Ich komm' heut nicht! - iwd
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1. Februar 2018 #3 / 2018 ISSN 0344-919X Informationen aus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln G 4120 Ich komm’ heut nicht! Krankenstand. Der Trend hält an: Die Deutschen fehlen am Arbeitsplatz immer länger. Ein Grund dafür ist die alternde Belegschaft – Arbeitnehmer über 55 Jahre sind im Schnitt deutlich länger arbeitsunfähig als jüngere Kollegen. Besonders verbreitet sind Muskel- und Skelett- erkrankungen, am längsten fallen die Beschäftigten mit psychischen Störungen aus. Seiten 2–4 Einkommensverteilung EU-Kohäsionspolitik Wie verschiebt sich die Einkommensverteilung in den Auch wegen des Brexits muss die EU ihre Ausgaben EU-Mitgliedsstaaten, wenn Europa als ein einziges Land hinterfragen. IW-Berechnungen zufolge lassen sich in der betrachtet wird? Das IW hat das analysiert und kommt Kohäsionspolitik mehr als 20 Milliarden Euro pro Jahr zu eindrücklichen Ergebnissen. sparen. Seite 5 Seiten 6–7 Weitere Themen +++ Digitalisierung +++ Gastgewerbe +++ Ganztagsbetreuung +++ Top-Liste: Online-Buchungen
Krankenstand 1. Februar 2018 / #3 / Seite 2 Arbeitnehmer fallen länger aus Krankenstand. Der langfristige Trend zu steigen- Die Dauer 3,7 4,5 den Fehlzeiten in Deutschland geht weiter: Pflicht- Verteilung der Arbeitsunfähig- keit (AU) 2016 in Prozent aller 9,3 versicherte Arbeitnehmer wurden 2016 für durch- AU-Fälle 34,9 schnittlich zweieinhalb Wochen krankgeschrieben. Ein Grund dafür ist die alternde Gesellschaft: Mit 17,1 dem Alter steigt auch die Zahl der Krankheitstage. 1 bis 3 Tage Muskel- und Skeletterkrankungen bilden nach wie 4 bis 7 Tage 1 bis 2 Wochen vor die häufigste Ursache. Effekte durch eine bessere 2 bis 4 Wochen Prävention werden sich – besonders bei altersabhän- 4 bis 6 Wochen Mehr als 6 Wochen 30,4 gigen Verschleißerscheinungen – wohl erst in einigen Arbeitsunfähigkeit: Kalendertage mit ärztlichem Attest; pflicht- und freiwillig versicherte Mitglieder Jahren erkennen lassen. der Betriebskrankenkassen einschließlich Empfängern von Arbeitslosengeld I und II, ohne Rentner Quelle: Dachverband der Betriebskrankenkassen © 2018 IW Medien / iwd Zwei Drittel der Krankmeldungen sind nach spätestens einer Die Krankheitstage Woche erledigt – nicht eingerechnet Kurzzeiterkrankungen, Durchschnittliche Arbeitsunfähigkeitstage je Pflichtmitglied für die Mitarbeiter kein ärztliches Attest nachweisen müssen. Mehr als die Hälfte aller Ausfallzeiten geht aber auf das Konto 20 von schwerwiegenderen Krankheitsfällen, die mindestens vier Wochen dauern. 17,4 Das Alter 15 Durchschnittliche Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage 2016 11,5 10,6 12,1 11,5 11,6 10 Unter 20- bis 24- 25- bis 29- 30- bis 34- 2006 2008 2010 2012 2014 2016 20-Jährige Jährige Jährige Jährige 2016: wegen neuer Methodik nur bedingt vergleichbar mit früheren Werten; Arbeitsunfähig- keitstage: Kalendertage mit ärztlichem Attest; pflichtversicherte Mitglieder der Betriebskran- kenkassen einschließlich Empfängern von Arbeitslosengeld I und II, ohne Rentner Quelle: Dachverband der Betriebskrankenkassen 13,1 15,3 17,8 © 2018 IW Medien / iwd 35- bis 39-Jährige 40- bis 44-Jährige 45- bis 49-Jährige Seit dem Jahr 2016 schauen die Statistiker der Betriebskran- kenkassen genauer hin – Atteste während der Reha werden nun mitgezählt, Krankschreibungen infolge von Arbeitsunfäl- len vollständig erfasst. Dadurch ist die Zahl der Arbeitsunfä- 21,8 27,0 30,0 higkeitstage zuletzt um zwei Tage gestiegen. Auch wenn der Wert für 2016 nur bedingt mit dem Vorjahr vergleichbar ist, 50- bis 54-Jährige 55- bis 59-Jährige 60- bis 64-Jährige bleibt die Richtung eindeutig – der Krankenstand steigt an. Arbeitsunfähigkeitstage: Kalendertage mit ärztlichem Attest; pflicht- und freiwillig versicherte Mitglieder der Betriebskrankenkassen einschließlich Empfängern von Arbeitslosengeld I und II, ohne Rentner Ursprungsdaten: Dachverband der Betriebskrankenkassen © 2018 IW Medien / iwd Eine interaktive Grafikstrecke mit weiteren Fakten zum Mit zunehmendem Alter sinkt die körperliche Leistungsfähig- Krankenstand in Deutschland finden Sie auf keit. Daher ist es nicht verwunderlich, dass ältere Beschäftig- iwd.de/krankenstand_in_deutschland te durchschnittlich länger ausfallen. Körperliche Verschleiß erscheinungen oder schwerwiegende Erkrankungen treten bei jüngeren Kolleginnen und Kollegen seltener auf, auch wenn diese häufiger krankgeschrieben werden.
