Diabetes-therapie im Alter - Österreichische Ärztezeitung
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S TAT E O F T H E A R T Diabetes- therapie im Alter © SPL, picturedesk.com Insulinkristalle 34 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 22 | 25. November 2021
DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T Bei älteren Patienten wird die Wahl der Medikamente vor allem durch Komorbiditäten wie etwa eine eingeschränkte Nierenfunktion limitiert. Die Therapie sollte individuell ausgewählt, effizient und auch realisierbar sein, wobei beim älteren Patienten die Praktikabilität und Sicherheit der Insulintherapie immer im Vordergrund stehen sollten. Von Peter Fasching, Bettina Göbel et al.* tern-Glukosewerte pathologisch sind, sondern es vor allem Einleitung durch eine postprandial verminderte Insulinausschüttung zu erhöhten Blutzuckerwerten nach den Mahlzeiten kommt. Somit Diabetes mellitus ist eine weltweite Epidemie mit steigender kann die Diagnosestellung durch alleinige Nüchternblutzucker- Inzidenz. Im höheren Lebensalter liegt die Prävalenz bei 20 Messungen verzögert sein. bis 25 Prozent. Aufgrund des bisherigen Fehlens eines flächen- deckenden Diabetes-Vorsorge-Screenings ist die Dunkelziffer Herausforderungen für die Therapie hoch. Erfreulicherweise wird seit neuestem die HbA1c-Bestim- mung auch im Sinn der Vorsorge beziehungsweise Erstdiagno- In den Richtlinien der Fachgesellschaften wird eine „individuali- se von der Krankenkasse erstattet. In der Altersklasse der über sierte“ Diabetes-Therapie gefordert. Für das Erreichen des ent- 70-Jährigen kann von einer Prävalenz einer Glukosetoleranz- sprechenden Therapieziels sind neben der Ernährung orale Anti- störung von bis zu 50 Prozent ausgegangen werden. Der Anteil diabetika (OAD) und injizierbare Medikamente einzusetzen. der autoimmun-bedingten Diabetesformen (Typ 1, LADA) ist in diesem Alter mit maximal fünf Prozent sehr gering. Ernährung Ein weiteres Problem ist die limitierte Datenlage bei betagten Ernährungstechnisch ist vor allem auf die Vermeidung einer und hochbetagten Menschen, bei denen bei der Erstellung eines Mangelernährung zu achten. Sollte bei Adipositas eine Gewichts- Therapieplanes neben der Diabetesdauer auch funktionelle Ein- reduktion zur Verbesserung der glykämischen Kontrolle und schränkungen und Komorbiditäten zu beachten sind. der Lebensqualität angestrebt werden, ist der Entwicklung einer Sarkopenie oder Osteoporose beziehungsweise der Reduktion In Hinblick auf Antidiabetika sind in den letzten Jahren etliche von Muskelmasse durch körperliche Aktivität und adäquate Ei- klinische Outcome-Studien publiziert worden, an denen auch weißzufuhr vorzubeugen. Für hochbetagte Patienten liegt keine » zahlreiche geriatrische Patienten teilgenommen haben. Diese Studien wurden primär zum Nachweis der „kardiovaskulären Sicherheit“ durchgeführt und oft bezüglich ihrer Aussagkraft Tab.1: Diabetes mellitus: Diagnose über die Effektivität des jeweiligen Präparates in der Diabetes- Diabetes mellitus therapie kritisiert. Jedoch konnte durch diese Studien eine bisher nie dagewesene randomisiert-kontrollierte Patientenpopulation Nicht nüchtern ≥ 200 mg/dl und „klassische Sym- mit hohem Risikoprofil ausgewertet werden. Hervorzuheben ptome“ ODER ≥ 200 mg/dl an zwei ist, dass für ältere Patienten keine Unterschiede in Bezug auf die verschiedenen Tagen1 kardiovaskuläre Sicherheit beziehungsweise den Benefit im Ver- Nüchtern-Glukose (venös) ≥ 126 mg/dl an zwei Tagen1 gleich zu Jüngeren festgestellt werden konnten. 2h-Glukose nach 75 g ≥ 200 mg/dl an zwei Tagen1 OGTT (venös) Diagnostik, Charakteristika und Therapie HbA1c ≥ 6,5 % (48 mmol/mol) an zwei Tagen1 Die in den Leitlinien für die Diabetes-Diagnostik angegebenen 1 Bei zwei unterschiedlichen Tests mit positivem Ergebnis ist die Diagnose Diabetes gegeben. Blutzuckergrenzen gelten für alle Altersklassen. Hervorzuheben Quelle: Diabetes mellitus – Anleitungen für die Praxis (Update 2019), Wien Klin Wochenschrift ist, dass beim geriatrischen Patienten oftmals nicht die Nüch- 131 (Suppl 1) S 8 22 | 25. November 2021 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 35
