Leitfaden Mitwirkung der Stadt Zürich - Eine Arbeitshilfe für die sozialräumliche Stadtentwicklung
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Inhalt Vorwort 3 Hinweise 4 1 Was heisst Mitwirkung? 5 1.1 Zum Begriff der Mitwirkung 5 1.2 Grad der Mitwirkung 5 1.3 Einsatzbereiche und Ziele von Mitwirkungsverfahren 6 2 Mitwirkung ist Verwaltungskultur 8 3 Wo ist Mitwirkung ein Thema? 10 3.1 Gesetzlich geregelte Mitwirkungsverfahren 13 3.2 Dialogprozesse 15 3.3 Mitwirkung bei Konzepten, Strategien, Planungen 16 3.4 Mitwirkungsverfahren bei konkreten Bauvorhaben 18 3.5 Aktivierende Prozesse 19 4 Hinweise zum Vorgehen 21 4.1 Checkliste 21 4.2 Entscheid zur Durchführung 22 4.3 Analyse der Rahmenbedingungen 24 4.4 Rollen von Stadtverwaltung und Politik 25 4.5 Betroffene und Beteiligte 26 4.6 Spielregeln und Prozessgestaltung 28 4.7 Umgang mit Konflikten 30 4.8 Moderation und Partizipationsmethoden 31 4.9 Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit 32 4.10 Stolpersteine, häufige Probleme 33 4.11 Koordinierende Instrumente und Verwaltungsabteilungen 34 Anhang 36 Literaturhinweise 36 Abkürzungen 36 2 Stadtentwicklung Zürich
Vorwort Mitwirkungsverfahren haben bei der Stadtverwaltung Zürich eine zunehmende Bedeutung erhalten. Neben einer Vielzahl formell geregelter Mitwirkungsverfahren wie Vernehmlassungen oder öffentlichen Auflagen, sind dies insbesondere zusätzliche, freiwillige Formen der Mitwirkung. Die sozial-räumliche Stadtentwicklung kann nicht aus der Amtstube heraus verordnet werden, sondern wird von den Menschen gestaltet und gelebt, die hier wohnen und arbeiten. Der Stadtrat möchte deshalb, dass die Vorhaben und Projekte der Stadt in einem kooperativen und partizipativen Klima angegangen werden. Ein kooperatives Klima entsteht hingegen nicht von selbst. Es muss immer von Neuem erarbeitet werden. Als Basis für das gegenseitige Vertrauen sind dabei die Transparenz und die Glaubwürdigkeit der Akteure ganz wichtig. Das ist der Grund, weshalb beim Thema Mitwirkung der Kommunikation eine ganz zentrale Rolle zukommt. Von Planungsprozessen Betroffene Personen oder Unternehmen fordern umfassende Informationen und mischen sich nötigenfalls ein. Für den Staat ist das Engagement und das Wissen der Direktbetroffenen eine Chance. Mitwirkungsverfahren können die Effizienz und Effektivität des staatlichen Handelns erheblich steigern. Das lokale Wissen der Betroffenen hat schon in manchen Fällen zu realitätsnaheren Lösungen für die sozialräumliche Stadtentwicklung beigetragen. Insbesondere wo Interessenkonflikte dominieren, sind Mitwirkungsverfahren oftmals die einzig effiziente Methode komplexe Fragestellungen zu lösen. Weil Mitwirkungsverfahren hohe Anforderungen an alle Beteiligten stellen, hat die Stadt Zürich diesen Leitfaden als Arbeitshilfe erarbeitet. Er macht wertvolle Erfahrungen der vergangenen Jahre für zukünftige Verfahren greifbar. Wir freuen uns, wenn er auch nicht-staatlichen Institutionen Anstösse vermitteln kann und damit einen generellen Beitrag zu einem kooperativen Klima in unserer Stadt leistet. Mitwirkungsverfahren stehen im Einklang mit dem Leitbild der Stadt Zürich und sind für uns ein zentraler Bestandteil unserer Verwaltungskultur. verabschiedet vom Zürcher Stadtrat am x.y.2006 Leitfaden Mitwirkung, Entwurf, 18.01.2006 3
Hinweise Weil Mitwirkungsverfahren hohe Anforderungen an alle Beteiligte stellen, hat die Stadt Zürich als Arbeitshilfe für die sozialräumliche Stadtentwicklung den vorliegenden „Leitfaden Mitwirkung“ erarbeitet. Er besteht aus drei Teilen: Dem vorliegenden Leitfaden, einer separaten Sammlung von 22 Fallbeispielen und einer Kurzfassung für den täglichen Gebrauch. Der Leitfaden Mitwirkung basiert auf einem Erfahrungsaustausch innerhalb der Stadtverwaltung Zürich. Dazu wurden Workshops mit insgesamt über 70 Beteiligten durchgeführt. Insbesondere die Leitsätze im Kapitel 4 wurden direkt in diesen Workshops erarbeitet. Ein spezieller Dank geht deshalb an alle, die daran teilgenommen haben und damit wesentlich zum Entstehen dieses Leitfadens beigetragen haben! Eine interdepartementale Begleitgruppe und ein fachliches Reviewteam haben die Erarbeitung der Materialien darüber hinaus eng begleitet (vgl. Impressum). Alle mitwirkenden Dienstabteilungen bzw. Departemente verpflichten sich zu einer Mitwirkungskultur im Geist des gemeinsam erarbeiteten Leitfadens. Die Mitglieder der Begleitgruppe sind gleichzeitig für die Verankerung der neuen Mitwirkungskultur in ihren Departementen bzw. Dienstabteilungen verantwortlich. Der Leitfaden Mitwirkung ersetzt weder eine Ausbildung oder ein gutes Methodenbuch, noch kann er Patentrezepte für die Durchführung von Mitwirkungsverfahren abgeben. Hingegen können aufgrund der vielfältigen Erfahrungen wichtige Hinweise für die Planung von derartigen Prozessen vermittelt werden. In diesem Sinne ist auch die Checkliste zu Beginn des Kapitels 4 zum Vorgehen zu verstehen. Viel Erfolg bei der Planung von Mitwirkungsverfahren! 4 Stadtentwicklung Zürich
1 Was heisst Mitwirkung? 1.1 Zum Begriff der Mitwirkung Was in den 60er Jahren im Zuge der Emanzipationsbewegungen in Universitäten Verändertes Staatsverständnis: vom Top-Down zum aufgrund ungenügender formeller Mitsprachemöglichkeiten entstanden ist, hat heute Miteinander längst den kämpferischen Charakter verloren. Im Zeitalter der Informationsgesellschaft ist der Ruf nach mehr Transparenz und Mitsprache zwar nicht geringer geworden, freiwillige Mitwirkungsverfahren sind aber heute in der sozialräumlichen Stadtentwicklung vielerorts zu einem etablierten Instrument eines neuen Staatsverständnisses geworden. Die öffentliche Hand findet sich immer häufiger in der Rolle des Moderators zwischen den Interessen, als in der Rolle der autoritär von oben herab steuernden Instanz. Die zunehmende Komplexität der Problemstellungen macht es erforderlich, dass Mitwirkungsverfahren ergänzen das hoheitliche Handeln partizipative und kooperative Methoden das hoheitliche Handeln ergänzen. Die Vielfältigkeit der Formen und Arten von Mitwirkungsverfahren, die im Zusammenhang mit der sozialräumlichen Stadtentwicklung angewendet werden, macht es notwendig, den hier dafür verwendeten Sammelbegriff der "Mitwirkung" etwas zu umschreiben. Alternativ zum Begriff „Mitwirkung“ werden auch die Begriffe „Beteiligung“, „Partizipation“ oder "Kommunikation" gebraucht. Für die Arbeit der Stadt Zürich gehen wir von folgender Definition aus: Mit dem Begriff "Mitwirkung" meinen wir in der Stadt Zürich die aktive Beteiligung von Arbeitsdefinition für die sozialräumliche Stadt- Personen, Unternehmen oder Interessengruppen, die von hoheitlich gefällten entwicklung in Zürich Entscheidungen betroffen sind. Wir unterscheiden zwischen formellen, gesetzlich vorgeschriebenen Mitwirkungsverfahren, die auch juristisch einforderbare Mitbestimmungsrechte enthalten können, und freiwilligen Mitwirkungsverfahren (bewusst gewählte Verfahren zur aktiven Beteiligung Betroffener im Sinne eines Zusatzangebotes). 