1. Februar 2018 / #3 / Seite 3 Krankenstand 16,3 38,8 Die Leiden So viel Prozent der Arbeitsunfähigkeitstage entfielen 2016 auf … Psychische Störungen AU-Tage je Fall 14,4 6,6 Krankheiten des 5,6 4,5 Atmungssystems Infektionen 6,3 4,9 4,3 21,4 Krankheiten des Krankheiten des Kreislaufsystems Verdauungssystems 30,6 3,9 11,3 19,8 Verletzungen und Krebserkrankungen Vergiftungen 19,9 25,2 Rest zu 100: sonstige Ursachen; Arbeitsunfähigkeitstage: Kalendertage mit ärztlichem Attest; pflicht- und freiwillig versicherte Mitglieder der Betriebskrankenkassen einschließlich Empfängern von Arbeitslosen- geld I und II, ohne Rentner Muskel- und Ursprungsdaten: Dachverband der Betriebskrankenkassen Skeletterkrankungen © 2018 IW Medien / iwd Mit höherem Alter treten gerade in körperlich belastenden Berufen vermehrt Verschleißerscheinungen auf. Besonders deutlich wird dies durch die hohe Zahl an Muskel- und Skeletterkrankungen. In keiner anderen Krankheitsart steigen die Ausfälle mit dem Alter so stark an. Seelische Leiden rangieren inzwischen auf Rang zwei der Krankheitsursachen. Der einfache Rückschluss, Arbeitsverdichtung und zunehmender Wettbewerbsdruck machten krank, greift jedoch zu kurz. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass sich Arbeit auch positiv auf das seelische Befinden auswirken kann – etwa durch Anerkennung im Job, die soziale Vernetzung mit den Kollegen oder schlicht wegen der verbesserten Konsummöglichkeiten durch das Einkommen. Die Branchenunterschiede sind mit Vor- Die Berufsgruppen sicht zu interpretieren. Auch in den indus- Arbeitsunfähigkeitstage 2016 je beschäftigten Versicherten triellen Branchen ist vielfach eine hybride Wertschöpfungskette zu beobachten, in die unterschiedliche Berufe eingebunden Die fünf Berufsgruppen mit den wenigsten AU-Tagen sind. Zu den Top 5 der Berufsgruppen Lehr- und Forschungstätigkeit an Hochschulen 5,0 mit den höchsten Ausfallzeiten gehören Geologie, Geografie und Meteorologie 7,3 ebenso Altenpfleger wie Lokführer oder 7,7 Lastwagenfahrer. Auch die Top 5 der Öffentlichkeitsarbeit gesündesten Berufsgruppen streuen über Geschäftsführung und Vorstand 7,7 verschiedene Einsatzfelder. Human- und Zahnmedizin 8,0 Die fünf Berufsgruppen mit den meisten AU-Tagen Servicekräfte im Personenverkehr 29,1 Industrielle Keramikherstellung und -verarbeitung 28,9 Überwachung und Wartung der Verkehrsinfrastruktur 28,6 Polizeivollzugs- und Kriminaldienst, Gerichts- und Justizvollzug 28,2 Altenpflege 28,0 Arbeitsunfähigkeitstage: Kalendertage mit ärztlichem Attest; pflicht- und freiwillig versicherte Mitglieder der Betriebskrankenkassen, ohne Arbeitslose und Rentner Quelle: Dachverband der Betriebskrankenkassen © 2018 IW Medien / iwd
Krankenstand: Interview 1. Februar 2018 / #3 / Seite 4 „Ein ökonomischer Irrglaube“ Interview. Die Politik will die Krankenkassenbeiträge künftig wieder paritätisch durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanzie ren lassen. Jochen Pimpertz, Leiter des Kompetenzfelds „Öffent liche Finanzen, Soziale Sicherung, Verteilung“ im IW, erklärt im iwd-Interview, welche Folgen das haben könnte. Union und SPD haben sich in im Sinne des Wettbewerbs sollte den Sondierungen auf eine Rück- man unbedingt behalten. Foto: Matthias Ritters kehr zur paritätischen Aufteilung Was verspricht sich die Politik der Krankenkassenbeiträge von ihrem Plan? geeinigt. Wie bewerten Sie das? Durch den sinkenden Zusatzbei- Wenn man beim bestehenden trag soll mehr Geld in die Taschen Bruttolohnniveau den Beitrag der Arbeitnehmer fließen. Der zweite paritätisch finanziert, steigen die Grund ist die Angst vor höheren direkt mehr für die Gesundheit Arbeitskosten für die Arbeitgeber Belastungen durch steigende ihrer Mitarbeiter zahlen … abrupt um 0,5 Prozent. Das klingt Gesundheitsausgaben, die nach Ja, wenn die Bruttolöhne niedri- wenig, macht aber rund 6 Milliarden aktueller Rechtslage nur über den ger wären. Wird aber ein höherer Euro im ersten Jahr aus und kann Zusatzbeitrag ausgeglichen würden. Arbeitgeberanteil auf den gleichen dazu führen, dass weniger Menschen Beide Argumente beruhen aber auf Lohn fällig, steigen die Arbeitskos- eingestellt werden. einem ökonomischen Irrglauben: ten. Dabei schultern die Arbeitgeber Was ist Ihr Hauptargument Letztlich muss der Arbeitnehmer schon heute einen größeren Anteil gegen das Vorhaben? alles erwirtschaften – egal ob er den der Gesundheitskosten: Für die Der Zusatzbeitrag ist das einzige Krankenkassenbeitrag überweist Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Merkmal, das den Versicherten einen oder sein Arbeitgeber. zahlten sie allein 2017 schätzungs- Hinweis gibt, welche Kasse effizien- Also spricht doch nichts dage- weise 53 Milliarden Euro, 2006 waren ter wirtschaftet. Dieses Preissignal gen, dass die Arbeitgeber einfach es nur gut 25 Milliarden (Grafik). Wie ist das zu erklären? In Deutschland arbeiten mehr Kosten der Entgeltfortzahlung Menschen als je zuvor, damit erhöht sich die Zahl der Krankheitstage. Ausgaben der Unternehmen für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Gehaltssteigerungen spielen eben- in Milliarden Euro falls eine Rolle. Außerdem steigt der Krankenstand seit einiger Zeit. Insgesamt davon: Bruttoentgelte Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber Lassen sich Ursachen für diese 53,2 Entwicklung festmachen? 