlef Nolte Associate Fellow im Lateinamerika droht, erneut zu einer Krisenregion zu werden. Die Programm Amerika der DGAP Volkswirtschaften der einstigen Hoffnungsregion stagnieren und soziale Konflikte entladen sich in Massenprotesten. Aufgrund der innenpolitischen Krise in vielen Ländern sind diese auch außen- politisch gelähmt. Die EU sollte dennoch die enge Kooperation mit der Region ausbauen, um die regionale Integration zu fördern sowie zum Schutz von Demokratie und Menschenrechten beizutragen. – Deutschland und die EU sollten das Abkommen mit dem Merco- sur vorantreiben. Es dient nicht nur den geo-ökonomischen Interessen Europas, sondern sichert auch die wirtschaftliche Integration in Südamerika. – Die EU sollte über Handelsverträge ihre Wirtschaftsbeziehungen mit der Region verstärken, um so mehr politischen Einfluss neh- men zu können. Mit einer deutlichen Position sollte Europa für den Schutz der Demokratie eintreten. – Europa sollte seine Kontakte mit der Lima-Gruppe ausbauen, die aufgrund ihrer Zusammensetzung am ehesten repräsentativ für Lateinamerika sprechen kann. – Europa muss sich der Konkurenz Chinas um wirtschaftlichen Einfluss in Lateinamerika stärker stellen. Dabei sollte Europa die Möglichkeiten der Finanzierung von Infrastrukturprojekten bei-spielsweise durch die Europäische Investitionsbank besser nutzen, um im Wettbewerb bestehen zu können.
2 Nr. 3 | Februar 2020 Lateinamerika im Krisenmodus POLICY BRIEF 2019 war in Lateinamerika ein Jahr poli- UNBEWÄLTIGTE tischer Umbrüche und Proteste, die die SOZIALE PROBLEME Regierungen von Haiti bis zum bisheri- gen lateinamerikanischen Musterland Die Mitte Dezember veröffentlich- Chile erschütterten. Straßenschlachten ten vorläufigen Prognosen der Econo- und Proteste gegen die jeweilige Regie- mic Commission for Latin America and rung in Ecuador, Chile, Kolumbien und Caribbean (ECLAC) 5 zeichnen ein ne- Bolivien haben das Bild Lateinamerikas gatives Bild der wirtschaftlichen Ent- im zweiten Halbjahr geprägt. Die Auslö- wicklung der Region: Demnach lag das ser der Proteste waren unterschiedlich Wachstum für ganz Lateinamerika 2019 (Arbeits- und Rentenreformen, Fahr- bei mageren 0,1 Prozent (nur Südame- preis- und Benzinpreiserhöhungen, rika -0,1 Prozent) mit großen Schwan- Wahlmanipulationen etc.), aber es gibt kungen zwischen den wichtigen Volks- auch übergreifende Krisensymptome.1 wirtschaften. Für 2020 wird eine leichte In vielen Ländern stagniert die Wirt- wirtschaftliche Erholung erwartet, die schaft oder wächst nicht ausreichend, jedoch keine großen Verteilungsspiel- um die steigenden Erwartungen brei- räume eröffnet. ter Gesellschaftsschichten zu befriedi- gen und die Armut weiter abzubauen. Die Daten der ECLAC zum sozialen Pan- Die soziale Ungleichheit wurde politi- orama Lateinamerikas 6 zeigen, dass siert. Es sind häufig nicht die Ärmsten der Anteil und die absolute Zahl der der Bevölkerung, sondern Sektoren der Armen in L ateinamerika, die noch Mittelschichten, die die Proteste tragen. zu Beginn der Dekade zurückgegan- Sie sehen sich entweder vom sozialen gen waren, seit 2014 wieder zuneh- Abstieg bedroht oder in ihren Aufstiegs- men (siehe Abbildung S. 4). 2020 ist erwartungen enttäuscht.2 Vielerorts ha- aufgrund der Wirtschaftsdaten kei- ben die Bürger das Vertrauen in die ne Trendwende zu erwarten. Das gilt Politik und die Demokratie bereits ver- auch für Sektoren der Mittelschicht, loren.3 Dazu haben unter anderem Kor- die einen sozialen Abstieg befürchten. ruptionsskandale und eine zunehmende Ein großer Teil dieses Bevölkerungs- Entfremdung zwischen der politischen segments ist hoch verschuldet und Klasse und der Gesellschaft beigetragen. verfügt nur über eine unzureichende Altersabsicherung.7 Die Verschlechte- Viele Regierungen sind durch die in- rung sozioökonomischer Rahmenbedin- nenpolitischen Probleme außenpoli- gungen bedingt in vielen Ländern der tisch gelähmt. Symptomatisch dafür ist Region innenpolitische Veränderungen, Chile. Dort musste die Regierung nach die auch außenpolitische Konsequenzen den politischen Unruhen sowohl den haben. APEC-Gipfel (Asiatisch-Pazifische Wirt- schaftsgemeinschaft) im November 2019 als auch den Weltklimagipfel (COP25) im Dezember absagen. Der Imageschaden wirkt sich negativ auf Chiles internatio- nale Wahrnehmung aus.4 1 Siehe Günter Maihold, Wendezeiten in Lateinamerika, SWP-Aktuell Nr. 63, November 2019; Claudia Zilla, Kein lateinamerikanischer Frühling, SWP-Aktuell Nr.69, Dezember 2019. 2 Eine hervorragende Analyse der Ursachen der Proteste in Chile bietet Rossana Castiglioni, ¿El ocaso del „modelo chileno“?, in: Nueva Sociedad, Nr.284 November-Dezember 2019, Seite 4-14. 3 Dies dokumentieren die Daten des Latinobarómetro . Die letzte veröffentlichte Umfrage stammt allerdings aus dem Jahr 2018. Siehe auch Elizabeth J. Zechmeister und Lupu Noam Lupu (Hrsg.). Pulse of Democracy. Nashville, TN: LAPOP 2019. 4 Cecilia Barría, Protestas en Chile: las consecuencias económicas y de imagen de la cancelación de 2 grandes cumbres internacionales por el estallido social, in: BBC News Mundo 31. Oktober, 2019, (abgerufen am 5. 1. 2020). 5 Economic Commission for Latin America and the Caribbean (ECLAC), Social Panorama of Latin America 2019, Santiago de Chile 2019. https://www.cepal.org/sites/default/files/pr/files/table_press_gdp_preliminaryoverview2019- eng.pdf 6 Economic Commission for Latin America and the Caribbean (ECLAC), Social Panorama of Latin America 2019, Santiago de Chile 2019 https://repositorio.cepal.org/handle/11362/45090 (abgerufen am 03.2.2020)––. 7 Ebenda, S.25-31.