Diabetestherapie im Alter » wissenschaftliche Evidenz vor, dass es einen klinischen Lang- Ein HbA1c-Ziel von ≤8% gilt es bei funktionell leicht abhängigen zeit-Benefit einer beabsichtigten Gewichtsreduktion gibt in Hin- Patienten zu erreichen. Dazu zählen sehr alte, multimorbide blick auf kardiovaskuläre Morbidität und Gesamtmortalität. oder kognitiv leicht eingeschränkte Patienten. Bei einer stark begrenzten Lebenserwartung, bestehender Pflegeabhängig- Polypharmazie keit oder starken kognitiven Einschränkungen geht es in er- ster Linie darum, Akutkomplikationen, die die Lebensqualität Aufgrund der häufig im Alter bestehenden Multimor- einschränken, zu vermeiden (siehe Tabelle Zielkorridore für bidität ist auf einfache Therapiekonzepte und mögliche ältere Menschen mit Diabetes). HbA1c-Werte > 8% sind mit Arzneimittelinteraktionen zu achten. Patienten mit Diabetes einer erhöhten Rate an Infektionen, Hospitalisierungen und nehmen oft bei leitlinienkonformer Therapie fünf oder mehr Mortalität assoziiert. Bei einer chronischen Hyperglykämie mit Wirkstoffe ein. Die Medikamenten-Compliance kann bei- Glukosurie, diese tritt bei Übersteigen der Nierenschwelle bei spielsweise durch Einmal-Einnahmemodalitäten und Kombi- einer Glukose von circa 180 mg/dl auf, drohen unter anderem nationspräparate erhöht werden. auch Dehydratation mit Blutdrucksenkung und kognitive Ver- schlechterung. Potentiell Blutzucker-verändernde Effekte sind für zahlreiche Medikamente bekannt. Diabetogene Wirkungen wurden in Die ermittelten HbA1c-Werte sollten in Hinblick auf mögliche unterschiedlichem Ausmaß unter anderem für Glukokortikoiden, Einflussfaktoren interpretiert werden. Bei einem verkürzten Thiazide, Theophyllin, atypische Neuroleptika (vor allem Olan- Erythrozytenüberleben, wie dies beispielweise bei Blutungs- zapin, Clozapin aber auch Quetiapin und Risperidon), trizyklische anämien, hämolytischen Anämien, chronischer Dialyse oder Antidepressiva, Antikonvulsiva (wie zum Beispiel Carbamazepin, Erythropoetin-Therapie der Fall ist, werden verminderte HbA1c- Gabapentin, Pregabalin, Valproinsäure) und Statine beschrieben. Werte gemessen. Den gegenteiligen Effekt, also falsch hohe HbA1c-Werte, kann man bei einem erhöhten Durchschnitts- Eine gegensätzliche Wirkung ist bei ACE-Hemmern, nicht-se- alter der Erythrozyten beispielsweise bei einem Eisenmangel lektiven Betablockern und Acetylsalicylsäure in hoher Dosie- oder Vitamin B12-Mangel beobachten. Bei vermuteten Störfak- rung (>2–3g/d) zu beobachten. toren kann die Messung eines Blutzuckertagesprofils über die Stoffwechsellage Aufschluss geben. Hypoglykämie-Wahrnehmung Medikamentöse Therapie Die Hypoglykämie-Symptomatik ist bei älteren Menschen häu- fig weniger charakteristisch und führt mitunter zu einer verspä- Mit gewissen Einschränkungen können prinzipiell alle verfüg- teten Korrektur. Neuroglykopenische Symptome wie beispiels- baren oralen und parenteralen Antidiabetika auch beim geria- weise Wortfindungsstörungen, Verwirrtheit, Desorientiertheit trischen Patienten angewendet werden. und Schläfrigkeit können im Vordergrund stehen und dazu füh- ren, dass die Hypoglykämie mit Verzögerung wahrgenommen Antidiabetika wird. Ebenso sollte auch bei unspezifischen Symptomkomple- xen wie Schwindel, Schwäche oder Stürze an die Möglichkeit Metformin einer Unterzuckerung unter blutzuckersenkender Therapie ge- dacht werden. Die humorale Antwort auf niedrige Blutzucker- Metformin kann aufgrund seines niedrigen Hypoglykämie- werte ist unabhängig vom Alter jedoch gleich. risikos auch beim hochbetagten Patienten zum Einsatz kom- men. Einschränkend ist hierbei die abnehmende Nieren- Therapieziele funktion des geriatrischen Patienten. Auf gastrointestinale Nebenwirkungen – vor allem bei Neueinstellung – und die Die Therapieziele orientieren sich beim geriatrischen Dia- leichte Gewichtsabnahme unter Therapie ist zu achten. Es betespatienten an den funktionellen Beeinträchtigungen be- empfiehlt sich eine einschleichende Aufdosierung. Typische ziehungsweise dem „biologischen“ Alter. Bei aktiven, selbst- Dosierungen beim geriatrischen Patienten sollen 1.000 mg/ ständigen Patienten mit wenigen Tag aufgeteilt auf zwei Einzeldosen nicht überschreiten. Die Begleiterkrankungen und einer Therapie kann bis zu einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) mehrjährigen Lebenserwartung von 30 ml/min in reduzierter Dosis beibehalten werden. Da- sollte unter Vermeidung von bei soll die Tagesdosis von Metformin unter einer GFR von Hypoglykämien ein HbA1c- 60 ml/min maximal 2.000 mg betragen, unter einer GFR von Wert zwischen 6,5–7,5% 45 ml/min maximal 1.000 mg/Tag – unter Berücksichtigung beziehungsweise ein des Körpergewichtes. Darunter erhöht sich das Risiko für eine Nüchtern-Blutzucker Laktatazidose. Regelmäßige Kontrollen der Nierenfunktions- von 100–130 mg/dl parameter zumindest alle drei bis sechs Monate sind beim angestrebt werden. geriatrischen Patienten obligat. Zusätzlich sollte unter Metfor- 36 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 22 | 25. November 2021
DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T mintherapie gelegentlich der Vitamin B12-Spiegel kontrolliert Als hohes kardiovaskuläres Risiko wird ein Alter ≥ 55 Jahre in werden: Defizite können sich negativ auf die Kognition und das Kombination mit dem Vorliegen einer linksventrikulären Hyper- Depressionsrisiko auswirken. trophie oder >50 Prozent Stenose der Koronarien, Carotiden oder Beinarterien oder eine nicht diabetische Nierenerkran- Basierend auf dem Update der Österreichischen Diabetes Gesell- kung mit einer eGFR < 60ml/min mit Albuminurie oder eine schaft 1/2021 zur antihyperglykämischen Therapie bei Diabetes Albuminurie angesehen. mellitus Typ 2 wird als Ergänzung zur Metformin-Therapie nicht nur bei bestehenden kardiovaskulären Erkrankungen, sondern SGLT2-Hemmer auch bei einem hohen Risiko für atherosklerotische, kardiovasku- läre Erkrankungen die Therapie mit einem GLP1-Analogon oder Die Medikamentengruppe der SGLT2-Hemmer ist in den letz- SGLT2-Hemmer mit nachgewiesenem kardiovaskulären Benefit ten Jahren durch positive Ergebnisse aus kardiovaskulären (Liraglutid, Dulaglutid, Semaglutid s.c., Empagliflozin, Dapagliflo- Sicherheitsstudien, Studien zur Herzinsuffizienz und Nieren- zin, Canagliflozin) empfohlen. Bei einer bestehenden Herzinsuf- insuffizienz in den Mittelpunkt des Interesses geraten. Zusätz- fizienz sollte einem SGLT2-Hemmer Vorzug gegeben werden. lich weisen SGLT2-Hemmer eine hohe Sicherheit in Bezug auf » Tab. 2: Publizierte kardiovaskuläre Outcome-Studien* Studie Präparat Geriatrische Patienten Patientencharakteristika Altersgrenze (Jahre) n (% Anteil an Gesamtpopulation) DPP-IV-Hemmer TECOS Sitagliptin >65/>75 7.735(52)/2004(14) CVE SAVOR-TIMI Saxagliptin >75 2.330 (14) CV-Risiko EXAMINE Alogliptin >65 1.907 (35) rezenter MCI, instabile AP CARMELINA Linagliptin >65,8** 3.490 (50) CVE, CV-Risiko SGLT2-Hemmer EMPA-REG Empagliflozin >65 3.127 (44) CV-Risiko DECLARE-TIMI Dapagliflozin >65 7.907 (46) CVE, CV-Risiko VERTIS-CV Ertugluflozin >64,4** 4.123 (50) CVE GLP1-Analoga LEADER Liraglutid >60 7.019 (75) CVE, CV-Risiko ELIXA Lixisenatid >65 2.043 (34) rezenter MCI REWIND Dulaglutid >65 4.464 (47) CVE, CV-Risiko PIONEER 6 Semaglutid oral >65 1.848 (58,1) CVE, CV-Risiko >75 410 (12,9) EXSCEL Exenatid >65 5.938‚ (40,1) CVE, CV-Risiko ≥75 1.250 (8,4) Insuline ORIGIN Insulin glargin >63** 6.268 (50)** CV-Risiko DEVOTE Insulin degludec >65 3.955 (51,7) CV-Risiko Gesamtzahl 139.722 65.818 (47,1) *und Anteil an geriatrischen Patienten; CVE: kardiovaskuläre Erkrankung; MCI: Myokardinfarkt; AP: Angina pectoris; CV-Risiko: kardiovaskuläres Risiko (KHK, cAVK, pAVK, Niereninsuffizienz, Hypertonie, Raucher); **Daten nicht angegeben, berechnet anhand des medianen Alters. Quelle: Literatur bei den Verfassern 22 | 25. November 2021 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 37
Diabetestherapie im Alter » Hypoglykämien auf. Für die Behandlung des Typ 2 Diabetes Im geriatrischen Bereich sollte neben den genannten Neben- mellitus sind Dapa-, Empa-, Cana- und Ertugliflozin in Europa wirkungen auch auf den Volumen-depletierenden Effekt durch zugelassen, wobei für die ersten drei genannten Wirkstoffe in die osmotische Diurese besonders geachtet werden. Als Folge Studien ein kardiovaskulärer Benefit gezeigt werden konnte. kann es zur Reduktion des Blutdruckes und des Flüssigkeitssta- tus und damit zu einer Einschränkung der Nierenfunktion und In Studien zur kardiovaskulären Sicherheit bei Diabetes konnte kognitiven Fähigkeiten kommen. der primäre kombinierte kardiovaskuläre Endpunkt (MACE = Tod aus kardiovaskulärer Ursache, nicht-tödlichem Myokardin- Generell sollten bei vulnerablen Patienten SGLT2-Hemmer so- farkt oder Schlaganfall) durch Empagliflozin und Canagliflozin wie Metformin und RAAS-Blocker bei akuten schweren Erkran- signifikant reduziert werden. Dapagliflozin zeigte eine signifi- kungen, Diarrhoe und Exsikkose beziehungsweise Operationen kante Verminderung beim primären kombinierten Endpunkt („sick days“) unter entsprechender klinischer Kontrolle pausiert kardiovaskulärer Tod und Hospitalisierungen aufgrund einer werden. Herzinsuffizienz. GLP-1-Analoga Bei der sekundären Endpunktauswertung war bei sämtlichen für die Behandlung des Diabetes Typ 2 zugelassenen SGLT2-Hem- Auch diese Wirkstoffklasse ist in den letzten Jahren mit Da- mer eine signifikante Verminderung der Hospitalisierung auf- ten zur kardiovaskulären Sicherheit verstärkt in den Mittel- grund einer Herzinsuffizienz zu verzeichnen. Bis auf Ertugliflozin punkt des Interesses gerückt. Aus Studien gibt es für Lira-, punkteten die anderen SGTL2-Hemmer auch mit renoprotektiven Dula- und Semaglutid s.c. Hinweise auf eine kardio- und Effekten im Sinne der Progression der diabetischen Nephropathie. nephroprotektive Wirkung und neutrale Effekte hinsichtlich Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz. Als sekundärer Endpunkt konnte bei Liraglutid die Mortalitätsrate und bei Dulaglutid und Semaglutid s.c. das ischämische Insultrisiko reduziert werden. Durch den Wirkmechanismus der Glukosurie sind auch die häufigsten Die Hypoglykämiegefährdung ohne zusätzliche blutzucker- Nebenwirkungen