Liechtensteinische Magerwiesen, Feuchtgebiete und Riedlandschaften
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
EINTRACHT OSTERN 2004 Liechtensteinische Magerwiesen, Feuchtgebiete und Riedlandschaften Fotos und Text: Wilfried Kaufmann, Balzers DURCH BUNTE MAGERWIESEN Magerwiesen sind anthropogene, d.h. durch den Menschen geschaffe- ne Weideflächen. Durch Waldro- dungen entstanden einst Waldlich- tungen, in die lichthungrige Arten einwanderten. Mit der Erfindung der Sense im Mittelalter wurden weite Teile extensiv landwirtschaftlich ge- nutzt: Der Bauer wurde zum Land- schaftsgärtner. Seit dem Zweiten Weltkrieg setzte eine immer intensi- vere Nutzung der einst zusammen- hängenden Magerwiesenbestände ein. Bis heute sind neunzig Prozent der ehemaligen Magerwiesen der Intensivlandwirtschaft gewichen. Den verbliebenen Rest subventio- niert heute der Staat, so dass dieser einmalige Landschaftstypus erhalten bleibt. Magerwiesen können Trockenrasen (Magerwiesen im engeren Sinne) und Feuchtgebiete (Streue) sein. Ei- ne Pracht sind blühende Trockenra- sen im Juni und Juli. Sie sind im Ver- gleich zu den (gedüngten) Fettwie- sen wenig produktiv, aber umso schöner und vielgestaltiger. Der Bo- den ist humusarm, trocknet zur Sommerzeit oft aus und ist meistens kalkhaltig. In den Trockenrasen wachsen auf kleinstem Raum bis zu 100 Pflanzenarten, darunter seltene oder geschützte. Im Gegensatz dazu wachsen auf Fettwiesen nur 20 bis 30 Arten. In Liechtenstein kommen Die weisse Seerose, Zierde eines Grabens im Ruggeller Riet auf Magerwiesen 24 verschiedene Orchideenarten vor! Von leuchtenden Farben im ternationales Treiben: Die Ellwiesen schweizerischen Liechtenstein gehören Balznern, sie werden in den Steillagen von Schweizern be- Seien es Blüten des Frühlings, die Ähren des Sommers Das Elltal bei Balzers ist das grösste wirtschaftet. Eine solche Grenzsi- oder die Früchte des Herbstes - sie alle zusammenhängende Magerwiesen- tuation kümmert die Blumen wenig. erinnern uns immer wieder gebiet des Landes. Es öffnet sich ge- Sie erfreuen als apolitische Wesen an die Grosse ihres Schöpfers gen Liechtenstein, es liegt zur Hälfte jedes Jahr mit ihrer bunten Blüten- F. Nutt t in der Schweiz. Da herrscht ein in- pracht. 11
EINTRACHT OSTERN 2004 Wir beginnen unsere Wanderung bei der Maria-Hilf-Kapelle in Mals und gehen nach Anaresch hinüber. Gelbes Windröschen (Anemone ranunculoides) Am Wald- eingang begegnen wir schon der ersten Seltenheit, dem Gelben Windröschen, einer Verwandten des Hahnenfusses. Türkenbund (Lilium martagon) Weiter im Wald begegnen wir dem Türkenbund, ei- nem Liliengewächs. Die Blütenform erinnert an einen «türkischen Bund» (Turban). Daher der deutsche Name. Rehböcke sollen sich gerne mit den Blüten stärken, bevor sie zur Geiss gehen. Feuerlilie (Lilium bulbiferum ssp. croceum) Die Feuerlilie ist die Charakterpflan- ze der Ellwiesen. Von weit herunter leuchten die grossen orangefarbigen Glocken in ihrer strengen Schön- heit. Warum blühen eigentlich Blu- men in so vielen verschiedenen