Leben mit dem Hochwasser - Ausgewählte Hochwasserereignisse des 20. Jahrhunderts im Tiroler Lechtal

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Leben mit dem Hochwasser
      Ausgewählte Hochwasserereignisse des
       20. Jahrhunderts im Tiroler Lechtal

              von Irene Maria Meier

1 Einleitung
1.1 Ziele und methodische Vorgehensweise
    Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, das Leben der
Lechtaler Bevölkerung in Zusammenhang mit dem „Wild-              Mag. Irene Maria Mei-
fluss“ Lech und der damit verbundenen Naturgefahr                 er stammt aus dem Außer-
Hochwasser zu sehen. Dazu dient ein Vergleich ausge-              fern und hat sich mit dem
wählter Hochwasserereignisse, welche diverse Lechver-             Verhalten des angeblich
bauungsprogramme vor und während des 20. Jahrhun-                 letzten Wildflusses Europas
derts zur Folge hatten. Ein Schwerpunkt dieser Arbeit             beschäftigt. Ähnliche Natur-
liegt darin, den Wandel im Umgang mit der Naturgefahr             ereignisse zählen seit weni-
                                                                  gen Jahren in ganz Europa
Hochwasser im Tiroler Lechtal zu verdeutlichen, wobei             zu den brisanten Fragen, die
die Beschreibung eines aktuellen Schutzprogrammes                 über das Jahr des Wassers
im Rahmen eines EU-Projektes (LIFE-Natur: Wildfluss-              hinaus reichen.
landschaft Tiroler Lech) als Beispiel für die gegenwär-
tige Entwicklung dient.
Um einen Einblick in die Thematik der Diplomarbeit zu ermöglichen beinhaltet dieser
Aufsatz folgende Schwerpunkte:
    Der erste Teil dieser Arbeit umfasst allgemeine Informationen zu Lebensraum Lech-
        tal und Wildfluss Lech, welche die Grundlage für weitere Betrachtungen bilden.
    Anschließend wird auf die Hochwasserproblematik im Tiroler Lechtal eingegangen und
        dazu das Hochwasserereigniss von 1999 als aktuelles Beispiel hervorgehoben. Der
        Vergleich von vier ausgewählten Hochwasserereignissen des 20. Jahrhunderts im
        Rahmen der Diplomarbeit führte zur Darstellung spezieller Wetterkonstellationen
        und Großwetterlagen, die bei entsprechend ungünstigen Rahmenbedingungen
        Auslöser für extreme Hochwassererscheinungen im Tiroler Lechtal sind.
    Im abschließenden Teil dieser Arbeit wird erläutert, wie die Bevölkerung des Lechtales
        mit der Naturgefahr Hochwasser umgeht und welche Schutzmaßnahmen im Zuge der
        rund hundert Jahre alten Lechbauprojekte getroffen wurden. Weiters wird ein alter-
        natives Lechbauprojekt vorgestellt, das seit dem Ereignis von 1999 mit baulichen
        Maßnahmen verfolgt wird und im Gegensatz zu den bisherigen Lechbauprogrammen
        einen natürlichen und nachhaltigen Hochwasserschutz zum Ziel hat.

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Beiträge                                            Innsbrucker Jahresbericht 2001/02

2 Der Lech - größter und reichster „Grundbesitzer“ des Tales
2.1 Lage des Untersuchungsgebietes
    Das Lechtal kann allgemein als jene durch fluviale und glaziale Prozesse entstan-
dene Talform verstanden werden, in der der Lech rezent fließt und die aus der Talaue,
den würm- und postglazialen Terrassen, sowie den begleitenden Talhängen besteht
(vgl. Bürger 1991 S. 33).
    Im Nordwesten Tirols erstreckt sich das Tiroler Lechtal von der Landes-grenze zu
Vorarlberg bei Warth bis zur etwa 80 Kilometer nordöstlich gelegenen Staatsgrenze
zur Bundesrepublik Deutsch-land bzw. dem Freistaat Bayern. Geographisch betrach-
tet wird als Lechtal das gesamte alpine Einzugsgebiet und Teile des ausseralpinen
Einzugsgebietes des Lech bezeichnet, historisch allerdings gehen diese Bezeichnun-
gen weit auseinander. Das Kerngebiet des Lech mit seinen Bewohnern, der Lechtaler
Bevölkerung, umfasst dabei nur den Talabschnitt zwischen der Lechklamm bei Prenten
bis zur Talverengung bei Forchach. Als Grundlage für die weiteren Ausführungen soll
als Tiroler Lechtal die Region verstanden werden, die sich vom Ursprung des Lech am
Formarinsee bis zum Lechfall oder Magnustritt bei Füssen erstreckt und somit mit
dem Begriff Einzugsgebiet gleichgesetzt werden kann. Dazu gehören auch die Sei-
tentäler, deren Wildbäche wichtige Geschiebelieferanten des Hauptflusses sind.

Abb. 1: Lech bei Lechaschau – Hochwasser 1999                                 (Foto: Lipp 1999)

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Hochwasser Lechtal

    In Folge der mehrfachen eiszeitlichen Vergletscherung, in den letzten 1,5 Milli-
onen Jahren (Pleistozän), entwickelte sich der Flussraum des Lech und sein Ein-
zugsgebiet am Nordabhang der Alpen, ähnlich wie andere alpine Flüsse (z.B. Isar,
Inn, etc.) zu einer dynamischen alpinen Wildflusslandschaft. Da aber das Lech-
gebiet im Tiroler Raum nicht in vergleichbarem Maße anthropogen überprägt wur-
de, wie die Flusssysteme von Isar oder Inn, ist der Lech heute eines der letzten
Beispiele einer naturnahen Flusslandschaft in Mitteleuropa.
    Das Lechtal liegt in den Nördlichen Kalkalpen, die ausschließlich aus kalk-
alpinen Schichten aufgebaut werden und komplizierte strukturgeologischen Verhält-
nisse aufweisen. Aus diesen komplexen Schichtfolgen, den klimatischen Verhältnis-
sen und den vielfältigen Abtragsformen ergeben sich die für das Lechtal typischen
geomorphologischen und hydrogeologischen Erscheinungsformen. Sedimentgesteine
aus dem Mesozoikum, vor allem der Trias, des Jura und der Kreidezeit bauen die
Lechtaler Alpen im unmittelbaren Bereich des Lechtals auf. Zu den ältesten Fest-
gesteinen zählen der alpine Bundsandstein, rötliche und grünliche Schiefer und Rau-
wacken aus dem älteren Trias.

2.2 Flusscharakteristik
     Der Lech entspringt nahe des Formarinsees in Vorarlberg auf etwa 1880 m über
NN. Anich verzeichnete diesen Ort in seiner Karte von Tirol ebenso wie Huber 1770
in der von Vorarlberg „als Wasserlauf im Hintergrund des Zugtales oberhalb der Mün-
dung des Markbaches auf der Alpe Formarin“ (vgl. Stolz 1936, S. 47). Eine Quelle
des Lech gibt es nicht, man könnte entweder die Quelle des Formarin- bzw. des
Markbaches angeben oder die Stelle, an der sich die beiden vereinigen. Ein direkter
Abfluss des Formarinsees zum Lech existiert aber nicht. Der Lech bildet sich aus dem
Zusammenfluss einiger Rinnsale, die über die Alpe Formarin fließen (siehe Abb. 2)
und schließlich einen Bergbach entwickeln. Diese Wasser folgen dem Weg durch
enge Schluchten, überqueren bei Warth die Grenze nach Tirol und durchfließen bis
Steeg eine enge Klamm, bis sie erneut besiedeltes Gebiet erreichen. An dieser Stelle
weitet sich der Talboden nahe der Kaiserbachmündung und das Tal öffnet sich auf
eine Breite von ca. 500 m.
     In Folge lassen sich drei verschiedene Landschaftsräume unterscheiden, die
nacheinander auftreten: ein Längstal zwischen Steeg und Häselgehr, in dem der Lech
fast ausschließlich im anstehenden Gestein fließt, eine etwas engere Durchbruchs-
strecke zwischen Häselgehr und Weißenbach, die von breiten Schotterflächen besonders
an den Mündungsbereichen des Bschlaberbaches, Hornbaches und Schwarzwasser-
baches gekennzeichnet ist und zuletzt die Beckenreihe von Reutte, die erneut breite
Umlagerungsstrecken aufweist. Geomorphologisch lässt sich der Lech somit zum
Teil als gestreckter Fluss, im überwiegenden Maße jedoch als verzweigter Fluss
klassifizieren (vgl. Scheuermann und Karl 1990, S. 27; Bundesministerium für Land-
und Forstwirtschaft 1996, S. 33).
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2.3 Einzugsgebiet
    Der Lech ist einer der größten rechtsseitigen Zuflüsse der oberen Donau und
entwässert zwischen der Iller im Westen, dem Inn im Süden und der Isar im Osten ein
Gebiet von ca. 3900 km². Er durchfließt dabei von der Quelle (Vorarlberg) bis zur
Mündung in die Donau (östlich von Donauwörth) eine Strecke von 255 km (vgl.
Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft 1996, S. 3).
     Zwischen Prenten (bei Steeg) und Weißhaus (Staatsgrenze) beträgt die Höhen-
differenz rund 330 m auf einer Strecke von 61 Kilometern, was ein natürliches Gefäl-
le von 6,3 ‰ bei Steeg und 3,6 ‰ bei Weißhaus ergibt (vgl. Amt der Tiroler Landes-
regierung - Bundeswasserbauverwaltung 1978, S. 10). Vom Ursprung bis zur
österreichischen Staatsgrenze beträgt das Einzugsgebiet 1405,9 km², die restlichen T!
liegen auf deutschem Staatsgebiet. Zwischen Steeg und Weißenbach nimmt die Ein-
zugsgebietsgröße langsam zu, erst der Rotlech, der Archbach und die Vils als größte
Lechzubringer lassen die Fläche des Einzugsgebiets deutlich rascher ansteigen.
Der Talboden des Lech von Steeg bis zur Staatsgrenze weist eine Fläche von rund
100 km² auf, die Talbreite schwankt zwischen 300 m (Steeg) und 4-5 km (Reutte)
(vgl. Amt der Tiroler Landesregierung - Bundeswasserbauverwaltung 1978, S. 20).

