Lila Reihe Ernährung in der Onkologie
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Lila Reihe Ernährung in der Onkologie Gudrun Zürcher
© Nutricia 2. Auflage Mai 2012
Ernährung in der Onkologie Verantwortliche Autorin: Dr. med. Gudrun Zürcher Medizinische Universitätsklinik Abteilung Innere Medizin I Schwerpunkt Hämatologie / Onkologie Sektion Ernährungsmedizin und Diätetik Hugstetterstraße 55 79106 Freiburg gudrun.zuercher@uniklinik-freiburg.de Unter Mitarbeit von: Prof. Dr. rer. nat. Dorothee Volkert Institut für Biomedizin des Alterns Universität Erlangen-Nürnberg Heimerichstraße 58 90419 Nürnberg dorothee.volkert@aging.med.uni-erlangen.de 3 ___
Inhalt 1 Einleitung 6 2 Grundlagen der Onkologie 7 2.1 Epidemiologie von Krebserkrankungen 7 2.2 Tumorentstehung und Tumorwachstum 8 2.3 Rolle der Ernährung bei der Tumorentstehung 12 2.4 Ernährungsempfehlungen zur Minderung des Krebsrisikos 18 3 Mangelernährung bei Tumorpatienten 20 3.1 Definition 20 3.2 Häufigkeit von Mangelernährung bei Tumorpatienten 21 3.3 Folgen von Mangelernährung bei Tumorpatienten 22 3.4 Ursachen von Mangelernährung bei Tumorpatienten 23 3.4.1 Unzureichende Energie- und Nährstoffaufnahme 23 3.4.2 Stoffwechselstörungen 32 3.5 Erfassung und Diagnose von Mangelernährung 33 4 Ernährung bei Tumorerkrankungen 35 4.1 Empfehlungen zur Ernährung bei Tumorerkrankungen 35 4.1.1 Allgemeines 35 4.1.2 Empfehlungen zur Energie- und Nährstoffzufuhr 37 4.1.3 Bedeutung der Ernährungsberatung 39 4.1.4 Die sogenannten „Krebsdiäten“ 39 4.2 Grundlagen der Ernährungstherapie 41 4.2.1 Allgemeines 41 4.2.2 Ziele 41 ___ 4
Inhalt 4.2.3 Indikationen 42 4.2.4 Formen der Ernährungstherapie 42 4.2.5 Refeeding-Syndrom 44 4.2.6 Förderung des Tumorwachstums durch Ernährungstherapie? 45 4.3 Ernährung bei Operationen 45 4.3.1 Indikationen 45 4.3.2 Art der Nahrung 47 4.3.3 Operationen mit speziellen Ernährungsrichtlinien 48 4.4 Ernährung bei Chemotherapie 58 4.5 Ernährung bei Radio- und Radio-/Chemotherapie 61 4.6 Ernährung bei hämatopoetischer Zelltransplantation: Knochenmarktransplantation (KMT), autologe und allogene hämatopoetische Zelltransplantation (HZT) 62 4.7 Ernährung mit speziellen Substraten 64 4.8 Medikamentöse Therapie zur Stoffwechselmodulation 64 5 Ernährung nach der Tumortherapie 65 6 Ernährung in der Palliativsituation 66 6.1 Enterale und parenterale Ernährung außerhalb antitumoraler Therapie 66 6.2 Ernährung in der Sterbephase 67 Weiterführende Literatur 68 5 ___
1 Einleitung Tumorerkrankungen sind mit 26 % nach American Institute for Cancer Research den Herz-Kreislauf-Erkrankungen (45 %) „Nahrung, Ernährung, Bewegung und die zweithäufigste Todesursache in die Prävention von Krebs: eine globale Deutschland. Bei vielen Krebserkran- Perspektive“ („Food, Nutrition, Physical kungen ist die Ernährung in allen Phasen Activity and the Prevention of Cancer: der Erkrankung von Bedeutung: bei der a Global Perspective“), die im November Entstehung, als unterstützende Maßnah- 2007 zum zweiten Mal erschienen ist. me bei den Behandlungen und in der Von besonderem Interesse sind auch die Erholungsphase, bei Langzeitproblemen Ergebnisse der seit 1992 in 23 Zentren in mit der Ernährung und bei einem Teil der 10 europäischen Ländern durchgeführten Tumore, um das erneute Auftreten der EPIC-Studie („European Prospective In Erkrankung zu verzögern oder zu ver vestigation into Cancer and Nutrition“), hindern. an der aus Deutschland über 50.000 Per sonen aus zwei Zentren (Heidelberg und Ziel unseres Leitfadens ist es, den Pa- Potsdam) teilnehmen. tienten zu ihren möglichen Problemen Lösungen aufzuzeigen und häufig ge Die Erkenntnisse zur Ernährung während stellte Fragen zu beantworten. Wir möch- und nach der Tumortherapie basieren ten aber auch den Angehörigen und den überwiegend auf den evidenzbasierten Betreuenden aus allen Fachgebieten das Leitlinien der Deutschen Gesellschaft Thema „Ernährung und Onkologie“ nahe für Ernährungsmedizin (DGEM) und der bringen. Aus langjähriger Erfahrung wis- Europäischen Gesellschaft für Klinische sen wir, wie wichtig die Ernährung für an Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN), Krebs erkrankte Patienten ist. ergänzt durch aktuelle Fachliteratur. In die Empfehlungen eingeflossen ist aber Wissenschaftliche Grundlage der Aus auch die Erfahrung aus der jahrelangen führungen zur Prävention von Krebser- ernährungsmedizinischen Betreuung von krankungen ist die Dokumentation des Tumorpatienten. World Cancer Research Funds und des ___ 6
2 Grundlagen der Onkologie 2.1 Epidemiologie von Nachsorge nach einer Tumorbehandlung zur Früherkennung eines Rezidivs, aber Krebserkrankungen auch zur Minderung eines Rezidivrisikos. Die Epidemiologie in der Onkologie gibt Was ist Krebs? Auskunft über die Häufigkeit des Auftre- tens und die geographische Verteilung Krebs ist eine Gruppe von mehr als 100 von Krebserkrankungen und untersucht Krankheiten, die als Folge von Verände- mögliche Zusammenhänge zwischen rungen der genetischen Information der dem Auftreten einzelner Erkrankungen Zellen durch ein unkontrolliertes Wachs- und Risikofaktoren. Aus den gewonnenen tum gekennzeichnet ist. Krebs greift viele Erkenntnissen werden Vorsorgemaßnah- verschiedene Gewebe und Zellarten an. men abgeleitet. Unterschieden werden Wenn er bösartig ist, wächst er in das die primäre Prävention, die eine Tumor umgebende Gewebe ein und kann in entstehung verhindern soll, die sekun einem vom Ort der Entstehung entfernten däre Prävention, die Tumorfrüherken- Gewebe weitere Tumore, so genannte nung, und die tertiäre Prävention, die Metastasen, bilden. Männer Frauen Prostata 25,4 27,8 Brustdrüse Darm 16,2 17,5 Darm Lunge 14,3 6,4 Lunge Harnblase* 9,3 5,7 Gebärmutterkörper Magen 4,8 4,7 Eierstöcke Niere 4,7 4,1 M. Malanom der Haut Mundhöhle und Rachen 3,3 3,8 Magen Non-Hodgkin-Lymphome 2,9 3,6 Harnblase* M. Malanom der Haut 2,8 3,2 Bauchspeicheldrüse Bauchspeicheldrüse 2,7 3,2 Niere Leukämien 2,1 3,0 Gebärmutterhals Hoden 2,1 2,9 Non-Hodgkin-Lymphome Speiseröhre 1,7 2,1 Leukämien n = 230 500 Kehlkopf 1,7 Schilddrüse n = 206 000 2002: n = 218 250 Schilddrüse Mundhöhle und Rachen 2002: n = 206 000 Morbus Hodgkin Speiseröhre Schätzung der Dachdokumentation Krebs Morbus Hodgkin im Robert-Koch-Institut Kehlkopf * ohne nicht melanotischen Hautkrebs 25 20 15 10 5 0 0 5 10 15 20 25 30 RKI 2008 Abbildung 1: Prozentualer Anteil ausgewählter Tumorlokalisationen an allen Krebsneuerkrankungen* in Deutschland 2004 7 ___