bedingt. senkende Begleittherapie ist als äußerst gering einzuschätzen. Die gewichtsreduzierende Wirkung von GLP-1-Analoga ist bei älteren Menschen nicht immer erwünscht. Zusätzlich sind vor allem zu Therapiebeginn gelegentlich auftretende gastro- intestinale Nebenwirkungen limitierend. Die derzeit von der Krankenkasse nach chefärztlicher Bewilligung erstatteten Die nephrologischen Einschränkungen bei der Therapie des Präparate müssen subkutan verabreicht werden. Dafür sind Diabetes mellitus basieren unter anderem auf einer von der neben motorischen und visuellen Fähigkeiten auch kognitive Nierenfunktion abhängigen glykämischen Wirksamkeit. Inwie- Voraussetzungen notwendig. Einmal wöchentliche Gaben weit die Studienergebnisse zur Reduktion der Progression der sind dafür geeignet, dass pflegende Personen diese Therapie chronischen Niereninsuffizienz bei Patienten mit und ohne übernehmen können. Mit der oralen Formulierung von Sema- Diabetes mellitus in den Zulassungstext aller SGLT2-Hemmer glutid steht erstmals ein GLP-1-Analogon in Tablettenform zur bei Diabetes mellitus Einzug finden, bleibt abzuwarten. Verfügung, wenngleich dieses in Österreich derzeit noch nicht erhältlich ist. Durch den Wirkmechanismus der Glukosurie sind auch die häufigsten Nebenwirkungen bedingt (genitale Pilzinfekte, Harn- DPP-IV-Hemmer (Gliptine) wegsinfekte), welche jedoch durch ausreichende Körperhygiene meist vermieden werden können. DPP-IV-Hemmer sind aufgrund ihres fehlenden Hypo- glykämie-Risikos und günstigen Nebenwirkungsprofils für Auf die Möglichkeit des Auftretens einer euglykämen Ketoazi- geriatrische Patienten gut geeignet. Im Gegensatz zu GLP- dose mit nur mäßig erhöhtem Blutzuckerspiegel (mitunter Blut- 1-Analoga und SGLT2-Hemmer ist diese Substanzklasse zucker < 250 mg/dl) ist hinzuweisen. Das Risiko steigt bei einem gewichtsneutral. Bis auf Linagliptin ist bei allen anderen absoluten oder relativen Insulinmangel zum Beispiel im Rah- Gliptinen eine Anpassung der Dosierung entsprechend der men eines Infektes. Der Patient sollte angewiesen werden, bei GFR vorzunehmen. Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, körperlicher Schwäche oder Atembeschwerden ärztliche Hilfe aufzusuchen. Ketonkör- Die kardiovaskuläre Sicherheit konnte für die Substanzen in End- per können im Blut mit speziellen Geräten oder im Harn mittels punktstudien gezeigt werden. Aufgrund einer erhöhten Hospitali- Urin-Teststreifen gemessen werden. Bei einem positiven Nach- sierungsrate in der SAVOR-TIMI-53-Studie kann die Anwendung weis ist der Patient in ein Krankenhaus zu überwiesen. von Saxagliptin bei bestehender Herzinsuffizienz nicht empfoh- 38 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 22 | 25. November 2021
DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T len werden. Sitagliptin, Linagliptin und Alogliptin erwiesen sich Pioglitazon hinsichtlich Herzinsuffizienz in Outcome-Studien neutral. Prinzipiell wäre vor allem bei Patienten mit hoher Insulin- Das Pankreatitis-Risiko scheint unter DPPIV-Hemmer-Therapie resistenz Pioglitazon eine sinnvolle Option – noch dazu wo gering erhöht, wenngleich sich dies in einer Metaanalyse von es von Seiten der Nierenfunktion keine Einschränkungen rund 1,3 Millionen Patienten aus Beobachtungsstudien nicht gibt. Da jedoch eine Herzinsuffizienz (NYHA I-IV) aufgrund widerspiegelte. der möglichen Flüssigkeitsretention als Kontraindikation gilt und eine erhöhte Frakturrate bei postmenopausalen Frauen Bei Patienten mit einer Pankreatitis in der Vorgeschichte ist Vor- festgestellt wurde, beschränkt sich diese Therapieoption sicht geboten. Zu Beginn der Therapie sollte über die Symptome nach sorgfältiger Nutzen-/Risikoabklärung im geriatrischen einer Bauchspeicheldrüsenentzündung aufgeklärt werden. Bereich nur auf ein kleines Patientenkollektiv. Zusätzlich Nach Markteinführung der DPPIV-Hemmer trat sehr selten ein dürfte ein erhöhtes Risiko für das Auftreten eines Makula- bullöses Pemphigoid unter der Therapie auf. Wenn ein Patient ödems bestehen. » unter DPPIV-Hemmer-Therapie Blasen oder Erosionen entwi- ckelt und ein bullöses Pemphigoid vermutet wird, ist die Medi- kation unverzüglich abzusetzen. Abb. 1: Leitlinien-gerechte Stufentherapie des Diabetes mellitus Typ 2 Lebensstilmodifizierende Therapie – Gewichtsmanagement, körperliche Aktivität + Metformin als Basistherapie (wenn keine Kontraindikationen) Keine bekannte kardiovaskuläre Erkrankung Anamnestisch bekannte kardiovaskuläre Erkrankungen oder chronische Niereninsuffizienz oder chronische Niereninsuffizienz Kardiovaskuläre Erkrankung im Vordergrund Herzinsuffizienz oder chro- Minimierung des Risikos für Hypoglykämien – Nachgewiesene atherosklerotische kardiovaskuläre nische Niereninsuffizienz Erkrankung im Vordergrund DPP-4- GLP-1- SGLT2- – Hohes