Lokaltherapie chronischer Wunden - Deutsches Ärzteblatt
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MEDIZIN KLINISCHE LEITLINIE Lokaltherapie chronischer Wunden Bei Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit, chronisch-venöser Insuffizienz und Diabetes mellitus Mike Rüttermann, Andreas Maier-Hasselmann, Brigitte Nink-Grebe, Marion Burckhardt ie Behandlung chronischer Wunden erfolgt in der ZUSAMMENFASSUNG Hintergrund: Eine chronische Wunde wird definiert als In- D alltäglichen Praxis oft uneinheitlich, wobei gerade die Kontinuität auch hinsichtlich der Evaluation des Hei- tegritätsverlust der Haut mit fehlender Abheilung innerhalb lungsverlaufes und der Behandlungsstrategie für eine Ab- von acht Wochen. Sie entwickelt sich an den unteren heilung förderlich wären. Gliedmaßen meist in Folge eines Diabetes mellitus, einer Chronische Wunden sind verbunden mit einem venösen Insuffizienz oder arteriellen Durchblutungsstö- ● erheblichen Verlust an Lebensqualität (1) rung. Der größte Teil der etwa 45 000 jährlichen Gliedma- ßenamputationen in Deutschland wird in Folge einer chro- ● langen Behandlungszeiten und nischen Wunde notwendig. ● erhöhten Kosten (2). Hinzu kommen Einschränkungen in der Alltagsaktivi- Methode: Für die S3-Leitlinie konnten aus 4 998 systema- tät und Mobilität, gepaart mit Auswirkungen auf das seeli- tisch ermittelten Referenzen zur Wundbehandlung 38 kon- sche Wohlbefinden der Betroffenen. In Bezug auf die Le- trollierte Interventionsstudien (RCTs) und 26 systemati- bensqualität wird Schmerz in systematischen Übersichts- sche Übersichtsarbeiten identifiziert und als Grundlage für arbeiten als die bedeutendste physische Beeinträchtigung Empfehlungen und Statements verwendet werden. Diese herausgestellt (1, 3–6). wurden unter Beteiligung von zwölf Fachgesellschaften Venöse Abflussstörungen verursachen etwa 1,2 % aller der AWMF, der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissen- Arbeitsausfalltage in Deutschland. Von den gesamten sta- schaft und Patienten in mehreren Konsensrunden verab- tionären Behandlungskosten entfallen rund 1 % auf die schiedet. Behandlung venöser Beinulzerationen (7). Durchschnitt- Ergebnisse: Die Leitlinie enthält sieben evidenzbasierte lich erleidet in der Gruppe der Rezidivpatienten jeder drit- und 30 Good Clinical Practice Empfehlungen (GCP). Evi- te Patient mindestens ein Rezidiv (8). Allerdings scheinen denzbasiert erfolgten beispielsweise Empfehlungen für die aus den 1970-Jahren stammenden Literaturangaben Hydrogel, hyperbare Oxygenierung und integrierte Versor- hinsichtlich der Inzidenz und Prävalenz des Ulcus cruris gung, wohingegen für medizinischen Honig und Wachs- venosum heute zu hoch angesetzt zu sein. Untersuchun- tumsfaktoren Gegenempfehlungen ausgesprochen wur- gen aus dem Rheinland an großen Patientenkollektiven den. Begriffsdefinitionen erleichtern die Kommunikation zeigen eine Prävalenz des Ulcus cruris venosum von etwa und schärfen die Abgrenzung von der Wundreinigung zum 0,08 % und damit auf Deutschland hochgerechnet von et- ärztlich durchgeführten „Wunddebridement“. Unter der wa 50 000–80 000 Personen. Prämisse der Vermeidung von Schmerz, Exsudataustritt Chronische Wunden an den unteren Extremitäten tre- und Mazeration können Lokaltherapeutika auf der Basis ten auch als Folge einer arteriellen Durchblutungsstörung von Evidenz, Patientenpräferenz, Fachexpertise, der Wund- auf („Ulcus cruris arteriosum“), oft verbunden mit einem situation und unter Beachtung der Wirtschaftlichkeit aus- Diabetes mellitus („diabetisches Fußulkus“). Die Präva- gewählt werden. lenz der peripheren arteriellen Durchblutungsstörung liegt Schlussfolgerung: In vielen Bereichen ist die Evidenzlage (je nach Definition) bei 3–10 % der Gesamtbevölkerung, gering. Valide Daten gibt es für die hyperbare Oxygenie- wobei der Anteil der Patienten mit einer peripheren arte- rung und die integrierte Versorgung. Es besteht weiterer riellen Verschlusskrankheit (pAVK) bei den über 70-Jäh- Forschungsbedarf. rigen auf 15–20 % ansteigt (9). Verlässliche Daten zur ►Zitierweise Prävalenz oder Inzidenz des PAVK-Stadiums-IV oder von Rüttermann M, Maier-Hasselmann A, Nink-Grebe B, Ulcera cruris mit einer gemischt arterio-venösen Genese Burckhardt M: Clinical Practice Guideline: Local treat- liegen nicht vor. ment of chronic wounds in patients with peripheral vas- Beim diabetischen Fußulkus liegt die Prävalenz je cular disease, chronic venous insufficiency and diabe- nach Studie und Land bei etwa 2–10 % der diabetischen tes. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(3): 25–31. Gesamtbevölkerung. Die jährliche Inzidenz soll bei DOI: 10.3238/arztebl.2013.0025 2–6 % der Diabetes-Betroffenen liegen (10). Ein Teil dieser Fußulzerationen führt im schlechtesten Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V., Gießen: Fall zur Amputation von Zehen, des Fußes oder der ge- Dr. med. Rüttermann, Dr. med. Maier-Hasselmann, Nink-Grebe, Burckhardt samten Extremität. In Deutschland werden nach den Zah- Deutsches Ärzteblatt | Jg. 110 | Heft 3 | 18. Januar 2013 25