43,9 47,5 48,0 50,6 51,9 Die Gruppe der Erwerbstätigen ab 39,4 42,2 43,3 44,4 33,6 35,0 36,1 36,6 39,7 40,1 55 Jahren ist überproportional stark 25,2 28,9 29,2 30,0 32,7 28,0 gewachsen – und ältere Mitarbeiter 20,8 24,0 werden häufiger krank als jüngere. 4,4 4,9 5,6 5,9 6,1 6,8 7,3 7,8 7,9 8,4 8,6 8,8 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber einschließlich der gesetzlichen Unfallversicherung; IW-Kurzbericht 9/2018 2015: vorläufig; 2016 und 2017: geschätzt Jochen Pimpertz: Steigende Ausgaben für die Ursprungsdaten: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Deutsche Rentenversicherung Entgeltfortzahlung © 2018 IW Medien / iwd iwkoeln.de/entgeltfortzahlung
1. Februar 2018 / #3 / Seite 5 Einkommensverteilung Europas Unterschiede Einkommensverteilung. Reichtum und Armut Großes Gefälle sind auch eine Frage des Maßstabs: Das Institut der So viel Prozent der Einwohner der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten deutschen Wirtschaft (IW) hat analysiert, wie sich gehörten im Jahr 2014 zu dieser Einkommensschicht, wenn die EU als ein einziger Staat gesehen wird die Einkommensverteilung in den EU-Mitgliedsstaa- ten verschiebt, wenn die Europäische Union als ein Relativ Reiche Obere Mitte Untere Mitte einziges Land betrachtet wird. Die Ergebnisse zeigen, Mitte im engen Sinn Relativ Arme wie groß die Unterschiede noch immer sind. Rumänien 2,9 6,8 90,1 0,1 Polen 0,8 4,2 24,4 22,7 48,0 Wer ist reich, wer ist arm? Die Antwort auf diese Frage ist relativ, denn das Medianeinkommen in einem Land Spanien 4,3 17,1 39,3 15,1 24,2 bestimmt qua Definition, wo die Einkommensgrenzen Italien 4,1 17,6 43,8 15,5 19,0 verlaufen – nach IW-Abgrenzung gilt als relativ reich, wer Vereinigtes mehr als 250 Prozent des landesspezifischen mittleren Königreich 7,2 24,2 43,8 13,9 10,9 Einkommens verdient. Armutsgefährdet ist dagegen, wer Deutsch- land 8,1 27,6 45,6 10,2 8,4 weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens bezieht. Irland 8,4 26,9 44,3 13,0 7,4 In einer Studie hat das IW die Ländergrenzen hinter sich gelassen: Mithilfe von Kaufkraftparitäten wurden die Frankreich 7,9 25,2 49,7 11,5 5,6 nationalen Währungen in Kaufkraftstandards (KKS) Österreich 8,5 32,8 45,6 7,9 5,1 umgerechnet. Mit jedem KKS kann man in allen Ländern Nieder- die gleiche Menge Waren und Dienstleistungen kaufen. lande 5,9 26,0 52,6 10,6 4,9 Das europaweite Medianeinkommen lag 2014 bei 1.311 Luxemburg 26,7 39,8 29,0 3,0 1,6 KKS, in deutschen Preisen wären das 1.370 Euro. Länderauswahl; eine Übersicht aller EU-Staaten finden Sie auf iwd.de Bei dieser Betrachtungsweise verschieben sich die Relativ Reiche: mehr als 250 Prozent …; obere Mitte: 150 bis 250 Prozent …; Einkommensbefunde fundamental: Mitte im engen Sinn: 80 bis 150 Prozent …; untere Mitte: 60 bis 80 Prozent …; relativ Arme: weniger als 60 Prozent … Rund 20 Millionen Menschen aus reicheren EU- … des kaufkraftbereinigten EU-weiten Medianeinkommens (bedarfsgewichtet) Staaten gelten nach europaweitem Standard – anders Ursprungsdaten: Eurostat © 2018 IW Medien / iwd als in der jeweiligen nationalen Betrachtung – nicht mehr als armutsgefährdet. Ähnliches gilt für die ärmeren Staaten – allerdings mit des europäischen Medians verdient und damit als umgekehrtem Vorzeichen: einkommensreich gilt. Auch für die Bundesrepublik Über 45 Millionen Menschen aus den weniger entspannt sich die Lage: Wenn man die nationalen wohlhabenden EU-Staaten schaffen es nicht über die Grenzen durch die europäischen ersetzt, sinkt die EU-Armutsschwelle, obwohl sie nach nationalem Armutsgefährdungsquote für Deutschland von 16,5 auf Maßstab nicht armutsgefährdet sind. 8,4 Prozent. Und: Mehr als ein Drittel der Bundesbürger In einigen Mitgliedsstaaten, vor allem im Osten, liegt zählt dann mindestens zur oberen Mitte. sogar das kaufkraftbereinigte Medianeinkommen unterhalb der für Europa errechneten Armutsschwelle – IW-Kurzbericht 4/2017 dort ist also mehr als die Hälfte der Bevölkerung nach Judith Niehues: Einkommen in Europa – Arm und Reich ist europäischen Maßstäben armutsgefährdet. auch eine Frage des Maßstabs iwkoeln.de/einkommen_in_europa Schlusslicht in der europaweiten Betrachtung ist Rumänien, wo über 90 Prozent der Bevölkerung als Zu welcher Schicht gehören Sie? relativ einkommensarm gelten, wenn man auf die EU als Sind Sie Teil der Mittelschicht, reich oder armutsgefährdet? Ganzes schaut (Grafik). In Luxemburg dagegen ist nach In einer interaktiven Grafik können Sie das mit wenigen Klicks herausfinden. Außerdem erfahren Sie, wo Sie mit Ihrer Kaufkraft im KKS praktisch niemand mehr armutsgefährdet, während Schichtgefüge der anderen europäischen Länder landen würden: über ein Viertel der Bevölkerung mehr als 250 Prozent iwkoeln.de/einkommensschicht