Risiko für eine atherosklerotische kardiovaskuläre Pioglitazon Hemmer Analoga Hemmer Erkrankung (Alter >= 55 Jahre und eines der folgenden Kriterien SGLT2-Hemmer mit Evidenz zur • linksventrikuläre Hypertrophie Reduktion von Herzinsuffizienz • > 50% Stenose der Koronarien, Karotiden oder Beinarterien HbA1c über dem Zielbereich und/oder Progression einer • eGFR < 60 ml/min/1,73 m2 chronischen Niereninsuffizienz • Albuminurie GLP-1 RA SGLT2-H Wenn eine SLGT-2-Hemmer- SGLT2-H SGLT2-H oder oder GLP-1 Analogon mit SGLT2-Hemmer mit kardio- therapie nicht möglich ist oder oder DPP-4-Hem- DPP-4-Hem- kardiovaskulärem Benefit vaskulärem Benefit solange (Kontraindikation, Unverträg- Pioglitazon Pioglitazon mer oder mer oder die eGFR die Verschreibung lichkeit, eGFR), dann GLP-1 Pioglitazon GLP-1 RA zulässt. Rezeptoragonist mit kardio- vaskulärem Benefit HbA1c über dem Zielbereich HbA1c über dem Zielbereich HbA1c über dem Zielbereich Therapieeskalation mit einem weiteren Wirkmechanismus Medikament mit dokumentierter kardiovaskulärer Sicherheit Medikament mit dokumentierter GLP-1 Analogon, SGLT-2 Hemmer kardiovaskulärer Sicherheit HbA1c über dem Zielbereich DPP-4-Hemmer falls kein GLP-1 Analogon Basalinsulin GLP-1 Analogon Pioglitazon DPP-4-Hemmer (nicht Therapieeskalation mit Basalinsulin oder Sulfonylharnstoff Saxagliptin) falls kein GLP-1 moderner Sulfonylharnstoff Analogon Basalinsulin Sulfonylharnstoff Bei Neudiagnose sollte bei einem HbA1c > 9,0 Prozent (75 mmol/mol) eine Kombinationstherapie begonnen werden. Transfer in ein Krankenhaus bzw. zu einem Spezialisten bei symptomatischer Hyperglykämie/metabolischer Dekompensation. Quelle: Leitlinien für die Praxis (www.oedg.org) 22 | 25. November 2021 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 39
Diabetestherapie im Alter » Insulinsekretagoga die Durchführung einer Insulinapplikation kann beispielsweise ein Geldzähltest in Erwägung gezogen werden. Sulfonylharnstoffe (SH) und Glinide sollten aufgrund der er- höhten Hypoglykämie-Wahrscheinlichkeit und Hypoglykämie- Als Einstieg in die Insulintherapie bieten sich Basalinsuline risiko im hohen Alter mit Vorsicht verordnet werden. Gliclazid meist in Kombination mit oralen Antidiabetika an. Ultralang MR dürfte ein niedrigeres Hypoglykämie-Risiko als Glimepirid wirksame Basalinsuline (wie zum Beispiel: Insulin Glargin U aufweisen. Bei schwerer Niereninsuffizienz ebenso wie bei Le- 300, Insulin Degludec) haben nicht nur den Vorteil von weni- berinsuffizienz wird die Therapie dennoch aufgrund der Gefahr ger Hypoglykämien aufgrund von flacheren Wirkungsprofilen prologierter Hypoglykämien nicht empfohlen. gegenüber Basalinsulinen der 1. Generation, sondern punkten auch mit der einmal täglichen Verabreichung mit etwas flexiblen Insulin Injektionszeiten. Bei Auftreten eines Insulinmangels und der unzureichenden Bei unzureichender Blutzuckerkontrolle kann in weiterer Folge Wirkung von anderen Antidiabetika ist auch bei betagten eine konventionelle Insulintherapie mit Mischinsulin erforder- Patienten die Notwendigkeit einer Insulintherapie gegeben. Im lich werden. Hier sind bei geriatrischen Patienten Präparate mit geriatrischen Setting sollten bei der Wahl des Regimes der In- einem niedrigen Anteil an rasch wirksamem Insulin (25/75, sulintherapie die Möglichkeiten des Patienten und des betreu- 30/70) zu bevorzugen. Alternativ kann auch eine Basis-Bolus- enden Umfeldes berücksichtigt werden. Zur Evaluierung der Therapie mit initial einmal täglicher Gabe eines prandialen kognitiven und motorischen Fähigkeiten als Voraussetzung für Insulins zur größten Tageshauptmahlzeit angedacht werden. Tab. 3: Zielkorridore für ältere Menschen mit Diabetes mellitus Patientengruppe Begründung HbA1c Blutglukose vor Blutdruck Lipide den Mahlzeiten Funktionell unabhängige Lebenserwartung 6,5–7,5 100–130mg/dl Über 80 Jahre: Statin beginnen wenn nicht Patienten: Wenig Begleiter- >15 Jahre
DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T Sollte der gewünschte Therapieeffekt nicht eintreten, kann das Durch den Einsatz eines CGM-Systems konnte beispielsweise Konzept durch eine zwei bis drei Mal tägliche Insulingabe bei bei > 60-jährigen Patienten mit Typ 1- oder Typ 2-Diabetes den Mahlzeiten weiter intensiviert werden. unter Insulintherapie nach 24 Wochen im Gegensatz zur kon- ventionellen Blutzuckermessung eine stärkere HbA1c-Senkung Die noch nicht allzu lange zugelassenen ultraschnell wirksamen und geringere Glukosevariabilität erzielt werden (DIAMOND Insulinanaloga (Insulin Aspart plus Nicotinamid als Resorp- Trial). Ebenso wurde eine sehr hohe Patientenzufriedenheit an- tionsverstärker, Insulin Lispro plus Citrat und Treprostinil als gegeben. Eine signifikante Senkung der Zeit im hypoglykämen Resorptionsverstärker) können als Insulin zu den