Liechtensteinische Magerwiesen, Feuchtgebiete und Riedlandschaften

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Liechtensteinische Magerwiesen, Feuchtgebiete und Riedlandschaften
EINTRACHT
                                                                                                                  OSTERN 2004

           Liechtensteinische Magerwiesen,
          Feuchtgebiete und Riedlandschaften
                                                                    Fotos und Text: Wilfried Kaufmann, Balzers

 DURCH BUNTE
 MAGERWIESEN

Magerwiesen sind anthropogene,
d.h. durch den Menschen geschaffe-
ne Weideflächen. Durch Waldro-
dungen entstanden einst Waldlich-
tungen, in die lichthungrige Arten
einwanderten. Mit der Erfindung der
Sense im Mittelalter wurden weite
Teile extensiv landwirtschaftlich ge-
nutzt: Der Bauer wurde zum Land-
schaftsgärtner. Seit dem Zweiten
Weltkrieg setzte eine immer intensi-
vere Nutzung der einst zusammen-
hängenden Magerwiesenbestände
ein. Bis heute sind neunzig Prozent
der ehemaligen Magerwiesen der
Intensivlandwirtschaft     gewichen.
Den verbliebenen Rest subventio-
niert heute der Staat, so dass dieser
einmalige Landschaftstypus erhalten
bleibt.

Magerwiesen können Trockenrasen
(Magerwiesen im engeren Sinne)
und Feuchtgebiete (Streue) sein. Ei-
ne Pracht sind blühende Trockenra-
sen im Juni und Juli. Sie sind im Ver-
gleich zu den (gedüngten) Fettwie-
sen wenig produktiv, aber umso
schöner und vielgestaltiger. Der Bo-
den ist humusarm, trocknet zur
Sommerzeit oft aus und ist meistens
kalkhaltig. In den Trockenrasen
wachsen auf kleinstem Raum bis zu
100 Pflanzenarten, darunter seltene
oder geschützte. Im Gegensatz dazu
wachsen auf Fettwiesen nur 20 bis
30 Arten. In Liechtenstein kommen            Die weisse Seerose, Zierde eines Grabens im Ruggeller Riet
auf Magerwiesen 24 verschiedene
Orchideenarten vor!                          Von leuchtenden Farben im                      ternationales Treiben: Die Ellwiesen
                                             schweizerischen Liechtenstein                  gehören Balznern, sie werden in
                                                                                            den Steillagen von Schweizern be-
      Seien es Blüten des Frühlings,
          die Ähren des Sommers              Das Elltal bei Balzers ist das grösste         wirtschaftet. Eine solche Grenzsi-
  oder die Früchte des Herbstes - sie alle   zusammenhängende Magerwiesen-                  tuation kümmert die Blumen wenig.
        erinnern uns immer wieder            gebiet des Landes. Es öffnet sich ge-          Sie erfreuen als apolitische Wesen
      an die Grosse ihres Schöpfers          gen Liechtenstein, es liegt zur Hälfte         jedes Jahr mit ihrer bunten Blüten-
                               F. Nutt t
                                             in der Schweiz. Da herrscht ein in-            pracht.

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EINTRACHT
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Wir beginnen unsere Wanderung
bei der Maria-Hilf-Kapelle in Mals
und gehen nach Anaresch hinüber.

Gelbes Windröschen
(Anemone ranunculoides) Am Wald-
eingang begegnen wir schon der
ersten Seltenheit, dem Gelben
Windröschen, einer Verwandten des
Hahnenfusses.

Türkenbund
(Lilium martagon) Weiter im Wald
begegnen wir dem Türkenbund, ei-
nem Liliengewächs. Die Blütenform
erinnert an einen «türkischen Bund»
(Turban). Daher der deutsche Name.
Rehböcke sollen sich gerne mit den
Blüten stärken, bevor sie zur Geiss
gehen.

                                      Feuerlilie
                                      (Lilium bulbiferum ssp. croceum)
                                      Die Feuerlilie ist die Charakterpflan-
                                      ze der Ellwiesen. Von weit herunter
                                      leuchten die grossen orangefarbigen
                                      Glocken in ihrer strengen Schön-
                                      heit. Warum blühen eigentlich Blu-
                                      men in so vielen verschiedenen Far-
                                      ben? Wegen der Fortpflanzung. Fast
                                      alle insektenbestäubten Pflanzenar-
                                      ten blühen in besonderen, arttypi-
                                      schen Farben. Besonders grosse und
                                      auffällige Kronblätter finden wir im
                                      Gebirge und in Steppen, wo die
                                      Pflanzen um die wenigen Bestäuber
                                      besonders werben müssen. Färbung
                                      und Form üben Reize auf die Be-
                                      stäubertiere aus. Oft weisen die Blü-
                                      ten mit Strichzeichnungen oder
                                      Farbmalen den Bestäubern den Weg
                                      zum Nektar und damit auch den
                                      Geschlechtsorganen.
                                      Denn der Preis für den süssen Nek-
                                      tar ist das Bestäuben der Blüte.

