Lila Reihe Ernährung in der Onkologie

 
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Lila Reihe
Ernährung in der Onkologie

Gudrun Zürcher
© Nutricia
2. Auflage Mai 2012
Ernährung in der Onkologie

Verantwortliche Autorin:

Dr. med. Gudrun Zürcher
Medizinische Universitätsklinik
Abteilung Innere Medizin I
Schwerpunkt Hämatologie / Onkologie
Sektion Ernährungsmedizin und Diätetik
Hugstetterstraße 55
79106 Freiburg
gudrun.zuercher@uniklinik-freiburg.de

Unter Mitarbeit von:
Prof. Dr. rer. nat. Dorothee Volkert
Institut für Biomedizin des Alterns
Universität Erlangen-Nürnberg
Heimerichstraße 58
90419 Nürnberg
dorothee.volkert@aging.med.uni-erlangen.de

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Inhalt

        1     Einleitung                                               6

        2     Grundlagen der Onkologie                                 7

        2.1   Epidemiologie von Krebserkrankungen                      7

        2.2   Tumorentstehung und Tumorwachstum                        8

        2.3   Rolle der Ernährung bei der Tumorentstehung             12

        2.4   Ernährungsempfehlungen zur Minderung des Krebsrisikos   18

        3     Mangelernährung bei Tumorpatienten                      20

        3.1   Definition                                              20

        3.2   Häufigkeit von Mangelernährung bei Tumorpatienten       21

        3.3   Folgen von Mangelernährung bei Tumorpatienten           22

        3.4   Ursachen von Mangelernährung bei Tumorpatienten         23

        3.4.1 Unzureichende Energie- und Nährstoffaufnahme            23

        3.4.2 Stoffwechselstörungen                                   32

        3.5   Erfassung und Diagnose von Mangelernährung              33

        4     Ernährung bei Tumorerkrankungen                         35

        4.1   Empfehlungen zur Ernährung bei Tumorerkrankungen        35

        4.1.1 Allgemeines                                             35

        4.1.2 Empfehlungen zur Energie- und Nährstoffzufuhr           37

        4.1.3 Bedeutung der Ernährungsberatung                        39

        4.1.4 Die sogenannten „Krebsdiäten“                           39

        4.2   Grundlagen der Ernährungstherapie                       41

        4.2.1 Allgemeines                                             41

        4.2.2 Ziele                                                   41

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Inhalt

4.2.3 Indikationen                                                          42

4.2.4 Formen der Ernährungstherapie                                         42

4.2.5 Refeeding-Syndrom                                                     44

4.2.6 Förderung des Tumorwachstums durch Ernährungstherapie?                45

4.3   Ernährung bei Operationen                                             45

4.3.1 Indikationen                                                          45

4.3.2 Art der Nahrung                                                       47

4.3.3 Operationen mit speziellen Ernährungsrichtlinien                      48

4.4   Ernährung bei Chemotherapie                                           58

4.5   Ernährung bei Radio- und Radio-/Chemotherapie                         61

4.6   Ernährung bei hämatopoetischer Zelltransplantation:
      Knochenmarktrans­plantation (KMT), autologe und allogene
      hämatopoetische Zelltransplantation (HZT)                             62

4.7   Ernährung mit speziellen Substraten                                   64

4.8   Medikamentöse Therapie zur Stoffwechselmodulation                     64

5     Ernährung nach der Tumortherapie                                      65

6     Ernährung in der Palliativsituation                                   66

6.1   Enterale und parenterale Ernährung außerhalb antitumoraler Therapie   66

6.2   Ernährung in der Sterbephase                                          67

Weiterführende Literatur                                                    68

                                                                                 5 ___
1        Einleitung

        Tumorerkrankungen sind mit 26 % nach         American Institute for Cancer Research
        den Herz-Kreislauf-Erkrankungen (45 %)       „Nahrung, Ernährung, Bewegung und
        die zweithäufigste Todesursache in           die Prävention von Krebs: eine globale
        Deutschland. Bei vielen Krebserkran-         Perspektive“ („Food, Nutrition, Physical
        kungen ist die Ernährung in allen Phasen     Activity and the Prevention of Cancer:
        der Erkrankung von Bedeutung: bei der        a Global Perspective“), die im November
        Entstehung, als unterstützende Maßnah-       2007 zum zweiten Mal erschienen ist.
        me bei den Behandlungen und in der           Von besonderem Interesse sind auch die
        Erholungsphase, bei Langzeitproblemen        Ergebnisse der seit 1992 in 23 Zentren in
        mit der Ernährung und bei einem Teil der     10 europäischen Ländern durchgeführten
        Tumore, um das erneute Auftreten der         EPIC-Studie („European Prospective In­
        Erkrankung zu verzögern oder zu ver­         vestigation into Cancer and Nutrition“),
        hindern.                                     an der aus Deutschland über 50.000 Per­
                                                     sonen aus zwei Zentren (Heidelberg und
        Ziel unseres Leitfadens ist es, den Pa-      Potsdam) teilnehmen.
        tienten zu ihren möglichen Problemen
        ­Lösungen aufzuzeigen und häufig ge­         Die Erkenntnisse zur Ernährung während
         stellte Fragen zu beantworten. Wir möch-    und nach der Tumortherapie basieren
         ten aber auch den Angehörigen und den       überwiegend auf den evidenzbasierten
         Betreuenden aus allen Fachgebieten das      Leitlinien der Deutschen Gesellschaft
         Thema „Ernährung und Onkologie“ nahe        für Ernährungsmedizin (DGEM) und der
         bringen. Aus langjähriger Erfahrung wis­-   Europäischen Gesellschaft für Klinische
         sen wir, wie wichtig die Ernährung für an   Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN),
         Krebs erkrankte Patienten ist.              ergänzt durch aktuelle Fachliteratur. In
                                                     die Empfehlungen eingeflossen ist aber
        Wissenschaftliche Grundlage der Aus­         auch die Erfahrung aus der jahrelangen
        führungen zur Prävention von Krebser-        ernährungsmedizinischen Betreuung von
        krankungen ist die Dokumentation des         Tumorpatienten.
        World Cancer Research Funds und des

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2             Grundlagen der Onkologie

2.1 Epidemiologie von                                                Nachsorge nach einer Tumorbehandlung
                                                                      zur Früherkennung eines Rezidivs, aber
     Krebserkrankungen
                                                                      auch zur Minderung eines Rezidivrisikos.

Die Epidemiologie in der Onkologie gibt
                                                                      Was ist Krebs?
Auskunft über die Häufigkeit des Auftre-
tens und die geographische Verteilung                                 Krebs ist eine Gruppe von mehr als 100
von Krebserkrankungen und untersucht                                  Krankheiten, die als Folge von Verände-
mögliche Zusammenhänge zwischen                                       rungen der genetischen Information der
dem Auftreten einzelner Erkrankungen                                  Zellen durch ein unkontrolliertes Wachs-
und Risikofaktoren. Aus den gewonnenen                                tum gekennzeichnet ist. Krebs greift viele
Erkenntnissen werden Vorsorgemaßnah-                                  verschiedene Gewebe und Zellarten an.
men abgeleitet. Unterschieden werden                                  Wenn er bösartig ist, wächst er in das
die primäre Prävention, die eine Tumor­                               umgebende Gewebe ein und kann in
entstehung verhindern soll, die sekun­                                einem vom Ort der Entstehung entfernten
däre Prävention, die Tumorfrüherken-                                  Gewebe weitere Tumore, so genannte
nung, und die tertiäre Prävention, die                                Metastasen, bilden.