EU-Kohäsionspolitik 1. Februar 2018 / #3 / Seite 6 Aufs Wesentliche beschränken EU-Kohäsionspolitik. Seit der Brexit bevor – damit fehlen der 1 Milliarde Euro Ende der 1970er Jahrzehnten weitet die EU ihre EU laut Haushaltskommissar Gün Jahre auf zuletzt deutlich mehr als Politik zur Förderung des wirt- ther Oettinger ab 2020 jährlich mehr 60 Milliarden Euro gestiegen. als 10 Milliarden Euro. Insgesamt Damit entfällt mittlerweile fast schaftlichen und sozialen Zusam- droht durch die höheren Aufwendun jeder zweite Euro, den die EU menhalts stetig aus. Nicht nur gen und die fehlenden Einnahmen ausgibt, auf kohäsionspolitische weil mit den Briten demnächst ein Haushaltsloch von bis zu 30 Mil- Maßnahmen – einschließlich der wohl ein wichtiger Nettozahler liarden Euro pro Jahr. landwirtschaftlichen Strukturpolitik. fehlt, gehören nun aber alle Ausga- Angesichts dessen muss die EU Ein Blick auf die Details verrät, ben auf den Prüfstand. Eine neue ihre derzeitigen Ausgaben dringend dass die Fördertöpfe oft im Zusam IW-Studie zeigt, dass sich jährlich hinterfragen. Das gilt nicht zuletzt für menhang mit einer Erweiterung oder die sogenannte Kohäsionspolitik. Sie Vertiefung der EU eingerichtet oder mehr als 20 Milliarden Euro spa- basiert auf der vertraglichen Ver aufgefüllt worden sind – quasi als ren ließen, wenn die Kohäsions- pflichtung, den wirtschaftlichen, Teil politischer Deals. Zudem soll die mittel nur noch den wirtschaftlich sozialen und territorialen Zusam Kohäsionspolitik seit 2007 den schwächeren Mitgliedsstaaten menhalt in der Union zu fördern. Mitgliedsstaaten auch noch dabei gewährt würden. Insbesondere sollen die Unterschie helfen, die von der EU gesetzten de im Entwicklungsstand der Regio- Wachstums- und Beschäftigungsziele Europa mangelt es wahrlich nicht nen verringert und der Rückstand zu erreichen. an Herausforderungen. Um neue besonders benachteiligter Gebiete Dies führt allerdings dazu, dass Flüchtlingsdramen zu vermeiden, abgebaut werden. prinzipiell alle Regionen in der EU muss die EU helfen, die Migrations Um diese Ziele zu erreichen, hat auf Kohäsionsmittel hoffen dürfen. ursachen zu bekämpfen. Zugleich die EU im Laufe der Jahre immer In der aktuellen Förderperiode geht gilt es, die Grenzen zu sichern und mehr Geld in die Hand genommen denn auch kein Land leer aus (Grafik den Terrorismus in die Schranken zu (Grafik): Seite 7): weisen. All dies kostet viel Geld. Die jährlichen Ausgaben für die Im Zeitraum 2014 bis 2020 Zudem steht aller Voraussicht nach Kohäsionspolitik sind von etwa profitieren alle 28 EU-Staaten von den insgesamt gut 454 Milliarden Euro an Kohäsionsmitteln. EU: Mehr Geld für den Zusammenhalt Selbst das reiche Luxemburg wird Ausgaben für die Kohäsionspolitik in Milliarden Euro noch mit gut 100 Millionen Euro gefördert. Das meiste Geld fließt, absolut gesehen, nach Polen; je in Prozent der EU-Gesamtausgaben Einwohner gerechnet liegt dagegen 70 Estland vorn. 60 63,0 Über das ursprüngliche Ziel, 50 43,4 speziell die ärmeren Mitgliedsstaa 40 ten und Regionen zu unterstützen, 30 geht die Kohäsionspolitik also 20 9,9 inzwischen deutlich hinaus. 10 0,8 All dies sind zusammen mit der 0 1976 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 drohenden Haushaltslücke gute Kohäsionspolitik: Politik zur Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts in der EU Gründe, die Kohäsionspolitik wieder Ausgaben in Milliarden Euro: bis 1979 in Milliarden Europäische Rechnungseinheiten, 1979 bis 1998 in Milliarden Europäische Währungseinheiten (ECU) auf das Wesentliche zu beschränken. Ursprungsdaten: EU-Kommission Das IW hat dazu eine Modellrech © 2018 IW Medien / iwd nung erstellt, die auf den kohäsions