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EINTRACHT
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Fliegen-Ragwurz                        ovalis), Stein-Nelke (Dianthus sylve- Herzblättrige Kugelblume
(Ophrys insectifera) Die Standorte     stris) und Krüppelkiefern. In der (Globularia cordifolia) Die ver-
der Fliegen-Ragwurz sind auch im       Wand entdecken wir seltene Step- wandte Herzblättrige Kugelblume
Elltal stark zurück gegangen. Diese    pengräser. Aber auch die Sagenwelt hat verholzte, niederliegende Stän-
zierliche Orchidee ist eine Taschen-   ereilt uns hier. Vorne bei den Diebs- gel. So formen sie Polster auf Fels-
spielerin. Durch Duftsignale an-       löchern sollen sich einst diebische vorsprüngen.
gelockt, fliegt ein Fliegenmännchen    Fremde aufgehalten haben. Die
zur Blüte. Das Männchen hält die       Männer fischten zur Belustigung der
Täuschform der Blüte für ein Weib-     Balzner in ihren Jauchegruben,
chen seiner Art! Das Männchen läs-     während die Frauen den Speck aus
st sich auf der Ragwurzlippe nieder    den Kaminen stahlen. Auf das
und glaubt sich auf einem paarungs-    Gelächter der Balzner antworteten
willigen Weibchen. Der Paarungs-       sie: «Was ich nicht fang, das fängt
versuch misslingt natürlich! Die       mein Weib.» Nachts genossen die
Fliegen-Ragwurz aber hat während       Diebespaare beim Lagerfeuer über
des Paarungsversuchs ihre Pollinien1   der Wand die gestohlene Mahlzeit,
auf den Kopf des Fliegenmännchens      bis die Vilterser die Balzner auf die-
geklebt. Das Männchen fliegt ent-      ses Treiben aufmerksam machten. In
täuscht zur nächsten Blüte und er-     solchen Situationen kennen die
liegt dieser List erneut. Dabei ent-   Balzner keinen Pardon! Das Diebes-
lädt das Tier die Pollinien auf die    gesindel wurde vertrieben, und seit-
nächste Blüte und bestäubt sie. Erst   her blieben die Diebslöcher leer.
wenn die Fliegen-Ragwurzpflanzen
verblüht sind, schlüpfen die echten    Schaft-Kugelblume
Fliegenweibchen, und diesmal ge-       (Globularia nudicaulis) Eine strenge,
lingt die Paarung.                     aufrechte Pflanze begrüsst uns bei
                                       der Ankunft auf der Ellhornwand:
Wir sind auf der Anhöhe angelangt      Die Schaft-Kugelblume. Am starken,
und gehen nach rechts zur mächti-      gerillten Stängel laufen tiefe Rinnen
gen Malm-Kalkwand- des Ellhorns.       herab. Oft treffen wir auf reduzierte
Sie ist an der höchsten Stelle 250 m   Blätter, sog. Blattschuppen. Die ein-    1 zu einem Klümpchen verklebter Blütenstaub,
hoch. Die Flora wechselt jetzt         zelnen Blüten sind fadenförmig          der so von Insekten übertragen wird
                                                                               2 Malm ist eine geologische Zeitepoche. Man
schlagartig. Wir befinden uns in ei-   schmal. Nur winzige Insekten ge-        teilt das Erdmittelalter (225 - 67 Mio. lahre v.h.)
ner wärme- und trockenliebenden,       langen in die Blütenröhre und kön-      in Trias, |ura und Kreide ein, wobei Malm die
                                                                               jüngste Jurazeit darstellt (140 Mio. ]ahre v.h.) Die
subalpinen Vegetation mit typischen    nen daraus Nektar holen. Dabei be-      Ellhornwand stellt also ehemaligen Meeresgrund
Arten wie Felsenbirne (Amelanchier     stäuben sie die Blüten.                 vor 140 Mio. Jahren dar.