MEDIZIN TABELLE kamen 103 RCTs aus 26 systematischen Übersichtsarbei- ten. Die Effekte zu patientenrelevanten Endpunkten wie Graduierung der Evidenz- und Empfehlungsstärke der S3-Leitlinie Wundheilung, Verkleinerung der Wunde, Schmerzen oder Lokaltherapie chronischer Wunden Komplikationen werden in der GRADE-Systematik (15) Studienqualität Qualitätsstufe in GRADE [34] Empfehlungsgraduierung dargestellt, die zugleich einen Überblick zur Qualität der und -beschreibung Evidenz ermöglicht. Auf der Grundlage dieser Evidenz systematische High Empfehlungsgrad A wurden in mehreren Konsensverfahren durch die beteilig- Übersichtsarbeit (Es ist sehr unwahrscheinlich, Beispiel: „Die Intervention X ten Mandatsträger der Fachgesellschaften und Autoren (Meta-Analyse) dass weitere Forschung das soll bzw. soll nicht angewen- oder RCT Vertrauen in den beobachteten det werden“ graduierte Empfehlungen verabschiedet (Tabelle). (Therapie) Behandlungseffekt verändert.) In Bereichen, in denen die Schaffung wissenschaftli- Randomisierte kon- Moderate Empfehlungsgrad B cher Evidenz nicht möglich oder nicht angestrebt ist, wur- trollierte Studien mit (Weitere Forschung wird sich Beispiel: „Die Intervention X den „Good Clinical Practice Empfehlungen“ (GCP) kon- mittlerem Risiko vermutlich erheblich auf unser sollte beziehungsweise soll- sentiert. für systematische Vertrauen in den beobachteten te nicht angewendet wer- Fehler Behandlungseffekt auswirken. den“ Basierend auf den konsentierten Empfehlungen und Möglicherweise ändert sich der Aussagen (Statements) wurde ein Algorithmus erstellt, Behandlungseffekt.) der verkürzt die Basisprinzipien der Bereiche „Dia- Randomisierte kon- Low Empfehlungsgrad 0 gnostik“ und „Wundtherapie“ darstellt (Grafik 1, 2; eGra- trollierte Studien mit (Weitere Forschung wird sich Beispiel: „Die Intervention X fik 1). Die Leitlinienentwicklung ist in einem ausführli- hohem Risiko sehr wahrscheinlich auf unser kann angewendet werden“ für systematische Vertrauen in den beobachteten chen Leitlinienreport beschrieben (16). Fehler Behandlungseffekt auswirken. Wahrscheinlich ändert sich der Diagnostik und Dokumentation Behandlungseffekt.) Die Behandlung der chronischen Wunde beginnt mit der klinischen Anamnese und der darauf weiter einzuleiten- den Diagnostik der Grunderkrankung, die gemäß den Leitlinien-Empfehlungen der jeweiligen Fachgesellschaft len der AOK etwa 29 000 Diabetiker jährlich amputiert erfolgen soll. Die Vorgehensweise ist im Algorithmus (11). „Anamnese und Diagnose“ (Grafik 1) dargestellt. Obwohl keine exakten epidemiologischen Daten zur Besonders hinzuweisen ist auf die Empfehlung, dass Rezidivhäufigkeit chronischer Wunden vorliegen, zeigen wenn nach sechs Wochen nach Beginn einer leitlinienge- einzelne Studien, dass sowohl die Ulzerationen beim rechten Behandlung keine Heilungstendenz erkennbar ist, diabetischen Fußsyndrom als auch die bei venöser das Vorliegen anderer Ursachen für die fehlende Hei- Insuffizienz zu Rezidiven neigen, vor allem wenn die lungstendenz differenzialdiagnostisch abgeklärt werden Ulkusgenese mit einer peripheren arteriellen Durch- soll. Hierzu soll im Zweifel eine zweite Meinung einge- blutungsstörung kombiniert ist (12). Vor allem die Rezidi- holt werden (GCP). ve diabetischer Fußulzera führen häufig (in bis zu 60 %) Des Weiteren wird nur dann eine mikrobiologische zu Amputationen (13). Untersuchung empfohlen, wenn aufgrund einer vom Wundbereich ausgehenden erregerbedingten Infektions- Methoden erkrankung eine Antibiotikatherapie erwogen wird. Die S3-Leitlinie wurde entsprechend allgemein anerkann- Die Bedeutung der Wunddokumentation als Grundlage ter Qualitätskriterien (14) unter Federführung der Deut- von Informationsübermittlung, Qualitätsmanagement und schen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehand- Leistungsabrechnung wird betont, wobei mindestens die lung e.V. in Zusammenarbeit mit elf Fachgesellschaften Dokumentation der gesicherten Kausal- oder Verdachts- der AWMF, der