Nr. 3 | Februar 2020 3 POLICY BRIEF Lateinamerika im Krisenmodus Abbildung 1: Wirtschaftswachstum in Lateinamerika (ausgewählte Länder) 2015-2020 2 015 2 016 2 017 2 018 2 019 2 02 0 (Prognose) 5 0 -5 -10 -15 -20 -25 -30 Lateinamerika Mexiko Kolumbien Brasilien Argentinien Venezuela Quelle: Economic Commission for Latin America and the Caribbean (ECLAC), https://www.cepal.org/sites/default/files/pr/files/table_press_gdp_preliminaryoverview2019-eng.pdf (abgerufen am 03.02.2020). REGIERUNGSWECHSEL IN Berater des Präsidenten im Nationalen nationalen Währungsfonds (IWF) auf ARGENTINIEN, URUGUAY Sicherheitsrat, Mauricio Claver- eine eher pragmatische Ausrichtung UND BOLIVIEN Carone, vertreten, der die argentini- der Außenpolitik. Dies ist nicht zuletzt sche Regierung wegen der Einladung darauf zurückzuführen, dass interna- Mit der Wahl des linken Peronisten an Repräsentanten der Regierung von tionale Umfeld dem neuen Präsidenten Alberto Fernández steht ein Kurs- Nicolás Maduro in Venezuela kriti- Fernández deutliche Schranken aufer- wechsel in der argentinischen Außen- sierte und vorzeitig abreiste.9 Ein wei- legt. Durch die hohen Schulden beim politik an. Während sein Vorgänger, teres Thema, das die Beziehungen zu IWF ist er auf das Wohlwollen westli- der Konservative Mauricio Macri, auf den USA belastet, ist die unterschied- cher Regierungen (vor allem der USA) eine wirtschaftliche Öffnung des Lan- liche Bewertung der Ereignisse in angewiesen. Dabei könnten die Unru- des setzte, das EU-Mercosur-Abkom- Bolivien. Vertreter der neuen argen- hen in anderen lateinamerikanischen men vorantrieb, gute Beziehungen zu tinischen Regierung hatten den Sturz Ländern seine Verhandlungsposition den USA und Brasilien pflegte und eine von Evo Morales als Staatsstreich kriti- verbessern. Internationale Geldgeber kritische Haltung gegenüber der vene- siert und die amtierende bolivianische haben kein Interesse daran, ein weite- zolanischen Regierung einnahm, wird Übergangspräsidentin Jeanine Añez res Land im Chaos versinken zu sehen. die neue Regierung die Außenpolitik nicht zur Amtseinführung eingeladen. im Rahmen ihrer Möglichkeiten neu Durch geschickte und pragmatische orientieren.8 Gleichwohl verweisen die Personal- Politik könnte die argentinische Regie- politik etwa bei der Auswahl des Au- rung auch zu einem interessanten und Bereits bei der Amtseinführung wur- ßenministers und der Besetzung zen- wichtigen Ansprechpartner Europas den Verstimmungen mit den USA traler Botschafterposten (zum Beispiel in einer Region mit schwierigen oder offensichtlich. Die USA waren durch in Washington oder Brasília) sowie er- innenpolitisch gelähmten Regierun- den für Lateinamerika zuständigen ste Erklärungen gegenüber dem Inter- gen werden, deren Legitimität in Frage 8 Federico Merke, Preferencias, herencias y restricciones: elementos para examinar la política exterior del Frente de Todos, Madrid (Fundación Carolina): Análisis Carolina Nº 24, Noviembre 2019, https://www.fundacioncarolina.es/wp-content/uploads/2019/11/AC-24.pdf>, (abgerufen am 5. 1. 2020). 9 Jean Palou Egoaguirre, Entre pragmatismo e ideología, Fernandéz inicia reingeniería de la diplomacia argentina, in: El Mercurio, 15. Dezember A 4, , (abgerufen am 5.1.2020).