                                            Männer Frauen
Prostata                                        25,4   27,8                                          Brustdrüse
                 Darm                      16,2        17,5                          Darm
                   Lunge                   14,3        6,4        Lunge
                      Harnblase*             9,3       5,7       Gebärmutterkörper
                               Magen         4,8        4,7     Eierstöcke
                                  Niere      4,7        4,1    M. Malanom der Haut
                  Mundhöhle und Rachen 3,3              3,8   Magen
                 Non-Hodgkin-Lymphome 2,9               3,6   Harnblase*
                     M. Malanom der Haut 2,8            3,2   Bauchspeicheldrüse
                       Bauchspeicheldrüse 2,7           3,2 Niere
                               Leukämien 2,1            3,0 Gebärmutterhals
                                     Hoden 2,1          2,9 Non-Hodgkin-Lymphome
                               Speiseröhre 1,7          2,1 Leukämien
          n = 230 500              Kehlkopf            1,7 Schilddrüse                           n = 206 000
    2002: n = 218 250            Schilddrüse                Mundhöhle und Rachen          2002: n = 206 000
                             Morbus Hodgkin               Speiseröhre
    Schätzung der Dachdokumentation Krebs
                                                          Morbus Hodgkin
    im Robert-Koch-Institut                               Kehlkopf        * ohne nicht melanotischen Hautkrebs

         25       20      15      10        5      0 0        5       10      15      20       25      30
                                                                                                     RKI 2008

  Abbildung 1: Prozentualer Anteil ausgewählter Tumorlokalisationen
   an allen Krebsneuerkrankungen* in Deutschland 2004

                                                                                                                   7 ___
Nach Schätzung der Dachdokumentation          2.2 T
                                                           umorentstehung und
        Krebs im Robert-Koch-Institut von 2008
                                                          Tumorwachstum
        sind in Deutschland 2004 insgesamt
        436.500 Krebsneuerkrankungen aufge-
                                                      Die Zellen jedes Lebewesens befinden
        treten, 230.500 bei Männern und 206.000
                                                      sich in einem genau geregelten Gleich-
        bei Frauen. Gegenüber der Schätzung
                                                      gewicht von Wachstum (Proliferation),
        von 2002 waren das bei den Männern
                                                      zellulärer Spezialisierung (Differenzierung)
        12.250 Neuerkrankungen mehr. Bei den
                                                      und Zelltod (Apoptose beziehungsweise
        Frauen war die Anzahl der Neuerkran­
                                                      Nekrose). Diesen Erscheinungsformen
        kungen gegenüber 2002 unverändert
                                                      einer Zelle liegen genau festgelegte
        (Abbildung 1).
                                                      genetische Anleitungen zugrunde, die
        Im internationalen Vergleich steht Deutsch-   das Wachstumsverhalten und den Ablauf
        land damit bei den Männern an zehnter         der Zellteilung (Zellzyklus) steuern. Diese
        und bei den Frauen an elfter Stelle der       genetischen Programme werden wesent-
        Häufigkeit von Neuerkrankungen. An Krebs      lich durch Signale außerhalb der Zelle
        verstorben sind 2004 110.745 Männer,          beeinflusst. Sie bestimmen die Aktivität
        1.114 mehr als 2002. Von den an Krebs         der Gene einer Zelle. Eine Fehlregulation
        erkrankten Frauen verstarben 2004 da-         der Genaktivität, bedingt durch Verän-
        gegen 1.866 Frauen weniger als 2002           derungen (Mutationen) von Struktur und
        (98.079 versus 99.945 Frauen).                Funktion des im Zellkern enthaltenen DNS
                                                      (Desoxyribonukleinsäure)-Erbmaterials
        Bei den Tumorneuerkrankungen steht an
                                                      kann zu einem unkontrollierten Zellwachs-
        erster Stelle bei den Männern der Prosta-
                                                      tum führen. Zudem unterstützt jeder
        takrebs, bei den Frauen der Brustkrebs,
                                                      Mechanismus, der das Überleben DNS-
        bei beiden Geschlechtern gefolgt von den
                                                      geschädigter Zellen erhöht, zum Beispiel
        Darmtumoren an zweiter und dem Lun-
                                                      durch Verhindern des apoptotischen
        genkrebs an dritter Stelle (Abbildung 1).
                                                      Todes solcher Zellen, den Prozess der
        Betrachtet man die Krebssterbefälle, so       Krebsentstehung, der Kanzerogenese.
        versterben die Männer am häufigsten an        Bösartige (maligne) Tumoren entstehen
        Lungenkrebs, die Frauen an Brustkrebs.        in mehreren Schritten, sogenannte Mehr­
        Zweithäufigste Krebstodesursache ist der      schritt-Theorie der Krebsentstehung
        Darmkrebs, und erst an dritter Stelle bei     (Abbildung 2). Diese Schritte entspre-
        den Männern der Prostatakrebs und bei         chen jeweils dem Auftreten zusätzlicher
        den Frauen der Lungenkrebs.                   Zellschädigungen. Substanzen, die schon
                                                      in sehr geringen Mengen bleibende DNS-
                                                      Veränderungen hervorrufen, werden als
                                                      Initiatoren oder Karzinogene bezeichnet.
                                                      Vorstufen von Karzinogenen, sogenann-
                                                      te Pro-Karzinogene, rufen selbst keine
                                                      Schäden hervor, können aber im Orga-
                                                      nismus durch enzymatische Umsetzung

___ 8
Normale Zelle

    Prä                Dysplasie         Maligne Zelle       Neoplasie         Generalisierung
    neoplastische
    Zelle
                                                                               Invasion
    Initiation         Promotion         Transformation      Progression       Metastase

    Genetische         Klonale           Genetische          Genetische        Genetische
    Veränderung        Expansion         Veränderung         Veränderung       Veränderung
    • erblich          • endokrin        • Telomerase        • Wachstums-     • Angiogenese
    • Chemikalien      • Entzündung      • Onkogene             faktoren       • Proteinasen
    • Strahlen         • Ernährung       • Suppressorgene    • Heterogenität   • Matrixproteine
    • Bakterien,                        • Apoptosestörung
       Viren, Pilze
                                                                               Berger, Martens 2008

  Abbildung 2: Modell der Mehrschrittkarzinogenese

in Karzinogene umgewandelt werden und               Asbest und Medikamente. Eine bedeutende
außerdem die krebserzeugende Wirkung                Quelle für reaktive Sauerstoffspezies ist
anderer Substanzen verstärken.                      der Zigarettenrauch. Physikalische Kan-
                                                    zerogene sind ionisierende, radioaktive
Am Anfang einer Tumorentwicklung steht
                                                    und UV-Strahlung.
die Initiation, die irreversible Veränderung
der molekularen Struktur der DNS einer              Biologische Karzinogene sind Bakterien,
einzelnen normalen, differenzierten und             Viren und Pilze, insbesondere bei chro-
teilungskontrollierten Zelle durch chemi-           nischen Infekten. Beispiele hierfür sind
sche, physikalische und/oder biologische            Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus
Karzinogene.                                        als Ursache für das Burkitt-Lymphom,
                                                    mit Helicobacter pylori als Ursache für
Chemische Karzinogene sind zum Bei-
                                                    Magenkarzinome und MALT-Lymphome
spiel reaktive Sauerstoffspezies, auch als
                                                    des Magens, mit dem Human Immunode-
„Sauerstoffradikale“ bezeichnet. Diese
                                                    ficiency Virus (HIV) für Lymphome und mit
entstehen normalerweise im Organismus
                                                    humanen Papillomviren als Ursache für
in den Mitochondrien als Nebenprodukt
                                                    das Gebärmutterhalskarzinom.
der Zellatmung, aber auch in Lymphozy-
ten zur Keimabwehr. Weitere chemische               Wird die initiierte Zelle nicht repariert oder
Karzinogene sind Nitrosamine, polyzykli-            zerstört, kommt es durch die Zellteilung
sche aromatische Kohlenwasserstoffe,                zu einer Vermehrung des neu gebildeten
Mykotoxine (to­xische Stoffwechselpro-              veränderten Zellklons.
dukte von Schimmelpilzen), Formaldehyd,

                                                                                                      9 ___
Im Mittelpunkt der Krebsentstehung           Basenfehlpaarungen, es kommt zu einer
         stehen vier Klassen von Genen: Pro-          genetischen Instabilität, einem sogenann-
         toonkogene, Tumorsuppressorgene,             ten „Mutatorphänotyp“. Damit steigt die
         Apoptose-regulierende Gene und DNS-          Wahrscheinlichkeit für Mutationen an On-
         Reparaturgene.                               kogenen und Tumor-Suppressor-Genen
                                                      und auch das Risiko für Zellentartungen.
         Protoonkogene sind normale Gene, die
         physiologische Vorgänge wie das Wachs-       Um eine Krebserkrankung entstehen
         tum und die Spezialisierung der Zellen       zu lassen, reicht die Initiation nicht aus.
         regulieren. Durch Mutationen entstehen       Bleibt eine initiierte Zelle erhalten, ist der
         Onkogene, wodurch veränderte Proteine,       nächste Schritt zur Krebsentwicklung die
         sogenannte Onkoproteine, gebildet wer-       klonale Expansion einer zunächst noch
         den. Die Folge sind vielfältige Störungen    homogenen Zellpopulation während der
         der normalen Regulationsmechanismen          Promotion. Je größer die Anzahl initiierter
         und Signalwege.                              Zellen ist, umso größer ist das Risiko
         Tumorsuppressorgene oder Anti-Onko­          einer Tumorprogression. Promotoren wie
         gene haben in normalen Zellen eine           Hormone, Wachstumsfaktoren, in dieser
         wachs­tumshemmende Wirkung. Kommt            Phase besonders auch Ernährungsfakto-
         es zu einem Funktionsverlust, entsteht       ren und nicht genotoxische Karzinogene,
         ein Verlust der Wachstumskontrolle.          die keine gezielte Mutation im Genom
                                                      auslösen, aber das Wachstum stimulie-
         Apoptose-regulierende Gene sorgen für        ren, wirken als Wachstumsförderer für die
         den programmierten Zelltod, die „Apop-       entarteten Zellen. Promotoren stören die
         tose“. Eine gestörte Apoptose und damit      metabolische Zellkooperation initiierter
         eine unvollständige Beseitigung verän-       Zellen mit Nachbarzellen, indem sie die
         derter Zellen ist eine wesentliche Ursache   physiologische interzelluläre Kommu-
         einer Tumorentstehung.                       nikation über die Kanalverbindungen
         DNS-Reparaturgene sind für die Repa­-        zwischen den Zellen, die „gap junctions“,
         ratur der auch in einem gesunden Orga-       unterbrechen. Gap junctions ermöglichen
         nismus aufgrund von Fehlern bei der Ver-     ein konstantes Milieu und eine geordnete
         vielfältigung der DNS oder durch mutage-     Stoffwechselkoordination.
         ne Effekte (zum Beispiel durch chemische
                                                      Der Informationsfluss dient als Kontrolle
         oder physikalische Karzinogene) immer
                                                      für das Wachstum initiierter Zellen. Da
         wieder entstehenden genetischen Defekte
                                                      er durch den Einfluss von Promotoren
         verantwortlich.
                                                      unterbrochen wird, können die Zellen
         Entsprechende Reparaturenzyme entfer­        im proliferativen Stadium bleiben. Damit
         nen die fehlerhaften Abschnitte aus der      regen die Promotoren das Wachstum
         DNS und ersetzen sie durch die richtigen     entarteter Zellen an. Oft entstehen dabei
         Folgen. Ist die Funktion dieser Repara­      zunächst präkanzeröse Veränderungen,
         turenzyme vermindert, häufen sich            zum Beispiel intraepitheliale Neubildungen,

