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166 REPORTAGEN Koch Lesen und gelesen werden Big Data in der Buchwelt, Online-Communities zur Kundenbindung, Mut zu Neuem: Die 3. future!publish in Berlin diskutiert Themen der Verlagsbranche – die auch für Bibliotheken relevant sind Marion Koch ❱ Sie ist eine Repräsentantin der neu- und Dienstleister aus ganz Deutsch- en Welt. Als Ashleigh Gardner von land sind gekommen, um sich da- der kanadischen E-Book-Plattform rüber auszutauschen. Sie sind ge- Wattpad Ende Januar ans Rednerpult kommen, um sich über neue Publi- tritt, scheinen Bücher zum Anfassen kationsformen oder Strategien für und Durchblättern wie Relikte ver- Marketing und Verkauf zu informie- gangener Zeit. Es ist future!publish ren, um zu diskutieren, was Big Da- in Berlin – und Gardner eröffnet den ta für sie bedeutet oder zu erfahren, zum dritten Mal von der Agentur Lite- wie man Innovationen auf den Weg raturtest veranstalteten Kongress für bringt. All das beschäftigt seit Jah- die Buchbranche, dieses Mal im Ta- ren die Branche – und einige der hier gungswerk Jerusalemkirche in Kreuz- vorgestellten Ideen und Geschäfts- Hermann Eckel, Geschäftsleiter der Thalia-Internetplatt- berg. Literatur und Content lebe im- modelle sind auch für Bibliotheken form tolino media, erklärt, wie Internet-Communities mer stärker von Communities im durchaus interessant. funktionieren - und warum sie auch für Bibliotheken eine Netz, von Gemeinschaften, die sich gute Idee sind. im Internet bilden, sagt sie. Big Data und der Datensouverän Wattpad ist ein kostenloses sozia- Wer elektronisch liest, der wird gele- les Netzwerk für Leser und Autoren, sen. Seit Jahren warnen Datenschüt- das genau darauf aufbaut. Regist- zer davor, dass Internetunterneh- rierte Nutzer können dort selbstge- men Informationen über ihre Nutzer schriebene Geschichten oder Ge- und Kunden sammeln. Auch Verlage dichte einstellen und mit anderen machen mit. Doch was genau pas- Nutzern teilen. „Und daraus kann siert da eigentlich? Und welche Rol- auch mehr entstehen, aus spannen- le spielt Big Data in Bibliotheken? Et- den Erzählungen etwa Filme oder Vi- wa 50 Besucher interessieren Vor- deogames werden“, erklärt Gardner. trag und Diskussion zu „Big Data und Die Idee kommt gut an. Die Seite hat der Datensouverän“ von Carl-Otto nach eigenen Angaben mehr als 65 Gensch vom Öko-Institut in Freiburg, Millionen Besucher, mehr als 400 Markus Beckedahl, Chefredakteur Zeit zum Netzwerken. Die Pausen boten dazu Raum. Millionen Geschichten in mehr als der Onlineplattform für digitale Frei- 50 Sprachen haben Autoren aus al- heitsrechte netzpolitik.org und Phi- ler Welt dort hochgeladen. Die Digi- lipp Otto, Direktor des Think Tanks talisierung mache vieles möglich und für die digitale Welt iRights.Lab. es sei eine der wichtigsten Aufgaben „Die Buchbranche schafft es kaum, der Branche, das große Potenzial zu die digitale Transformation bewusst Alle Fotos © Sabine Felber/Literaturtest erkennen, sagt die Referentin. Denn: mitzugestalten. Sie ist vielmehr ei- Es gehe um die Zukunft des Lesens ne Getriebene anderer Branchen und und Publizierens. Und die steht auch Geschäftsmodelle, die es verstehen, an diesen zwei Kongresstagen in Ber- das Potenzial, im Internet Geld zu lin auf dem Programm. verdienen, für sich zu nutzen“, sagt Welche Inhalte werden gefragt sein? Gensch. Nicht selten funktionierten Wie werden Menschen im späteren solche Modelle auf Kosten des Da- 21. Jahrhundert lesen? Wie werden tenschutzes. Risiko gehört dazu. Gesa Oldekamp, Verlagsexpertin und sie Texte veröffentlichen? Und was Auch Verlage versuchten nun über Verkaufsleiterin der Franckh Mediengruppe, spricht über heißt das für die Buchbranche? 280 die Nutzung ihrer Webseiten Geld das richtige Mindset bei Rückschlägen. Vertreter von Verlagen, Buchhändler zu verdienen – in dem sie ihre Leser online 21 (2018) Nr. 2 Bibliothek. Information. Technologie. www.b-i-t-online.de