1.2 Grad der Mitwirkung Mitwirkung kann auf unterschiedlichen Intensitätsniveaus erfolgen. Abbildung 1 zeigt verschiedene Ebenen der Mitwirkungsintensität das Spektrum zwischen einfacher Information und eigentlicher Selbstverwaltung auf. „Information“ als tiefster Grad der Mitwirkung, hat einen passiven Charakter, da sich das Mitwirken auf das Zuhören beschränkt. Gleichzeitig ist Information aber Grundvoraussetzung für alle andern Stufen der Mitwirkung. Die Selbstverwaltung am Leitfaden Mitwirkung, Entwurf, 18.01.2006 5
anderen Ende der Skala, beschreibt eine sehr aktive Beteiligung, die ebenfalls kaum mehr als Mitwirkung bezeichnet werden kann, da der Selbstorganisationsgrad sehr hoch ist. Wichtig ist es, in Projekten frühzeitig festzulegen, um welchen Grad von Mitwirkung es sich handelt. Abbildung 1 Schematische Abbildung zum Begriff Mitwirkung und verschiedene Mitwirkungsstufen Ergebnis vorgegeben Mitent Mitarbeit in Selbstver Information Anhörung Mitsprache scheidung Umset- waltung zung hohe Offenheit des Ergebnisses Information: Kommunikation von Wissen. Anhörung: Meinungen der Betroffenen werden u. Umständen in Lösung miteinbezogen. Mitsprache: Meinungen der Betroffenen werden berücksichtigt. Mitentscheidung: Verbindliche Beteiligung an der Entscheidungsfindung. Mitarbeit: Aktive Beteiligung der Betroffenen an der Umsetzung. Selbstverwaltung: Betroffene sind für Entscheid, Umsetzung und Organisation verantwortlich. Ein hoher Mitwirkungsgrad setzt eine hohe Ergebnisoffenheit bei allen Beteiligten voraus. Wenn das Ergebnis eines Planungsprozesses grösstenteils vorgegeben ist, kann von den Betroffenen keine grosse Mitarbeit in der Umsetzung erwartet werden. Je grösser der Handlungsspielraum für die Betroffenen ist, desto höher kann der Mitwirkungsgrad sein. Vom angestrebten Mitwirkungsgrad hängt auch die Art des zu wählenden Mitwirkungsverfahrens ab. Während auf tiefem Niveau eher konsultative Verfahren zum Zug kommen, eignen sich für einen aktiveren Einbezug eher diskursive Verfahren. Mediationsverfahren dienen zur Lösung von offenen Konflikten (vgl. auch Kap. 4.8). 1.3 Einsatzbereiche und Ziele von Mitwirkungsverfahren Die Stadt Zürich wendet Mitwirkungsverfahren für die unterschiedlichsten Fragestellungen in der sozialräumlichen Stadtentwicklung an (vgl. auch Sammlung der Fallbeispiele). Beteiligungsprojekte können sich mit Fragen des Zusammenlebens im Quartier ebenso wie mit der Verteilung von Fluglärm, mit der Planung von neuen Wohngebieten, öffentlichen Plätzen oder neuen Verkehrssystemen befassen. Oft 6 Stadtentwicklung Zürich
kommt der Anstoss zur Mitwirkung natürlich auch von Interessengruppen, die aktiv werden möchten. Insbesondere dort, wo wegen Interessen- oder Zielkonflikten ein sachlich-fachlicher Mitwirkung hilft Konflikte lösen und ... Entscheid nicht oder nur mit hohem Aufwand möglich ist, sind Mitwirkungsverfahren die Methode erster Wahl. Sie können eine gegenseitige Annäherung und ein gegenseitiges Lernen bewirken. Ein weiteres Ziel von Mitwirkungsverfahren kann es sein, die Betroffenen zu aktivieren. ...ist Voraussetzung für Akzeptanz und Mitarbeit Gerade in sozialen Prozessen ist ein frühzeitiger Einbezug Voraussetzung dafür, dass Veränderungen von den Betroffenen nachher akzeptiert und getragen werden. Mitwirkung erlaubt immer eine Identifikation mit der Veränderung, die durch den Prozess ausgelöst wird. Ganz grundlegend fördert Mitwirkung das Verständnis für demokratische Prozesse. Mitwirkungsverfahren können folgenden Nutzen stiften: - Lösung von Interessen- oder Zielkonflikten (Kompromisse finden) - Akzeptanz und Legitimität von Entscheidungen erhöhen - Qualität von Lösungen verbessern, bessere Resultate - Gegenseitige Lernprozesse auslösen, Vertrauen aufbauen - Vermindern des Risikos von Einsprachen und Rekursen - Aktivierung der Bevölkerung: Betroffene zu Beteiligten machen - Identifikation mit der Lösung erhöhen Die Stadt Zürich ist als öffentlich-rechtliche Institution in ihrem Handeln nicht frei. Dies Grenzen: Freiwillige Verfahren ergänzen formelle Verfahren gilt es bei der Konzeption von Mitwirkungsverfahren immer mitzudenken. Gerade in der räumlichen Planung gibt es eine Vielzahl von gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren und vorgegebenen formellen Zuständigkeiten. Viele materielle Entscheidungen bleiben der zuständigen Behörde vorbehalten. Insbesondere Entscheidungen mit Kostenfolgen für die öffentliche Hand können in der Regel nicht an informelle Mitwirkungsverfahren delegiert werden. Der Handlungsspielraum in freiwilligen Mitwirkungsverfahren ist deshalb immer durch formelle Verfahren und letztlich die Souveränität des Volks eingeschränkt. Freiwillige Mitwirkungsverfahren können formelle Verfahren deshalb nur sinnvoll ergänzen und nicht ersetzen. Leitfaden Mitwirkung, Entwurf, 18.01.2006 7
2 Mitwirkung ist Verwaltungskultur Mitwirkungsverfahren werden Die Vorhaben und Projekte der Stadt werden in einem kooperativen und partizipativen proaktiv eingesetzt Klima angegangen. Mitwirkungsverfahren sind in der Stadt Zürich Verwaltungskultur und werden proaktiv eingesetzt. Die vielen positiven Erfahrungen zeigen, dass der Ansatz für die Arbeit in der sozialräumlichen Stadtentwicklung geeignet ist. Mitwirkung darf durchaus auch als strategisches Instrument eingesetzt werden. Die sich daraus ergebenden Chancen reichen vom der Erhöhung des gegenseitigen Verständnisses bis hin zur Förderung der Eigenverantwortung und der Initiative der Betroffenen. Die wichtigsten Handlungsgrundsätze der Stadt Zürich für das Vorgehen in Mitwir- kungsprozessen sind in Abbildung 2 dargestellt und werden nachfolgend erläutert. Abbildung 2 Wichtigste Handlungsgrundsätze für das Vorgehen in Mitwirkungsprozessen. Prinzip der Nachhaltigkeit Mitwirkung einbetten in Entscheidungsprozess Empowerment – Stärken vorhandener Ressourcen Transparenz Mitwirkung ist Verwaltungskultur! und Vertrauen Lokales Wissen nutzen Berücksichtigung schwacher Interessengruppen Dialog/Konsens- orientierung Mitwirkung einbetten in Entscheidungsprozesse der Stadt Zürich Es gibt keine Patentrezepte für Mitwirkungsverfahren, vielmehr sind die spezifischen Rahmenbedingungen und lokalen Voraussetzungen (bereits gemachte Erfahrungen, zur Verfügung stehende Ressourcen usw.) zu berücksichtigen. Es bedarf einer wohl durchdachten und langfristigen Planung (Etappen, Meilensteine), damit Mitwirkungs- verfahen in Entscheidungsprozesse der Stadt Zürich eingebettet werden können. Minimaler Standard ist die Anhörung des Ergebnisses eines Mitwirkungsverfahrens durch ein Entscheidungsgremium der Stadt Zürich und ein begründetes Feedback zu den Vorschlägen. 8 Stadtentwicklung Zürich