Nach Schätzung der Dachdokumentation 2.2 T umorentstehung und Krebs im Robert-Koch-Institut von 2008 Tumorwachstum sind in Deutschland 2004 insgesamt 436.500 Krebsneuerkrankungen aufge- Die Zellen jedes Lebewesens befinden treten, 230.500 bei Männern und 206.000 sich in einem genau geregelten Gleich- bei Frauen. Gegenüber der Schätzung gewicht von Wachstum (Proliferation), von 2002 waren das bei den Männern zellulärer Spezialisierung (Differenzierung) 12.250 Neuerkrankungen mehr. Bei den und Zelltod (Apoptose beziehungsweise Frauen war die Anzahl der Neuerkran Nekrose). Diesen Erscheinungsformen kungen gegenüber 2002 unverändert einer Zelle liegen genau festgelegte (Abbildung 1). genetische Anleitungen zugrunde, die Im internationalen Vergleich steht Deutsch- das Wachstumsverhalten und den Ablauf land damit bei den Männern an zehnter der Zellteilung (Zellzyklus) steuern. Diese und bei den Frauen an elfter Stelle der genetischen Programme werden wesent- Häufigkeit von Neuerkrankungen. An Krebs lich durch Signale außerhalb der Zelle verstorben sind 2004 110.745 Männer, beeinflusst. Sie bestimmen die Aktivität 1.114 mehr als 2002. Von den an Krebs der Gene einer Zelle. Eine Fehlregulation erkrankten Frauen verstarben 2004 da- der Genaktivität, bedingt durch Verän- gegen 1.866 Frauen weniger als 2002 derungen (Mutationen) von Struktur und (98.079 versus 99.945 Frauen). Funktion des im Zellkern enthaltenen DNS (Desoxyribonukleinsäure)-Erbmaterials Bei den Tumorneuerkrankungen steht an kann zu einem unkontrollierten Zellwachs- erster Stelle bei den Männern der Prosta- tum führen. Zudem unterstützt jeder takrebs, bei den Frauen der Brustkrebs, Mechanismus, der das Überleben DNS- bei beiden Geschlechtern gefolgt von den geschädigter Zellen erhöht, zum Beispiel Darmtumoren an zweiter und dem Lun- durch Verhindern des apoptotischen genkrebs an dritter Stelle (Abbildung 1). Todes solcher Zellen, den Prozess der Betrachtet man die Krebssterbefälle, so Krebsentstehung, der Kanzerogenese. versterben die Männer am häufigsten an Bösartige (maligne) Tumoren entstehen Lungenkrebs, die Frauen an Brustkrebs. in mehreren Schritten, sogenannte Mehr Zweithäufigste Krebstodesursache ist der schritt-Theorie der Krebsentstehung Darmkrebs, und erst an dritter Stelle bei (Abbildung 2). Diese Schritte entspre- den Männern der Prostatakrebs und bei chen jeweils dem Auftreten zusätzlicher den Frauen der Lungenkrebs. Zellschädigungen. Substanzen, die schon in sehr geringen Mengen bleibende DNS- Veränderungen hervorrufen, werden als Initiatoren oder Karzinogene bezeichnet. Vorstufen von Karzinogenen, sogenann- te Pro-Karzinogene, rufen selbst keine Schäden hervor, können aber im Orga- nismus durch enzymatische Umsetzung ___ 8
Normale Zelle Prä Dysplasie Maligne Zelle Neoplasie Generalisierung neoplastische Zelle Invasion Initiation Promotion Transformation Progression Metastase Genetische Klonale Genetische Genetische Genetische Veränderung Expansion Veränderung Veränderung Veränderung • erblich • endokrin • Telomerase • Wachstums- • Angiogenese • Chemikalien • Entzündung • Onkogene faktoren • Proteinasen • Strahlen • Ernährung • Suppressorgene • Heterogenität • Matrixproteine • Bakterien, • Apoptosestörung Viren, Pilze Berger, Martens 2008 Abbildung 2: Modell der Mehrschrittkarzinogenese in Karzinogene umgewandelt werden und Asbest und Medikamente. Eine bedeutende außerdem die krebserzeugende Wirkung Quelle für reaktive Sauerstoffspezies ist anderer Substanzen verstärken. der Zigarettenrauch. Physikalische Kan- zerogene sind ionisierende, radioaktive Am Anfang einer Tumorentwicklung steht und UV-Strahlung. die Initiation, die irreversible Veränderung der molekularen Struktur der DNS einer Biologische Karzinogene sind Bakterien, einzelnen normalen, differenzierten und Viren und Pilze, insbesondere bei chro- teilungskontrollierten Zelle durch chemi- nischen Infekten. Beispiele hierfür sind sche, physikalische und/oder biologische Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus Karzinogene. als Ursache für das Burkitt-Lymphom, mit Helicobacter pylori als Ursache für Chemische Karzinogene sind zum Bei- Magenkarzinome und MALT-Lymphome spiel reaktive Sauerstoffspezies, auch als des Magens, mit dem Human Immunode- „Sauerstoffradikale“ bezeichnet. Diese ficiency Virus (HIV) für Lymphome und mit entstehen normalerweise im Organismus humanen Papillomviren als Ursache für in den Mitochondrien als Nebenprodukt das Gebärmutterhalskarzinom. der Zellatmung, aber auch in Lymphozy- ten zur Keimabwehr. Weitere chemische Wird die initiierte Zelle nicht repariert oder Karzinogene sind Nitrosamine, polyzykli- zerstört, kommt es durch die Zellteilung sche aromatische Kohlenwasserstoffe, zu einer Vermehrung des neu gebildeten Mykotoxine (toxische Stoffwechselpro- veränderten Zellklons. dukte von Schimmelpilzen), Formaldehyd, 9 ___
Im Mittelpunkt der Krebsentstehung Basenfehlpaarungen, es kommt zu einer stehen vier Klassen von Genen: Pro- genetischen Instabilität, einem sogenann- toonkogene, Tumorsuppressorgene, ten „Mutatorphänotyp“. Damit steigt die Apoptose-regulierende Gene und DNS- Wahrscheinlichkeit für Mutationen an On- Reparaturgene. kogenen und Tumor-Suppressor-Genen und auch das Risiko für Zellentartungen. Protoonkogene sind normale Gene, die physiologische Vorgänge wie das Wachs- Um eine Krebserkrankung entstehen tum und die Spezialisierung der Zellen zu lassen, reicht die Initiation nicht aus. regulieren. Durch Mutationen entstehen Bleibt eine initiierte Zelle erhalten, ist der Onkogene, wodurch veränderte Proteine, nächste Schritt zur Krebsentwicklung die sogenannte Onkoproteine, gebildet wer- klonale Expansion einer zunächst noch den. Die Folge sind vielfältige Störungen homogenen Zellpopulation während der der normalen Regulationsmechanismen Promotion. Je größer die Anzahl initiierter und Signalwege. Zellen ist, umso größer ist das Risiko Tumorsuppressorgene oder Anti-Onko einer Tumorprogression. Promotoren wie gene haben in normalen Zellen eine Hormone, Wachstumsfaktoren, in