Far- ben? Wegen der Fortpflanzung. Fast alle insektenbestäubten Pflanzenar- ten blühen in besonderen, arttypi- schen Farben. Besonders grosse und auffällige Kronblätter finden wir im Gebirge und in Steppen, wo die Pflanzen um die wenigen Bestäuber besonders werben müssen. Färbung und Form üben Reize auf die Be- stäubertiere aus. Oft weisen die Blü- ten mit Strichzeichnungen oder Farbmalen den Bestäubern den Weg zum Nektar und damit auch den Geschlechtsorganen. Denn der Preis für den süssen Nek- tar ist das Bestäuben der Blüte. 12
EINTRACHT OSTERN 2004 Fliegen-Ragwurz ovalis), Stein-Nelke (Dianthus sylve- Herzblättrige Kugelblume (Ophrys insectifera) Die Standorte stris) und Krüppelkiefern. In der (Globularia cordifolia) Die ver- der Fliegen-Ragwurz sind auch im Wand entdecken wir seltene Step- wandte Herzblättrige Kugelblume Elltal stark zurück gegangen. Diese pengräser. Aber auch die Sagenwelt hat verholzte, niederliegende Stän- zierliche Orchidee ist eine Taschen- ereilt uns hier. Vorne bei den Diebs- gel. So formen sie Polster auf Fels- spielerin. Durch Duftsignale an- löchern sollen sich einst diebische vorsprüngen. gelockt, fliegt ein Fliegenmännchen Fremde aufgehalten haben. Die zur Blüte. Das Männchen hält die Männer fischten zur Belustigung der Täuschform der Blüte für ein Weib- Balzner in ihren Jauchegruben, chen seiner Art! Das Männchen läs- während die Frauen den Speck aus st sich auf der Ragwurzlippe nieder den Kaminen stahlen. Auf das und glaubt sich auf einem paarungs- Gelächter der Balzner antworteten willigen Weibchen. Der Paarungs- sie: «Was ich nicht fang, das fängt versuch misslingt natürlich! Die mein Weib.» Nachts genossen die Fliegen-Ragwurz aber hat während Diebespaare beim Lagerfeuer über des Paarungsversuchs ihre Pollinien1 der Wand die gestohlene Mahlzeit, auf den Kopf des Fliegenmännchens bis die Vilterser die Balzner auf die- geklebt. Das Männchen fliegt ent- ses Treiben aufmerksam machten. In täuscht zur nächsten Blüte und er- solchen Situationen kennen die liegt dieser List erneut. Dabei ent- Balzner keinen Pardon! Das Diebes- lädt das Tier die Pollinien auf die gesindel wurde vertrieben, und seit- nächste Blüte und bestäubt sie. Erst her blieben die Diebslöcher leer. wenn die Fliegen-Ragwurzpflanzen verblüht sind, schlüpfen die echten Schaft-Kugelblume Fliegenweibchen, und diesmal ge- (Globularia nudicaulis) Eine strenge, lingt die Paarung. aufrechte Pflanze begrüsst uns bei der Ankunft auf der Ellhornwand: Wir sind auf der Anhöhe angelangt Die Schaft-Kugelblume. Am starken, und gehen nach rechts zur mächti- gerillten Stängel laufen tiefe Rinnen gen Malm-Kalkwand- des Ellhorns. herab. Oft treffen wir auf reduzierte Sie ist an der höchsten Stelle 250 m Blätter, sog. Blattschuppen. Die ein- 1 zu einem Klümpchen verklebter Blütenstaub, hoch. Die Flora wechselt jetzt zelnen Blüten sind fadenförmig der so von Insekten übertragen wird 2 Malm ist eine geologische Zeitepoche. Man schlagartig. Wir befinden uns in ei- schmal. Nur winzige Insekten ge- teilt das Erdmittelalter (225 - 67 Mio. lahre v.h.) ner wärme- und trockenliebenden, langen in die Blütenröhre und kön- in Trias, |ura und Kreide ein, wobei Malm die jüngste Jurazeit darstellt (140 Mio. ]ahre v.h.) Die subalpinen Vegetation mit typischen nen daraus Nektar holen. Dabei be- Ellhornwand stellt also ehemaligen Meeresgrund Arten wie Felsenbirne (Amelanchier stäuben sie die Blüten. vor 140 Mio. Jahren dar. 13