Transparenz und Vertrauen Mitwirkungsprozesse müssen für alle Interessengruppen in grösstmöglicher Transparenz ablaufen. Alle Beteiligten müssen die Sicherheit haben, dass sie sich gleichermassen in den Prozess einbringen können und dass dieser nicht auf ihre Kosten abläuft. Empowerment – Stärken vorhandener Ressourcen In Mitwirkungsprozessen soll von den vorhandenen Ressourcen und den Möglichkeiten der Beteiligten ausgegangen werden. Die Eigeninitiative und Selbstorganisation der BürgerInnen soll gefördert und unterstützt werden. Die Stadt nimmt vor allem Moderations- und Mediationsfunktionen wahr und erledigt nur dort inhaltliche Aufgaben, wo es unerlässlich ist oder wo sie zuständig ist. Dialog/Konsensorientierung Mitwirkungsprozesse führen unterschiedliche Sichtweisen, Erfahrungen und Interessen zusammen und stellen damit eine ganzheitliche Perspektive her. Über den Dialog zwischen den verschiedenen Interessengruppen werden Interessenkonflikte sichtbar und Lösungen verhandelbar gemacht. Ein wesentliches Ziel des Dialogs ist es, Vereinbarungen zu treffen, die auf lange Sicht allen Beteiligten einen Gewinn bieten. Vereinbarungen zwischen den beteiligten Interessengruppen können nur dann wirkungsvoll umgesetzt werden, wenn sie von allen getragen werden. Aus diesem Grund wird in Mitwirkungsprozessen immer konsensorientiert gearbeitet. Lokales Wissen nutzen Für die Stadt Zürich ist das Wissen und das Engagement der Direktbetroffenen eine Chance. Das lokale Wissen der Betroffenen hat schon in manchen Fällen zu realitätsnäheren Lösungen für die sozialräumliche Stadtentwicklung beigetragen. Mitwirkungsverfahren können deshalb die Effizienz und Effektivität des staatlichen Handelns erheblich steigern. Berücksichtigung schwacher Interessengruppen Alle betroffenen Interessengruppen und Bevölkerungsteile sollen ihre Anliegen und Bedürfnisse zur Sprache bringen können. Zu bedenken ist, dass nicht alle Interessen gleich gut organisierbar sind: Auch schwache Interessengruppen sind zu berück- sichtigen (z.B. Kinder und Jugendliche, AusländerInnen, Betagte). Die Mitwirkungsform soll sich auf die Lebenswelten der Beteiligten beziehen und ihre Kommunikations- gewohnheiten berücksichtigen. Die Teilnahme schwacher oder schwer organisierbarer Gruppen soll mit niederschwelligen Angeboten gefördert werden. Prinzip der Nachhaltigkeit Die Ergebnisse von Mitwirkungsprozessen sollen auf lange Sicht Nutzen bieten. Ihre sozialen, ökologischen und ökonomischen Auswirkungen auf lokaler und globaler Ebene sind zu bedenken. Deshalb ist neben dem Einbezug Direktbetroffener auch an den Einbezug organisierter Interessen zu denken (Umweltinteressen, Wirtschaftsverbände, Soziale Institutionen). Leitfaden Mitwirkung, Entwurf, 18.01.2006 9
3 Wo ist Mitwirkung ein Thema? Vorbemerkung: Sozialräumliche Stadtentwicklung und Mitwirkung Hoheitliche Entscheidungen Mitwirkung ist in der Stadtentwicklung überall dort ein Thema, wo hoheitliche Ent- tangieren Nutzung und Gestalt scheidungen Nutzung oder Gestalt des Lebensraums Stadt tangieren. Das können zum des Lebensraums Stadt Beispiel Verkehrsplanungen sein, Nutzungskonzepte, Bauvorhaben, Agenda 21 Projekte, städtebauliche Leitbilder, Grünraumplanungen oder sozialräumliche Prozesse zur Quartierentwicklung. Unterscheidung zwischen Wir unterscheiden einerseits zwischen gesetzlich vorgeschriebenen (formellen) und formellen und freiwilligen freiwilligen Mitwirkungsverfahren. Die Grenzen sind in der Realität nicht immer so klar, Verfahren (Abbildung 3) denn freiwillige Mitwirkungsverfahren laufen immer parallel und damit ergänzend zu gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren. Abbildung 3 zeigt dies exemplarisch. Sie veranschaulicht den Ablauf in hoheitlichen Planungs- und Bauverfahren und zeigt das Nebeneinander von gesetzlich geregelten und freiwilligen Mitwirkungsprozessen. Beschreibung gesetzlich Die Kenntnisse der formellen Verfahren sind oft die Voraussetzung zur Durchführung vorgeschriebener Verfahren freiwilliger Verfahren. Im Folgenden wird deshalb zuerst das Thema der gesetzlich vorgeschriebene Mitwirkung behandelt (Kap. 3.1), wobei auf Artikel im eidgenössische Raumplanungsgesetz, auf die Mitwirkung gemäss kantonalem Strassengesetz sowie auf Vorschriften im kantonalen Planungs- und Baugesetz eingegangen wird. Vier Arten von Mitwirkungsverfahren in der sozialräumlichen Stadtentwicklung Einteilung in vier Gruppen nach Unabhängig davon, ob ein Mitwirkungsverfahren gesetzlich vorgeschrieben ist, können Grund für Mitwirkungsprozess die verschiedenen Prozesse nach dem Grund für das Mitwirkungsverfahren grob in vier (Tabelle 1) Gruppen aufgeteilt werden: 1) Dialogprozesse: Kommunikationsdefizite decken, Konflikte lösen (Kap. 3.2) 2) Mitwirkung bei Konzepten, Strategien, Planungen der Stadt Zürich: Einbezug von lokalem Wissen (oft auch um Interessen einzubinden) (Kap. 3.3) 3) Mitwirkung bei konkreten Bauvorhaben der Stadt Zürich: Einbezug von lokalem Wissen (oft auch um Akzeptanz zu erhöhen) (Kap. 3.4) 4) Aktivierende Prozesse: Aktivierung, neue Impulse setzen. (Kap. 3.5) Die Einteilung in diese vier Gruppen ist nicht immer eindeutig. Die Übergänge sind oft fliessend. Eine allgemeingültige Systematik für Mitwirkungsverfahren gibt es nicht. Die hier gewählte Gruppierung soll zu einem besseren Verständnis der Eigenheiten der einzelnen Verfahrensarten beitragen. Tabelle 1 zeigt obige Einteilung in einer Übersicht 10 Stadtentwicklung Zürich
Abbildung 3: Mitwirkung bei Planungs- und Bauvorhaben Übersicht über gesetzlich vorgeschriebene und freiwillige Mitwirkungsmöglichkeiten Leitfaden Mitwirkung, Entwurf, 18.01.2006 11