dieser wachstumshemmende Wirkung. Kommt Phase besonders auch Ernährungsfakto- es zu einem Funktionsverlust, entsteht ren und nicht genotoxische Karzinogene, ein Verlust der Wachstumskontrolle. die keine gezielte Mutation im Genom auslösen, aber das Wachstum stimulie- Apoptose-regulierende Gene sorgen für ren, wirken als Wachstumsförderer für die den programmierten Zelltod, die „Apop- entarteten Zellen. Promotoren stören die tose“. Eine gestörte Apoptose und damit metabolische Zellkooperation initiierter eine unvollständige Beseitigung verän- Zellen mit Nachbarzellen, indem sie die derter Zellen ist eine wesentliche Ursache physiologische interzelluläre Kommu- einer Tumorentstehung. nikation über die Kanalverbindungen DNS-Reparaturgene sind für die Repa- zwischen den Zellen, die „gap junctions“, ratur der auch in einem gesunden Orga- unterbrechen. Gap junctions ermöglichen nismus aufgrund von Fehlern bei der Ver- ein konstantes Milieu und eine geordnete vielfältigung der DNS oder durch mutage- Stoffwechselkoordination. ne Effekte (zum Beispiel durch chemische Der Informationsfluss dient als Kontrolle oder physikalische Karzinogene) immer für das Wachstum initiierter Zellen. Da wieder entstehenden genetischen Defekte er durch den Einfluss von Promotoren verantwortlich. unterbrochen wird, können die Zellen Entsprechende Reparaturenzyme entfer im proliferativen Stadium bleiben. Damit nen die fehlerhaften Abschnitte aus der regen die Promotoren das Wachstum DNS und ersetzen sie durch die richtigen entarteter Zellen an. Oft entstehen dabei Folgen. Ist die Funktion dieser Repara zunächst präkanzeröse Veränderungen, turenzyme vermindert, häufen sich zum Beispiel intraepitheliale Neubildungen, ___ 10
Fehlbildungen oder Adenome (gutartige und Nährstoffen versorgen, sie brauchen von Drüsen oder Schleimhäuten ausge- die Fähigkeit zur Bildung von Blutgefäßen. hende Tumore). Bricht der Kontakt einer Die Bildung tumoreigener Blutgefäße wird Zelle mit dem Promotor ab, bevor sie teilweise von den Tumorzellen selbst, teil- sich vermehren kann, unterbleibt die weise aber auch von Entzündungszellen Tumorzellbildung. Somit müssen Pro- in der Umgebung des Tumors beeinflusst. motoren vom Initiationsereignis an bis Der Vorgang des Einwachsens eines Tu- zur klinischen Manifestation des Tumors mors in das umgebende Gewebe (Invasi andauernd vorhanden sein. Während on, Infiltration) erfolgt in vielen Schritten der Vorgang der Initiation ein einmaliges und führt schließlich zu einer Zerstörung Ereignis ist und nur eine kurze Zeitspanne des Normalgewebes. Tumorzellen bilden umfasst, kann die Promotion über Jahre Enzyme, die die Gewebematrix auflösen bis Jahrzehnte dauern. und ihnen erlauben, in das angrenzende Infolge weiterer Veränderungen der DNS Gewebe einzudringen. Dazu haben sie kommt es schließlich zur Konversion in die Fähigkeit zum Einwandern erworben. maligne Zellen mit dem Erwerb tumor- Die Metastasenbildung schließlich erfolgt biologischer Eigenschaften (Transforma durch Einbrechen in Lymph- und/oder tion). Zu diesen Eigenschaften gehören Blutgefäße (lymphogene bzw. hämatoge- eigene Wachstumssignale, Unempfind- ne Aussaat), teilweise auch über Körper- lichkeit gegenüber Antiwachstumssigna- höhlen (kavitäre Aussaat). len, eine unbegrenzte Möglichkeit zur Ver- vielfältigung (Replikation), das Umgehen des programmierten Zelltodes (Apoptose), eine ununterbrochene Neubildung von Gefäßen (Angiogenese) und das Einwach- sen (Invasion) in das umgebende Gewe- be. Aus dieser Transformation entwickelt sich letztlich eine weitere Progression mit Ausbildung von Tochtergeschwülsten (Metastasen) und Ausbreitung im ganzen Körper (Abbildung 2). Die Bildung von Blutgefäßen bei Erwach- senen ist ziemlich konstant und eng durch ein Gleichgewicht zwischen die Gefäßbildung fördernden und hemmen- den Faktoren kontrolliert. Ab einer Größe von 1 bis 2 mm können sich Tumore zur Weiterentwicklung nicht mehr aus der Umgebung durch Diffusion mit Sauerstoff 11 ___
2.3 Rolle der Ernährung bei esearch auf der Grundlage wissen- R schaftlicher Veröffentlichungen einen der Tumorentstehung umfangreichen Bericht über den Zusam- menhang zwischen Ernährung, Bewegung Unter den Risikofaktoren für eine Tumor und Krebsprävention veröffentlicht und entstehung werden innere (endogene) auch daraus abgeleitete Ernährungsemp- und äußere (exogene) Ursachen un- fehlungen ausgesprochen. Dabei wird terschieden. Zu den inneren Ursachen deutlich, dass eine „gute“ Ernährung – gehören beispielsweise das Alter, eine definiert als angemessene Versorgung ererbte genetische Disposition, Erkran- mit Nahrung und Nährstoffen des gesam kungen mit einem erhöhten Krebsrisiko ten Körpers bis hin zur zellulären und (zum Beispiel die Colitis ulcerosa oder intrazellulären Ebene – für einen normalen Dickdarmpolypen), oxidativer Stress Aufbau und eine normale Funktion bereits oder eine chronische Entzündung. Unter vor der Geburt notwendig ist. Ist eine den äußeren oder Umwelt-Faktoren sind Person nicht geeignet ernährt, entweder Ernährung und Bewegung sowie Rauchen durch Unter- oder Überernährung, hat das für die Krebsentstehung von besonde- Auswirkungen auf die Mikroumgebung rer Bedeutung. Der Einfluss einzelner des Gewebes durch Beeinträchtigung von Ernährungsfaktoren für die Entstehung Struktur und Funktion. der verschiedenen Tumore ist dabei sehr unterschiedlich. Überschätzt für die Von besonderem Interesse sind die Krebsentstehung wird die Bedeutung von Ergebnisse epidemiologischer Untersu- Lebensmittelzusatzstoffen, Arzneimitteln, chungen im Bezug auf den Zusammen- ionisierenden Strahlen, Industrieabfällen hang zwischen der Entstehung einzelner und der Umweltverschmutzung. Tumore und Ernährungsfaktoren, vor allem auch einzelner Lebensmittel, Lebensmit- Über die Zusammenhänge zwischen der telgruppen und Nahrungsinhaltstoffe. Ernährung und dem Krebsgeschehen gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen, die Dazu ist in den letzten Jahren eine Fülle zeigen, dass Nährstoffe und Nahrungs- von Arbeiten verschiedener Arbeits- inhaltstoffe die grundlegenden zellulären gruppen erschienen, u. a. auch von den Vorgänge in allen Stadien einer Tumor- beiden an der EPIC-Studie (European entwicklung fördernd und hemmend Prospective into Cancer and Nutrition- beeinflussen. Studie) beteiligten deutschen Zentren. Die bis Ende 2005 vorliegenden Studien Bereits zweimal, 1997 und 2007, haben sind im o. g. Bericht des WCRF zusam- der World Cancer Research Fund (WCRF) mengefasst. und das American Institute for Cancer ___ 12