4 Nr. 3 | Februar 2020 Lateinamerika im Krisenmodus POLICY BRIEF Abbildung 2: Armut in Lateinamerika (2014-2019) die Mitarbeit an der internationalen Kontaktgruppe zu Venezuela (an der auch die EU mitwirkt) überdenken zu wollen. Für die Lima-Gruppe äußerte er Sympathie, ohne eine klare Aussa- Extremer Armut Armut Menschen in Menschen in ge im Hinblick auf ein aktives Mitwir- (in %) (in%) Armut (in Mill.) extermer Armut (in Mill.) ken zu machen. Im Mercosur möch- te Uruguay eine Mittlerrolle zwischen 2014 7.8 27.8 164 46 Argentinien und Brasilien einnehmen und innerhalb der Organisation Ame- 2015 8.8 29.1 174 52 rikanischer Staaten (OAS) unterstützt Uruguay die Wiederwahl des bisheri- gen Generalsekretärs Luis Almagro. 2016 10.0 30.0 181 60 Bolivien könnte sich als Krisenherd 2017 10.5 30.1 184 64 verfestigen. Präsident Morales mus- ste im November vergangenen Jahres 2018 10.7 30.1 185 66 nach Protesten wegen Wahlmanipula- tionen und auf Druck des Militärs vor- zeitig zurücktreten. Die aktuelle Über- 2019 11.5 30.8 191 72 gangsregierung scheint sich durch einen nationalistischen Diskurs profi- lieren zu wollen, wie die Ausweisung Quelle: Economic Commission for Latin America and the Caribbean (ECLAC), https://repositorio.cepal.org/hand- der mexikanischen Botschafterin und le/11362/44989?show=full (abgerufen am 03.02.2020). zweier spanischer Diplomaten doku- gestellt wird. Viel wird davon abhän- mentiert. 12 Es gibt Bestrebungen, im gen, wie sich Argentinien gegenüber Vorfeld der anstehenden Wahlen am dem EU-Mercosur-Abkommen posi- 3. Mai 2020 Anhänger der bisherigen tioniert und wie sich das seit den Wah- Regierung zu verfolgen. Die Über- len angespannte Verhältnis zu Brasili- gangsregierung Boliviens hat auch en entwickelt. einen radikalen außenpolitischen Kurswechsel vorgenommen:13 Mit den Als Kooperationspartner in Südame- USA und Israel sollen wieder Botschaf- rika bietet sich für Argentinien insbe- ter ausgetauscht werden. Zugleich sondere Uruguay an, trotz der neuen wurden die Beziehungen mit der ak- konservativen Regierung unter Staats- tuellen venezolanischen Regierung chef Luis Alberto Lacalle Pou. In seiner abgebrochen und Oppositionsführer ersten Erklärung kündigte der zukünf- Juan Guaidó als Interimspräsident an- tige (ab März) Präsident hinsichtlich erkannt. Auch mit Kuba wurden die di- seiner Außenpolitik an, 10 sich nicht plomatischen Beziehungen abgebro- weiter am sogenannten Mechanismus chen. Überdies erklärte die Regierung von Montevideo11 beteiligen und auch ihren Austritt aus den Regionalbünd- 10 Lacalle Pou dio pistas sobre su política exterior, in: Página 12, 3. Dezember 2019, , (abgerufen am 5.1.2020). 11 Der sogenannten „Mechanismus von Montevideo“ war eine Initiative der Regierungen von Uruguay und Mexiko mit Unterstützung der Mitgliedstaaten des CARICOM vom 6. Februar 2019, nach einem vorgegebenen Zeitplan in verschiedenen Schritten einen Dialog zwischen der Regierung und der Opposition in Venezuela zu befördern. Siehe die Erklärung des mexikanischen Außenministeriums vom 6. Februar 2019, , (abgerufen am 5. 1. 2020). Die Initiative wurde nachfolgend auch von Bolivien unterstützt. Auf einer nachfolgenden Konferenz in Montevideo am 7. Februar konstituierte sich die sogenannte Kontaktgruppe zu Venezuela unter Beteiligung von Uruguay, Costa Rica, Ecuador, der EU, Deutschland, Frankreich, Italien, der Niederlande, Portugal, Spanien, Schweden und Großbritannien, die sich für Neuwahlen in Venezuela innerhalb von 90 Tagen einsetzte. Diese Initiative wurde von Mexiko und Bolivien nicht mitgetragen. 12 Miguel González, Fernando Molina und Luis Pablo Beauregard, España responde al Gobierno de La Paz con la expulsión de tres diplomáticos bolivianos, in: El País, 30. 12. 2019, , (abgerufen am 5. 1. 2020). 13 El viraje de la política internacional de Bolivia genera inquietud, in: france24, 29. 11. 2019, , (abgerufen am 5. 1. 2020).