12 Stadtentwicklung Zürich Tabelle 1: Einteilung der Fallbeispiele nach dem Grund für das Mitwirkungsverfahren Art des Verfahrens Ziele Resultate Fallbeispiele aus der Sammlung Dialogprozesse: Kommunikations- Dialog, Kommunikationsdefizit decken, - Informationsaustausch Stadtforum Zürich defizite decken/ Konflikte lösen: Verständnis schaffen, gemeinsame - Klärung Konsens/Dissens Leitbild und Arbeitskreis Innenstadt Basis finden, handlungsfähig werden, - Schlussbericht/Leitsätze/Leitbild Quartiersekretariat Oerlikon/Neu-Oerlikon Blockierte Situationen, offensichtliche direkte unkomplizierte Runder Tisch Verkehr Zürich West (Anfangsphase) Kommunikationsdefizite, drohende Kommunikationswege schaffen, oder offene Konflikte Netzwerke pflegen Einbezug von lokalem Wissen bei Lokales Wissen einbeziehen, Qualität - Konkretes (Nutzungs-)Konzept Kooperative Entwicklungsplanung Zürich West Konzepten/Strategien/Planungen: von Entwürfen prüfen und verbessern, - Konkrete Pläne Nutzungskonzept Allmend Brunau Berücksichtigen lokaler Bedürfnisse, - Entscheide für Standorte/Varianten Poststellenreorganisation Nutzungskonzepte, LEK, Interessenkonflikte lösen, Städtisches LEK Limmatraum Freiraumkonzepte, gegenseitiges Verständnis schaffen Nutzungskonzept „Wandern und Velofahren am Uetliberg“ Verkehrsplanungen, Arbeitsgruppe Veranstaltungsstrategie Strategieentwicklungen, Leitbilder Einbezug von lokalem Wissen bei Lokales Wissen einholen, - Wettbewerbsunterlagen/ Natur ums Schulhaus konkreten Bauvorhaben: Berücksichtigen lokaler Bedürfnisse, Studienausschreibungen Strassenprojekt an der Birchstrasse Qualität von Vorhaben verbessern, - fertig ausgearbeitetes, überprüftes Neue Tempo-30-Strategie Erarbeiten von beste Lösungen vor Ort finden, Projekt/fertige Baupläne Neunutzung der Viaduktbögen im Kreis 5 Wettbewerbsunterlagen, Akzeptanz schaffen, Verständnis - Realisiertes Projekt (z.B. Tempo- Neugestaltung Kreuzplatz Studienaufträgen oder Bauplänen fördern, Widerstände abfedern, 30-Zonen, Schulhausumgebung) Projektwettbewerb Stadtpark Hardau (bei Strassenbauvorhaben schnelle Umsetzung Mitwirkung gemäss Strassengesetz) Aktivierende Prozesse: gemeinsame Zukunftsvorstellungen - Projekt- und Massnahmenideen Mega!phon Aktivieren/neue Impulse setzen: und Projektideen erarbeiten, - Informationsgewinn Sicherheit und Sauberkeit im öffentlichen Raum Eigeninitiative fördern, Pionierprojekte - Aktivierung Wettbewerb „Zukunftsfähiges Zürich“ Quartier, Gruppe oder Thema hat zu auslösen, neue Impulse setzen, Langstrassenmarketing wenig Gehör, ungünstige ungenutzte Potentiale freisetzen Quartierentwicklungsprozess Seebach Entwicklung, Abwärtsspirale droht Stadtteilentwicklungsprozess „Zukunft Zentrum Oerlikon“
3.1 Gesetzlich geregelte Mitwirkungsverfahren Planungen gemäss RPG Art. 4 Das Bundesgesetz über die Raumplanung enthält einen Grundsatzartikel, der die Genereller Mitwirkungsauftrag bei Planungen Behörden zu Mitwirkungsverfahren verpflichtet: "Art. 4 RPG Information und Mitwirkung 1 Die mit Planungsaufgaben betrauten Behörden unterrichten die Bevölkerung über Ziele und Ablauf der Planungen nach diesem Gesetz. 2 Sie sorgen dafür, dass die Bevölkerung bei Planungen in geeigneter Weise mitwir- ken kann. 3 Die Pläne nach diesem Gesetz sind öffentlich." Der Gesetzestext ist sehr generell formuliert und lässt die Art und Weise der Mitwirkung offen. Viele der nachfolgend unter den "freiwilligen Mitwirkungsverfahren" aufgeführten Mitwirkungsverfahren der Stadt Zürich lassen sich grundsätzlich auch mit diesem Arti- kel begründen. Gestaltungspläne und Sonderbauvorschriften: Planungen gemäss PBG Die Planungen in der Stadt Zürich richten sich grundsätzlich nach der Bau- und Zonen- Gestaltungspläne und Sonder- bauvorschriften: Mitsprache ordnung (BZO). Von der Grundordnung abweichende Planungen bedürfen eines Dritter über Einspracheverfah- Gestaltungsplans oder einer Sonderbauvorschrift gemäss kantonalem Planungs- und ren Baugesetz (PBG). Sonderbauvorschriften werden vom Stadtrat genehmigt, Gestaltungspläne durch den Gemeinderat diskutiert und festgelegt. Gestaltungspläne sind immer öffentlich aufzulegen und berechtigte AnwohnerInnen und Interessenver- bände können Einwendungen in Rekursen geltend machen (vgl. Abb. 2). Gestaltungs- pläne der öffentlichen Hand sind selten, in der Regel handelt es sich in der Stadt Zürich um private Gestaltungspläne. Ob die privaten Grundeigentümer die betroffene Bevölke- rung an ihren Planungen mitwirken lässt, liegt aber nicht im Einfluss- und Entscheidungsbereich der Stadtbehörden. Baubewilligungsverfahren nach PBG (§309 bis 314 und 323f) Das Baubewilligungsverfahren ist massgeblich im kantonalen Planungs- und Bauge- setz geregelt (§309 bis 314 und 323f). Auch die Stadt muss sich als Bauherrin an das Baubewilligungsverfahren halten. Im Zusammenhang mit der Konzeption von freiwilli- gen Mitwirkungsverfahren sind folgende Verfahrenspunkte von Bedeutung: - Ein Bauvorhaben, das gegen aussen relevant in Erscheinung tritt oder das auf die unmittelbare Nachbarschaft einen Einfluss hat, muss publiziert und ausgesteckt werden. - Während 20 Tagen liegt das Bauvorhaben öffentlich auf. Berechtigte können die Unterlagen bestellen und Rekurse einreichen. Leitfaden Mitwirkung, Entwurf, 18.01.2006 13
Einsprachen können in Bei grösseren und komplexen Bauvorhaben kann es ein Ziel eines freiwilligen Mitwir- Spezialfällen durch freiwillige kungsverfahren sein, Einsprachen im förmlichen Verfahren zu vermeiden, um Zeit zu Mitwirkungsverfahren vermieden werden gewinnen. Dies erfordert jedoch eine grosse Verhandlungsbereitschaft der beteiligten Partner und eine spezielle Ausgangslage. Es müssen alle Parteien einen grösseren Nutzen aus der Verhandlungslösung ziehen können, als sie von der gerichtlichen Lö- sung erwarten (Konzept BATNA = Best Alternative To Negociated Agreement). Strassenbauvorhaben nach Strassenverkehrsgesetz (§ 13 und § 16) Anhörung und Auflageverfahren Bei Strassenbauvorhaben ist die Mitwirkung der Bevölkerung vor einem Kreditent- bei Strassenbauvorhaben scheid durch das Strassenverkehrsgesetz geregelt. vorgeschrieben § 13 StrG: "Die Projekte sind der Bevölkerung vor der Kreditbewilligung in einer Orientierungs- versammlung oder durch öffentliche Auflage zur Stellungnahme zu unterbreiten; bei Projekten von untergeordneter Bedeutung kann darauf verzichtet werden. Zu nicht berücksichtigten Einwendungen ist gesamthaft Stellung zu beziehen. Die Stellungnahme erfolgt vor der Kreditbewilligung. a) mündlich in der ersten oder nötigenfalls in einer weitern Orientierungsversammlung oder b) schriftlich im Antrag zur Kreditbewilligung, im Kreditbeschluss oder durch besondern Bericht. ..." Die Stadt Zürich hat bereits einige Erfahrung mit dieser Art von demokratischen Mitwir- kungsverfahren