deutschen Gesellschaft für Pflegewissen- diagnose, der gemessenen Wundgröße, der Beschreibung schaft und Patientenvertretern erstellt. An der Erarbeitung der sichtbaren Wundfläche, des Wundrandes und der der Leitlinie wirkten sowohl verschiedene an der Wund- Wundumgebung, der Therapieanordnung beziehungswei- behandlung beteiligte ärztliche Disziplinen als auch Ge- se -durchführung und gegebenenfalls des Therapiewech- sundheitsberufe mit, bei deren Auswahl sowohl auf Fach- sels gefordert wird. kompetenz als auch auf eine Geringfügigkeit von Interes- In der Leitlinie werden darüber hinaus Definitionen senkonflikten geachtet wurde. und Begriffe geklärt. So wurde zum Beispiel der in der Auf der Basis umfassender Schlüsselfragen zu den Wundbehandlung oft inflationär verwendete Begriff „Dé- gängigen Wundreinigungsmethoden, Wundauflagen und bridement“ präzisiert und deutlich von der Wundreini- physikalischen Verfahren wurde eine externe Literaturre- gung abgegrenzt. cherche und Bewertung durch das Institut Kleijnen Syste- matic Reviews Ltd. (UK) durchgeführt. Wundreinigung und chirurgisches Débridement Zu weiteren Themen (zum Beispiel Patientenpräferen- Weder für die Wundreinigung, noch für das chirurgische zen oder Organisation) wurden systematische Literaturre- Debridement konnte im Rahmen der Literaturrecherche cherchen durch einzelne Autoren der Leitlinie durchge- hochwertige (Grade-Stufe „high“ vergleiche Tabelle) Evi- führt. Insgesamt konnten aus 4 998 Treffern zu Wundbe- denz ermittelt werden. Dennoch gehen die Experten in handlungsinterventionen 38 kontrollierte Interventions- starkem Konsens davon aus, dass die Wundheilung durch studien (RCT) für die Leitlinie verwendet werden. Hinzu avitales Gewebe, Fremdkörper, Beläge und Detritus be- 26 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 110 | Heft 3 | 18. Januar 2013
MEDIZIN GRAFIK 1 Algorithmus wundspezifische Diagnostik und Anamnese, Diagnostik, Dokumentation, Behandlungsplan Anamnese E, Empfehlung; orientierende leitliniengerechte Diagnostik der TVT, Tiefe Venen- Anamnese (E 2) Grunderkrankung (E 1) und gegebenenfalls ergänzen- thrombose; de Diagnostik (E 3, E 4, E 5), Wundbeurteilung (E 7) DNQP, Deutsches Netzwerk Qualitäts- Hinweise auf chronisch venöse Insuffizienz (CVI)? entwicklung in der Symptome, bestehende Erkrankungen, Operationen Beipiele: Hautveränderung, Varizen, Zustand nach TVT Pflege; und Erkrankungen am Gefäßsystem, familiäre Disposition, Tetanus-Impfschutz, Medikamente Diagnostik S3-LL, CVI-Nr. 037- 009 PAVK, periphere Reaktion auf und Erfahrung mit bisheriger Behandlung/ arterielle Ver- Wundtherapeutika und Pflegeprodukten, Allergie Hinweise auf PAVK? schlusskrankheit; Beispiele: belastungsabhängiger Erfassung Alltagskompetenz, Muskel- NVL, nationale Selbstpflegefähigkeit beziehungsweise Ruheschmerz Versorgungsleitlinie Diagnostik S3-LL, PAVK-Nr. 065-003 Hinweise auf diabetisches Fußsyndrom (DFS)? Beispiele: Neopathie, Fußfehlstellungen, Gelenkbeschwerden Diagnostik NVL DFS Diagnostik S3-LL, PAVK- Nr. 065-003 Auffällige morphologische Struktur? Histologie Erfassung und Hierarchisierung sechs Wochen leitliniengerechte Behandlung von Einschränkung ohne Heilungstendenz? der Lebensqualität (E 6) differenzialdiagnostische Abklärung anderer Ursachen, eventuell Zweitmeinung einholen Hinweise auf erregerbedingte Infektionserkrankung unter Erwägung einer Antibiotikatherapie? Erreger- und Empfindlichkeitsbestimmung Patientenberatung (E 12) zu Krankheitsursache und -behandlung Möglichkeiten zur Linderung von Faktoren, In der Versorgung die die Lebensqualität beeinträchtigen der Patienten sollten Beratung und Unterstützung multidisziplinäre zu Förderung und Erhalt sektorenüber- seiner Alltagskompetenzen greifende Elemente Die Qualifizierung integrierter Versor- des Personals sollte gung eingesetzt und strukturiert erfolgen ja sinnvoll kombiniert auf der Basis der Bedarf weiterer Expertise werden (E 36). gültigen Leitlinien der wissenschaft- nein Beispiele: lich-medizinischen Erstellen des Behandlungsplans Förderung Alltags- Fachgesellschaften, leitliniengerechte Therapie der Grunderkrankung (E 11) kompetenz und die in Registern Entscheidung für Selbstmanagement publiziert sind eine Therapiemaßnahme auf der Orthopädietechnik und auf Basis der Grundlage allgemeiner Therapieziele und individueller Podologie gültigen nationalen Präferenzen des Patienten (E 13) lymphologische Expertenstandards Maßnahmen der Pflege Unterstützung bei (DNQP) (E 37). oder Übernahme der Wundversorgung Wunddokumentation (E 9) Dokumentation der therapeutischen Maßnahmen (E 8), Schmerzen (E 10) Anamnese und Diagnostik abgeschlossen gegebenenfalls und dokomentiert erweiterte Diagnostik/ Behandlungsplan liegt vor Zweitmeinung Deutsches Ärzteblatt | Jg. 110 | Heft 3 | 18. Januar 2013 27