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EINTRACHT
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                                     Viele davon sind Gebirgspflanzen,     flussseitige Rheindamm steht heute
                                     die als Schwemmlinge ins Tal fin-     unter Schutz. Der Staat ist für die
                                     den. Den Wanderer erfreuen auch       Pflege besorgt, damit auch die in
                                     die zahlreichen Orchideenarten.       diesen Pflanzengesellschaften le-
                                     Dazu kommen Neophyten, vom            benden, meist seltenen Tierarten ge-
                                     Menschen eingeschleppte Einwan-       deihen. Gemäht wird stufig, d.h. ge-
                                     derer hauptsächlich aus der Neuen     wisse Striche werden ungemäht in
                                     Welt. Ackerbegleitkräuter und Ru-     den Winter entlassen. So können
                                     deralpflanzen, die als Pioniere auf   z.B. Schmetterlingspuppen in den
                                     vom Menschen verformtem Boden         Halmen überwintern.

Dach-Hauswurz
(Sempervivum tectorum) Die Dach-
Hauswurz hat ihren Namen aus al-
ter Zeit, als auf den Scheunen-
dächern noch Moose, Flechten und
Hauswurzarten wuchsen. Der latei-
nische Name bescheinigt der Pflan-
ze ein immerwährendes Leben
(Sempervivum). Als kleiner Junge
gab mir meine Mutter einst eine
Hauswurz, damit ich sie hege und
pflege. Kamen Besucher, holte ich
meine Hauswurz aus dem Garten
ins Haus, zeigte sie und grub sie
wieder ein. Meiner Hauswurz scha-
dete dies überhaupt nicht, sie wuchs
fröhlich weiter. Früher wurden der
Pflanze Zauberkräfte zugeschrie-
ben. Deshalb wurde sie auf Dä-
chern ausgepflanzt. Man glaubte,
sie schütze vor Blitzschlag. Wegen
ihrer Gerb- und Schleimstoffe wur-
de sie auch als Heilpflanze verwen-
det.                                 wachsen, finden hier letzte Refugi-   Hummel-Ragwurz
                                     en. Dasselbe gilt für die xerother-   (Ophrys holosericea) Es ist Ende
                                     men, d.h. wärmeliebenden Arten,       Mai. Gleich zu Beginn unserer Wan-
Von heruntergekomme- die am Rheindamm versammelt                           derung am Rheindamm unter der
                                     sind.                                 Ellwand empfängt uns eine wahre
nen Alpenblumen                      Noch in den 70er Jahren wurde der     Orchideenpracht. Vor drei Jahr-
Unweit des Elltals beginnt der Rheindamm aus Unkenntnis von                zehnten war die Hummel-Ragwurz
Rheindamm. Der flussseitige Rhein- Balzers bis Ruggell mit Unkrautver-     nur noch selten anzutreffen. Heute
damm ist eine wahre Fundgrube nichtungsmitteln «geputzt»! Diese            blüht sie wieder zahlreich, begüns-
bunter und seltener Pflanzen. Auf Radikalkur bedeutete für die Pflan-      tigt durch die sorgsame Pflege in
etwa 22 km Dammböschung kom- zenwelt am Rheindamm fast das                 den letzten zwanzig Jahren. Auch
men über 500 Pflanzenarten vor. Aus - glücklicherweise nur fast! Der       die Hummel-Ragwurz täuscht ihre

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Bestäuber wie die beschriebene
Fliegen-Ragwurz, nur sind es hier
Hummelmännchen, die der Pflanze
auf den Leim gehen. Unglaublich
viele Formen bildet die Hummel-
Ragwurz aus. Keine Blüte ist gleich
wie die andere, jede hat ihren eige-
nen, unverwechselbaren Charakter
- wie der Mensch. Ewig übt hier die
Natur Evolution. Unaufhörlich reckt
sich jede Pflanze einer neuen, ver-
besserten Lebensform entgegen.