1. Februar 2018 / #3 / Seite 7 EU-Kohäsionspolitik EU-Kohäsionspolitik: Förderung für alle Unter dem Begriff der Kohäsionspolitik werden allgemein jene Maßnahmen zusammengefasst, mit denen die EU den wirtschaft- lichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt in der Staatengemeinschaft stärken will. In einer weiten Abgrenzung – wie hier – berechnen sich die kohäsionspolitischen Mittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, dem Europäischen Sozialfonds, dem Kohäsionsfonds, dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums, dem Euro- päischen Meeres- und Fischereifonds sowie der Beschäftigungsinitiative für junge Menschen. Von den insgesamt 454,1 Milliarden Euro, die die EU im Rahmen der Kohäsionspolitik für den Zeitraum 2014 bis 2020 zur Verfügung stellt, entfallen so viele Milliarden Euro auf diese Mitgliedsländer je Einwohner in Euro Polen 86,0 2.270 Litauen 8,4 2.900 Italien 42,8 700 Lettland 5,6 2.860 Spanien 37,4 810 Österreich 4,9 570 Rumänien 30,8 1.560 Estland 4,5 3.390 Deutschland 27,9 340 Slowenien 3,9 1.880 Frankreich 26,7 400 Finnland 3,8 690 Portugal 25,8 2.490 Schweden 3,6 370 Ungarn 25,0 2.540 Irland 3,4 710 Tschechien 24,2 2.290 Belgien 2,7 240 Griechenland 20,4 1.890 Niederlande 1,7 100 Vereinigtes Königreich 16,4 250 Dänemark 1,3 220 Slowakei 15,3 2.830 Zypern 0,9 1.030 Kroatien 10,7 2.560 Malta 0,8 1.910 Bulgarien 9,9 1.380 Luxemburg 0,1 240 Nachrichtlich: national nicht zurechenbar im Rahmen der territorialen Zusammenarbeit 9,1 Ursprungsdaten: EU-Kommission © 2018 IW Medien / iwd politischen Zahlungen und Rückflüs gen des Vereinigten Königreichs Förderung von 50 auf weniger als sen von 2011 bis 2015 basiert. entfallen. Zudem sollen die Kohä 27 Milliarden Euro reduzieren – Im Schnitt dieser Jahre haben die sionsmittel künftig allein von den ohne dass die ärmeren Mitglieds- EU-Staaten (ohne Kroatien) insge wohlhabenderen Staaten – also den staaten Einbußen erlitten. samt gut 50 Milliarden Euro für die bisherigen Nettozahlern – finanziert Die wirtschaftlich stärkeren Kohäsionspolitik ausgegeben. Sal- werden und an die ärmeren Staaten Länder erhalten dann kein Geld diert man die den einzelnen Ländern fließen. Diesem Reformvorschlag mehr aus Brüsseler Töpfen für ihre fiktiv zugerechneten Finanzierungs zufolge würde zum Beispiel Deutsch Regional- und Strukturpolitik, beiträge und die erhaltenen Mittel, land nicht mehr 10,4 Milliarden Euro sondern sollen dafür in erster Linie gab es 15 Nettoempfänger, an die pro Jahr zahlen und zugleich 3,6 Mil- selbst die Verantwortung überneh insgesamt 27,8 Milliarden Euro pro liarden Euro kassieren, sondern men. Unterstützend könnte die EU Jahr geflossen sind. Daraus folgt: ausschließlich einen Beitrag von die ärmeren Regionen dieser Staaten Mit 22,4 Milliarden Euro kam im rund 8 Milliarden Euro leisten. Auf mit Krediten, Bürgschaften und Schnitt der Jahre 2011 bis 2015 der anderen Seite würde etwa Spa- ähnlichen Finanzinstrumenten fast die Hälfte aller Kohäsionsmit- nien, das bislang 4,2 Milliarden Euro fördern. tel nicht den ärmeren Staaten pro Jahr gezahlt hatte, aber auch mit zugute, sondern wurde lediglich 5,3 Milliarden Euro gefördert wurde, innerhalb der reicheren und der zum reinen Empfänger von Kohä- IW-Analysen Nr. 121 Berthold Busch: Kohäsionspolitik in ärmeren Gruppe der Mitgliedsstaa- sionsmitteln in Höhe von gut 700 Mil- der Europäischen Union – Bestandsauf ten neu verteilt. lionen Euro. nahme und Neuorientierung Die IW-Rechnung geht davon aus, Unterm Strich ließe sich das iwkoeln.de/kohaesionspolitik dass infolge des Brexits die Zahlun Volumen der kohäsionspolitischen
Digitalisierung 1. Februar 2018 / #3 / Seite 8 Wohnhäppchen aus dem Netz Digitalisierung. Noch ist der samstägliche Ausflug ins Möbelhaus nicht passé, aber er bekommt Konkurrenz. Denn immer mehr Verbraucher bestellen Lampen, Teppiche und Sofas im Internet. Mithilfe technischer Spielereien soll der Online-Möbelkauf bald noch attraktiver werden. Jeder Dritte hat es schon getan und jeder Zweite kann tungsgegenstände, gleichwohl kaufen Frauen mehr es sich vorstellen: den Möbelkauf im Internet. Vor allem Möbel online ein als Männer. jüngere Leute und Frauen sind Fans des Online-Shop- Ein gutes Beispiel dafür, dass vor allem Frauen dem pings (Grafik): digitalen Einkaufserlebnis rund ums Einrichten zugetan Mehr als die Hälfte der jungen Paare in Deutsch- sind, ist Westwing. Der 2011 gegründete Shoppingclub land hat bereits Möbel online gekauft. mit Sitz in München, der ein ständig wechselndes Männer sind zwar begeisterte Online-Einkäufer, wenn Angebot an Möbeln und Wohnaccessoires über das es um Unterhaltungselektronik geht, doch die meisten Internet verkauft, hat allein im deutschsprachigen Raum von ihnen kaufen eher eine Waschmaschine als einen rund 3 Millionen Mitglieder – 2,7 Millionen davon sind Wohnzimmerschrank im Netz. Bei Frauen ist das ein weiblich. bisschen anders – zwar ist auch ihre Bestellbereitschaft Einen Frauenüberschuss kann auch der Versandhänd- für Elektronik und Haushaltsgeräte größer als für Einrich- ler Otto aus Hamburg verzeichnen. Otto setzte im Jahr Online-Möbelkauf: Jeder Dritte tut es So viel Prozent der Deutschen haben schon einmal Möbel im Internet gekauft 21 24 32 29 24 28 18 22 2014 33 40 56 48 44 35 31 37 2017 Männer Frauen Jüngere Jüngere Ältere Ältere Empty Insgesamt Paare Familien Familien Paare Nesters (kinderlos, (mindestens (mindestens (kinderlos, (Eltern, deren unter ein Kind, ein 12-jähriges 40 Jahre erwachsene 40 Jahre) keines älter oder oder älter) Kinder ausge- als 12 Jahre) älteres Kind) zogen sind) 2014: Befragung von 1.336 Personen; 2017: Befragung von 1.290 Personen Quellen: Otto, TNS Infratest © 2018 IW Medien / iwd