EINTRACHT OSTERN 2004 Viele davon sind Gebirgspflanzen, flussseitige Rheindamm steht heute die als Schwemmlinge ins Tal fin- unter Schutz. Der Staat ist für die den. Den Wanderer erfreuen auch Pflege besorgt, damit auch die in die zahlreichen Orchideenarten. diesen Pflanzengesellschaften le- Dazu kommen Neophyten, vom benden, meist seltenen Tierarten ge- Menschen eingeschleppte Einwan- deihen. Gemäht wird stufig, d.h. ge- derer hauptsächlich aus der Neuen wisse Striche werden ungemäht in Welt. Ackerbegleitkräuter und Ru- den Winter entlassen. So können deralpflanzen, die als Pioniere auf z.B. Schmetterlingspuppen in den vom Menschen verformtem Boden Halmen überwintern. Dach-Hauswurz (Sempervivum tectorum) Die Dach- Hauswurz hat ihren Namen aus al- ter Zeit, als auf den Scheunen- dächern noch Moose, Flechten und Hauswurzarten wuchsen. Der latei- nische Name bescheinigt der Pflan- ze ein immerwährendes Leben (Sempervivum). Als kleiner Junge gab mir meine Mutter einst eine Hauswurz, damit ich sie hege und pflege. Kamen Besucher, holte ich meine Hauswurz aus dem Garten ins Haus, zeigte sie und grub sie wieder ein. Meiner Hauswurz scha- dete dies überhaupt nicht, sie wuchs fröhlich weiter. Früher wurden der Pflanze Zauberkräfte zugeschrie- ben. Deshalb wurde sie auf Dä- chern ausgepflanzt. Man glaubte, sie schütze vor Blitzschlag. Wegen ihrer Gerb- und Schleimstoffe wur- de sie auch als Heilpflanze verwen- det. wachsen, finden hier letzte Refugi- Hummel-Ragwurz en. Dasselbe gilt für die xerother- (Ophrys holosericea) Es ist Ende men, d.h. wärmeliebenden Arten, Mai. Gleich zu Beginn unserer Wan- Von heruntergekomme- die am Rheindamm versammelt derung am Rheindamm unter der sind. Ellwand empfängt uns eine wahre nen Alpenblumen Noch in den 70er Jahren wurde der Orchideenpracht. Vor drei Jahr- Unweit des Elltals beginnt der Rheindamm aus Unkenntnis von zehnten war die Hummel-Ragwurz Rheindamm. Der flussseitige Rhein- Balzers bis Ruggell mit Unkrautver- nur noch selten anzutreffen. Heute damm ist eine wahre Fundgrube nichtungsmitteln «geputzt»! Diese blüht sie wieder zahlreich, begüns- bunter und seltener Pflanzen. Auf Radikalkur bedeutete für die Pflan- tigt durch die sorgsame Pflege in etwa 22 km Dammböschung kom- zenwelt am Rheindamm fast das den letzten zwanzig Jahren. Auch men über 500 Pflanzenarten vor. Aus - glücklicherweise nur fast! Der die Hummel-Ragwurz täuscht ihre 14