                                        Helm-Knabenkraut                         Männliches Knabenkraut
                                        (Orchis militaris) Weit verbreitet ist   (Orchis mascula) Das Männliche
                                        am Rheindamm das wärmeliebende           Knabenkraut erkennt man an seinen
                                        Helm-Knabenkraut. Die drei äusse-        Blättern, die gegen die Spitze hin am
                                        ren und die zwei inneren Perigon-        breitesten werden. Alle Knabenkraut-
                                        blätter neigen sich zu einem Helm        Arten haben hodenförmige Knollen
                                        zusammen. Die Lippe streckt sich         (daher auch der Name Orchis = grie-
Spitzorchis                             wie eine Natternzunge vor. - Orchi-      chisch Hoden). In Kleinasien herrscht
(Anacamptis pyramidalis) Am Be-         deenstandorte werden durch Dün-          die Unsitte, Orchideenknollen (Sa-
ginn des Rheindamms bei Balzers         gung zerstört. Damit sie erhalten        lep) grossräumig auszugraben, weil
hat sich auch eine Kolonie der          werden, müssen wir ihre Lebensräu-       man glaubt, diese Knollen hätten ei-
prächtigen Spitzorchis angesiedelt.     me schützen: Trockenrasen und            ne potenzfördernde Wirkung («Bio-
Auffällig, wie diese Orchidee von       Feuchtgebiete, aber auch den Wald.       Viagra»). In der Türkei sind deshalb
unten nach oben aufblüht. Daher         Am Rheindamm ist der Schutz ge-          die Orchideenbestände dramatisch
ergibt sich ein kegelförmiger Blüten-   lungen.                                  geschmolzen.
stand. In der Blütenfarbe nimmt es
die Spitzorchis nicht so genau. Von
tiefroten bis rosaroten Arten begeg-
net sie uns. Gelegentlich blüht sie
sogar weiss.

Rotes Waldvögelein
(Cephalanthera rubra) Das Rote
Waldvögelein erscheint uns wie ein
Vogel, der sich zum Fluge erhebt.
Orchideen wie das Rote Waldvögel-
ein, die Bienen-Ragwurz oder die
Herbst-Wendelähre blühen oft jah-
relang nicht, ja es kann bis zu 20
Jahre dauern. Irgend etwas Geheim-
nisvolles holt sie aus dem Dauer-
Tiefschlaf. Wahrscheinlich hängt
dies mit dem Pilzbedarf der Orchi-
deen zusammen: Weil ihnen ein
Nährgewebe fehlt, spriessen Orchi-
deen nur, wenn sie ein bestimmter
Pilz zum Wachstum anregt.

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                                                                                 Wurzeln des Wirtes und saugt aus
                                                                                 ihm die Nährsäfte. Allen Schmarot-
                                                                                 zern ist das fehlende Blattgrün ei-
                                                                                 gen.

Langblättriges Waldvögelein             Grosse Sommerwurz
(Cephalanthera longifolia) Das Lang-    (Orobanche elatior) Die Grosse
blättrige Waldvögelein blüht mit fast   Sommerwurz wird oft als Orchidee
geschlossenen Blüten. Nur in Sü-        angesehen. Sie gehört jedoch zu
deuropa öffnen sich die Blüten.         den Sommerwurzgewächsen. Alle            Büschel-Glockenblume
Weil sich unsere Waldvögelein           Sommerwurzarten sind Schmarot-           (Campanula glomerata) Wo die Bü-
nach mehr Sonne sehnen?                 zer. Jede Art hat sich auf eine beson-   schel-Glockenblume noch blüht, ist
                                        dere Wirtspflanze spezialisiert. Die     die Magerwiese intakt. In diesem
                                        Grosse Sommerwurz schmarotzt auf         Sinne ist diese Pflanze ein Indikator
                                        der Skabiosen-Flockenblume, von          für die Gesundheit von ursprüngli-
                                        der es am Rheindamm viele gibt.          chen Trockenrasen.

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EINTRACHT
                                                                                                     OSTERN 2004

                                                                              Schwabbrünnen-
                                                                              Äscher
                                                                              Das Naturschutzgebiet Schwab-
                                                                              brünnen-Äscher ist dem verstorbe-
                                                                              nen Fürstl. Forstrat Eugen Bühler zu
                                                                              verdanken, der in den Fünfziger Jah-
                                                                              ren den Schutz allein und in Re-
                                                                              kordzeit zustande brachte. In einem
                                                                              Handstreich brachte er die Regie-
                                                                              rung dazu, dieses so wertvolle Ge-
                                                                              biet unverzüglich zu schützen. Ein
                                                                              Dank an diesen weitsichtigen Um-
                                                                              weltschützer!