Abb. 2: „Die Wiege des Lech“ auf der Alpe „Formarin“     (Quelle: Miller F. R. und R. Reile 1990, S. 11)

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Hochwasser Lechtal

2.4 Abflussverhalten
    Das Abflussgeschehen am Lech wird durch seine Lage am Nordrand der Alpen
und die dafür charakteristischen hohen Niederschlagsmengen (Nordstaulagen) vor
allem im Frühjahr und in den Sommermonaten, sowie die temperaturbedingte langan-
haltende Schneebedeckung geprägt. Während des Frühjahrs kommt es im Lechtal
regelmäßig zu Hochwasserabflüssen, besonders dann, wenn eine Regenperiode über
längere Zeit andauert und der warme Regen bei relativ hohen Temperaturen bis in
hohe Lagen vordringt. Das Abschmelzen der restlichen Schneevorräte in den Seiten-
tälern wird dadurch begünstigt, und es kommt zu Spitzenabflüssen, die innerhalb
kürzester Zeit hohe Wasserstände verursachen und durch die Größe und den aktuel-
len Stand der Einzugsgebiete (Vegetationsperiode, Vorbenetzung, ...) bedrohliche Aus-
maße annehmen können. In den Sommermonaten können Gewitterregen kurzfristige
Niederschlagsspitzen auslösen, die Hochwasserwellen nach sich ziehen, die aber bei
Beruhigung der allgemeinen Wettersituation relativ rasch wieder abklingen. Die Win-
termonate sind im allgemeinen von Niedrigwasserperioden gekennzeichnet, da der
Niederschlag in geringeren Mengen und vorwiegend als Schnee fällt.
    Neben der Häufigkeit und Intensität der Niederschläge, hängt das Abflussverhalten
von der Ausbildung der Böden und der Vegetationsdecke, aber noch entscheidender
vom Gesteinsuntergrund ab (Naturraumpotential des Einzugsgebietes). Infolge weit-
reichender Verkarstung fließt ein Großteil des Wassers unterirdisch ab, wie dies bei
sehr durchlässigen Wettersteinkalkschichten der Fall ist. Die Allgäuschichten enthal-
ten im Gegensatz dazu wasserstauende Gesteine und die Lockergesteine sind je nach
Ablagerungsbedingungen, Schwankungen in Bezug auf Wasserdurchlässigkeit unter-
worfen (vgl. Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft 1996, S. 17).
    Zur genauen Erhebung des Abflusses (Durchfluss in einem Gerinnequerschnitt)
aus einem Einzugsgebiet bedarf es ständiger Beobachtungen des aktuellen Wasser-
standes, um für den jeweiligen Querschnitt Abflussmengen errechnen zu können, die
zur Ermittlung von Wasserstands-Durchfluss-Beziehungen herangezogen werden kön-
nen (vgl. Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIh. Wasserwirtschaft 1994, S. 1).
Deshalb dienen vor allem langjährig geprüfte Aufzeichnungen an verschiedenen Pe-
geln mit unterschiedlich großen Einzugsgebieten als Vergleichswerte.
    Am Lech sind derartige Vergleiche schwierig, da wenig Datenmaterial über
einen längeren Zeitraum von unterschiedlichen Pegeln vorhanden ist. Im Lechtal
gab es zwar im Laufe dieses Jahrhunderts mehrere Pegelstellen, die regelmäßig
abgelesen und deren Wasserstände aufgezeichnet wurden, meist hatte man aber die
Werte in unterschiedlichen Perioden erfasst, was zu wenig vergleichbaren Aufzeich-
nungen führte. Zum Teil wurden einige Pegel im Laufe der Zeit aufgelassen (Bsp.
Grießau, Klimm, Unterhöf, Pinswang), weil sie entweder durch die starke Geschiebe-
führung oder nur durch den Betrieb eines Lattenpegels unsichere bis unbrauchbare
Abflusswerte lieferten oder durch hohe Wasserstände und Frühjahrshochwässer be-
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einträchtigt wurden. Verlässliche Angaben lieferte vor allem der Pegel Steeg, der
durch seine günstige Lage, 3 km von der Schluchtstrecke zwischen Warth und Prenten
entfernt, den Zufluss ins Tiroler Lechtal wiedergibt. An dieser Stelle beträgt die
Fläche des Einzugsgebietes 247,9 km².
    Die nachfolgende Tabelle 1 zeigt die wichtigsten Pegelstellen (vom Ursprung
bis zur Staatsgrenze) und die Größen der jeweiligen Einzugsgebiete im Lechtal.

Pegel                 Gewässer              Pegelnullpunkt         Einzugsgebiet [km²]
                                               [m ü.A.]
Lech                  Zürsbach                  1455,00                      23,4
Lech                  Lech                       1437,48                     82,5
Steeg                 Lech                       1109,29                    241,7
Vorderhornbach        Hornbach                    957,31                     64,0
Rieden                Rotlech                     882,90                     85,9
Lechaschau            Lech                        836,09                   1012,0
Vils-Lände            Vils                        802,95                    199,3

Tab.1: Pegelstellen im Tiroler Lechtal (Quelle: Amt der Tiroler Landesregierung Abtl.
       VIh. Wasserwirtschaft 1994, S. 6)

2.5 Gerinnegeometrie und Bettgestaltung (Feststoffe, Feststoffherde und Geschiebe-
    haushalt)
     Im Rahmen der Bettbildungsprozesse ist ein Fluss bestrebt, ein Gleichgewichts-
profil herzustellen, d. h. dass er durch Erosions- und Akkumulationsprozesse über
seine gesamte Laufstrecke versucht, Gefällsunterschiede auszugleichen.
     Der Lech strebte nach dem Abschmelzen des Würmeises auch einem derartigen
Gleichgewichtszustand mit ausgeglichener Feststoffbilanz entgegen, indem er versuchte,
sich einen Weg durch die mächtigen Ablagerungen zu schaffen, die durch das Ab-
schmelzen der Gletscher und den darauffolgenden Transport großer Schottermengen
ins Tal entstanden sind. Wie die Terrassenstufen des Talbodens zeigen, ist die Sohle
in der Folgezeit stufenweise tiefer gelegt worden.
     Als natürliche Geschiebefracht wird jene Geschiebemenge bezeichnet, die in einen
Fluss sowohl von seinen Zubringern zum Weitertransport (Geschiebetrieb) einge-
bracht, als auch vom Fluss selbst durch Tiefen-, bzw. Seitenerosion mobilisiert wird
(vgl. Amt der Tiroler Landesregierung - Bundeswasserbauverwaltung 1978, S. 46-47).
     Sieht man von dem im Zuge der Eintiefung sehr ergiebigen Geschiebeherd „Lech-
sohle“ ab, dann stammen die Feststoffe aus den Seitenbächen (Wildbächen) des
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Hochwasser Lechtal