EINTRACHT OSTERN 2004 Bestäuber wie die beschriebene Fliegen-Ragwurz, nur sind es hier Hummelmännchen, die der Pflanze auf den Leim gehen. Unglaublich viele Formen bildet die Hummel- Ragwurz aus. Keine Blüte ist gleich wie die andere, jede hat ihren eige- nen, unverwechselbaren Charakter - wie der Mensch. Ewig übt hier die Natur Evolution. Unaufhörlich reckt sich jede Pflanze einer neuen, ver- besserten Lebensform entgegen. Helm-Knabenkraut Männliches Knabenkraut (Orchis militaris) Weit verbreitet ist (Orchis mascula) Das Männliche am Rheindamm das wärmeliebende Knabenkraut erkennt man an seinen Helm-Knabenkraut. Die drei äusse- Blättern, die gegen die Spitze hin am ren und die zwei inneren Perigon- breitesten werden. Alle Knabenkraut- blätter neigen sich zu einem Helm Arten haben hodenförmige Knollen zusammen. Die Lippe streckt sich (daher auch der Name Orchis = grie- Spitzorchis wie eine Natternzunge vor. - Orchi- chisch Hoden). In Kleinasien herrscht (Anacamptis pyramidalis) Am Be- deenstandorte werden durch Dün- die Unsitte, Orchideenknollen (Sa- ginn des Rheindamms bei Balzers gung zerstört. Damit sie erhalten lep) grossräumig auszugraben, weil hat sich auch eine Kolonie der werden, müssen wir ihre Lebensräu- man glaubt, diese Knollen hätten ei- prächtigen Spitzorchis angesiedelt. me schützen: Trockenrasen und ne potenzfördernde Wirkung («Bio- Auffällig, wie diese Orchidee von Feuchtgebiete, aber auch den Wald. Viagra»). In der Türkei sind deshalb unten nach oben aufblüht. Daher Am Rheindamm ist der Schutz ge- die Orchideenbestände dramatisch ergibt sich ein kegelförmiger Blüten- lungen. geschmolzen. stand. In der Blütenfarbe nimmt es die Spitzorchis nicht so genau. Von tiefroten bis rosaroten Arten begeg- net sie uns. Gelegentlich blüht sie sogar weiss. Rotes Waldvögelein (Cephalanthera rubra) Das Rote Waldvögelein erscheint uns wie ein Vogel, der sich zum Fluge erhebt. Orchideen wie das Rote Waldvögel- ein, die Bienen-Ragwurz oder die Herbst-Wendelähre blühen oft jah- relang nicht, ja es kann bis zu 20 Jahre dauern. Irgend etwas Geheim- nisvolles holt sie aus dem Dauer- Tiefschlaf. Wahrscheinlich hängt dies mit dem Pilzbedarf der Orchi- deen zusammen: Weil ihnen ein Nährgewebe fehlt, spriessen Orchi- deen nur, wenn sie ein bestimmter Pilz zum Wachstum anregt. 15
EINTRACHT OSTERN 2004 Der Schmarotzer bohrt sich in die Wurzeln des Wirtes und saugt aus ihm die Nährsäfte. Allen Schmarot- zern ist das fehlende Blattgrün ei- gen. Langblättriges Waldvögelein Grosse Sommerwurz (Cephalanthera longifolia) Das Lang- (Orobanche elatior) Die Grosse blättrige Waldvögelein blüht mit fast Sommerwurz wird oft als Orchidee geschlossenen Blüten. Nur in Sü- angesehen. Sie gehört jedoch zu deuropa öffnen sich die Blüten. den Sommerwurzgewächsen. Alle Büschel-Glockenblume Weil sich unsere Waldvögelein Sommerwurzarten sind Schmarot- (Campanula glomerata) Wo die Bü- nach mehr Sonne sehnen? zer. Jede Art hat sich auf eine beson- schel-Glockenblume noch blüht, ist dere Wirtspflanze spezialisiert. Die die Magerwiese intakt. In diesem Grosse Sommerwurz schmarotzt auf Sinne ist diese Pflanze ein Indikator der Skabiosen-Flockenblume, von für die Gesundheit von ursprüngli- der es am Rheindamm viele gibt. chen Trockenrasen. 16