In Deutschland wurden in den Ernäh- rungsberichten der Deutschen Gesell- schaft für Ernährung (DGE) 2004 und 2008 die Beziehungen zwischen aus- gewählten Lebensmittelgruppen und Nährstoffen sowie der Entstehung von Organtumoren auf der Grundlage von Veröffentlichungen bis 2007 dargestellt und bewertet. In allen Berichten erfolgt die Bewertung der Studienergebnisse auf der Basis der Einteilung des Grades der Beweise (Evidenz) nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Danach werden die Beweise folgen dermaßen eingeteilt: • überzeugende Beweise für eine risikobeeinflussende Wirkung, • wahrscheinliche Beweise für eine risikobeeinflussende Wirkung, • mögliche Beweise für eine risiko beeinflussende Wirkung und • unzureichende Beweise für eine risikobeeinflussende Wirkung. Die risikobeeinflussende Wirkung kann dabei risikosteigernd oder risikosenkend sein. Empfehlungen zur Verminderung der Krebsinzidenz werden nur aufgrund über- zeugender und wahrscheinlicher Beweise für eine Beeinflussung des Krebsrisikos gegeben. Tabelle 1 gibt die verschiede- nen Evidenzgrade zwischen Ernährungs- faktoren und der Entstehung bösartiger Tumore in verschiedenen Organen auf der Grundlage des WCRF-Berichtes 2007 und des Ernährungsberichtes 2008 wieder. 13 ___
Steigerung des Betroffenes Organ Senkung des Krebsrisikos Krebsrisikos Bauchspeicheldrüse Bewegung ▼ allgemeines Übergewicht Obst ▼ abdominelles Übergewicht Lebensmittel mit Folat ▼▼ Fleisch (rot) Blase Obst ▼ Brust Bewegung (postmenopausal) ▼▼ allgemeines Übergewicht Bewegung (prämenopausal) ▼ (postmenopausal) Alkohol Abdominelles Übergewicht (postmenopausal) Fleisch (rot) Fleischwaren Eier Fett gesättigte Fettsäuren (postmenopausal) Dickdarm Bewegung ▼▼▼ allgemeines und Obst- und Gemüse ▼▼ abdominelles Übergewicht Knoblauch ▼▼ Alkohol Milch, Milchprodukte ▼▼ Fleisch (rot) Ballaststoffe ▼▼ Fleischwaren Fisch ▼ langkettige ω-3-Fettsäuren ▼ Enddarm Bewegung ▼▼▼ allgemeines und (weniger stark als Dickdarm) abdominelles Übergewicht Milch und Milchprodukte ▼▼ Alkohol Obst und Gemüse ▼ Fleisch (rot) Knoblauch ▼▼ Fleischwaren Fisch ▼ langkettige ω-3-Fettsäuren ▼ Ballaststoffe ▼ Eierstöcke Gebärmutter (Hals und Bewegung ▼▼ Allgemeines Übergewicht Schleimhaut) Abdominelles Übergewicht Tabelle 1: Zusammenhang zwischen Ernährungs- und Lebensgewohnheiten und dem Erkrankungsrisiko für einzelne Krebsarten ___ 14
Keine Beziehung Unzureichende Hinweise zu einem Krebsrisiko auf Beeinflussung des Krebsrisikos ▲▲▲ Fett ◆◆ Alkohol, Gemüse, Fleischwaren, Fisch, ▲▲ gesättigte Fettsäuren ◆◆ Geflügel, Eier, langkettige ω-3-Fettsäuren, ▲ Milch, Milchprodukte, Ballaststoffe, Glykämischer Index Alkohol, Gemüse, Fleisch (rot), Fleischwaren, Fisch, Geflügel, Milch, Milchprodukte, Eier, Fett, gesättigte Fettsäuren, langkettige ω-3- Fettsäuren, Ballaststoffe, Glykämischer Index, Alkohol ▲▲▲ Obst- und Gemüse ◆ Geflügel, langkettige ω-3-Fettsäuren, Milch, Fischverzehr ◆ Milchprodukte, Glykämischer Index ▲▲▲ Ballaststoffe (postmenopausal) ◆ ▲▲ ▲ ▲ ▲ ▲ ▲ ▲▲▲ Fett ◆◆ Geflügel, Eier gesättigte Fettsäuren ◆◆ ▲▲▲ Glykämischer Index ◆ ▲▲ ▲▲ ▲▲▲ Fett ◆◆ Geflügel, Eier gesättigte Fettsäuren ◆◆ ▲▲▲ Glykämischer Index ◆ ▲▲ ▲▲ Fett ◆◆ Obst und Gemüse, Fleisch (rot), Fleischwaren, gesättigte Fettsäuren ◆◆ Fisch, Geflügel, Milch und Milchprodukte, Eier, langkettige ω-3-Fettsäuren ◆ Ballaststoffe, Glykämischer Index Alkohol ◆ ▲▲▲ Fett (Schleimhaut) ◆◆ Obst und Gemüse, Fleisch (rot), Fleischwa- ▲▲ gesättigte Fettsäuren (Schleimhaut) ◆◆ ren, Ballaststoffe, Fisch, Geflügel, Milch und Milchprodukte, Eier, Fett (Hals), gesättigte Fettsäuren (Hals), langkettige ω-3-Fettsäuren, Alkohol, Glykämischer Index 15 ___
Steigerung des Betroffenes Organ Senkung des Krebsrisikos Krebsrisikos Leber Alkohol Lunge Bewegung ▼ Obst ▼▼ Gemüse ▼ Lebensmittel mit Carotinoiden ▼▼ Magen Ballaststoffe ▼ Alkohol Grünes Gemüse ▼▼ Salz Zwiebelgemüse ▼▼ Fleischwaren Mund und Rachen Obst- und Gemüse ▼▼ Alkohol Grünes Gemüse ▼▼ Lebensmittel mit Carotinoiden ▼▼ Niere Obst und Gemüseverzehr ▼ Allgemeines Übergewicht Prostata Lebensmittel mit Lycopen ▼▼ Milch und Milchprodukte Lebensmittel mit Selen ▼▼ Speiseröhre Obst und Gemüse ▼▼ Alkohol Grünes Gemüse ▼▼ Allgemeines Übergewicht Lebensmittel mit Beta-Carotin ▼▼ Fleisch (rot) Lebensmittel mit Vitamin C ▼▼ Fleischwaren Tabelle 1: Zusammenhang zwischen Ernährungs- und Lebensgewohnheiten und dem Erkrankungsrisiko für einzelne Krebsarten ▲▲▲(▼▼▼) überzeugende Evidenz für einen risikoerhöhenden (-senkenden) Effekt ▲▲(▼▼) wahrscheinliche Evidenz für einen risikoerhöhenden (-senkenden) Effekt ▲(▼) mögliche Evidenz für einen risikoerhöhenden (-senkenden) Effekt ◆(◆◆) mögliche (wahrscheinliche) Evidenz für keine Veränderung des Krebsrisikos ___ 16
Keine Beziehung Unzureichende Hinweise zu einem Krebsrisiko auf ein Krebsrisiko ▲▲▲ Obst und Gemüse, Fleisch (rot), Fleischwaren, Fisch, Geflügel, Milch und Milchprodukte, Eier, Fett, gesättigte Fettsäuren, langkettige ω-3-Fett- säuren, Ballaststoffe, Glykämischer Index Fett ◆◆ Fleisch (rot), Fleischwaren, Fisch, Geflügel, gesättigte Fettsäuren ◆◆ Milch und Milchprodukte, Eier, langkettige Alkohol ◆ ω-3-Fettsäuren, Ballaststoffe, Glykämischer Index ▲▲ Glykämischer Index ◆ Fleisch (rot), Fisch, Geflügel, Milch und Milch- ▲▲ produkte, Eier, Fett, gesättigte Fettsäuren, ▲ langkettige ω-3-Fettsäuren ▲▲▲ Fisch, Geflügel, Milch und Milchprodukte, Eier, Fett, gesättigte Fettsäuren, langkettige ω-3-Fettsäuren, Ballaststoffe, Glykämischer Index ▲▲▲ Alkohol ◆◆ Fleisch (rot), Fleischwaren, Fisch, Geflügel, Milch und Milchprodukte, Eier, Fett, gesättigte Fettsäuren, langkettige ω-3-Fettsäuren, Ballaststoffe, Glykämischer Index ▲ Fisch ◆ Obst und Gemüse, Fleisch (rot), Fleischwaren, Fett ◆◆ Geflügel, Eier, Ballaststoffe, Glykämischer Gesättigte Fettsäuren ◆◆ Index langkettige ω-3-Fettsäuren ◆ Alkohol ◆ ▲▲▲ Fisch, Geflügel, Milch- und Milchprodukte, Eier, ▲▲▲ Fett, gesättigte Fettsäuren, Ballaststoffe, lang- ▲ kettige ω-3-Fettsäuren, Glykämischer Index ▲ WCRF 2007, Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung 2008 17 ___