Lechtales. Durch eine hohe Reliefenergie und Verwitterungsintensität (z.B. durch
den Wechsel von Frost– und Auftauvorgängen) im Einzugsgebiet, verbunden mit
dem beachtlichen Niederschlags-aufkommen gelangen Lockermaterial unterschied-
licher Korngröße und Schwebstoffe in die zahlreichen Lechzubringer.
     Die Geschiebefracht des Lech ist erheblichen Schwankungen unterlegen (teilweise
bedingt durch Verbauungsmaßnahmen). In Füssen errechnete Ertl 1950 (vgl. Ertl
1950 in Weiss 1984, S. 29) eine mittlere jährliche Geschiebefracht von 140.000 m³/a,
welche später allerdings von Bauer 1979 (vgl. Bauer 1979 in Weiss 1984, S. 29) auf
maximal 110.000 m³/a reduziert wurde. Im Rahmen der Lechtalstudie beschäftigte
man sich erneut mit der Frage der jährlichen mittleren Geschiebefracht, die durch die
Lechzubringer in den Lech transportiert werden. Klenkhart (2000, S. 203) kam dabei
zum Ergebnis, dass durchschnittlich von den Tiroler Seitenbächen des Lech (es wur-
den dabei 37 Wildbacheinzugsgebiete untersucht, mit Ausnahme der Vils) 170.000
m³ Geschiebe eingebracht werden. Dabei stamme der Hauptanteil aus „feingrusigen,
offenen Hangschuttflächen (Hauptdolomit) bzw. Schwemm- und Murkegeln, die sich
aus diesem Material gebildet haben“. Ebenso wie die Geschiebefracht wird auch der
Schwebstoffgehalt des Lech seit 1924 an einer Messstelle bei Füssen erhoben. Nach
Angaben des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft beträgt die mittlere jährli-
che Schwebstofffracht, gemessen im Zeitraum 1924-79 230.000 m³. Davon wird ein
erheblicher Teil (60 %) vom Forggensee zurückgehalten (vgl. Weiss 1984, S. 28-31).
Die mittlere Schwebstofffracht der Periode 1924-1990 beträgt gerundet 310.000 m³,
wobei ein maximaler Messwert 1970 mit rund 970.000 m³ und ein minimaler im Jahr
1947 mit rund 49.000 m³ Schweb-
fracht aufgetreten sind. Die                                             Jährliche
beiden Extremwerte zeigen, wie Einzugsgebiet                          Geschiebefracht
erheblich die Schwankungsbreite                                             (m³)
der Schwebfracht im Lechgebiet Kaiserbach bei Steeg                         7.000
sein kann. Daraus ergeben sich Alperschonbach bei Bach                     14.000
Probleme für die zuständige Bau- Griesbach und Bernhardsbach
leitung, weil sie entsprechende bei Elbigenalp                             16.000
Maßnahmen setzen muss, die Otterbach                                       17.000
den großen Schwankungsbreiten
                                     Weißenbach                            11.500
annähernd angepasst sind (vgl.
Amt der Tiroler Landesregierung Vils, Einzugsgebiet: 199,4 km²             15.000
- Institut für Wasserbau, Univer-
sität Innsbruck 1990, S. 10).       Tab. 2: Jährliche Geschiebefrachten einiger wich-
                                             tiger Geschiebelieferanten aus den Seiten-
     Entscheidend für die Fest-              tälern. (Quelle: Amt der Tiroler Landesre-
stoffverfrachtung sind unter ande-           gierung - Institut für Wasserbau, Universi-
rem „regulierungsbedingte Ver-               tät Innsbruck 1990, S. 10).
                                                                                        11
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änderungen der Gerinnegeometrie, der längerfristige Rückhalt von Geschiebemengen
in den Geschiebestausperren der Seitentäler und die gewerbliche Entnahme von
Geschiebe größeren Umfangs, sowie Stauhaltungen samt Ausleitungen von Abflüs-
sen“ (vgl. Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft 1996, S. 33). Eintiefungen
des Flussbetts bei Laufeinengung wurden im Lechtal hauptsächlich durch oben ge-
nannte Gründe und die daraus folgenden Feststoffdefizite beobachtet. Nach Verlan-
dung der Rückhaltesperren entspannte sich jedoch die Situation entsprechend, weil
der Geschiebeeintrag wieder nahezu ungestört verläuft.
    Als Ergänzung zeigt Tab. 2 die jährlichen Geschiebefrachten einiger wichtiger
Geschiebelieferanten aus den Seitentälern.

3 Hochwassersituation im Tiroler Lechtal
    Hochwasser ist am Lech ein natürliches Phänomen, das bei gegebenen Rahmen-
bedingungen, wie Schneeschmelze im Frühjahr und Frühsommer oder Wassersättigung
der Böden durch vorangegangene Niederschlagsereignisse bei gleichzeitigem hefti-
gem Niederschlagsaufkommen auftritt. Für das Lechgebiet typisch ist aber auch das
rasche Ansteigen der Pegelstände bei sommerlichen Gewittern mit hoher Niederschlags-
menge und -intensität in Form von Regen und Hagel. In diesem Fall gehen die hohen
Wasserstände relativ rasch nach Ende des Niederschlagsereignisses zurück und pen-
deln sich wieder auf die für die jeweilige Zeit durchschnittlichen Pegelstände ein.
Diese immer wiederkehrenden natürlichen Ereignisse, mit denen die Lechtaler Be-
völkerung umzugehen weiß, können aber auch gefährlichere Dimensionen annehmen,
wenn beispielsweise die Schneeschmelze relativ rasch durch eine Wärmeperiode im
Frühjahr einsetzt, und gleichzeitig die Schneefallgrenze in höhere Lagen (2000-3000
m ü. A.) ansteigt (z. B. wurde im Mai 1999 am Reuttener Hahnenkamm die Winter-
schneedecke von über 200 cm zu Monatsbeginn bis zum Monatsende vollständig
abgebaut; vgl. Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIc. Hydrographischer Dienst
2001). Die Schneemengen, die in den Lechtaler Seitentälern im Frühjahr immer noch
sehr beträchtlich sein können (Staulage am Alpennordrand) schmelzen innerhalb kür-
zester Zeit ab und führen zum stetigen Ansteigen der Lechtaler Pegel durch die Wasser-
mengen der wildwasserführenden Seitenbäche. Die Folgen derartiger Hochwasser
sind Sachschäden an Gebäuden und Schutzbauten, die vor allem während der letz-
ten 120 Jahre am Lech errichtet worden sind.

3.1 Hochwasser Himmelfahrt und Pfingsten 1999 (11.-12. und 20.-22. Mai)
    Weitreichende Flächen im Einzugsgebiet der Donau und des Bodensees waren im
Mai 1999 von einem „Jahrhunderthochwasser“ betroffen, ausgelöst durch langan-
haltende starke Niederschläge und eine vorangegangene bzw. gleichzeitige Schnee-
schmelze bis in Höhen von 2500 m ü. A. (vgl. Fuchs, Rapp, Rudolf 1999, S. 26).
12
Hochwasser Lechtal

Erdrutsche, Muren und Überschwemmungen verursachten in Süddeutschland, Öster-
reich und der Schweiz Schäden in Milliardenhöhe.
     Zu den die Hochwasserereignisse steuernden Faktoren zählten vor allem auch
große Schnee-vorräte in den Alpen, die auf Niederschlagsereignisse des vorangegan-
genen Februars zurückgingen. Bereits während dieser Zeit akkumulierten sich über-
durchschnittlich hohe Wassermengen in der mächtigen Schneedecke, die innerhalb
weniger Tage gebietsweise um mehrere Meter anstieg (z. B.: Zugspitze: 17.-24. 02.
1999, Zunahme der Schneedecke 160 cm). Aus dieser Situation entwickelte sich
hohe Lawinengefahr im Alpenraum, die unter anderem zur Lawinenkatastrophe in
Galtür (23.02.1999) führte. Das allgemeine Niederschlagsgeschehen beruhigte sich
im März und erreichte durchwegs normale Werte. Im April stieg die Niederschlags-
tätigkeit erneut an und führte zur Wassersättigung der Böden, die gleichzeitig mit dem
hohen Wasservorrat der Schneedecke eine Voraussetzung für Hochwasser im Falle
eintretender starker Niederschläge waren (vgl. Fuchs, Rapp, Rudolf 1999, S. 27).