EINTRACHT OSTERN 2004 Schwabbrünnen- Äscher Das Naturschutzgebiet Schwab- brünnen-Äscher ist dem verstorbe- nen Fürstl. Forstrat Eugen Bühler zu verdanken, der in den Fünfziger Jah- ren den Schutz allein und in Re- kordzeit zustande brachte. In einem Handstreich brachte er die Regie- rung dazu, dieses so wertvolle Ge- biet unverzüglich zu schützen. Ein Dank an diesen weitsichtigen Um- weltschützer! Prachtnelke (Dianthus superbus) Wenn ein Fran- UNSERE SCHÖNSTEN zose sich entzückt, entrückt ihm das Ausdruck «süperbe». So ergeht es FEUCHTGEBIETE uns beim Anblick der Prachtnelke. In seiner Dissertation kommt Broggi Die zerfransten Blütenblätter erzeu- (Landschaftswandel 151) zum Er- gen ein skurriles, märchenhaftes gebnis, dass seit 1900 mehr als 90 % Farbenspiel. der liechtensteinischen Flachmoore «melioriert», d.h. entwässert wor- den sind! Die wirtschaftliche Not- wendigkeit - zwei Weltkriege und Armut! - erklärt diesen Rückgang nur unzureichend. Bis vor wenigen Jahrzehnten hatten wir kaum wis- senschaftliche Grundlagen für die Erhaltung unserer Natur. Die ökolo- gische Wissenschaft ist sehr jung! Erst seit etwa 1950 kam es zu einem wissenschaftlich untermauerten Na- turschutz. Vorher war der Natur- schutz «romantisiert». Mit ihrem Buch «Der Stumme Frühling» rüttel- te Rachel Carson um 1960 die Welt Buchsblättrige Kreuzblume aus ihrer Umweltlethargie auf. 1970 Sumpf-Knabenkraut (Polygala chamaebuxus) Ein archai- begingen wir das Jahr der Natur, (Orchis palustris) Das Sumpf-Kna- sches Erscheinungsbild, die Buchs- und seither ging es mit dem Natur- benkraut im Naturschutzgebiet blättrige Kreuzblume! Die weissen schutz aufwärts. Schwabbrünnen-Äscher gehört zu Flügel sind Kelchblätter. Innen sind den botanischen Kostbarkeiten un- die Blütenblätter erst elfenbeinfar- Wir konnten zwei wertvolle Feucht- seres Landes. Es stellt höchste An- big, beim Verblühen wechselt die gebiete für unsere Nachwelt erhal- sprüche an den Standort: Es wächst Farbe zu braun-orange. Die Pflanze ten: die Naturschutzgebiete Schwab- nur in Kalk-Sintern, d.h. in Aufstös- ist unten verholzt. brünnen-Äscher und das Ruggeller sen von kalkhaltigem Wasser in torf- Riet. Dahin wollen wir uns nun auf igem Boden. Das Sumpf-Knaben- unserem botanischen Streifzug be- kraut hat die grösste Blüte unter den geben. Knabenkräutern. 17
EINTRACHT OSTERN 2004 Fieberklee (Menyanths trifoliata) Und der Fie- berklee! Welch wunderbare Blüte im reinen Weiss in sumpfigem Gelände! Wir können uns dem Zau- ber dieser Pflanze nicht entziehen, wenn sie ihre weissen Wuschelköp- fe aus dem Wasser hebt. Gelbe Schwertlilie (Iris pseudacorus) Die Gelbe Schwert- lilie hat ein schweres Leben hinter sich. Der Botaniker Josef Murr schreibt noch 1920, die Gelbe Schwertlilie sei in Liechtenstein verbreitet. Nun ist sie auf wenige Standorte zurück gedrängt. Alle Schwertlilienarten sind giftig. Sie haben einen besonde- ren Bestäubungsmechanismus: Hum- meln und Schwebfliegen bestäuben die Schwertlilienarten. Sie berühren beim Vordringen zum Nektar die Narben (weiblicher Blütenteil) und laden