___ 10
Fehlbildungen oder Adenome (gutartige        und Nährstoffen versorgen, sie brauchen
von Drüsen oder Schleimhäuten ausge-         die Fähigkeit zur Bildung von Blutgefäßen.
hende Tumore). Bricht der Kontakt einer      Die Bildung tumoreigener Blutgefäße wird
Zelle mit dem Promotor ab, bevor sie         teilweise von den Tumorzellen selbst, teil-
sich vermehren kann, unterbleibt die         weise aber auch von Entzündungszellen
Tumorzellbildung. Somit müssen Pro-          in der Umgebung des Tumors beeinflusst.
motoren vom Initiationsereignis an bis
                                             Der Vorgang des Einwachsens eines Tu-
zur klinischen Manifestation des Tumors
                                             mors in das umgebende Gewebe (Invasi­
andauernd vorhanden sein. Während
                                             on, Infiltration) erfolgt in vielen Schritten
der Vorgang der Initiation ein einmaliges
                                             und führt schließlich zu einer Zerstörung
Ereignis ist und nur eine kurze Zeitspanne
                                             des Normalgewebes. Tumorzellen bilden
umfasst, kann die Promotion über Jahre
                                             Enzyme, die die Gewebematrix auflösen
bis Jahrzehnte dauern.
                                             und ihnen erlauben, in das angrenzende
Infolge weiterer Veränderungen der DNS       Gewebe einzudringen. Dazu haben sie
kommt es schließlich zur Konversion in       die Fähigkeit zum Einwandern erworben.
maligne Zellen mit dem Erwerb tumor-         Die Metastasenbildung schließlich erfolgt
biologischer Eigenschaften (Transforma­      durch Einbrechen in Lymph- und/oder
tion). Zu diesen Eigenschaften gehören       Blutgefäße (lymphogene bzw. hämatoge-
eigene Wachstumssignale, Unempfind-          ne Aussaat), teilweise auch über Körper-
lichkeit gegenüber Antiwachstumssigna-       höhlen (kavitäre Aussaat).
len, eine unbegrenzte Möglichkeit zur Ver-
vielfältigung (Replikation), das Umgehen
des programmierten Zelltodes (Apoptose),
eine ununterbrochene Neubildung von
Gefäßen (Angiogenese) und das Einwach-
sen (Invasion) in das umgebende Gewe-
be. Aus dieser Transformation entwickelt
sich letztlich eine weitere Progression
mit Ausbildung von Tochtergeschwülsten
(Metastasen) und Ausbreitung im ganzen
Körper (Abbildung 2).

Die Bildung von Blutgefäßen bei Erwach-
senen ist ziemlich konstant und eng
durch ein Gleichgewicht zwischen die
Gefäßbildung fördernden und hemmen-
den Faktoren kontrolliert. Ab einer Größe
von 1 bis 2 mm können sich Tumore zur
Weiterentwicklung nicht mehr aus der
Umgebung durch Diffusion mit Sauerstoff

                                                                                             11 ___
2.3 Rolle der Ernährung bei                ­ esearch auf der Grundlage wissen-
                                                     R
                                                     schaftlicher Veröffentlichungen einen
              der Tumorentstehung
                                                     umfangreichen Bericht über den Zusam-
                                                     menhang zwischen Ernährung, Bewegung
         Unter den Risikofaktoren für eine Tumor­
                                                     und Krebsprävention veröffentlicht und
         entstehung werden innere (endogene)
                                                     auch daraus abgeleitete Ernährungsemp-
         und äußere (exogene) Ursachen un-
                                                     fehlungen ausgesprochen. Dabei wird
         terschieden. Zu den inneren Ursachen
                                                     deutlich, dass eine „gute“ Ernährung –
         gehören beispielsweise das Alter, eine
                                                     definiert als angemessene Versorgung
         ererbte genetische Disposition, Erkran-
                                                     mit Nahrung und Nährstoffen des gesam­
         kungen mit einem erhöhten Krebsrisiko
                                                     ten Körpers bis hin zur zellulären und
         (zum Beispiel die Colitis ulcerosa oder
                                                     intrazellulären Ebene – für einen normalen
         Dickdarmpolypen), oxidativer Stress
                                                     Aufbau und eine normale Funktion bereits
         oder eine chronische Entzündung. Unter
                                                     vor der Geburt notwendig ist. Ist eine
         den äußeren oder Umwelt-Faktoren sind
                                                     Person nicht geeignet ernährt, entweder
         Ernährung und Bewegung sowie Rauchen
                                                     durch Unter- oder Überernährung, hat das
         für die Krebsentstehung von besonde-
                                                     Auswirkungen auf die Mikroumgebung
         rer Bedeutung. Der Einfluss einzelner
                                                     des Gewebes durch Beeinträchtigung von
         Ernährungsfaktoren für die Entstehung
                                                     Struktur und Funktion.
         der verschiedenen Tumore ist dabei
         sehr unterschiedlich. Überschätzt für die   Von besonderem Interesse sind die
         Krebsentstehung wird die Bedeutung von      Ergebnisse epidemiologischer Untersu-
         Lebensmittelzusatzstoffen, Arzneimitteln,   chungen im Bezug auf den Zusammen-
         ionisierenden Strahlen, Industrieabfällen   hang zwischen der Entstehung einzelner
         und der Umweltverschmutzung.                Tumore und Ernährungsfaktoren, vor allem
                                                     auch einzelner Lebensmittel, Lebensmit-
         Über die Zusammenhänge zwischen der         telgruppen und Nahrungsinhaltstoffe.
         Ernährung und dem Krebsgeschehen gibt
         es eine Vielzahl von Untersuchungen, die    Dazu ist in den letzten Jahren eine Fülle
         zeigen, dass Nährstoffe und Nahrungs-       von Arbeiten verschiedener Arbeits-
         inhaltstoffe die grundlegenden zellulären   gruppen erschienen, u. a. auch von den
         Vorgänge in allen Stadien einer Tumor-      beiden an der EPIC-Studie (European
         entwicklung fördernd und hemmend            Prospective into Cancer and Nutrition-
         beeinflussen.                               Studie) beteiligten deutschen Zentren.

                                                     Die bis Ende 2005 vorliegenden Studien
         Bereits zweimal, 1997 und 2007, haben
                                                     sind im o. g. Bericht des WCRF zusam-
         der World Cancer Research Fund (WCRF)
                                                     mengefasst.
         und das American Institute for Cancer

___ 12
In Deutschland wurden in den Ernäh-
rungsberichten der Deutschen Gesell-
schaft für Ernährung (DGE) 2004 und
2008 die Beziehungen zwischen aus-
gewählten Lebensmittelgruppen und
Nährstoffen sowie der Entstehung von
Organtumoren auf der Grundlage von
Veröffentlichungen bis 2007 dargestellt
und bewertet. In allen Berichten erfolgt
die Bewertung der Studienergebnisse
auf der Basis der Einteilung des Grades
der Beweise (Evidenz) nach den Kriterien
der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Danach werden die Beweise folgen­
dermaßen eingeteilt:

• überzeugende Beweise für eine
   risikobeeinflussende Wirkung,

• wahrscheinliche Beweise für eine
   risikobeeinflussende Wirkung,

• mögliche Beweise für eine risiko­
   beeinflussende Wirkung und

• unzureichende Beweise für eine
   risikobeeinflussende Wirkung.