Nr. 3 | Februar 2020 5 POLICY BRIEF Lateinamerika im Krisenmodus nissen UNASUR (Union Südamerika- zu einer pragmatischen China-Politik gen (die sogenannte Estrada-Doktrin). nischer Nationen) und ALBA (Bolivari- bewogen.18 Ähnliches gilt auch für die Deshalb erkennt die mexikanische sche Allianz für die Völker). Beziehungen zu Europa. Die nationa- Regierung auch nicht den venezolani- listische Reaktion auf die europäische schen Interimspräsidenten Guaidó an. Kritik an der unzureichenden Umwelt- Ein gewisser Widerspruch zur Politik ZWISCHEN CHAOS UND schutzpolitik, insbesondere nach den der Nicht-Einmischung zeigte sich in INTERNATIONALER verheerenden Bränden im Amazonas- der Bolivien-Krise. Den Sturz von Mo- ZURÜCKHALTUNG Regenwald, geht einher mit dem In- rales verurteilte die mexikanische Re- teresse, die Wirtschaftsbeziehungen gierung als Staatstreich, flog ihn in ei- Vorbei sind die Zeiten, als Europa auf auszubauen und das EU-Mercosur-Ab- ner Militärmaschine aus und gewährte Brasilien als regionale Führungsmacht kommen zu unterzeichnen. ihm zum Missfallen der US-Regierung blickte: Mit einer strategischen Part- politisches Asyl.19 Zudem halten sich nerschaft sollte der Bedeutung Brasili- In der Außenpolitik Mexikos unter in der mexikanischen Botschaft in La ens in Südamerika Rechnung getragen dem linksliberalen Präsidenten Andrés Paz ehemalige Funktionsträger der Re- und wichtige Initiativen in der Regi- Manuel López Obrador dominieren die gierung Morales auf; was zu diploma- on abgesichert werden. Als regiona- Beziehungen zu den USA wie die Rati- tischen Spannungen mit der bolivia- le Führungsmacht ist Brasilien schon fizierung des neu verhandelten norda- nischen Übergangsregierung geführt während der Präsidentschaft von Dil- merikanischen Freihandelsabkommens hat. ma Rousseff (2011 bis 2016) abgetreten. und die Neuregelung der Migrations- Neu ist, dass sich Brasilien zu einer re- politik. In beiden Bereichen hat Mexiko Mexiko hat sich bereit erklärt, 2020 gionalen Chaosmacht entwickelt hat.14 große Zugeständnisse gemacht, unter die Präsidentschaft pro tempore von Die Außenpolitik ist hochgradig ideo- anderem durch schärfere Kontrollen an CELAC zu übernehmen, um die latein- logisiert. Zur innenpolitischen Macht- seiner Südgrenze und eine härtere Po- amerikanische Integration voranzu- erhaltungsstrategie des brasilianischen litik gegenüber zentralamerikanischen treiben.20 Außerdem kandidiert Mexiko Präsidenten Jair Bolsonaro gehört es, Migranten, die Mexiko in Richtung US- mit Unterstützung der lateinamerika- außenpolitische Feindbilder zu gene- Grenze zu durchqueren versuchen. nischen und karibischen Staatengrup- rieren. 15 Das gestörte Verhältnis zur pe für einen Sitz als nichtständiges neuen argentinischen Regierung be- Im Gegensatz zum eingeschränkten Mitglied im VN-Sicherheitsrat für die lastet den Mercosur. Ideologisch fühlt Handlungsspielraum gegenüber den Periode 2021-2022.21 sich die Bolsonaro-Regierung der USA setzt Mexiko in der Lateinameri- Trump-Administration nahe, hat aber kapolitik eigenständige Akzente. War Trotz der Bemühungen einiger Staa- daraus trotz wirtschaftlicher und po- die Vorgängerregierung noch eine der ten, internationale Verantwortung zu litischer Zugeständnisse bisher noch treibenden Kräfte hinter der Lima- übernehmen, ist insgesamt eine Kri- keinen materiellen Nutzen ziehen Gruppe mit einer kritischen Haltung se des Multilateralismus zu beobach- können;16 allenfalls im Hinblick auf die gegenüber der venezolanischen Re- ten. Die Reaktionen auf den Konflikt in Rücknahme der Drohung, Sonderzöl- gierung unter Maduro, knüpft die neue Ve n e z u e l a u n d d e n M a c ht wec h - le auf brasilianischen Stahl und Alumi- Regierung wieder an alte Traditionen sel in Bolivien 22 haben gezeigt, dass nium zu erheben.17 Wirtschaftlich hat der Nichteinmischung in die inneren Lateinamerika nicht in der Lage ist, sich die Abhängigkeit von China ver- Angelegenheiten anderer Staaten an seine Krisen eigenständig zu bewälti- größert und die Regierung trotz an- und enthält sich eines Urteils über die gen. Die Region ist politisch weiterhin fänglich anderslautender Erklärungen Legitimität ausländischer Regierun- tief gespalten. Als Folge befinden sich 14 Oliver Stuenkel, How Bolsonaro’s Chaotic Foreign Policy Worries the Rest of South America, in: Americas Quarterly, 19. Juni 2019, < https://www.americasquarterly.org/ content/bolsonaros-chaotic-foreign-policy>, (abgerufen am 5. 1. 2020). 15 Oliver Stuenkel, Relação entre Brasil e Argentina passará por momento mais difícil em décadas, in: El País (Ausgabe Brasilien), 16. 10. 2019, , (abgerufen am 5. 1. 2020). 16 Oliver Stuenkel, Bolsonaro Placed a Losing Bet on Trump, in: Foreign Policy, 6.Dezember 2019, , (abgerufen am 5. 1. 2020). 17 Ana Swanson und Letícia Casado, Trump Backs Down From Threat to Place Tariffs on Brazilian SteelTrump Backs Down From Threat to Place Tariffs on Brazilian Steel, in: New York Times, 21. 12. 2019, , (abgerufen am 5. 1. 2020). 18 Paulo Trevisani, Brazil Deepens China Ties in About-Face, in: Wall Street Journal, 15. 12. 2019, , (abgerufen am 5. 1. 2020). 19 Nacha Cattan, Mexico Plays Down U.S. Friction After Foreign Policy U-Turn, in: Bloomberg 12. November 2019, , (abgerufen am 5. 1. 2020). 20 Gustavo Edgar Herrera Caballero, México, en búsqueda de la integración regional: PPT CELAC 2020, in: Foreign Affairs Latinomérica, 3. Oktober 2019, , (abgerufen am 5.1.2020). 21 Alejandro Alday und María Paulina Rivera Chávez, Un año en retrospectiva. La política exterior de México, in: Foreign Affairs Latinomérica, 10. Dezember 2019, , (abgerufen am 5.1.2020). 22 Oliver Stuenkel, Latin America Is too Polarized to Help to Stabilize Bolivia, Foreign Policy, 13. November 2019; https://foreignpolicy.com/2019/11/13/latin-america- polarization-bolivia-brazil-venezuela-argentina-chile/>, (abgerufen am 5. 1. 2020).