Prachtnelke
(Dianthus superbus) Wenn ein Fran-
                                        UNSERE SCHÖNSTEN
zose sich entzückt, entrückt ihm das
Ausdruck «süperbe». So ergeht es
                                        FEUCHTGEBIETE
uns beim Anblick der Prachtnelke.
                                       In seiner Dissertation kommt Broggi
Die zerfransten Blütenblätter erzeu-
                                       (Landschaftswandel 151) zum Er-
gen ein skurriles, märchenhaftes
                                       gebnis, dass seit 1900 mehr als 90 %
Farbenspiel.
                                       der liechtensteinischen Flachmoore
                                       «melioriert», d.h. entwässert wor-
                                       den sind! Die wirtschaftliche Not-
                                       wendigkeit - zwei Weltkriege und
                                       Armut! - erklärt diesen Rückgang
                                       nur unzureichend. Bis vor wenigen
                                       Jahrzehnten hatten wir kaum wis-
                                       senschaftliche Grundlagen für die
                                       Erhaltung unserer Natur. Die ökolo-
                                       gische Wissenschaft ist sehr jung!
                                       Erst seit etwa 1950 kam es zu einem
                                       wissenschaftlich untermauerten Na-
                                       turschutz. Vorher war der Natur-
                                       schutz «romantisiert». Mit ihrem
                                       Buch «Der Stumme Frühling» rüttel-
                                       te Rachel Carson um 1960 die Welt
Buchsblättrige Kreuzblume              aus ihrer Umweltlethargie auf. 1970    Sumpf-Knabenkraut
(Polygala chamaebuxus) Ein archai-     begingen wir das Jahr der Natur,       (Orchis palustris) Das Sumpf-Kna-
sches Erscheinungsbild, die Buchs-     und seither ging es mit dem Natur-     benkraut     im    Naturschutzgebiet
blättrige Kreuzblume! Die weissen      schutz aufwärts.                       Schwabbrünnen-Äscher gehört zu
Flügel sind Kelchblätter. Innen sind                                          den botanischen Kostbarkeiten un-
die Blütenblätter erst elfenbeinfar-   Wir konnten zwei wertvolle Feucht-     seres Landes. Es stellt höchste An-
big, beim Verblühen wechselt die       gebiete für unsere Nachwelt erhal-     sprüche an den Standort: Es wächst
Farbe zu braun-orange. Die Pflanze     ten: die Naturschutzgebiete Schwab-    nur in Kalk-Sintern, d.h. in Aufstös-
ist unten verholzt.                    brünnen-Äscher und das Ruggeller       sen von kalkhaltigem Wasser in torf-
                                       Riet. Dahin wollen wir uns nun auf     igem Boden. Das Sumpf-Knaben-
                                       unserem botanischen Streifzug be-      kraut hat die grösste Blüte unter den
                                       geben.                                 Knabenkräutern.

                                                                                                                17
EINTRACHT
                                                                                                        OSTERN 2004

                                                                                  Fieberklee
                                                                                  (Menyanths trifoliata) Und der Fie-
                                                                                  berklee! Welch wunderbare Blüte
                                                                                  im reinen Weiss in sumpfigem
                                                                                  Gelände! Wir können uns dem Zau-
                                                                                  ber dieser Pflanze nicht entziehen,
                                                                                  wenn sie ihre weissen Wuschelköp-
                                                                                  fe aus dem Wasser hebt.

                                                                                  Gelbe Schwertlilie
                                                                                  (Iris pseudacorus) Die Gelbe Schwert-
                                                                                  lilie hat ein schweres Leben hinter
                                                                                  sich.
                                                                                  Der Botaniker Josef Murr schreibt
                                                                                  noch 1920, die Gelbe Schwertlilie
                                                                                  sei in Liechtenstein verbreitet. Nun
                                                                                  ist sie auf wenige Standorte zurück
                                                                                  gedrängt. Alle Schwertlilienarten
                                                                                  sind giftig. Sie haben einen besonde-
                                                                                  ren Bestäubungsmechanismus: Hum-
                                                                                  meln und Schwebfliegen bestäuben
                                                                                  die Schwertlilienarten. Sie berühren
                                                                                  beim Vordringen zum Nektar die
                                                                                  Narben (weiblicher Blütenteil) und
                                                                                  laden dort Fremdpollen (männlicher
                                                                                  Blütenstaub) von vorher besuchten
                                                                                  Pflanzen ab. Beim Saugen des Nek-
                                                                                  tars werden die Insekten mit neuen
                                                                                  Pollen eingepudert. Damit keine Ei-
                                                                                  genbestäubung stattfindet, haben
                                                                                  die Schwertlilien Narbenläppchen.
                                                                                  Bewegt sich das Insekt rückwärts,
                                                                                  klappt dieses Narbenläppchen nach
                                                                                  oben gegen die Narbe und schützt
                                                                                  sie vor den eigenen Pollen, mit de-
                                                                                  nen das Insekt nun voll gepudert ist.
                                                                                  Welch ein Wunder der Natur! Leo-
                                                                                  nardo da Vinci benützte solche Na-
                                                                                  turwunder für seine technischen
                                                                                  Entwürfe.