Die risikobeeinflussende Wirkung kann
dabei risikosteigernd oder risikosenkend
sein. Empfehlungen zur Verminderung der
Krebsinzidenz werden nur aufgrund über-
zeugender und wahrscheinlicher Beweise
für eine Beeinflussung des Krebsrisikos
gegeben. Tabelle 1 gibt die verschiede-
nen Evidenzgrade zwischen Ernährungs-
faktoren und der Entstehung bösartiger
Tumore in verschiedenen Organen auf der
Grundlage des WCRF-Berichtes 2007 und
des Ernährungsberichtes 2008 wieder.

                                           13 ___
Steigerung des
         Betroffenes Organ                 Senkung des Krebsrisikos
                                                                                       Krebsrisikos

         Bauchspeicheldrüse                Bewegung                             ▼      allgemeines Übergewicht
                                           Obst                                 ▼      abdominelles Übergewicht
                                           Lebensmittel mit Folat              ▼▼      Fleisch (rot)

         Blase                             Obst                                  ▼

         Brust                             Bewegung (postmenopausal)           ▼▼      allgemeines Übergewicht
                                           Bewegung (prämenopausal)             ▼      (postmenopausal)
                                                                                       Alkohol
                                                                                       Abdominelles Übergewicht
                                                                                       (postmenopausal)
                                                                                       Fleisch (rot)
                                                                                       Fleischwaren
                                                                                       Eier
                                                                                       Fett
                                                                                       gesättigte Fettsäuren
                                                                                       (postmenopausal)

         Dickdarm                          Bewegung                           ▼▼▼      allgemeines und
                                           Obst- und Gemüse                    ▼▼      abdominelles Übergewicht
                                           Knoblauch                           ▼▼      Alkohol
                                           Milch, Milchprodukte                ▼▼      Fleisch (rot)
                                           Ballaststoffe                       ▼▼      Fleischwaren
                                           Fisch                                ▼
                                           langkettige ω-3-Fettsäuren           ▼
         Enddarm                           Bewegung                           ▼▼▼      allgemeines und
                                           (weniger stark als Dickdarm)                abdominelles Übergewicht
                                           Milch und Milchprodukte             ▼▼      Alkohol
                                           Obst und Gemüse                      ▼      Fleisch (rot)
                                           Knoblauch                           ▼▼      Fleischwaren
                                           Fisch                                ▼
                                           langkettige ω-3-Fettsäuren           ▼
                                           Ballaststoffe                        ▼

         Eierstöcke

         Gebärmutter (Hals und             Bewegung                            ▼▼      Allgemeines Übergewicht
         Schleimhaut)                                                                  Abdominelles Übergewicht

           Tabelle 1: Zusammenhang zwischen Ernährungs- und Lebensgewohnheiten und dem Erkrankungsrisiko
            für einzelne Krebsarten

___ 14
Keine Beziehung                            Unzureichende Hinweise
      zu einem Krebsrisiko                       auf Beeinflussung des Krebsrisikos

▲▲▲   Fett                                  ◆◆   Alkohol, Gemüse, Fleischwaren, Fisch,
 ▲▲   gesättigte Fettsäuren                 ◆◆   Geflügel, Eier, langkettige ω-3-Fettsäuren,
  ▲                                              Milch, Milchprodukte, Ballaststoffe,
                                                 Glykämischer Index

                                                 Alkohol, Gemüse, Fleisch (rot), Fleischwaren,
                                                 Fisch, Geflügel, Milch, Milchprodukte, Eier,
                                                 Fett, gesättigte Fettsäuren, langkettige ω-3-
                                                 Fettsäuren, Ballaststoffe, Glykämischer Index,
                                                 Alkohol
▲▲▲   Obst- und Gemüse                       ◆   Geflügel, langkettige ω-3-Fettsäuren, Milch,
      Fischverzehr                           ◆   Milchprodukte, Glykämischer Index
▲▲▲   Ballaststoffe (postmenopausal)         ◆
 ▲▲

  ▲
  ▲
  ▲
  ▲
  ▲

▲▲▲   Fett                                  ◆◆   Geflügel, Eier
      gesättigte Fettsäuren                 ◆◆
▲▲▲   Glykämischer Index                     ◆
 ▲▲
 ▲▲

▲▲▲   Fett                                  ◆◆   Geflügel, Eier
      gesättigte Fettsäuren                 ◆◆
▲▲▲   Glykämischer Index                     ◆
 ▲▲
 ▲▲

      Fett                                  ◆◆   Obst und Gemüse, Fleisch (rot), Fleischwaren,
      gesättigte Fettsäuren                 ◆◆   Fisch, Geflügel, Milch und Milchprodukte, Eier,
      langkettige ω-3-Fettsäuren             ◆   Ballaststoffe, Glykämischer Index
      Alkohol                                ◆

▲▲▲   Fett (Schleimhaut)                    ◆◆   Obst und Gemüse, Fleisch (rot), Fleischwa-
 ▲▲   gesättigte Fettsäuren (Schleimhaut)   ◆◆   ren, Ballaststoffe, Fisch, Geflügel, Milch und
                                                 Milchprodukte, Eier, Fett (Hals), gesättigte
                                                 Fettsäuren (Hals), langkettige ω-3-Fettsäuren,
                                                 Alkohol, Glykämischer Index

                                                                                                   15 ___
Steigerung des
         Betroffenes Organ                  Senkung des Krebsrisikos
                                                                                              Krebsrisikos

         Leber                                                                                Alkohol

         Lunge                              Bewegung                                  ▼
                                            Obst                                     ▼▼
                                            Gemüse                                    ▼
                                            Lebensmittel mit Carotinoiden            ▼▼

         Magen                              Ballaststoffe                             ▼       Alkohol
                                            Grünes Gemüse                            ▼▼       Salz
                                            Zwiebelgemüse                            ▼▼       Fleischwaren

         Mund und Rachen                    Obst- und Gemüse                         ▼▼       Alkohol
                                            Grünes Gemüse                            ▼▼
                                            Lebensmittel mit Carotinoiden            ▼▼

         Niere                              Obst und Gemüseverzehr                     ▼      Allgemeines Übergewicht

         Prostata                           Lebensmittel mit Lycopen                 ▼▼       Milch und Milchprodukte
                                            Lebensmittel mit Selen                   ▼▼

         Speiseröhre                        Obst und Gemüse                          ▼▼       Alkohol
                                            Grünes Gemüse                            ▼▼       Allgemeines Übergewicht
                                            Lebensmittel mit Beta-Carotin            ▼▼       Fleisch (rot)
                                            Lebensmittel mit Vitamin C               ▼▼       Fleischwaren

           Tabelle 1: Zusammenhang zwischen Ernährungs- und Lebensgewohnheiten und dem Erkrankungsrisiko
            für einzelne Krebsarten

         ▲▲▲(▼▼▼)      überzeugende Evidenz für einen risikoerhöhenden (-senkenden) Effekt
         ▲▲(▼▼)        wahrscheinliche Evidenz für einen risikoerhöhenden (-senkenden) Effekt
         ▲(▼)          mögliche Evidenz für einen risikoerhöhenden (-senkenden) Effekt
         ◆(◆◆)         mögliche (wahrscheinliche) Evidenz für keine Veränderung des Krebsrisikos

___ 16
Keine Beziehung                               Unzureichende Hinweise
      zu einem Krebsrisiko                          auf ein Krebsrisiko

▲▲▲                                                 Obst und Gemüse, Fleisch (rot), Fleischwaren,
                                                    Fisch, Geflügel, Milch und Milchprodukte, Eier,
                                                    Fett, gesättigte Fettsäuren, langkettige ω-3-Fett-
                                                    säuren, Ballaststoffe, Glykämischer Index

      Fett                                   ◆◆     Fleisch (rot), Fleischwaren, Fisch, Geflügel,
      gesättigte Fettsäuren                  ◆◆     Milch und Milchprodukte, Eier, langkettige
      Alkohol                                 ◆     ω-3-Fettsäuren, Ballaststoffe, Glykämischer
                                                    Index

 ▲▲   Glykämischer Index                      ◆     Fleisch (rot), Fisch, Geflügel, Milch und Milch-
 ▲▲                                                 produkte, Eier, Fett, gesättigte Fettsäuren,
  ▲                                                 langkettige ω-3-Fettsäuren

▲▲▲                                                 Fisch, Geflügel, Milch und Milchprodukte,
                                                    Eier, Fett, gesättigte Fettsäuren, langkettige
                                                    ω-3-Fettsäuren, Ballaststoffe, Glykämischer
                                                    Index

▲▲▲   Alkohol                                ◆◆     Fleisch (rot), Fleischwaren, Fisch, Geflügel,
                                                    Milch und Milchprodukte, Eier, Fett, gesättigte
                                                    Fettsäuren, langkettige ω-3-Fettsäuren,
                                                    Ballaststoffe, Glykämischer Index

  ▲   Fisch                                   ◆     Obst und Gemüse, Fleisch (rot), Fleischwaren,
      Fett                                   ◆◆     Geflügel, Eier, Ballaststoffe, Glykämischer
      Gesättigte Fettsäuren                  ◆◆     Index
      langkettige ω-3-Fettsäuren              ◆
      Alkohol                                 ◆
▲▲▲                                                 Fisch, Geflügel, Milch- und Milchprodukte, Eier,
▲▲▲                                                 Fett, gesättigte Fettsäuren, Ballaststoffe, lang-
  ▲                                                 kettige ω-3-Fettsäuren, Glykämischer Index
  ▲

                    WCRF 2007, Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung 2008

                                                                                                         17 ___
2.4 Ernährungsempfehlungen zur             1. Bleiben Sie so schlank wie möglich!