6 Nr. 3 | Februar 2020 Lateinamerika im Krisenmodus POLICY BRIEF die meisten lateinamerikanischen Re- VN-Vollversammlung CELAC vorste- gionalorganisationen in einer Krise und hen. Auch im Fall von CELAC war der die gesamte regionale Architektur ist im Streit über Venezuela Auslöser der Kri- Umbruch. Dies erschwert die multilate- se. Mit Hinweis auf die Beteiligung rale Kooperation mit Europa und Regio- Kubas, Nikaraguas und Venezuelas setz- nen übergreifende Initiativen. te die brasilianische Regierung Mitte Ja- nuar ihre Mitgliedschaft in CELAC aus.23 Die südamerikanische Regionalorga- Ein Kollateralschaden der Krise von nisation UNASUR zerbrach durch den CELAC sind die gemeinsamen Gipfel- Venezuela-Konflikt und den mangeln- treffen mit der EU. Der letzte hätte im den Konsens bei der Wahl eines neu- Oktober 2017 in San Salvador stattfinden en Generalsekretärs. Seit Anfang 2017 sollen. war die Organisation handlungsunfä- hig. Inwieweit der neue Staatenbund Auf ihrem letzten Gipfeltreffen im Ju- PROSUR eine Zukunft hat, ist unklar. Die li 2019 in Lima hatte die Pazif ikal- lianz, der Chile, Kolumbien, Peru, Mexiko und bald auch Ecuador ange- hören, die Zahl der Staaten mit Be- obachterstatus noch einmal auf Lateinamerika ist eine schwierige mittlerweile 59 gesteigert. Die Ab- schlusserklärung des Gipfeltreffens Partnerregion geworden (Declaración de Lima) 24 enthält ein klares Bekenntnis zum Freihandel, zu ei- nem multilateralen Handelssystem und zum Pariser Klimaschutzabkommen. In- beiden treibenden Regierungen hinter sofern bietet sich die Pazifikallianz als der Gründung, die kolumbianische und Kooperationspartner Europas an; zumal die chilenische, sind innenpolitisch an- die EU mit allen Mitgliedern Freihan- geschlagen. Brasilien scheint das Pro- delsabkommen abgeschlossen hat. Seit jekt eher halbherzig zu betreiben. Und Juli hat sich allerdings die innenpoliti- im Gegensatz zur Regierung Macri dürf- sche Situation in den Mitgliedsländern te die neue argentinische Regierung kei- kompliziert.25 Obgleich die Beziehungen ne größeren Initiativen im Hinblick auf der EU mit den Ländern der Pazifikalli- PROSUR entwickeln. anz weitgehend reibungslos verlaufen, sind größere außenpolitische Initiativen Auch die Gemeinschaft der lateinameri- nicht zu erwarten. Das gleiche lässt sich kanischen und karibischen Staaten (CE- im Hinblick auf die Andengemeinschaft LAC) ist in einer Krise. Der letzte Prä- (Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru) sa- sidenten-Gipfel von CELAC fand vor gen, mit der die EU ein Freihandelsab- drei Jahren im Januar 2017 in der Do- kommen abgeschlossen hat. minikanischen Republik statt. Nach- dem es 2018 nicht einmal eine Präsi- D e r M e r c o s u r, d i e u n v o l l s t ä n d i - dentschaft pro tempore gegeben hatte, ge Zollunion zwischen Argentinien, übernahm Bolivien 2019 diese Funkti- Bra s i l i e n , Pa ra g u ay u n d U r u g u ay, on, ohne das regionale Forum wieder- ist in Gefahr. Schon vor dem Regie- beleben zu können. 2020 wird Mexi- rungsantritt von Bolsonaro gab es ko nach der Entscheidung auf einem Erklärungen aus seinem Umfeld, dass Außenministertreffen am Rande der dem Mercosur keine hohe Priorität 23 Brazil steps out from Celac, because of its failure “to protect democracy”, in: MercoPress, 17. Januar 2020; https:// en.mercopress.com/2020/01/17/brazil-steps-out-from-celac-because-of-its-failure-to-protect-democracy (abgerufen 28.1.2020). 24 Siehe Deklaration von Lima, (abgerufen am 5. 1. 2020) 25 In Chile und Kolumbien wurden die Regierungen mit massiven Protesten auf der Straße konfrontiert. In Mexiko wie auch in Kolumbien hat sich die Sicherheitslage aufgrund der organisierten Kriminalität massiv verschlechtert. Und in Peru führte ein Konflikt zwischen Präsident und Kongress zu einer Auflösung des Parlaments mit vorgezogenen Neuwahlen.