2.4 Ernährungsempfehlungen zur 1. Bleiben Sie so schlank wie möglich! Minderung des Krebsrisikos Die Energiezufuhr soll so gestaltet wer den, dass Übergewichtige ihr Gewicht Der World Cancer Research Fund (WCRF) allmählich dauerhaft vermindern, nor und das American Institute for Cancer malgewichtige Patienten ihr Gewicht Research (AICR) haben in ihrem zwei- halten, und untergewichtige Patienten ten, im November 2007 veröffentlichten ihr „persönliches Normalgewicht“ wieder Bericht zur Krebsprävention die folgenden erreichen. persönlichen Ernährungsempfehlungen Bei Übergewicht empfiehlt es sich, fach- zur Minderung des Krebsrisikos zusam- liche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um mengestellt: einseitige und Crash-Diäten zu vermei- den, da diese nicht dauerhaft eingehalten 1. Bleiben Sie so schlank wie möglich! werden können und es regelmäßig erneut 2. Beziehen Sie körperliche zu einer Gewichtszunahme kommt. Aktivität in Ihren Alltag ein! 2. Beziehen Sie körperliche 3. Begrenzen Sie den Verzehr Aktivität in Ihren Alltag ein! energiedichter Lebensmittel •M indestens 30 Min./Tag moderate kör- (> 225 kcal/100 g). Meiden perliche Aktivität (z.B. schnelles Gehen) Sie zuckerhaltige Getränke! •Z iel bei verbesserter Leistungsfähigkeit: 4. Essen Sie überwiegend Lebens- mindestens 60 Min./Tag moderate oder mittel pflanzlichen Ursprungs! mindestens 30 Min./Tag intensive körperliche Aktivität 5. Schränken Sie den Verzehr von rotem Fleisch ein und meiden 3. B egrenzen Sie den Verzehr Sie verarbeitetes Fleisch! energiedichter Lebensmittel 6. Begrenzen Sie den Konsum (> 225 kcal/100 g). Meiden alkoholischer Getränke! Sie zuckerhaltige Getränke! •S eltener Verzehr energiedichter 7. Begrenzen Sie den Salzkonsum Lebensmittel und meiden Sie den Konsum von verschimmeltem Getreide, • Meiden zuckerhaltiger Getränke Getreideprodukten und Hülsen •S eltener Verzehr von Fast Food, früchten! wenn überhaupt 8. Bemühen Sie sich, den Nährstoff- bedarf ausschließlich über die normale Ernährung zu decken! 9. Sonderempfehlungen ___ 18
4. Essen Sie überwiegend Lebensmittel 8. Bemühen Sie sich, den Nährstoff- pflanzlichen Ursprungs! bedarf ausschließlich über die normale Ernährung zu decken! • Täglicher Verzehr von mind. 5 Portionen mit mind. insgesamt 400 g Gemüse •K eine Empfehlung von Nahrungs- und Obst ergänzungsmitteln • Verzehr von mind. 25 g Ballastoffen/ 9. Sonderempfehlungen Tag bei einer Zufuhr von relativ unver arbeitetem Getreideprodukten und/oder •S äuglinge sollten sechs Monate aus- Hülsenfrüchten zu jeder Mahlzeit schließlich gestillt werden, auch um das spätere Krebsrisiko von Mutter 5. Schränken Sie den Verzehr von und Kind zu verringern rotem Fleisch ein und meiden •K rebskranke sollten, wenn es keine Sie verarbeitetes Fleisch! andersartigen Empfehlungen gibt, die • Pro Woche nicht mehr als 500 g Verzehr genannten Empfehlungen für Ernäh- von Fleisch und Fleischwaren, davon rung, Körpergewicht und körperliche wenig, wenn überhaupt, verarbeitet Aktivität ebenfalls einhalten. (geräuchert, gepökelt) 6. Begrenzen Sie den Konsum alkoholischer Getränke! • Konsum für Männer: nicht mehr als zwei Gläser/Tag • Konsum für Frauen: nicht mehr als ein Glas/Tag (1 Glas Wein = ca. 10-15 g reiner Alkohol) • Kinder und Schwangere sollen Alkohol meiden 7. Begrenzen Sie den Salzkonsum und meiden Sie den Konsum von verschimmeltem Getreide-/Getreide produkten und Hülsenfrüchten! • Salzaufnahme von max. 6 g/Tag • Vermeiden gepökelter, gesalzener oder salziger Lebensmittel • Lebensmittel ohne Salz haltbar machen 19 ___
3 Mangelernährung bei Tumorpatienten 3.1 D efinition wiedergibt, ist er für Tumorpatienten kein guter Parameter zur Bestimmung der Als Mangelernährung wird ein anhalten- Mangelernährung (vergleiche Kap. 3.5 des Defizit an Energie und/oder Nähr- Diagnose von Mangelernährung). Ein stoffen im Sinne einer negativen Bilanz Gewichtsverlust ist auch bei adipösen zwischen Aufnahme und Bedarf mit Tumorpatienten prognostisch ungünstig. negativen Auswirkungen auf Ernährungs- Ein Gewichtsverlust von 40 % der fettfreien zustand, physiologische Funktionen und Körpermasse ist mit dem Leben nicht Gesundheitszustand verstanden. mehr vereinbar. Neben einem geringen Körpergewicht ist Ein schwerer Gewichtsverlust bei Tumor- ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust ein patienten wird häufig als „Kachexie“ zentrales Kriterium für Mangelernährung. (griechisch: „schlechter Zustand“) be- zeichnet. Dieser Begriff ist allerdings un- Nach einer Definition der Deutschen Ge- scharf und wird uneinheitlich verwendet. sellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) Einer neueren Definition zufolge besteht besteht bei Tumorpatienten eine Mangel eine Kachexie beim Vorliegen eines ödem- ernährung (engl.: malnutrition) in Form freien Gewichtsverlustes von mindestens eines „krankheitsassoziierten Gewichtsver- 5 % in 12 Monaten oder weniger (bei lustes“, „eines ungewollten, signifikanten Tumorpatienten 3-6 Monate!) bei einer Gewichtsverlustes mit Zeichen der Krank- zugrunde liegenden Erkrankung sowie heitsaktivität“ („unintended weight loss dem Vorhandensein von mindestens wasting“). Ein unbeabsichtigter Gewichts- drei der folgenden Kriterien: verlust über 10 % in den vergangenen 6 Monaten gilt als schwere Mangeler- • eine verminderte Muskelkraft nährung. • „Fatigue“ (anhaltende Erschöpfung Ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust und Müdigkeit) selbst kann Ausdruck der Krankheits- • „Anorexie“ (Gesamtenergieaufnahme aktivität beziehungsweise erstes Symp- unter 20 kcal/kg Körpergewicht und Tag, tom einer gravierenden Erkrankung sein. < 70 % der üblichen Nahrungsaufnahme Auch Personen mit einem normalen oder oder ein schlechter Appetit) erhöhten BMI können in Zusammenhang • eine geringe fettfreie Körpermasse mit einem Gewichtsverlust einen klinisch bedeutsamen Verlust an Magermasse • erhöhte inflammatorische Marker haben. Da der BMI das Ausmaß einer (CrP > 5,0 mg/dl, IL-6 > 4,0 pg/ml), Mangelernährung nur unzureichend Anämie (Hb < 12 g/dl) oder erniedrigtes Serum-Albumin (< 3,2 g/dl) ___ 20