Wettersituation und Großwetterlage
    Der Mai 1999 war tirolweit um 1-2 °C zu warm und zu feucht und im westlichen
Nordalpenraum sehr niederschlagsreich, sodass die Wasserführung vor allem in
Nordtirol bis zu 100% über dem Monatsmittelwert lag. Zu Monatsbeginn kennzeich-
nete sehr wechselhaftes Wetter das Witterungsgeschehen. Nach der ersten Maiwoche
steuerte ein kräftiges Tief westlich der Britischen Inseln aus Südwest ein Störungs-
system gegen die Alpen, welches erhebliche Niederschlagsmengen verursachte. Das
Tief zog am 9. und 10. Mai langsam gegen Ostdeutschland, woraufhin sich die allge-
meine Witterung entspannte. An der Südseite des Tiefs verlief eine Kaltfront, die sich
entlang des Alpennordrands ausdehnte und eine West-Ost verlaufende Regenzone
aufbaute. Extreme Niederschlagsmengen bewirkten im westlichen Nordalpenraum
(Außerfern, Arlberg) einen erheblichen Anstieg der Wasserstände. Es regnete bis in
Höhenlagen um 2400 m ü.A., was die Schneeschmelze beschleunigte. Die Front blieb
während dieser Periode nahezu ortsfest und die Niederschlagsgebiete zogen bis zum
15. Mai parallel zur Front ostwärts über den bayerischen Alpenraum. Schließlich
drehte sich die Höhenströmung über Nordwest auf Nord und führte zu einer merkli-
chen Abkühlung, Gewitter und Schauer hielten jedoch an.
    Wetterbesserung aufgrund von kurzfristigem Hochdruckeinfluss und Warmluftzu-
fuhr aus dem Süden setzte erst gegen 18. Mai ein, aber bereits am 20. des Monats
wanderte erneut ein Höhentief über Österreich hinweg. Eine langgezogenen Tiefdruck-
rinne, die sich von der Adria bis zum nordöstlichen Deutschland erstreckte, führte auf
ihrer Westseite kühle und feuchte Atlantikluft gegen die Alpen. In der Nacht vom 20.
auf den 21. Mai kam in diese Tiefdruckrinne ein Teiltief aus Oberitalien hinzu und
steuerte der Strömung feuchte und warme Mittelmeerluft entgegen. Diese feuchtwarme
Meeresluft wurde in nördlicher Richtung über die kühle Atlantikluft gehoben, wo-
                                                                                       13
Beiträge                                          Innsbrucker Jahresbericht 2001/02

durch ein über mehrere Tage anhaltendes ortsfestes Starkregenband über Süddeutsch-
land im Staubereich der Nordalpen entstand. Diese Störungsdurchgänge aus Nord-
west führten in Tirol und Vorarlberg erneut zu außergewöhnlich intensiven Nieder-
schlägen mit Hochwasser im westlichen Nordtirol und dem anschließenden
südbayerischen Raum. Am 23. Mai kam es nach dem Durchzug einer Kaltfront zu
einer leichten Wetterberuhigung, wechselhaftes Wetter, begleitet von Schauern und
Gewittern hielt jedoch bis zum Monatsende und Junibeginn an. Die Temperaturen
stiegen während dieser Phase langsam an (vgl. Amt der Tiroler Landesregierung Abtl.
VIc. Hydrographischer Dienst 2001, S. 1-2 (vorläufige Daten); Bundesamt für Wasser
und Geologie. Landeshydrologie und -geologie 2000, S. 21-23; Fuchs, Rapp, Rudolf
1999, S. 28-34 und www.bayern.de/lfw/hnd/hw210599/titelseite.htm, S. 1).

Niederschlag und Abfluss
    Der Mai 1999 war im Tiroler Nordalpenraum ebenso wie der extrem schnee- und
lawinenreiche Februar durch enorme Niederschlagsereignisse gekennzeichnet (siehe
nachfolgende Tabelle). Dabei ereigneten sich die ergiebigsten Niederschläge (vgl.
Tab. 3) im westlichen Nordalpenraum mit Zentrum Ausserfern, so wurden an meh-
reren Messstellen im Stau der Allgäuer Alpen (Reuttener Hahnenkamm, Tannheim
und Jungholz - Tab. 4) bis zu 500 l/m² an Niederschlag gemessen (vgl. Amt der
Tiroler Landesregierung Abtl. VIc. Hydrographischer Dienst 2001).

           Station                Monatssumme                  Monatssumme
                               Niederschlag in mm          Lufttemperatur in °C
Gramais                                276,1               keine Werte vorhanden
Vorderhornbach                          292,0                        11,6
Forchach                                334,6              keine Werte vorhanden
Höfen-Oberhornberg                      391,5                        12,1

Tab. 3: Monatssummen von Niederschlag in mm und Lufttemperatur in °C ausge-
        wählter Stationen (Quelle: Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIc. Hydro-
        graphischer Dienst 2001)

    In abgeschwächter Form setzten sich die großen Regenmengen in östlicher Rich-
tung entlang des nördlichen Alpenbogens fort und blieben auch im Tiroler Unterland
ergiebig, während im südlich des Inn gelegenen Nordtirol zwischen Oberem Gericht
und Kitzbüheler Alpen mit durchschnittlich weniger als 200 l/m² am wenigsten
Niederschlag fiel.
    Der westliche Nordalpenraum und damit das Ausserfern war im Gegensatz zu
den übrigen Regionen Tirols, wo das Niederschlagsmaximum eindeutig am 21. Mai
lag und extreme Niederschlagswerte vorwiegend in dieser zweiten Periode ver-
14
Hochwasser Lechtal

zeichnet wurden, von beiden erwähnten Niederschlagsperioden (11./12. Mai und
20.-22. Mai 1999) betroffen. Auch hier wurde das absolute Maximum am 21. Mai
erreicht, bei dem an einigen Außerferner Messstellen bis zu 200 mm Niederschlag
fielen (Berwang 180 mm, Hahnenkamm bei Reutte 185 mm, Jungholz 191 mm,
Reutte 212 mm - siehe folgende Tabelle).

                          Beobachteter größter                     Bisher größte
             Hn (mm)
 Messstelle am             Tagesniederschlag        Beobacht-- Monatssumme für Mai
               21.5.99                             ungsbeginn
                          hn (mm)      Datum                    hn/Jahr      1999
Gramais          93,8        91,2     19.01.1910      1865     240/1930       276,1
Boden           110,5        91,5    10.06.1965       1957     204/1965       282,4
Namlos          126,0       117,3    02.08.1901       1900     260/1930       332,0
Forchach        135,6      104,0      20.01.1951      1895     256/1930       335,0
Reuttener
                185,0       73,6     29.08.1995       1986                    476,0
Hahnenkamm
Reutte          212,5      131,5     10.06.1965       1895     286/1940       391,0
Tannheim        158,5      148,2     09.08.1970       1895     337/1964       479,0
Jungholz        190,6       78,3     14.02.1990       1980     215/1987       457,0

Tab. 4: Vergleich bisher größter gemessener Tagesniederschläge mit dem Niederschlag
        vom 21. Mai 1999 (Quelle: Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIc. Hydro-
        graphischer Dienst 2001)