dort Fremdpollen (männlicher Blütenstaub) von vorher besuchten Pflanzen ab. Beim Saugen des Nek- tars werden die Insekten mit neuen Pollen eingepudert. Damit keine Ei- genbestäubung stattfindet, haben die Schwertlilien Narbenläppchen. Bewegt sich das Insekt rückwärts, klappt dieses Narbenläppchen nach oben gegen die Narbe und schützt sie vor den eigenen Pollen, mit de- nen das Insekt nun voll gepudert ist. Welch ein Wunder der Natur! Leo- nardo da Vinci benützte solche Na- turwunder für seine technischen Entwürfe. Natternzunge Ober Nacht (Ophioglossum vulgatum) Auch die Natternzunge ist ein botanisches Ju- Am Bach, wo's döt i d'Fälder goht wel unseres Landes. Man würde auf sind d'Widakätzle g'schprunga und ganz ir Nöhi hat an Fink den ersten Blick nicht vermuten, es in Morga ihi gsunga. handle sich um einen Farn. Und doch ist es so. Aus den Blättern A Blüemle güggslet usem Cras wächst eine gestielte, zweizeilige es planget scho uf d'Sunna Ähre, welche die Sporenträger (Spo- s'erscht Bienli (lügt scho uf es zua ma höörts vo witem summa. rangien) enthält. Darin entwickeln sich Zehntausende von mikroskopi- juhui, jätz ischt der Winter fort schen Sporen, die der Wind kilome- nooch langem, langem Warta terweit weg trägt. Allerdings stellt s'ischt ober Nacht de Früehleg ko is Herrgott's grossa Garta. die Natternzunge derart hohe An- E. Nuttt sprüche an den Standort, dass sie sehr selten geworden ist.
EINTRACHT OSTERN 2004 Sumpfgladiole (Gladiolus paluster) Auch die Sumpfgladiole erlitt ein schweres Schicksal. Liechtensteins Feuchtge- biete wurden im letzten Jahrhundert in landwirtschaftliche Flächen um- gewandelt. Viele Gladiolenstandor- te gingen verloren. Traunsteiners Knabenkraut Rundblättriger Sonnentau (Dactylorhiza traunsteineri) Traun- (Drosera rotundifolia) Der Rundblät- steiners Knabenkraut ist eine Beson- trige Sonnentau ist eine Fleisch fres- derheit in der Orchideenwelt. Es ist sende Pflanze. Fliegt ein Insekt auf in Liechtenstein sehr selten. Die Art die klebrigen Blätter, haftet es fest. wird vom Gefleckten Knabenkraut Die Säfte des Blattes lösen das Insekt durch die wenigen Blätter und Blü- bis auf den Chitinpanzer auf und ten unterschieden. Die beiden Arten verwerten die Nahrung. Fleisch fres- werden oft verwechselt. sende Pflanzen können gewisse Nährstoffe nicht aufnehmen und sind deshalb gezwungen, ihr Defizit mit tierischen Lebewesen zu de- cken. 19
EINTRACHT OSTERN 2004 Ruggeller Riet Bis vor etwa 7 Millionen Jahren floss der Rhein das Seeztal hin- unter. Erst seit dieser Zeit bog der Rhein in einem Knie bei Sargans gegen Norden. Vor et- wa 1,7 Millionen Jahren began- nen die Eiszeiten. Vor etwa 100 000 Jahren schauten gerade noch der Gonzen (1800 m) und höhere Berge aus dem Eispan- zer des heutigen Rheintals her- aus. Die Eiszeiten dauerten bis Weisse Seerose vor etwa 1 5 000 Jahren. (Nymphaea alba) Die Weissen See- Dann zogen sich die Gletscher rose kommt in Liechtenstein nur im zurück. Um 15 000 vor heute «Seerosengraben» im Ruggeller Riet reichte die Zunge des Rhein- vor. Der