              Minderung des Krebsrisikos             Die Energiezufuhr soll so gestaltet wer­
                                                     den, dass Übergewichtige ihr Gewicht
         Der World Cancer Research Fund (WCRF)       allmählich dauerhaft vermindern, nor­
         und das American Institute for Cancer       malgewichtige Patienten ihr Gewicht
         Research (AICR) haben in ihrem zwei-        halten, und untergewichtige Patienten
         ten, im November 2007 veröffentlichten      ihr „persönliches Normalgewicht“ wieder
         Bericht zur Krebsprävention die folgenden   erreichen.
         persönlichen Ernährungsempfehlungen
                                                     Bei Übergewicht empfiehlt es sich, fach-
         zur Minderung des Krebsrisikos zusam-
                                                     liche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um
         mengestellt:
                                                     einseitige und Crash-Diäten zu vermei-
                                                     den, da diese nicht dauerhaft eingehalten
          1. Bleiben Sie so schlank wie möglich!
                                                     werden können und es regelmäßig erneut
          2. Beziehen Sie körperliche               zu einer Gewichtszunahme kommt.
              Aktivität in Ihren Alltag ein!
                                                     2. Beziehen Sie körperliche
          3. Begrenzen Sie den Verzehr                  Aktivität in Ihren Alltag ein!
              energiedichter Lebensmittel
                                                     •M
                                                       indestens 30 Min./Tag moderate kör-
              (> 225 kcal/100 g). Meiden
                                                      perliche Aktivität (z.B. schnelles Gehen)
              Sie zuckerhaltige Getränke!
                                                     •Z
                                                       iel bei verbesserter Leistungsfähigkeit:
          4. Essen Sie überwiegend Lebens-           mindestens 60 Min./Tag moderate oder
              mittel pflanzlichen Ursprungs!          mindestens 30 Min./Tag intensive
                                                      körperliche Aktivität
          5. Schränken Sie den Verzehr von
              rotem Fleisch ein und meiden
                                                     3. B
                                                         egrenzen Sie den Verzehr
              Sie verarbeitetes Fleisch!
                                                        energiedichter Lebensmittel
          6. Begrenzen Sie den Konsum                  (> 225 kcal/100 g). Meiden
              alkoholischer Getränke!                   Sie zuckerhaltige Getränke!

                                                     •S
                                                       eltener Verzehr energiedichter
          7. Begrenzen Sie den Salzkonsum
                                                      Lebensmittel
              und meiden Sie den Konsum
              von verschimmeltem Getreide,           • Meiden zuckerhaltiger Getränke
              Getreide­produkten und Hülsen­
                                                     •S
                                                       eltener Verzehr von Fast Food,
              früchten!
                                                      wenn überhaupt
          8. Bemühen Sie sich, den Nährstoff-
              bedarf ausschließlich über die
              normale Ernährung zu decken!

          9. Sonderempfehlungen

___ 18
4. Essen Sie überwiegend Lebensmittel       8. Bemühen Sie sich, den Nährstoff-
    pflanzlichen Ursprungs!                      bedarf ausschließlich über die
                                                 normale Ernährung zu decken!
• Täglicher Verzehr von mind. 5 Portionen
   mit mind. insgesamt 400 g Gemüse          •K
                                               eine Empfehlung von Nahrungs-
   und Obst                                   ergänzungsmitteln

• Verzehr von mind. 25 g Ballastoffen/
                                             9. Sonderempfehlungen
   Tag bei einer Zufuhr von relativ unver­
  arbeitetem Getreideprodukten und/oder      •S
                                               äuglinge sollten sechs Monate aus-
  Hülsenfrüchten zu jeder Mahlzeit            schließlich gestillt werden, auch um
                                              das spätere Krebsrisiko von Mutter
5. Schränken Sie den Verzehr von             und Kind zu verringern
    rotem Fleisch ein und meiden
                                             •K
                                               rebskranke sollten, wenn es keine
    Sie verarbeitetes Fleisch!
                                              andersartigen Empfehlungen gibt, die
• Pro Woche nicht mehr als 500 g Verzehr     genannten Empfehlungen für Ernäh-
   von Fleisch und Fleischwaren, davon        rung, Körpergewicht und körperliche
   wenig, wenn überhaupt, verarbeitet         Aktivität ebenfalls einhalten.
   (geräuchert, gepökelt)

6. Begrenzen Sie den Konsum
    alkoholischer Getränke!

• Konsum für Männer: nicht mehr
   als zwei Gläser/Tag

• Konsum für Frauen: nicht mehr als ein
   Glas/Tag (1 Glas Wein = ca. 10-15 g
   reiner Alkohol)

• Kinder und Schwangere sollen Alkohol
   meiden

7. Begrenzen Sie den Salzkonsum
    und meiden Sie den Konsum von
    verschimmeltem Getreide-/Getreide­
    produkten und Hülsenfrüchten!

• Salzaufnahme von max. 6 g/Tag

• Vermeiden gepökelter, gesalzener oder
   salziger Lebensmittel

• Lebensmittel ohne Salz haltbar machen

                                                                                     19 ___
3        Mangelernährung bei Tumorpatienten

         3.1 D
              efinition                              wiedergibt, ist er für Tumorpatienten kein
                                                      guter Parameter zur Bestimmung der
         Als Mangelernährung wird ein anhalten-       Mangelernährung (vergleiche Kap. 3.5
         des Defizit an Energie und/oder Nähr-        Diagnose von Mangelernährung). Ein
         stoffen im Sinne einer negativen Bilanz      Gewichtsverlust ist auch bei adipösen
         zwischen Aufnahme und Bedarf mit             Tumorpatienten prognostisch ungünstig.
         negativen Auswirkungen auf Ernährungs-       Ein Gewichtsverlust von 40 % der fettfreien
         zustand, physiologische Funktionen und       Körpermasse ist mit dem Leben nicht
         Gesundheitszustand verstanden.               mehr vereinbar.

         Neben einem geringen Körpergewicht ist       Ein schwerer Gewichtsverlust bei Tumor-
         ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust ein     patienten wird häufig als „Kachexie“
         zentrales Kriterium für Mangelernährung.     (griechisch: „schlechter Zustand“) be-
                                                      zeichnet. Dieser Begriff ist allerdings un-
         Nach einer Definition der Deutschen Ge-
                                                      scharf und wird uneinheitlich verwendet.
         sellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM)
                                                      Einer neueren Definition zufolge besteht
         besteht bei Tumorpatienten eine Mangel­
                                                      eine Kachexie beim Vorliegen eines ödem-
         ernährung (engl.: malnutrition) in Form
                                                      freien Gewichtsverlustes von mindestens
         eines „krankheitsassoziierten Gewichtsver-
                                                      5 % in 12 Monaten oder weniger (bei
         lustes“, „eines ungewollten, signifikanten
                                                      Tumorpatienten 3-6 Monate!) bei einer
         Gewichtsverlustes mit Zeichen der Krank-
                                                      zugrunde liegenden Erkrankung sowie
         heitsaktivität“ („unintended weight loss
                                                      dem Vorhandensein von mindestens
         wasting“). Ein unbeabsichtigter Gewichts-
                                                      drei der folgenden Kriterien:
         verlust über 10 % in den vergangenen
         6 Monaten gilt als schwere Mangeler-         • eine verminderte Muskelkraft
         nährung.
                                                      • „Fatigue“ (anhaltende Erschöpfung
         Ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust           und Müdigkeit)
         selbst kann Ausdruck der Krankheits-
                                                      • „Anorexie“ (Gesamtenergieaufnahme
         aktivität beziehungsweise erstes Symp­-
                                                        unter 20 kcal/kg Körpergewicht und Tag,
         tom einer gravierenden Erkrankung sein.
                                                        < 70 % der üblichen Nahrungsaufnahme
         Auch Personen mit einem normalen oder          oder ein schlechter Appetit)
         erhöhten BMI können in Zusammenhang          • eine geringe fettfreie Körpermasse
         mit einem Gewichtsverlust einen klinisch
         bedeutsamen Verlust an Magermasse            • erhöhte inflammatorische Marker
         haben. Da der BMI das Ausmaß einer             (CrP > 5,0 mg/dl, IL-6 > 4,0 pg/ml),
         Mangelernährung nur unzureichend               Anämie (Hb < 12 g/dl) oder erniedrigtes
                                                        Serum-Albumin (< 3,2 g/dl)