     In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist, dass die Anzahl der Niederschlags-
tage im Nordalpenraum nicht erheblich vom langjährigen Mittelwert abwich (100 -
110 %), hingegen die Niederschlagsmengen und die Intensität nahezu das Vierfache
des Monatsmittelwertes erreichten (ersichtlich aus der nachfolgenden Tabelle 5).
     Aufgrund überdurchschnittlich hoher Niederschlagsmengen wurde im oberen Lechtal
und im Einzugsgebiet der Vils durch die Störungsdurchgänge aus West auch eine
deutliche Erhöhung der Abflüsse festgestellt. So wurde am oberen Lech im Bereich
von Steeg während des ersten Hochwasserereignisses vom 12./13. Mai die höchsten
Abflussspenden (siehe Tab. 6) seit Aufzeichnungsbeginn (im 19. Jahrhundert) regist-
riert (vgl. Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIc. Hydrographischer Dienst 2001).
Lechabwärts entspannte sich die Hochwasserwelle und lag unter dem 50jährlichen
Abflussereignis des Pegels von Steeg, da sich das Wasser in den breiteren Talbereichen
und Umlagerungsstrecken ausdehnen konnte. Die Wasserstände gingen in der folgen-
den Woche langsam zurück, aber die Böden blieben wassergesättigt, weil es immer
wieder leicht regnete und nur selten aufhellte. Am Nachmittag des 21. Mai setzten
erneut starke Regenfälle am nördlichen Alpenbogen ein, die wie bereits eine Woche
                                                                                       15
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 Regionale Verteilung der Niederschläge in Prozent vom Monatsmittelwert 1981-1995
Außerfern entlang der Allgäuer Alpen und Tannheimer Berge          bis 400 %
Außerfern entlang der Lechtaler Alpen; Raum Fernpass,
                                                                  über 300 %
Mieminger Plateau bis zum Inntal
Vom Karwendel über das Rofan, Sonnwendgebirge bis zu den
                                                                  220 - 270 %
Chiemgauer Alpen und Kaisergebirge
Paznaun, Oberinntal, Kaunertal, Pitztal, Ötztal                    bis 200 %
Vom Wipptal über Tuxer Alpen, Zillertal und Kitzbüheler Alpen
                                                                   140-170 %
(bis Hochfilzen)
Osttiroler Pustertal, oberes Lesachtal                        verbreitet 130-160 %
Im Einzugsgebiet der Isel vom Felbertauern bis gegen Lienz              110-130 %

Tab. 5: Regionale Verteilung der Niederschläge in Prozent vom Monatsmittelwert 1981-
        1995 (Quelle: Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIc. Hydrographischer
        Dienst 2001)

zuvor zu Hochwasserbildung an Lech und Vils führten. Dabei erreichten die Flüsse
ihre Scheitelwerte in der Nacht zum 22. Mai. Die Hochwasserspitze am Lech Pegel
Steeg entsprach einem 40jährlichen Hochwasserereignis und lag damit nur gering-
fügig unter dem bereits eine Woche zuvor erreichten Wert (siehe Tab. 6 und 7).
    Der Abfluss am Pegel Lechaschau steigerte sich durch die hohen Abflussspenden
der Lechzubringer aus den Seitentälern zwischen Steeg und Lechaschau auf ein
100jährliches Hochwasserereignis (Abb. 3) vergleichbar mit der Hochwassersituation
von 1910, die jedoch weitaus größere Dimensionen erreichte. Gründe dafür waren,
dass es damals keine ausreichenden Verbauungsmaßnahmen gab und dem Lech

                  Hochwasserabflüsse am 12. und 13. Mai 1999
                                                           Jähr- HHQ [m³/s]
Pegel        Gewässer E[km²]
                        wirks Datum       HQ        Q
                                         [m³/s] [l/s.km²] lich-    seit:
                                                            keit
Steeg        Lech         241,7     12.05.     185       765           1951: 171 am
                                                                   ~50 17.06.1993
Vorderhorn-
            Hornbach       64,0     12.05.     52,0          813   >10 1975: 57,4 am
                                                                       17.06.1982
bach
Lechaschau Lech           931,0     12.05.     545       585           1971: 481 am
                                                                   ~25 15.10.1981

Vils         Vils         198,1     13.05.     185       934           1961: 200 am
                                                                   ~30 10.08.1970

Tab. 6: Hochwasserabflüsse am 12. und 13. Mai 1999 (Quelle: Amt der Tiroler Lan-
        desregierung Abtl. VIc. Hydrographischer Dienst 2001)
16
Hochwasser Lechtal

                 Hochwasserabflüsse am 21. und 22. Mai 1999
                                                          Jähr- HHQ [m³/s]
Pegel       Gewässer E[km²]
                       wirks Datum       HQ        Q
                                        [m³/s] [l/s.km²] lich-    seit:
                                                           keit
Steeg       Lech         241,7    22.05.    179      741          1951: 185 am
                                                             ~40 12.05.1999
Vorderhorn-                                                       1975: 57,4 am
            Hornbach      64,0    22.05.    63,0     984     ~20 17.6.1982
bach
Lechaschau Lech          931,0    22.05.    814      874          1971: 545 am
                                                             ~100 12.05.1999

Vils        Vils         198,1    22.05.    310      1565    >100 1961: 200 am
                                                                  10.08.1970

Tab. 7: Hochwasserabflüsse am 21. und 22. Mai 1999 (Quelle: Amt der Tiroler Lan-
        desregierung Abtl. VIc. Hydrographischer Dienst 2001)

Abb. 3: Abflussdarstellung - Lech Pegel Lechaschau - Mai 1999 (Abflusswerte vgl.
        Amt der Tiroler Landesregierung Abtl. VIc. Hydrographischer Dienst 2001)
somit 1910 weitaus größere Flächen zur Ausuferung zur Verfügung standen. Außer-
dem war der Lech zur damaligen Zeit noch nicht in gleichem Maße eingetieft wie
1999 und trat daher leichter über die Ufer.
3.2 Schaden - Hochwasser 1999 (11. - 12. und 20. - 22. Mai)
    Das Hochwasser von 1999 verursachte im ganzen Bezirk Reutte Schaden in
mehrfacher Millionenhöhe (laut Angaben öffentlicher Stellen jenseits der 100 Mil-
lionen Schilling-Grenze = 7,27 Millionen Euro).
                                                                                   17
Beiträge                                                  Innsbrucker Jahresbericht 2001/02

    Neben den Lechanrainern waren vor allem Siedlungen in unmittelbarer Nähe
von Wildbächen betroffen, da die anhaltenden Regenfälle bei gleichzeitiger Schnee-
schmelze Muren auslösten. Gemeinden wie etwa Wängle und Höfen im Talkessel
von Reutte, Ehrwald (Loisach) und Lermoos (Lussbach) in Zwischentoren und das
Planseegebiet einschließlich des Ammerwaldes waren davon am stärksten betrof-
fen. Die Planseebundesstraße war daraufhin für einige Zeit nicht befahrbar, ebenso
die Bahnverbindung zwischen Ehrwald und Garmisch Partenkirchen (Deutschland),
weil zahlreiche Muren und Erdrutsche die genannten Verbindungen an mehreren
Stellen verlegt hatten. Im Lechtal zwischen Steeg und Weißenbach gab es geringere
Schäden zu verzeichnen, die hauptsächlich auf überflutete Keller zurückzuführen
sind. Durch die Anhebung des Grundwasserspiegels kam es vereinzelt zur Überflu-
tung der Augebiete, die zum Teil als Heimweiden genutzt werden.
    Im Bereich des Lech entstand an Uferverbauungen (Längsleitwerke, Buhnen,
Uferdeckwerke, Uferanrisse) erheblicher Sachschaden, zum Teil wurden sogar Ufer-
böschungen vom Lech mitgerissen. Diese Schäden konnten durch entsprechende bau-
liche Maßnahmen, wie etwa durch Bruchsteinsicherung und die Instandsetzung be-
schädigter Uferdeckwerke in den letzten Jahren behoben werden (mündl. Mitteilung
Klien, Baubezirksamt Reutte).
    Am meisten vom Hochwasser betroffen waren die Gemeinden Lechaschau
(Waidasiedlung), Reutte (Tränke und Unterlüß) und Pflach (Alte Straße, Kohlplatz)
(Abb. 4). Schäden an Gebäuden konnten nicht verhindert werden, obwohl die Feuer-
wehren des Reuttener Talkessels und benachbarter Gebiete mit ca. 2300 Mann in
stundenlangem Dauereinsatz standen. Zum Teil wurden Dämme zum Schutz der Wohn-
häuser errichtet. Auch Sportanlagen in Reutte (Tennisplätze) und Pflach (Sportheim,
Fußballplatz und Tennisplätze) waren von Schlamm bedeckt und wurden verwüstet.
    Durch intensive Nutzung und hohe Inwertsetzung der lechnahen Gebiete,
besonders durch die Ansiedlung von Gewerbebetrieben und Lagerflächen in die
Nähe des Gefährdungsbereiches, kam es besonders in der Gemeinde Pflach (Abb. 5
und 6) zu derart hohen Schadenssummen (siehe nachfolgende Tabelle).