Nr. 3 | Februar 2020 7 POLICY BRIEF Lateinamerika im Krisenmodus zukomme und Brasilien gegebenen- kunft gehören sollte. 28 Das Gegen- an die „Neue Seidenstraße“ anzubin- falls seinen eigenen Weg gehen wer- teil ist eingetreten. Die OAS ist eine den, warnen die USA vor einem zu gro- de. Während der Präsidentschaft von der wenigen Regionalorganisationen, ßen wirtschaftlichen Einf luss von Macri konnten die Interessengegen- die nicht paralysiert und weiter hand- China. In Lateinamerika (etwa in Ar- sätze noch einigermaßen eingehegt lungsfähig ist. Letztlich war es die Kri- gentinien und Brasilien) übt die US- werden, aber schon im Wahlkampf tik der OAS am Ablauf der Wahlen in Regierung verstärkt Druck im Hinblick gab es verbale Auseinandersetzungen Bolivien, die das Schicksal von Morales auf den Ausschluss chinesischer Un- zwischen dem neuen argentinischen besiegelte. Dies kann auf längere Sicht ternehmen beim Ausbau des schnellen Präsidenten Fernández und Bolsonaro. die Rolle der OAS bei der Sicherung Internet (5G-Standard) aus.30 Die unterschiedlche wirtschaftspoliti- der Demokratie in Lateinamerika stär- sche Ausrichtung beider Regierungen ken, setzt aber voraus, dass sie faire dürfte eine Annäherung erschweren: und transparente Neuwahlen in Bolivi- SCHLUSSFOLGERUNGEN Brasilien möchte den gemeinsamen en garantiert und zukünftig auch kla- UND EMPFEHLUNGEN Außenzoll des Mercosur absenken, Ar- rer Position bei Wahlmanipulationen, gentinien ist dagegen. In dieser kom- Verfassungsverstößen und Menschen- Die EU sollte Organe und Organisatio- plizierten Situation birgt das anstehen- rechtsverletzungen rechter Regierun- nen, die dem Schutz der Menschen- de Abkommen zwischen dem Mercosur gen (etwa in Zentralamerika) bezieht. rechte in Lateinamerika dienen, ak- und der EU zusätzlich Sprengkraft. 26 Interessant wird der Ausgang der für tiv unterstützen. Falls die Forderung Brasilien, Paraguay und Uruguay wol- den 20. März geplanten Wahl des Ge- umgesetzt wird, dass der Schutz li- len das Abkommen, die argentinische neralsekretärs der OAS sein. Der nicht beraler Grundwerte wie Demokra- Reg ierung hat sich vor den Wah- unumstrittene 29 bisherige General- tie und Menschenrechte die europä- len und danach eher zurückhaltend sekretär Almagro bemüht sich um ische und deutsche Außenpolitik in („falls das Abkommen der argentini- eine zweite Amtszeit und kann nach Lateinamerika viel stärker leiten soll- schen Industrie nicht schadet“ 27) bis eigenen Angaben auf die Unterstüt- te als geostrategische und wirtschaft- ablehnend geäußert. Im Fall einer Zu- zung der USA zählen. liche Interessen,31 würde dies jedoch stimmung der europäischen Staaten, die Handlungsmöglichkeiten der EU in die noch nicht gesichert ist, wären die Lateinamerika übermäßig einschrän- anderen Mitgliedsländer gegebenen- CHINAS EINFLUSS IN ken und die Region China und den USA falls auch bereit, ohne Argentinien vor- LATEINAMERIKA als Spielfeld in ihrem globalen Konflikt anzuschreiten. Dies wäre das Ende des überlassen. Mercosur in seiner jetzigen Form. Nachdem aus seiner Sicht erfolgrei- chen Handelskonflikt mit China dürfte Im Konflikt zwischen China und den Die Organisation Amerikanischer Staa- US-Präsident Trump nunmehr wieder USA sollte die EU in Lateinamerika ei- ten (OAS) mit seinen 34 Mitgliedstaa- bereit sein, auch gegenüber Latein- ne eigenständige Position einnehmen. ten wurde in der Vergangenheit viel- amerika und Europa den wirtschaft- Europa könnte in diesem Konflikt eine fach als verlängerter Arm der USA lichen Druck zu erhöhen, um Vorteile dritte Option anbieten, muss aber auch kritisiert. Nach der Gründung neuer für die USA zu erlangen. Auch deshalb gegenüber den USA und China sei- lateinamerikanische Regionalorganisa- sind die Handelsabkommen der EU mit ne Interessen verteidigen. Diesem Ziel tionen wie etwa UNASUR und CELAC Lateinamerika wichtig. dienen unter anderem Handelsverträ- sahen viele schon einen Bedeutungs- ge. Europäische Unternehmen sind verlust der Organisation. Der venezo- Während China bestrebt ist, seine wichtige Investoren in Lateinamerika, lanische Präsident Maduro hatte die Wirtschaftsbeziehungen mit Latein- vor allem in den Ländern des Merco- OAS auf die „Müllhalde der Geschich- amerika weiter auszubauen und mög- sur; und die EU ist ein wichtiger Part- te“ verortet, während UNASUR die Zu- lichst viele lateinamerikanische Länder ner in der Entwicklungszusammenar- 26 Darío Mizrahi, ¿Se puede romper el Mercosur?: máxima tensión ante el inminente choque entre Brasil y Argentina, in: infobae, 7. Dezember 2019, , (abgerufen am 5. 1. 2020); Roberto Bouzas, Argentina, Mercosur y UE: los deseos de avanzar y el riesgo de la desintegración, in: El Economista, 16. Dezember 2019, , (abgerufen am 5. 1. 2020). 27 Alberto Fernández favorable al acuerdo Mercosur/UE, “si no afecta la industria argentina”, in: mercospress, 19. Dezember 2019, , (abgerufen am 5. 1. 2020). 28 Nicolás Maduro ataca a la OEA y dice que no quiere ninguna relación con el organismo, in: infobae, 6. Mai 2016, , (abgerufen am 5. 1. 2020). 29 Gegenkandidaten sind bisher der peruanische Karrierediplomat (mit langjähriger Erfahrung in der OAS) Hugo de Zela, dessen Kandidatur von Peru unterstützt wird, und die ehemalige ecuadorianische Außen- und Verteidigungsministerin (und Präsidentin der VN-Vollversammlung) María Fernanda Espinosa, deren Kandidatur von Antigua und Barbuda sowie St. Vincent und die Grenadinen eingebracht wurde und von weiteren Karibikstaaten unterstützt wird. Die ekuadorianische Regierung präferiert allerdings Almagro. 30 Andres Schipani, Jude Webber und Benedict Mander, Latin America resists US pressure to exclude Huawei, in: Financial Times 9. Juni 2019, (abgerufen am 5.1.2020) 31 Sabine Kurtenbach, Lateinamerika – Multilateralismus ohne liberale Werte, in: GIGA Focus Lateinamerika, Nummer 7, Dezember 2019, S.8.