Blütenstil kann bis zu 3 m gletschers bis Koblach. Die lang werden! So passt sich die Pflan- Drumlins bei Eschen und die ze den verschiedenen Wassertiefen Moränen im Steg entstanden. an. Die Blütenblätter verwandeln Vor 14 000 Jahren reichte der sich innen zu seltsamen Zwischen- Bodensee bis Bad Ragaz. Der formen zwischen Blüten- und Staub- heutige Talraum Liechtensteins blättern (männliche Blütenteile): lag unter Wasser. Das Wasser Halb Blütenblatt, halb Staubblatt - unterhöhlte den Hang bei Trie- vielleicht ein noch nicht abge- sen. So ereignete sich um schlossenes evolutionäres Ereignis. 12 000 ein riesiger Bergsturz Aus der Seerose sind zahlreiche Fleischrotes Knabenkraut (Legende vom Untergang von Zuchtformen entstanden. Sie ist gif- (Dactylorhiza incarnata) Das Trisuna). tig- Fleischrote Knabenkraut lässt sich Dieser Bergsturz zählt zu den leicht bestimmen. Es hat einen hoh- 20 grössten der Alpen. len Stängel und schmale, in eine Spitze auslaufende Blätter, die dort Erst um 10 000 vor heute war kapuzenförmig zusammengezogen Liechtenstein eisfrei. Der Bo- sind. Die Blütenstile werden von densee teilte sich in zwei Rhein- grossen, braunroten Tragblättern ge- talseen. Der südliche Rand des stützt. Die Pflanze lebt vorzugswei- nördlichen Becken lag bei se in Riedwiesen. Ein Knabenkraut Oberriet. Das südliche Becken erzeugt über lOO'OOO Samen, die begann zwischen Buchs und vom Wind kilometerweit verbreitet Sennwald. Die Verlandungszo- werden. ne dieses Beckens ist der Ur- sprung der Riede unserer Ge- gend. Kammförmiger Wurmfarn (Dryopteris cristata) Von grosser bo- So entstand bei RuggelI das tanischer Bedeutung ist der Kamm- Flachmoor Ruggeller Riet, die förmige Wurmfarn. Er stellt hohe reichhaltigste Naturfläche Liech- Standortansprüche. Typisch für die- tensteins, durch Verlandung von sen Farn sind die um etwa 90° ge- Hinterwässern des Rheins. 450 drehten Fiedern (Blattteile) an den Gefässpflanzenarten, 72 Moos- fertilen (fruchtenden) Blättern. Die und216 Pilzarten kommen heu- Eidg. Technische Hochschule (ETH) te im Ruggeller Riet vor. Vom beobachtet den Standort im Ruggel- reichen Tierleben zeugen 146 ler Riet, weil durch den Einfluss der Vogel- und 534 Schmetterlings- Düngung in der Umgebung der Fort- arten. bestand des Farnes gefährdet wer- den könnte. 20
EINTRACHT OSTERN 2004 Schneide, Sägeried (Cladium mariscus) Die Schneide hat ihren Namen von den scharfen Blattkanten mit schneidenden Sta- cheln. Die Schneide gilt heute als europäisch selten. Die braunen Ge- bilde sind Tragblätter, sog. Spelzen, welche die Blüten einhüllen. Sibirische Schwertlilie Sumpf-Stendelwurz (Iris sibirica) Die Charakterpflanze (Epipactis palustris) In Liechtenstein des Ruggeller Rietes ist die Sibiri- gibt es 6 Sumpfwurzarten. Die sche Schwertlilie. Auch Sie ist seit Sumpf-Stendelwurz kann sich in Aus- Murrs Zeiten (1920) stark zurück ge- nahmefällen auch selbst befruchten, gangen. Der Schutz im Bangser und wenn die Bienen diese Arbeit nicht Ruggeller Riet kam gerade noch zeitgemäss verrichten: Eine Form