Abb. 4: Lech im Bereich der Lechaschauer Lechbrücke (22.05.99); überflutetes Grund-
        stück in Lechaschau                                       Fotos: Werner Höck, Lechaschau

18
Hochwasser Lechtal

            Hochwasser 1999                              Schadenssumme in ATS und Euro
       Schaden Gemeinde Pflach
beschädigte Häuser und Grundstücke                          83.118.000,00                           6.040.420,60
beschädigte Betriebe und Sportanlagen                       26.660.000,00                            1.937.457,80
beschädigte Verkehrs- und Versorgungsanlagen                  6.435.677,78                              467.698,94
Summe                                                     116.213.677,78                            8.445.577,34

Tab. 8: Schadenssumme Hochwasser 1999 in Pflach (aus: Kosten-Nutzen Rechnung,
        zur Verfügung gestellt von DI Wolfgang Klien, Baubezirksamt Reutte)

Abb. 5: Hochwasser Mai 1999 - Luftbild, Gemeinde Pflach, Blick Richtung Norden
                                         Foto: Innenministerium, zur Verfügung gestellt von DI Wolfgang Klien, Baubezirksamt Reutte

3.3 Ergebnisse der vergleichenden Betrachtung der Hochwasserereignisse von
      1901, 1910, 1912 und 1999
    In diesem Kapitel sollen jene meteorologischen Rahmenbedingungen verdeut-
lichet werden, die durch den Vergleich der vier genannten Hochwasserereignisse
(von denen in diesem Aufsatz nur das Ereignis von 1999 genauer vorgestellt wur-
de) festgestellt werden konnte. Details zu den weiteren drei Ereignissen (1901,
1910, 1912) können der vollständigen Diplomarbeit entnommen werden.
    Folgende meteorologischen Bedingungen und Wetterkonstellationen können im
Lechtal bei ungünstigen Rahmenbedingungen (z.B. Wassersättigung; wiederholte, bzw.
                                                                                                                              19
Beiträge                                                           Innsbrucker Jahresbericht 2001/02

Abb. 6: Hochwasser Mai 1999 - Luftbild, Gemeinde Pflach, Blick Richtung Westen
                                     Foto: Innenministerium, zur Verfügung gestellt von DI Wolfgang Klien, Baubezirksamt Reutte

langandauernde Regenfälle; gefrorene Böden, etc.) zu erhöhter Hochwassergefahr
führen und Extremereignisse auslösen (Grundlage für diese Aussagen bildet der
detaillierte Vergleich der ausgewählten Extremereignisse).
    · Hoher Wasservorrat in Form einer überdurchschnittlich mächtigen Schneede-
        cke; stundenlanger Dauerregen (Westwetterlage und Nordstau am Nordalpen-
        rand) und Wassersättigung des Bodens durch vorangegangene Niederschlags-
        ereignisse bei gleichzeitig einsetzender Schneeschmelze vor allem im Frühjahr.
    · Heftige Gewitterregen im Hochsommer - gleichzeitig (bei entsprechender In-
        tensität) Murgänge in die Seitenbäche, die zu Verklausungsgefahr durch ver-
        größerte Geröll- und Holzfracht führen und damit die Situation verschärfen.
    · Heftiger Dauerregen auf ausgetrocknete Böden (verursacht durch vorange-
        gangene lange Trockenperiode) - das Wasser versickert nicht, sondern fließt
        sofort nahezu vollständig oberflächlich ab.

4 Der Umgang mit der Gefahr - Hochwasserschutz einst und heute
4.1 Einführung
   Natürliche Verhältnisse an Fließgewässersystemen existieren in Mitteleuropa mit
Ausnahme einiger weniger Streckenabschnitte alpiner Flüsse kaum noch. Grund dafür
20
Hochwasser Lechtal

ist, dass der Mensch in unseren Kultur-, Industrie- und Stadtlandschaften die meisten
Flüsse sicherheits- und nutzungsorientiert ausgebaut hat (vgl. Patt 2001, S. 409).
     Regulierungsmaßnahmen (Korrekturen) an Fließgewässern zur Reduzierung der
Hochwassergefahr und zum Zwecke der Landgewinnung wurden in zunehmenden Maße
seit dem 19. Jahrhundert vorgenommen. Anfangs beschränkten sich derartige Maß-
nahmen auf Fließgewässerbegradigungen durch Längsverbauungen. Die dadurch er-
zielte Laufverkürzung erhöhte das Gefälle und die Fließgeschwindigkeit, was die Schaf-
fung von Querbauwerken erforderte. Dem natürlichen Geschiebetrieb begegnete man
mit Geschiebesperren und Rückhaltebecken in den Seitentälern der Hauptflüsse.
Sohleintiefung und das Trockenfallen der Aubereiche waren die natürlichen Konse-
quenzen in vielen Flusssystemen. Die dadurch geschaffenen günstigeren Vorausset-
zungen für Nutzungen in den ehemals regelmäßig überschwemmten Auzonen, führten
zur Ansiedlung von Wohn- und Gewerbeflächen (in Großstädten auch Industriezonen)
in den flussnahen Gebieten.
     Extreme Hochwasserabflüsse müssen nun in den verbliebenen, verkleinerten Ab-
flussprofilen und eingeengten Flussquerschnitten abgeführt werden, was eine Ge-
fährdung der gewässernahen Bereiche nach sich zieht (vgl. Patt 2001, S. 409-410).
     Im Tiroler Lechtal begegnete man der Hochwassergefahr anfangs mit örtlicher
Erfahrung und versuchte dem Fluss durch Siedlung auf höher gelegenen Flächen,
auszuweichen. Als man jedoch im Zuge der Bevölkerungszunahme größere Flächen
benötigte, näherte man sich dem Lech und kultivierte flussnahe Flächen für landwirt-
schaftliche Zwecke. Damals begann man mit ersten lokalen Uferschutzmaßnahmen
(Bau von Archen), aber je weiter man sich dem Fluss näherte, desto häufiger wur-
den die Schäden durch Hochwasser und Überflutung. Man sah sich gezwungen,
neue Projekte zu planen, und somit ein Leben nahe des Flusses möglich zu machen.
Ohne geeignete bauliche Maßnahmen sah man keine Zukunft für das Lechtal, da

Abb. 7: Lech bei Erach. Auwald bei Hochwasser vor der Verbauung        Foto: Baubezirksamt Reutte

                                                                                            21
Beiträge                                           Innsbrucker Jahresbericht 2001/02

neben der Landwirtschaft kaum zusätzliche Einkünfte zu erwarten waren, und die
ansässige Bevölkerung somit auf die geringen Erträge aus den kleinbäuerlichen
Betrieben angewiesen war. Trotz aller gesetzten baulichen Maßnahmen, die Auswir-
kungen auf den Lebensraum und die Flussdynamik hatten, ist die Vorgangsweise der
zuständigen Landesbaudirektion aufgrund der wirtschaftlich schwierigen Situation
im Lechtal zu erklären. Die Bevölkerung hatte in erster Linie die Sicherung der
Lebensgrundlage zum Ziel.

4.2 Hochwasserschutz von damals - Die Lechverbauung: Baumaßnahmen und
    deren Folgen
    „Das Lechtal ist wegen seiner Entlegenheit und der Bescheidenheit seiner Bewohner
    in früheren Zeiten ganz vernachlässigt worden. Man entnahm dem Tale wohl was es
    an Naturprodukten hat wie Holz und Mineralien, ohne auch nur im geringsten für
    die wirtschaftliche Hebung dieses Landesteiles etwas zu tun“ (Krapf 1910, S. 3).
    So beschreibt Krapf 1910 die damalige wirtschaftliche Situation im Tiroler Lech-
tal und übt auch indirekt Kritik an der Vorgangsweise des Staates und der Landes-
verwaltung, die den abgeschiedenen Landesteil über Jahrhunderte vernachlässigten
und keine Subventionen für entsprechende Maßnahmen zur Verbesserung der wirt-
schaftlichen Lage des Tales bereit stellten. Lange Zeit musste ein Großteil der männ-
lichen Bevölkerung ihre Lebensgrundlage im Ausland verdienen und Kinder mussten
als Hilfskräfte im „Schwabenland“ arbeiten (Meier, mündliche Mitteilung).
    Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden von staatlicher Seite Gewässer-
regulierungs-maßnahmen, Wildbachverbauungen und Straßenbauprojekte unterstützt,
um das Leben der Lechtaler zu sichern und einer Abwanderung in wirtschaftlich
günstigere Landesteile entgegenzuwirken. Zuvor waren die Gemeinden bzw. die Grund-
eigentümer auf sich alleine gestellt und konnten ihre Kulturflächen nur notdürftig
vorübergehend schützen. Die jährlich im Frühjahr auftretenden Hochwasserwellen
rissen die provisorischen Archen meist mit sich, neue Uferanbrüche mussten mü-
hevoll gesichert und Schutzbauten saniert werden.
    Der erste einheitliche Regulierungsentwurf von Elmen bis zur bayerischen Gren-
ze, der in den 1870iger Jahren vom Landesbauamt ausgearbeitet und dem Landesaus-
schuss zur Bewilligung vorgelegt wurde, scheiterte an den erforderlichen finanziellen
Mitteln. Die Landesbauleitung stellte daraufhin einigen Gemeinden, die am meisten
von Hochwasserereignissen betroffen waren und jährlich mit der Naturgefahr zu kämp-
fen hatten, Pauschalbeträge zur Verfügung, die vorübergehend die Finanzierung klein-
räumlicher Schutzmaßnahmen (Archen) ermöglichten. Diese hielten den jährlichen
Frühjahrshochwassern meist nicht stand und mussten ständig neu errichtet, bzw. die
Schäden mussten behoben werden (vgl. Krapf 1909 und 1910; Land Tirol 1975).
    Aufgrund eines Erlasses der Regierung (Landesgesetzblatt Nr. 37 vom 15. Au-
gust 1896) begannen die Arbeiten an einem größeren zusammenhängenden
22
Hochwasser Lechtal