8 Nr. 3 | Februar 2020 Lateinamerika im Krisenmodus POLICY BRIEF beit. Zudem sollten mit China und den des EU-Mercosur-Abkommens führen Desweitern gilt es auszuloten, inwie- USA getrennt die Möglichkeiten eines werden und darüber hinaus weitere weit die neue argentinische Regierung trilateralen Dialogs mit Lateinamerika negative Auswirkungen auf die Wirt- zu einer erweiterten Partnerschaft mit (EU-LA-USA bzw. EU-China-LA) aus- schaftsbeziehungen haben würden. der EU bereit ist. Die EU-Staaten soll- gelotet werden. Europa könnte stärker ten soweit möglich, Argentinien bei mit China im Bereich der Finanzierung Deutschland und die EU sollten das der Umschuldung unterstützen, da- von Infrastrukturprojekten in Latein- Abkommen mit dem Mercosur voran- mit nicht ein weiteres südamerikani- amerika etwa über die Europäische In- treiben. Es dient nicht nur den geo- sches Land im Chaos versinkt. Argen- vestitionsbank konkurrieren, die gera- ökonomischen Interessen der EU, tinien könnte ein wichtiger Partner für de ein Büro in Bogotá geöffnet hat. sondern auch der wirtschaftlichen die Beziehungen mit Lateinamerika in Integration in Südamerika. Ein Schei- einem komplizierten internationalen Neben dem Schutz von Demokratie tern des Abkommens könnte sich ne- Umfeld werden. und Menschenrechten gilt es, auch an- gativ auf den Fortbestand des Merco- dere Werte und internationale Nor- sur auswirken. Ein Auseinanderdriften Ne b e n A r g e nt i n i e n kö n nt e au c h men zu verteidigen. Die Aussagen in des Mercosur würde für die Beziehun- Mexiko eine wichtigere Rolle in den einem Reflexionspapier der Europä- gen zwischen Argentinien und Brasili- Beziehungen zwischen Europa und ischen Kommission vom Mai 201732 ha- en mittelfristig auch sicherheitspoliti- Lateinamerika zukommen. Trotz der ben weiterhin Gültigkeit. Dort heißt es: sche Auswirkungen haben. Rückkehr zur traditionellen mexikani- „Als der größte Binnenmarkt der Welt, schen Position der Nichteinmischung als führende Handelsmacht und größ- Die EU könnte auch helfen, den Kon- in die inneren Angelegenheiten ande- ter Investor und als weltweit größter flikt zwischen Argentinien und Brasili- rer Staaten zeigt die mexikanische Re- Geber von Entwicklungshilfe kann die en in Bolivien zu entschärfen: Brasilien gierung auch die Bereitschaft zu einem EU das globale Regelwerk maßgeblich unterstützt die Übergangsregierung. größeren internationalen Engagement. gestalten.“33 Argentinien gewährt Morales den Sta- tus eines politischen Flüchtlings und Beide, Mexiko und die neue argentini- Europa ist ein wichtiger Handelspart- lässt ihn von argentinischem Boden sche Regierung, wollen eine Mittler- ner Lateinamerikas und vor allem im aus agitieren. Die EU sollte versuchen rolle gegenüber Venezuela einnehmen. Mercosur stark präsent. Diese wirt- zu vermitteln und gegebenenfalls eine Damit ist ein weiteres Problemfeld an- schaftlichen Bindungen schaffen Raum Wahlbeobachtungsmission nach Boli- gesprochen, das die Beziehungen zwi- für politischen Einfluss, den es zu nut- vien schicken. schen Lateinamerika und Europa in zen gilt. So würde eine Ablehnung des diesem Jahr beeinf lussen wird. We- EU-Mercosur-Abkommens wegen Der Kooperation mit Brasilien muss der zeichnet sich im Augenblick eine der Abholzung des Regenwaldes dem weiterhin eine hohe Priorität zukom- schnelle Lösung der politischen Krise Schutz des Regenwaldes nur wenig men. Allerdings sollte die zeitwei- in Venezuela, noch eine schnelle Erho- nutzen. Die EU sind nicht der einzige lig übermäßige Fixierung auf Brasili- lung der venezolanischen Wirtschaft und bei weitem nicht der wichtigste en durch eine engere Kooperation mit und ein Rückgang der Migrationsströ- Käufer von brasilianischem Rindfleisch anderen südamerikanischen Ländern me ab. Europa hat sich 2019 über ei- und Soja.34 Mit einem Abkommen kann ausbalanciert werden. Die strategi- ne internationale Kontaktgruppe in die die EU vielmehr Druck auf Brasilien sche Partnerschaft mit Brasilien soll- Vermittlungsbemühungen in Venezue- ausüben, und dadurch können brasi- te erst wiederbelebt werden, wenn es la eingebracht. 35 Es hat sich gezeigt, lianische Unternehmensgruppen mit mehr Übereinstimmung in strategi- dass die Multiplizierung der Akteu- Wirtschafsinteressen in Europa mo- schen Fragen gibt. Europa sollte seine re zu keinen Fortschritten geführt hat. bilisiert werden. Allerdings muss der Interessen in Brasilien vertreten und in Die EU sollte ihre Kooperation auf die brasilianischen Regierung auch klar einen Dialog mit der Regierung eintre- Lima-Gruppe konzentrieren, der trotz gemacht werden, dass ein Ausstieg aus ten. Auch in Parlament und Wirtschaft Vorbehalten weiterhin auch Argentini- dem Pariser Klimaschutzabkommen gibt es gegenüber den Anliegen Euro- en und Mexiko angehören. und weitere Umweltvergehen im Ama- pas aufgeschlossene Partner. zonasgebiet (und anderswo) in letz- Aufgrund der Schwäche des latein- ter Konsequenz zu einem Scheitern amerikanischen Multilateralismus 32 Europäische Kommission, Reflexionspapier. Die Globalisierung meistern, Brüssel, Mai 2017. 33 Weiter heißt es: „Die EU sollte die Arbeit an einer ausgewogenen, auf Regeln beruhenden und progressiven Agenda für Handel und Investitionen fortsetzen, die nicht nur die Marktöffnung auf der Grundlage der Gegenseitigkeit vorsieht, sondern auch die Weltordnungspolitik in Bereichen wie Menschenrechte, Arbeitsbedingungen, Lebensmittelsicherheit, öffentliche Gesundheit, Umweltschutz und Tierschutz stärkt.“ 34 Siehe Detlef Nolte, Mercosur-Abkommen. Europas geoökonomische und -strategische Interessen, in: DGAPkompakt Nr. 16, September 2019. 35 Claudia Zilla, Venezuela, die Region und die Welt, SWP-Aktuell Nr. 14, März 2019.