gesammelt (vgl. separate Sammlung der Fallbeispiele). Die Mitwirkung ist für jedermann möglich, eine besondere Betroffenheit ist nicht erforderlich. Im Gegenzug besteht auch kein Anspruch darauf, dass eingebrachte Vorschläge aufge- nommen werden müssen ("Anhörung", vgl. Abb. 1). Es ergibt sich kein Einsprache- oder anderes Rechtsmittel. städtische Praxis ist sich am § 13 StrG war eher für grosse Strassenbauvorhaben auf der "grünen Wiese" oder entwickeln umfangreiche Neubauten gedacht, also für Bauten, welche erheblich in den Raum eingreifen. Im bereits bebauten städtischen Raum kommen grosse Eingriffe eher weni- ger vor. Trotzdem werden in der Stadt Zürich die meisten Projekte, welche die Oberflä- che gestalterisch verändern der Bevölkerung zur Mitwirkung zugänglich gemacht. Es hat sich gezeigt, dass im städtischen Raum die Bevölkerung zum Teil auch auf kleine Eingriffe reagiert und die Möglichkeit zur Mitwirkung auch wahrgenommen wird. Die Praxis des Tiefbauamtes hat sich deswegen in den letzten Jahren entsprechend ent- wickelt, sodass heute im Zweifel das Mitwirkungsverfahren durchgeführt wird. Auflagen führen meist zu Folgende Grundsätze haben sich bereits herauskristallisiert: Ein Projekt sollte auf der präziseren Stellungnahmen als Stufe der Vorstudie sein. Ungefähre Kosten und ein konkreter Vorschlag müssen be- Orientierungsveranstaltungen kannt sein, ohne dass bereits alle Details definiert sind. Erfahrungsgemäss ist bei öf- fentlichen Auflagen die Zugänglichkeit sehr gut gewährleistet und die Stellungnahmen sind präziser und sachbezogener, weshalb eher die Form der Auflage gewählt wird. 14 Stadtentwicklung Zürich
Folgende Faktoren sprechen im Einzelfall aber dafür, direkt mit den Betroffenen ins Gespräch zu kommen und eine öffentliche Orientierungsveranstaltung durchzuführen (Beispiele Birchstrasse, Butzenstrasse und Idaplatz): - grosses gestaltungsrelevantes Projekt (Oberflächenveränderung, neue Strasse / Brücke etc.) - Projekt bringt bedeutende Veränderungen für Nutzerinnen und Nutzer - Projekt ist in einem sensiblen Gebiet angesiedelt (z.B. Platz in der Innenstadt) Das Mitwirkungsverfahren nach § 13 ist zu unterscheiden vom Auflageverfahren nach § Gesetzlich geregelte Mitspra- che im Auflageverfahren 16 StrG, aus dem sich für einen definierten Teil der Betroffenen ein Einspracherecht ergibt, insbesondere dann, wenn Rechte erworben werden müssen. Dieses Verfahren ist stark formalisiert und es bestehen die ordentlichen Rechtsmittelwege. Dieses Verfahren wird erst durchgeführt, wenn das Bauprojekt vorhanden ist. Beispiele: Kreuzplatz, Strassenprojekt mit Landerwerb an der Birchstrasse (vgl. Sammlung der Fallbeispiele), Butzenstrasse 3.2 Dialogprozesse Dialogprozesse dienen dazu, ein Kommunikationsdefizit zu decken oder Konflikte zu Dialogprozesse in festgefahrenen Situationen lösen. Sie kommen in blockierten, festgefahrenen Situationen mit offenen oder drohen- den Konflikten zur Anwendung. Dialogprozesse bezwecken in der Regel keine konkre- ten Planungen oder Vorhaben, können aber eine Vorstufe dazu sein. Das Ziel des Verfahrens besteht darin, den Dialog zu fördern, Verständnis und Ver- Festhalten von Konsens oder Dissens, intensiverer Dialog trauen zu schaffen und eine gemeinsame Basis zu finden. Durch persönliche Kontakte werden direkte und unkomplizierte Kommunikationswege ermöglicht. Das Ergebnis von Dialogprozessen wird meistens in einzelnen Leitsätzen, einem Leitbild oder einem Schlussbericht mit Konsens und Dissens festgehalten. Das Ergebnis kann aber auch einfach ein intensivierter Dialog oder ein neues Netzwerk sein. Runde Tische und Foren Dialogprozesse werden beispielsweise eingesetzt bei Nutzungskonflikten um be- Dialog unter ausgewählten Interessengruppen stimmte, besonders intensiv nachgefragte Stadtgebiete (z.B. öffentliche Freiräume). Es kann sich aber auch um Interessenkonflikten zwischen Direktbetroffenen und überge- ordneten Interessen der Stadt bzw. Region Zürich (z.B. direkte AnwohnerInne, Grund- eigentümerInnen) handeln. In diesem Falle verläuft der Konflikt zwischen Direktbetrof- fenen und im Auftrag des öffentlichen Interesses handelnden VertreterInnen der Stadt Zürich. Bewährte Methoden um in solchen Fällen eine gemeinsame Kommunikations- basis zu schaffen, sind Runde Tische, Foren oder in Situationen mit offenen Konflikten auch Mediationsverfahren. Oftmals ist die erste Stufe Charakteristik Am Prozess sind die betroffenen Interessengruppen möglichst gleichberechtigt vertre- ten (unabhängig von politischer oder wirtschaftlicher Stärke). Die Stadt Zürich kann die Rolle der Moderatorin zwischen konkurrierenden Nutzungsansprüchen übernehmen. In den meisten Fällen ist sie aber selber Konfliktpartei, weshalb die Moderation meistens Leitfaden Mitwirkung, Entwurf, 18.01.2006 15
von einer externen Person bzw. von einer neutralen Stelle wahrgenommen wird. Die Verhandlungsbereitsschaft der Akteure ist eine Grundvoraussetzung für einen erfolg- reichen Prozess. Sie wird in der Regel in einer Arbeitsvereinbarung schriftlich fest- gehalten. Beispiele: Stadtforum, Runder Tisch Verkehr Zürich West (vgl. Sammlung der Fallbei- spiele), Mediationsversuch Flughafen. Ständige Arbeitsgruppen, Anlaufstellen Institutionalisierung der Kom- Wenn Nutzungskonflikte nur fallweise gelöst werden können oder wenn ein intensives munikation Bedürfnis nach einem verbesserten Dialog besteht, kann die Kommunikation institutio- nalisiert werden. Die Institutionalisierung durch die Gründung von ständigen Arbeits- gruppen und festen Anlaufstellen (z.B. Quartiersekretariate oder GebietsmanagerIn- nen) ist oft ein letzter Schritt in Dialogprozessen. Das Ziel ist es, die in Gang gekom- mene Kommunikation langfristig zu sichern. Ständige Arbeitsgruppen entstehen dabei meist aus dem Prozess heraus und setzen sich aus den wichtigsten beteiligten Par- teien zusammen. Feste Anlaufstellen werden dagegen normalerweise von der Stadt- verwaltung eingesetzt und finanziert Charakteristik Mit der Institutionalisierung von Dialogprozessen ist eine Professionalisierung der Daueraufgabe „Kommunikation“ verbunden. Als Rechtsform von ständigen Arbeits- gruppen wird oft ein privatwirtschaftlicher Verein gewählt, an dem sich auch die Stadt- verwaltung beteiligen kann. Anlaufstellen sind in der Regel innerhalb der Stadtverwal- tung angesiedelt. Beispiele: Arbeitskreis Innenstadt, Quartiersekretariat Oerlikon/Neu-Oerlikon (vgl. Sammlung der Fallbeispiele), GebietsmanagerIn Zürich West, Impulsgruppe Aufwer- tung Zürich West 3.3 