MEDIZIN Algorithmus GRAFIK 2 der Einsatz antiseptisch wirksamer, aber auch aggressiver Wundreinigung Substanzen (zum Beispiel Jodgaze) mangels Nutzennach- E, Empfehlung Wundreinigung weis für die Wundheilung (Relatives Risiko [RR] 1,06; * ausführlichere Er- 95-%-Konfidenzintervall [KI] 0,819–1,375) oder Infekti- läuterungen siehe onsprophylaxe (RR 1,06; 95-%-KI 0,87–1,3) nicht emp- eGrafik 1 avitales Gewebe, Nekrose, Beläge und/oder fohlen. Zur aktiven periodischen Wundreinigung wird Fremdkörper empfohlen, bevorzugt neutrale, wirkstofffreie Lösungen einzusetzen. Der Einsatz von zugelassenen Antiseptika kann bei Verdacht der erregerbedingten Entzündung er- Liegen Bedingungen* für ein chirurgisches Débridement vor? wogen werden. Unter dem neu geprägten Begriff „passive periodische nein ja Wundreinigung“ werden ergänzende, den Wundreini- Wundreinigung initial chirurgisches gungsprozess unterstützende Verfahren zusammenge- (E 16, E 17, S 6, S 7, E 19, Débridement fasst, die unterhalb einer Wundabdeckung (Sekundärver- E 18) (E 25, E 26) primär mechanisch (E 17) band) stattfinden. Hierunter fallen zum Beispiel enzyma- zur periodischen Wund- tische oder osmotische Verfahren beziehungsweise nasse reinigung sollten bevor- Reinigungsumschläge, für die insgesamt ebenfalls nur un- zugt neutrale wirkstoff- genügend Evidenz vorliegt. freie Lösungen einge- setzt werden Wiederholung Lediglich für Hydrogel konnte auf der Grundlage mo- (E 19) bei Bedarf derater Evidenz (Grade-Stufe „moderate“ vergleiche Ta- belle) aus zwei Studien (17, 18) ein Nutzen hinsichtlich der Wundheilung beim diabetischen Fußulkus ermittelt avitales Gewebe, Beläge und/oder Fremd- werden (RR 1,83, 95-%-KI 1,19−2,82) (17, 18). Die Au- körper vollständig entfernt toren schlussfolgern, dass dieser Nutzen möglicherweise auf eine Begünstigung der körpereigenen Autolyse durch Rehydrierung zurückzuführen ist. Daraus folgt die Emp- fehlung, dass Hydrogel beim diabetischen Fußsyndrom hindert wird. Empfohlen wird daher, unter Berücksichti- (DFS) eingesetzt werden kann, wenn Rehydrierung erfor- gung der Belastung des Patienten, eine initiale radikale derlich ist. Dies wäre zum Beispiel der Fall bei trocken- Abtragung von avitalem Gewebe bis in intakte anatomi- heitsbedingten Schmerzen, freiliegenden tieferen Struktu- sche Strukturen (Débridement) durchzuführen. Bedingun- ren, wie Sehnen oder Knochen, sowie bei trockenen Rest- gen, die für ein chirurgisches Débridement sprechen, sind belägen. Die Empfehlung kann nach Expertenkonsens auf lokale Entzündungszeichen, eine systemische Infektions- das Ulcus cruris venosum (UCV) und Ulcus cruris arte- erkrankung ausgehend vom Wundbereich, großflächige riosum (UCA) übertragen werden. Nekrosen beziehungsweise Beläge. Bei Bedarf soll beglei- Trockene Nekrosen sollen wegen der möglichen Ent- tend eine adäquate Schmerztherapie eingeleitet werden. wicklung einer feuchten Gangrän nicht rehydriert werden In Abgrenzung zu diesem chirurgischen Debridement (Good Clinical Practice, [GCP]). wird die Wundreinigung als „Abtragung von avitalem Von der Anwendung von Honig wird in der Leitlinie Gewebe, Nekrosen, Belägen und/oder Entfernung von explizit abgeraten, weil auf Basis hochwertiger Evi- Fremdkörpern bis an intakte anatomische Strukturen denz (19, 20) keine signifikant schnellere Wundheilung heran, unter Erhalt von Granulationsgewebe“ definiert. nachgewiesen werden konnte (RR 1,15; 95-%-KI Diese verfolgt ebenfalls das Ziel, die Wundheilung behin- 0,96−1,38), jedoch signifikant mehr Patienten unter der dernde Beläge vollständig zu entfernen und sollte, wenn Therapie Schmerzen angaben (RR 2,53; 95-%-KI sie durchgeführt wird, primär mechanisch und bei Bedarf 1,53−4,18) (19). unter Schmerztherapie erfolgen. Die Wundreinigung mit Fliegenlarven führt zu einer Auf der Grundlage der Literatur ist keine Aussage hin- schnelleren Wundreinigung als durch Hydrogele, bereitet sichtlich eines Vorteils für die eine oder andere Spüllö- allerdings auch signifikant mehr Schmerzen. Hinsichtlich sung möglich, was letztendlich zu dem konsentierten abgeheilter Wunden nach sechs bis zwölf Monaten ist der Statement führt, dass unsterile Lösungen oder nicht steril Unterschied zur Behandlung mit Hydrogelen nicht signi- gefiltertes Leitungswasser die Gefahr der Einbringung