Nr. 3 | Februar 2020 9 POLICY BRIEF Lateinamerika im Krisenmodus muss die EU alle bestehenden Fo- zu einer Militarisierung der Demo- ren nutzen, die eine Chance zum Dia- kratie in Lateinamerika führen kann.36 log bieten. Auch deshalb ist das Ab- Wie die Krisen in Lateinamerika aus- kommen mit den Mercosur wichtig. gehen, ist deshalb noch offen. Einer- Darüber hinaus sollten bestehende seits sind Fortschritte in Richtung ei- Dialogforen, etwa mit der Andenge- ner Vertiefung der Demokratie (etwa meinschaft oder den zentralamerika- durch Verfassungsreformen), mehr po- nischen und karibischen Staaten (SICA litischer Transparenz und mehr sozi- und CARIFORUM), aufgewertet wer- aler Gerechtigkeit möglich. Es ist aber den. Gegebenenfalls sollten im Fall ei- auch möglich, dass sich nach den Pro- nes PROSUR-Gipfels 2020 Beobachter testen wieder der Ruf nach Ordnung der EU teilnehmen. Auch die Kontak- durchsetzt und rechte Politiker mit te mit der Lima-Gruppe sollten weiter diesem Versprechen an die Macht ge- gepflegt werden. Mit der Unterstüt- langen.37 Europa muss sich darauf ein- zung der neuen bolivianischen Regie- stellen, dass die politische Lage in La- rung und dem möglichen Beitritt Uru- teinamerika volatil bleibt, autoritäre guays wird sich die Repräsentativität Tendenzen und eine weitere Stärkung der Gruppe weiter erhöhen. Punktu- der Rolle des Militärs in einzelnen Län- ell bietet sich auch eine Kooperation dern sind nicht auszuschließen. Auch mit der OAS an, die als einzige Regio- das hohe Ausmaß an politischer und nalorganisation gestärkt aus der Krise anders motivierter Gewalt sowie von des Multilateralismus in Lateinamerika staatlich geförderten oder nicht aus- hervorgegangen ist. Offen ist die Fra- reichend sanktionierten Menschen- ge, inwieweit die temporäre Präsident- rechtsverletzungen wird fortbestehen. schaft Mexicos der CELAC neue Im- pulse geben kann, die sich positiv auf die Beziehungen mit der EU auswirken. Insgesamt sollte sich die EU darauf einstellen, dass Lateinamerika zu ei- ner schwierigen Partnerregion ge- worden ist. Die Region stagniert wirt- schaftlich, soziale Verteilungskonflikte werden immer heftiger und das Fun- dament der Demokratie ist vielerorts brüchig geworden. Europa wird auch 2020 in seinen Beziehungen mit La- teinamerika mit Problemen politi- scher Instabilität, autoritären Tenden- zen und Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Organe konfrontiert sein. Das Militär wird in solchen Kri- senkonstellationen zum Stabilitätsan- ker. Politische Akteure versuchen, sich in Lateinamerika des Rückhalts der Streitkräfte zu versichern, was das Mi- litär in eine Schiedsrichterrolle drängt und langfristig wieder zu einer stär- keren Politisierung des Militärs oder 36 Javier Corrales, Latin America Risks Becoming the Land of Militarized Democracies, in: Americas Quarterly, 24.Oktober 2019, < https://www.americasquarterly.org/content/ latin-america-risks-becoming-land-militarized-democracies>, (abgerufen am 5. 1. 2020); Steven Levitsky und María Victoria Murillo, The Coup Temptation in Latin America, in: New York Timees, 26. November 2019, , (abgerufen am 5. 1. 2020). 37 Siehe den Vergleich zwischen Chile und Brasilien bei Oliver Stuenkel, How Chile Can Avoid Brazil‘s Fate, in: Americas Quarterly, 13. Dezember 2019, , (abgerufen am 5. 1. 2020).
Rauchstraße 17/18 10787 Berlin Tel. +49 (0)30 25 42 31 -0 info@dgap.org www.dgap.org @dgapev Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP) forscht und berät zu aktuellen Themen der deutschen und euro- päischen Außenpolitik. Dieser Text spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren wider, nicht die der DGAP. Herausgeber Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. ISSN 2198-5936 Layout Katharina Bötel-Azzinnaro Design Konzept: WeDo Fotos Autorinnen und Autoren © DGAP Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.
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