                                           Natternzunge
Ober Nacht                                 (Ophioglossum vulgatum) Auch die
                                           Natternzunge ist ein botanisches Ju-
Am Bach, wo's döt i d'Fälder goht          wel unseres Landes. Man würde auf
sind d'Widakätzle g'schprunga
und ganz ir Nöhi hat an Fink               den ersten Blick nicht vermuten, es
in Morga ihi gsunga.                       handle sich um einen Farn. Und
                                           doch ist es so. Aus den Blättern
A Blüemle güggslet usem Cras               wächst eine gestielte, zweizeilige
es planget scho uf d'Sunna                 Ähre, welche die Sporenträger (Spo-
s'erscht Bienli (lügt scho uf es zua
ma höörts vo witem summa.                  rangien) enthält. Darin entwickeln
                                           sich Zehntausende von mikroskopi-
juhui, jätz ischt der Winter fort          schen Sporen, die der Wind kilome-
nooch langem, langem Warta                 terweit weg trägt. Allerdings stellt
s'ischt ober Nacht de Früehleg ko
 is Herrgott's grossa Garta.
                                           die Natternzunge derart hohe An-
                                E. Nuttt   sprüche an den Standort, dass sie
                                           sehr selten geworden ist.
EINTRACHT
                                                                                                     OSTERN 2004

Sumpfgladiole
(Gladiolus paluster) Auch die
Sumpfgladiole erlitt ein schweres
Schicksal. Liechtensteins Feuchtge-
biete wurden im letzten Jahrhundert
in landwirtschaftliche Flächen um-
gewandelt. Viele Gladiolenstandor-
te gingen verloren.

                                      Traunsteiners Knabenkraut               Rundblättriger Sonnentau
                                      (Dactylorhiza traunsteineri) Traun-     (Drosera rotundifolia) Der Rundblät-
                                      steiners Knabenkraut ist eine Beson-    trige Sonnentau ist eine Fleisch fres-
                                      derheit in der Orchideenwelt. Es ist    sende Pflanze. Fliegt ein Insekt auf
                                      in Liechtenstein sehr selten. Die Art   die klebrigen Blätter, haftet es fest.
                                      wird vom Gefleckten Knabenkraut         Die Säfte des Blattes lösen das Insekt
                                      durch die wenigen Blätter und Blü-      bis auf den Chitinpanzer auf und
                                      ten unterschieden. Die beiden Arten     verwerten die Nahrung. Fleisch fres-
                                      werden oft verwechselt.                 sende Pflanzen können gewisse
                                                                              Nährstoffe nicht aufnehmen und
                                                                              sind deshalb gezwungen, ihr Defizit
                                                                              mit tierischen Lebewesen zu de-
                                                                              cken.