3.2 Häufigkeit von Der Gewichtsverlust war größer bei Tu- moren im oberen Magen-Darm-Trakt, im Mangelernährung bei fortgeschrittenen Tumorstadium und bei Tumorpatienten Patienten mit einem schlechten „Perfor- Die Angaben zur Häufigkeit einer Mangel- mance Status“ (Skala zur Beurteilung des ernährung bei Tumorpatienten liegen zwi- Allgemeinzustandes von Tumorpatienten). schen 30 und 90 %, in Abhängigkeit von der Der Bedarf an Ernährungsinterventionen Art, der Lokalisation und dem Stadium der war besonders hoch bei Speiseröhren- Tumorerkrankung und der Tumortherapie. und Bauchspeicheldrüsentumoren und wieder bei Patienten mit schlechtem Ein ungewollter Gewichtsverlust ist oft der „Performance Status“. Das Ausmaß des erste Hinweis auf eine Krebserkrankung. Gewichtsverlustes korrelierte gut mit der Schwere der Appetitlosigkeit (Anorexie) In der größten europäischen Untersuchung der Patienten. Die meisten Patienten mit zum Gewichtsverlust in den sechs Mo- keinem oder einem Gewichtsverlust unter naten vor der Diagnosestellung hatten je 10 % waren nicht appetitlos. nach Tumorart 32 bis 87 % von über 3400 Tumorpatienten an Gewicht verloren. Am In einer großen, multizentrischen deutschen seltensten an Gewicht verloren hatten die Erhebung zur Häufigkeit der Mangeler- Patienten mit einer Blutkrebs-Erkrankung, nährung im Krankenhaus nahmen nach Brustkrebs und Sarkomen, während von den geriatrischen Patienten mit 56 % die den Patienten mit Tumoren des Magen- Tumorpatienten mit 38 % den zweiten Darm-Traktes (Bauchspeicheldrüsen-, Rang ein. Eine weitere Untersuchung zum Magenkarzinome) bis 87 % Gewichtsver- Vorliegen einer Mangelernährung in einem luste zeigten. Patienten mit Dickdarm-, deutschen Krankenhaus der Maximalver- Prostata- und Lungentumoren lagen mit sorgung ergab bei 24 % der 1308 unter- einer Häufigkeit von 54 bis 61 % dazwi- suchten internistischen Patienten Zeichen schen. Mit einem Gewichtsverlust von einer Mangelernährung. Bei den Patienten über 10 % vom gesunden Ausgangsge- mit gutartiger Erkrankung lag diese Rate wicht waren 16 % der Patienten bereits bei 16 %, während 53 % der Tumorpatien- zum Zeitpunkt der Diagnosestellung ten mangelernährt waren. schwer mangelernährt. Im Verlauf ihres Krankenhausaufenthaltes Vorläufige Ergebnisse einer prospektiven verlieren etwa 45 % der Tumorpatienten italienischen Untersuchung ambulanter über 10 % ihres Gewichtes. Tumorpatienten – bisher 1000 Patienten aus 12 Zentren – ergaben eine schwere In einer Untersuchung von ambulanten Mangelernährung mit einem Gewichtsver- und stätionären Patienten mit fortgeschrit- lust von über 10 % bei 40 % der Pati- tenem metastasiertem Tumorleiden war enten. Bei Anwendung des „Nutritional das häufigste Symptom ein Gewichtsver- Risk Scores“ (NRS ≥ 3 – siehe Kap. 3.5 lust bei 85 % der Patienten. 71 % dieser Erfassung und Diagnose von Mangel- Patienten hatten über 10 % ihres Gewichts ernährung) hatten 34 % der Patienten ein vor der Diagnose der Erkrankung verloren. Ernährungsrisiko. 21 ___
Obwohl bei fortgeschrittener Tumorer- Bei mangelernährten Patienten ist die krankung die Mehrzahl der Erkrankten humorale und zelluläre Immunantwort ver- mangelernährt ist, besteht kein eindeutiger mindert, die Infektneigung erhöht und die Zusammenhang zwischen dem Ernäh- Wundheilung vermindert, was zu vermehr- rungszustand und der Größe, der Ausbrei- ten Komplikationen durch Wundheilungs- tung und dem Differenzierungsgrad des störungen, Infektionen und Sepsis sowie Tumors sowie der Erkrankungsdauer. Somit häufigeren und längeren Krankenhausauf- ist das Auftreten einer Mangelernährung enthalten und zu höheren Kosten führt. in jedem Stadium der Erkrankung möglich und im Einzelfall nicht vorhersehbar. Mangelernährung führt zu einem schlech- teren Ansprechen auf Chemotherapien, zu mangelnder Compliance, Therapieunter- brechungen und dadurch unzureichenden 3.3 Folgen von Mangelernährung Gesamttherapien, wodurch die Sterblich- bei Tumorpatienten keit steigt und die Prognose der Patienten sich verschlechtert. Die Überlebenszeit ist Mangelernährung hat einen ungünstigen signifikant verkürzt. Einfluss auf die Körperzusammensetzung, Krankheitshäufigkeit, Sterblichkeit und Gewichtsverlust ist ein eigenständiger Lebensqualität von Tumorpatienten. Prognosefaktor für die Sterblichkeit bei Non-Hodgkin-Lymphom, Bronchialkar- Die bei onkologischen Patienten auftre- zinom, Mammakarzinom, Kolon- und tenden Änderungen der Körperzusam- Prostatakarzinom. mensetzung unterscheiden sich von den Veränderungen im Hungerzustand. Im Mangelernährung ist darüber hinaus mit Hungerzustand wird vorwiegend Körperfett Depressionen sowie einer signifikanten abgebaut und die Muskelmasse bewahrt. Minderung von Leistungsfähigkeit und Tumorpatienten verlieren dagegen Kör- Lebensqualität assoziiert. Mangeler- perfett- und Körpermagermasse, primär nährung ist für den Patienten und seine Skelettmuskelmasse. Organgewebe, vor Familie auch eine Ursache psychischer allem das Lebergewebe, bleibt erhalten. Probleme. Bereits ein Gewichtsverlust Die intrazelluläre Flüssigkeit nimmt ab, eine von nur 5 % bei unzureichender Energie- kompensatorische Zunahme der extra- und Eiweißaufnahme korrelierte in einer zellulären Flüssigkeit kann das tatsäch- Studie signifikant mit einer Minderung der liche Ausmaß einer Gewichtsabnahme Lebensqualität. Patienten mit fortgeschrit- verschleiern, ebenso wie Wassereinlage- tenen Tumoren, die zu den Erfahrungen rungen im Rahmen einer Krebsbehandlung mit ihrer Ernährungssituation und zum oder Änderungen des Hydratationsstatus, Grund für die Entscheidung zu einer zum Beispiel bei Herz-, Leber- und Nie- heimparenteralen Ernährung (HPN) befragt reninsuffizienz oder bei schwer Kranken. wurden, bezeichneten ihre Ernährungs- Der Verlust an Körperzellmasse führt zu situation vor der HPN als eine Quelle von körperlicher Schwäche, Abnahme der res- „Quälerei und häufiger Verzweiflung“. piratorischen Muskelfunktion und langfris- Sie wollten und versuchten zu essen, tig zu Immobilität. ___ 22