Koch REPORTAGEN 167 „tracken“, das heißt, in dem sie Spu- Software. „So bleiben Bibliotheken ren sammeln, die diese auf ihrer Sei- unabhängig von Internet-Unterneh- te hinterlassen, erklärt er. Diese au- men – und schützen ihre Nutzer vor tomatisch generierten Daten lassen Datenmissbrauch.“ sich auf verschiedenste Weise nut- Zur Zukunft der Bibliotheken sagt zen. Man kann daraus auf die Vor- Beckedahl: „In der digitalen Gesell- lieben von Nutzern schließen und schaft sollten Bibliotheken eine neue ihnen entsprechende Angebote ma- Rolle übernehmen und ihre Räume chen. Man kann sie für umfassen- bereitstellen, um mediale Kompeten- de Persönlichkeitsanalysen gebrau- zen zu vermitteln.“ chen oder um die Lebensumstände, die Kreditwürdigkeit und die soziale Mehr Community, bitte Wie lässt sich die Entwicklung steu- Interaktion einer Person zu untersu- „Früher waren Verlage eine Art Pfört- ern? „Darauf haben wir noch keine chen, sagt Gensch: „Die Nutzerdaten schlüssigen Antworten“, sagt Philipp ner, an denen Autoren nicht vorbei- sind zu einem Produkt geworden, mit Otto von iRights.Lab. kamen, um ihre Werke zu veröffentli- dem Verlage handeln – und das häu- chen“, sagt Hermann Eckel. Er ist Ge- fig, ohne die Nutzer darüber zu infor- schäftsleiter der Thalia-Internetplatt- mieren, geschweige denn, um ihre Er- form tolino media, die Autoren beim laubnis zu fragen.“ elektronischen Veröffentlichen ihrer „Firmen wüssten oft selbst noch Bücher unterstützt. Im Beuys‘schen nicht, was sie mit den gesammelten Sinne könne heute jeder nicht nur Informationen anfangen sollen, sagt Künstler, sondern auch Verleger sei- Philipp Otto von iRights.Lab. Doch ner eigenen Werke sein. wie lässt sich diese Entwicklung steu- Doch viele Verlage reagierten kaum ern? „Gesetzgeber und Gesellschaft darauf, hielten an ihren traditionel- haben heute noch viel zu selten len Veröffentlichungswegen fest und schlüssige Antworten darauf. Gerade überließen den Kontakt zum Kunden Carl-Otto Gensch vom Öko-Institut hieran muss aber mit Hochdruck ge- in Freiburg meint: „Die Buchbranche und die Vermarktung ihrer Inhalte arbeitet werden“, findet Otto. schafft es kaum, die digitale Trans- Großhändlern wie Amazon, kritisiert „Neue Geschäftsmodelle schaffen formation mitzugestalten.“ der Referent. „Stattdessen sollten sie Fakten“, sagt Markus Beckedahl von sich als Verlag neu definieren und als netzpolitik.org. Er fragt: „Sollte Fir- Mediengruppe digitale Wertangebo- men wirklich weiterhin erlaubt sein, te schaffen, ihre Kundenorientierung so offensiv und für Nutzer in der Re- wieder stärken und versuchen, mit In- gel intransparent zu tracken?