                                                                                                                19
EINTRACHT
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     Ruggeller Riet
 Bis vor etwa 7 Millionen Jahren
 floss der Rhein das Seeztal hin-
 unter. Erst seit dieser Zeit bog
 der Rhein in einem Knie bei
 Sargans gegen Norden. Vor et-
 wa 1,7 Millionen Jahren began-
 nen die Eiszeiten. Vor etwa 100
 000 Jahren schauten gerade
 noch der Gonzen (1800 m) und
 höhere Berge aus dem Eispan-
 zer des heutigen Rheintals her-
 aus. Die Eiszeiten dauerten bis     Weisse Seerose
 vor etwa 1 5 000 Jahren.            (Nymphaea alba) Die Weissen See-
 Dann zogen sich die Gletscher       rose kommt in Liechtenstein nur im
 zurück. Um 15 000 vor heute         «Seerosengraben» im Ruggeller Riet
 reichte die Zunge des Rhein-        vor. Der Blütenstil kann bis zu 3 m
 gletschers bis Koblach. Die         lang werden! So passt sich die Pflan-
 Drumlins bei Eschen und die         ze den verschiedenen Wassertiefen
 Moränen im Steg entstanden.         an. Die Blütenblätter verwandeln
 Vor 14 000 Jahren reichte der       sich innen zu seltsamen Zwischen-
 Bodensee bis Bad Ragaz. Der         formen zwischen Blüten- und Staub-
 heutige Talraum Liechtensteins      blättern (männliche Blütenteile):
 lag unter Wasser. Das Wasser        Halb Blütenblatt, halb Staubblatt -
 unterhöhlte den Hang bei Trie-      vielleicht ein noch nicht abge-
 sen. So ereignete sich um           schlossenes evolutionäres Ereignis.
 12 000 ein riesiger Bergsturz       Aus der Seerose sind zahlreiche         Fleischrotes Knabenkraut
 (Legende vom Untergang von          Zuchtformen entstanden. Sie ist gif-    (Dactylorhiza      incarnata)   Das
 Trisuna).                           tig-                                    Fleischrote Knabenkraut lässt sich
 Dieser Bergsturz zählt zu den                                               leicht bestimmen. Es hat einen hoh-
 20 grössten der Alpen.                                                      len Stängel und schmale, in eine
                                                                             Spitze auslaufende Blätter, die dort
 Erst um 10 000 vor heute war                                                kapuzenförmig zusammengezogen
 Liechtenstein eisfrei. Der Bo-                                              sind. Die Blütenstile werden von
 densee teilte sich in zwei Rhein-                                           grossen, braunroten Tragblättern ge-
 talseen. Der südliche Rand des                                              stützt. Die Pflanze lebt vorzugswei-
 nördlichen Becken lag bei                                                   se in Riedwiesen. Ein Knabenkraut
 Oberriet. Das südliche Becken                                               erzeugt über lOO'OOO Samen, die
 begann zwischen Buchs und                                                   vom Wind kilometerweit verbreitet
 Sennwald. Die Verlandungszo-                                                werden.
 ne dieses Beckens ist der Ur-
 sprung der Riede unserer Ge-
 gend.                                                                       Kammförmiger Wurmfarn
                                                                             (Dryopteris cristata) Von grosser bo-
 So entstand bei RuggelI das                                                 tanischer Bedeutung ist der Kamm-
 Flachmoor Ruggeller Riet, die                                               förmige Wurmfarn. Er stellt hohe
 reichhaltigste Naturfläche Liech-                                           Standortansprüche. Typisch für die-
 tensteins, durch Verlandung von                                             sen Farn sind die um etwa 90° ge-
 Hinterwässern des Rheins. 450                                               drehten Fiedern (Blattteile) an den
 Gefässpflanzenarten, 72 Moos-                                               fertilen (fruchtenden) Blättern. Die
 und216 Pilzarten kommen heu-                                                Eidg. Technische Hochschule (ETH)
 te im Ruggeller Riet vor. Vom                                               beobachtet den Standort im Ruggel-
 reichen Tierleben zeugen 146                                                ler Riet, weil durch den Einfluss der
 Vogel- und 534 Schmetterlings-                                              Düngung in der Umgebung der Fort-
 arten.                                                                      bestand des Farnes gefährdet wer-
                                                                             den könnte.

20
EINTRACHT
                                                               OSTERN 2004

                                        Schneide, Sägeried
                                        (Cladium mariscus) Die Schneide
                                        hat ihren Namen von den scharfen
                                        Blattkanten mit schneidenden Sta-
                                        cheln. Die Schneide gilt heute als
                                        europäisch selten. Die braunen Ge-
                                        bilde sind Tragblätter, sog. Spelzen,
                                        welche die Blüten einhüllen.