Abb.8: Häselgehr (Häternach) vor der Regulierung 1911; Regulierungsfeld Gutschau
       und Rauhwand oberhalb der Streimbachmündung             Fotos: Baubezirksamt Reutte

Regulierungsprojekt. Die 2,7 km lange beidseitige Regulierung Höfen-Ehenbichl
wurde vom Landeskulturamt ausgeführt, die Erweiterung nach dem Hochwasser
von 1901 beschlossen und daraufhin von Ehenbichl bis Unterletzen fortgeführt.
     Gleichzeitig zu diesem umfangreicheren Vorhaben trafen die Gemeinden des Lech-
tals immer häufiger lokale Regulierungsmaßnahmen, was 1905 zur Einführung einer
eigenen Gebietsbauleitung im Bezirk Außerfern führte. Diese sollte in Zukunft die
Schaffung von Uferschutzbauten am Lech regeln und effektivere Schutzkonzepte um-
setzen.
     Die gesetzten Maßnahmen waren nicht effektiv genug und mit der Zeit wurde
die administrative Behandlung der einzelnen kleinen Bauten zu kompliziert, sodass
1907 die Planung eines einheitlichen 1. Generalprojektes vom Landesauschuss
beauftragt wurde. Bevor erste bauliche Schritte wirksam werden konnten, ereignete
sich das Junihochwasser von 1910. Eine neuerliche Überarbeitung der vorhande-
nen Konzepte wurde erforderlich, weil die Auswirkungen dieser bisher größten beo-
bachteten Hochwasserkatastrophe Dimensionen erreichten, denen die geplanten
Uferschutzbauten niemals auch nur annähernd stand gehalten hätten.
     Als das 2. überarbeitete Generalprojekt, das ein System von kombinierten Quer-
und Längsbauten vorsah, genehmigt werden sollte, kam es zum Hochwasserereignis
vom 8. und 9. Mai 1912, und die geplanten Maßnahmen erwiesen sich erneut als
unzureichend.
     Bis Dezember 1913 war ein 3. Generalbauprojekt mit einer Reichweite von
Steeg bis zur Landesgrenze ausgearbeitet und konnte 1914 dem Bewilligungs-
verfahren zugeführt werden, das aber infolge des 1. Weltkrieges nicht mehr zur
sofortigen Umsetzung kam.
     Nach dem ersten Weltkrieg wurden die Regulierungsmaßnahmen 1920, unter
Berücksichtigung des 3. Generalregulierungsprojektes, durch staatliche Subventio-
nen im Bereich der gefährdeten Siedlungen im Lechtal wieder aufgenommen.
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Beiträge                                                Innsbrucker Jahresbericht 2001/02

     Dazu wurde das Lechtal in drei Streckenabschnitte (Steeg-Elmen; Elmen-Weißen-
bach; Weißenbach-Landesgrenze) unterteilt, die je nach natürlicher Beschaffenheit
unterschiedlich gehandhabt werden sollten.
     In den Jahren 1928-1933 konzentrierte man sich auf die Erstellung von Beton-
traversen (Abb. 9) im Raum Reutte, Oberpinswang und Musau. Die nachfolgenden
Programme (1933-1938) waren bereits von der Wirtschaftskrise geprägt und dienten
als Arbeitsbeschaffungsprogramme.
     Im ganzen Tiroler Lechtal sollten weiterhin Bauten zum Schutz der Siedlungen
errichtet und die bereits bestehenden Traversenbauten und Längswerke saniert bzw.
ergänzt werden.
     Die anschließenden Projekte umfassten vor allem die Regulierungsarbeiten im
Bereich der Mündungsstrecke der Vils und des linksufrigen Leitwerkes in Lechaschau.
Von 1938 bis 1940 erfolgte die Fertigstellung der Planseebachmündung und die Weiter-
führung der Bauarbeiten an den Großtraversen des Tales.
     Während des zweiten Weltkrieges waren die Regulierungsarbeiten zum Teil ein-
gestellt oder beschränkten sich auf Arbeiten im Mündungsbereich des Namlos- und
Schwarzwasserbaches und kleinere Instandsetzungen und Sanierungen. Nach dem
zweiten Weltkrieg nahm man hauptsächlich Ausbesserungen und Ufersicherungen
vor. Ergänzungsarbeiten und der Bau von weiteren Traversensystemen und Leitwer-
ken zum Schutz der Siedlungen und der Lechtaler Bundesstraße orientierten sich
nach wie vor am 3. Generalprojekt der Lechregulierung aus dem Jahr 1914.
     Langsam beschränkte man sich jedoch auf die Erhaltung der bestehenden Anla-
gen, ohne weitere Neubauten herzustellen. Somit erschien auch das Generalprojekt
von 1914 überholt und man entschloss sich, ein neues Lechbauprogramm auszuarbei-
ten, das auf den neuesten Stand der Technik gebracht würde und in dem die bisheri-
gen Erfahrungen (z. T. auch negative Folgen, wie die Sohleintiefung, die weit über das
ursprünglich gewünschte Maß hinausging) im Rahmen der Lechregulierung berück-
sichtigt würden.

Abb. 9: Betontraverse bei Musau; Musau Ober Pinswang, Bruchstein Traversenpaar
                                                                            Fotos: Baubezirksamt Reutte

24
Hochwasser Lechtal

    1978 wurde das neue Projekt vorgestellt, das hauptsächlich die Bekämpfung
der Tiefenerosion und die verbesserte Regelung des Hochwasserabflusses zum Ziel
hatte (vgl. Scheuermann und Karl 1990, S. 39). Da man die ungünstigen Auswir-
kungen des Feststoffentzuges durch den Rückhalt der Geschiebestausperren in den
Seitentälern des Lechtales erkannt hatte, wollte man dem Problem durch die Re-
duktion des Gefälles aufgrund des Einbaus von Querschwellen und Sohlrampen be-
gegnen. Dadurch erhoffte man sich die Drosselung des Transportvermögens und
nachfolgend eine Verbesserung des Geschiebehaushaltes im Flussbett.
    Weiters forderte das Programm eine Eindämmung der gewerblichen Schotter-
entnahmen, um eine Regenerierung der natürlichen Geschiebemenge im Lech zu
ermöglichen. Der Hochwasserschutz sollte durch gezielte Vorkehrungen, wie die Ver-
stärkung der Uferschutzmaßnahmen und den Erhalt bzw. die Neuschaffung von geeig-
neten Retentionsflächen gesichert werden.
    Der Bau, der im Projekt von 1978 geplanten Sohlrampen wurde letztendlich nicht
in dieser Form umgesetzt, weil man dadurch die natürlichen fluvialen Mechanismen
des Lech (wie etwa Verzweigungen zu bilden oder zu mäandrieren) eingeschränkt
hätte. Es wurde 1989 nur eine Sohlrampe im Tiroler Lechtal (350m flussabwärts der
Ulrichsbrücke) errichtet, um der Eintiefung, die in diesem Streckenabschnitt zwi-
schen 1975 und 1984 drei Meter betrug, entgegenzuwirken.
    Aufgrund naturschutzrechtlicher, und ökologischer Bedenken gegenüber neuer-
lichen Lechbauprogrammen, den wasserbaulichen Erfahrungen in Zusammenhang
mit Hochwasserschutz und ökonomischer Kalkulationen, zog man von Bund- und
Landesseite (Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft und Tiroler Landes-
regierung) die Konsequenz und stellte eine Überprüfung aller für das Lechtal und
den Lech relevanter Teilbereiche von wissenschaftlicher Seite in Auftrag (Pilotstu-
die Lech-Außerfern).
    Die Ergebnisse und Erfahrungen des langjährigen Forschungsprojektes, das 1996
abgeschlossen werden konnte, sind Grundlage heutiger Hochwasserschutz-
maßnahmen, die wesentlich schonendere und naturnahere Bauprogramme verfol-
gen, als Jahrzehnte zuvor. Hauptaugenmerk jeglicher Lechbaukonzepte liegt nach
wie vor auf der Sicherung und des Schutzes des menschlichen Siedlungsraumes,
aber zusätzlicher und wesentlicher Bestandteil aller aktuellen Hochwasserschutz-
maßnahmen ist der Schutz des natürlichen Wildflusssystems Lech und des dort noch
vorhandenen ungestörten Lebensraumes.