___ 20
3.2 Häufigkeit von                            Der Gewichtsverlust war größer bei Tu-
                                              moren im oberen Magen-Darm-Trakt, im
    Mangelernährung bei
                                              fortgeschrittenen Tumorstadium und bei
    Tumorpatienten                            Patienten mit einem schlechten „Perfor-
Die Angaben zur Häufigkeit einer Mangel-      mance Status“ (Skala zur Beurteilung des
ernährung bei Tumorpatienten liegen zwi-      Allgemeinzustandes von Tumorpatienten).
schen 30 und 90 %, in Abhängigkeit von der    Der Bedarf an Ernährungsinterventionen
Art, der Lokalisation und dem Stadium der     war besonders hoch bei Speiseröhren-
Tumorerkrankung und der Tumortherapie.        und Bauchspeicheldrüsentumoren und
                                              wieder bei Patienten mit schlechtem
Ein ungewollter Gewichtsverlust ist oft der   „Performance Status“. Das Ausmaß des
erste Hinweis auf eine Krebserkrankung.       Gewichtsverlustes korrelierte gut mit der
                                              Schwere der Appetitlosigkeit (Anorexie)
In der größten europäischen Untersuchung
                                              der Patienten. Die meisten Patienten mit
zum Gewichtsverlust in den sechs Mo-
                                              keinem oder einem Gewichtsverlust unter
naten vor der Diagnosestellung hatten je
                                              10 % waren nicht appetitlos.
nach Tumorart 32 bis 87 % von über 3400
Tumorpatienten an Gewicht verloren. Am        In einer großen, multizentrischen deutschen
seltensten an Gewicht verloren hatten die     Erhebung zur Häufigkeit der Mangeler-
Patienten mit einer Blutkrebs-Erkrankung,     nährung im Krankenhaus nahmen nach
Brustkrebs und Sarkomen, während von          den geriatrischen Patienten mit 56 % die
den Patienten mit Tumoren des Magen-          Tumorpatienten mit 38 % den zweiten
Darm-Traktes (Bauchspeicheldrüsen-,           Rang ein. Eine weitere Untersuchung zum
Magenkarzinome) bis 87 % Gewichtsver-         Vorliegen einer Mangelernährung in einem
luste zeigten. Patienten mit Dickdarm-,       deutschen Krankenhaus der Maximalver-
Prostata- und Lungentumoren lagen mit         sorgung ergab bei 24 % der 1308 unter-
einer Häufigkeit von 54 bis 61 % dazwi-       suchten internistischen Patienten Zeichen
schen. Mit einem Gewichtsverlust von          einer Mangelernährung. Bei den Patienten
über 10 % vom gesunden Ausgangsge-            mit gutartiger Erkrankung lag diese Rate
wicht waren 16 % der Patienten bereits        bei 16 %, während 53 % der Tumorpatien-
zum Zeitpunkt der Diagnosestellung            ten mangelernährt waren.
schwer mangelernährt.
                                              Im Verlauf ihres Krankenhausaufenthaltes
Vorläufige Ergebnisse einer prospektiven      verlieren etwa 45 % der Tumorpatienten
italienischen Untersuchung ambulanter         über 10 % ihres Gewichtes.
Tumorpatienten – bisher 1000 Patienten
aus 12 Zentren – ergaben eine schwere         In einer Untersuchung von ambulanten
Mangelernährung mit einem Gewichtsver-        und stätionären Patienten mit fortgeschrit-
lust von über 10 % bei 40 % der Pati-         tenem metastasiertem Tumorleiden war
enten. Bei Anwendung des „Nutritional         das häufigste Symptom ein Gewichtsver-
Risk Scores“ (NRS ≥ 3 – siehe Kap. 3.5        lust bei 85  % der Patienten. 71 % dieser
Erfassung und Diagnose von Mangel-            Patienten hatten über 10 % ihres Gewichts
ernährung) hatten 34 % der Patienten ein      vor der Diagnose der Erkrankung verloren.
Ernährungsrisiko.

                                                                                            21 ___
Obwohl bei fortgeschrittener Tumorer-           Bei mangelernährten Patienten ist die
         krankung die Mehrzahl der Erkrankten            humorale und zelluläre Immunantwort ver-
         mangelernährt ist, besteht kein eindeutiger     mindert, die Infektneigung erhöht und die
         Zusammenhang zwischen dem Ernäh-                Wundheilung vermindert, was zu vermehr-
         rungszustand und der Größe, der Ausbrei-        ten Komplikationen durch Wundheilungs-
         tung und dem Differenzierungsgrad des           störungen, Infektionen und Sepsis sowie
         Tumors sowie der Erkrankungsdauer. Somit        häufigeren und längeren Krankenhausauf-
         ist das Auftreten einer Mangelernährung         enthalten und zu höheren Kosten führt.
         in jedem Stadium der Erkrankung möglich
         und im Einzelfall nicht vorhersehbar.           Mangelernährung führt zu einem schlech-
                                                         teren Ansprechen auf Chemotherapien, zu
                                                         mangelnder Compliance, Therapieunter-
                                                         brechungen und dadurch unzureichenden
         3.3 Folgen von Mangelernährung                  Gesamttherapien, wodurch die Sterblich-
             bei Tumorpatienten                          keit steigt und die Prognose der Patienten
                                                         sich verschlechtert. Die Überlebenszeit ist
         Mangelernährung hat einen ungünstigen           signifikant verkürzt.
         Einfluss auf die Körperzusammensetzung,
         Krankheitshäufigkeit, Sterblichkeit und         Gewichtsverlust ist ein eigenständiger
         Lebensqualität von Tumorpatienten.              Prognosefaktor für die Sterblichkeit bei
                                                         Non-Hodgkin-Lymphom, Bronchialkar-
         Die bei onkologischen Patienten auftre-
                                                         zinom, Mammakarzinom, Kolon- und
         tenden Änderungen der Körperzusam-
                                                         Prostatakarzinom.
         mensetzung unterscheiden sich von den
         Veränderungen im Hungerzustand. Im
                                                         Mangelernährung ist darüber hinaus mit
         Hungerzustand wird vorwiegend Körperfett
                                                         Depressionen sowie einer signifikanten
         abgebaut und die Muskelmasse bewahrt.
                                                         Minderung von Leistungsfähigkeit und
         Tumorpatienten verlieren dagegen Kör-
                                                         Lebensqualität assoziiert. Mangeler-
         perfett- und Körpermagermasse, primär
                                                         nährung ist für den Patienten und seine
         Skelettmuskelmasse. Organgewebe, vor
                                                         Familie auch eine Ursache psychischer
         allem das Lebergewebe, bleibt erhalten.
                                                         Probleme. Bereits ein Gewichtsverlust
         Die intrazelluläre Flüssigkeit nimmt ab, eine
                                                         von nur 5 % bei unzureichender Energie-
         kompensatorische Zunahme der extra-
                                                         und Eiweißaufnahme korrelierte in einer
         zellulären Flüssigkeit kann das tatsäch-
                                                         Studie signifikant mit einer Minderung der
         liche Ausmaß einer Gewichtsabnahme
                                                         Lebensqualität. Patienten mit fortgeschrit-
         verschleiern, ebenso wie Wassereinlage-
                                                         tenen Tumoren, die zu den Erfahrungen
         rungen im Rahmen einer Krebsbehandlung
                                                         mit ihrer Ernährungssituation und zum
         oder Änderungen des Hydratationsstatus,
                                                         Grund für die Entscheidung zu einer
         zum Beispiel bei Herz-, Leber- und Nie-
                                                         heimparenteralen Ernährung (HPN) befragt
         reninsuffizienz oder bei schwer Kranken.
                                                         wurden, bezeichneten ihre Ernährungs-
         Der Verlust an Körperzellmasse führt zu
                                                         situation vor der HPN als eine Quelle von
         körperlicher Schwäche, Abnahme der res-
                                                         „Quälerei und häufiger Verzweiflung“.
         piratorischen Muskelfunktion und langfris-
                                                         Sie wollten und versuchten zu essen,
         tig zu Immobilität.