Mitwirkung bei Konzepten, Strategien, Planungen Qualität des Produkts Mitwirkungsverfahren werden oft bei der Erarbeitung von Konzepten, Strategien oder optimieren und Interessen- Planungen, beispielsweise bei Nutzungskonzepten, konflikte entschärfen Landschaftsentwicklungskonzepten (LEK), Freiraumkonzepten und Verkehrsplanungen eingesetzt. Im Vordergrund steht dabei das Ziel, ein optimales Produkt zu erlangen, indem lokales Wissen einbezogen wird. Oftmals wird gleichzeitig ein Ausgleich zwischen unterschiedliche Bedürfnissen von Betroffenen gesucht (Lösung von Interessenkonflikten). Das Ergebnis sind optimierte Konzepte oder Pläne beziehungsweise Empfehlungen für bestimmte Standorte oder Varianten. Städtebauliche Leitbilder Kooperation zwischen Ein städtebauliches Leitbild wird normalerweise erarbeitet, wenn sich in einem Stadt- Grundeigentümer und Stadt gebiet grössere Veränderungen abzeichnen und dient als gemeinsamer Orientierungs- rahmen für nachfolgende Planungen bzw. Bauvorhaben. Die städtebaulichen Leitbilder 16 Stadtentwicklung Zürich
basieren auf den bestehenden Planungsgrundlagen wie der Richtplanung und der Bau- und Zonenordnung, ergänzen die Planungsinstrumente, sind aber nicht rechtsverbind- lich. Getroffene Abmachungen können allenfalls über städtebauliche Verträge gesichert werden. Charakteristik Nach heute gängiger Praxis beschränkt sich die Mitwirkung meistens auf die Grund- eigentümerInnen des betroffenen Stadtgebietes (kooperative Verfahren). Federführend ist normalerweise das Amt für Städtebau. Beispiele: Kooperative Entwicklungsplanung Zürich West (vgl. Sammlung der Fallbei- spiele), Leitbild Schwamendingen, Leitbild Kürberg. Nutzungskonzepte für den öffentlichen Raum Wenn Planungsprozesse den öffentlichen Raum betreffen, ist in der Regel die Stadt Nutzungskonflikte in Frei- und Grünräumen Grundeigentümerin und es besteht ein grösserer Handlungsspielraum. Gleichzeitig hat die Berücksichtigung übergeordneter, öffentlicher Interessen oberste Priorität. Typische Beispiele sind Nutzungskonzepte für Frei- und Grünräume. Konkurrierende Nutzungsansprüche stehen sich auf engem Raum gegenüber. Die einen wollen die Ruhe am See geniessen, die anderen eine Veranstaltung durchführen. Am Uetliberg möchten die einen gemütlich Spazieren und die anderen sportlich Biken. Nutzungskonzepte enthalten Spielregeln, die über die Regelung des Einzelfalls hinaus Gemeinsam mit Betroffenen und Nutzern Spielregeln auf- Gültigkeit haben. In der Stadt Zürich besteht die Praxis, die Nutzungskonzepte zusam- stellen men mit Betroffenen und Nutzern zu erarbeiten. Das gewählte Vorgehen kann dabei sehr unterschiedlich sein, wie die Sammlung der Fallbeispiele zeigt. Durch die gemein- same Erarbeitung der Spielregeln lernen die verschiedenen Interessengruppen die Sicht der anderen kennen, was die Basis legt, für einen breit getragenen Konsens. Charakteristik Nutzungskonzepte sind nicht rechtsverbindlich, geben Behörden und Beteiligten aber einen Orientierungsrahmen für Bewilligungen, weitere Planungen und für die Behand- lung von Konflikten. In der Regel werden Nutzungskonzepte vom Stadtrat verabschie- det. Beispiele: Nutzungskonzept Allmend Brunau, Veranstaltungsstrategie, Nutzungskon- zept Üetliberg, LEK Limmatraum (vgl. Sammlung der Fallbeispiele) Varianten- oder Standortentscheide Variantenentscheide für grössere Anlagen oder Standortentscheide für Nutzungen Sozialräumliche Informationen einbeziehen werden oft aus der Sicht des Anbieters bzw. Betreibers vorbereitet. Wirtschaftliche Überlegungen aus betriebsinterner Sicht stehen dabei im Vordergrund. Der Einbezug von potenziellen NutzerInnen stellt einen derartigen Entscheid auf eine breitere Wis- sensbasis. Mitwirkungsprozesse bedeuten ein gegenseitiges Lernen. Den Projektträgern – seien Bessere Nachvollziehbarkeit dies Private oder die öffentliche Hand - werden wichtige, lokale Informationen vermit- telt. Im Gegenzug können diese ihre Überlegungen für die Wahl gewisser Varianten Leitfaden Mitwirkung, Entwurf, 18.01.2006 17
oder Standorte verständlich machen. Auch wenn nicht in allen Punkten auf die Anlie- gen der Betroffenen eingegangen werden kann, so können die Entscheide doch nach- vollzogen und eher akzeptiert werden. Charakteristik Die Ausarbeitung von Varianten oder das Eruieren von geeigneten Standorten erfolgt oft aufgrund von wirtschaftlichen oder technischen Überlegungen. Durch den Einbezug von Betroffenen können auch sozialräumliche Aspekte in diese Planungen einfliessen, die sonst nicht berücksichtigt würden. Beispiele: Poststellenreorganisation (vgl. Sammlung der Fallbeispiele) 3.4 Mitwirkungsverfahren bei konkreten Bauvorhaben Qualität des Projektes Für Bauvorhaben wie Plätze, Parks, Gebäude und Strassen bestehen auf dem norma- verbessern len Rechtsweg vorgeschriebenen Mitwirkungsformen wie öffentliche Auflagen und Re- kurse (vgl. Kap. 3.1). Darüber hinaus kommen in relevanten Bauprojekten, ergänzend zum formellen Verfahren, oft freiwillige Mitwirkungsprozesse zum Einsatz, um Meinun- gen und Anliegen von Betroffenen besser einzubeziehen oder die Akzeptanz zu verbessern. Es hat sich gezeigt, dass durch den Einbezug von lokalem Wissen Pro- jekte massgeblich optimiert werden können. Akzeptanz schaffen Zum Teilnehmerkreis gehören meist formelle und informelle MachtträgerInnen (GemeinderätInnen, PolitikerInnen, "Quartierkönige") sowie die Direktbetroffenen. Das Resultat solcher Mitwirkungsverfahren sind typischerweise Wettbewerbsunterlagen für Bauprojekte, Unterlagen für Studienaufträge oder überarbeitete Baupläne, in welche die Anregungen aus dem Mitwirkungsprozess eingeflossen sind. Architekturwettbewerbe, Studienaufträge Verbesserung der städtebauli- Die Stadt Zürich fördert zur Verbesserung der städtebaulichen Qualität Architekturwett- chen Qualität bewerbe und stellt öffentlichen und privaten Bauherren dafür das Know-how der Stadt zur Verfügung. Städtische Stellen veranstalten und begleiten Architekturwettbewerbe und Studienaufträge. Es liegt aber immer in der Hand der Bauherren, ob sie sich für einen Wettbewerb oder einen Studienauftrag entscheiden oder nicht. Einbezug von lokalem Wissen Die Diskussion von Ausschreibungsentwürfen mit QuartiervertreterInnen, kann für alle in Ausschreibungsunterlagen Seiten Vorteile bringen und ermöglicht allen Beteiligten eine differenzierte Sicht auf das Projekt. Lokale Kenntnisse können äusserst wertvoll sein für die Festlegung von Wett- bewerbsbedingungen. Ausserdem wird die Akzeptanz gegenüber dem Projekt durch den Einbezug von Anwohnenden und QuartiervertreterInnen massgeblich erhöht. Einsitz von Quartiervertre- Damit die Mitwirkung von QuartiervertreterInnen auch beim Entscheid über die Wett- terInnen in Jurys und Beur- bewerbsprojekte gewährleistet ist, werden manchmal QuartiervertreterInnen in Jurys teilungsgremien und Beurteilungsgremien aufgenommen. Die Erfahrungen sind ermutigend. Der Erfolg dieser Massnahme hängt allerdings stark von den einzelnen Personen ab. Beispiele: Neunutzung der Viaduktbögen im Kreis 5, Projektwettbewerb Stadtpark Har- dau, Neugestaltung Kreuzplatz (vgl. Sammlung Fallbeispiele), Hottingerplatz 18 Stadtentwicklung Zürich