4.3 Hochwasserschutz heute - LIFE
    Seit 11. Juli 2001 liegt die endgültige Zusage für das zweitgrößte jemals vergebe-
ne LIFE-Projekt der EU vor, und die Arbeit zur Umsetzung des Naturschutzprojektes
„Wildflusslandschaft Tiroler Lech“ konnte ab diesem Zeitpunkt offiziell beginnen.
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     Der Geographische Rahmen für das LIFE - Naturschutzprojekt am Lech ist das
4.138 ha große Natura 2000-Gebiet im Außerfern. Die natürliche Flussdynamik des
Lech prägte das Landschaftsbild im Tiroler Lechtal nachhaltig und schuf die weitrei-
chenden Auwaldbereiche mit ihren einzigartigen Lebensräumen.
     Im letzten Jahrhundert wurden flussbauliche Maßnahmen aufgrund des zuneh-
menden Flächen- und Nutzungsbedarfes notwendig, und Regulierungsmaßnahmen
begannen den natürlichen Fließgewässercharakter zu beeinflussen. Die Bevölkerung
versuchte die Hochwassergefahr mit den damals möglichen Mitteln und Vorstellungen
einzudämmen, daher ist es wichtig, die verschiedenen Lechbauprogramme immer vor
ihrem historischen Hintergrund zu betrachten.
     Das LIFE - Projekt verfolgt gezielte Hochwasserschutzmaßnahmen bei gleichzei-
tigem Schutz des Lebensraumes von Pflanzen und Tieren. Neben der Sohleintiefung
soll auch die Grund-wasserabsenkung gestoppt werden und die für die Region äußerst
wichtige land- und forstwirtschaftliche Nutzung, Jagd und Fischerei und die gewerbli-
che Schottergewinnung aufrechterhalten bleiben. Besonders die Jagd nimmt in eini-
gen Teilen des Lechtals einen wichtigen Stellenwert ein, weil ein zu großer Wildanteil
schädlich für den Baumbestand und das Aufkommen eines natürlichen Schutzwaldes
(besonders in steilen Hangbereichen der Seitentäler, z. B. Schwarzwassertal) wäre.
Auch die gezielte Schotterentnahme ist im Lechtal durchaus vertretbar und wurde
in den letzten Jahrzehnten verfolgt, da ein zu großer Anteil an Geschiebe Siedlun-
gen im Beckenbereich von Reutte (Reutte, Pflach) gefährden würde. Durch
Gefällsabnahme besonders in diesem Bereich, kommt es zur Verlangsamung der
Fließ-geschwindigkeit und zu Anlandungstendenzen in diesem Streckenabschnitt.
Würde man die Schotterentnahme gänzlich verbieten, müsste man im Bereich von
Lechaschau bzw. Reutte den Schotter aus dem Flussbett baggern, damit beim all-
jährlichen Hochwasser im Frühjahr die Keller der Anrainer nicht unter Wasser stün-
den (mündliche Mitteilung: Klien).
     Zur Erreichung der genannten Schutzziele sind flussbauliche Maßnahmen nötig, die
im Gegensatz zu Regulierungsmaßnahmen alter Lechbauprogramme nicht die Eindäm-
mung des Flusses, sondern die Aufweitung bestimmter Streckenabschnitte verfol-
gen. Weiters soll die gezielte Öffnung von Geschiebestausperren in Seitentälern einiger
Lechzubringer den Geschiebehaushalt des Lech wieder annähernd in ein Gleichge-
wicht bringen. Dies soll aber sehr langsam und schrittweise erfolgen, damit man
feststellen kann, wo das mobilisierte Geschiebe anlandet. Es sollte schließlich nicht
sofort von der Strömung erfasst und weggeschwemmt werden und womöglich in
einem Bereich zum Stillstand kommen, in dem die Ablagerungen keine ökologi-
schen Vorteile für den Aubereich haben, sondern im schlechtesten Fall sogar die
Hochwassergefahr vergrößern und aus der Sohle gebaggert werden müssten.
     Weiters sind im Projektgebiet Revitalisierungsmaßnahmen an Nebengewässern
geplant, die die gezielte Reaktivierung kleiner Seitengerinne und trockengefallener

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Hochwasser Lechtal

Altarme des Lech verfolgen, um den Fischbestand zu erweitern, weil dadurch wieder
vermehrt Rückzugsbereiche und Laichplätze für Fische entstehen. Auch bei
Hochwassergefahr könnten Fische wieder in Seitengewässer ausweichen und würden
nicht den extrem schwebstoffreichen und sauerstoffarmen Hochwasserwellen zum Opfer
fallen.
     Neben den genannten wasserbaulichen Maßnahmen sind vor allem Artenschutz-
und Wiederansiedlungsprojekte geplant, um die natürliche Flora und Fauna im Lech-
tal zu bewahren bzw. neu zu initiieren. Durch gezielte Besucherlenkungsprogramme
und neu errichtete Lehrpfade im Projektgebiet soll in Zukunft verhindert werden,
dass sensible und gefährdete Arten in ihrem Lebensraum gestört werden. Gleichzeitig
wird dadurch den Besuchern die ökologische Vielfalt in der Nationalparkregion näher-
gebracht und die Aufmerksamkeit für die gefährdeten Besonderheiten geweckt. Diese
Art des sanften Tourismus wird auch als wirtschaftliche Chance und Alternative für
die beteiligten Gemeinden betrachtet und soll allgemein zur ökologischen Bewusstseins-
bildung innerhalb der Bevölkerung beitragen (www.tiroler-lech.at).
     Die Finanzierung dieses Projektes (rund 7,78 Mio. Euro) erfolgt zur Hälfte
durch die EU, der Rest wird durch nationale Quellen gedeckt, wobei ein Großteil
der Kosten vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Was-
serwirtschaft und dem Land Tirol, aber auch dem WWF Österreich getragen wird.
Die Projektdauer wurde auf einen Zeitraum von fünf Jahren begrenzt, die Umset-
zung des Konzeptes im Tiroler Lechtal sollte somit im Jahr 2006 abgeschlossen
sein.

5 Zusammenfassung
    Naturereignisse, die aufgrund ihrer Intensität Schaden anrichten, erhöhen das
Risikobewusstsein der ansässigen Bevölkerung und der Ruf nach sofortigen präventi-
ven Schutzmaßnahmen seitens der öffentlichen Hand wird laut.
    Diese Entwicklung war auch im Lechtal nach dem Hochwasser von 1999 er-
kennbar. Die Einstellung der Lechanrainer in Bezug auf vorbeugenden Hochwasser-
schutz und den damit verbundenen Baumaßnahmen änderte sich schlagartig. Hielt
man geplante Schutzmaßnahmen zuvor noch für überflüssig, zum Teil sogar für über-
trieben, weil man mehrere Jahrzehnte nicht mehr mit derartigen Hochwasser-
problemen konfrontiert war, so forderte man schließlich mit hohem öffentlichen Druck
entsprechende Schutzmaßnahmen (mündliche Mitteilung, Baubezirksamt Reutte).
    Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass die Konfrontation zwischen anthropogenen
Interessen und natürlichen Prozessen, bedingt durch die zunehmende Inwertsetzung

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