fikant (RR 1,14; 95-%-KI 0,86–1,53) (21) (Grafik 2; von Krankheitserregern mit sich bringen. Bezüglich der Langfassung eGrafik 1) Verwendung von Ringer-Laktat-Lösung anstelle von NaCl-0,9-%-Lösungen liegt keine Evidenz vor, die eine Wundauflagen und topische Anwendungen bessere Wirksamkeit belegen würde. Zum Spektrum der verfügbaren Wundversorgungspro- Wundspüllösungen mit chemischen Zusätzen (Polyhe- dukte gehören zum Beispiel Hydrokolloide, Folien, xanid, Octenidin, Hypochlorit, H2O2, Ethacridinlactat und Schaumstoffe, Mikrofaserverbände, Alginate oder Poly- Farbstofflösungen) haben gegenüber der zusatzfreien acrylate die in verschiedenen Materialzusammensetzun- physiologischen Kochsalzlösung keinen nachgewiesenen gen angeboten werden. positiven Effekt auf die Wundheilung. Bei Wunden, bei Materialien mit denen sich tiefere Wunden ausfüllen las- denen kein Verdacht auf eine Entzündung besteht, wird sen, werden Wundfüller genannt (zum Beispiel Alginate). 28 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 110 | Heft 3 | 18. Januar 2013
MEDIZIN Hydrokolloide oder Folien dagegen werden als Wund- GRAFIK 3 abdeckung eingesetzt. Manche Materialien eignen sich für beide Anwendungsarten (zum Beispiel Schaumstoffe) oder werden in kombimierter Form teilweise auch wirk- Wundauflagen stoffhaltig angeboten. Die teilweise dürftige Studienlage zu wirkstofffreien Auswahl der Materialien in Abstimmung mit den Zielen des Patienten, und wirkstoffhaltigen Wundauflagen war als Empfeh- den Erfordernissen der Wundsituation und Wirtschaftlichkeit. lungsgrundlage für Produktgruppen meist nicht geeignet. Kriterien: Schmerzvermeidung, Praktikabilität für den Patienten, Die Experten verständigten sich daher darauf, bestimmte Zustand von Wundrand und Wundumgebung, Haftstärke, Exsudatauf- nahme und -rückhaltefähigkeit, Allergien und Verträglichkeit (E 29). Kriterien für die Auswahl von Wundauflagen im Rahmen Physikalische Begleitmaßnahmen. Amputationsbedrohte Extremität von GCP-Empfehlungen zu konsentieren. Zu diesen Kri- HBO (E 35). Gegebenenfalls Vakuumversiegelung (E 33), Magnet- terien gehören zum Beispiel feldbehandlung (E 34). ● Schmerzvermeidung ● Praktikabilität für den Patienten ● Haftstärke Wundbeurteilung (E 7) ● Exsudataufnahme und -rückhaltefähigkeit ● Vermeidung von Mazeration ja Ziel: Nekrose Die Wahl der Wundauflage ist unter anderem abhängig Liegt eine trockene Nekrose vor? trocken halten (E 23) von den Erfordernissen der Wundsituation, Zielen des Pa- nein tienten und Wirtschaftlichkeit. Dabei sollte ein physiologisch feuchtes Milieu in der Ziel: Schaffung und Aufrechterhaltung eines physiologisch feuchten Milieus in der Wunde (E 28) Wunde erhalten oder geschaffen werden. Bezogen auf den Endpunkt Wundheilung zeigen sil- berhaltige Wundauflagen keinen signifikanten Vorteil starkes Exsudat- nein ausgewogenes Ex- nein schwaches Ex- gegenüber Wundauflagen ohne Silber. In vier systema- aufkommen? sudataufkommen? sudataufkommen tischen Übersichtsarbeiten und neun randomisierten ja ja ja kontrollierten Studien, die die Kriterien der systemati- weitere Ziele: weitere Ziele: schen Literaturrecherche erfüllen, zeigten silberhaltige Schutz von Wundrand und Wundumgebung Vermeidung von Wundauflagen bezogen auf den Endpunkt Wundhei- Haut-Barriere-Funktion (E 32) trockenheitsbedingten lung keinen signifikanten Vorteil gegenüber Wundauf- Vermeidung von Flüssigkeitsaustritt Nachteilen (zum Beispiel Schmerz) lagen ohne Silber. aus dem Verband In-vitro-Untersuchungen belegen sowohl den bakteri- ziden Effekt als auch die Zytotoxizität des Silbers. Detail- Materialien: saugfähig, lierte Untersuchungen, in denen die verschiedenen auf hohe Exsudataufnahme Materialien: Materialien: dem Markt angebotenen Formen von Silber (elementar- und -rückhaltefähigkeit mittlere Exsudatauf- physiologisch feucht metallisch, Silbersalz und Ionenaustauscher) verglichen gegebenenfalls Schutz- nahme und haltend oder werden, gibt es zurzeit nicht. und Pflegemaßnahmen -rückhaltefähigkeit rehydrierend Trotz vorhandener Evidenz von zum Teil hoher Qua- der Haut (E 32) lität (Tabelle) (22) konnte auch zu Cadexomer-Iod, PVP-Iod-Salbe, PVP-Iod-Gel oder PVP-Iod-Gaze im abgeheilte Wunde Hinblick auf die Wundheilung oder Vermeidung einer Infektion kein Nutzen ermittelt werden. Aufgrund der Hinweise auf die Toxizität, allergene Potenz und Jodbe- Algorithmus Wundauflagen lastung, die sich aus weniger belastbaren Beobach- E, Empfehlung; HBO, hyperbare Sauerstofftherapie tungsstudien ergeben, erfolgte in Abwägung von fragli- chem