Sibirische Schwertlilie                 Sumpf-Stendelwurz
(Iris sibirica) Die Charakterpflanze    (Epipactis palustris) In Liechtenstein
des Ruggeller Rietes ist die Sibiri-    gibt es 6 Sumpfwurzarten. Die
sche Schwertlilie. Auch Sie ist seit    Sumpf-Stendelwurz kann sich in Aus-
Murrs Zeiten (1920) stark zurück ge-    nahmefällen auch selbst befruchten,
gangen. Der Schutz im Bangser und       wenn die Bienen diese Arbeit nicht
Ruggeller Riet kam gerade noch          zeitgemäss verrichten: Eine Form von
rechtzeitig.                            Gentechnologie. Das Klonen wird in
Geht das Naturschutzgebiet Schwab-      der Natur schon lange geübt!
brünnen-Äscher auf Forstmeister Eu-
gen Bühler zurück, verdient der heu-    Einorchis, Einknolle
tige Generaldirektor der Eidg. For-     (Herminium monorchis) Die Ein-
schungsanstalt für Wald, Schnee und     orchis ist ein stilles Pflänzchen, das
Landschaft, Mario F. Broggi, die Wür-   gar nicht leicht zu finden ist. Den-
digung als Vater des Naturschutzge-     noch stellt es hohe Standortan-
bietes Ruggeller Riet.                  sprüche. Deshalb sind die Standorte
Er war es, der 1969 als junger Prak-    bei uns dramatisch zurück gegan-
tikant mit Vehemenz den Schutz vo-      gen. Den Namen hat diese Pflanze
rantrieb, und dies gegen Widerstän-     von ihrer kugeligen Knolle («Zwie-
de von allen Seiten. Auch ihm sei       bel»), die nach der Blüte Tochter-
Dank für seinen Einsatz!                knollen an dünnen Rhizomen (Aus-
                                        läufern) ausbildet.

                                                                           21
EINTRACHT
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Liechtensteiner Tallandschaft von Prof. Eugen Zotow, Öl, 14,1 x 20,3 - ca. 1945, Sammlung A.P.C.

                                               • Broggi, Mario F. und Georg Willi:                 Rheinberger, Hans-Jörg, Barbara
 EMPFEHLENSWERTE                                 Naturmonographie Ruggeller                        und Peter: Orchideen.
                                                 Riet. Naturkundliche Forschung                    Naturkundliche Forschung im
 LITERATUR:                                      im Fürstentum Liechtenstein.                      Fürstentum Liechtenstein. Band
                                                 Band 12. Vaduz: Amt für Wald,                     13. 2., verbesserte und
• Aichele, Dietmar und Heinz-                    Natur und Landschaft, FL-9490                     nachgeführte Auflage. Vaduz:
  Werner Schwegler: Die                          Vaduz, 1990                                       Regierung des Fürstentums
  Blütenpflanzen Mitteleuropas.                                                                    Liechtenstein (Hrsg.), 2000
  5 Bde. Stuttgart: Franckh-Kosmos,            • Feiice, Nidja: Wanderbuch
  1994. ISBN 3-440-06190-6                       Liechtenstein. Schaan:                            Seitter, Heinrich: Die Flora des
                                                 Liechtensteinische Gesellschaft                   Fürstentums Liechtenstein.
• Berichte der Botanisch-                        für Umweltschutz, 2000                            Schaan: Botanisch-Zoologische
  Zoologischen Gesellschaft                                                                        Gesellschaft Liechtenstein -
  Liechtenstein - Sargans -                    • Kaufmann, Wilfried: Blumen am                     Sargans - Werdenberg e.V.
  Werdenberg e.V. Schaan: BZG,                   Fürstin-Gina-Weg. Schaan:                         Im Bretscha 22, FL-9494 Schaan
  Sekretariat Im Bretscha 22,                    Liechtensteiner Alpenverein                       (Hrsg.), 1977
  FL-9494 Schaan.                                (Hrsg.), 1989
                                                                                                   Welten, Max und Rüben Sutter:
• Binz, August und Christian                   • Kaufmann, Wilfried: Schutz für                    Verbreitungsatlas der Farn- und
  Heitz: Schul- und                              Liechtensteins Gebirgsflora. In:                  Blütenpflanzen der Schweiz.
  Exkursionsflora für die Schweiz.-              Unsere Berge. Festschrift zur                     2 Bde. Basel: Birkhäuser, 1982.
  18. Aufl. 1986. Basel: Schwabe,                Ausstellung über unsere                           ISBN 3-7643-1307-2
  1990. ISBN 3-7965-0892-8                       Bergwelt. Schaan:
                                                 Liechtensteiner Alpenverein                       Waldburger Edith, Vojislar
• Broggi, Mario F.:                              (Selbstverlag), 1988                              Pavlovic, Konrad Lauber: Flora
  Landschaftswandel im Talraum                                                                     des Fürstentums Liechtenstein in
  Liechtensteins. Vaduz:                       • Lurker, Manfred: Wörterbuch der                   Bildern. Bern: Haupt, 2003.
  Historischer Verein für das                    Symbolik. 5. Aufl. Stuttgart:                     ISBN 3-258-06622-1
  Fürstentum Liechtenstein (Hrsg.),              Kröner, 1991.
  Gerberweg 5, 9490 Vaduz.                       ISBN 3-520-46405-5

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