___ 22
waren dazu aber nicht fähig. Die Familie       des Magen-Darm-Traktes nahmen in
erlebte Machtlosigkeit und Frustration         frühen Tumorstadien (Stadium I und II der
dadurch, dass sie ihren Angehörigen das        Erkrankung) lediglich zwischen 20 und 64
Essen nicht ermöglichen konnte. Das            kcal/Tag weniger auf als vor der Erkran-
positivste Merkmal der HPN war das             kung, in fortgeschrittenen Stadien (III bzw.
Gefühl von Erleichterung und Sicherheit        IV) jedoch zwischen 491 und 1095 kcal/
befriedigter Ernährungsbedürfnisse, was        Tag weniger. Die Eiweißzufuhr (wünschens-
einen direkten positiven Einfluss auf die      werte Eiweißzufuhr bei Tumorpatienten:
Lebensqualität, Gewicht, Energie, Kraft        1,2-1,5 g/kg Körpergewicht und Tag) war
und Aktivität hatte. Diese positiven Effekte   im Stadium I und II nur minimal zwischen
der HPN glichen die negativen in Form von      0,2 und 1,0 g/Tag vermindert, im Stadium III
Einschränkungen im Familienleben und           und IV allerdings zwischen 64 und 94 g/Tag.
den sozialen Kontakten für die gesamte
                                               Dass auch das Ernährungsmuster von
Familie aus.
                                               Tumorpatienten die Energie- und Nähr-
                                               stoffzufuhr und folglich das Körperge-
                                               wicht beeinflusst, konnte eine kanadische
3.4 Ursachen von Mangeler­-                   Arbeitsgruppe zeigen. Sie untersuchten
     nährung bei Tumorpatienten                Patienten mit fortgeschrittenen soliden
                                               Tumoren (80 % der Teilnehmer litten an
Die Mangelernährung onkologischer              Tumoren der Lunge, des Magen-Darm-
Pat­i­enten hat viele Ursachen. Hauptsäch-     Traktes, der Brust oder der Prostata), die
lich beteiligt sind eine unzureichende         nicht mehr mit Bestrahlung oder Che-
Energie- und Nährstoffaufnahme sowie           motherapie behandelt wurden, zuhause
Stoffwechselstörungen auf der Grundlage        lebten und dort ihre Speisen auswählten.
von humoralen und entzündungsartigen           Die Auswertung der über jeweils drei Tage
(inflammatorischen) Reaktionen.                ausgefüllten Essprotokolle ergab drei
                                               unterschiedliche, aber typische Muster für
                                               die Kombination der verzehrten Nah-
3.4.1 Unzureichende Energie-                   rungsmittel: ein normales Muster, „Fleisch
                                               und Kartoffel“-Typ, einen „Früchte-Weiß­
      und Nährstoffaufnahme                    brot“-Typ mit bevorzugt weicher Kost
                                               und einen „Milch und Suppe“-Typ mit
Eine unzureichende Nahrungsaufnahme
                                               bevorzugt flüssiger Kost. Die aufge-
ist bei onkologischen Patienten gut belegt.
                                               nommene Energiemenge variierte von 4
So ergab eine Bestimmung der Energie­
                                               bis 53 kcal/kg Körpergewicht und Tag.
zufuhr onkologischer Patienten eine
                                               Zwischen den Ernährungsmustern ergab
mittlere tägliche Energieaufnahme von
                                               sich vom Typ der normalen über die
26 ± 10 kcal/kg und Tag (wünschens-
                                               weiche zur flüssigen Kost eine Abnahme
werte Energiezufuhr bei Tumorpatienten:
                                               der Energieaufnahme von 27 vs. 24 vs. 20
30-35 kcal/kg und Tag), ohne Unterschied
                                               kcal/kg und Tag und eine Zunahme des
zwischen normometabolischen und hyper­
                                               Gewichtsverlustes von 11 vs.16 vs. 21 %.
metabolischen Patienten. Patienten mit
                                               Besonders beachtenswert war, dass der
Kopf- und Halstumoren sowie Tumoren

                                                                                              23 ___
mittlere Body Mass Index (BMI) in den 3               nahme zum einen durch die Erkrankung
         Gruppen vergleichbar war (23,5 vs. 23,8               selbst verursacht sein, z.B. als Folge einer
         vs. 22,8 kg/m2), der mittlere Gewichts-               direkten Beeinträchtigung durch Obstruk-
         verlust in den letzten 6 Monaten jedoch               tionen im Mund- und Halsbereich oder im
         deutlich unterschiedlich (11 vs. 12 vs.               oberen Magen-Darm-Trakt oder infolge
         21 %). Die Untersuchung unterstreicht                 einer durch den Tumor ausgelösten Appe-
         die Unzulänglichkeit des BMIs zur Be-                 titlosigkeit.
         stimmung des Ausmaßes einer Mangel­
                                                               In vielen Fällen führt die Therapie der Tu-
         ernährung bei Tumorpatienten.
                                                               morerkrankung zu einer unzureichenden
         Viele Faktoren tragen dazu bei, dass on-              Nahrungsaufnahme. So können Opera­
         kologische Patienten sehr häufig ungenü-              tionen im Bereich von Kopf-, Hals- und
         gende Nahrungsmengen zu sich nehmen.                  Magen-Darm-Trakt in Abhängigkeit vom
         So kann eine verminderte Nahrungsauf-                 Ort und der Ausdehnung des Eingriffs zu

          Operation                       Effekte

          Mundhöhle/Hals                  • Kau- und Schluckstörungen
                                          • Geschmacksstörungen

          Speiseröhre                     • Appetitlosigkeit
                                          • Angst vor dem Essen
                                          • Empfindlichkeit gegen Scharfes und Saures
                                          • Motilitätsstörungen des Magens, Völlegefühl

          Magen                           • Störung von Appetit- und Sättigungsregulation
                                          • Nahrungsmittelaversionen
                                          • Reflux-Ösophagitis
                                          • Dumpingsyndrom
                                          • Milchzuckerunverträglichkeit (Laktoseintoleranz)
                                          • Fettstühle (durch unzureichende Mischung des
                                             Speisebreies mit den Pankreasfermenten)
                                          • Malabsorption: Eisen, Calcium, Zink, Folsäure,
                                             Vitamine B12, C, A, D, E, K, Carotinoide

          Bauchspeicheldrüse              • Diabetes mellitus
                                          • Maldigestion: Fett
                                          • Malabsorption: Vit. B12, A, D, E, K, Carotinoide

          Dünndarm                        • In Abhängigkeit vom Ort und Ausmaß der Resektion:
                                             bei Resektion von > 50 %: generalisierte Malabsorption
                                          • chologene Diarrhö
                                          • Malabsorption: Vit. B12, A, D, E, K, Carotinoide
                                          • enterale Hyperoxalurie mit Gefahr der Nierensteinbildung
                                          • Blähungen bei unzureichendem Kauen

          Dickdarm                        • Lebensmittelintoleranzen, Diarrhoe
                                          • Wasser- und Elektrolytverluste

           Tabelle 2: Ernährungsrelevante Folgen von Operationen

___ 24
stattfindende Behandlungen (kombinierte
• Anorexie (praktisch alle Zytostatika)
                                             Radiochemotherapie) und zusätzliche No-
• Geschmacks- und Geruchsstörungen           xen (Alkohol und Nikotin) Art und Ausmaß
• Übelkeit, Erbrechen                       der Nebenwirkungen.