“ Diese ternet-Plattformen auf sich aufmerk- Frage betreffe nicht nur Unterneh- sam zu machen“, sagt Eckel. Gelänge men, sondern auch öffentliche Ein- es ihnen, Online-Communities zu eta- richtungen wie Bibliotheken. blieren, die Lesern spezielle Services „Bibliotheken sind öffentliche Räu- bieten und auf ihre Interaktivität mit me und sie haben eine entsprechen- dem Verlag und anderen Nutzern set- de Aufgabe und Verantwortung. Sie Markus Beckedahl von netzpolitik.org zen, sei das ein Teil der Lösung. Auch müssen wissen, was in ihren Daten- fragt: „Sollte Firmen wirklich weiter- für Bibliotheken seien solche Online- banken passiert, welche Informa- hin erlaubt sein, so offensiv und für Gemeinschaften interessant. tionen sie sammeln, welche Bewe- Nutzer in der Regel intransparent zu Er hat einige Vorzeigebeispiele pa- tracken?" gungs- und Nutzerprofile sie generie- rat, die zeigen, wie es funktionieren ren“, sagt der Medienjournalist am kann. Lovelybooks etwa, die führen- Rande der Veranstaltung. Sollten Da- vaten Dienstleistern zusammen, sei de deutschsprachige Lesegemein- ten getrackt werden, um Bibliotheks- von Bibliotheken sicherzustellen, schaft im Netz. Hier finden Nutzer nutzern ihren Interessen entspre- dass die Daten der Nutzer nicht ihr laut Angaben des Unternehmens chende Angebote zu machen, müss- System verlassen. Sein Rat: Biblio- über 1,5 Millionen Buchtipps, Rezen- ten die Nutzer unbedingt einwilligen. theken sollten IT-souverän sein und sionen und Leseeindrücke, die Leser Die Voreinstellung dazu müsste un- eine eigene IT-Infrastruktur aufbau- für andere Leser zu Krimis, Roma- bedingt immer datenschutzfreund- en, bestenfalls mit einer frei im Inter- nen, Jugendbüchern oder Sachbü- lich sein. net zugänglichen Open Source Soft- chern von Ullstein über Ch. Links bis Arbeiten sie im IT-Bereich mit pri- ware oder einer selbst entwickelten zu DV Concept geschrieben haben. www.b-i-t-online.de 21 (2018) Nr. 2 online Bibliothek. Information. Technologie.
168 REPORTAGEN Koch Es gibt Online-Leserunden mit Auto- gepflegt werden. „Das können Bi- änderungen aufgebaut und ihr Han- ren und Buchverlosungen. „165.000 bliotheksmitarbeiter nicht mal ein- deln darauf ausgerichtet, Fehler zu Nutzer haben sich inzwischen als fach so nebenher mitmachen, wenn vermeiden, Prozesse einzuhalten und Mitglied registriert“, berichtet Eckel. auf kritische Kommentare oder einen Optimierungen durchzuführen. Doch Der Referent berichtet von Energie- Shitstorm reagiert werden muss.“ ohne Innovationen komme man nicht unternehmen, die elektronische Ge- weiter und Innovationen mit Vollkas- räte von Nutzern testen lassen, um Vom Umgang mit dem Scheitern koschutz gebe es nicht. Mit Metho- sie für neue Produkte zu interessie- Gesa Oldekamp beginnt ihren Vor- den wie dem Design Thinking ließen ren. „In dem sie Texte und Bilder zu trag über den Umgang mit dem sich Risiken immerhin minimieren. den Tests hochladen, füllen die Nut- Scheitern mit dem Erfinder Thomas So würden etwa schon bei der Her- zer auch noch kostenlos die On- Alva Edison. „Edison unternahm fast stellung einfacher Prototypen Kun- lineseiten“, sagt Eckel. Der Spiel- 9000 Versuche, bis er die Glühlampe denbefragungen zu einem schnellen zeughersteller Lego wiederum sam- zur Marktreife entwickelt hatte“, er- Feedback führen, das der zeitnahen mele unter Nutzern Ideen zur Pro- zählt sie. „Nach dem 1000. Versuch Weiterentwicklung diene. duktentwicklung, die zum Teil tat- sprach ein Mitarbeiter vom Schei- Es brauche Mut, sich in unsichere sächlich realisiert werden. tern. Edison erwiderte: Ich bin nicht Umgebungen vorzuwagen, sagt die Um Community-Konzepte umzuset- gescheitert. Ich kenne jetzt 1000 Referentin. Chefs spielten dabei ei- zen, müsse man evaluieren, wer die Wege, wie man keine Glühlampe ne besondere Rolle. „Ihre Aufgabe Zielgruppe sei und mit welchen Inhal- baut“, sagt die Verlagsexpertin und ist es, in ihren Teams für eine Um- ten und