Übrige Bauvorhaben, Strassenprojekte Mitwirkungsverfahren kommen manchmal auch bei baulichen Vorhaben ohne Wettbe- Unterschiedliche Gründe für Mitwirkungsprozesse werbe sowie bei Strassenprojekten zum Einsatz. Die Gründe können unterschiedlicher Natur sein. Ein Projekt kann dank dem Einbezug von QuartiervertreterInnen besser den lokalen Begebenheiten angepasst, genauer auf die Bedürfnisse des Quartiers ausge- richtet und schneller umgesetzt werden. In gewissen Fällen kann es als Reaktion auf Widerstand gegen ein Projekt zu einem Mitwirkungsverfahren kommen. Bei bedeutenden Strassenprojekten ist ein nie- derschwelliges Mitwirkungsverfahren mit einer Orientierungsveranstaltung und mögli- chen Einwendungen per Gesetz definiert (§ 13 kantonales Strassengesetz, siehe auch Kap. 3.1). Bei Bauvorhaben im Aussenraum von Siedlungen oder Schulhäusern hat Grün Stadt Zürich eine Praxis entwickelt, die sogar eine aktive Mitarbeit der Betroffenen bei der Umsetzung der Bauvorhaben vorsieht, um damit nicht zuletzt auch die Identifikation und einen sorgsamen Umgang mit dem Aussenraum zu fördern. Beispiele: Natur ums Schulhaus, Neue Tempo-30-Strategie, Strassenprojekt mit Landerwerb an der Birchstrasse (vgl. Sammlung Fallbeispiele), Idaplatz 3.5 Aktivierende Prozesse Aktivierende Prozesse sind Interventionen der öffentlichen Hand mit dem Ziel, in einem Zukunftsvorstellungen und Projektideen entwickeln bestimmten Gebiet oder zu einem speziellen Thema neue Aktivitäten zu generieren und neue Impulse zu setzen. Der Einbezug der Betroffenen steht dabei im Zentrum und dient insbesondere der Förderung der Eigeninitiative. Ausgangspunkt ist meistens eine diffuse Problemlage, eine ungünstige oder unerwünschte Entwicklung. Gemeinsam mit den Betroffenen werden neue Zukunftsvorstellungen entwickelt und Projektideen erar- beitet. Über das Mitwirkungsverfahren soll die Bevölkerung für ein aktives Engagement Eigeninitiative fördern gewonnen werden. Dabei wird in der Regel ein möglichst breites TeilnehmerInnen- Spektrum angestrebt. Eine aktive Mitarbeit der TeilnehmerInnen ist wichtig, es kann aber niemand zu einer Teilnahme verpflichtet werden (Freiwilligkeit). Es geht darum, Neues auszulösen und nicht genutzte Potentiale freizusetzen. Das Ergebnis sind im Idealfall nebst der Aktivierung neue Netzwerke und konkrete Projektideen zur Verbes- serung der Situation. Sozialräumliche Entwicklungsprozesse, Quartierentwicklung Wenn in einem Quartier oder einem Stadtteil eine ungünstige oder unerwünschte Ent- Ziel: Neue Impulse und neue Energie wicklung eingetreten ist und eine Abwärtsspirale droht, oder wenn grössere (bauliche) Veränderungen in einem Quartier anstehen, von denen Auswirkungen auf das soziale Gefüge zu erwarten sind, kann es sinnvoll sein, mit einem aktivierenden Mitwirkungs- prozess zu intervenieren. Das Ziel ist dann, gemeinsam mit den Betroffenen Visionen für die Zukunft zu entwickeln, konkrete Projektideen zu erarbeiten und auch umzuset- zen. Im Idealfall kann eine Aufbruchstimmung ausgelöst werden. Aus den Mitwirkungs- Leitfaden Mitwirkung, Entwurf, 18.01.2006 19
prozessen ergeben sich meist auch einzelne Schwerpunktthemen, die von spezieller Bedeutung sind und längerfristig weiter verfolgt werden. Beispiele: Quartierentwicklungsprozess Seebach, Stadtteilentwicklungsprozess "Zu- kunft Zentrum Oerlikon", Langstrassenmarketing (vgl. Sammlung der Fallbeispiele), Langstrasse Plus, Quartierentwicklungsprozesse Hardau, Grünau und Schwamendin- gen. Lokale Agenda 21, Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit als übergeord- Die Stadt Zürich hat als lokale Behörde einen internationalen Auftrag zusammen mit netes Ziel ihrer Bevölkerung und den übrigen Stakeholdern einen Aktionsplan für eine nachhaltige Entwicklung, eine sogenannte lokale Agenda 21, auszuarbeiten und umzusetzen. Vor diesem Hintergrund hat die Stadt in den Jahren 1998 - 2002 das Projekt "Zukunftsfähi- ges Zürich" durchgeführt. Nachhaltige Entwicklung wurde auch als übergeordnetes Ziel in den Legislaturschwerpunkten der Stadt Zürich verankert. Beteiligte setzen Massnahmen Die Mitwirkung der Betroffenen ist ein zentrales Handlungsprinzip der nachhaltigen selbst um Entwicklung. Es geht einerseits darum, die Bevölkerung für das Anliegen der nachhalti- gen Entwicklung zu gewinnen, andererseits wird auch ein Bewusstseinsprozess für das Alltagshandeln angestrebt. In der Regel wird mit diskursive Methoden wie Zukunfts- werkstätten gearbeitet. Die Umsetzung von Massnahmen soll in einem möglichsten hohen Grad der Selbstorganisation durch die Betroffenen selbst erfolgen. Nur wenn nötig werden sie von der Stadtverwaltung unterstützt. Beispiele: Wettbewerb „Zukunftsfähiges Zürich“ (vgl. Sammlung der Fallbeispiele), Schwamendinger Foren, Nachhaltige Verwaltungstätigkeit, Regionale Mobilität. Übrige gruppenspezifische oder themenspezifische Beteiligungsprozesse einer Gruppe Gehör Aktivierende Mitwirkungsprozesse kommen auch zum Einsatz, um einer spezifischen verschaffen Gruppe wie beispielsweise Kindern und Jugendlichen mehr Gehör zu verschaffen. Es geht darum, dass diese Gruppe bei Entscheiden, die sie betreffen, miteinbezogen wer- den und so ihr Umfeld aktiv mitgestalten können. Das integrative Potential von Mitwir- kung ist gross. Wer mitwirkt ist zufriedener, selbstsicherer und verständnisvoller ande- ren Lebensgewohnheiten gegenüber. Sensibilisierung für eine spezi- Themenspezifische Mitwirkungsprozesse, wie beispielsweise im Rahmen der Kam- fisches Thema pagne „Sicherheit und Sauberkeit im öffentlichen Raum“ haben primär die Sensibilisie- rung zu einem bestimmten Thema zum Ziel. Die TeilnehmerInnen sollen Verantwortung für die Thematik übernehmen und sie auch zu ihrem eigenen Anliegen machen. Beispiele: Mega!phon, Sicherheit und Sauberkeit im öffentlichen Raum (vgl. Sammlung der Fallbeispiele). 20 Stadtentwicklung Zürich