Mahlzeiten Bereich (< 70mg/dl) wurde bei über 60-jährigen Typ 1-Diabe- aufgrund der schnelleren Insulinabsorption eine interessante tikern über 24 Wochen in einer randomisierten Studie mit 203 Option darstellen. Durch die Möglichkeit der Anwendung bis 20 Teilnehmern gezeigt. Minuten nach Beginn einer Mahlzeit kann bei älteren Patienten mit wechselndem Appetit und unvorhersehbaren Essensmen- Diabetes und Lipide gen die Insulindosis angepasst werden. Neben Diabetes ist das LDL-Cholesterin (LDL-C) ein weiterer Andererseits ist auch darauf zu achten, die Insulintherapie recht- wichtiger beinflussbarer Risikofaktor für das Entstehen von zeitig zu deeskalieren, sofern es zu einer dauerhaften Zunahme atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen (ASCVD). der funktionellen Beeinträchtigungen oder zum Neuauftreten Dennoch nimmt der Einsatz von Statinen mit zunehmendem von Erkrankungen kommt, die die Lebensdauer einschränken. Alter – in den ESC-Leitlinien definiert als ≥ 65 Jahren – einer- seits infolge mangelnder Compliance, andererseits jedoch auch Zusammenfassend sollte die individuell effizienteste und rea- aufgrund des Verschreibungsverhaltens ab. In der 2019 publi- lisierbare Therapie ausgewählt werden, wobei beim betagten zierten Metaanalyse der Cholesterol Treatment Trialists’ (CTT) Patienten Praktikabilität (= Einfachheit) und Sicherheit der Collaboration zeigte sich jedoch die Evidenz eines Benefits Insulintherapie im Vordergrund stehen. der Statin-Therapie bei über 75-jährigen Patienten. Die relative Reduktion von schwerwiegenden vaskulären Ereignissen war Bei Visus-Einschränkungen können auf den Insulin-Pen auf- altersunabhängig. Jedoch zeigte sich ein geringerer Benefit bei steckbare Lupen für den Patienten eine Erleichterung bringen. älteren Patienten ohne diagnostizierte arterielle Verschluss- Die Verwendung von Insulin-Fertigpens ohne Notwendigkeit krankheit. Daten bezüglich eines Benefits einer primärprä- eines Patronenwechsels bietet sich bei Patienten mit moto- ventiven Statintherapie bei älteren Patienten (≥70Jahre) wird rischen Beeinträchtigungen an. die australische STAREE-Studie (STAtin therapy for Reducing Events in the Elderly) voraussichtlich Ende 2023 bringen. Therapiekontrolle Somit sind auch bei geriatrischen Patienten prinzipiell die allge- Einsatz moderner Technologien mein laut ESC-Leitlinie (The Task Force for the management of dyslipidaemias, Eur Heart J, 2020) geltenden LDL- Zielwerte bei Künftig wird auch die Gewebszuckermessung mittels Diabetes anzustreben. Bei einem sehr hohen beziehungsweise Flash Glukose Messung (iscCGM = intermittent scanning hohen Risiko bedeutet dies neben einer mindestens 50-pro- continuous glucose monitoring) oder kontinuierlicher zentigen Reduktion des LDL-C-Ausgangswert ein LDL-C-Ziel Glukoseüberwachung (rtCGM) in der Geriatrie mehr Anwen- von < 55 mg/dl beziehungsweise < 70 mg/dl. In Analogie zur dung finden. Ein Sensorfilament unter der Haut misst fortlau- antidiabetischen Therapie ist bei ausgeprägter Multimorbidität, fend die Gewebsglukose und meldet die Werte entweder nach fortgeschrittener Demenz und stark eingeschränkter Lebenser- Scannen des Sensors oder automatisch kontinuierlich an ein wartung die Indikation individuell zu evaluieren. Empfängergerät beziehungsweise Mobiltelefon. Derzeit wer- den die Kosten nur bei der Notwendigkeit von mindestens Diabetes und Blutdruck sechsmal täglichen Blutzuckerkontrollen im Rahmen einer Insulinpumpentherapie, einer funktionellen oder Basis-Bolus- Antihypertensive Therapien reduzieren auch bei älteren und Insulintherapie von der Krankenkasse übernommen. Ein Nut- sehr alten Patienten (definiert laut ESC als ≥ 65-jährig respektive zungsanstieg ist durch das mit der Technologie älter werdende ≥ 80-jährig) die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität. Je- Patientenklientel zu erwarten. Ebenso können die alternativen doch gilt, dass besonders bei älteren Patienten nicht strikt nach Mess-Systeme privat erworben werden und erleichtern etwa Zielwert therapiert werden sollte, sondern individuell nach Risi- bei Patienten mit Demenz oder feinmotorischen Einschrän- ko und Nutzen für die einzelnen Patienten. Bei älteren Patienten kungen ohne blutige Zuckermessungen die Therapiekontrolle. wird die Wahl der Medikamente in erster Linie durch Komorbi- Einige Systeme bieten bereits neben einem kontinuierlichen ditäten wie eingeschränkte Nierenfunktion, Neigung zu orthosta- Glukosemonitoring auch eine Alarmfunktion bei Werten au- tischer Hypotonie (bei Diabetikern auch infolge der autonomen ßerhalb des Therapieziels und können daher hilfreich bei der Neuropathie) und Frailty sowie durch Polypharmazie mit Poten- Vermeidung von Hypoglykämien sein. tial zu unerwünschten Arzneimittelinteraktionen bestimmt. » 22 | 25. November 2021 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 41