1. Februar 2018 / #3 / Seite 9 Digitalisierung 2017 knapp 800 Millionen Euro nur mit Möbeln um – und Möbelhandel: Jetzt auch online ist damit im Online-Möbelhandel Deutschlands Markt- So viele Millionen Euro wurden 2017 online mit Haushaltswaren führer. Rund 200.000 Möbelstücke und Deko-Artikel von und Möbeln umgesetzt mehr als 140 Marken bietet Otto auf seiner Homepage an. Der Erfolg des Portals ist verblüffend: Ein ursprüng- lich nur für diesen Vertriebsweg designtes Polstermöbel wurde so oft beim Möbelhersteller direkt angefragt, dass USA 29.388 Vereinigtes Königreich 8.272 der sich irgendwann dafür entschied, es auch in seinen Japan 5.447 Ladengeschäften anzubieten. Deutschland 4.061 Doch längst nicht immer sind Möbel aus dem Netz Frankreich 2.836 solche Selbstläufer. Die „Lifestyle-Studie 2017“, die Otto Italien 1.219 zusammen mit dem Marktforschungsunternehmen TNS Spanien 918 Infratest herausgegeben hat, fragte Verbraucher auch Niederlande 590 nach den Hindernissen beim Möbelkauf im Netz: Polen 465 Zu den größten Barrieren zählt, dass Kaufinteres- Österreich 306 senten online weder die Qualität noch die Nutzungs- eigenschaften der Möbel beurteilen können. Mehr als die Hälfte der Befragten bemängelt außer- Schätzung dem, dass das Internet kein reales Erleben bietet und sie Quelle: Statista Digital die Möbel nicht ausprobieren können. Und ein Drittel Market Outlook © 2018 IW Medien / iwd kann sich am Bildschirm schlecht vorstellen, wie die Möbel in ihrem Zuhause aussehen. Zumindest diese Barriere dürfte bald beseitigt sein. Aktuell werden laut Handelsverband Möbel und Viele Online-Möbelhändler experimentieren mit techni- Küchen 8 Prozent der Einrichtungsgegenstände in schen Lösungen wie zum Beispiel Augmented-Reality- Deutschland über das Internet gekauft. Apps, die die reale und virtuelle Welt zusammenführen. Auch der weltgrößte Möbelkonzern bastelt an einer Mithilfe dieser Apps lassen sich Möbel, Lampen und Erweiterung seiner Digitalstrategie. Global setzte Ikea im Teppiche in einer zuvor aufgenommenen Umgebung Einzelhandel zuletzt 34,1 Milliarden Euro um, doch der beliebig platzieren und herumschieben. Und nicht nur Vertrieb über den seit 15 Jahren existierenden eigenen das – man kann die Stücke auf dem Bildschirm auch von Online-Shop, der im vergangenen Geschäftsjahr 5 Pro- allen Seiten betrachten und sogar sehen, welche Schat- zent zum Gesamtumsatz des Konzerns beitrug, reicht ten sie werfen. den Schweden nicht mehr aus. Weil Ikea weiter wachsen Was bislang nur im Testversuch mit einigen wenigen will, sollen Billy, Klippan und Malm deshalb künftig auch Möbelstücken funktioniert, soll noch in diesem Jahr über externe Online-Plattformen wie Amazon oder allen Otto-Kunden von zu Hause aus möglich sein; Alibaba verkauft werden. In diesem Jahr wollen die aufgrund mangelnder Speicherkapazitäten wird jedoch Schweden mit der Umsetzung des Pilotprojekts begin- nur ein Teil des Sortiments vom Verbraucher virtuell in nen. Welche Anbieter zum Zug kommen und welche den eigenen Räumen dargestellt werden können. Ikea Märkte getestet werden, steht allerdings noch nicht fest. bietet das Ausprobieren auf dem Bildschirm bereits seit Ein Problem vieler Online-Händler sind die hohen September 2017 mit seiner Place-App an, die rund 2.000 Retourenquoten. Bei Mode und Schuhen beträgt die Zahl Produkte beinhaltet. der Rücksendungen mitunter 50 Prozent. Im Möbelseg- Dass sich die Internet-Möbelhändler so allerhand ment, so beteuern die Internethändler, sei die Quote viel einfallen lassen – manche betreiben Beratungshotlines, niedriger und je nach Produktgruppe ganz unterschied- fast alle bieten einen kostenlosen Lieferservice, andere lich. Fest steht allerdings: Da es ziemlich teuer ist, ein entsorgen alte Polstermöbel –, hat seinen Grund: Der Sofa oder eine Schrankwand erst anzuliefern und dann Online-Möbelkauf gilt als das Geschäft der Zukunft. Zwar wieder abzuholen, setzen die Online-Möbelhändler alles shoppen die Deutschen im Vergleich zu den Amerikanern daran, Retouren einzudämmen – denn mehr als nur wenig im Internet, doch für Platz vier im globalen 15 Prozent gelten als unrentabel. Auch deshalb ist Ranking reicht es schon heute (Grafik). Und, da ist sich Marktführer Otto freigiebig mit kostenlosen Stoff- und die Möbelbranche einig, die Online-Umsätze werden Holzmustern: Pro Jahr versendet der Internethändler schon bald signifikant steigen. mehr als eine Million solcher Wohnhäppchen.