• Nahrungsmittelaversionen                  Bei den Strahlenreaktionen des Normal-
                                             gewebes unterscheidet man in Abhän-
• Sodbrennen, Blähungen, Völlegefühl
                                             gigkeit vom zeitlichen Verlauf akute und
• Schleimhautentzündungen/                 späte, chronische Nebenwirkungen
  -ulzerationen                              (Tabelle 4). Akute Nebenwirkungen
                                             treten innerhalb von 90 Tagen nach
• Abdominalschmerzen
                                             Bestrahlungsbeginn auf, chronische
• Durchfall, Verstopfung, Ileus            nach mehr als 90 Tagen. Die Ursachen
• Organschäden: Lunge, Herz,                der akuten und späten Nebenwirkungen
   Leber, Niere                              sind unterschiedlich. Akutreaktionen sind
                                             die direkte Folge der Verminderung der
• Sekundär bei Infektionen,
                                             Zahl funktionsfähiger Parenchymzellen
  Sepsis, Atemnot
                                             in rasch wachsenden Geweben (Epi-
  Tabelle 3: Ernährungsrelevante          thelgewebe, Knochenmark). Typische
   Neben­wirkungen einer Chemotherapie       Akutsymptome nach Strahleneinwirkung
                                             sind Entzündungsreaktionen, Ödembil-
einer Vielzahl von Beeinträchtigungen der    dung, Haut- und Schleimhautreaktionen
Nährstoffaufnahme und Nährstoffverwer-       sowie spezifische Veränderungen an
tung führen (Tabelle 2). Ebenso können       strahlensensiblen Geweben wie Knochen-
Chemo- und/oder Strahlentherapie von         mark, Dünndarmepithel und Keimdrüsen.
ernährungsrelevanten Nebenwirkungen          Chronische Strahlennebenwirkungen sind
begleitet sein (Tabelle 3, Tabelle 4).       die Folge einer irreversiblen Schädigung
                                             gewebstypischer Parenchym-, Endo-
Nebenwirkungen einer Strahlentherapie
                                             thel- oder Bindegewebszellen. Ursächlich
treten in der Regel lokal organbezogen
                                             angesehen werden Veränderungen am
auf (Tabelle 4). Gleichzeitig kann eine
                                             Gefäßbindegewebe und der Durchblu-
Bestrahlung Ursache für allgemeine
                                             tung. Letztere können auch noch nach
Symptome wie Anorexie, Übelkeit, Er-
                                             Jahren auftreten und zeigen häufig einen
brechen, Fieber, Fatigue-Syndrom oder
                                             fortschreitenden Verlauf.
Mangelernährung sein. Dabei besteht eine
ausgeprägte Dosis-Wirkungs-Beziehung         Schon vor Beginn der Tumortherapie kann
für das Auftreten von Nebenwirkungen.        auch die Lebensführung eines Patienten
Von Bedeutung sind neben der Gesamt-         mit einer zu geringen Nahrungszufuhr,
dosis die Einzeldosis, die Fraktionierung,   einseitiger Ernährung und einem erhöhten
Art und Anteil mitbestrahlter Organe         Nährstoffbedarf Ursache einer Mangeler-
und Gewebe sowie das Bestrahlungs-           nährung sein. Besonders gefährdet sind
volumen. Gleichzeitig beeinflussen Alter     Patienten mit chronischem Nikotin- und Al-
und Begleiterkrankungen des Patienten,       koholkonsum. Schließlich können Schmer-
vorangegangene Therapien, gleichzeitig       zen, lange Nüchternphasen im Rahmen

                                                                                          25 ___
Akuteffekte                            Späteffekte

          ZNS                     • Hirndrucksteigerung, Übelkeit,      • Hirnnekrose
                                     Erbrechen

          HNO                     • Schleimhautentzündungen              • Mundtrockenheit (Xerostomie)
                                  • Speichelveränderungen                • Karies
                                  • Mundtrockenheit                      • vermindertes / fehlendes
                                  • Anorexie                                Geschmacksempfinden
                                  •G eschmacks- / Geruchsstörungen
                                  • Schluckstörungen
                                  • Laryngitis
                                  • Oesophagitis

          Thorax                  • Oesophagitis                         • Oesophagitis
                                  • Pneumonitis                          • Fibrose
                                                                         • Stenose
                                                                         • Fisteln
                                                                         • Lungenfibrose

          Abdomen/                • Übelkeit                             • Ulzera
          Becken                  • Erbrechen                            • Diarrhoe, Malabsorption
                                  • Diarrhoe                             • chronische Enteritis
                                  • Meteorismus                          • Strikturen
                                  • Tenesmen                             • Obstruktion
                                  • Enteritis                            • Fisteln
                                  • Zystitis

          Endokrinum              • Funktionelle Insuffizienz            • Endokrine Insuffizienz:
                                                                            thyreoidal, adrenokortikal,
                                                                            gonadal

           Tabelle 4: Ernährungsrelevante Nebenwirkungen einer Strahlentherapie

         der Diagnostik, psychische Faktoren                    In einer neueren Untersuchung zur Symp­
         (Angst, Depressionen) und Bewegungs-                   tomhäufigkeit bei Patienten mit Tumoren
         mangel Grund für eine unzureichende                    in der Lunge und im Magen-Darm-Trakt
         Energie- und Nährstoffaufnahme sein.                   ohne Chemo- und Radiotherapie fand
                                                                sich als häufigstes Symptom Appetitlosig-
         Viele Faktoren, die die Nahrungsaufnah-
                                                                keit bei 38 % der Patienten, gefolgt von
         me negativ beeinflussen, sind bereits bei
                                                                vorzeitigem Sättigungsgefühl (27 %),
         der Diagnosestellung vorhanden. 40 %
                                                                Schmerzen (23 %), Geschmacksverände-
         der Patienten leiden bereits unter einer
                                                                rungen (20 %), Übelkeit (18 %), Mund­
         Anorexie, 61 % unter einem Völlegefühl,
                                                                trockenheit (17 %), Verstopfung (14 %),
         46 % unter Geschmacksveränderungen,
                                                                Erbrechen und Durchfall (jeweils 11 %),
         41 % unter Verstopfung, 40 % unter
                                                                Schluckproblemen (9 %), Geruchsstörun-
         Mundtrockenheit, 39 % unter Übelkeit
                                                                gen (7 %), sowie Mundsoor (1 %).
         und 27 % unter Erbrechen.
                                                                62 % der Patienten hatten ein oder mehrere
                                                                Symptome. Von Symptomen betroffen

___ 26
waren alle Patienten mit einem Pankreas-      ist sie das Ergebnis eines durch Zytokine
karzinom, 75 % der Patienten mit einem        und Serotonin (einem Neurotransmitter)
Tumor im oberen Gastrointestinaltrakt,        vermittelten Ungleichgewichts zwischen
66 % der Patienten mit einem Lungentu-        zentralen Signalen von Neuropeptid Y
mor und 41 % der Patienten mit kolorek-       (appetitfördernd) und Pro-Opiomelano-
talen Tumoren. An Gewicht verloren 48 %       cortin (appetithemmend) zu Gunsten von
der Patienten mit gastrointestinalen und      Pro-Opiomelanocortin.
19 % mit Lungen-Tumoren. Die meisten
                                               Weitere mögliche Ursachen einer Ano-
appetitlosen Patienten (fast 60 %) waren
                                               rexie sind Nebenwirkungen der Tumor-
Patienten mit Lungentumoren.
                                              therapien, Infekte, Fieber, Schmerzen,
                                              Elektrolytstörungen (Hyperkaliämie,
Anorexie
                                              ­Hyperkalzämie), Störungen des Säure-
Ein besonderes Problem stellt bei Tumor-       Basen-Haushalt, zerebrale Störungen
patienten die Anorexie oder Appetitlosig-      (toxisch, entzündlich, tumorbedingtes
keit dar, meist verbunden mit vorzeitigem      Hirnödem, Hirnmetastasen), Magen-,
Sättigungsgefühl, Nahrungsmittelaversi-        Darm-, Nieren-, Nebennieren-, Leber-
onen sowie Geschmacks- und Geruchs­            und Lungenerkrankungen sowie endo­
störungen, die ebenfalls eng miteinander       krinologische Erkrankungen.
in Wechselbeziehung stehen.
                                              Geschmacks- und
In einer Untersuchung bestand bei 40 %        Geruchsveränderungen
der Patienten bereits zum Zeitpunkt der
                                              Unter Chemotherapie klagen 36 bis 75 %
Erstdiagnose eine Anorexie. Das Auftre-
                                              der Patienten über Geschmacksverän­
ten war abhängig vom Typ und der Lage
                                              derungen in allen Formen. Dabei ist eine
des Tumors sowie dem Stadium der
                                              Hypogeusie (partieller Geschmacksver-
Tumorerkrankung. Von 186 nacheinander
                                              lust) häufig mit einer Dysgeusie (Miss-
aufgenommenen Patienten waren 1/3 der
                                              empfinden des Geschmacks) verbunden.
Patienten mit Lungen- oder Dickdarm-
                                              Zu Geschmacksveränderungen führen
karzinom oder einem Lymphom und alle
                                              hauptsächlich folgende Zytostatika:
Patienten mit einem Tumor im Bereich von
                                              Carboplatin, Cisplatin, Cyclophosphamid,
Speiseröhre, Magen oder Leber betroffen.
                                              Doxorubicin, 5-Fluorouracil, Methotrexat
Die höchste Prävalenz bestand im Spätsta-
                                              und Paclitaxel. Am häufigsten wird unter
dium der Tumorerkrankung, zu 80 % bei
                                              Cisplatin und Doxorubucin über schwere
Patienten mit Speiseröhren- und Magen-
                                              Geschmacksveränderungen berichtet.
karzinomen sowie Lymphomen, zu 30 %
                                              Bei autologer Stammzelltransplantation
bei Patienten mit Tumoren, die nicht den
                                              ist unter Hochdosistherapie ein völliger
oberen Magen-Darm-Trakt betrafen. Beson-
                                              Geschmacksverlust beschrieben.
ders im fortgeschrittenen Stadium einer Tu-
morerkrankung ist die Anorexie signifikant    Die Geschmacksveränderungen können
mit dem Ernährungsstatus verbunden.           während der Zytostatikagabe auftreten
                                              und von wenigen Stunden bis zu mehre-
Nach neuen Vorstellungen zur Entste-
                                              ren Tagen, Wochen oder sogar Monaten
hung der Anorexie bei Tumorpatienten

                                                                                          27 ___
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