4 Hinweise zum Vorgehen 4.1 Checkliste Wer ein Mitwirkungsverfahren plant, hat viele Punkte zu beachten. Oft ist die Durch- führung von Mitwirkungsverfahren nicht die Kernkompetenz von Verwaltungsabtei- lungen. Die nachfolgende Checkliste hilft, an die wichtigsten Punkte zu denken und führt zu den wichtigsten Kapiteln im Leitfaden mit weiterführenden Hinweisen. Kennen Sie das Ziel des Mitwirkungsverfahrens? 3.2 ff Eignet sich die Fragestellung für ein Mitwirkungsverfahren? 4.2 Ist der Zeitpunkt für das Mitwirkungsverfahren richtig gewählt? 4.2 Ist der Handlungsspielraum genügend gross bzw. erweiterbar? 4.2, 4.3 Ist die Ausgangslage und Fragestellung allen klar? 4.3, 4.6, 4.9 Ist die Methode der Fragestellung angepasst? 4.8, 4.5 Haben alle Beteiligten genügend Ressourcen für das Mitwirkungsverfahren? 4.3, 4.5 Kennen Sie Ihre eigene Rolle und die der anderen Beteiligten? 4.4, 4.5 Sind auf Seiten des Prozessverantwortlichen alle Betroffenen frühzeitig über das bevorstehende Mitwirkungsverfahren informiert? (Begrüssung betroffene Dienstabteilungen) 4.4, 4.9 Sind mit dem Teilnehmerkreis die Betroffenen genügend repräsentierbar? 4.5 Ist allen Beteiligten jederzeit der Handlungsspielraum klar? 4.9 Sind die Spielregeln allen Beteiligten klar? 4.6 Ist klar, was mit den Ergebnissen des Mitwirkungsverfahrens passiert? 4.6, 4.4 Sind Kriterien für einen Abbruch des Mtiwirkungsverfahrens definiert? 4.7, 4.10 Leitfaden Mitwirkung, Entwurf, 18.01.2006 21
4.2 Entscheid zur Durchführung "Am Anfang eines freiwilligen Mitwirkungsverfahrens steht ein bewusster und geplanter Entscheid." Kenntnis der Vorgeschichte Konflikte und andere Verfahren Für den Entscheid zur Durchführung eines Mitwirkungsverfahrens ist es entscheidend, recherchieren die Vorgeschichte eines Projektes genau zu kennen. Dazu gehört das Wissen über frühere Konflikte um das Projekt bzw. die Fragestellung und insbesondere gehört dazu auch das Wissen über bereits im gleichen räumlichen Perimeter früher bzw. gleichzeitig durchgeführte andere Mitwirkungsverfahren. Die Baukoordination und spezifische Ver- waltungsstellen können als Drehscheibe für derartige Informationen dienen (vgl. Kap. 4.11). Mehrere Mitwirkungsverfahren mit der gleichen Zielgruppe schliessen sich gegenseitig aus, können aber unter Umständen gemeinsam durchgeführt werden. Bei reaktiven Prozessen, d.h. wenn die Mitwirkung von den Betroffenen eingefordert wird, ist die Ausgangslage besonders sorgfältig zu analysieren und der Teilnehmerkreis zu prüfen. Kriterien zur Durchführung von Mitwirkungsverfahren Ob die Durchführung eines Mitwirkungsverfahrens sinnvoll ist, hängt von einer sorgfältigen Analyse der Ausgangslage ab. In der folgenden Abbildung sind die Kriterien aufgeführt, die den Entscheid positiv oder negativ beeinflussen. Abbildung 4 Kriterien zur Durchführung eines Mitwirkungsverfahrens mit Direktbetroffenen. Ressourcen genügend (Betroffene, Handlungsspiel- Prozesseigner) raum vorhanden Problem- Hohes Mit- perimeter lokal sprachebedürfnis ⊕ ⊕ ⊕ Komplexe, aber ⊕ Problem- ⊕ Entscheid zur perimeter Stadt, nicht abstrakte Durchführung - Fragestellung ⊕ - ⊕ Problem = Relevanz für die Betroffenen hoch ⊕ ⊕ Wissensfrage Projekt in sen- hohe Akzeptanz Problem = siblem Gebiet / oder gar Mitar- Interessenfrage Quartierentwick- beit erforderlich lungsprozess Je grösser der Perimeter der Bedeutung und der Auswirkungen eines Projektes (städtisch, überregional) desto wichtiger ist die Rolle der Stadtverwaltung bzw. von gewählten Politikern. Mitwirkungsverfahren mit Direktbetroffenen sind in der Regel 22 Stadtentwicklung Zürich
sinnvoll für komplexere, quartierrelevante Projekte bzw. Probleme, die durch Interessenkonflikte geprägt sind. Zeitpunkt für die Durchführung von Mitwirkungsverfahren Je früher ein Mitwirkungsverfahren einsetzt, desto grösser ist in der Regel der Hand- je früher desto grösserer Handlungsspielraum lungsspielraum. Hingegen dauert es dafür umso länger, bis Ergebnisse umgesetzt werden können. Eine schnelle Umsetzung - zumindest von Teilergebnissen - ist insbesondere bei Mitwirkungsverfahren mit Kindern und Jugendlichen von grösster Wichtigkeit. Bei Planungen bzw. bei der Erstellung von Konzepten empfiehlt sich ein erster Einbezug zu einem möglichst frühen Zeitpunkt. Für die Mitwirkung nach Strassen- verkehrsgesetz ist der Zeitpunkt auf der Stufe des Vorprojektes vorgesehen (vgl. Kap. 3.1). Bei Dialogprozessen und bei aktivierenden Prozessen ist der Zeitpunkt des Einbezugs vom Problemdruck abhängig zu machen. Mitwirkungsverfahren sollten keine isolierten, einmaligen Veranstaltungen sondern Mitwirkungsverfahren sind Bestandteil von Bestandteile eines Enscheidungsfindungsprozesses sein. Von daher ist in der Regel Entscheidungsprozessen ein mehrmaliger Einbezug der Betroffenen in den verschiedenen Phasen eines Projektes sinnvoll. Mitwirkung ist dann besonders erfolgreich, wenn ersichtlich wird, dass daraus Vorteile Dauer und Aufwand bedenken für alle involvierten Parteien entstehen. Das bedingt auch die Berücksichtigung der Zeitdimension. Die Dauer des Mitwirkungsprozesses muss festgelegt sein und für Projekt und Beteiligte Sinn machen. Grenzen der Mitwirkung Der direktdemokratische Prozess sieht bei grösseren Planungen und Bauvorhaben nicht delegierbare Entscheidungen bereits verschiedene formelle Mitsprachemöglichkeiten entweder von gewählten Behörden oder aber auch durch Einspracherechte vor (vgl. Abb.2 in Kap. 3). Gewisse Entscheidungen lassen sich nicht sinnvoll an ein freiwilliges Mitwirkungsverfahren delegieren. Zudem lässt es unter Umständen der angestrebte zeitliche Fahrplan des Grundeigentümers nicht zu, dem formellen Verfahren ein freiwilliges vorausgehen zu lassen. Die Auswahl der Teilnehmenden lässt sich in aller Regel nicht vollständig steuern (vgl. Partikularinteressen nur soweit berücksichtigen, wie andere Kap. 4.5, Repräsentativität). Dies ist jedoch kein Hinderungsgrund, ein Mitwirkungs- Interessen nicht tangiert verfahren durchzuführen. Die Qualität eines Produktes lässt sich durch einen sinnvollen werden Einbezug von lokalem Wissen meistens verbessern. Hingegen ist darauf zu achten, dass ein Prozess nicht von Partikulärinteressen dominiert wird. Dies ist insbesondere dann zu beachten, wenn sich der Handlungsspielraum im Verlauf eines Prozesses verändert. Es ist die Aufgabe der Prozessverantwortlichen, das Gesamtinteresse nicht aus den Augen zu verlieren, es gibt immer Nicht-Beteiligte. Leitfaden Mitwirkung, Entwurf, 18.01.2006 23
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