Nutzen und möglichem Schaden, die Empfeh- lung diese Produkte bei Wunden ohne Entzündungszei- stützt sich auf mehrere systematische Übersichtsarbeiten chen nicht einzusetzen. (23–26). Grundsätzlich setzt die lokale Wundtherapie Kenntnis- Die vorhandenen Daten sind nicht geeignet, klare se über Material und Anwendung, Indikation und Kontra- Empfehlungen zur Verwendung der Vakuumversiegelung indikation sowie Allergie- bzw. Toxizitätspotential voraus zu geben. Bis heute konnte ein Vorteil für die Me- (Grafik 3; eGrafik 2). thode nur für Surrogatparameter wie Wundgrößenverklei- nerung (Standardisierte Mittelwertdifferenz [SMD] 0,45; Begleitende physikalische Anwendungen 95-%-KI 0,87–0,04) (26) aufgezeigt werden. Zur Beschleunigung der Wundheilung werden eine Reihe Zur versorgungsbedingten Ausfüllung und prozentua- physikalischer Verfahren wie Vakuumtherapie, Reiz- len Reduktion der Wundtiefe oder des Wundvolumens strom, Stoßwellen oder Magnetfeldtherapie angeboten. kann die Vakuumversiegelung daher erwogen werden. Eine besondere Bedeutung hat in den letzten Jahren die (Empfehlungsgrad 0). Auch die Magnetfeldtherapie kann Vakuumversiegelung aufgrund ihrer außerordentlich brei- zur begleitenden Behandlung von venösen Ulzera erwo- ten Anwendung erlangt. Die Bewertung der Evidenz gen werden. Die Empfehlung (Empfehlungsgrad 0) be- Deutsches Ärzteblatt | Jg. 110 | Heft 3 | 18. Januar 2013 29
MEDIZIN GRAFIK 4 Sektoren und berufsgruppenübergreifende Gesundheitsversorgung Die Literaturanalyse der Leitlinie ergab auf der Grundla- Referenzen identifiziert durch Suche in Daten- ge moderater Evidenz (30), dass die Versorgung von Pa- banken; tienten mit chronischem Ulkus hinsichtlich patientenrele- Referenzen identi- Thema Wundtherapie: fiziert vanter Endpunkte wie Lebensqualität, Alltagsaktivität Ersterhebung (HTA, Syste- matic Reviews, Leitlinien) durch andere Quellen: und Schmerz mit Hilfe von kombinierten Elementen inte- Identifikation (n = 4) grierter, multiprofessioneller, sektorenübergreifender Ver- n = 1 531 RCT n = 5 743 RCT sorgung verbessert werden kann. Die Ergebnisse der gesamt n = 7 472 RCTs sind nur bedingt auf das deutsche Gesundheitssys- tem übertragbar, spiegeln aber positive Auswirkungen wieder, die auch bei der strukturierten Versorgung von nach Entfernung der Duplikate (n = 4 998) Diabetikern erzielt wurden (31, 32). Screening Die Experten empfehlen daher im starken Konsens: „In der Versorgung der Patienten sollten multidiszipli- nach Screening der Artikel: Artikel ausgeschlossen: näre, sektorenübergreifende Elemente integrierter Ver- (n = 4 998) (n = 4 932) sorgung eingesetzt und sinnvoll kombiniert werden (Empfehlungsgrad B)“. Beispiele dieser Elemente sind die Steuerung durch eine zentrale Stelle, Qualitätssi- Volltext ausge- Eignung schlossen cherung und Zusammenarbeit zwischen Sektoren und Studien inkludiert für qualitative Synthese: mit Begründung: Professionen. (n = 65) nicht nachvollziehbar: (n = 1) Stärken und Limitationen dieser Leitlinie Erstmals wurden die Verfahren der Lokaltherapie chro- Studien inkludiert in nischer Wunden, methodisch stringent und unter Einbe- quantitative Synthese: zug der maßgeblich an der Wundversorgung beteiligten inkludiert (Metaanalyse) Berufsgruppen aufgearbeitet. Die Aufarbeitung der Evi- (n = 141) (systematische Übersichts- denz hat gezeigt, dass die Durchführung von RCTs ho- arbeiten n = 26; her Qualität durchaus möglich ist (zum Beispiel [21, 22, daraus RCT: n = 103 28]; Grafik 4). + RCT n = 38) Dennoch konnte die Leitliniengruppe nur auf sehr we- nige RCTs zurückgreifen, die ein geringes Fehlerpotenzi- Aufarbeitung der Evidenz, al aufweisen, was möglicherweise an den Zertifizierungs- E, Empfehlung; HTA, Health Technology Assessment; RCT, randomisierte kontrollierte Studien modalitäten für Medizinprodukte liegt, die bislang keine Nutzennachweise vorsehen (33). Graduierte Empfehlun- gen (A, B, oder O) wurden in dieser Leitlinie ausschließ- ruht allerdings auf niedriger Qualität der Evidenz (Grade- lich vergeben, wenn aussagekräftige Effekte zu den End- Stufe „low“ vergleiche Tabelle) (RR 2,025; 95-%-KI punkten der Leitlinie auf der Basis von randomisierten 1,055 – 2,768) (27). Die Anwendungsdauer, die Häufig- kontrollierten Studien oder Meta-Analysen vorhanden keit der Anwendung und die Intensität der Feldstärke waren. Ergänzend dazu wurden Statements oder GCP- konnte bisher jedoch nicht eindeutig festgelegt werden. Empfehlungen verabschiedet. Die Ganzkörperdruckkammertherapie (hyperbare Sau- Auf der Basis hochwertiger