Diabetestherapie im Alter Tab. 4: Antidiabetika: Dosierungsempfehlung bei Diabetes mellitus Typ 2 Substanz/ GFR ml/min(CKD) ≥ 60 (2) 59-45 (3a) 44-30 (3b) 29-15 (4)
DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T » Diabetes und Thrombozytenaggregationshemmer Beispiel Stürze) zu vermeiden. Eine dauerhafte Hyperglykämie über 180 mg/dl ist aber auch in diesem Fall aufgrund der Glukos- Basierend auf dem Leitlinien-Update der ÖDG 2021 (siehe dazu urie mit Gefahr der Dehydratation und damit vergesellschafteten auch www.oedg.at) besteht eine klare Indikation zur Thrombozyten- Symptomen (beispielsweise Delir) nicht zu empfehlen. aggregationshemmung bei Patienten mit klinisch manifester kardio- vaskulärer Erkrankung. Für Patienten mit hohem oder sehr hohem Diabetes und Nierenfunktion Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung in der Primärprävention (zum Beispiel bei Bestehen eines Endorganschadens im Sinn einer Es ist bekannt, dass im Alter die Nierenfunktion bei Diabetikern Albuminurie, Retinopathie, Neuropathie oder bei multiplen kardio- und Nicht-Diabetikern abnimmt. Bei älteren Menschen besteht vaskulären Risikofaktoren) kann eine Thrombozytenaggregations- außerdem ein Zusammenhang zwischen Sarkopenie und redu- hemmung erwogen werden. Auf ein altersabhängiges Blutungsrisiko zierten Kreatininwerten im Serum, weshalb ein normales Krea- unter Acetylsalicylsäure ist hinzuweisen. Ergänzend ist bei allen Pati- tinin eine Niereninsuffizienz nicht ausschließt. Aus diesem Grund enten über 65 Jahren unter Therapie mit Thrombozytenaggregations- ist eine pauschale Einschätzung der glomerulären Filtrationsrate hemmern eine Therapie mit Antazida indiziert. mittels geläufiger Formeln (zum Beispiel MDRD) nur bedingt anwendbar. Eine bessere Annäherung bietet möglicherweise Diabetes und Knochen die CKD-EPI-Formel. Bei Personen über 70 Jahren kann mit der BIS1-Formel und der BIS2-Formel – diese unter Einbeziehung Mit zunehmendem Lebensalter steigt das Risiko für Frakturen. von Cystatin C – die Nierenfunktion besser eingeschätzt werden. Einerseits ist dies durch die altersbedingte Reduktion der Knochen- masse bedingt, andererseits nehmen auch Sturzereignisse durch Für die meisten oralen Antidiabetika gibt es vorgeschriebene funktionelle Einschränkungen zu. Beim Diabetiker spielen hier Dosisreduktionen bei reduzierter GFR. Als besonders proble- Neuropathien, Vaskulopathien und Retinopathien eine besondere matisch sind Metformin und Sulfonylharnstoffe zu sehen, wo- Rolle. Patienten mit Typ 2-Diabetes weisen in der herkömmlichen bei die untere GFR-Grenze für Metformin in den letzten Jahren Knochendichtemessung mittels DXA (Dual-Energy-X-Ray-Absorp- herabgesetzt wurde. Obwohl nicht direkt nephrotoxisch, besteht tiometry) zwar einen höheren T-Score als gleichalte Stoffwechsel- unter der Therapie mit Biguaniden ein erhöhtes Risiko für Lak- gesunde auf, jedoch ist das Frakturrisko bei Diabetikern durch die tat-Azidosen. Für Sulfonylharnstoffe besteht bei eingeschränk- Beeinträchtigung der Knochenqualität höher. Zusätzlich konnte ter Nierenfunktion die Gefahr der Akkumulation und somit das gezeigt werden, dass die Knochendichte (gemessen in g/cm2) bei Risiko für häufigere und vor allem prolongierte Hypoglykämien. Typ 2- Diabetiker stärker abnimmt als bei Nicht-Diabetikern. Zur Hilfe gezogen werden kann der sogenannte Trabecular bone score Zusammenfassung (TBS), eine Computer-unterstützte Berechnung der Knochenqua- lität. Diese gibt auch bei anscheinend gutem T-Score Auskunft, ob Geriatrische Patienten mit Diabetes mellitus stellen eine indi- eine Osteoporose vermutet werden kann oder nicht. viduelle Gruppe von Personen dar, bei denen eine individuelle Behandlung notwendig ist – in Abhängigkeit vom vereinbarten Daher sollte – besonders beim geriatrischen Patienten – eine Therapieziel unter besonderer Berücksichtigung der Lebens- Risikovermehrung durch die antidiabetische Therapie vermie- qualität. Im Alter ist das Einhalten eine strikten „Diabetes-Diät“ den werden. Für Glitazone ist durch die Aktivierung von PPAR-γ aufgrund der eventuellen Verschlechterung des Ernährungszu- ein negativer Einfluss auf den Knochenstoffwechsel bekannt. standes nicht zu empfehlen. Multidisziplinäre Teams können Für DPP-IV-Hemmer und SGLT2-Hemmer konnte bisher kein Zusammenhang nachgewiesen werden. bei der Vermeidung einer Polypharmazie hilfreich sein. ◉ Literatur bei den Verfassern Diabetes und Demenz *Univ. Prof. Dr. Peter Fasching, Dr. Bettina Göbel, Dr. Alex- Das Demenz-Risiko ist bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 ander Bräuer, Dr. Alfa Wenkstetten-Holub, Klinik Ottakring erhöht. Neben einer schlechten glykämischen Kontrolle sind auch Wien, 5. Medizinische Abteilung, Montleartstraße 37, häufige Hypoglykämien mit einem kognitiven Abbau assoziiert. 