Dienstleistungen man sie auf Verkaufsleiterin der Franckh Medien- gebung zu sorgen, in der über Fehler die Webseite locke. Darüber hinaus gruppe. gesprochen und gemeinsam daraus sei technisches und datenschutz- „Heute würden wir sagen, dass er ge- gelernt werden kann. Sie sollten Mit- rechtliches Wissen notwendig. „Die nau das richtige Mindset, die richti- arbeiter unbedingt dazu ermutigen, Kosten für solche Projekte sind da- ge Einstellung zu seinen Rückschlä- Neues auszuprobieren und Fehler gegen gar nicht so hoch, wie man gen hatte. Er hat daraus gelernt, hat zuzulassen.“ annehmen könnte“, findet der Refe- überlegt, was er beim nächsten Mal Bibliotheken, findet sie, haben es rent. Bei einer Basisversion für eine anders und besser machen muss, im Prozess der Digitalisierung nicht Community geht er von 400 Euro im um seinem Ziel wieder etwas näher leicht. Denn ihr Geschäftsmodell, Monat aus und Anfangsinvestitionen zu kommen. Was, wenn er entmutigt kulturelle Schätze zu bewahren, sei von insgesamt 3500 Euro, inklusive aufgegeben, sich wegen seiner Feh- auf Bestandserhaltung ausgerichtet. der Kosten für Mitarbeiter, die eine ler und seines Scheiterns gegrämt „Gleichzeitig aber müssen sie sich solche Seite professionell pflegen. hätte?“, fragt sie. digital erneuern, um weiter relevant Bibliotheken könnten im Unterschied Der digitale Wandel laufe viel zu sein“, sagt sie. Viele Bibliotheken zu Unternehmen und Verlagen neut- schneller ab als jeder andere bis- meisterten diesen Spagat aber sehr rale Plattformen ins Netz stellen, die herige wirtschaftliche Wandel. „Es gut und probierten immer wieder Neuerscheinungen vorstellen und dauerte 38 Jahre von der Marktein- neue Ideen aus, um aus den Bücher- Leser dazu einladen, sie zu rezensie- führung des Radios bis zum weltwei- tempeln von gestern zukunftsfähige ren, sagt er. Kein Unternehmensinte- ten Verkauf von 50 Millionen Gerä- Medienhäuser zu machen. Ein Ende resse, kein Profit treibe sie an, Nut- ten. Beim Fernsehen gelang der glei- dieses Prozesses sei nicht so bald in zer könnten ohne Vorbehalt Mitglied che Schritt in nur noch 13 Jahren und Sicht. ❙ werden. Es gebe vielfältige Möglich- bei Twitter waren es nur neun Mona- keiten, Leser zu binden. Bibliotheks- te, bis sich 50 Millionen Nutzer regis- Die nächste future!publish findet am Communities könnten Brücken zur triert hatten“, sagt sie. 24. und 25. Januar 2019 statt. An- analogen Welt aufbauen und Mitglie- Für Mitarbeiter wie Organisation und melden kann man sich online unter dern etwa die Möglichkeit bieten, de- Unternehmen heiße das: Sie müs- http://futurepublish.berlin zentrale Lesekreise zu organisieren. sen viel zeitnaher entscheiden und es Solche Bibliotheks-Communities wä- reicht nicht, wenn sie dabei auf be- ren wohl auch eine Konkurrenz für kannte Lösungsschemata zurückzu- Verlags-Communities. Aber auch Ko- greifen. „Ihr Job ist es: Innovationen Marion Koch operationen würden sich anbieten, für ihre bisherigen Geschäftsmodelle Freie Journalistin, meint der Referent. Die E-Book-Platt- zu nutzen – oder zu erkennen, welche Redakteurin, form Wattpad mache vor, wie es ge- komplett neuen Möglichkeiten sich Dozentin in Berlin hen kann. daraus ergeben“, erklärt Oldekamp. marion.koch Eckel gibt aber auch zu bedenken: Was Firmen dabei häufig hemme: Sie @posteo.de Communities müssen professionell haben ein Immunsystem gegen Ver- online 21 (2018) Nr. 2 Bibliothek. Information. Technologie. www.b-i-t-online.de
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