von rechtzeitig. Gentechnologie. Das Klonen wird in Geht das Naturschutzgebiet Schwab- der Natur schon lange geübt! brünnen-Äscher auf Forstmeister Eu- gen Bühler zurück, verdient der heu- Einorchis, Einknolle tige Generaldirektor der Eidg. For- (Herminium monorchis) Die Ein- schungsanstalt für Wald, Schnee und orchis ist ein stilles Pflänzchen, das Landschaft, Mario F. Broggi, die Wür- gar nicht leicht zu finden ist. Den- digung als Vater des Naturschutzge- noch stellt es hohe Standortan- bietes Ruggeller Riet. sprüche. Deshalb sind die Standorte Er war es, der 1969 als junger Prak- bei uns dramatisch zurück gegan- tikant mit Vehemenz den Schutz vo- gen. Den Namen hat diese Pflanze rantrieb, und dies gegen Widerstän- von ihrer kugeligen Knolle («Zwie- de von allen Seiten. Auch ihm sei bel»), die nach der Blüte Tochter- Dank für seinen Einsatz! knollen an dünnen Rhizomen (Aus- läufern) ausbildet. 21
EINTRACHT OSTERN 2004 Liechtensteiner Tallandschaft von Prof. Eugen Zotow, Öl, 14,1 x 20,3 - ca. 1945, Sammlung A.P.C. • Broggi, Mario F. und Georg Willi: Rheinberger, Hans-Jörg, Barbara EMPFEHLENSWERTE Naturmonographie Ruggeller und Peter: Orchideen. Riet. Naturkundliche Forschung Naturkundliche Forschung im LITERATUR: im Fürstentum Liechtenstein. Fürstentum Liechtenstein. Band Band 12. Vaduz: Amt für Wald, 13. 2., verbesserte und • Aichele, Dietmar und Heinz- Natur und Landschaft, FL-9490 nachgeführte Auflage. Vaduz: Werner Schwegler: Die Vaduz, 1990 Regierung des Fürstentums Blütenpflanzen Mitteleuropas. Liechtenstein (Hrsg.), 2000 5 Bde. Stuttgart: Franckh-Kosmos, • Feiice, Nidja: Wanderbuch 1994. ISBN 3-440-06190-6 Liechtenstein. Schaan: Seitter, Heinrich: Die Flora des Liechtensteinische Gesellschaft Fürstentums Liechtenstein. • Berichte der Botanisch- für Umweltschutz, 2000 Schaan: Botanisch-Zoologische Zoologischen Gesellschaft Gesellschaft Liechtenstein - Liechtenstein - Sargans - • Kaufmann, Wilfried: Blumen am Sargans - Werdenberg e.V. Werdenberg e.V. Schaan: BZG, Fürstin-Gina-Weg. Schaan: Im Bretscha 22, FL-9494 Schaan Sekretariat Im Bretscha 22, Liechtensteiner Alpenverein (Hrsg.), 1977 FL-9494 Schaan. (Hrsg.), 1989 Welten, Max und Rüben Sutter: • Binz, August und Christian • Kaufmann, Wilfried: Schutz für Verbreitungsatlas der Farn- und Heitz: Schul- und Liechtensteins Gebirgsflora. In: Blütenpflanzen der Schweiz. Exkursionsflora für die Schweiz.- Unsere Berge. Festschrift zur 2 Bde. Basel: Birkhäuser, 1982. 18. Aufl. 1986. Basel: Schwabe, Ausstellung über unsere ISBN 3-7643-1307-2 1990. ISBN 3-7965-0892-8 Bergwelt. Schaan: Liechtensteiner Alpenverein Waldburger Edith, Vojislar • Broggi, Mario F.: (Selbstverlag), 1988 Pavlovic, Konrad Lauber: Flora Landschaftswandel im Talraum des Fürstentums Liechtenstein in Liechtensteins. Vaduz: • Lurker, Manfred: Wörterbuch der Bildern. Bern: Haupt, 2003. Historischer Verein für das Symbolik. 5. Aufl. Stuttgart: ISBN 3-258-06622-1 Fürstentum Liechtenstein (Hrsg.), Kröner, 1991. Gerberweg 5, 9490 Vaduz. ISBN 3-520-46405-5 22
Sie können auch lesen