Evidenz konnte nur für erstofftherapie [HBO]) stellt für anderweitig austherapierte die HBO-Therapie und für integrierte Versorgungskon- Wunden beim diabetischen Fußsyndrom eine Therapieop- zepte ein Nutzen ermittelt werden, der zu einer klaren tion mit gut belegter Wirksamkeit dar (RR 2,14; 95-%-KI Anwendungsempfehlung (mindestens Empfehlungs- 1,18−3,88) (28). Als patientenrelevanter Endpunkt ist, bei grad B) führte. Wenn die Datenlage aus randomisierten moderater Evidenzqualität (Tabelle), die Reduktion der kontrollierten Studien ungenügend war, hat die Leit- Major-Amputationsrate durch die HBO-Therapie zu sehen liniengruppe die Empfehlungen insgesamt vorsichtig (RR 0,31; 95-%-KI 0,13−0,71) (29). Auf Basis der vorlie- und verantwortungsvoll formuliert. Soweit ein Ex- genden Daten erfolgte eine B-Empfehlung, dass die hyper- pertenkonsens möglich war, wurden Kriterien auf der bare Sauerstofftherapie bei Patienten mit diabetischem Basis von GCP-Empfehlungen und Statements ver- Fußsyndrom, nach Ausschöpfen von Revaskularisations- abschiedet, die dem Praktiker, gemeinsam mit der um- maßnahmen, bei amputationsbedrohter Extremität als zu- fassend in der Leitlinie aufgearbeiteten Evidenz, als sätzliche Therapieoption verwendet werden sollte. Orientierung dienen sollen. Die Leitlinie kann dazu Zum Stellenwert der Ultraschalltherapie, des wasser- beitragen, dass die Wundtherapie ein ernst zu nehmen- gefilterten Infrarot-A-Lichtes, dem niederenergetischen des Fachgebiet wird, in dem auf Evidenz und multi- Laser und der Stoßwellentherapie liegen keine RCTs von professionelle Zusammenarbeit gesetzt wird statt auf ausreichender Qualität vor, um eine Aussage zur Evidenz Marketing-basiertes Wissen. dieser Verfahren hinsichtlich der Fragestellungen dieser Die Leitlinie ist auf der Webseite der AWMF veröffent- Leitlinie zu treffen. licht. Eine Kurzfassung ist in Vorbereitung. 30 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 110 | Heft 3 | 18. Januar 2013
MEDIZIN Interessenkonflikt rasyn Hydrogel Wound dressing and wet-to-moist saline gauze. Dr. Rüttermann und Dr. Maier-Hasselmann geben an, dass kein Interessenkon- AdvWound Care 1998; 11: 1–4. flikt besteht. M. Burckhardt erhielt Honorare für Vorträge von wissenschaftlichen Fortbil- 19. Jull A, Walker N, Parag V, Molan P, Rodgers A: Randomized clinical dungsveranstaltungen vom Transfernetzwerk Bildung und der PFAD-Akademie. trial of honey-impregnated dressings for venous leg ulcers. Br J B. Nink-Grebe erhielt Drittmittel für die Durchführung von klinischen Auftrags- Surg 2008; 95: 175–82. studien und für ein von ihr initiiertes Forschungsvorhaben von der Firma Medi 20. Gethin G, Cowman S: Bacteriological changes in sloughy venous leg zur Erforschung der Kompressionstherapie. ulcers treated with manuka honey or hydrogel: an RCT. J Wound Care 2008; 17: 241–7. Manuskriptdaten eingereicht: 18. 9. 2012, revidierte Fassung angenommen: 17. 10. 2012 21. 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Mike Rüttermann leitlinienmethodik/leitlinienbewertung/delbi Consultant Plastic Surgeon 15. Guyatt G, Gutterman D, Baumann MH, et al.: Grading strength of re- University Medical Center Groningen commendations and quality of evidence in clinical guidelines: report Hanzeplein 1, 9700 RB Groningen/NL mikeruettermann@yahoo.com from an american college of chest physicians task force. Chest 2006; 129: 174–81. 16. Burckhardt M, Gregor S, Kleijnen J, et al.: Leitlinienreport. S3-Leitli- Zitierweise nie Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risi- Rüttermann M, Maier-Hasselmann A, Nink-Grebe B, Burckhardt M: Clinical ken periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus, Practice Guideline: Local treatment of chronic wounds in patients with chronische venöse Insuffizienz. In. AWMF; 2012. peripheral vascular disease, chronic venous insufficiency and diabetes. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(3): 25–31. 