1160 Wien; Tel. 01/49 150/2508; Da es ebenso im Rahmen von Depressionen zu Veränderungen E-Mail: peter.fasching@gesundheitsverbund.at der Gedächtnisleistung kommen kann, sollte bei Aufflällig- keiten ein entsprechendes psychiatrisches Screening erfolgen. Lecture Board Univ. Prof. Dr. Monika Lechleitner, Landeskrankenhaus Bei Patienten mit Diabetes mellitus und kognitiven Einschrän- Hochzirl-Natters, Standort Hochzirl, Abteilung für Innere Medizin kungen sollte – wie prinzipiell bei jedem Diabetes-Patienten – ein Priv. Doz. Dr. Joakim Huber, Franziskusspital der Elisabethinen individuelles Therapieziel vereinbart und auf möglichst einfache und Hartmann Schwestern Wien, Abteilung Innere Medizin Therapiekonzepte geachtet werden. Bei einer schweren Demenz wird man das Ziel höher festlegen (bis HbA1c von 8,5%), um Hypo- Ärztlicher Fortbildungsanbieter glykämien und daraus resultierende Komplikationen (wie zum 5. Medizinische Abteilung, Klinik Ottakring Wien 22 | 25. November 2021 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 43
DFP-Literaturstudium: 1) Für die Insulintherapie bei betagten Patienten sollte (eine Antwort richtig): a) Mischinsulin mit einem hohen Anteil eines kurzwirksamen Insulins gewählt werden. Diabetestherapie b) auf die Praktikabilität des Insulintherapieregimes geachtet werden. c) ein ultralang wirksames Basalinsulin aufgrund des im Alter erhöhten Hypoglykämierisikos gemieden werden. d) man die oralen Antidiabetika bei Insulintherapie immer beenden. 2) Folgende Aussagen treffen in Bezug auf eine Keto- Insgesamt müssen vier von sechs Fragen richtig beantwortet azidose unter SGLT2-Hemmern zu (zwei Antworten richtig): sein, um zwei DFP-Punkte im Rahmen des Diplom-Fortbil- a) Es handelt sich um eine harmlose Nebenwirkung. dungs-Programms der Österreichischen Ärztekammer zu b) Eine Ketoazidose tritt nur bei stark erhöhten erwerben. Eine Frage gilt als korrekt beantwortet, wenn alle Blutzuckerwerten auf. möglichen richtigen Antworten markiert sind. c) Die Messung von Ketonkörpern z.B. mittels Urinstreifen ist sinnvoll. www.aerztezeitung.at/DFP-Literaturstudium d) Bei rezidivierenden Harnwegsinfekten sollte der SGLT2-Hemmer abgesetzt werden. 3) Mit abnehmender Nierenfunktion ergeben sich E-Mail: dfp@aerzteverlagshaus.at folgende Aspekte (zwei Antworten richtig): Bitte deutlich ausfüllen, da sonst die Einsendung a) Metformin kann in allen Niereninsuffizienzstadien gefahrlos eingesetzt werden. nicht berücksichtigt werden kann! b) Regelmäßige Kreatininkontrollen sollten erfolgen. c) SGLT2-Hemmer können die Progression einer Name: Nephropathie verzögern. d) Bei Sarkopenie ist mit einem falsch hohen Kreati- ninwert zu rechnen, eine Dosisanpassung ist nicht erforderlich. ÖÄK-Arztnummer: 4) Welche Aussagen zur Diabetestherapie im Alter treffen zu (zwei Antworten richtig): Adresse: a) Auch bei hochbetagten Patienten ist eine gewichtsreduzierende Diabetikerkost die Basis der Therapie. b) Bei Herzinsuffizienz sollte einem SGLT2-Hemmer der Vorzug gegeben werden. E-Mail-Adresse: c) Bei allen DPPIV-Hemmern muss die Dosis nicht an die Nierenfunktion angepasst werden. d) GLP-1-Analoga führen zu einer im Alter nicht immer erwünschten Gewichtsreduktion. Zutreffendes bitte ankreuzen: 5) Welche Aussagen zur Blutdrucktherapie bei betagten Diabetespatienten treffen zu? (zwei Antworten richtig): Turnusarzt/Turnusärztin a) Eine antihypertensive Therapie ist bei über Arzt/Ärztin für Allgemeinmedizin 80-Jährigen nicht sinnvoll. Facharzt/Fachärztin für b) Auch bei älteren Patienten sollte strikt nach Zielwert therapiert werden. c) Antihypertensive Therapie reduziert bei älteren Ich besitze ein gültiges DFP-Diplom. Patienten die kardiovaskuläre Morbidität. Ich nutze mein DFP-Fortbildungskonto. d) Bei einem funktionell unabhängigen, 81-jährigen Bitte die DFP-Punkte automatisch buchen. Patienten mit wenigen Begleiterkrankungen liegt der Zielblutdruck systolisch < 150 mmHg. Altersgruppe: 6) Eine klare Indikation zur Thrombozytenaggregati- onshemmung bei einem älteren Diabetespatienten < 30 31–40 41–50 51–60 > 60 besteht (eine Antwort richtig): a) ab einem Alter von 65 Jahren Ich willige in die Zusendung von Werbematerial per Post b) bei einem zusätzlichen Risikofaktor oder E-Mail über die Produkte der Verlagshaus der Ärzte GmbH c) bei klinisch manifester kardiovaskulärer ein. Diese Einwilligung kann ich jederzeit mittels E-Mail an Erkrankung office@aerzteverlagshaus.at widerrufen. Informationen zum d) niemals Datenschutz finden Sie auf Seite 62 oder unter www.aerztezeitung.at/kontakt/impressum e) bei Albuminurie 44 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 22 | 25. November 2021
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