waren dazu aber nicht fähig. Die Familie des Magen-Darm-Traktes nahmen in erlebte Machtlosigkeit und Frustration frühen Tumorstadien (Stadium I und II der dadurch, dass sie ihren Angehörigen das Erkrankung) lediglich zwischen 20 und 64 Essen nicht ermöglichen konnte. Das kcal/Tag weniger auf als vor der Erkran- positivste Merkmal der HPN war das kung, in fortgeschrittenen Stadien (III bzw. Gefühl von Erleichterung und Sicherheit IV) jedoch zwischen 491 und 1095 kcal/ befriedigter Ernährungsbedürfnisse, was Tag weniger. Die Eiweißzufuhr (wünschens- einen direkten positiven Einfluss auf die werte Eiweißzufuhr bei Tumorpatienten: Lebensqualität, Gewicht, Energie, Kraft 1,2-1,5 g/kg Körpergewicht und Tag) war und Aktivität hatte. Diese positiven Effekte im Stadium I und II nur minimal zwischen der HPN glichen die negativen in Form von 0,2 und 1,0 g/Tag vermindert, im Stadium III Einschränkungen im Familienleben und und IV allerdings zwischen 64 und 94 g/Tag. den sozialen Kontakten für die gesamte Dass auch das Ernährungsmuster von Familie aus. Tumorpatienten die Energie- und Nähr- stoffzufuhr und folglich das Körperge- wicht beeinflusst, konnte eine kanadische 3.4 Ursachen von Mangeler- Arbeitsgruppe zeigen. Sie untersuchten nährung bei Tumorpatienten Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren (80 % der Teilnehmer litten an Die Mangelernährung onkologischer Tumoren der Lunge, des Magen-Darm- Patienten hat viele Ursachen. Hauptsäch- Traktes, der Brust oder der Prostata), die lich beteiligt sind eine unzureichende nicht mehr mit Bestrahlung oder Che- Energie- und Nährstoffaufnahme sowie motherapie behandelt wurden, zuhause Stoffwechselstörungen auf der Grundlage lebten und dort ihre Speisen auswählten. von humoralen und entzündungsartigen Die Auswertung der über jeweils drei Tage (inflammatorischen) Reaktionen. ausgefüllten Essprotokolle ergab drei unterschiedliche, aber typische Muster für die Kombination der verzehrten Nah- 3.4.1 Unzureichende Energie- rungsmittel: ein normales Muster, „Fleisch und Kartoffel“-Typ, einen „Früchte-Weiß und Nährstoffaufnahme brot“-Typ mit bevorzugt weicher Kost und einen „Milch und Suppe“-Typ mit Eine unzureichende Nahrungsaufnahme bevorzugt flüssiger Kost. Die aufge- ist bei onkologischen Patienten gut belegt. nommene Energiemenge variierte von 4 So ergab eine Bestimmung der Energie bis 53 kcal/kg Körpergewicht und Tag. zufuhr onkologischer Patienten eine Zwischen den Ernährungsmustern ergab mittlere tägliche Energieaufnahme von sich vom Typ der normalen über die 26 ± 10 kcal/kg und Tag (wünschens- weiche zur flüssigen Kost eine Abnahme werte Energiezufuhr bei Tumorpatienten: der Energieaufnahme von 27 vs. 24 vs. 20 30-35 kcal/kg und Tag), ohne Unterschied kcal/kg und Tag und eine Zunahme des zwischen normometabolischen und hyper Gewichtsverlustes von 11 vs.16 vs. 21 %. metabolischen Patienten. Patienten mit Besonders beachtenswert war, dass der Kopf- und Halstumoren sowie Tumoren 23 ___
mittlere Body Mass Index (BMI) in den 3 nahme zum einen durch die Erkrankung Gruppen vergleichbar war (23,5 vs. 23,8 selbst verursacht sein, z.B. als Folge einer vs. 22,8 kg/m2), der mittlere Gewichts- direkten Beeinträchtigung durch Obstruk- verlust in den letzten 6 Monaten jedoch tionen im Mund- und Halsbereich oder im deutlich unterschiedlich (11 vs. 12 vs. oberen Magen-Darm-Trakt oder infolge 21 %). Die Untersuchung unterstreicht einer durch den Tumor ausgelösten Appe- die Unzulänglichkeit des BMIs zur Be- titlosigkeit. stimmung des Ausmaßes einer Mangel In vielen Fällen führt die Therapie der Tu- ernährung bei Tumorpatienten. morerkrankung zu einer unzureichenden Viele Faktoren tragen dazu bei, dass on- Nahrungsaufnahme. So können Opera kologische Patienten sehr häufig ungenü- tionen im Bereich von Kopf-, Hals- und gende Nahrungsmengen zu sich nehmen. Magen-Darm-Trakt in Abhängigkeit vom So kann eine verminderte Nahrungsauf- Ort und der Ausdehnung des Eingriffs zu Operation Effekte Mundhöhle/Hals • Kau- und Schluckstörungen • Geschmacksstörungen Speiseröhre • Appetitlosigkeit • Angst vor dem Essen • Empfindlichkeit gegen Scharfes und Saures • Motilitätsstörungen des Magens, Völlegefühl Magen • Störung von Appetit- und Sättigungsregulation • Nahrungsmittelaversionen • Reflux-Ösophagitis • Dumpingsyndrom • Milchzuckerunverträglichkeit (Laktoseintoleranz) • Fettstühle (durch unzureichende Mischung des Speisebreies mit den Pankreasfermenten) • Malabsorption: Eisen, Calcium, Zink, Folsäure, Vitamine B12, C, A, D, E, K, Carotinoide Bauchspeicheldrüse • Diabetes mellitus • Maldigestion: Fett • Malabsorption: Vit. B12, A, D, E, K, Carotinoide Dünndarm • In Abhängigkeit vom Ort und Ausmaß der Resektion: bei Resektion von > 50 %: generalisierte Malabsorption • chologene Diarrhö • Malabsorption: Vit. B12, A, D, E, K, Carotinoide • enterale Hyperoxalurie mit Gefahr der Nierensteinbildung • Blähungen bei unzureichendem Kauen Dickdarm • Lebensmittelintoleranzen, Diarrhoe • Wasser- und Elektrolytverluste Tabelle 2: Ernährungsrelevante Folgen von Operationen ___ 24
stattfindende Behandlungen (kombinierte • Anorexie (praktisch alle Zytostatika) Radiochemotherapie) und zusätzliche No- • Geschmacks- und Geruchsstörungen xen (Alkohol und Nikotin) Art und Ausmaß • Übelkeit, Erbrechen der Nebenwirkungen. • Nahrungsmittelaversionen Bei den Strahlenreaktionen des Normal- gewebes unterscheidet man in Abhän- • Sodbrennen, Blähungen, Völlegefühl gigkeit vom zeitlichen Verlauf akute und • Schleimhautentzündungen/ späte, chronische Nebenwirkungen -ulzerationen (Tabelle 4). Akute Nebenwirkungen treten innerhalb von 90 Tagen nach • Abdominalschmerzen Bestrahlungsbeginn auf, chronische • Durchfall, Verstopfung, Ileus nach mehr als 90 Tagen. Die Ursachen • Organschäden: Lunge, Herz, der akuten und späten Nebenwirkungen Leber, Niere sind unterschiedlich. Akutreaktionen sind die direkte Folge der Verminderung der • Sekundär bei Infektionen, Zahl funktionsfähiger Parenchymzellen Sepsis, Atemnot in rasch wachsenden Geweben (Epi- Tabelle 3: Ernährungsrelevante thelgewebe, Knochenmark). Typische Nebenwirkungen einer Chemotherapie Akutsymptome nach Strahleneinwirkung sind Entzündungsreaktionen, Ödembil- einer Vielzahl von Beeinträchtigungen der dung, Haut- und Schleimhautreaktionen Nährstoffaufnahme und Nährstoffverwer- sowie spezifische Veränderungen an tung führen (Tabelle 2). Ebenso können strahlensensiblen Geweben wie Knochen- Chemo- und/oder Strahlentherapie von mark, Dünndarmepithel und