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MEDIZIN KLINISCHE LEITLINIE Lokaltherapie chronischer Wunden Erhöhtes Risiko bei Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit, chronisch-venöser Insuffizienz und Diabetes mellitus Mike Rüttermann, Andreas Maier-Hasselmann, Brigitte Nink-Grebe, Marion Burckhardt eGRAFIK 1 Wundreinigung Vorliegen avitaler Gewebe, Nekrosen, Beläge und/oder Fremdkörper Liegen Bedingungen, wie lokale Entzündungszeichen, systemische Infektionserkrankung ausgehend vom Wundbereich, großflächige Nekrosen beziehungsweise Nekroseanteile und Beläge, für ein chirurgisches Débridement vor? nein ja Wundreinigung Initial chirurgisches Die Wundheilung wird durch avitales Gewebe, Fremdkörper, Beläge und Débridement Detritus behindert. Deshalb sollte eine Abtragung von avitalem Gewebe bis an Die Wunmdheilung wird durch intakte anatomische Strukturen heran durchgeführt werden. Die Belastung des avitales Gewebe, Fremdkörper, Patienten ist zu berücksichtigen (E 16). Beläge und Detritus behindert. Wenn eine Wundreinigung durchgeführt wird, sollte sie primär mechanisch Deshalb sollte eine radikale erfolgen (E 17). Abtragung von avitalem Gewebe bis in intakte anatomische Für Lösungen, die Octenidin, Polihexanit, PVP-Iod, Wasserstoffperoxid, Chlor- Strukturen initial durchgeführt hexidin und Farbstoffe – einschließlich Ethacridinlactat – enthalten, liegen werden; die Belastung des anhand der vorliegenden Studien keine belastbaren Aussagen zum Nutzen als Patienten ist zu berücksichtigen Wundspüllösung vor. (E 25). Es gibt zu bestimmten Substanzen, je nach galenischer Zubereitung, Konzen- Bei Bedarf soll das chirurgische tration und Einwirkdauer, Hinweise auf Toxizität, allergene Potenz oder Débridement mit einer adäquaten Iodbelastung. Schmerztherapie einhergehen Zur periodischen Wundreinigung sollten daher neutrale, wirkstofffreie (E 26). Lösungen eingesetzt werden (E 19). Ausnahme: Bei Verdacht auf erregerbedingte Entzündung der Wunde kann zur Wund- reinigung die Anwendung von Polihexnid, Octenidin oder PVP-Iod in Form zugelassener Antiseptikalösungen erwogen werden (E 20). Bei Bedarf soll die Wundreinigung mit einer adäquaten Schmerztherapie einhergehen (E 18). Wiederholung bei Bedarf avitale Gewebe, Beläge und/oder Fremdkörper vollständig entfernt Algorithmus Wundreinigung E, Empfehlung 8 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 110 | Heft 3 | 18. Januar 2013
MEDIZIN eGRAFIK 2 Algorithmus Wundauflagen E, Empfehlung Wundauflagen HBO, hyperbare Sauerstofftherapie Bei der Wundbehandlung sollte ein physiologisch feuchtes Milieu in der Wunde geschaffen und aufrechterhalten werden. Von diesem Grundsatz kann abgewichen werden, wenn die Erzeugung oder Aufrechterhaltung einer avitalen trockenen Nekrose einen Behandlungsvorteil darstellt wie zum Beispiel bei endständiger diabetischer Gangrän (E 28). Bei der Auswahl der Materialien sollen folgende Gesichtspunkte in Abstimmung mit den Zielen des Patienten und den Erfordernissen der Wundsituation und Wirtschaftlichkeit im Vordergrund stehen: Schmerzvermeidung, Praktikabilität für den Patienten, Zustand von Wundrand und Wundumgebung, Haftstärke, Exsudataufnahme und -rückhaltefähigkeit, Allergien und Verträglichkeit (E 29). Physikalische Begleitmaßnahmen, amputationsbedrohte Extremität HBO (E35). Sonstige physikalische Begleitmaßnahmen wie Unterdrucktherapie (E 33), Magnetfeldbehandlung (E 34). Die Wundbeurteilung im Rahmen des Heilungsverlaufs sollte regelhaft erfolgen und bei jeder Veränderung mit therapeutischer Konsequenz (E 7). ja Nekrosen sollen nicht rehydriert Liegt eine trockene Nekrose vor? werden (E 23) Ziel: Nekrose trocken halten nein Ziel: Schaffung und Aufrechterhaltung eines physiologisch feuchten Milieus in der Wunde (E 28) nein ausgewogenes Exsudat- nein starkes Exsudataufkommen? schwaches Exsudataufkommen aufkommen? ja ja ja weitere Ziele: weitere Ziele: weitere Ziele: Vermeidung von Flüssigkeitsaus- Vermeidung von Flüssigkeitsaus- Vermeidung von trockenheits- tritt aus dem Verband (E 14) tritt aus dem Verband (E 14) bedingten Nachteilen Vermeiden von Mazeration Vermeiden von Mazeration (zum Beispiel Schmerz) und Austrocknung von Wundrand und Austrocknung von Wundrand und Wundumgebung (E 32) und Wundumgebung (E 32) Schutz von Wundrand und Schutz von Wundrand und Wundumgebung (E 32) Wundumgebung (E 32) Erhalt der Haut-Barriere-Funktion Erhalt der Haut-Barriere-Funktion (E 32) (E 32) Einsatz Einsatz von Materialien Einsatz von Materialien saugfähiger Materialien (Wundfüller (Wundfüller (Wundfüller und/beziehungs- und/beziehungsweise und/beziehungsweise weise Wundabdeckung) Wundabdeckung) Wundabdeckung), mit hoher Exsudataufnahme mit angepasster die ein physiologisch und -rückhaltefähigkeit mittlerer Exsudataufnahme feuchtes Milieu und in der Wunde gegebenenfalls zusätzliche Exsudatrückhaltevermögen bei erhalten oder schaffen Schutz- und Pflegemaßnahmen Erhaltung des physiologisch zum Erhalt der Haut-Barriere- feuchten Milieus in der Wunde Funktion (E 32) abgeheilte Wunde Deutsches Ärzteblatt | Jg. 110 | Heft 3 | 18. Januar 2013 9
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