Gastgewerbe 1. Februar 2018 / #3 / Seite 10 Essen, trinken, schlafen Gastgewerbe. Obwohl immer mehr Menschen außer Haus essen und auch die Reise- branche boomt: Die wirtschaftliche Bedeutung des Hotel- und Gaststättengewerbes wird häufig unterschätzt. Dabei ist es eine dynamisch wachsende Branche, die auch vielen ausländischen Mitarbeitern einen Job bietet. Ob Dönerbude oder Drei-Sterne- Damit bewegt sich die Branche Der Tourismus boomt zwar auch Restaurant, Hostel oder Grandhotel: auf demselben Niveau wie die che- anderswo, doch nur in drei west Das Gastgewerbe ist eine höchst mische Industrie oder die Herstel- europäischen Ländern legten die vielfältige Branche mit großer lung von elektrischen Ausrüstungen. Übernachtungszahlen von 2010 bis Anziehungs- und Wirtschaftskraft. Zu Außerdem wächst das Gastge- 2015 noch stärker zu als in der diesem Ergebnis kommt eine Studie werbe sehr dynamisch. Während die Bundesrepublik: In Portugal stiegen der IW Consult im Auftrag des reale Bruttowertschöpfung in der sie um etwa 32 Prozent, Belgien kam DEHOGA Bundesverbands: Gesamtwirtschaft von 2010 bis 2016 auf ein Plus von 27 Prozent. Auch Im Jahr 2016 setzte das deut- um 9,9 Prozent wuchs, stieg sie im Griechenland steigerte seine Nächti- sche Hotel- und Gaststättengewer- Hotel- und Gaststättengewerbe um gungsrate, und zwar um fast 18 Pro- be annähernd 81 Milliarden Euro mehr als 14 Prozent. zent – knapp 2 Prozentpunkte mehr um und beschäftigte nahezu Das war nicht immer so. Zwischen als in Deutschland. In Frankreich und 1,9 Millionen Menschen. 1991 und 2010 schrumpfte das Italien betrug das Plus weniger als Gastgewerbe um 0,7 Prozent pro 5 Prozent. Jahr, die Gesamtwirtschaft legte Die rund 220.000 Betriebe der dagegen ein jährliches Wachstum Hotellerie und Gastronomie erwirt- von 1,4 Prozent hin. schafteten 2016 eine Bruttowert- Zur guten Umsatzentwicklung im schöpfung von 44,9 Milliarden Euro. Gastgewerbe in den vergangenen Das Gros – nämlich 31,2 Milliarden Jahren haben alle Einrichtungen mit Euro – setzte die Gastronomie um, Ausnahme der Bars beigetragen. 13,7 Milliarden entfielen auf das Besonders hoch war das Umsatzplus Beherbergungsgewerbe. im Eventcatering und in den Eis Ein Blick auf die Beschäftigten salons, allerdings handelt es sich zeigt, dass das Gastgewerbe hierbei um recht kleine Märkte. Von Deutschlands internationalste den großen Marktsegmenten haben Branche ist. Unter den fast 1,9 Mil- vor allem die klassischen Hotels lionen Mitarbeitern befinden sich gewonnen, sie steigerten ihren rund 310.000 sozialversicherungs- Umsatz im Zeitraum der Jahre 2010 pflichtig Beschäftigte mit Migrations- bis 2015 um überdurchschnittliche hintergrund – das sind rund 30 Pro- 35 Prozent. zent der sozialversicherungspflichti- Das liegt vor allem an den gen Mitarbeiter. Eine DEHOGA-Um- steigenden Übernachtungszahlen in frage ergab zudem, dass jeder fünfte den rund 50.000 deutschen Beher- Betrieb Flüchtlinge beschäftigt. bergungsbetrieben (Grafik): Die Zahl der Gästeübernach Studie tungen ist von 2010 bis 2017 um Karl Lichtblau et al.: Die Bedeutung des Hotel- und Gaststättengewerbes 80 Millionen auf fast 460 Millionen iwconsult.de/dehoga gestiegen.
1. Februar 2018 / #3 / Seite 11 Ganztagsbetreuung Win-win-win-Situation Ganztagsbetreuung. Ein Ausbau der Ganztags- gut Deutsch zu lernen, stärkt die Vereinbarkeit von betreuung für Grundschulkinder würde sich für alle Familie und Beruf, verbessert die wirtschaftliche Situa lohnen: für die Kinder, für deren Mütter und Väter tion der Familien und lohnt sich für den Staat. Letzteres erklärt sich allein dadurch, dass die höhere sowie für den Staat. Erwerbstätigkeit der Mütter dem Staat mehr Steuern und Die Ganztagsbetreuung für Kinder zwischen sechs Sozialabgaben einbringt. Würde die Ganztagsbetreuung und zehn Jahren betrifft zwei verschiedene Ebenen: zum Beispiel bis in den Abend und auch auf den Samstag Ganztagsschulen fallen in den Bereich der Schulpoli- ausgedehnt, hieße das bei 330.000 zusätzlichen Plätzen: tik und damit in die alleinige Zuständigkeit der Länder. Den jährlichen Zusatzausgaben der öffentlichen Hand Laut Kultusministerkonferenz wurden im Schuljahr von 0,8 Milliarden Euro stünden zusätzliche Einnahmen 2015/1016 bundesweit knapp 35 Prozent der Sechs- bis von 2,1 Milliarden Euro gegenüber. Zehnjährigen in Ganztagsschulen betreut, allerdings Darüber hinaus wird die Einnahmenbasis der öffent streuen die Quoten auf Länderebene sehr stark (Grafik): lichen Hand langfristig gestärkt – wenn die Integration Während in Hamburg gut 98 Prozent der Kinder besser gelingt und die auf den Arbeitsmarkt nachrücken- auf Ganztagsschulen gingen, waren es in Mecklen- den jungen Menschen besser qualifiziert sind. burg-Vorpommern nur rund 2 Prozent. Außerschulische Betreuungsangebote, also vor Die Ganztagsbetreuung in den Bundes- allem jene in Horten und bei Tageseltern, sind dagegen ländern der Familienpolitik beziehungsweise der öffentlichen So viel Prozent der Kinder zwischen sechs und zehn Jahren Fürsorge zuzuordnen und fallen damit unter die konkur- wurden im Schuljahr 2015/2016 ganztägig betreut rierende Gesetzgebung von Bund und Ländern. Deutschlandweit wurden im Schuljahr 2015/2016 Ganztagsschule