Keimdrüsen. ernährungsrelevanten Nebenwirkungen Chronische Strahlennebenwirkungen sind begleitet sein (Tabelle 3, Tabelle 4). die Folge einer irreversiblen Schädigung gewebstypischer Parenchym-, Endo- Nebenwirkungen einer Strahlentherapie thel- oder Bindegewebszellen. Ursächlich treten in der Regel lokal organbezogen angesehen werden Veränderungen am auf (Tabelle 4). Gleichzeitig kann eine Gefäßbindegewebe und der Durchblu- Bestrahlung Ursache für allgemeine tung. Letztere können auch noch nach Symptome wie Anorexie, Übelkeit, Er- Jahren auftreten und zeigen häufig einen brechen, Fieber, Fatigue-Syndrom oder fortschreitenden Verlauf. Mangelernährung sein. Dabei besteht eine ausgeprägte Dosis-Wirkungs-Beziehung Schon vor Beginn der Tumortherapie kann für das Auftreten von Nebenwirkungen. auch die Lebensführung eines Patienten Von Bedeutung sind neben der Gesamt- mit einer zu geringen Nahrungszufuhr, dosis die Einzeldosis, die Fraktionierung, einseitiger Ernährung und einem erhöhten Art und Anteil mitbestrahlter Organe Nährstoffbedarf Ursache einer Mangeler- und Gewebe sowie das Bestrahlungs- nährung sein. Besonders gefährdet sind volumen. Gleichzeitig beeinflussen Alter Patienten mit chronischem Nikotin- und Al- und Begleiterkrankungen des Patienten, koholkonsum. Schließlich können Schmer- vorangegangene Therapien, gleichzeitig zen, lange Nüchternphasen im Rahmen 25 ___
Akuteffekte Späteffekte ZNS • Hirndrucksteigerung, Übelkeit, • Hirnnekrose Erbrechen HNO • Schleimhautentzündungen • Mundtrockenheit (Xerostomie) • Speichelveränderungen • Karies • Mundtrockenheit • vermindertes / fehlendes • Anorexie Geschmacksempfinden •G eschmacks- / Geruchsstörungen • Schluckstörungen • Laryngitis • Oesophagitis Thorax • Oesophagitis • Oesophagitis • Pneumonitis • Fibrose • Stenose • Fisteln • Lungenfibrose Abdomen/ • Übelkeit • Ulzera Becken • Erbrechen • Diarrhoe, Malabsorption • Diarrhoe • chronische Enteritis • Meteorismus • Strikturen • Tenesmen • Obstruktion • Enteritis • Fisteln • Zystitis Endokrinum • Funktionelle Insuffizienz • Endokrine Insuffizienz: thyreoidal, adrenokortikal, gonadal Tabelle 4: Ernährungsrelevante Nebenwirkungen einer Strahlentherapie der Diagnostik, psychische Faktoren In einer neueren Untersuchung zur Symp (Angst, Depressionen) und Bewegungs- tomhäufigkeit bei Patienten mit Tumoren mangel Grund für eine unzureichende in der Lunge und im Magen-Darm-Trakt Energie- und Nährstoffaufnahme sein. ohne Chemo- und Radiotherapie fand sich als häufigstes Symptom Appetitlosig- Viele Faktoren, die die Nahrungsaufnah- keit bei 38 % der Patienten, gefolgt von me negativ beeinflussen, sind bereits bei vorzeitigem Sättigungsgefühl (27 %), der Diagnosestellung vorhanden. 40 % Schmerzen (23 %), Geschmacksverände- der Patienten leiden bereits unter einer rungen (20 %), Übelkeit (18 %), Mund Anorexie, 61 % unter einem Völlegefühl, trockenheit (17 %), Verstopfung (14 %), 46 % unter Geschmacksveränderungen, Erbrechen und Durchfall (jeweils 11 %), 41 % unter Verstopfung, 40 % unter Schluckproblemen (9 %), Geruchsstörun- Mundtrockenheit, 39 % unter Übelkeit gen (7 %), sowie Mundsoor (1 %). und 27 % unter Erbrechen. 62 % der Patienten hatten ein oder mehrere Symptome. Von Symptomen betroffen ___ 26
waren alle Patienten mit einem Pankreas- ist sie das Ergebnis eines durch Zytokine karzinom, 75 % der Patienten mit einem und Serotonin (einem Neurotransmitter) Tumor im oberen Gastrointestinaltrakt, vermittelten Ungleichgewichts zwischen 66 % der Patienten mit einem Lungentu- zentralen Signalen von Neuropeptid Y mor und 41 % der Patienten mit kolorek- (appetitfördernd) und Pro-Opiomelano- talen Tumoren. An Gewicht verloren 48 % cortin (appetithemmend) zu Gunsten von der Patienten mit gastrointestinalen und Pro-Opiomelanocortin. 19 % mit Lungen-Tumoren. Die meisten Weitere mögliche Ursachen einer Ano- appetitlosen Patienten (fast 60 %) waren rexie sind Nebenwirkungen der Tumor- Patienten mit Lungentumoren. therapien, Infekte, Fieber, Schmerzen, Elektrolytstörungen (Hyperkaliämie, Anorexie Hyperkalzämie), Störungen des Säure- Ein besonderes Problem stellt bei Tumor- Basen-Haushalt, zerebrale Störungen patienten die Anorexie oder Appetitlosig- (toxisch, entzündlich, tumorbedingtes keit dar, meist verbunden mit vorzeitigem Hirnödem, Hirnmetastasen), Magen-, Sättigungsgefühl, Nahrungsmittelaversi- Darm-, Nieren-, Nebennieren-, Leber- onen sowie Geschmacks- und Geruchs und Lungenerkrankungen sowie endo störungen, die ebenfalls eng miteinander krinologische Erkrankungen. in Wechselbeziehung stehen. Geschmacks- und In einer Untersuchung bestand bei 40 % Geruchsveränderungen der Patienten bereits zum Zeitpunkt der Unter Chemotherapie klagen 36 bis 75 % Erstdiagnose eine Anorexie. Das Auftre- der Patienten über Geschmacksverän ten war abhängig vom Typ und der Lage derungen in allen Formen. Dabei ist eine des Tumors sowie dem Stadium der Hypogeusie (partieller Geschmacksver- Tumorerkrankung. Von 186 nacheinander lust) häufig mit einer Dysgeusie (Miss- aufgenommenen Patienten waren 1/3 der empfinden des Geschmacks) verbunden. Patienten mit Lungen- oder Dickdarm- Zu Geschmacksveränderungen führen karzinom oder einem Lymphom und alle hauptsächlich folgende Zytostatika: Patienten mit einem Tumor im Bereich von Carboplatin, Cisplatin, Cyclophosphamid, Speiseröhre, Magen oder Leber betroffen. Doxorubicin, 5-Fluorouracil, Methotrexat Die höchste Prävalenz bestand im Spätsta- und Paclitaxel. Am häufigsten wird unter dium der Tumorerkrankung, zu 80 % bei Cisplatin und Doxorubucin über schwere Patienten mit Speiseröhren- und Magen- Geschmacksveränderungen berichtet. karzinomen sowie Lymphomen, zu 30 % Bei autologer Stammzelltransplantation bei Patienten mit Tumoren, die nicht den ist unter Hochdosistherapie ein völliger oberen Magen-Darm-Trakt betrafen. Beson- Geschmacksverlust beschrieben. ders im fortgeschrittenen Stadium einer Tu- morerkrankung ist die Anorexie signifikant Die Geschmacksveränderungen können mit dem Ernährungsstatus verbunden. während der Zytostatikagabe auftreten und von wenigen Stunden bis zu mehre- Nach neuen Vorstellungen zur Entste- ren Tagen, Wochen oder sogar Monaten hung der Anorexie bei Tumorpatienten 27 ___
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