Außerschulische Betreuung knapp 23 Prozent der Sechs- bis Zehnjährigen auf diese Hamburg 98,1 13,3 Weise betreut. Und auch hier ist die Spanne auf Länder Sachsen 85,6 82,8 ebene groß: Sie reicht von rund 7 Prozent in Berlin bis zu Thüringen 85,3 13,1 fast 83 Prozent in Sachsen. Berlin 77,2 7,3 Bezogen auf die bundesweiten Quoten ist die Betreu- Saarland 46,9 18,7 ungssituation von Grundschulkindern damit schlechter Nordrhein-Westfalen 42,4 8,2 als die von Kindergartenkindern. Bei diesem Vergleich ist Bremen 41,4 20,7 Brandenburg 41,0 74,8 allerdings zu beachten, dass Schulkinder bereits wäh- Deutschland 34,5 22,8 rend des regulären Unterrichts betreut werden. Rheinland-Pfalz 33,7 14,3 Zudem gibt es bei der Ganztagsbetreuung von Niedersachsen 30,5 17,9 Schulkindern drei Varianten: erstens, wie in Berlin und Hessen 27,5 21,3 Hamburg, die Ganztagsschule als dominierende Einrich- Schleswig-Holstein 19,8 19,8 tung; zweitens, wie in Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg 14,2 14,6 Sachsen-Anhalt, vorwiegend Horte; und drittens, wie in Bayern 11,1 24,2 Sachsen, eine zumeist gemeinsame Gestaltung des Sachsen-Anhalt 4,1 69,9 Ganztagsangebots von Schule und Hort. Mecklenburg- 2,3 68,0 Vorpommern Rechnet man die Betreuungsquoten, die das Deut- Hessen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt: nur Schulen in öffentlicher Trägerschaft sche Jugendinstitut 2016 in einer Studie erhoben hat, Quellen: Kultusministerkonferenz, Statistisches Bundesamt auf alle Grundschulkinder hoch, ist der Befund eindeutig: © 2018 IW Medien / iwd Gemessen am Bedarf der Eltern fehlen in Deutsch- land rund 330.000 Ganztagsbetreuungsplätze. IW-Kurzexpertise Wido Geis: Investitionen in die Ganztagsbetreuung von Grundschulkin- Unter dem Strich wäre der Ausbau der Ganztagsbe- dern – ökonomische Effekte einer Vereinbarkeits-, Bildungs- und Integra- treuung für alle Beteiligten vorteilhaft, denn sie verbes- tionsrendite iwkoeln.de/ganztagsbetreuung sert die Chancen der Kinder, hilft Zuwandererkindern,
1. Februar 2018 / #3 / Seite 12 Impressum Abo-Service: Therese Hartmann, Adressaufkleber Telefon: 0221 4981-443, hartmann@iwkoeln.de Herausgeber: Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. Präsident: Arndt Günter Kirchhoff Verlag: Direktor: Prof. Dr. Michael Hüther Institut der deutschen Wirtschaft Mitglieder: Verbände und Unternehmen in Deutschland Köln Medien GmbH, Postfach 10 18 63, 50458 Köln, Chefredakteur: Ulrich von Lampe (verantwortlich) Konrad-Adenauer-Ufer 21, 50668 Köln Stellv. Chefredakteur: Jork Herrmann Telefon: 0221 4981-0, Fax: 0221 4981-445 Redaktion: Andreas Wodok (Textchef), Irina Berenfeld, Carsten Ruge, Berit Schmiedendorf, Kerstin Schraff, Druck: Henke GmbH, Brühl Alexander Weber Redaktionsassistenz: Ines Pelzer Rechte für den Nachdruck oder die Grafik: IW Medien GmbH elektronische Verwertung über: Telefon: 0221 4981-523 lizenzen@iwkoeln.de Fax: 0221 4981-504 E-Mail: iwd@iwkoeln.de Bezugspreis: € 11,32/Monat inkl. Versandkosten und Mehr- wertsteuer, Erscheinungsweise 14-täglich Top-Liste: Die Online-Bucher Zahl der Woche Dank digitaler Plattformen wie Airbnb oder Couchsurfing finden heute alle, die eine private Unterkunft dem anonymen Hotelbetrieb vorziehen, ganz 2,6 leicht das Zimmer oder die Wohnung ihrer Wahl. Besonders beliebt ist diese Form der Buchung innerhalb der Europäischen Union im Vereinigten König- reich: Im vergangenen Jahr hat gut jeder dritte 16- bis 74-jährige Brite sein geliebtes „Bed and Breakfast“ per Mausklick ausgewählt. In den Ländern auf den nachfolgenden Plätzen lag der Anteil gerade mal bei etwa einem Fünftel – so auch in Deutschland. Am Ende des EU-Rankings liegt Tschechien – dort Millionen hat im Jahr 2017 lediglich 1 Prozent der über 16-Jährigen im Internet eine Erwerbstätige in Deutschland private Ferienwohnung oder ein Zimmer für den nächsten Städtetrip gefun- möchten ihre Arbeitszeit aufstocken. den. Dies geht aus dem Mikrozensus und der Arbeitskräfteerhebung für 2016 hervor. Im Schnitt würden diese Per Internet ins private Bett Beschäftigten pro Woche gerne So viel Prozent der 16- bis 74-Jährigen aus diesen EU-Ländern haben im Jahr 2017 knapp elf Stunden Arbeitszeit online eine private Unterkunft gebucht draufpacken. Zu den „Unterbeschäf- tigten“ gehören auch knapp 1,2 Mil- 34 22 21 20 20 lionen Personen, die nach eigener Einschätzung bereits in Vollzeit tätig Vereinigtes sind, aber dennoch durchschnittlich Königreich Luxemburg Irland Malta Niederlande noch mal sieben Stunden länger 19 19 18 17 16 arbeiten und damit ihr Einkommen erhöhen wollen. Gut 1,4 Millionen Teilzeitbeschäftigte wünschen sich Belgien Deutschland Spanien Italien Frankreich im Schnitt eine wöchentliche Quelle: Eurostat © 2018 IW Medien / iwd Arbeitszeitverlängerung um fast 14 Stunden. Neu auf iwd.de: Teurer Standort D Neu Der neue internationale Arbeitskostenvergleich des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt: Deutschland ist für die Industrie nach wie vor der sechstteuerste Standort der Welt. Welche Industrieländer für die Unternehmen unter dem Kostenaspekt attraktiver sind und weshalb Deutschland auf der Hut sein sollte, lesen Sie auf iwd.de.
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